1. Die Gewährung von Opferentschädigung ist wegen Unbilligkeit ausgeschlossen, wenn die wesentliche Ursache für eine aggressive Reaktion vom Opfer selbst gesetzt worden ist. 2. Unter Geltung des OEG verbleibt es dabei, dass es für einen rechtswidrigen tätlichen Angriff einer physischen Einwirkung auf das Opfer bedarf, unabhängig davon, ob sich die Rechtslage unter dem SGB XIV ändert. 3. Dass § 13 Abs. 1 Nr 2. SGB XIV eine psychische Gewalttat als Schädigungstatbestand regelt, bedeutet nicht, dass eine behauptete Vernachlässigung in der Ehe allein entschädigungspflichtig wird. 4. Auch im SGB XIV müssen die Schädigungstatbestand wenigstens glaubhaft gemacht sein.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. März 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) aufgrund behaupteter psychischer Gewalt durch ihren Ex-Mann während der Ehe.
Sie ist 1961 in C geboren und hat dort von 1968 bis 1978 die Schule besucht, die sie mit der mittleren Reife abschloss. Nach einer Ausbildung zur Grundschullehrerin an der Fachhochschule war sie an einer Körperbehindertenschule tätig, zuletzt seit 1998 in D (vgl. Anamnese H, Gutachten im SB-Verfahren, Blatt 79 VerwAkte). Sie hat eine 1983 geborene Tochter. Bei ihr ist seit dem 18. September 2015 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt.
Am 16. Mai 2019 beantragte sie bei dem Regierungspräsidium S die Gewährung von Leistungen nach dem OEG, welches den Antrag an das Landratsamt B (LRA) weiterleitete. Sie machte geltend, dass im Januar 2017 die Situation zu Hause völlig eskaliert sei. Sie habe ihren Ehemann an diesem Tag wieder damit konfrontiert, dass er psychisch sehr krank sei. Daraufhin sei er immer aggressiver und wütender geworden, habe sie angeschrien, dass er gesund sei und habe sie mit böser scharfer Stimme beschimpft. Er sei auf sie losgegangen, sodass sie zwischen Schrank und Sessel im Vorraum des Schlafzimmers im Obergeschoß gefallen und zu Boden gestürzt sei. Sie habe sich wieder hochgerappelt, wie erstarrt dagestanden und nicht fassen können, was passiert sei. Er sei wieder auf sie losgegangen und habe sie wieder zu Boden geschmissen. Er habe dabei wie von Sinnen geschrien und sie beschuldigt. Als sie wieder auf die Füße gekommen sei, sei er wieder auf sie zugekommen und habe sie attackiert, dass sie in Richtung Badezimmer auf den Badboden gefallen sei. Sie habe nichts sagen, sich nicht wehren können und sei wie erstarrt gewesen. Sie habe sich wiederum hochgerappelt, sei die Treppe hinunter in den Keller gegangen. Dort sei sie zusammengebrochen und irgendwann habe ihre Tochter angerufen, die ihr gesagt habe, dass sie „den Mann“ anzeigen müsse.
Neben diesem schlimmsten körperlichen Angriff habe sie ein 20-jähriges Martyrium durch ihren Ehemann erlebt. Dieses sei gekennzeichnet gewesen durch Erniedrigungen, Abwertungen, Beschimpfungen, Aggressivität und Bestrafung. Seine ständigen Schuldzuweisungen hätten zunehmend ihre realistische Wahrnehmung und ihr Selbstbild zerstört. Seine Veränderung habe an dem Tag begonnen, als sie zu ihm gezogen sei. Aus einem charmanten, aufmerksamen Menschen sei ein gefühlskaltes Monster geworden. Lange habe er sein positives Bild noch aufrechterhalten, wenn sie draußen unter anderen Menschen gewesen seien. Zunehmend sei aber auch das soziale Umfeld von ihm irritiert worden. Zuhause sei er kalt und berechnend gewesen, habe Macht und Kontrolle ausgeübt. Er habe sie beherrscht, sie habe versucht, ihn zu retten und habe immer mehr das Gefühl verloren, was normal sei. Nach Aussage seines behandelnden Arztes habe er pathologische Ängste und Zwänge, sie halte ihn für einen Psychopathen und Soziopathen, der selber glaube, gesund und normal zu sein. Sie habe sich im Laufe der Jahre immer mehr zurückgezogen und sei regelrecht verstummt. Erst während der Klinikaufenthalte sei ihr Stück für Stück das Ausmaß der Katastrophe ihres Zustandes bewusst geworden. Sie sei seelisch abgestorben, es habe sich für sie wie ein jahrelanges seelisches Abschlachten angefühlt. In mühsamen und sehr schmerzvollen Monaten in der Klinik habe ein Begreifen ihrer selbst und ein Heilungsprozess eingesetzt, der bis heute andauere. Es sei ein Trauma mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert worden. Mittlerweile könne sie die Zusammenhänge der schweren psychischen Verletzungen wie die psychischen Symptome verstehen und erkennen. Dass sie so viele Jahre in dieser Beziehung verharrt sei, entsetze sie noch heute zutiefst. Der Angriff von Januar 2017 sei der Gipfel der erlebten Gewalt durch ihren Ehemann gewesen. Kurz darauf habe sie fluchtartig die Wohnung verlassen und sei seitdem nicht mehr dorthin zurückgekehrt.
Durch die massive Belastung und die jahrelange psychische Gewalt habe sie zunehmend Angst und Panikattacken sowie Konzentrationsschwierigkeiten gehabt, die sich im Beruf ausgewirkt hätten. Angst habe immer mehr ihr Leben bestimmt, 2013 habe sie ihre Funktion im Leitungsteam der Schule nicht mehr ausüben können, später habe sie nicht mehr als Klassenlehrerin arbeiten können. Seit 28. August 2017 sei sie krankgeschrieben.
Zur Akte gelangte der Entlassungsbericht der Aklinik S1 über die stationäre Behandlung vom 12. August bis 8. November 2018, in dem als Diagnose eine PTBS genannt wurde. Die Klägerin habe angegeben, dass sich in den letzten drei Wochen immer häufiger schreckliche Erinnerungsbilder im Zusammenhang mit erlebter emotionaler und körperlicher Gewalt durch ihren Ehemann aufgedrängt hätten. Die Intensität der Bilder habe stetig zugenommen und sei unerträglicher geworden. Die schrecklichen Bilder träten auch nachts auf, sie habe Angst, dass ihr Ehemann bei ihr auftauchen und sie bedrohen könnte. Sie glaube, dass ihr Leben nie mehr so werde, wie es einmal gewesen sei, verstehe selbst nicht, weshalb sie sich von ihrem zweiten Ehemann nicht früher getrennt habe.
Ein erster stationärer Aufenthalt in der Klinik habe von April bis Juni 2010 stattgefunden. Davor sei schon eine sechsmonatige ambulante Psychotherapie bei einer psychotherapeutisch tätigen Heilpraktikerin durchgeführt worden, die Gespräche hätten ihr gut getan, das Grundproblem sei aber nicht verstanden worden. Während der Behandlung 2010 habe sie ihre beruflichen Belastungen zum Thema gemacht, nicht aber ihr Hauptproblem, die seit 20 Jahren bestehende Ehe mit ihrem psychisch kranken Ehemann. In dieser Zeit habe sie seelische und zuletzt auch körperliche Gewalt erlebt. 2016 habe sie sich von ihrem Ehemann getrennt. Nachdem sei ihn mit seinen körperlichen Erkrankungen konfrontiert habe, sei er ausgerastet und auch körperlich übergriffig geworden. In diesem Zusammenhang hätten sich neben einem schweren depressiven Krankheitsbild auch Symptome im Sinne einer Reaktion auf eine schwere Belastung entwickelt. Vom 28. August bis 13. Dezember 2017 sei ein erneuter Aufenthalt in der Klinik erfolgt, die anschließende ambulante Psychotherapie sei nach fünf Sitzungen abgebrochen worden, weil die Therapeutin keine Kassenzulassung gehabt habe. Die Entlassung 2017 sei mit guter Prognose erfolgt, es sei ihr recht gut gegangen, sie habe drei Monate gearbeitet. Nach einem Termin beim Rechtsanwalt, der ihr entsprechende Fragen bezüglich ihres Ehemannes gestellt habe, habe sie begonnen alles aufzuschreiben. Hierbei hätten sich die vielen Mosaiksteine zu einem Bild zusammengefügt, das zu erfassen die Klägerin vorher nicht in der Lage gewesen sei. Im Folgenden sei es immer häufiger zum Wiedererleben erfahrener seelischer Gewalt in Kombination mit massiven Ängsten und Panikattacken gekommen, so dass sie überhaupt nicht zur Ruhe und zu sich habe finden können.
Die Diagnose einer PTBS sei anhand der erhobenen klinischen Kriterien gestellt worden. Seit der letzten Entlassung aus der stationären Behandlung seien keine ernsthaften körperlichen Erkrankungen aufgetreten. Bei der Klägerin habe sich nach vielen Jahren emotionaler Gewalt in ihrer zweiten Ehe erst zeitversetzt nach der Trennung ein schweres posttraumatisches Krankheitsbild entwickelt. Der therapeutische Fokus habe über weite Strecken auf Stabilisierung und emotionaler Entlastung gelegen. Die Klägerin sei in Ostdeutschland aufgewachsen, dort zur Leistungsschwimmerin ausgebildet worden und es gewohnt gewesen, über eigene Belastungsgrenzen und Bedürfnisse hinwegzugehen, was das masochistische Aushalten erlebter Gewalt in der Ehe verstehbar mache, ebenso wie der Umstand, dass sie wegen ihres zweiten Mannes ihr Leben im Osten hinter sich gelassen habe, um mit ihm gemeinsam in Westdeutschland zu leben. Durch erlebte Entwurzelung und Verlust der sozialen Identität habe das gemäß dem mütterlichen Modell vollzogene abhängig-duldende Verhalten sowie die masochistisch anmutende Leistungs- und Aushaltementalität auch identitätsstiftenden Charakter gehabt und die Klägerin in ihrer misslichen Situation gefangen gehalten. Erst mit der Verinnerlichung des geschaffenen Krankheitsverständnisses sei es der Klägerin möglich geworden, sich von Schuld- und Schamgefühlen sowie ihren Rettungsphantasien (den kranken Ehemann retten zu müssen) zu distanzieren, was auch sukzessive eine bessere Akzeptanz des Verlustes ermöglichte.
Im Entlassungsbericht über die stationäre Behandlung 2017 wurde dargelegt, dass der Wunsch der Klägerin, über die erlebte körperliche und emotionale Gewalt zu sprechen und diese schwierige Lebensphase rückblickend verstehen zu können, der therapeutischen Zielsetzung entsprochen habe, die zugrundeliegende Psychodynamik klärend und deutend zu bearbeiten und auch eine Trauerarbeit zu ermöglichen, eine zukunftsorientierte Veränderungsmotivation aufzubauen und letztendlich eine lebensgeschichtliche Integration der erlebten Belastungen zu erreichen. Bereits im Aufnahmegespräch habe die Klägerin benennen können, dass sie beim vorhergehenden Aufenthalt zu einer solchen intensiven Hinwendung an das Erlebte noch nicht bereit gewesen sei, dies beim zweiten stationären Aufenthalt aber für sinnvoll und notwendig erachte. In der Suche der Klägerin nach einer „Erklärung“ für ihr langes Verharren in der ehelichen Beziehung habe sie über lange Strecken der Behandlung die Beziehung zu den Eltern in idealisierend anmutender Weise beschrieben. Nach einem synkopalen Ereignis habe sie dann auch über die Angst des Kindes anlässlich der Gewaltszenen zwischen den Eltern gesprochen. Sie sei gelähmt gewesen, habe sich bei gelegentlichen Ausschlenkern des Vaters in ihre Richtung nicht wehren können und habe gespürt, dass wenn sie sich gegen den Vater wehren würde, sie die Mutter noch weiter gefährde. Ein unbewusstes dysfunktionales Muster sei ihr dadurch bewusst geworden, dass es ihr nicht gelungen sei, in der tanztherapeutischen Einzelbehandlung motorische Gesten des Sich-Wehrens auszuführen, sondern stattdessen eine heftige Erschöpfung verspürt habe. In den gebundenen affektmotorischen Äußerungen und in der Erschöpfung zeigten sich die abgewehrten Aggressionen.
Das LRA zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Stuttgart (StA – Az.: 22 Js 24432/17) bei. Danach erstattete die Klägerin am 30. Januar 2017 Strafanzeige gegen ihren Ehemann H1 und gab ab, dass sie im Rahmen von Streitigkeiten vom diesem dreimal umgestoßen worden und nach hinten gefallen sei. Durch die Stürze sei sie glücklicherweise nicht verletzt worden. Auf ein Platzverweisverfahren angesprochen habe die Klägerin dies abgelehnt, da sie ab dem nächsten Monat eine eigene Wohnung habe.
In ihrer Geschädigtenvernehmung gab sie an, dass sie seit 2. Februar 2008 mit ihrem Ehemann verheiratet sei. Es sei schon zu Beginn der Ehe zu psychischem Stress gekommen, dieser habe schon begonnen, als sie am 1. August 1998 zu ihm gezogen sei. Ihr Mann fühle sich ständig angegriffen, ein persönliches Gespräch mit ihm sei nie möglich gewesen, er habe immer aggressiv darauf reagiert. Im Juli 2016 sei eine gemeinsame Paartherapie begonnen worden. Hierbei seien bei ihrem Mann seine Ängste und Zwänge erst recht hochgekommen und er habe dann die Therapie abgebrochen. Seitdem wolle er sie loswerden. Sie habe nun auch bemerkt, dass sein Leben auf Lügen aufgebaut sei. Seine vorherige Partnerin habe ihr erzählt, dass ihr Mann übergriffig geworden sei und sie – die Partnerin – der Meinung gewesen sei, noch in der Nacht das Kind zu verlieren. Sie habe dabei nur die Worte Übergriffigkeit und Aggressivität in den Mund genommen, von Schlägen habe sie nicht gesprochen. Vor Weihnachten habe ihr Mann dann endgültig beschlossen, dass sie ausziehen solle. Er sei davor bei einem Anwalt gewesen und habe ihr ein Schreiben zustellen lassen. Ab dem 1. Februar habe sie dann eine neue Wohnung, die Adresse solle ihr Mann nicht erfahren.
Am 16. Januar 2017 seien sie beide zu Hause gewesen. Sie habe ihren Mann lediglich gefragt „Warum? Was ist passiert? Lass uns mal über dich sprechen“. Hierauf sei er dann aggressiv geworden und sei auf sie losgegangen. Er habe sie umgestoßen und sie sei rückwärts knapp neben dem Schrank auf den Fußboden gefallen. Sie sei dann wieder aufgestanden und weitere zweimal umgestoßen worden. Geschlagen worden sei sie nicht, sie sei glücklich gefallen und habe sich nicht verletzt. Ihr Mann sei Rentner und es sei immer wieder zu aggressiven Reaktionen durch ihn gekommen, allerdings lediglich verbal. Sie sei der Meinung, dass ihr Mann krank sei und sich einfach nicht helfen lasse.
Der Ehemann nahm mit anwaltlichem Schreiben dahingehend Stellung, dass die Klägerin den Sachverhalt falsch darstelle. Im Sommer 2017 (richtig wohl: 2016) habe er seiner Ehefrau mitgeteilt, dass er sich von ihr trennen wolle. Anfang Dezember 2016 habe er sie gebeten, dass sie sich eine eigene Wohnung suche und aus seinem Haus ausziehen möge. Um ein Getrenntleben in seinem Haus zu erreichen, habe er seine Frau gebeten, sie möge sein Schlafzimmer nur noch betreten, wenn sie an ihre dort aufbewahrte Kleider wolle. Im Übrigen überlasse er ihr die gesamte restliche Wohnfläche bis zu ihrem Auszug. Ergänzend sei zu erläutern, dass die Eheleute seit dem Bezug des Hauses, welches er von seinen Eltern zum Wohnen erhalten und zwischenzeitlich geerbt habe, sich dort getrennte Schlafzimmer eingerichtet hätten. Er habe also gewollt, dass die Klägerin sein Schlafzimmer als seinen Rückzugsraum akzeptiere, wenn er einfach mal seine Ruhe haben wolle. Das habe die Klägerin am 16. Januar 2017 nicht getan, sondern mit ihm diskutieren wollen. Das habe er nicht gewollt und sei in sein Schlafzimmer gegangen. Die Klägerin sei ihm dorthin gefolgt und habe das Zimmer auch auf seine Bitte hin nicht verlassen. Weil er nicht mit ihr habe diskutieren wollen, habe sie sich vor ihn gestellt und ihn mit ihrem Körper vor sich her getrieben, bis zu seinem Bett. Dort habe sie ihm mit ihrem Körper einen Stoß gegeben, dass er auf dem Bett zu sitzen gekommen sei. Die Klägerin sei aufgebaut mit ihrem Körper vor ihm stehen geblieben und habe sich trotz Aufforderung nicht aus dem Schlafzimmer entfernt.
Um sich gegen die weiteren verbalen Attacken der Klägerin zu wehren, weil sie sein Schlafzimmer nicht verlassen habe und so vor ihm stehen geblieben sei, dass er seine Position, in die sie ihn gezwungen habe, ohne Körperkontakt nicht hätte verlassen können, sei er nunmehr aufgestanden und habe die Klägerin vor sich her geschoben, um sie so aus seinem Schlafzimmer zu entfernen, dass sie freiwillig nicht habe verlassen wollen. Die Klägerin habe seine Lenkung zur Tür aber nicht angenommen, sondern sei in Richtung eines Sessels gegangen und beim Versuch, sich auf diesen fallen zu lassen, auf dem Boden zu sitzen gekommen. Erst darauf bzw. als sie gemerkt habe, dass sie mit ihren verbalen Attacken und ihrer körperlichen Anwesenheit keine Diskussion erreichen konnte, habe sie das Schlafzimmer verlassen. Er habe sich lediglich gegen die Nötigung durch seine Ehefrau gewehrt.
Die StA stellte das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten lasse sich nicht feststellen, wie sich der Vorfall am 16. Januar 2017 gegen 18.00 Uhr tatsächlich zugetragen habe. Es stehe letztlich Aussage gegen Aussage, ohne dass einer der Aussagen von vornherein ein höherer Beweiswert zukomme und ohne dass unbeteiligte Zeugen zur Verfügung stünden, die mit ihren Angaben ausreichenden Aufschluss über das tatsächliche Geschehen geben könnten. Andere objektive Beweismittel seien nicht vorhanden, für die Erhebung einer öffentlichen Klage sei unter diesen Umständen kein Raum. Etwaige zivilrechtliche Ansprüche blieben unberührt.
Mit Bescheid vom 26. Juni 2019 lehnte das LRA die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Die Prüfung des Antrages habe ergeben, dass objektive Beweismittel fehlten. Das Ermittlungsverfahren sei mit Verfügung der StA vom 28. März 2017 eingestellt worden, da sich aufgrund der sich widersprechenden Angaben nicht habe feststellen lassen, wie sich der Vorfall am 16. Januar 2017 tatsächlich zugetragen habe.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass sie jahreslanges Opfer extremer psychischer Gewalt durch ihren Ehemann sei. Die Gesamtdimension des erlittenen Leids könne erst nach der Trennung nach und nach aufgearbeitet werden. Sie befinde sich regelmäßig in psychotherapeutischer Betreuung und teilweise auch in stationärer Akutbehandlung. Die psychische Gewalt des Ehemannes habe die Qualität eines tätlichen Angriffs, da diese unmittelbar zu körperlichen Symptomen und Schmerzen geführt habe. Aus dem Abschlussbericht der Aklinik 2017 gehe hervor, dass die Ehe von einem masochistisch-duldenden Aushalten erlebter Gewalt bei gleichzeitiger Unfähigkeit sich davon zu lösen, gekennzeichnet gewesen sei.
Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2019 zurück. Eine Angriffshandlung sei nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen nicht erwiesen. Aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten lasse sich nicht feststellen, wie sie sich der Vorfall am 16. Januar 2017 tatsächlich zugetragen habe. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast gehe die fehlende Beweisbarkeit zu Lasten der Klägerin. Die im Erstantrag geschilderten Verhaltensweisen des Ehemanns erfüllten nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG. Sie stellten keinen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des OEG dar.
Am 21. Januar 2020 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und weitere medizinische Unterlagen vorgelegt. Die S2 hat ausgeführt, dass die Langzeitfolgen von jahrelangem Gewalterleben in der Ehebeziehung der Klägerin noch immer ein Teilnehmen und Abgrenzen in komplexen sozialen Beziehungsgeflechten erschwere. Sie brauche sehr viel Energie, um in ihrem Alltag eine fürsorgliche Haltung sich selbst gegenüber zu bewahren. Situationen mit vielen oder ihr unbekannten Menschen lösten bei ihr immer noch Angstzustände aus, die Fluchttendenzen zur Folge hätten. Die berufliche Wiedereingliederung ab Mai 2019 habe abgebrochen werden müssen, da sie die vielfältigen Herausforderungen im Berufsalltag einer sonderpädagogischen Fachkraft überfordert hätten. Wieder seien es die vielfältigen Kontakte gewesen, die der Berufsalltag mit sich brächte. Nach wie vor gebe es eine Vielzahl von Triggersituationen, die sie mit hohem Energieaufwand meistern müsse um stabil zu bleiben. Nachts erlebe sie noch Alpträume und zeitweise Schlafstörungen. Die beschriebene Symptomatik stünde im direkten Zusammenhang mit der erlebten Gewaltbeziehung.
Die K hat dargelegt, die Klägerin seit November 2018 ambulant zu behandeln. Aufgrund jahrelangen Gewalterlebens sei die Teilhabe am sozialen Miteinander deutlich erschwert. Situationen mit mehreren Menschen lösten immer noch Ängste aus. Der Alltagsradius sei eingeschränkt. Die berufliche Wiedereingliederung sei mehrfach abgebrochen worden. Der Berufsalltag einer sonderpädagogischen Fachkraft sei nicht mehr zu bewältigen. Es gebe immer eine Vielzahl von Triggersituationen, Albträume und Schlafstörungen bestünden weiterhin.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. März 2022 abgewiesen. Soweit die Klägerin geltend mache, durch jahrelange verbale Attacken, Erniedrigungen und Beleidigungen ihres Ehemannes, also durch psychische Gewalt, angegriffen worden zu sein, reiche dies nicht aus, um von einem tätlichen Angriff im Sinne des OEG auszugehen. Selbst wenn die Angaben der Klägerin als wahr unterstellt würden, könne in dem wiederholten Schubsen zwar ein tätlicher Angriff liegen, hierdurch habe sie aber nach ihrem eigenen Vorbringen keinen Schaden erlitten, sodass es an einem Erstschaden fehle.
Am 14. April 2022 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie sei jahrelang extremer psychischer Gewalt durch ihren Ehemann ausgesetzt gewesen, der sie jahrelang kontrolliert, tyrannisiert und bedroht habe. Auf dem Höhepunkt der psychischen Gewalt habe sie alle Zähne und ihre Haare verloren. Hierbei habe es um die Reaktion ihres Körpers auf die andauernde psychische Gewalt gehandelt. Sie habe es nach 20 Jahren geschafft, sich aus der Spirale schwerer psychischer, teilweise auch körperlicher Gewalt zu befreien und aus dem Haus ihres Ehemannes zu flüchten. Die Gesamtdimension des erlittenen Leids habe erst seit der Trennung nach und nach aufgearbeitet werden können. Ihr Ehemann habe keine Empathie besessen und sei in der Lage gewesen, sie so zu manipulieren und zu instrumentalisieren, dass sie sich selbst aufgegeben und keinen Willen oder Lebenswillen mehr gehabt habe. Ihr Ehemann sei zu sozialer Kompetenz nicht fähig. Der Hass, die Ablehnung und die völlig gestörte Selbstwahrnehmung, das irreale Bild von sich selbst und das Leugnen der Realität seien auf sie projiziert worden. Sie sei ein Werkzeug gewesen, die emotionale Frau, empathisch, mit Wertgefühl. Der Ehemann habe der Klägerin all ihre Gefühle genommen, es sei ein langsam schleichender, toxischer Prozess gewesen. Auf diese Art sei es dem Ehemann fast gelungen, sie zum Selbstmord zu bringen. Ihre Tochter habe das alles mit durchgestanden, sie habe miterlebt, wie schlecht es ihr gegangen sei und habe monatelange Angst gehabt, dass sie es nicht überlebe. Ihre Tochter sei jetzt auch am Rande ihrer Kräfte und gehe nächste Woche in eine psychosomatische Klinik. Vor dem Hintergrund der Reform des sozialen Entschädigungsrechts, in dem der Gewaltbegriff um Formen psychischer Gewalt ergänzt werde, erfahre ihr Leid eine ganz neue Bedeutung. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sie als Opfer schwerwiegender psychischer Gewalttaten, die Jahrzehnte angedauert hätten, nicht unter den Gewaltbegriff fallen solle.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. März 2022 sowie den Bescheid vom 26. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtengrundrente, nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 16. März 2022, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Gewährung von Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtengrundrente, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 16. Dezember 2019 abgewiesen worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei den vorliegenden Klagearten der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 R –, BSGE 104, 116 (124); Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 26. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie kann auch nach Überzeugung des Senats die Gewährung einer Beschädigtenversorgung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit <MdE> bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13 –, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).
Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R –, juris, Rz. 23 ff.).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R –, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 17).
Nach diesen Maßstäben ist schon nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin erwiesen, dass es bei dem Ereignis am 16. Januar 2017 zu keinem Gesundheitserstschaden gekommen ist, der einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung begründen könnte. Die Klägerin hat somit keine gesundheitliche Schädigung erlitten, sodass dieses Tatbestandsmerkmal des § 1 OEG nicht erfüllt ist und es auf den rechtswidrigen tätlichen Angriff nicht entscheidungserheblich ankommt. Die Berufung ist somit schon deshalb unbegründet.
Daneben ist aber auch ein rechtswidriger tätlicher Angriff nicht wenigstens glaubhaft gemacht. Von diesem Beweismaßstab hat der Senat vorliegend auszugehen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist nämlich auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31.5.1989 – 9 RVg 3/89 –, juris, Rz. 12). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. §§ 383 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 9 V 3/15 R –, juris, Rz. 30).
Dies zu Grunde gelegt, besteht nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit, dass sich die Ereignisse wie von der Klägerin geschildert zugetragen haben. Den Angaben des Ehemannes der Klägerin aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft, die im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. ZPO), entnimmt der Senat nämlich, dass dieser ausführlich und ohne Belastungstendenzen geschildert hat, dass es die Klägerin gewesen ist, die mit ihm diskutieren wollte und nicht zu akzeptieren bereit war, dass er keinen Wert auf ein Gespräch mit ihr gelegt hat. Dies hat die Klägerin in ihrer Geschädigtenvernehmung in gleicher Weise geschildert, indem sie angegeben hat, dass sie mit ihm über seine Krankheit habe reden wollen und er darauf aggressiv geworden sei. Die Schilderungen des Ehemannes, dass er die Klägerin Anfang Dezember 2016 gebeten hat, sich eine eigene Wohnung zu suchen und sie solange in seinem Haus weiter wohnen durfte, korrespondieren mit den Darlegungen der Klägerin in ihrer Geschädigtenvernehmung. Dort hat sie bekundet, dass der Ehemann nach einer wohl im Sommer 2016 gescheiterten Paartherapie beschlossen hatte, sich von ihr zu trennen und sie durch anwaltliches Schreiben hat auffordern lassen, sich eine eigene Wohnung zu suchen, was sie letztlich auch getan hat. Korrespondierend hierzu hat sie auf das von der Polizei angebotene Platzverweisverfahren verzichtet, nachdem sie ab dem 1. Februar 2017 eine eigene Wohnung hatte. Selbst unter Zugrundelegung des mildesten Beweismaßstabes besteht damit nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit, dass es sich um einen rechtswidrigen tätlichen Angriff des Ehemannes auf die Klägerin gehandelt hat und nicht – entsprechend seiner Einlassung – lediglich um eine Verteidigung gegen das Verhalten der Klägerin. Gegen einen rechtswidrigen Angriff des Ehemannes spricht im Übrigen auch, dass die Klägerin nicht unmittelbar polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen, sondern mit der Anzeige bis zum 30. Januar 2017 und damit gut zwei Wochen zugewartet hat. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Berufung ebenfalls unbegründet.
Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, unter jahrelanger psychischer Gewalt ihres Ehemannes gelitten zu haben, woraus sie Entschädigungsansprüche herzuleiten versucht, handelt es sich schon um keinen tätlichen Angriff und damit um keinen entschädigungspflichtigen Tatbestand im Sinne des OEG, wie das SG bereits ausführlich dargelegt hat. Eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person ohne physische Einwirkung reicht für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs nicht aus. Dies folgt schon aus der Gesetzgebungsgeschichte, die belegt, dass bewusst darauf verzichtet worden ist, auf das Strafrecht mit seinen vielfältigen und uneinheitlich weit gefassten Gewaltbegriffen zurückzugreifen. Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten Gewaltkriminalität in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen. Auch das Europäische Übereinkommen vom 24. November 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten gebietet keine erweiternde Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R –, juris, Rz.26 ff.). In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich hervorzuheben, dass die Klägerin gegenüber der Polizei bestätigt hat, dass es während der Ehe nur zu verbalen Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann gekommen ist. Es stellt somit angepasstes Vorbringen dar, wenn sie nunmehr glauben machen will, dass es während der Ehe zu körperlicher Gewalt gekommen sein soll, wofür es an objektiven Anhaltspunkten gänzlich mangelt.
Daneben kann sich der Senat aber auch nicht davon überzeugen, dass es sich bei den Schilderungen um erlebnisbasiertes Vorbringen, also um mehr als bloße Pseudoerinnerungen, handelt. Generell gilt, dass eher von einer – objektiv zutreffenden – Erinnerung auszugehen ist, wenn die Schilderungen über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während Geschehensabläufe, die sich nicht zugetragen haben, an die aber subjektiv ein Gedächtnisinhalt besteht, im Laufe der Zeit eher auszuufernd beschrieben werden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. August 2015 – L 4 VG 5/13 –, juris, Rz. 28; Senatsurteil vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 90; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 2012, § 1 OEG Rz. 49 m. w. N.; generell zur Konsistenz mit früheren Aussagen auch Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1101). Auf nicht bewusst Erlebtes deutet demgegenüber die ernsthafte Möglichkeit suggestiver Einflüsse hin, insbesondere bei intensiven Gesprächen, Befragungen und Nachforschungen durch andere Autoritätspersonen mit entsprechenden Voreinstellungen und Erwartungen (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. 2014, Rz. 324). Dabei besteht mitunter das Bedürfnis, die massiven psychischen und körperlichen Beschwerden, welche über die Jahre hinweg aufgetreten sind, erklären zu können (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, a. a. O., Rz. 28; Senatsurteil vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 44f.).
Die ernsthafte Möglichkeit suggestiver Einflüsse wird aus den Entlassungsberichten der A-Klinik hinreichend deutlich. Der Entlassungsbericht 2018 beschreibt nämlich, dass die Klägerin erst nach einem Hinweis des Anwalts angefangen hat alles aufzuschreiben, wobei sich aus den Mosaiksteinen ein Bild zusammengefügt haben soll. Der Bericht aus 2017 weist explizit darauf hin, dass es der therapeutischen Zielsetzung entsprochen hat, die zugrundeliegende Psychodynamik klärend und deutend zu bearbeiten. Weiter wird beschrieben, dass die Klägerin in der Suche nach einer Erklärung für ihr langes Verharren in der ehelichen Beziehung die Beziehung zu den Eltern idealisierend dargestellt hat, dann aber auch über die Angst des Kindes vor den Gewaltszenen zwischen den Eltern gesprochen hat, woraus sodann Rückschlüsse auf ihr vermeintliche Verhalten in der Ehe gezogen worden sind. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem Vorbringen der Klägerin selbst, wenn sie geltend macht, dass die Gesamtdimension des erlittenen Leids erst nach der Trennung nach und nach hat aufgearbeitet werden können. Dabei ist den Behandlungsberichten zu entnehmen, dass die Angaben zu den tatsächlichen Abläufen offensichtlich unkritisch von der Klägerin übernommen und diese nicht hinreichend hinterfragt worden sind. Wie oben dargelegt, lässt sich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte entnehmen, dass sich der Ehemann nach einer gescheiterten Paartherapie von der Klägerin getrennt und diese – anwaltlich – zum Auszug aufgefordert hat. Hiermit lässt es sich nicht vereinbaren, wenn die Klägerin nunmehr glauben machen will, dass sie sich von ihrem Mann getrennt habe und aus dem gemeinsamen Haus quasi geflüchtet sei. Tatsächlich hat sich diese – ihren eigenen Angaben gegenüber der Polizei zufolge – auf die Aufforderung des Ehemannes eine eigene Wohnung gesucht und dann bezogen. Ebenso wenig vermag es zu überzeugen, wenn in den Behandlungsberichten nunmehr körperliche Übergriffe während der Ehe zugrundegelegt und bewertet werden, obwohl die Klägerin selbst angegeben hat, dass es nur zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrem Ehemann gekommen ist. Weshalb die Klägerin unter Ängsten leiden will, dass ihr Ex-Mann versuchen könnte sie aufzusuchen, erschließt sich vor dem Hintergrund, dass der Ehemann die Beziehung beendet hat und insbesondere keine Aussprache mit ihr wollte, ebenfalls nicht.
Darüber hinaus spricht einiges dafür, dass ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung wegen des Vorfalls vom 16. Januar 2017 und der behaupteten psychischen Gewalt jedenfalls gemäß § 2 Abs. 1 OEG ausgeschlossen ist.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung entweder selbst verursacht hat (1. Alternative) oder wenn es aus sonstigen, insbesondere aus in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (2. Alternative). Als Sonderfall der Unbilligkeit (2. Alternative) ist die 1. Alternative der Vorschrift – Mitverursachung – stets zuerst zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 18. April 2001 – B 9 VG 3/00 R – BSGE 88, 96; vgl. zum Verhältnis der beiden Alternativen insbesondere BSG, Urteile vom 6. Dezember 1989 – 9 RVg 2/89 – BSGE 66, 115 und vom 25. März 1999 – B 9 VG 1/98 R – BSGE 84, 54).
Eine Mitverursachung in diesem Sinne kann nur angenommen werden, wenn das Verhalten des Opfers nach der auch im Opferentschädigungsrecht anwendbaren versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm nicht nur einen nicht hinweg zu denkenden Teil der Ursachenkette, sondern eine wesentliche Bedingung neben dem Beitrag des rechtswidrig handelnden Angreifers darstellt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 – B 9 VG 6/97 R –, BSGE 83, 62). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der entschädigungsrechtliche Kausalitätsmaßstab nicht mit dem der gesetzlichen Unfallversicherung identisch ist. Während dort nur ein gegenüber den betrieblichen Gefahren deutlich überwiegendes selbstgeschaffenes Risiko den Versicherungsschutz ausschließt, führt auf dem Gebiet des OEG bereits eine etwa gleichwertige Mitverursachung zur Versagung der Entschädigung (vgl. BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 – 9 RVg 2/89 – BSGE 66, 115).
Ein Leistungsausschluss ist unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung vor allem dann gerechtfertigt, wenn das Opfer in der konkreten Situation in ähnlich schwerer Weise wie der Täter gegen die Rechtsordnung verstoßen hat (vgl. BSG, Urteile vom 25. März 1999 – B 9 VG 1/98 R –, BSGE 84, 54 und vom 15. August 1996 – 9 RVg 6/94 –, BSGE 79, 87). Sie kann aber auch dann vorliegen, wenn das Opfer zwar keinen Straftatbestand erfüllt hat, sich aber leichtfertig durch eine unmittelbare, mit dem eigentlichen Tatgeschehen insbesondere zeitlich eng zusammenhängende Förderung der Tat, z. B. eine Provokation des Täters, der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und dadurch selbst gefährdet hat. Gleiches gilt, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, obwohl es ihm zumutbar und möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 5/95 –, BSGE 77, 18; vom 15. August 1996 – 9 RVg 6/94 –, BSGE 79, 87 und vom 21. Oktober 1998 – B 9 VG 6/97 R –, BSGE 83, 62).
Ein Hauptzweck des § 2 Abs. 1 Alternative 1 OEG ist es gerade, diejenigen von der Versorgung auszuschließen, die sich selbst bewusst oder leichtfertig in hohem Maße gefährden und dadurch einen Schaden erleiden. Wer bewusst oder leichtfertig ein hohes Risiko eingeht, hat die Folgen selbst zu tragen; das Opferentschädigungsrecht schützt ihn dann nicht. Das BSG hat im Opferentschädigungsrecht die bewusste oder leichtfertige Selbstgefährdung in Fällen einer hohen Gefahr immer als Leistungsausschlussgrund beurteilt. Die bewusste Selbstgefährdung hat das BSG nur dann nicht dem Opfer angelastet, wenn für sie ein beachtlicher Grund vorlag, so dass die Selbstgefährdung nicht missbilligt werden konnte. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich das Opfer nach der besonderen Fallgestaltung für andere eingesetzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.10.1995 – 9 RVg 5/95 –, juris, Rz. 16). Eine leichtfertige Selbstgefährdung in diesem Sinne setzt nach der Rechtsprechung des BSG einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit voraus, der etwa der groben Fahrlässigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechtes entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 18.04.2001 – B 9 VG 3/00 –, juris, Rz. 18). Es gilt jedoch im Gegensatz zum bürgerlichen Recht nicht der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 267 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern ein individueller Maßstab, der auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abstellt (vgl. BSG, a. a. O.). Voraussetzung ist, dass das Opfer in hohem Maße vernunftswidrig gehandelt und es in grobfährlässiger Weise unterlassen hat, einer höchstwahrscheinlich zu erwartenden Gefahr auszuweichen (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998 – B 9 VG 4/97 –, juris, Rz. 15). Zu prüfen ist danach, ob sich das Opfer auch hätte anders verhalten können oder müssen und ob es sich der erkannten oder grob fahrlässig nicht erkannten Gefahr nicht entzogen hat, obwohl dies ihm zumutbar gewesen wäre. Dafür ist die gesamte tatnahe Situation, wie sie sich nach natürlicher Betrachtungsweise darstellt, zu würdigen (vgl. BSG, Urteil vom 18.04.2001 – B 9 VG 3/00 –, juris, Rz. 18; Senatsurteil vom 21. März 2013 – L 6 VG 4354/12 –, juris, Rz. 38).
Ein annähernd gleichwertiger Verursachungsbeitrag des Opfers ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine Straftat von der Rechtsordnung stärker missbilligt wird, als eine Selbstgefährdung des Opfers dieser Straftat (vgl. Senatsurteil vom 29. April 2014 – L 6 VG 4545/13 –, juris, Rz. 30).
Nach diesen Maßstäben ergibt sich hinsichtlich des Ereignisses vom 16. Januar 2017 aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin, dieses zu Grunde gelegt, deutlich, dass sie die wesentliche Ursache für die aggressive Reaktion des Ehemanns dadurch selbst gesetzt hat, dass sie ihn zu einem Gespräch über seine vermeintliche psychische Krankheit anhalten wollte, worauf dieser aggressiv geworden sein soll. Wenn der Klägerin indessen bewusst gewesen ist, dass ihr Ehemann – nach ihrem Vorstellungsbild – psychisch krank ist und er – wie ihr aus dem anwaltlichen Schreiben bekannt war – bereits beschlossen hatte, sich von ihr zu trennen und sie zum Auszug aufgefordert hatte, musste die Klägerin mit einer solchen Reaktion rechnen und es gab vor diesem Hintergrund keinen sachlichen Grund überhaupt ein Gespräch über die vermeintliche Erkrankung des Ehemannes zu initiieren. Abgesehen davon wäre die Klägerin jedenfalls gehalten gewesen, sich der Situation sofort zu entziehen, als sie merkte, dass der Ehemann aggressiv auf ihr Ansinnen reagiert. Das Verhalten der Klägerin hat somit jedenfalls eine Selbstgefährdung dargestellt, die eine Entschädigung unbillig erscheinen lässt.
Im Übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass eine Opferentschädigung wegen „Unbilligkeit“ zu versagen ist, wenn die Besonderheiten des Einzelfalles nach dem Normzweck eine staatliche Hilfe nach dem OEG als sinnwidrig und damit als ungerechtfertigt erscheinen lassen. Dies kann dann der Fall sein, wenn das Opfer in einer Lebensgemeinschaft verbleibt, die mit einer dauernden Gefahrenlage verbunden ist, in der stets mit einer schweren Misshandlung gerechnet werden muss, da die Gefährdung vermeidbar gewesen ist (vgl. BSG, Urteil vom 3. Oktober 1984 – 9a RVg 6/83 – juris Rz. 13 ff.). Auch diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin – ausgehend von ihrem jetzigen Vorbringen – erfüllt, wobei insbesondere in Rechnung zu stellen ist, dass sie nunmehr behauptet, die Wesensänderung ihres Ehemanns habe bereits nach ihrem Einzug bei ihm 1998 begonnen, sie aber gegenüber der Polizei angegeben hat, ihn erst am 2. Februar 2008 geheiratet zu haben. Der Verbleib bei dem Ehemann und die Heirat nach mindestens 10-jährigem Zusammenleben lässt sich auch nicht dadurch erklären, dass die Klägerin ihrem Ehemann, den sie für psychisch krank hielt, habe helfen wollen.
Soweit die Klägerin meint, Entschädigungsansprüche schon deshalb beanspruchen zu können, weil psychische Gewalt nach der Reform des Opferentschädigungsrechts nunmehr ausreiche, folgt der Senat dem nicht. Zwar trifft es zu, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 SGB Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch (XIV) in der am 1. Januar 2024 in Kraft tretenden Fassung ein sonstiges, vorsätzliches, rechtswidriges unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichtetes schwerwiegendes Verhalten (psychische Gewalttat) als Schädigungstatbestand aufgenommen hat. Allerdings wird dies durch § 13 Abs. 2 SGB IX schon dadurch eingeschränkt, dass ein Verhalten im Sinne von Absatz 1 Nr. 2 als in der Regel dann schwerwiegend bezeichnet wird, wenn es den Tatbestand des Menschenhandels (§§ 223 bis 233a des Strafgesetzbuches), der Nachstellung (§ 238 Absatz 2 und 3 des Strafgesetzbuches), der Geiselnahme (§ 239a des Strafgesetzbuches) oder der räuberischen Erpressung (§ 255 des Strafgesetzbuches) erfüllt oder mindestens von vergleichbarer Schwere ist. Die Gesetzesbegründung weist hierzu ausdrücklich darauf hin, dass zwar nunmehr auch solche Personen einbezogen würden, die durch eine psychische Gewalttat eine gesundheitliche Schädigung erlitten hätten, aber nicht jegliches unerlaubte Verhalten als physische Gewalttat eingestuft werden könne, da der Tatbestand dann uferlos werde. Erfasst werden soll vielmehr nur ein schwerwiegendes Verhalten, das durch Beispiele näher konkretisiert wird. Zwar ist die Aufzählung nicht abschließend, hierdurch soll der Praxis aber nur die Möglichkeit gegeben werden, in Fällen von mindestens vergleichbarer Schwere, Betroffene als Opfer von Gewalttaten anzuerkennen (vgl. BT-Drs 19/13824 S. 176).
Daraus folgt, dass lediglich behauptete und in keiner Weise konkretisierte psychische Gewalt während der Ehe auch nach neuem Recht keinen Entschädigungsanspruch auszulösen geeignet ist. Abgesehen davon, dass Schilderungen, die nicht über bloße Pseudoerinnerungen hinausgehen (vgl. oben), schon den entscheidungserheblichen Tatbestand als solchen nicht belegen, muss weiterhin eine rechtswidrige Handlung vorliegen.
Eine behauptete Vernachlässigung in der Ehe allein stellt indessen keine schon keine rechtswidrige Handlung dar und ist nicht entschädigungsrelevant. Dies wird schon daran deutlich, dass eine nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 SGB XIV gleichgestellte erhebliche Vernachlässigung von Kindern, insbesondere eine psychische Vernachlässigung, nur relevant ist, wenn sie als dauerhaftes, ausgeprägtes Fehlverhalten der Sorgeberechtigten in Erscheinung tritt. Die Vernachlässigung muss also als erheblich und als eindeutig falsches Erziehungsverhalten zu werten sein (vgl. BT-Drs 19/13824 S. 176 f.). Die Vernachlässigung eines Ehepartners begründet damit keinen Entschädigungsanspruch, da dieser keinem einem Kind vergleichbaren Bedarf an Pflege und Erziehung hat, sondern vielmehr für sich selbst verantwortlich ist.
Unabhängig davon, dass die Vorschriften des SGB XIV noch nicht in Kraft getreten sind und deshalb gegenwärtig keine Entschädigungsansprüche auslösen können, stünden einem Anspruch auch die Vorschriften der §§ 137, 138 SGB XIV zum besonderen zeitlichen Geltungsbereich entgegen.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.