L 13 AS 328/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 2326/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 328/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Erstattung von Kosten für Onlinebewerbungen i.H.v. 171,- €.

Der im Jahr 1970 geborene Kläger bezog erstmals ab dem 7. Dezember 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nach dem Besuch einer Technischen Fachschule vom 1. November 2011 – 31. Juli 2013 und dem Bezug von Aufstiegsfortbildungsbeihilfe und Wohngeld, bezog er ab dem 1. August 2013 erneut Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger bewohnt eine 55 m² große 1 - Zimmerwohnung unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift, deren Kosten, zuletzt ab dem 1. Juli 2017 ein Kaltmietzins von 449,- €, einschließlich der Nebenkosten (Vorauszahlung auf Betriebskosten: 40,- € und Vorauszahlung auf Heizung und Warmwasser: 85,- €) vom Beklagten vollumfänglich i.H.v. 574,- € monatlich als Bedarf für Unterkunft und Heizung anerkannt und getragen worden sind. Der Kläger hat eine im Juni 2003 geborene Tochter, die ihn regelmäßig besucht und für die der Beklagte während Zeiten einer temporären Bedarfsgemeinschaft gleichfalls Leistungen nach dem SGB II bewilligte. Die Leistungsgewährung (und deren Rahmenbedingungen) war Gegenstand einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren.

Mit Bescheid vom 20. April 2018 (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2018) erstattete der Beklagte dem Kläger Kosten für Onlinebewerbungen i.H.v. insg. 22,- €. Betr. weitere geltend gemachte Kosten lehnte der Beklagte die Erstattung ab, weil sich der Kläger teilweise doppelt beworben hatte.

Unter dem 30. Dezember 2018 beantragte der Kläger am 9. Januar 2019 die Erstattung von Bewerbungskosten in Höhe von 171,- €. Für jede der von ihm per E-Mail getätigten Bewerbungen setzte er einen Betrag von 1,- € an. Er legte eine teilweise ausgefüllte Bewerbungsliste auf einem Vordruck des Beklagten vor. Er benannte für den Zeitraum April – Dezember 2018 acht konkrete Daten, an denen er sich beworben habe. Die Liste enthielt insg. 157 Einträge (teilweise Mehrfachnennungen) betr. den Kontaktdaten der Angeschriebenen. Im Übrigen, insb. im Hinblick auf Ansprechpartner und Tätigkeit/Funktion/Ausbildungsberuf“ enthielt die Liste keine bzw. lediglich sporadische Angaben.

Mit Bescheid vom 29. Januar 2019 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die wiederholten Initiativ-Bewerbungen seien weder notwendig, noch sinnvoll. Auch sei dem Kläger durch die Onlinebewerbungen kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden, weswegen die beantragten Kosten nicht zu erstatten seien.

Hiergegen erhob der Kläger am 22. Februar 2019 Widerspruch, mit dem er vorbrachte, auch mehrfache Bewerbung bei einem Arbeitgeber seien zu berücksichtigen; es sei sinnvoll, sich bei einem potentiellen Arbeitgeber in Erinnerung zu bringen und ein besonderes Interesse zu zeigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte hierzu - ergänzend - aus, die Bewerbungen des Klägers ließen keine ernsthaften Bemühungen um eine konkrete Stelle erkennen.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Juni 2019 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, mit der er die Erstattung von Bewerbungskosten i.H.v. 171,- € geltend gemacht und vorgebracht hat, die Entscheidung des Beklagten sei nicht nachvollziehbar. Bisher seien die beantragten Kosten immer erstattet worden, die vorgelegte Liste sei ausreichend gewesen.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 11. Dezember 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Bewerbungskosten. Nach § 16 SGB II i.V.m. § 44 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) könnten aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit u.a. Arbeitslose bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig sei. Diese Förderung könne zwar auch Bewerbungskosten umfassen, jedoch seien die Bewerbungen, für die der Kläger die Kostenerstattung begehre, nicht notwendig für die berufliche Eingliederung des Klägers. Dem Kläger sei es mit den Bewerbungen nicht darum gegangen, in ein Beschäftigungsverhältnis zu gelangen, es dränge sich, so das SG, der Eindruck auf, dass der Kläger primär das Ziel verfolgt hat, mit möglichst geringem Eigenaufwand eine Zahlung aus dem Vermittlungsbudget zu generieren. Die vom Kläger eingereichte Liste sei so unvollständig ausgefüllt worden, dass auf Grundlage der gemachten Angaben eine Kontrolle der Bewerbungsbemühungen durch den Beklagten mit verhältnismäßigem Aufwand unmöglich gewesen sei. So habe der Kläger keine Ansprechpartner benannt, keine Anschriften oder Telefonnummern angegeben und noch nicht einmal die Namen der Arbeitgeber mitgeteilt. Der Kläger habe auch auf gerichtliche Nachfrage hin keine Bewerbungsschreiben vorgelegt, die u.U. zu einem Nachweis geeignet gewesen wären, obgleich ihm diese, da sie elektronisch versandt worden sein sollen, noch zur Verfügung stünden. Von ernstlichen Bewerbungsbemühungen können daher nicht ausgegangen werden. Das SG hat ferner ausgeführt, dass die Berufung nicht zugelassen werde. Es hat in seinem Urteil eine Rechtsmittelbelehrung des Inhalts erteilt, dass den Beteiligten gegen das Urteil die Berufung nur zustehe, wenn sie nachträglich zugelassen werde. Zu diesem Zweck könne die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit einem am 19. Januar 2021 beim SG eingegangenen Schriftsatz vom 30. Dezember 2020, mit dem er unter dem Aktenzeichen des SG und der Anführung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im „Verteiler“ einen „Revisionsantrag“ gestellt hat und mit dem er – ohne ersichtlichen Bezug zur Frage der Erstattung von Bewerbungskosten – unter der Überschrift „Menschen sind nicht gleich, aber ihre Rechte. Alle sind gleich, manche sind gleicher“ zu aus seiner Sicht bestehenden Ungerechtigkeiten betr. den Inhalt und die Struktur der Sozialgesetzgebung Stellung nimmt. Auf bisherige umfangreiche Begründung hat er Bezug genommen.

Eine Anfrage des Senats vom 4. Februar 2021, ob und ggf. welches Rechtsmittel der Kläger habe einlegen wollen, hat der Kläger inhaltlich nicht beantwortet, jedoch ausgeführt, dass die Annahme, es fehlten nachvollziehbare Gründe für die Erstattung der Kosten, bemängelt werde. Der „verfälschte“ Bescheid müsse weiterhin bei Gericht gerügt werden. In der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2022 hat er vorgetragen, ihm seien, entgegen der Einschätzung des Beklagten, durch die Bewerbungen Kosten entstanden, da er zu Hause über keinen Internet-Anschluss verfüge und die Bewerbungen in einem Internet-Cafe habe erstellen und versenden müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. Dezember 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2019 zu verurteilen, ihm 171,- € für Bewerbungskosten zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Zur Begründung bringt er vor, die Berufung sei bereits unzulässig. Auch sei nicht ersichtlich, ob die Berufung überhaupt fristgerecht erhoben worden sei. Zulässig wäre allenfalls eine Nichtzulassungsbeschwerde, der Kläger habe jedoch keine Gründe für die Zulassung vorgetragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Leistungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2022 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2022 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Nachdem der Kläger vorgetragen hat, der verfälschte Bescheid müsse weiterhin bei Gericht gerügt werden und er sich in der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2022 auch inhaltlich auf einen Ablehnungsgrund des Beklagten, ihm sei durch die Onlinebewerbungen kein wirtschaftlicher Nachteil erwachsen, eingelassen hat, wird deutlich, dass der Kläger eine inhaltliche Überprüfung der angegriffenen Entscheidung begehrt, weswegen das Begehren des Klägers als Berufung i.S.d. § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegen ist.

Als solche ist das Begehren jedoch bereits unzulässig. Gemäß § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- € nicht übersteigt. Dies gilt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt sich nach dem Umfang, in dem das SG dem Begehren des Rechtsmittelführers nicht gefolgt ist und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt wird. Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für Bewerbungen i.H.v. 171,- €. In dieser Höhe ist er durch das klageabweisende Urteil des SG beschwert. Da der Wert des Beschwerdegegenstandes den erforderlichen Betrag von 750,- € nicht erreicht, ist die Berufung unstatthaft und daher unzulässig.

Eine Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht möglich, weil die Rechtsmittel nicht demselben Zweck dienen, sondern die Beschwerde erst den Weg für das spätere Rechtsmittel der Berufung eröffnen soll (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Mai 2003 - B1 KR 25/01 R -, in juris).

Die Berufung ist hiernach als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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