L 12 U 249/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 2590/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 249/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 18.12.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt eine höhere Verletztenrente.

Der 1964 geborene Kläger erlitt im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Auszubildender im Zentralheizungsbau am 09.03.1982 einen Unfall, bei dem er sich den Kopf an einem Heizungsrohr anstieß und beim Zurückweichen mit dem Mund auf einem Flansch aufschlug und dabei sich ein Teil des Zahnes ausschlug. Der Zahnschaden am Zahn 12 wurde zunächst mit einer verblendeten Krone versorgt. Es kam 1999 dann zum Zahnverlust, der durch eine Implantatversorgung auf Kosten der Beklagten ausgeglichen wurde.

Der Kläger stellte sich in der Folgezeit regelmäßig zur zahnärztlichen Behandlung wegen wiederkehrender Schmerzen vor. Im Frühjahr 2013 erlangte die Beklagte Kenntnis davon, dass sich der Kläger wegen starker Gesichtsschmerzen in (zahn-)ärztliche Behandlung begeben hatte. Zu den Akten gelangten Berichte des R vom März 2013 mit der Diagnose eines atypischen Gesichtsschmerzes und des B vom Januar 2013 mit der Diagnose eines atypischen rechtsseitigen Gesichtsschmerzes nach wiederholten Operationen am rechten Oberkiefer und Nasennebenhöhleninfektionen.

Der Kläger bezieht seit 2013 eine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Die Beklagte beauftragte R1 der Klinik und Poliklinik für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Uklinikum T mit einer Begutachtung des Klägers. Der Gutachter kam in seinem Gutachten vom Juli 2014, gestützt auf eine ambulante Untersuchung des Klägers im Dezember 2013, zum Ergebnis, dass die Schmerzen im Bereich des Alveolarkamms Regio 12 mit ausstrahlenden Beschwerden nach kranial mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Unfall im Jahr 1982, die daraus resultierenden zahlreichen Operationen und die damit verbundene Traumatisierung und Vernarbungen der lokalen Strukturen in der Region des Zahns 12 zurückgeführt werden könnten. Es habe sich beim Kläger im Übrigen eine ausgeprägte cranio-mandibuläre Dysfunktion gezeigt, welche ebenfalls zu einer Schmerzsymptomatik mit ausstrahlenden Beschwerden führen könne, wobei eine Überlagerung beider Schmerzqualitäten nicht auszuschließen sei.

Mit E-Mail vom 30.10.2014 beantragte der Kläger die Gewährung einer Unfallrente.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom November 2014 führte R1 aus, dass als dauerhafter Schaden der Verlust des Zahnes 12 wie auch der Implantatverlust Regio 12 verbleibe. Es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdesymptomatik im Bereich der Regio 12 im Sinne eines idiopathischen Gesichtsschmerzes persistiere. Die objektive Befunderhebung habe sich aufgrund der eingeschränkten Compliance des Klägers teilweise schwierig gestaltet. Analog der Bewertung von Trigeminusneuralgien gehe man von einem leichten Schweregrad aus, der in Verbindung mit dem persistierenden Zahnverlust eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 10 v.H. rechtfertige.

Im Auftrag der Beklagten erstattete weiterhin L, Kliniken S ein neurologisches Fachgutachten, gestützt auf eine Untersuchung im März 2015, und diagnostizierte unter anderem einen atypischen Gesichtsschmerz, eine Hypoglossus-/Lingualisläsion rechts und, nicht ausschließbar, eine Trigeminusneuralgie rechts als unfallbedingte Folgen. Das Schmerzsyndrom im Gesichtsbereich sei multifaktoriell zu bewerten. Es bestehe eine Akzentuierung des Schmerzsyndroms durch eine somatoforme Überlagerung im Rahmen einer Depression, durch mehrfache Nasennebenhöhleneingriffe sowie rezidivierende Nasennebenhöhleninfekte und die myofasziale Dysbalance. Maximal eine MdE um 20 v.H. könne ab Eintritt der Erwerbsunfähigkeit 2013 auf den Unfall zurückgeführt werden.

Die Beklagte veranlasste hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des S1 vom Juni 2015, der die Bewertung mit einer MdE um 20 v.H. wegen der Folgen der Nervenläsionen und den von ihm als neuropathisch bezeichneten Gesichtsschmerzen als begründet und angemessen erachtete.

Die Beklagte stellte daraufhin Ermittlungen zu dem der Rente zugrundezulegenden Verdienst an, zog unter anderem die Tarifverträge der IG Metall Handwerk, Bereich Heizung/Sanitär Baden-Württemberg, bei und errechnete einen Jahresarbeitsverdienst in Höhe von 18.080,30 €.

Der Kläger legte unter anderem den Bericht der Oklinik vom März 2016 über die dortige stationäre schmerztherapeutische Behandlung im März 2016 vor, in dem über eine sehr starke psychiatrische Auffälligkeit des Klägers berichtet wurde und eine starke Tendenz zur Somatisierung beim gesamten Krankheitsgeschehen gesehen wurde.

Mit Bescheid vom 17.05.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 16.01.2013 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v.H. bis auf weiteres. Bei der Bewertung der MdE seien folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen berücksichtigt worden: Somatoforme Schmerzstörung, Depression, Zustand nach rezidivierenden Nasennebenhöhlenentzündungen und- operationen, Muskelerkrankung des Kausystems, cranio-mandibuläre Dysfunktion. Den Jahresarbeitsverdienst habe man ab dem Zeitpunkt, an dem die begonnene Ausbildung voraussichtlich abgeschlossen gewesen wäre, nach dem Entgelt berechnet, dass dann für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarif vorgesehen gewesen wäre. Danach errechne sich ein Jahresarbeitsverdienst für den 1. April 1984 in Höhe von 18.080,30 €, der unter Berücksichtigung der vorgegebenen Anpassungsfaktoren sich bis zum 01.07.2016 auf 31.310,73 € erhöht habe.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Ihm sei ab 16.01.2013 bis auf weiteres eine Rente nach einer MdE um 80 v.H. unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdienstes von 21.104,30 € „zuzüglich der Anerkennung von Fertigkeiten“ zu gewähren. Er legte Teile eines Reha-Entlassungsberichts der Kliniken S vom Februar 2009 mit den Diagnosen einer chronifizierten Anpassungsstörung, eines chronifizierten Schmerzsyndroms bei chronischer Sinusitis mit Trigeminusneuralgie, somatoform überformt, von Spannungskopfschmerzen und einer akzentuierten Persönlichkeit vor.

Mit Bescheid vom 20.06.2016 setzte die Beklagte die Verzinsung für die Zeit ab 01.05.2015 bis einschließlich Juni 2016 mit insgesamt 363,96 € fest.

Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.

Mit 2 Widerspruchsbescheiden vom 28.10.2016 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers gegen die Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes führte die Beklagte aus, Auslösungen würden zwar der Steuerpflicht unterliegen, gleichwohl aber nicht zum Beitrags- und nachweispflichtigen Entgelt im Sinne des § 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zählen. Den einschlägigen Tarifverträgen könne nicht entnommen werden, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Weihnachtsgeld bzw. ein 13. Monatsgehalt gezahlt worden sei. Für einen Zuschlag aufgrund von im Laufe des Berufslebens erhaltenen Fertigkeiten gebe es keine Rechtsgrundlage.

Der Kläger hat gegen beide Widerspruchsbescheide am 16.11.2016 Klagen beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben, die mit Beschluss vom 02.03.2017 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 5 U 2590/16 verbunden worden sind. Er hat zur Begründung seiner Klage auf die ausführliche Widerspruchsbegründung verwiesen.

Das SG hat von Amts wegen den W mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. W hat in seinem Gutachten vom 29.08.2017, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers, eine Schädigung des rechten Nervus lingualis (Zungennerv) mit hierdurch bedingter Gefühls- und Geschmacksstörung als Unfallfolge, unterstellt, die Knochenentnahme im rechten Unterkiefer sei mittelbare Unfallursache, angenommen. Weitere Unfallfolgen vermöge er angesichts des von ihm beschriebene Konglomerats konkurrierender Erkrankungen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Aufgrund der Gefühls- und Geschmacksstörung der rechten Zungenhälfte sei, wie bereits mund-, kiefer- und gesichtschirurgisch beschrieben, eine MdE um weniger als 10 v.H. gegeben. Die von den Vorgutachten genannte MdE um 20 v.H. sei an der Obergrenze dessen, was im vorliegenden Falle denkbar sei.

Der Sachverständige hat ergänzend im Januar 2018 Stellung zu den Einwendungen des Klägers gegen sein Gutachten genommen.

Auf Antrag des Klägers hat R1 gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG), gestützt auf eine ambulante Untersuchung, ein weiteres mund-, kiefer- und gesichtschirurgisches Fachgutachten erstellt. Er hat als Unfallfolgen ein atypisches Schmerzsyndrom im Bereich der rechten Zunge mit Ausstrahlung in den Oberkiefer und die Augenregion, eine Gefühlsminderung und Schmeckstörung im Ausbreitungsgebiet des Nervus lingualis rechts und eine partielle Hypästhesie bis Anästhesie (Gefühlsminderung bzw. Empfindungsfähigkeit) im Ausbreitungsgebiet des Nervus alveolaris inferior diagnostiziert. Eine Einschätzung der unfallbedingten Gesamt-MdE sei nur im Zusammenhang mit einer neurologisch-psychiatrischen Gesamtsicht möglich, da die individuelle Beeinträchtigung durch ein nicht näher klassifiziertes Schmerzsyndrom einer großen Variabilität unterliege. Die MdE für die Gefühlsminderung und Schmeckstörung der rechten Zungeseite schätze er in Abweichung von seiner früheren Stellungnahme mit 10 v.H. ein.

W hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom Juni 2019 an seiner bisherigen Einschätzung festgehalten, die durch die von R1 erhobenen Befunde bestätigt worden sei.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 18.12.2019 die Klagen abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die eingeholten Gutachten gestützt.

Hiergegen hat der Kläger am 17.01.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und hat zu deren Begründung auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen. Ergänzend hat er vorgetragen, die Versicherungsrente werde wegen Schmerzen gewährt, die durch „angeschnittene Nerven“ im Zuge der Folgeoperationen infolge des Arbeitsunfalls entstanden seien. Er hat eine Gehaltsabrechnung eines Heizungs- und Sanitärgeschäfts vom September 2020 vorgelegt, woraus sich ein Jahresbrutto von 38.808 € ergeben würde. Es könne nicht sein, dass ein Monteur im 30. Lebensjahr 1982 weniger verdient hat, als ein Monteur mit gerade abgeschlossener Berufsausbildung im Jahr 1984. Er hat unter anderem Berichte der S2, mit den Diagnosen Spannungskopfschmerzen, atypischer Gesichtsschmerz, chronische Schmerzstörung, depressives Syndrom, kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen, aus dem Sommer 2020 vorgelegt.

Der Kläger beantragt zuletzt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 18.12.2019 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides vom 17.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2016 die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 09.03.1982 eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. ab 01.11.2007 bis 15.01.2013 und eine Rente nach einer MdE um 80 v.H. ab 16.01.2013 bis auf weiteres zu gewähren, wobei mindestens von einem Jahresarbeitsverdienst von 25.872,30 € auszugehen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und ihr Vorbringen im Klageverfahren.

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme des S1 vom 13.01.2021 vorgelegt, ferner einen fachpsychologischen Befundbericht des L1 vom 05.10.2021. Dieser hat beim Kläger eine Teilschädigung des rechten Nervus hypoglossus mit Abweichung der Zunge nach rechts und eine Teilschädigung des rechten Nervus lingualis mit subjektiven Beschwerden festgestellt. Außergewöhnliche Schmerzen könnten in Anbetracht der vorstehend beschriebenen Diskrepanzen nicht bestätigt werden. Eine ausgeprägte Verbitterung mit Beschwerdeaggravation bleibe zu beachten.

Mit Verfügung vom 20.12.2021 sind die Beteiligten zur beabsichtigten Übertragung des Rechtsstreits auf den Berichterstatter gemäß § 153 Abs. 5 SGG angehört worden. Die Beteiligten haben keine Einwände erhoben.

Mit Beschluss des Senats vom 17.01.2022 ist die Berufung nach § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen worden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 18.12.2019, über die nach Übertragung durch den Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zur Entscheidung berufen war, ist unbegründet.

Die Beklagte hat es zunächst zu Recht abgelehnt, dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 09.03.1982 eine Verletztenrente für die Zeit vor dem 16.01.2013 und nach einer MdE um mehr als 20 v.H. zu gewähren. Dies ergibt sich aus § 56 in Verbindung mit §§ 72 und 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Anwendbarkeit des § 72 SGB VII auf den vor dem 01.01.1997 als dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetretenen Versicherungsfall beruht auf der Übergangsvorschrift des § 214 Abs. 3 SGB VII, wonach § 73 SGB VII auch für Versicherungsfälle gilt, die vor dem Tag des Inkrafttretens des SGB VII eingetreten sind.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt: ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglich­keiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (§ 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VII). Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VII).

Die Bemessung der MdE wird vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 25/05 R; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 24/00 R, m.w.N., beide in juris). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, Urteil vom 14.11.1984, 9b RU 38/84, juris). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG, Urteil vom 02.05.2001, a.a.O.). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, a.a.O; BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R, juris). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind. Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 13.09.2005, B 2 U 4/04 R, juris).

Versicherungsfälle, aufgrund derer eine Rente in Betracht kommt, sind unter anderen Arbeitsunfälle (§ 7 Abs. 1 SGB VII).

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Versicherte Tätigkeiten sind auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für einen Arbeitsunfall im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen (innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang) ist sowie diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat (BSG, Urteil vom 31.01.2012, B 2 U 2/11 R, juris unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 10/11 R, juris; BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 9/10 R, juris; BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris). Für die Gewährung einer Verletztenrente ist erforderlich, dass aufgrund des Gesundheitserstschadens länger andauernde und mit einer rentenberechtigenden MdE zu bewertende Unfallfolgen – Gesundheitsdauerschaden – entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität).

Ausgangsbasis für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge ist in einer ersten Prüfungsstufe die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philo­sophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer 2. Prüfungs­stufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden beziehungsweise denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der „Gelegenheitsursache“ durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens – aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war –, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung, dass die Gesundheitsschäden im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit erforderlich; die bloße Möglichkeit genügt insoweit nicht (BSG, Urteil vom 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 26/10 R; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 22/10 R;  BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, alle juris). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris). Insbesondere bei psychischen Gesundheitsstörungen darf nicht aus einem rein zeitlichen Zusammenhang und der Abwesenheit konkurrierender Ursachen automatisch auf die Wesentlichkeit der einen festgestellten naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache geschlossen werden. Angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren, die unter Umständen noch nicht einmal dem Kläger bewusst sind, würde dies zu einer Beweislastumkehr führen, für die keine rechtliche Grundlage zu erkennen ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris). 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Kläger keine Rente für die Zeit vor dem 16.01.2013 und nach einer MdE um mehr als 20 v.H. zu.

(1.)
Beim Kläger liegt nach übereinstimmender Einschätzung sämtlicher Gutachter eine Schädigung des Nervus lingualis rechts vor.

Die Schädigung des sensiblen Nervus lingualis rechts ist mittels somatosensiblen evozierten Potenzialen belegt. Auch R1, der in seinem Gutachten für die Beklagte vom Juli 2014 mit ergänzender Stellungnahme im November 2014 eine relevante Schädigung insoweit verneint hat, ist in seinem Wahlgutachten vom Februar 2019 dann für den Kläger von einer relevanten Gefühlsminderung und Schmeckstörung ausgegangen. Als wahrscheinliche Ursache hierfür sehen die Gutachter übereinstimmend die Knochenentnahme im rechten Unterkiefer unterhalb der Zunge zur Gewinnung von Eigenknochenmaterial zur Versorgung der nach der Implantatentfernung verbliebenen Lücke im Jahre 2013 an. Die Schädigung des rechten Nervus lingualis stellt eine typische Komplikation eines solchen Eingriffes dar, so die Gutachter, und trat erstmalig nach der Knochenentnahme auf.

Mit dem Sachverständigen W ist ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang dieser Schädigung mit dem Unfall im Jahre 1982 trotz dem damit verfolgten Zwecke der Versorgung des unfallgeschädigten Zahnbereichs durchaus in Zweifel zu ziehen. Denn die Implantatentnahme 2013 wie auch die Versorgung der zurückgebliebenen knöchernen Defekte im Wege der Eigenknochenentnahme beruhte auf der vom Sachverständigen zu Recht als zweifelhaft bezeichneten, schulmedizinisch nicht anerkannten diagnostischen Methode der Bioresonanztherapie in Anwendung auf ein psychisch determiniertes Schmerzsyndrom. Letztlich lässt der Senat die Frage des Ursachenzusammenhangs hier ausdrücklich offen. Denn auch unter Annahme einer Unfallursächlichkeit kommt weder ein früherer Rentenbeginn noch eine höhere MdE in Betracht (vergleiche nachfolgend).

(2.)
Soweit L auch eine Schädigung des Nervus hypoglossus (Unterzungennerv, der als somatomotorischer Nerv die Muskulatur von Zunge und Mundboden innerviert) diagnostiziert und als unfallursächlich angenommen hat, bleibt dies ohne Einfluss auf die MdE-Bewertung. Denn eine diesbezügliche Schädigung, ihr Vorliegen unterstellt, kann nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf die Knochenentnahme zurückgeführt werden, so zu Recht W. Der Nervus hypoglossus verläuft nämlich an erheblich anderer Stelle; auch hat R1 in seinem Gutachten 2014 ausdrücklich noch eine Zungenabweichung verneint. Damit, so zu Recht W, kann zwar ein Zusammenhang mit der Knochenentnahme nicht ausgeschlossen werden, ist aber keinesfalls wahrscheinlich. Und obwohl Schädigungen des Nervus hypoglossus in charakteristischer Weise dadurch gekennzeichnet sind, dass sie innerhalb kurzer Zeit zu ausgeprägtem Atrophien der Zungenmuskulatur führen, hat der Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung im August 2017 keine belangvolle Zungenathrophie erkennen können. Auch L1 hat in seinem Befundbericht vom Oktober 2021 eine Schädigung des Nervus hypoglossus nur anhand einem Abweichens der Zunge nach rechts festgestellt und keine weiteren Auffälligkeiten objektivieren können. Damit kann eine Schädigung des Nervus hypoglossus, bei unterstelltem Vorliegen, nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf die Knochenentnahme als wenigstens mittelbare Unfallursache zurückgeführt werden und weist im Übrigen kein Ausmaß einer Funktionsbeeinträchtigung auf, welches sich in einer Bewertung mit einer MdE niederschlagen könnte. Ohnedies handelt sich beim Nervus hypoglossus um einen rein motorischen Nerv, so dass bei einer Schädigung nach aller medizinischer Erfahrung keine Schmerzen auftreten und angesichts einer allenfalls leichtgradigen motorischen Schädigung keinerlei messbare MdE vorliegt, so zu Recht W.

(3.)
Eine Trigeminusneuralgie bzw. ein neuropathischer Gesichtsschmerz, die im Übrigen nicht mit der notwendigen Sicherheit nachgewiesen sind, lassen sich nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf den Unfall und die mit diesem in Zusammenhang stehenden Behandlungen zurückführen.

Eine Nervenreizung durch den bei dem Unfallereignis betroffenen Zahnbereich des 2. oberen Schneidezahn rechts kann ausschließlich einen kleinen Ast des 2. Trigeminusastes betreffen, nämlich die zu den Schneidezähnen führenden Nervi alveolares, so W (auch zum Nachfolgenden). Diese kleinen Nervenäste versorgen jedoch lediglich die Zahnschleimhaut und ein kleines Areal der Nasenschleimhaut, nicht jedoch die Oberlippe; demgegenüber gibt der Kläger aber eine Gefühlsstörung und einen lokalen Schmerzpunkt im Bereich der Oberlippe an, der zudem lateral des 2. Schneidezahns liegt.

Über die Ursache diese Symptomatik lässt sich allenfalls spekulieren; so könnte nach Auffassung des Sachverständigen ein Zusammenhang mit dem Einspritzen von Lokalanästhetika bestehen. Andrerseits hat der R in seinem Befundbericht vom März 2013 über ein seit mehr als 25 Jahren in wechselnder Lokalisation auftretenden Gesichtsschmerz berichtet. Vor allem aber angesichts der konkurrierenden möglichen Ursachen für einen Gesichtsschmerz, die in gleicher Weise wie der Sachverständige bereits R1 und L, aber auch die behandelnden Ärzte, so der R, der B und die Ärzte der Oklinik gesehen haben, kann ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfall mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden.

So bestehen beim Kläger, wie W anhand der Aktenlage schlüssig herausgearbeitet hat, seit der Kindheit kieferorthopädische Probleme, die nach Einschätzung der behandelnden Ärzte wie auch der Gutachter gleichermaßen geeignet sind, die Schmerzen im Gesichtsbereich des Klägers zu begründen. Der Kläger hat gegenüber dem Sachverständigen vorgetragen, er habe bis ins Alter von 15 Jahren Zahnspangen getragen, wobei der Kieferorthopäde sein Gebiss „verpfuscht“ habe, was dann auch der Grund gewesen sei, warum man ihn bei der Bundeswehr ausgemustert habe. Gegenüber den Ärzten der Oklinik hat der Kläger über allein 5 kieferorthopädische Operationen im B1krankenhaus Ulm im Jahr 1988 berichtet. Spätestens ab 2002 finden sich dann in den Arztbriefen zunehmend Berichte über Kiefergelenksproblemen mit einem extrem hohen Tonus der Nacken- und Schultermuskulatur. Über eine weitere Vorstellung des Klägers in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des B1krankenhauses im Jahre 2007 findet sich ein Kurzbrief in der Akte der Beklagten, in welchem über beidseitige Beschwerden im Kieferbereich mit schmerzhaften Gelenken und Kaumuskulatur berichtet wurde. R1 hat eine unfallunabhängige ausgeprägte cranio-mandibuläre Dysfunktion festgestellt, welche geeignet ist, zu einer Schmerzsymptomatik mit ausstrahlenden Beschwerden zu führen.

Darüber hinaus leidet der Kläger seit seiner Kindheit an Nasenpolypen mit akuten und chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen. Der Kläger hat über eine 1980 und eine 1990 erfolgte Kieferhöhlenoperation berichtet. Er selbst hat eingeräumt, immer wieder Entzündungen im Oberkiefer gehabt zu haben. Angaben über rezidivierende Nasennebenhöhleninfekte, verbunden mit sehr häufigen Antibiotika-Einnahmen, ziehen sich durch sämtliche vorliegenden ärztlichen Befunde. Nach Angaben des Klägers betreffen die Entzündungen dabei sowohl die Stirn- wie auch die Nasennebenhöhlen. Diese Entzündungen sind in gleicher Weise geeignet, die Symptomatik mit dem klinischen Befund von Gesichtsschmerzen hervorzurufen, so R1 und W.

Das danach als multifaktoriell zu bewertende Schmerzsyndrom, soweit es den Gesichtsbereich betrifft, wird zusätzlich durch eine somatoforme Überlagerung akzentuiert bzw. überlagert, so L und W. Auch die Ärzte der Oklinik und zuletzt L1 haben über einen psychiatrisch sehr auffälligen Patienten mit einer starken Tendenz zur Somatisierung berichtet, die zu einem sehr diffusen Beschwerdevortrag führt und letztlich die Zuordnung der beklagten Beschwerden zu bestimmten Gesundheitsstörungen sehr erschwert.

Gegen eine Zurechnung der Gesichtsschmerzen zum Unfallereignis bzw. den im Anschluss stattgehabten Behandlungen spricht letztlich auch die Schmerzschilderung des Klägers gegenüber W, die sich auf den überwiegenden Gesichts- und Kopfbereich erstreckt und eine Zuordnung zur rechten Gesichtshälfte bzw. zu einer lokalen Schädigung im Bereich der Vorderzähne des Oberkiefers und damit den Nachweis eines Unfallzusammenhangs nicht gestattet. Über die Schwierigkeit, angesichts des sehr diffusen Beschwerdevortrag des Klägers die Schmerzen bestimmten Gesundheitsstörungen zuzuordnen, hat zuletzt auch L1 berichtet. Dieser hat eine Trigenimusneuralgie angesichts des unauffälligen Befund des von ihm durchgeführten Elektroenzephalogramms sowie des Trigenimus-SEP ausgeschlossen und ist am ehesten von einem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch ausgegangen. Prof. S1 hat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom Januar 2021 eine eindeutig zu diagnostizierende Schmerzsymptomatik gar verneint.

Zusammenfassend können die den beklagten Beschwerden im Gesichtsbereich zugrundeliegende Gesundheitsstörungen schon nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festgestellt und noch viel weniger auf den Arbeitsunfall bzw. die deswegen notwendig gewordenen Behandlungen zurückgeführt werden. Auch der Gutachter des Vertrauens des Klägers, R1, hat in seinem Gutachten eingeräumt, dass eine Abgrenzung der Funktionsbeeinträchtigung des Klägers gegenüber den unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen schwierig ist.

(4.)
Die Folgen des Arbeitsunfalls können nicht mit einer MdE um mehr als 20 v.H. bewertet werden und dies auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt als dem 16.01.2013.

a.
Die Folgen der Schädigung des Nervus lingualis werden von den Gutachtern mit einer MdE um 10 v.H. oder weniger bewertet. Zwar geht eine derartige Schädigung mit Missempfindungen einher; der Verlust des Geschmacksempfindens ist aber angesichts der intakten linken Seite nicht von relevanter Bedeutung, so zu Recht W, der die MdE hierfür schlüssig und nachvollziehbar mit weniger als 10 v.H. bewertet. R1 hat in seinem Wahlgutachten vom Februar 2019 die Gefühlsminderung und Störung des Geschmackssinns im Bereich der rechten Zungenseite zwar mit einer MdE um 10 v.H. bewertet, ist aber eine Begründung hierfür schuldig geblieben. Wie bereits dargelegt, führt die Schädigung des Nervus hypoglossus, selbst wenn man deren Nachweis unterstellt und die fehlende Unfallursächlichkeit außer Acht lässt, mangels relevanter Beeinträchtigung zu keiner Erhöhung der MdE.

Inwieweit dann aufgrund der Schmerzen eine Rechtfertigung für eine MdE um 20 v.H. – als aber nach Auffassung sowohl des L wie auch des W an der oberen Grenze des noch Vertretbaren liegend – möglich ist, kann der Senat letztlich offenlassen. Jedenfalls eine noch höhere Bewertung ist unter keinen Umständen darstellbar und wird auch von keinem Gutachter vertreten. Ein derartiges, auf die durch den Arbeitsunfall hervorgerufenen Gesundheitsstörungen sich beziehendes Schmerzerleben, welches eine solche Erhöhung gestatten könnte, ist noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Zu Recht hat W insoweit darauf verwiesen, dass der Kläger gegenüber R1 geschildert hat, dass er die Schmerzen manchmal über mehrere Monate hinweg kaum noch wahrnehmen würde. Auch ist W zuzugestehen, dass das Fehlen einer kontinuierlichen Schmerzmitteleinnahme – der Kläger nimmt vielmehr Schmerzmittel in nur untergeordnetem Umfang ein, wobei diese Einnahme dabei gleichermaßen oder sogar vorrangig unfallunabhängigen Schmerzlokationen dient – und das Fehlen einer schmerzmedizinischen und/oder nervenärztlichen Betreuung gegen einen hohen Leidensdruck sprechen. Auch S1 hat zuletzt die fehlende regelmäßige Schmerztherapie beanstandet. Zuletzt hat auch L1 das Vorliegen außergewöhnlicher Schmerzen anhand der objektivierbaren Befunde und auch in Anbetracht der in der Untersuchungssituation festgestellten Diskrepanzen ausgeschlossen. Über eine eingeschränkte Compliance des Klägers im Rahmen der Begutachtung, die einer Objektivierung der Gesundheitsstörungen erschwert hat, haben bereits L und W berichtet. Auch L1 hat über erhebliche Auffälligkeiten berichtet. So hat der Kläger die im Mundbereich, Gesicht und in den Kopf ausstrahlenden Schmerzen nur wenig authentisch vorgetragen und dabei erheblich, insbesondere im Hinblick auf Mimik und Sprachäußerung, übertrieben. Weitere Diskrepanzen zeigten sich in der Untersuchung: so konnten beispielsweise die Austrittspunkte des Nervus trigeminus ohne jegliche Schmerzäußerung geprüft werden; auf den Hinweis, es würde jetzt auf Druckschmerzen und Berührungsempfindlichkeit geprüft, hat der Kläger dann aber sämtliche getesteten Stellen am Kopf als ausgeprägt schmerzhaft beklagt. Auch war dem Kläger das ausführliche Gespräch ohne Entwicklung von Schmerzen im Mundraum möglich; sobald er dann aber im Rahmen der Begutachtung zur Öffnung des Mundes oder zu einer Zungenbewegung aufgefordert worden ist, hat er unerträgliche Schmerzen, augenscheinlich willentlich ausgestaltet, vorgebracht.

Nur der Vollständigkeit halber ist im Übrigen darauf zu verweisen, dass auch die Gutachter, die die Gesichtsschmerzen zumindest teilweise auf den Arbeitsunfall zurückführt haben, insgesamt nicht zu einer höheren MdE als 20 v.H. gelangt sind. Vielmehr hat R1 in seinem Gutachten für die Beklagte den Schweregrad für den persistierenden speziellen Druckschmerz in der Region des geschädigten Schneidezahns als leichtgradig bewertet und in Einklang mit den im versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen mit einer MdE von weniger als 10 v.H. bewertet und in seinem Gutachten gemäß § 109 SGG insoweit keine abweichende Beurteilung getroffen. L und ihm folgend S1 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom Juni 2015 haben für die Folgeschäden nach Läsion des Nervus lingualis und des Nervus hypoglossus sowie den Trigeminusschmerz und den atypischen Gesichtsschmerz eine MdE um maximal 20 v.H. veranschlagt.

b.
Die Bewertung mit einer MdE um wenigstens 20 v.H., setzt, sofern man diese für gerechtfertigt erachtet, nach Auffassung aller Gutachter und Sachverständigen die Schädigung des Nervus lingualis voraus. Diese Schädigung kann unfallursächlich allenfalls auf die im Jahre 2013 erfolgte Entnahme von Knochenmaterial im Unterzungenboden im Gefolge der Entfernung des Zahnimplantats im Bereich der Regio 12 zurückgeführt werden. Wie sich dem aktenkundigen Bericht des Zahnarztes Dr. Unterricker vom Juni 2013 entnehmen lässt, war zu diesem Zeitpunkt indes das Implantat noch nicht entfernt worden. Unter Berücksichtigung dessen dürfte die Gewährung einer Rente bereits ab Januar 2013 deutlich zu früh und ohne rechtliche Grundlage erfolgt sein, was hier keiner weiteren Klärung bedarf. Entscheidend ist, dass eine Rentengewährung vor dem 16.01.2013 von vornherein und eindeutig ausscheidet.

(5.)
Die Beklagte hat das Jahresarbeitsverdienst des Klägers zutreffend berechnet.

Gemäß § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gelten die Vorschriften über den Jahresarbeitsverdienst nach dem SGB VII auch für den vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetretenen Arbeitsunfall des Klägers. Der Jahresarbeitsverdienst ist gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 SGB IV) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) der Versicherten in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist.

Zu Gunsten des Klägers, der sich zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls noch in der Ausbildung befunden hat und naturgemäß ein geringeres Einkommen erzielt hat, findet vorliegend § 90 SGB VII in der bis zum 31.12.2020 gültigen Fassung Anwendung (a.F.). Gemäß dessen Abs. 1 Satz 1 wird der Jahresarbeitsverdienst, tritt der Versicherungsfall vor Beginn der Schulausbildung oder während einer Schul- oder Berufsausbildung der Versicherten ein, wenn es für die Versicherten günstiger ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre oder bei einem regelmäßigen Verlauf der Ausbildung tatsächlich beendet worden ist. Der Neufestsetzung wird das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen ist; besteht keine tarifliche Regelung, ist das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gilt (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VII a.F.). Das Abstellen auf den Tarifvertrag enthält eine pauschalierende Regelung um individuelle Zufälligkeiten im Rahmen des jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses nach der Ausbildung mit unter Umständen auch gegebenen Feststellungsschwierigkeiten auszuschließen. Daher bleiben tarifliche Regelungen für besondere persönliche Leistungen oder Arbeitsbedingungen außer Betracht. Die Beklagte hat den Jahresarbeitsverdienst zum Zeitpunkt des Ausbildungsendes August 1984 danach zutreffend auf der Basis der damals geltenden Tarifverträge mit 18.080,30 € ermittelt.

In gleicher Weise hat die Beklagte die Vergleichsberechnung nach § 90 Abs. 2 SGB VII a.F. zutreffend angestellt, welche zu einem dem Kläger nicht günstigeren Ergebnis geführt hat. Für die Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes gemäß § 90 Abs. 2 SGB VII a.F. hat die Beklagte nach Satz 1 dieser Vorschrift den im Zeitpunkt des Versicherungsfalls – also am 09.03.1982 - gültigen Tarifvertrag anzuwenden bzw. mangels tariflicher Regelung dasjenige Arbeitsentgelt, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gilt. Die Beklagte hat danach zum Unfallzeitpunkt (März 1982) unter Zugrundelegung der maßgeblichen Tarifverträge ein Jahresarbeitsverdienst von 17.616,13 € errechnet, woraus sich ein angepasster Jahresarbeitsverdienst für den 01.07.1984 in Höhe von 17.846,90 € ergibt. Bezüglich der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Darstellungen im angefochtenen Bescheid vom 17.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2016 sowie die ausführliche Darstellung der Berechnung auf Seite 441 der Verwaltungsakte verwiesen. Substantielle Einwände gegen die Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes hat der Kläger nicht erhoben. Vielmehr macht sein Vorbringen, so zuletzt auch im Berufungsverfahren, deutlich, dass er die grundlegende Systematik, nämlich die standardisierte Ermittlung des zugrundezulegenden Arbeitsentgelts anhand der maßgeblichen tariflichen Regelungen verkennt.

Nach alledem bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten (§ 193 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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