L 11 KR 4146/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 2871/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4146/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 16.11.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1957 geborene Kläger war in der Zeit vom 03.04.2015 bis zum 02.08.2015 im Rahmen einer obligatorischen Anschlussversicherung bei der Beklagten zu 1 freiwillig und demzufolge bei der Beklagten zu 2 pflichtversichert. Vom 03.08.2015 bis zum 29.01.2016 bestand eine Mitgliedschaft bei den Beklagten über eine versicherungspflichtige Beschäftigung.

Die Beklagte zu 1 setzte - auch im Namen der Beklagten zu 2 - durch Bescheid vom 03.08.2015 für die Zeit ab 03.04.2015 die monatlichen Beiträge auf 721,88 € (614,63 € Krankenversicherung, 107,25 € Pflegeversicherung) unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze (2015 monatlich 4.125,00 €) fest und forderte den Kläger auf, Angaben und Nachweise zu seinem Einkommen vorzulegen.

Am 29.10.2015 sprach der Kläger bei der Beklagten zu 1 vor und bat um einen Verzicht auf die Beitragsforderung oder, wenn nicht anders möglich, um die Festsetzung des Mindestbeitrages. Er sei in der Zeit vom 03.04.2015 bis 02.08.2015 meistens auf der Straße unterwegs gewesen, vergleichbar wie ohne festen Wohnsitz. Er sei in dieser Zeit arbeitslos gewesen, habe sich jedoch nicht beim Arbeitsamt gemeldet, weil er keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) habe beantragen wollen. Daraufhin teilte ihm die Beklagte mit, dass eine rückwirkende Beitragsanpassung nicht möglich sei, da er Unterlagen nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheides vom 03.08.2015 nachgereicht habe.

Mit Bescheid vom 03.05.2016 bestätigte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - dem Kläger das Bestehen einer freiwilligen Anschlussversicherung ab dem 30.01.2016 und setzte unter Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrenze (2016 monatlich 4.237,50 €) die monatlichen Beiträge auf insgesamt 745,81 € (Krankenversicherung 635,63 € und 110,18 € Pflegeversicherung) fest. Sie forderte den Kläger auf, Angaben und Nachweise zu seinem Einkommen zu machen. Dann könnten die Versicherungsbeiträge neu berechnet werden.

Nachdem der Kläger ab 14.11.2016 wieder aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei den Beklagten versichert war, beendeten diese die freiwillige Versicherung zum 13.11.2016. Nach Ende der Beschäftigung zum 25.01.2017 stellte die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - für die Zeit ab 26.01.2017 eine obligatorische Anschlussversicherung fest und setzte die monatlichen Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze (2017 4.350,00 €) auf monatlich 774,30 € (652,50 € Krankenversicherung, 121,80 € Pflegeversicherung) fest (Bescheid vom 28.04.2017). Sie forderte den Kläger auf, Angaben und Nachweise zu seinem Einkommen zu machen, damit die Beiträge ggf angepasst werden können.

Nachdem der Kläger am 06.05.2017 erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatte, beendeten die Beklagten die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung zum 05.05.2017 (Schreiben vom 04.07.2017). Diese Beschäftigung endete zum 05.06.2017. Die Beklagte zu 1 setzte - auch im Namen der Beklagten zu 2 - mit Bescheid vom 13.09.2017 unter Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrenze (2017 4.350,00 €) die monatlichen Beiträge ab 06.06.2017 auf insgesamt 774,30 € (652,50 € Krankenversicherung, 121,80 € Pflegeversicherung) fest und forderte den Kläger auf, Angaben zu seinem Einkommen zu machen und dieses nachzuweisen, damit die Versicherungsbeiträge „korrekt“ festgesetzt werden können.

Ab 01.12.2017 war der Kläger bei den Beklagten über den Bezug von Arbeitslosengeld II versichert.

Unter dem 25.07.2018 erließ die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - einen „Beitragsrückstandsbescheid“ für die Zeit vom 03.04.2015 bis zum 30.11.2017 und setzte die Beiträge zur Krankenversicherung iHv insgesamt 14.500,01 € und zur Pflegeversicherung iHv insgesamt 2.586,55 € sowie Säumniszuschläge bis zum 25.07.2018 iHv 3.653,00 € fest. Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 27.07.2018 zugestellt. Dagegen legte der Kläger am 23.08.2018 Widerspruch ein. Er habe am 29.10.2015 mitgeteilt, dass er kein Einkommen erziele und lediglich der Mindestbeitragssatz eingesetzt werden solle.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2018 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Bescheide vom 03.08.2015, 03.05.2016, 28.04.2017 und 13.09.2017 seien rechtskräftig. Mit Bescheid vom 25.07.2018 seien die Beiträge für die Zeiten der freiwilligen Versicherung im Zeitraum vom 03.04.2015 bis 30.11.2017 festgesetzt worden, um eine Verjährung der Beiträge und Säumniszuschläge zu sichern, da weitere Vollstreckungsmaßnahmen derzeit nicht erfolgversprechend erschienen und Kosten produzieren würden. Die Widerspruchsfrist für die Bescheide zur Beitragseinstufung seien abgelaufen. Entsprechend § 240 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 6 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler habe die Krankenkasse zur Feststellung der Beitragspflicht von jedem Mitglied aktuelle Nachweise zu verlangen. Sofern und solange Nachweise nicht vorgelegt würden, erfolge die weitere Beitragsbemessung aus der Beitragsbemessungsgrenze. Erfolge keine behördliche Vollstreckungshandlung nach § 212 Abs 1 Nr 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sei die Verjährung nach §§ 31, 37, 39 und 52 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 197 BGB für die rückständigen, nicht verjährten Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung sowie Säumniszuschläge und Kosten durch die Verfügung des Einzelfalls festzustellen und dem Schuldner als Beteiligten zuzustellen. Die Verjährungsfrist betrage dann 30 Jahre.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 05.11.2018 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 05.12.2018 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und die Festsetzung von Mindestbeiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung begehrt.

Während des Klageverfahren hat die Beklagte zu 1 - auch im Namen der Beklagten zu 2 - am 04.06.2019 einen „Beitragsrückstandsbescheid“ erlassen und die Gesamtforderung nun auf insgesamt 12.849,99 € festgesetzt. Sie hat die obligatorische Anschlussversicherung für die Zeit vom 30.01.2016 bis zum 13.11.2016 aufgrund der Regelung des§ 323 SGB V aF überprüft und „storniert“. Beiträge hat sie für die Zeit vom 03.04.2015 bis 02.08.2015, vom 26.01.2017 bis 05.05.2017 sowie vom 06.06.2017 bis 30.11.2017 nebst Säumniszuschlägen bis zum 04.06.2019 (insgesamt 2.816,00 €) berücksichtigt und Kosten und Gebühren iHv 122,00 € festgesetzt. Diesen Bescheid hat sie mit dem Hinweis versehen: „Dieser Bescheid ersetzt den Beitragsrückstandsbescheid vom 25.07.2018.“

Mit Schreiben vom 07.10.2019 haben die Beklagten dem Kläger mitgeteilt, dass sie die Versicherungszeiten des Klägers erneut nach § 323 SGB V aF überprüft hätten. Das Ergebnis dieser Überprüfung sei, dass für die Zeit vom 26.01.2017 bis 05.05.2017 und vom 06.06.2017 bis 30.11.2017 der Versicherungsschutz über die obligatorische Anschlussversicherung sicherzustellen sei. Mit Bescheiden vom 28.04.2017 und 13.09.2017 seien die Beiträge festgesetzt worden. Einkommensunterlagen seien nicht eingegangen. Die Beklagten haben die Bescheide vom 03.08.2015 und 03.05.2016 sowie den Beitragsrückstandsbescheid vom 25.07.2018 zurückgenommen. Sie haben den Kläger darüber informiert, dass sich die aktuelle Beitragsforderung wie folgt zusammensetze:


- Beiträge zur obligatorischen Anschlussversicherung vom 26.01.2017 bis 05.05.2017: 2.606,81 €
- Beiträge zur obligatorischen Anschlussversicherung vom 06.06.2017 bis 30.11.2017: 4.516,75 €
- Säumniszuschläge bis 07.10.2019: 1.831,00 €
- Kosten und Gebühren: 20,31 €
- Forderung insgesamt: 8.974,87 €

Weiterhin haben die Beklagten auf Folgendes hingewiesen: „Zur Sicherung der Verjährung beabsichtigen wir zur gegebenen Zeit die Beitragsforderungen durch Bescheid festzusetzen.“

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat mitgeteilt, dass der Kläger in der Zeit vom 26.01.2017 bis 05.05.2017 und 06.06.2017 bis 30.11.2017 Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen habe. Auch der Bescheid vom 13.09.2017 sei bestandskräftig geworden.

Das SG hat mit den Beteiligten am 06.11.2019 einen Erörterungstermin durchgeführt, hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 06.11.2019 Bezug genommen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 26.03.2020 mitgeteilt, dass er grundsätzlich bereit sei, den Beitragsrückstand entsprechend dem Bescheid vom 07.10.2019 anzuerkennen. Er bitte jedoch darum, die in dem Bescheid vom 07.10.2019 geltend gemachten Säumniszuschläge sowie die Kosten und Gebühren zu prüfen. Er beziehe weiterhin Leistungen nach dem SGB II und wäre nach seinem Renteneintritt auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen.

Weiter haben die Beklagten mitgeteilt, dass sie aufgrund der ab 01.01.2019 in Kraft getretenen Regelung des § 323 SGB V aF von Amts wegen die Versicherungszeiten des Klägers geprüft und korrigiert hätten. Eine vergleichsweise Einigung mit dem Kläger sei aufgrund fehlender Nachweise zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zustande gekommen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 16.11.2020 abgewiesen. Gemäß § 240 Abs 1 SGB V in der vom 01.08.2014 bis 14.12.2018 geltenden und im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung (aF) werde die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkasse geregelt. Dabei sei sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtige. Sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen, gälten als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Gemäß § 323 Abs 1 SGB V in der vom 01.01.2019 bis 19.10.2020 geltenden und im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung hätten die Krankenkassen ihren Mitgliederbestand für den Zeitraum vom 01.08.2013 bis 01.01.2019 nach Maßgabe der folgenden Absätze zu überprüfen und ihn bis zum 15.06.2019 zu bereinigen. Gemäß § 323 Abs 2 SGB V aF seien Mitgliedschaften, die nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht und nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaften fortgesetzt worden seien, sowie davon abgeleitete Familienversicherungen mit Wirkung ab dem Tag ihrer Begründung aufzuheben, wenn seit diesem Zeitpunkt die Krankenkasse keinen Kontakt zum Mitglied habe herstellen können, für die Mitgliedschaft keine weiteren Beiträge geleistet worden seien und das Mitglied und familienversicherte Angehörige keine Leistung in Anspruch genommen hätten. Gemäß § 256 Abs 3 SGB V habe die Krankenkasse für Mitglieder nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V sowie für freiwillige Mitglieder noch nicht gezahlte Säumniszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem nach § 24 Abs 1a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung erhobenen Säumniszuschlag und dem sich bei Anwendung des in § 24a SGB IV ergebenden Säumniszuschlag zu erlassen. Gemäß § 24 Abs 1 SGB IV sei für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt habe, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 vH des rückständigen, auf 50,00 € nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Bei einem rückständigen Betrag unter 100,00 € sei der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert schriftlich anzufordern wäre. Gemäß § 24 Abs 1a SGB IV in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung hätten abweichend zu § 24 Abs 1 SGB IV freiwillig Versicherte, Versicherte nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V und nach § 2 Abs 1 Nr 7 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte für Beiträge und Beitragsvorschüsse, mit denen sie länger als einen Monat säumig seien, für jeden weiteren angefangenen Monat der Säumnis einen Säumniszuschlag von 5 vH der rückständigen, auf 50,00 € nach unten abgerundeten Beitrages zu zahlen. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sei der Bescheid vom 25.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2018 und in der Fassung der Bescheide vom 04.06.2019 und 07.10.2019. Die Höhe der für die zuletzt noch streitigen Zeiträume 26.01.2017 bis 05.05.2017 und 06.06.2017 bis 30.11.2017 im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung (§ 188 Abs 4 SGB V, § 20 Abs 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zu zahlenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sei bereits durch die bestandskräftigen Bescheide vom 28.04.2017 und 13.09.2017 festgestellt worden. Insoweit hätten die Beklagten durch den Beitragsrückstandsbescheid vom 25.07.2018 in der Fassung der Bescheide vom 04.06.2019 und 07.10.2019 keine neue Regelung getroffen. Die Überprüfung nach § 323 SGB V aF hätten die Beklagten rechtmäßig vorgenommen. Da der Kläger, wie die Beklagten mitgeteilt hätten, in den noch streitgegenständlichen Zeiträumen Leistungen in Anspruch genommen habe, sei eine Aufhebung der Beitragsforderung für diese Zeiträume nicht in Betracht gekommen. Die Säumniszuschläge hätten die Beklagten zutreffend gemäß § 256a Abs 3 SGB V korrigiert. Die bereits im Jahr 2016 angefallenen Vollstreckungskosten hätten die Beklagten rechtmäßig berechnet.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 25.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 28.12.2020 (Montag) zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er die Aufhebung der Bescheide vom 25.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2018 in der Fassung der Bescheide vom 04.06.2019 und 07.10.2019 begehrt.

Auf Mitwirkungsaufforderung des Senats vom 08.04.2021 nach § 106a Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Kläger (Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 30.04.2021) zur Begründung seiner Berufung vorgetragen, dass die Bescheide vom 28.04.2017 und 13.09.2017 nicht bestandskräftig seien. Die Beklagten hätten durch den Beitragsrückstandsbescheid vom 25.07.2018 eine erneute Sachprüfung vorgenommen. Auch hätten sie sich auf den Sachverhalt rügelos eingelassen und den Widerspruch insoweit nicht als unzulässig zurückgewiesen. Im Übrigen müsse bezüglich der streitigen Zeiträume ebenfalls eine Überprüfung nach § 323 SGB V aF vorgenommen werden. Er - der Kläger - bestreite mit Nichtwissen, dass er in diesem Zeitraum Leistungen von den Beklagten in Anspruch genommen habe. Die Beiträge würden dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Er habe den Beklagten bereits im Oktober 2015 mitgeteilt, dass er keine bzw nur geringere Einkünfte habe. Die geltend gemachten Vollstreckungskosten für das Jahr 2016 seien von ihm nicht zu tragen, da für das Jahr 2016 kein Beitragsrückstand vorliege.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 16.11.2020 sowie den Bescheid vom 25.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2018 in der Fassung der Bescheide vom 04.06.2019 und 07.10.2019 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Berufung entgegengetreten und haben Nachweise hinsichtlich der im Jahr 2017 in Anspruch genommenen Leistungen vorgelegt.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15.10.2021 den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Gegenstand des Verfahrens war zunächst der Bescheid vom 25.07.2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 31.10.2018 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagten einen sog Leistungsbescheid erlassen und für die Zeit vom 03.04.2015 bis zum 30.11.2017 die Beiträge zur Krankenversicherung iHv insgesamt 14.500,01 € und zur Pflegeversicherung iHv insgesamt 2.586,55 € sowie Säumniszuschläge bis zum 25.07.2018 iHv 3.653,00 € festgesetzt hatten. Der Kläger ist weder durch diesen Bescheid noch durch den Bescheid vom 04.06.2019, jedenfalls soweit er Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden ist, beschwert, weil sich diese Bescheide durch Rücknahme (Schreiben vom 07.10.2019) vollständig erledigt haben. Damit fehlt es an einem den Kläger belastenden Verwaltungsakt, der Gegenstand einer Anfechtungsklage sein könnte (§ 54 Abs 1 und 2 SGG).       

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Den Gegenstand des Klageverfahrens bildete zunächst der Bescheid vom 25.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2018, mit dem die Beklagten als Voraussetzung für eine Zwangsvollstreckung einen sog Leistungsbescheid erlassen und für die Zeit vom 03.04.2015 bis zum 30.11.2017 die Beiträge zur Krankenversicherung iHv insgesamt 14.500,01 € und zur Pflegeversicherung iHv insgesamt 2.586,55 € sowie Säumniszuschläge bis zum 25.07.2018 iHv 3.653,00 € festgesetzt hatten. Bei einem Leistungsbescheid handelt es sich um eine Aufstellung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge, mit der der Adressat zur Zahlung des Saldos aufgefordert wird (LSG Baden-Württemberg 14.11.2019, L 11 KR 3587/19 ER-B, juris Rn 24; LSG Baden-Württemberg 17.07.2019, L 11 KR 1393/19 ER-B, juris Rn 41; Bundesgerichtshof <BGH> 05.10.2017, I ZB 78/16, MDR 2018, 428; BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 549; BGH 25.10.2007, I ZB 19/07, MDR 2008, 712). Ein solcher Leistungsbescheid ist Voraussetzung für die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und regelt als Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) die aktuelle Höhe der Beitragsforderung, die sich nach Verrechnung der bereits festgesetzten Beiträge zuzüglich der (ggf erstmals) festgesetzten Säumniszuschläge, Mahngebühren, Kosten etc mit den ggf bislang geleisteten Zahlungen ergibt. Entgegen der Auffassung des Klägers haben die Beklagten mit dem Leistungsbescheid vom 25.07.2018 nicht erneut über die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeiten der freiwilligen Mitgliedschaft ab 03.04.2015, 30.01.2016, 26.01.2017 und 06.06.2017 entschieden (vgl nur Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 31 Rn 56 mwN zum Zeitbescheid und zur wiederholenden Verfügung). Diese waren zuvor durch die bestandskräftigen, weil jeweils nicht (fristgerecht) durch Widerspruch angefochtenen Bescheide vom 03.08.2015, 03.05.2016, 28.04.2017 und 13.09.2017 festgesetzt worden. Mit dem Bescheid vom 25.07.2018 haben die Beklagten lediglich das Saldo der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschläge bis zum 25.07.2017 festgesetzt, jedoch nicht erneut über die Höhe der in der Vergangenheit bereits festgesetzten Beiträge entschieden. Auch im Widerspruchsbescheid vom 31.10.2018 haben sich die Beklagten auf die Bestandskraft „der Bescheide zur Beitragseinstufung“ berufen und gerade die vorgenommene Beitragsfestsetzung nicht überprüft. Sie haben ausdrücklich die Regelung auf die Summierung der rückständigen Forderungen beschränkt.

Der nach Erhebung der Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 31.10.2018 erlassene Bescheid vom 04.06.2019 wurde gemäß § 96 SGG insofern Gegenstand des Klageverfahrens, als damit für die Zeit vom 03.04.2015 bis zum 31.11.2017 die rückständigen Beiträge zur Krankenversicherung nun auf 8.419,48 € und zur Pflegeversicherung auf 1.492,51 € festgesetzt wurden. Dagegen wurden die Festsetzung weiterer Säumniszuschläge für die Zeit vom 26.07.2018 bis zum 04.06.2019 sowie die erstmalige Erhebung von Kosten iHv 122,00 € nicht Gegenstand der Klage. Nach § 96 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Ein Abändern oder Ersetzen iSd § 96 Abs 1 SGG setzt zunächst voraus, dass der angefochtene Ausgangsbescheid und der erlassene neue Verwaltungsakt einen identischen Streitgegenstand betreffen und demzufolge durch den neuen Bescheid in die Regelung des Ausgangsbescheides eingegriffen wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Beschwer des Betroffenen im Hinblick auf den Streitgegenstand bzw auf das Prozessziel vermindert oder vermehrt wird (zB BSG 17.12.2015, B 8 SO 14/12 R, juris Rn 12). Voraussetzung für die Anwendung des § 96 Abs 1 SGG ist daher, dass bezüglich Ausgangsbescheid und neuem Verwaltungsakt zumindest eine teilweise Identität der Regelungsgegenstände besteht, die durch einen Vergleich der jeweiligen Verfügungssätze sowie des zugrundeliegenden Sachverhalts zu ermitteln sind, sodass ein bloßer Sachzusammenhang nicht genügt (zB BSG 28.06.2018, B 5 R 2/17 R, SozR 4-2600 § 6 Nr 17; BSG 22.03.2018, B 5 RE 12/17, NJW 2018, 1997; BSG 14.03.2018, B 12 KR 12/17 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 34; BSG 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, SozR 4-1300 § 44 Nr 31). Eine Identität des Streitstoffs liegt nicht vor, wenn ein anderer Streitstoff oder veränderte Tatsachen von dem neuen Verwaltungsakt umfasst sind, wie zB beim Ausspruch unterschiedlicher Rechtsfolgen (BSG 29.08.2019, B 14 AS 49/18 R, FEVS 71, 433). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe wurde der Bescheid vom 04.06.2019 nicht im Hinblick auf die erstmalig für die Zeit vom 26.07.2018 bis zum 04.06.2019 festgesetzten Säumniszuschläge und die erstmalig erhobenen Kosten Gegenstand der Klage. Denn die Säumniszuschläge für die Zeit ab 26.07.2018 sind mit den im Ausgangsbescheid vom 25.07.2018 festgesetzten Säumniszuschlägen nicht zeitidentisch (vgl BSG 22.11.2012, B 3 KR 19/11 R, BSGE 112, 201; BSG 21.11.2002, B 3 KR 13/02 R, BSGE 90, 143) und die Kosten betreffen einen neuen Regelungsgegenstand, der im Ausgangsbescheid vom 25.07.2018 nicht abgehandelt wurde.

Der Bescheid vom 25.07.2018 in der Fassung des Bescheids vom 06.06.2019, jedenfalls soweit dieser Gegenstand des Klageverfahrens war, hat sich durch das Schreiben der Beklagten vom 07.10.2019 durch Rücknahme (vollständig) erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Danach bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die Beklagten haben anlässlich der Prüfung nach § 323 SGB V aF und der Rücknahme der Beitragsbescheide vom 03.08.2015, 03.05.2016 und 13.09.2017 auch ihren Leistungsbescheid vom 25.07.2018 einer Überprüfung unterzogen und diesen vollständig „zurückgenommen“. Dies ergibt sich unmissverständlich aus der im Schreiben vom 07.10.2018 gewählten Formulierung: „nehmen wir den bestrittenen Beitragsbescheid vom 25.07.2018 in Höhe von 20.0739,56 Euro ebenfalls zurück“. Diese Rücknahme bezieht sich ausdrücklich zwar nur auf den Bescheid vom 25.07.2018, erfasst aber jedenfalls auch den Bescheid vom 04.06.2019, soweit dieser - wie dargelegt - den Ausgangsbescheid vom 25.07.2018 nach § 96 SGG ersetzt hat. Denn der ersetzende Bescheid vom 04.06.2019 bestimmte im Zeitpunkt der Rücknahme (Schreiben vom 07.09.2019) den Regelungsinhalt des Ausgangsbescheids vom 25.07.2018. Zudem ergibt sich aus den weiteren Ausführungen der Beklagten in ihrem Schreiben vom 07.10.2019, dass sie den Leistungsbescheid vollständig beseitigen wollten. Denn sie informieren den Kläger über die aus ihrer Sicht nach dem Stand vom 07.10.2019 noch bestehenden Beitragsforderungen nebst Säumniszuschlägen sowie Kosten und Gebühren und weisen auf ihre Absicht hin, „zur gegebenen Zeit die Beitragsforderungen durch Bescheid festzusetzen“. Damit bringen sie unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie einen neuen Leistungsbescheid, der das Saldo der Gesamtforderung neu festsetzt, derzeit nicht erlassen, sondern dies zu gegebener Zeit vornehmen werden. Daraus folgt, dass sie nach ihrer Prüfung des § 323 SGB V aF an dem bisherigen Leistungsbescheid, mithin dem Bescheid vom 25.07.2018 in der Fassung des Bescheids vom 04.06.2019, nicht mehr festhalten und diesen ersatzlos aufheben wollten. Auf den Erlass eines neuen Leistungsbescheids, der nach Maßgabe des § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens hätte werden können, haben sie verzichtet und sich einen solchen für die Zukunft vorbehalten. Damit fehlt es an einem den Kläger belastenden Verwaltungsakt, der Gegenstand einer Anfechtungsklage sein könnte (§ 54 Abs 1 und 2 SGG).

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Kläger keinen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf eine (weitere) Bestandsbereinigung nach der mit Wirkung zum 01.01.2019 eingefügten und bis zum 19.10.2020 geltenden Regelung des § 323 SGB V (aF) hat. Nach § 323 Abs 1 SGB V aF hatten die Krankenkassen ihren Mitgliederbestand für den Zeitraum vom 01.08.2013 bis zum 01.01.2019 nach Maßgabe der folgenden Absätze zu überprüfen und ihn bis zum 15.06.2019 zu bereinigen. Gemäß § 323 Abs 2 SGB aF sind Mitgliedschaften, die nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaften fortgesetzt wurden, sowie davon abgeleitete Familienversicherungen mit Wirkung ab dem Tag ihrer Begründung aufzuheben, wenn seit diesem Zeitpunkt die Krankenkasse keinen Kontakt zum Mitglied herstellen konnte, für die Mitgliedschaft keine Beiträge geleistet wurden und das Mitglied und familienversicherte Angehörige keine Leistungen in Anspruch genommen haben. Diese Übergangsregelung bezweckte entsprechend den Neuregelungen in § 188 Abs 4 Satz 4 SGB V und § 191 Nr 4 SGB V zum 01.01.2019 den Bestand an „passiven“ Mitgliedschaften, die im Wege der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V entstanden sind, zu bereinigen, das Niveau der Beitragsschulden ungeklärter passiver Mitgliedschaften zu reduzieren und die für diese passiven Mitgliedschaften von den Krankenkassen erhaltenen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen rückwirkend zu korrigieren. Bei der Bereinigung nach § 313 Abs 1 und 2 SGB V aF handelt es sich um eine „interne Berichtigung“ und bedarf keines Verwaltungsaktes gegenüber dem betroffenen Mitglied (Becker in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020 <Stand 15.06.2020>, § 323 Rn 8; Felix, SGb 2019, 709/711). Daraus folgt, dass der Kläger aus dieser Regelung kein subjektives Recht auf Bestandsbereinigung ableiten kann. Schließlich liegen auch die Voraussetzungen des § 323 Abs 2 SGB aF nicht vor, da der Kläger ausweichlich der von den Beklagten mit Schreiben vom 05.08.2021 vorgelegten Unterlagen Leistungen in Anspruch genommen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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