Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 09.07.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Meniskusschadens am linken Kniegelenk als Folge eines anerkannten Arbeitsunfalles im Jahr 2016.
Der 1995 geborene Kläger erlitt am 13.10.2014 einen Arbeitsunfall, bei dem er sich das linke Knie verdrehte. Der K beschrieb im Durchgangsarztbericht vom 13.10.2014 eine Kniedistorsion links sowie eine Patellaluxation links. Eine am 15.10.2014 durchgeführte MRT-Untersuchung zeigte eine Subluxationsfehlstellung der Patella, jedoch keine Läsionen der Kniebinnenstruktur.
Am 23.05.2016 erlitt der Kläger im Rahmen seiner bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Mechatroniker für Nutzfahrzeugtechnik einen Arbeitsunfall. Er gab an, auf den Schwenkarm der Hebebühne getreten zu sein, wobei sich der Arm nach außen gedreht und er sich, aufgrund der Gumminoppen auf dem Schwenkarm und der Gummisohle der Arbeitsschuhe, die das Knie fixiert hätten, das linke Knie verdreht habe. Der Kläger arbeitete weiter und suchte auf dem Heimweg von der Arbeit noch Kunden auf, um dort Arbeiten zu erledigen. Auch am 24.05.2016 arbeitete der Kläger. Am 25.05.2016 begab er sich in das Krankenhaus N; dort wurde keine Schwellung und keine Rötung befundet. Es bestehe ein diffuser Druckschmerz des außenseitigen Gelenkspalts, Bänder und Meniski seien stabil. Die Röntgenaufnahme in 2 Ebenen habe keinen Hinweis auf eine frische Fraktur ergeben. Am 30.05.2016 konsultierte er den F, der im Durchgangsarztbericht keine äußeren Verletzungszeichen, einen diskreten Druckschmerz im Verlauf des lateralen Kollateralbandes des linken Knies, keinen Gelenkerguss sowie keine vordere/hintere Schublade beschrieb. Die Sonographie des linken Kniegelenks habe keinen Schaden des Außenbandes und keinen Gelenkerguss und das Röntgenergebnis keinen Frakturnachweis gezeigt. Er diagnostizierte eine Außenbanddistorsion am linken Kniegelenk.
Nach einem erfolglosen Arbeitsversuch und einer Vorstellung in der BG-Sprechstunde erfolgte wegen der andauernden Beschwerdesymptomatik am 14.06.2016 eine MRT-Untersuchung des linken Kniegelenkes. Dabei zeigte sich eine volumenkräftige Anlage des Außenmeniskus mit inkompletter Scheibenmeniskuskonfiguration, eine ca. 5 mm breite Teilrissbildung des Pars Intermedia des Innenmeniskus mit Bezug zur Meniskusbasis im peripheren Drittel und minimaler Degeneration Grad II im Hinterhorn des Innenmeniskus sowie ein diskreter Gelenkerguss.
Unter dem 02.08.2016 gab der W an, die Meniskusveränderungen seien anlagebedingt; die Distorsion des Knies habe keine substanziellen Unfallfolgen verursacht. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2016 eine Zerrung des linken Kniegelenks als Folge des Arbeitsunfalles vom 23.05.2016 an und bewilligte Heilbehandlungen bis zum 25.07.2016. Weitergehende Ansprüche auf Heilbehandlungen und Verletztengeld wurden abgelehnt, da die Meniskusveränderungen anlagebedingt seien.
Im Widerspruchsverfahren führte der Kläger aus, nach anfänglicher Fehldiagnose und -behandlung seien die Schmerzen immer schlimmer geworden. Erst durch die Kernspinuntersuchung habe festgestellt werden können, dass er sich einen Meniskusriss zugezogen habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da ein isolierter Meniskusriss ohne nachweisbare Verletzungen der umgebenden Strukturen nicht denkbar sei.
Der Kläger hat am 14.02.2017 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und die Feststellung des Meniskusschadens am linken Kniegelenk als Folge des Arbeitsunfalls vom 23.05.20216 beantragt.
Am 21.04.2017 hat eine Arthroskopie des linken Kniegelenks mit Außenmeniskusteilresektion, Ganglionentfernung und Basisnaht stattgefunden. Der Operateur B hat unter Vorlage des OP-Berichts angegeben, dass der Außenmeniskusriss (Radiärriss) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalles vom 23.05.2016 sei.
Das SG hat ein orthopädisches Gutachten bei D vom 27.10.2017 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 26.02.2018 und vom 01.08.2018 eingeholt. Nach einer ambulanten Untersuchung hat der Sachverständige ausgeführt, dass in der Zusammenschau aller Befundberichte und bildgebenden Untersuchungen (u.a. MRT vom 14.06.2016 und 23.03.2017) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Außenmeniskusriss durch das forcierte Verdrehtrauma des linken Kniegelenks vom 23.05.2016 ausgegangen werden müsse. Unabhängig von der zuvor stattgehabten Patellaluxation oder Subluxation vom 13.10.2014 sei der Unfall typisch und ausreichend, sich die Verletzung des Außenmeniskus zuzuziehen. Das stattgehabte Verdrehtrauma sei auch geeignet eine isolierte Verletzung des Meniskus hervorzurufen.
Mit Urteil vom 09.07.2019 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 24.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2017 abgeändert und den Meniskusschaden am linken Kniegelenk als Folge des Arbeitsunfalles vom 23.05.2016 festgestellt.
Gegen das ihr am 26.08.2019 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 16.09.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Der Unfallmechanismus sei nicht geeignet, eine isolierte Teilläsion des Meniskus hervorzurufen. Selbst wenn man den Unfallmechanismus als geeignet erachte, habe der Kläger nach dem Unfall weitergearbeitet, was eindeutig gegen eine Verursachung der Meniskusläsion durch den Unfall am 23.05.2016 spreche. Auch habe zeitnah zum Unfallgeschehen am 30.05.2016 ein Gelenkerguss ausgeschlossen werden können. Das Gutachten von H sei nicht nachvollziehbar. Er habe die von den Erstbefunden und der MRT-Bildgebung ausgehenden Zweifel am Vorliegen der Meniskusverletzung nicht ausgeräumt. Erstschaden sei lediglich eine nichtstrukturelle Zerrung des Kniegelenks. Hingegen sei dem Gutachten von C zu folgen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 09.07.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Am Unfalltag habe er versucht aus dem Auto auszusteigen, dabei sei er mit dem linken Fuß auf den Gumminoppen auf dem Schwenkarm der Hebebühne getreten. Aufgrund der Sicherheitsschuhe sei er nicht weggerutscht, sondern der Fuß sei auf dem sich bewegenden Schwenkarm fixiert gewesen, so dass sich das Gelenk in sich selbst verdreht habe. Letztlich sei er dann aus dem Auto gefallen.
Der Senat hat ein orthopädisches Gutachten bei H eingeholt. Dieser diagnostizierte beim Kläger belastungsabhängige Restbeschwerden im linken Kniegelenk nach operativer Behandlung eines Außenmeniskusrisses mit nachfolgender Ganglionbildung. Diese seien mit Wahrscheinlichkeit durch den Arbeitsunfall vom 23.05.2016 verursacht worden. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls bereits einen bedeutsamen Vorschaden im Knie gehabt habe. Im Gegensatz zu W sehe er den Außenmeniskusriss nicht als anlagebedingt an. Soweit W behaupte, es gebe keinen isolierten Meniskusschaden ohne Begleiterscheinungen, basiere dies auf einer streng wissenschaftlich belegten historischen Annahme.
Der Senat hat ein weiteres Gutachten bei C in Auftrag gegeben. Dieser sieht in seinem Gutachten vom 11.11.2020 mehr Argumente gegen eine Verursachung des Risses des Außenmeniskus durch das Ereignis vom 23.05.2016 sprechen als dafür. So sei bereits der Unfallmechanismus nicht klar. Daneben habe der Kläger nach dem Unfall weitergearbeitet und zunächst auch keine Funktionseinbuße des Kniegelenks beklagt. Im klinischen Erstbefund sei keine Ergussbildung dokumentiert. Zudem zeige sich auf den kernspintomographischen Bildern vom 14.06.2016 neben dem Riss eine zystische Formation, die sich nach klinischer Erfahrung schwerlich innerhalb von drei Wochen entwickelt haben könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakten beider Instanzen verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet, die Beklagte hat zu Unrecht den Meniskusschaden des Klägers nicht als (weitere) Unfallfolge anerkannt.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2017. Der Kläger begehrt im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 55 Abs. 3 Nr. 1 SGG) die Feststellung seines Meniskusschadens am linken Kniegelenk als (weitere) Unfallfolge.
Die vom Kläger zur Feststellung begehrte Gesundheitsstörung ist, wie bereist das SG entschieden hat, Unfallfolge.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, juris) ist Rechtsgrundlage für die Feststellung von Unfallfolgen und zum Erlass des feststellenden Verwaltungsaktes für den Unfallversicherungsträger § 102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Ein Anspruch auf Anerkennung von Unfallfolgen setzt voraus, dass die im Streit stehenden Gesundheitsstörungen Folge eines Arbeitsunfalles sind.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles ist im Regelfall erforderlich, dass das Unfallereignis oder der hierauf beruhende Gesundheitserstschaden die geltend gemachte Gesundheitsstörung wesentlich verursacht hat (sog. haftungsbegründende bzw. haftungsausfüllende Kausalität). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung, dass die Gesundheitsschäden im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit erforderlich; die bloße Möglichkeit genügt insoweit nicht (BSG, Urteil vom 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, juris, unter Hinweis auf BSG vom 29.11.2011, B 2 U 26/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, juris). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris).
Der Kläger hat sich im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit am 23.05.2016 eine Zerrung des linken Kniegelenks zugezogen. Ein Arbeitsunfall liegt damit vor und wurde von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid anerkannt. Darüber hinaus ist der Senat überzeugt, dass sich auch die bestehende Meniskusläsion mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den streitgegenständlichen Unfall zurückführen lässt.
Ausgangsbasis für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge ist in einer ersten Prüfungsstufe die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden beziehungsweise denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der „Gelegenheitsursache“ durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens – aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war –, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bejaht der Senat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall am 23.05.2016 und dem bei der MRT-Untersuchung vom 14.06.2012 festgestellten Riss des Außenmeniskus, der sich unverändert in der MRT-Untersuchung bom 23.03.2017 dargestellt hat.
Der Senat hat sich bei seiner Beurteilung insbesondere auf die Einschätzung des D aus dem Verfahren vor dem SG gestützt, die im Einklang mit dem unfallmedizinischen Schrifttum steht (z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., Seite 653 ff.). Bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ist danach zu berücksichtigten, dass die Beschaffenheit des Meniskusgewebes mit zunehmendem Alter Veränderungen erfährt (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 654). Auch werden bleiben die Dekonstruktionen des Meniskusgewebes (bis zum Verlust der Meniskuskontinuität) solange asymptomatisch, wie sie sich gelenkmechanisch nicht störend bemerkbar machen. Solche Veränderungen werden oft zufällig im Rahmen einer Diagnostik nach einem leichten Knietrauma entdeckt und fast regelhaft als Verletzungsfolge gedeutet (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 654). Es ist allerdings auch möglich, dass es durch eine erhebliche äußere Gewalteinwirkung zu einer gewaltsamen, traumatischen Schädigung des Meniskus kommt, ohne dass fortgeschrittene strukturelle Schädigungen vorbestanden haben. Jedoch werden isolierte traumatische Meniskusschäden ohne nachweisbare Kapselbandschäden nach dem unfallmedizinischen Schrifttum nur noch im Zusammenhang mit einem sog. „wuchtigen Drehsturz“ diskutiert (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 657). Demgegenübrt werden auch bei symptomatischen Patienten immer häufiger kernspintomografisch nachgewiesene Meniskusschäden vom Erstbehandler unkritisch als „unfallbedingt“ interpretiert (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 655).
Die Zusammenhangsbeurteilung muss sich daher im Einzelfall auf eine differenzierte Auswertung der verfügbaren Informationen über den Schadensmechanismus (Unfallhergang), das funktionelle Schadensbild (z.B. verletzungsspezifischer Funktionsverlust, sofortige Arbeitsniederlegung, alsbaldiger Arztkontakt) und das strukturelle Schadensbild gründen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 660).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze und einer Zusammenschau aus den Feststellungen zu etwaigen Vorschäden und den Beschwerden und Fähigkeiten vor dem Unfall (1.1), dem Unfallhergang (1.2), den magnetresonanztomographisch nachweisbaren verletzungsbedingten Begleiterscheinungen (1.3) sowie dem Verhalten unmittelbar nach dem Unfall und dem Erstbefund (1.4) überwiegen die für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Meniskusschaden sprechenden Gesichtspunkte, so dass der Arbeitsunfall die wesentliche Ursache hierfür darstellt.
1.1 Für einen Unfallzusammenhang spricht zum einen das Alter des Klägers. Er war im Unfallzeitpunkt 20 Jahre alt, so dass noch nicht von strukturellen Vorschäden auszugehen war. Ferner spricht für einen Unfallzusammenhang die Beschwerdefreiheit des Klägers vor dem Unfall ebenso wie die im Oktober 2014 erstellte Kernspintomografie, die regelrechte Form und Signal von Innen- und Außenmeniskus zeigte. Andererseits besteht beim Kläger eine X-Beinstellung, die zu einer vermehrten Belastung der äußeren Kniebinnenabschnitte und dort auch des Außenmeniskus führt. Mehr als eine solch allgemeine Aussage lässt sich daraus nicht ableiten, so schlüssig H. So kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass dieser anlagebedingten Normvariante eine überragende Bedeutung zukommt. Ob ein Scheibenmeniskus, der gelegentlich bei Jugendlichen anzutreffen ist und irgendwann bei alltäglichen Belastungen aufzubersten pflegt, vorliegt, kann beim Kläger nicht sicher festgestellt werden, wie C nachvollziehbar dargelegt hat, und vermag deshalb nicht gegen einen Unfallzusammenhang zu sprechen.
1.2 Der Unfallhergang war zur Überzeugung des Senats geeignet, einen isolierten Meniskusschaden herbeizuführen. Nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur wird ein isolierter Meniskusschaden nur noch bei einem sog. wuchtigen Drehsturz diskutiert, wenn also das gebeugte und rotierte Kniegelenk bei fixiertem Unterschenkel/Fuß plötzlich passiv in die Streckung gezwungen wird und die physiologische Schlussrotation nicht mehr stattfinden kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 657). Zur Überzeugung des Senats hat ein solcher Sturz stattgefunden, da das Knie des Klägers aufgrund des Aussteigens aus dem Auto gebeugt war, der Unterschenkel aufgrund der Haftung von „Gummi auf Gummi“ – wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung eindrücklich geschildert – fixiert war und aufgrund der plötzlichen Bewegung des Schwenkarmes die Schlussrotation nicht mehr stattfinden konnte, weshalb dieser dann aus dem Auto gefallen ist. Diesen Unfallhergang hat der Kläger nicht nur in der mündlichen Verhandlung, sondern im Lauf des Verfahrens konsitent geschildert, worauf auch D in seinem Gutachten hinweist. Soweit C den Unfallhergang mit einem Ausrutschen auf Glatteis vergleicht, hat er nicht berücksichtigt, dass der Fuß des Klägers aufgrund der Haftung fixiert war.
1.3 In Bezug auf das Kriterium, ob sich verletzungsbedingte Begleiterscheinungen nachweisen lassen, erachtet der Senat die Auswertung der am 14.06.2016, also rund 3 Wochen nach dem Arbeitsunfall erfolgten, magnetresonanztomographischen Untersuchung für maßgeblich. Zwar sind hierauf keine Schädigungen des Kapselbandapparates zu erkennen und werden solche vom Kläger auch nicht behauptet, jedoch sind bei dem hier vorliegenden wuchtigen Drehsturz makroskopisch objektivierbare Verletzungszeichen am Kapselbandapparat gerade nicht zwingend Begleiterscheinung (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 657). Dies haben auch D und H so angenommen. Soweit C die fehlenden Begleitverletzungen als Indiz gegen einen Unfallzusammenhang wertet, ist zu berücksichtigen, dass dieser – im Gegensatz zum Senat – bereits den wuchtigen Drehsturz und hieraus folgend einen isolierten Meniskusriss als nicht vorliegend ansah. Die auf den MRT-Aufnahmen vom 14.06.2016 erkennbare Zyste wertet der Senat weder als Argument für (so D) noch als Argument gegen (so C) den Unfallzusammenhang, da sich hier die Gutachten widersprechen und die Auffassung von D nicht völlig fernliegend ist: Danach dringt durch den Meniskusriss Gewebeflüssigkeit ein und bildet sich nach kurzer Zeit eine kleine Zyste, die sich in der Folgezeit zu einem Ganglion vrgrößert. Die Art der Meniskusläsion lässt zwar möglicherweise Rückschlüsse auf die Ursächlichkeit zu (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 656), jedoch ist nicht klar, welche Art der Verletzung vorliegt, da zwar C von einem Horizontalriss ausgeht, der Operateur B jedoch durchgängig von einem Radiärriss spricht.
1.4 Gegen einen Unfallzusammenhang spricht nach für den Senat nachvollziehbarer Darstellung des C das Verhalten des Klägers unmittelbar nach dem Unfall. Der Kläger hat nicht nur seine Schicht im Betrieb am Unfalltag beendet, sondern auf dem Heimweg auch noch einen Kunden aufgesucht. Auch am Folgetag ist der zur Arbeit erschienen und hat den Arbeitstag regulär beendet. Erst am 25.05.20216 (2 Tage nach dem Unfall) hat sich der Kläger in ärztliche Behandlung begeben. Die nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur geforderte eindrucksvolle Funktionsstörung, gesichert z.B. durch sofortige Aufgabe der Arbeit, (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., S. 656, 658) liegt somit nicht vor. Auch die am 25.05.2016 bei der Untersuchung im Krankenhaus N ermittelten Bewegungsmaße von 0/5/120° liegen nahe einer vollen Beweglichkeit (0/5-10/130) und sprechen damit gegen eine unfallbedingte Verursachung (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O.).
Unter Berücksichtigung und Gewichtung aller für und gegen einen Unfallzusammenhang sprechenden Kriterien ist der Senat, ebenso wie D, zur der Auffassung gelangt, dass der Unfall vom 23.05.2016 den Riss des Außenmeniskus wesentlich verursacht hat. Vor allem das Alter des Klägers, die Beschwerdefreiheit, der Befund aus dem Jahr 2014 sowie der Unfallhergang im Sinne eines wuchtigen Drehsturzes sprechen für einen Unfallzusammenhang, so dass die Weiterarbeit des Klägers am Unfall- und am Unfallfolgetag weniger ins Gewicht fällt.
Da der Meniskusschaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 23.05.2016 zurückzuführen ist, ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 443/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 3131/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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