Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Die 1962 geborene Klägerin erlernte von 1982 bis 1985 den Beruf einer Steuerfachgehilfin und war im Anschluss daran bis 1996 in diesem Beruf versicherungspflichtig tätig. Von 1997 bis 2001 war sie als Politesse für die Stadt M im kommunalen Ordnungsdienst versicherungspflichtig tätig. Zuletzt übte sie eine Beschäftigung im kommunalen Ordnungsdienst der Gemeinde I (vier Stunden täglich) aus; das versicherungspflichtige Arbeitsverhältnis besteht noch (Arbeitgeberauskunft vom 11. April 2017). Seit November 2015 ist sie arbeitsunfähig und bezog zuletzt bis März 2018 Arbeitslosengeld. Einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat sie nicht gestellt. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 v.H. anerkannt (Bescheid des Landratsamtes R vom 24. Juli 2017).
Vom 6. Februar bis 27. März 2017 nahm die Klägerin an einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme im A-Gesundheitszentrum L teil. Als Diagnosen wurden im Entlassungsbericht vom 27. März 2017 genannt: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom, degeneratives Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom, Spannungskopfschmerzen, Reflux, Asthma bronchiale, Psoriasis vulgaris, beginnende Gonarthrose rechts, Polyarthrose der Handgelenke, Carpaltunnel-Syndrom und Hypercholesterinämie. Die Klägerin sei noch in der Lage, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit und leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Aufgrund eines Arbeitsplatzkonfliktes wurde ihr empfohlen, den Arbeitsvertrag aufzuheben.
Bereits am 6. März 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide an chronischen Schmerzen mit Konzentrationsdefiziten. Sie benötige sehr viele Pausen, habe Schwindel, leide an Erschöpfung, Asthma, Arthrose, könne schlecht durchschlafen und wegen der Arthrose in den Händen könne sie Gegenstände nicht greifen oder festhalten. Nach Einholung des Befundberichts des L1 vom 20. Juni 2017 ließ die Beklagte die Klägerin nervenärztlich begutachten. L2 gelangte in ihrem Gutachten vom 4. Juli 2017 für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, degenerative Veränderung der LWS und Bandscheibenprotrusionen sowie chronische Schmerzstörung. Die Klägerin sei unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch in der Lage, sowohl ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit im Ordnungsdienst als auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Darüber hinaus holte die Beklagte das Gutachten des H vom 22. August 2017 ein. Dieser gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Degeneratives HWS- und LWS-Syndrom sowie Polytendomyopathie. Sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Politesse als auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Gestützt auf die medizinischen Ermittlungen und nach Einholung der sozialmedizinischen Stellungnahme des beratenden E vom 31. August 2017 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 5. September 2017 ab. Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr Gesundheitszustand habe sich seit der Antragstellung stark verschlechtert. Die Beklagte zog daraufhin Befundberichte bei und holte die Stellungnahme des E vom 5. Januar 2018 ein, wonach quantitative Leistungseinschränkungen weiterhin nicht vorlägen. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2018 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung lägen nicht vor, da die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Da sie nach dem 1. Januar 1961 geboren sei, finde die Übergangsregelung des § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) keine Anwendung.
Hiergegen erhob die Klägerin am 29. März 2018 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage, mit der die Klägerin im Wesentlichen geltend machte, sie könne nicht einmal drei Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie leide unter ständigen Schmerzen in den Beinen und im unteren Rücken sowie im HWS-Bereich, die bis in die Arme und Hände ausstrahlten. Sie könne am Stück nur noch 200 bis 300 Meter gehen.
Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts vernahm das SG zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen. L1 gab an (Auskunft vom 15. Juni 2018), bei der Klägerin bestünden Zeichen einer Fingergelenksarthrose mit Bewegungs- und Belastungsschmerzen. Ein Carpaltunnel-Syndrom habe neurologischerseits nicht bestätigt werden können. H1 teilte mit (Auskunft vom 2. Juli 2018), bei der Klägerin bestehe eine langjährige chronische Schmerzstörung der gesamten Wirbelsäule mit arthrotischen Zügen. Aus seiner Sicht sei die unbefristete Berentung sachgerecht, da die Klägerin auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelt werden könne. Er sei jedoch gutachterlich nicht auf dem Gebiet des Sozialrechts tätig und habe keine Kenntnisse hinsichtlich der sozialrechtlichen Begutachtung. L3 führte aus (Auskunft vom 16. Juli 2018), nach Ausschöpfung aller therapeutischer Maßnahmen habe keine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin erreicht werden können. B gab an (Auskunft vom 9. August 2018), die Klägerin sei wegen rezidivierender und wandernder Schmerzen behandelt worden, wobei sich die Beschwerden insgesamt verschlechtert hätten. S teilte mit (Auskunft vom 8. August 2018), die Klägerin leide seit 2013 unter Schmerzen im Bereich der Gelenke und der Muskulatur. Eine wesentliche Besserung oder Verschlimmerung könne nicht festgestellt werden.
Das SG holte sodann das Gutachten des S1 vom 1. Februar 2019 ein. Der Gutachter gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Chronische depressive Verstimmungen im Sinne einer Dysthymia, Somatisierungsstörung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Spannungskopfschmerzen, Schilddrüsenstoffwechselstörung, Refluxerkrankung, Glaukom beidseits, anamnestisch Asthmaleiden, Psoriasis vulgaris und Beschwerden im Bereich des Bewegungs- und Haltungsapparates ohne relevantes neurologisches Defizit. Die Klägerin sei unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche auszuüben. Er sehe in dem langjährigen und ausgeprägten Arbeitsplatzkonflikt eine erhebliche Ursache für das seelische Befinden der Klägerin. Der Ausprägungsgrad der seelischen Symptomatik sei insgesamt als leicht bis allenfalls mittel einzustufen. Im Übrigen lägen Anhaltspunkte für eine Aggravation vor.
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das Gutachten des W vom 25. Juli 2019 ein. Dieser gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Depressive Episode, derzeit leicht, chronisches Schmerzsyndrom vom Fibromyalgietyp und Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule. Er stimme dem Gutachter S1 zu, dass die psychische Symptomatik eher milde ausgeprägt sei. Besonders auffallend seien die praktisch völlig fehlenden eigenen Therapiebemühungen seitens der Klägerin. Auch seien keine spezifischen physiotherapeutischen Maßnahmen eingeleitet worden. Zwar habe sie angegeben, ihre Pferde kaum noch zu sehen, dennoch erscheine sie mit einer relativ frischen Verletzung, die durch einen Pferdetritt ausgelöst worden sei. Bei einem Fragebogen habe sie zudem zwei Angaben gemacht, die sich bei der Beobachtung nicht bestätigt hätten. Im Vordergrund stehe die große Diskrepanz zwischen den massiv geschilderten Beschwerden und der praktisch fehlenden eigenen Aktivität, diese zu bessern. Somit bestünden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der geschilderten Beschwerden, die zumindest verdeutlicht, wenn nicht aggraviert würden. Unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen könne die Klägerin derzeit nur leichte körperliche Tätigkeiten zwischen drei und sechs Stunden ausüben. Nach einer gezielten Therapie (z.B. Rehabilitation in einer auf Fibromyalgie spezialisierten Klinik) könne dieser Zeitraum auf acht Stunden steigen.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2020 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, bei der Klägerin liege keine Erwerbsminderung vor, da sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verfüge. Trotz der bei ihr vorhandenen Gesundheitsstörungen könne sie noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitshaltungen verrichten. Sowohl S1 als auch L2 sowie H hätten eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung nicht feststellen können. Im Entlassungsbericht des A Gesundheitszentrums L vom 27. März 2017 sei ebenfalls ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden angegeben worden, sodass die Einschätzung des H1 nicht überzeuge. Soweit W von einer Leistungsfähigkeit von drei bis sechs Stunden ausgegangen sei, habe er zugleich Zweifel bei der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin gesehen und auf die Diskrepanz zwischen den klägerischerseits massiv geschilderten Beschwerden und der praktisch fehlenden eigenen Aktivität, diese zu bessern, hingewiesen. Orthopädischerseits lägen allenfalls qualitative Leistungseinschränkungen vor. Da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren sei, scheide ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit aus.
Hiergegen richtet sich die am 23. März 2020 beim SG zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, ihr Gesundheitszustand habe sich wesentlich verschlechtert. Infolge der beidseitigen Gonarthrose habe sich ihr Gehvermögen erheblich verschlechtert, wobei das linke Kniegelenk besonders stark betroffen sei. Darüber hinaus bestehe eine Muskelatrophie am rechten Oberschenkel. Beides führe zu erheblichen Schmerzen auch beim Sitzen, sodass auch eine länger andauernde Sitzhaltung nicht mehr möglich sei. Darüber hinaus sei auch das Stehvermögen eingeschränkt. Des Weiteren habe sich die Beweglichkeit der linken Hand erheblich verschlechtert, da nunmehr ein Dauerschaden i.S. eines Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) bestehe. Dadurch sei die Beweglichkeit und Geschicklichkeit eingeschränkt. Daneben sei eine Beinverkürzung und eine Bursitis Trochanterica (Entzündung der Schleimbeutels) diagnostiziert worden. Darüber hinaus sei sie am 14. November 2020 gestürzt und habe sich hierbei eine Rotatorenmanschettenläsion rechts zugezogen. Nach den Feststellungen des Gutachters W sei zumindest eine Teilerwerbsminderung anzunehmen. Er habe zwar darauf hingewiesen, dass bei entsprechend eingeleiteter Behandlung bzw. Rehabilitation die Aussicht bestünde, zukünftig wieder vollschichtig arbeiten zu können. Dieser Zustand sei aber noch nicht erreicht, obwohl sie in ständiger ärztlicher Behandlung sei. Sie habe eine Vielzahl von gewöhnlichen und außergewöhnlichen Leistungseinschränkungen. Hinzu komme ein Schmerzsyndrom, das sie zermürbe, ihre Konzentration stark beeinträchtige und ihr Antriebsvermögen stark einschränke. Das bei der Gemeinde I bestehende Arbeitsverhältnis sei zwar bislang ungekündigt, jedoch könne sie diese Tätigkeit nicht mehr aufnehmen, denn sie müsse als Außendienstmitarbeiterin täglich mehrere Stunden kilometerweit zu Fuß bei Wind und Wetter unterwegs sein. Insoweit liege bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führten (Bezugnahme auf Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 11. Dezember 2019 - B 13 R 7/18 R). Dennoch habe die Beklagte keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt. Im Übrigen sei sie bereits seit November 2015 ständig von ihrer Hausärztin arbeitsunfähig geschrieben. Es bestünden daher ernsthafte Zweifel, ob sie noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Betrieb einsetzbar sei. Denn zukünftig seien weiterhin krankheitsbedingte Ausfallzeiten oder Arbeitsunterbrechungen zu erwarten. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin unter anderem die Arztbriefe des K vom 28. August 2020 (Diagnosen: CRPS links, Beinverkürzung rechts, Bursitis Trochanterica rechts; es bestehe aktuell keine zwingende OP-Indikation, ein konservatives Therapievorgehen sei besprochen worden) und 13. Juli 2021 (Diagnosen: Bursitis Trochanterica rechts; HWS-Myogelose; Femoro-azetabuläres Impingement rechts; Läsion der Rotatorenmanschette rechts), den Arztbrief der F (Schmerztherapiezentrum M) vom 4. September 2020 (Bewertung: die Beschwerden der Klägerin seien durchaus mit einem CRPS der linken Hand vereinbar; ein Fibromyalgiesyndrom könne bei nur vier positiven Tenderterpoints nicht bestätigt werden; eine allgemeine muskuläre Verspannung im Sinne einer muskulären Dysbalance könne bestätigt werden und werde durch die psychische Komorbidität begünstigt), den MRT-Bericht bezüglich der rechten Schulter vom 27. November 2020 (Befund: kein höhergradiges subacromiale Impingement; 50-%ige Partialruptur im Ansatz des Musculus subscapularis) sowie Überweisungen zum Radiologen vom 24. März 2022 und 12. April 2022 sowie zum Neurologen vom 12. April 2022 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2018 zu verurteilen, ihr ab dem 1. März 2017 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat den Versicherungsverlauf vom 29. Juni 2020 vorgelegt. Darüber hinaus hat sie ausgeführt, die Klägerin sei Rechtshänderin. Der aktuellen Beschwerdesymptomatik im Bereich der linken Hand liege eine Fraktur des Mittelhandknochens IV im Juli 2019 zugrunde. Es sei nicht davon auszugehen, dass eine Funktionslosigkeit der linken Hand inklusive der Finger der linken Hand vorliege.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. K hat mitgeteilt (Auskunft vom 14. Juli 2020), er habe die Klägerin zuletzt im Mai 2017, August und Oktober (Diagnosen jeweils: Mittelhandfraktur IV links) sowie Dezember 2019 (Diagnosen: Lumboischialgie rechts und Gonarthrose links) behandelt. Er habe keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich auszuüben. Beigefügt hatte er unter anderem den Entlassbrief des Z vom 10. Juli 2019, wonach bei der Klägerin am Tag zuvor eine Plattenosteosynthese wegen einer Basisfraktur links nach einem Pferdetritt durchgeführt worden sei. Die Klägerin habe berichtet, dass sie von ihrem Pferd getreten worden sei und sich hierbei Verletzungen im Bereich des linken Beckens und der linken Hand zugezogen habe. Zum Entlassungszeitpunkt hätten reizfreie Wundverhältnisse bestanden. Darüber hinaus fügte K einen MRT-Bericht vom 9. September 2019 bei, wonach im linken Handgelenk eine SL-Bandruptur bestehe. In seiner weiteren Auskunft vom 12. November 2020 hat er mitgeteilt, die Klägerin sei im Januar 2020 dreimal wegen einer Behandlung am linken Knie in der Praxis gewesen. Bei der Klägerin habe sich die Befundsituation in der linken Hand wesentlich verschlechtert. Es habe sich ein CRPS Typ I entwickelt (Befund: Kraft vermindert, Faustschluss unvollständig, geringe Dysästhesie, keine Hyperalgesie, vermehrtes Kälteempfinden, keine trophischen Veränderungen).
F1 hat angegeben (Auskunft vom 23. November 2020), die Klägerin habe sich einmalig am 15. Mai 2020 in der handchirurgischen Sprechstunde vorgestellt. Es sei die Diagnose eines CRPS gestellt (Befund: Trophik der linken Hand verändert, Narbe dorsal an MHK 4 links und eine Schwellung radiocarpal, eingeschränkter Faustschluss) und Physiotherapie verordnet worden. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht ausgestellt worden.
Der Senat hat daraufhin die Gutachten des R1 vom 21. April 2021 und des P vom 23. November 2021 eingeholt. R1 hat ausgeführt, die Klägerin leide an einer leichten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, an einer leichten Depression und an einer leichten chronischen Schädigung der aus der HWS austretenden Nervenwurzel C6 links. Sie sei noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, wie z.B. zureichen, abnehmen, transportieren, reinigen und bedienen von Maschinen oder kleben, sortieren, verpacken und zusammensetzen von Teilen durchzuführen. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit Akkord oder am Fließband, Arbeit mit Zwangshaltung der Wirbelsäule, wie dies z.B. beim Bücken oder bei knieenden Tätigkeiten der Fall sei, Arbeiten auf Leitern, Überkopf oder auf Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe sowie Arbeiten mit erhöhter Anforderung an die Feingeschicklichkeit der linken Hand. Nachtschichten seien wegen beschriebener Schlafstörungen zu vermeiden, ebenso lärmbelastende Arbeitsplätze wegen des Tinnitus und der Hörminderung beidseits. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs sei jedoch noch leidensgerecht. Publikumsverkehr sei ebenfalls noch zumutbar. Gleiches gelte für eine besondere geistige Beanspruchung mit hoher oder höherer Verantwortung, wie dies z.B. beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw. beim Überwachen komplexer oder laufender Maschinen der Fall sei. Auch könne die Klägerin noch ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bedienstete im Ordnungsamt ausüben. Sie könne zudem ständig sitzen, überwiegend gehen bzw. überwiegend stehen. Tätigkeiten im Freien unter günstigen Witterungsbedingungen seien ebenfalls zumutbar. Sie sei zudem in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Vor diesem Hintergrund sei der Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bedienstete im Ordnungsamt mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.
P gelangte in seinem Gutachten für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Myogenes Reizsyndrom der HWS ohne Funktionseinschränkung bei elektrophysiologisch nachgewiesener Nervenwurzelschädigung C6 links, myogenes Reizsyndrom der Rumpfwirbelsäule ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle bei in der Bildgebung nachweisbaren polysegmentalen degenerativen Veränderungen der LWS, Periarthritis humeri scapularis rechte Schulter ohne Funktionseinschränkung bei in der Bildgebung nachweisbarer Impingementsituation und degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette, CRPS Grad I linke Hand mit leichter Funktionseinschränkung des Handgelenks und Beeinträchtigung der Feingeschicklichkeit der Finger bei radiologisch nachweisbarer Fingerpolyarthrose und leichter Kalksalzminderung im Sinne einer Entlastungshypotrophie und scapho-lunärer Instabilität, unspezifische Weichteilveränderungen rechter Oberschenkel, kernspintomographisch nachweisbare initiale Coxarthrose beidseits und Bursitis trochanterica, rechts mehr als links, ohne Funktionseinschränkung der Hüftgelenke und Verdacht auf Psoriasis-Arthropathie der dritten Zehe beidseits mit mäßiger Funktionseinschränkung. Die Klägerin sei Rechtshänderin. Bei zum Untersuchungszeitpunkt bestehender im Seitenvergleich leichter Verschmächtigung der Handbinnenmuskulatur und endgradig aktiv eingeschränkter Beugefunktion in den Grund- und Mittelgelenken aller Langfinger liege zwar nicht (mehr) das Vollbild eines CRPS vor, ausweislich der radiologisch nachweisbaren, wenn auch relativ gering ausgeprägten Kalksalzminderung des linksseitigen Handskeletts, sei jedoch von einer gewissen Minderbelastbarkeit sowohl hinsichtlich der groben Kraft als auch der Feingeschicklichkeit der Finger auszugehen. Die Funktion und Belastbarkeit sowohl von Handgelenk als auch Fingern seien durch adäquate Maßnahmen, insbesondere durch eine konsequente Ergotherapie in nicht unerheblichem Ausmaß zu bessern. Allerdings bestehe bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine durchaus recht gute Gebrauchsfähigkeit der linken Hand, die am Tag der Untersuchung etwa bei Erhebung der Anamnese zum Hantieren/Sortieren der mitgebrachten Unterlagen sowie nachfolgend beim An- und Auskleiden im Vergleich zur Gegenseite lediglich in etwas geringerem Ausmaß eingesetzt worden sei. Abgesehen davon, dass an keiner Stelle die sogenannten Budapest-Kriterien eindeutig bzw. vollständig dokumentiert seien, sodass gewisse Zweifel bestünden, ob überhaupt jemals das Vollbild eines CRPS vorgelegen habe, sei für die Beurteilung der für die Leistungsfähigkeit einzig ausschlaggebenden funktionellen Beeinträchtigungen nicht von Relevanz, ob es sich dabei um ein CRPS Grad I oder II handle bzw. gehandelt habe. Im Hinblick auf die festgestellten Gesundheitsstörungen seien folgende Tätigkeiten zu vermeiden: Häufig (mehr als fünfmal pro Arbeitsschicht) über Schulterniveau auszuführende Tätigkeiten, häufiges Drehen und/oder Wenden des Rumpfes; Tätigkeiten, die über eine längere Zeit hinweg (mehr als zwei Stunden) die Einhaltung einer gleichförmigen Körperhaltung (Sitzen/Stehen) erforderten; Tätigkeiten, die in knieender und/oder hockender Position zu erbringen seien oder die ein häufiges Treppensteigen erforderten; Tätigkeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit und insbesondere Feingeschicklichkeit beider Hände erforderten. Aufgrund der Psoriasis seien Tätigkeiten unter vermehrter Nässe-, Kälte- oder Schadstoffbelastung sowie - aufgrund der Augensituation - Tätigkeiten, die mit erhöhten Anforderungen an das Sehvermögen verbunden seien, nicht mehr zumutbar. Die Klägerin könne hingegen Tätigkeiten verrichten, die mit einem beidhändig durchzuführenden Zureichen, Abnehmen und Transportieren von Gegenständen mit einem Gewicht bis maximal 5 kg verbunden seien, ebenso wie das Kleben, Sortieren, Verpacken von Gegenständen. Lediglich das Zusammensetzen/die Montage von kleinen und kleinsten Werkstücken (etwa Kinderspielzeuge, wie kleine Puppen, Modellautos usw.) sei zumindest aktuell und auf mittlere Sicht nicht abverlangbar. Im Hinblick auf den an der LWS der Klägerin vorliegenden Befund solle an dem Arbeitsplatz die Möglichkeit zum gelegentlichen Wechsel der Arbeitshaltung (Sitzen/Stehen) in etwa zweistündigen Abständen bestehen (während der im Rahmen der Begutachtung erfolgten, mehr als einstündigen Erhebung der Krankheitsvorgeschichte sei ihm die Klägerin ohne wesentliche Veränderung der Sitzposition oder zwischenzeitlichem Aufstehen gegenübergesessen). Unter Berücksichtigung der insgesamt am Bewegungsapparat bestehenden Befunde sei der Klägerin die weitere Ausübung der mit der ständigen Bewältigung erheblicher Wegstrecken verbundenen Außendiensttätigkeit auf Dauer nicht mehr möglich. Der Ausübung einer Innendiensttätigkeit stehe bei entsprechender Ausstattung des Arbeitsplatzes (höhenverstellbarer Schreibtisch mit entsprechend ergonomischen Sitzmöbel, Headset, Bildschirmbrille, ggf. Einhandtastatur) nichts entgegen. Unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen sei die Klägerin in der Lage, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuführen. Sie sei auch in der Lage, ortsübliche Wegstrecken in angemessener Zeit zu bewältigen. Insbesondere sei es ihr möglich, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Meter innerhalb von jeweils 20 Minuten zurückzulegen und zweimal täglich, auch während der Hauptverkehrszeiten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn sie begehrt laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.
2. Streitgegenstand ist das Begehren der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. März 2017 (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht die rechtskundig vertretene Klägerin schon angesichts ihres Geburtsjahrgangs (1962) zu Recht nicht geltend (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Streitbefangen ist der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2018 (§ 95 SGG).
3. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 i.V.m. § 56 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2020 – B 2 U 2/18 R – juris, Rn. 9) zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2017.
a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Auf nicht absehbare Zeit besteht eine Einschränkung, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erstreckt (BSG, Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 49/76 – juris, Rn. 15).
b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihr gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern ihre berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber auch in quantitativer Hinsicht.
(1) Bei der Klägerin liegen im Wesentlichen Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet vor.
Die Klägerin leidet auf nervenärztlichem Fachgebiet an einer leichten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, an einer leichten Depression und an einer leichten chronischen Schädigung der aus der HWS austretenden Nervenwurzel C6 links. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des R1 vom 21. April 2021. Bereits im Entlassungsbericht des A-Gesundheitszentrums L vom 27. März 2017 wurde eine rezidivierende depressive Störung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung angegeben. Auch L2 nannte in ihrem Gutachten vom 4. Juli 2017, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 13) die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung (damals: leichte Episode) und eine chronische Schmerzstörung. Auch H1 gab in seiner Auskunft vom 2. Juli 2018 eine langjährige chronische Schmerzstörung an. Schließlich ging auch der Gutachter S1 von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung aus, wobei er die Kriterien einer Depression noch nicht als erfüllt ansah, sondern nur eine chronische depressive Verstimmung im Sinne einer Dysthymia annahm. Im Hinblick auf die durchgehend von der Klägerin geschilderten Rückzugstendenzen geht der Senat im Einklang mit R1 davon aus, dass die Kriterien einer Depression erfüllt sind. Allerdings hat R1 aufgrund der von ihm erhobenen Befunde (ebenso wie L2) für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass es sich nur um eine leichte Depression handelt. Er hat die Klägerin als bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten, also zum Ort, zur Person, zur Zeit und situativ voll orientiert beschrieben. Die Antriebslage war unauffällig und Hinweise für eine äußerlich erkennbare innere Unruhe fanden sich nicht. Während der Exploration wirkte die Klägerin ruhig, offen und konzentriert. Auf an sie gerichtete Fragen gab sie prompt und bereitwillig Auskunft. Im Verlauf der mehrstündigen Begutachtung kam es nicht zu einem Nachlassen der Konzentriertheit oder der Aufmerksamkeit. Hinsichtlich der Stimmungslage wirkte sie zwar überwiegend depressiv, beim Besprechen angenehmer Themen kam es jedoch (verzögert) zu einer Stimmungsaufhellung. Die affektive Modulationsfähigkeit war leichtgradig eingeschränkt. All dies entnimmt der Senat dem Gutachten des R1. Soweit im Entlassungsbericht des A-Gesundheitszentrums L vom 27. März 2017 eine mittelgradige rezidivierende depressive Störung angegeben wurde, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei einer rezidivierenden depressiven Störung um eine Störung handelt, die durch wiederholte depressive Episoden charakterisiert ist. Die Erkrankung verläuft in Phasen, wobei die depressive Symptomatik, die Dauer und die Häufigkeit einen unterschiedlichen Ausprägungsgrad haben können. Seit der gutachterlichen Untersuchung durch L2 wird die depressive Störung aber als leicht eingestuft.
Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin an einem myogenen Reizsyndrom der HWS ohne Funktionseinschränkung bei elektrophysiologisch nachgewiesener Nervenwurzelschädigung C6 links, einem myogenen Reizsyndrom der Rumpfwirbelsäule ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle bei in der Bildgebung nachweisbaren polysegmentalen degenerativen Veränderungen der LWS, einer Periarthritis humeri scapularis der rechten Schulter ohne Funktionseinschränkung bei in der Bildgebung nachweisbarer Impingementsituation und degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette, einem CRPS Grad I linke Hand mit leichter Funktionseinschränkung des Handgelenks und Beeinträchtigung der Feingeschicklichkeit der Finger bei radiologisch nachweisbarer Fingerpolyarthrose und leichter Kalksalzminderung im Sinne einer Entlastungshypotrophie und scapho-lunärer Instabilität, an unspezifischen Weichteilveränderungen im rechten Oberschenkel, einer kernspintomographisch nachweisbaren initialen Coxarthrose beidseits und Bursitis trochanterica, rechts mehr als links, ohne Funktionseinschränkung der Hüftgelenke und es besteht ein Verdacht auf eine Psoriasis-Arthropathie der dritten Zehe beidseits mit mäßiger Funktionseinschränkung. Der Senat entnimmt all dies dem Gutachten des P vom 23. November 2021. Dieser hat für den Senat auch nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass zwar nicht (mehr) das Vollbild eines CRPS vorliegt, ausweislich der radiologisch nachweisbaren, wenn auch relativ gering ausgeprägten Kalksalzminderung des linksseitigen Handskeletts jedoch von einer gewissen Minderbelastbarkeit sowohl hinsichtlich der groben Kraft als auch der Feingeschicklichkeit der Finger auszugehen ist, wobei aber bei - abgesehen von dem unfallunabhängig vorbestehenden arthrotischen Streckdefizit im Mittelgelenk des 5. Fingers - keine, wie häufig mit einem CRPS verbundenen, Kontrakturen nachweisbar waren. Zwar hat R1 eine Daumenballenatrophie links als Folge einer Nervenwurzelschädigung C6 angegeben, weshalb er von einem CRPS vom Typ II ausging. Der Senat folgt insoweit aber der Einschätzung des P, wonach es vorliegend Anzeichen gibt, dass das Vollbild eines CRPS nicht mehr besteht. Denn die von ihm erhobenen Befunde zeigten eine gute Gebrauchsfähigkeit der linken Hand, die am Tag der Untersuchung durch ihn etwa bei Erhebung der Anamnese zum Hantieren/Sortieren der mitgebrachten Unterlagen sowie nachfolgend beim An- und Auskleiden in (im Vergleich zur Gegenseite) lediglich etwas geringerem Ausmaß eingesetzt worden ist. Im Übrigen kommt es im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung nicht auf eine bestimmte Diagnosestellung an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28. Februar 2017 – B 13 R 37/16 BH – juris, Rn. 15; Senatsurteile vom 25. Juni 2021 – L 4 KR 28/20 –, vom 16. Oktober 2020 – L 4 KR 2051/18 – und vom 26. März 2021 – L 4 R 807/20 –, jeweils n.v.), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Insofern ist nicht streiterheblich, ob eine CRPS im Vollbild eines Typs I oder II vorliegt.
Die internistischen Gesundheitsstörungen, wie etwa die Refluxerkrankung, das Asthma bronchiale und die Hypercholesterinämie (vgl. Entlassungsbericht des A-Gesundheitszentrums L vom 27. März 2017), die Schilddrüsenstoffwechselstörung (vgl. Gutachten des S1), die dermatologischen Gesundheitsstörungen, wie etwa die Psoriasis vulgaris, das Augenleiden (Glaukom beidseits; vgl. Gutachten des S1) oder der Tinnitus bzw. die Hörminderung beidseits (vgl. Gutachten des R1) stehen hingegen nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht im Vordergrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Weitere Ermittlungen von Amts wegen zur Feststellung von Gesundheitsstörungen waren auch unter Berücksichtigung der zuletzt vorgelegten Überweisungen zum Radiologen vom 24. März 2022 und 12. April 2022 sowie zum Neurologen vom 12. April 2022 nicht angezeigt. Insbesondere mussten die behandelnden Ärzte der Klägerin nicht erneut gehört werden. Denn es liegen auch nach den eigenen Angaben der Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass weitere - bislang von den Sachverständigen nicht festgestellte bzw. gewürdigte - Gesundheitseinschränkungen vorliegen. Die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (§ 103 SGG) bedeutet nicht, dass die Gerichte auf bloße von einem Beteiligten geäußerte allgemeine Zweifel oder Behauptungen "aufs Geratewohl" hin in Ermittlungen eintreten müssten (BSG, Beschluss vom 24. Februar 2021 – B 13 R 79/20 B – juris, Rn. 14; Beschluss vom 24. Februar 2021 – B 13 R 79/20 B – juris, Rn. 14). Das Gebot zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Gerichte generell nicht dazu, Beweise "ins Blaue hinein" oder Ausforschungsbeweise zu erheben (BSG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 4 RA 60/94 – juris, Rn. 37). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte besteht zudem auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen keine Verpflichtung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 9. Oktober 2007 – 2 BvR 1268/03 – juris, Rn. 19; BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R – juris, Rn. 18).
(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht ein. Sie ist nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.
Im Hinblick auf die Erkrankungen von nervenärztlicher Seite sind Tätigkeiten mit Akkord oder am Fließband sowie Nachtschichten zu vermeiden. Gleiches gilt für eine Arbeit mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, wie dies z.B. beim Bücken oder bei knieenden Tätigkeiten der Fall ist (s. hierzu sogleich auch die Einschränkungen aus orthopädischer Sicht), für Arbeiten auf Leitern, Überkopf oder auf Gerüsten, für Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe, für Arbeiten mit erhöhter Anforderung an die Feingeschicklichkeit der linken Hand sowie für Arbeiten mit belastendem Lärm wegen des Tinnitus und der Hörminderung beidseits. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs ist noch leidensgerecht. Publikumsverkehr ist ebenfalls noch zumutbar. Gleiches gilt für Arbeiten mit einer besonderen geistigen Beanspruchung sowie mit hoher oder höherer Verantwortung, wie dies z.B. beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw. beim überwachen komplexer oder laufender Maschinen der Fall ist. Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten des R1, der die genannten qualitativen Leistungseinschränkungen und positiven Möglichkeiten aus den von ihm erhobenen Befunde nachvollziehbar und schlüssig abgeleitet hat. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin trotz der genannten Gesundheitsstörungen während der gesamten mehrstündigen Untersuchung durch R1 zu keinem Zeitpunkt in ihrer Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsfähigkeit eingeschränkt war. Der Gutachter hat die Klägerin als intelligent und gebildet beschrieben, die während der gesamten Untersuchung gut in der Lage war, abstrakten gedanklichen Anforderungen zu genügen.
Im Hinblick auf die orthopädischen Gesundheitsstörungen sind folgende Tätigkeiten zu vermeiden: Häufig (mehr als fünfmal pro Arbeitsschicht) über Schulterniveau auszuführende Tätigkeiten, häufiges Drehen und/oder Wenden des Rumpfes; Tätigkeiten, die über eine längere Zeit hinweg (mehr als zwei Stunden) die Einhaltung einer gleichförmigen Körperhaltung (Sitzen/Stehen) erfordern; Tätigkeiten, die in knieender und/oder hockender Position zu erbringen sind oder die ein häufiges Treppensteigen erfordern; Tätigkeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit und insbesondere Feingeschicklichkeit beider Hände erfordern. Diese qualitativen Einschränkungen entnimmt der Senat dem Gutachten des P. Die von ihm angegebenen qualitativen Leistungseinschränkungen sind im Hinblick auf die von ihm erhobenen Befunde nachvollziehbar und schlüssig. Insoweit hat er auch plausibel darauf hingewiesen, dass die Klägerin in positiver Hinsicht noch in der Lage ist, Tätigkeiten zu verrichten, die mit einem beidhändig durchzuführenden Zureichen, Abnehmen und Transportieren von Gegenständen mit einem Gewicht bis maximal 5 kg verbunden sind. Im Hinblick auf die von P geschilderten Befunde an der linken Hand überzeugt den Senat dessen Einschätzung der Hebefähigkeit (5 kg) mehr als die Einschätzung von R1, wonach die Klägerin auch Gegenstände mit einem Gewicht von 10 kg mit beiden Händen heben und transportieren kann. Aus dem Gutachten des P folgt zudem, dass der Klägerin auch das Kleben, Sortieren und Verpacken von Gegenständen zumutbar ist. Lediglich das Zusammensetzen/die Montage von kleinen und kleinsten Werkstücken (etwa Kinderspielzeuge wie kleine Puppen, Modellautos usw.) sind zumindest aktuell und auf mittlere Sicht nicht zumutbar. Im Hinblick auf den an der LWS vorliegenden Befund sollte an dem Arbeitsplatz die Möglichkeit zum gelegentlichen Wechsel der Arbeitshaltung (Sitzen/Stehen) in etwa zweistündigen Abständen bestehen. Dies ist für den Senat nachvollziehbar, da P darauf hingewiesen hat, dass die Klägerin während der mehr als einstündigen Erhebung der Krankheitsvorgeschichte ohne wesentliche Veränderung der Sitzposition oder zwischenzeitlichem Aufstehen ihm gegenübergesessen hat. Insofern ist auch der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren widerlegt, wonach sie nicht mehr in der Lage sei, eine länger andauernde Sitzhaltung einzunehmen.
(3) Trotz der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen ist die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat konnte sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht davon überzeugen, dass die bei der Klägerin zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß geführt haben. Der Senat stützt sich hierbei auf die Gutachten des R1 und des P.
Die gerichtlichen Sachverständigen haben im Hinblick auf die von ihnen erhobenen Befunde für den Senat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass die Klägerin unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu diesem Ergebnis gelangten bereits auch S1, L2, H und K (Auskunft vom 14. Juli 2020).
Soweit W die Auffassung vertrat, dass der Klägerin entsprechende Tätigkeiten lediglich noch maximal drei bis sechs Stunden täglich zumutbar seien, ist darauf hinzuweisen, dass eine sechsstündige Leistungsfähigkeit bereits eine Rente wegen (teilweiser) Erwerbsminderung ausschließt. Nur ein Leistungsvermögen unterhalb von sechs Stunden wäre insoweit relevant. Ein solch quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen besteht jedoch nicht. Unabhängig davon, dass W ein Leistungsvermögen zwischen drei und sechs Stunden annahm, hat dieser selbst darauf hingewiesen, dass er manche Angaben der Klägerin nicht als glaubwürdig empfand. Die Anhaltspunkte einer von ihm für möglich gehaltenen Aggravation hat er aber bei seiner Leistungsbeurteilung nicht kritisch berücksichtigt. Hinzukommt, dass er - wie R1 - lediglich von einer leichten Depression ausgegangen ist. Andererseits spricht gegen eine quantitative Leistungseinschränkung der von R1 erhobene Befund. Denn aus seinem Gutachten folgt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, sich die Mahlzeiten zu richten, Einkäufe zu begleiten, zu duschen, ihre Pferde, ihren Hund und ihre Katze zu versorgen, die Blumenstöcke zu gießen, die Nachrichten im Internet oder im Fernsehen zu verfolgen, den Besuch ihres Sohnes zu empfangen, ein Kraftfahrzeug zu führen, in dem sozialen Netzwerk „WhatsApp" aktiv zu sein, auf ihrem Laptop Spielfilme zu verfolgen, die Spülmaschine ein- und auszuräumen sowie die Waschmaschine zu befüllen. Die Klägerin ist danach in der Lage, ihren Tagesablauf angemessen bzw. den Anforderungen entsprechend zu strukturieren. Es bestehen keine Einschränkungen des Zeitmanagements. Auch liegen keine nachvollziehbaren, relevanten Störungen der sozialen Kompetenzen und der Alltagskompetenzen vor. Eine weitgehende, objektivierbare bzw. ausreichend begründbare Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an den Aktivitäten des täglichen Lebens, beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit liegt nach der überzeugenden Begründung von R1 nicht vor. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die Einschätzung des H1 (Auskunft vom 2. Juli 2018) nicht, wonach die Klägerin aufgrund ihrer Gesundheitsstörungen zu berenten sei.
Auch die orthopädischen Gesundheitsstörungen der Klägerin bedingen kein Absinken ihres zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden. Hiervon ist der Senat aufgrund der von P erhobenen Befunde überzeugt. Seine Leistungseinschätzung überzeugt den Senat, zumal auch der behandelnde Orthopäde K diese Einschätzung teilt (Auskunft vom 14. Juli 2020). P hat in diesem Zusammenhang auch hervorgehoben, dass eine spezielle Therapie nicht erfolgt. Die letzte krankengymnastische Übungsbehandlung, etwa für die Wirbelsäule und den sonstigen Bewegungsapparat, hat danach vor etwa drei Jahren H1 verordnet. Eigenständige Übungen zu Hause führt sie nach ihren Angaben gegenüber P nicht durch. Der Gutachter hat auch darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung der klinischen und bildgebenden Befunde die Beschwerden der Klägerin teilweise zwar dem Grunde nach nachvollziehbar sind, was deren Intensität angeht, orthopädisch aber nicht ausreichend zu erklären sind. Dies gilt etwa für die bei der Funktionsprüfung demonstrierte eingeschränkte Beweglichkeit der HWS bei zuvor unauffälligem Tastbefund ebenso wie die, anders als in sitzender Position erst in Bauchlage, dann aber in erheblichem Ausmaß erfolgte Schmerzangabe über nahezu der gesamten Rumpfwirbelsäule.
(4) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat. Entgegen der Auffassung der Klägerin musste der Senat - unabhängig davon, dass kein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt wurde (es fehlt bereits ein konkretes Beweisthema) - auch kein berufskundliches Sachverständigengutachten einholen. Erlaubt das Restleistungsvermögen des Versicherten - wie hier - noch Verrichtungen und Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von Teilen, sind damit ernste Zweifel an der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt (Freudenberg, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, Stand April 2021, § 43 SGB VI Rn. 194). Die genannten Tätigkeiten kann die Klägerin nach der durchgeführten Beweisaufnahme unter Beachtung der ebenfalls genannten qualitativen Leistungseinschränkungen durchführen, was der Senat den Gutachten des R1 und P entnimmt. Wie bereits dargelegt, kann die Klägerin auch beidhändig Gegenstände von bis zu 5 kg heben. Aus dem Gutachten des P folgt zudem, dass der Klägerin auch das Kleben, Sortieren und Verpacken von Gegenständen zumutbar ist. Lediglich das Zusammensetzen/die Montage von kleinen und kleinsten Werkstücken (etwa Kinderspielzeuge wie kleine Puppen, Modellautos usw.) sind zumindest aktuell und auf mittlere Sicht nicht zumutbar.
(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen entgegen der Behauptung der Klägerin nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris; Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Dies ist hier nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Im Hinblick auf die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen und den daraus resultierten funktionellen Einschränkungen handelt es sich um gewöhnliche Leistungseinschränkungen. Es liegt damit weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.; bestätigt durch BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 34). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin gegeben. Insbesondere ist die Beweglichkeit der linken Hand der Klägerin, die nach ihren eigenen Angeben Rechtshänderin ist, nur leicht eingeschränkt. Dies entnimmt der Senat den Gutachten des R1 und des P. Zwar lag links ein inkompletter Faustschluss vor. Die Überprüfung der typischen Kennmuskeln an den oberen Extremitäten durch P ergaben aber keine eindeutigen Hinweise für ein manifestes motorisches Defizit im Bereich der linken Hand. Der Senat geht daher davon aus, dass im Bereich der linken Hand lediglich eine gewisse Minderbelastbarkeit sowohl hinsichtlich der groben Kraft als auch der Feingeschicklichkeit der Finger besteht. Der Senat stützt sich insofern auf das Gutachten des P. Dieser hat dargelegt, dass ein unfallunabhängiges vorbestehendes arthrotisches Streckdefizit im Mittelgelenk des 5. Fingers besteht. Die von ihm erhobenen Befunde zeigten aber eine gute Gebrauchsfähigkeit der linken Hand, die am Tag der Untersuchung durch ihn etwa bei Erhebung der Anamnese zum Hantieren/Sortieren der mitgebrachten Unterlagen sowie nachfolgend beim An- und Auskleiden in (im Vergleich zur Gegenseite) lediglich etwas geringerem Ausmaß eingesetzt worden ist. Insbesondere kann die Klägerin nach ihren eigenen Angaben auch die Tatstatur eines Laptops und ein Smartphone nutzen, sodass keine begründeten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt.
(6) Der Arbeitsmarkt ist für die Klägerin auch nicht wegen der seit 2015 bestehenden Arbeitsunfähigkeit verschlossen. Ein Erwerbsfähiger, der – wie die Klägerin – eine Erwerbstätigkeit noch ausüben kann, ist grundsätzlich nicht allein schon deshalb erwerbsgemindert, weil er aufgrund einer Gesundheitsstörung häufiger arbeitsunfähig ist (vgl. BSG, Beschluss vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 107/12 B – juris, Rn. 15 m.w.N.). Die Fähigkeit, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes zu verrichten, entfällt erst ausnahmsweise dann, wenn feststeht, dass (vollständige) Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein "vernünftig und billigdenkender Arbeitgeber" zu stellen berechtigt ist. Davon ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedenfalls dann auszugehen, wenn der Versicherte eine Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (vgl. BSG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 21. Juli 1992 - 4 RA 13/91 – juris, Rn. 17). Denn die Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in aller Regel praktisch ausgeschlossen. Darüber hinaus kann ein häufiges, zeitlich nicht planbares Auftreten von Krankheitsfällen mit längerer (vollständiger) Arbeitsunfähigkeit eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung darstellen, die Zweifel aufkommen lässt, ob der Versicherte in einem Betrieb noch einsetzbar ist, und die deshalb die Benennung einer noch ausführbaren Verweisungstätigkeit erfordert (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, a.a.O., Rn. 16; Urteil vom 31. März 1993 - 13 RJ 65/91 – juris, Rn. 18, 23). Denn auch derart gehäufte Arbeitsunfähigkeitszeiten können ein erhebliches Hindernis für den Arbeitseinsatz darstellen und rechtlich den unüblichen Arbeitsbedingungen zugeordnet werden. Für die Beurteilung, inwieweit der Arbeitsmarkt durch Arbeitsunfähigkeitszeiten infolge eines Anfallsleidens im Einzelfall hinsichtlich einer Beschäftigung unter den "üblichen" Arbeitsbedingungen verschlossen ist, ist die Häufigkeit und Schwere der Anfälle sowie die Prognose entscheidend (BSG vom 12. Dezember 2016 - B 13 R 27/06 R – juris, Rn. 17).
Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin nicht als erwerbsgemindert einzustufen. Zunächst vermag der Senat bereits nicht festzustellen, dass die Klägerin aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen über einen längeren Zeitraum so häufig oder zeitlich ausgedehnt unter Beschwerden litt, dass Krankheitszeiten von außergewöhnlicher Länge oder arbeitsmarktunüblicher Häufung aufgetreten sind. Dem Entlassungsbericht des A-Gesundheitszentrums L vom 27. März 2017 ist zu entnehmen, dass seit dem 26. November 2015 bei vorhandenem Arbeitsplatzkonflikt Arbeitsunfähigkeit bestand. Wegen des bestehenden Arbeitsplatzkonfliktes wurde sie als arbeitsunfähig entlassen, da die Gefahr einer psychischen Dekompensation gesehen wurde. Dies entnimmt der Senat dem genannten Entlassungsbericht. Die Arbeitsunfähigkeit bezog sich danach auf die zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit als Mitarbeiterin im kommunalen Ordnungsdienst. Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsfähigkeit der Klägerin aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen unter Beachtung der ebenfalls dargelegten qualitativen Leistungseinschränkungen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht vorhanden ist, liegen nach der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren nicht vor. P hat insoweit auch darauf hingewiesen, dass die Therapieoptionen - auch in Bezug auf die Beschwerden im Bereich der linken Hand - bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Die Depression ist gegenwärtig nur als leicht anzusehen, sodass auch insoweit keine Anhaltspunkte für gehäufte Arbeitsunfähigkeitszeiten bestehen. Die im Berufungsverfahren als sachverständige Zeugen gehörten Ärzte der Klägerin haben zudem allesamt angegeben, keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt zu haben.
(7) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 - juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R - juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - juris, Rn. 19 f.; zuletzt BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 29). Bei der Beurteilung der Wegefähigkeit eines Versicherten sind darüber hinaus auch die ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Juli 2020 – L 5 R 2624/18 – juris, Rn. 42).
Zwar hat die Klägerin, die nach ihren eigenen Angaben über einen Führerschein und ein KFZ verfügt, im Laufe des Verfahrens u.a. Schwierigkeiten beim Gehen geltend gemacht. Über eine entsprechende Mobilitätseinschränkung wird in den vorliegenden medizinischen Unterlagen jedoch an keiner Stelle berichtet. Sowohl R1 als auch P haben übereinstimmend angegeben, dass die Klägerin in der Lage ist, mehrmals täglich Wegstrecken von 500 m innerhalb eines Zeitaufwandes von 20 Minuten zurückzulegen und auch öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Diese Einschätzung hält der Senat aufgrund der erhobenen Befunde für nachvollziehbar. Im Übrigen hat die Klägerin selbst angegeben, dass sie auch für kurze Strecken das Auto nutzt. Nachdem die Klägerin über ein eigenes Kraftfahrzeug verfügt, kann sie Arbeitsstellen auch ohne Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erreichen.
(8) Aus der Anerkennung eines GdB von 60 folgt ebenfalls nicht, dass die Klägerin erwerbsgemindert wäre. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 SB 5/01 B – juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87 – juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBL. I, S. 3234)) auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14. Januar 2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 geltenden Fassung, eingefügt durch Art. 1a Nr. 3 Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 7. Januar 2015 (BGBl. II, S. 15), die auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwiesen; vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 SB 5/01 B – juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87 – juris, Rn. 3; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Juni 2019 - L 4 R 3620/18 - juris, Rn. 44).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 928/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1101/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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