L 8 AY 73/22 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AY 106/22 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 73/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG setzt ein vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten voraus.
2. Der Leistungsberechtigten muss die Leistungseinschränkung durch eigenes zumutbares Tun abwenden können; insbesondere muss die Rückkehr in den nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat - hier Bulgarien - zumutbar sein.
3. Die Rechtsfolge des § 1a Abs. 1 Satz 2 und 3 AsylbLG bedarf der verfassungskonformen Auslegung.

 

 

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 7. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B, B Straße, B beigeordnet.


G r ü n d e :

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit ab Juli 2022, insbesondere wendet er sich gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG.

Der 1990 geborene Antragsteller, nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2021 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Er wurde einer Aufnahmeeinrichtung in A zugewiesen. Auf seinen Antrag hin bewilligte der Antragsgegner für die Zeit ab 17.12.2021 Leistungen nach dem AsylbLG. Zuletzt mit Bescheid vom 04.01.2022 wurden für die Zeit vom 01.01.2022 bis zum 31.12.2022 Grundleistungen in Höhe von monatlich 122 € bewilligt. Der Bedarf für Ernährung, Unterkunft und Heizung, Wohnungsinstandhaltung, Haushaltsenergie, Kleidung, Körperpflege- und Hygieneartikel sowie WLAN wurde durch Sachleistungen gedeckt. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 20.04.2022 als unzulässig ab, weil Bulgarien gemäß der Verordnung 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) für das Asylverfahren zuständig sei. Die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien wurde angeordnet. Dies teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken dem Antragsgegner mit E-Mail vom 26.04.2022 mit. Gegen die Ablehnung hat der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg erhoben (W 1 K 22.50136). Einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat der Antragsteller nicht gestellt.

Mit Schreiben vom 09.06.2022 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Einschränkung der Leistungen an. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der Asylantrag sei als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet worden. Ihm stünden daher bis zur Ausreise lediglich eingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG zu. Die Anhörung enthielt den Hinweis, dass die Leistungseinschränkung durch freiwillige Ausreise abgewendet werden könne, sofern dies mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Eine Äußerung des Antragstellers erfolgte nicht.

Der Antragsgegner stellte mit Bescheid vom 22.06.2022 fest, dass der Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 nach § 1a Abs. 7 AsylbLG eingeschränkt sei. Der Leistungsantrag nach § 3 AsylbLG wurde für die Zeit vom 01.07.2022 bis 31.12.2022 abgelehnt. Dem Antragsteller wurden für diesen Zeitraum Sachleistungen nach § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG bewilligt. Der Bedarf an Ernährung, Bekleidung, Unterkunft und Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege werde in der Ankereinrichtung sichergestellt. Der Bescheid verliere bei Auszug aus der Ankereinrichtung aufgrund einer behördlichen Entscheidung und/oder Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus automatisch seine Gültigkeit, ohne dass es eines besonderen Einstellungsbescheides bedürfe. Aufgrund des als unzulässig abgelehnten Asylantrags erfülle der Antragsteller die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG für eine Anspruchseinschränkung.

Dagegen legte der Antragsteller am 29.06.2022 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass eine Anspruchseinschränkung aus verfassungsrechtlichen Gründen nur zulässig sei, wenn ihm ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Er habe sich aber weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Insbesondere stelle die Einreise nach Deutschland über Bulgarien kein pflichtwidriges Verhalten dar.

Mit einem weiteren Schriftsatz vom 29.06.2022 - beim Sozialgericht Würzburg (SG) eingegangen am 01.07.2022 - hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2022 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 vorläufig Grundleistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Die Regelung über die Anspruchseinschränkung sei evident verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Die den Anspruch begründende Menschenwürde stehe allen zu und gehe selbst durch ein vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstrecke sich sowohl auf die Sicherung der physischen Existenz als auch die Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. § 1a AsylbLG in seiner aktuellen Fassung enthalte eine generalisierende Einschränkung in Bezug auf soziokulturelle Bedarfe, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar sei. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert habe. Zwar könne eine aktive Mitwirkung an der Überwindung von Hilfebedürftigkeit verlangt werden. Jedoch dürfe eine Leistungsminderung nicht darauf gerichtet sein, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern nur darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt würden, die dazu dienten, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Migrationspolitische Erwägungen könnten von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards rechtfertigen. Die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG. Mit der Regelung sollten schon keine asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten durchgesetzt werden. Es gehe dem Gesetzgeber offenkundig allein um die repressive Sanktionierung eines Verhaltens der Betroffenen im Einzelfall, das abschreckende Wirkung auf andere entfalten und die Betroffenen zur freiwilligen Ausreise drängen solle. Dies diene jedoch nicht dem Ziel, Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Den Betroffenen müsse es tatsächlich möglich sein, die Minderung staatlicher Leistungen durch ein eigenes, zumutbares Verhalten abzuwenden. Zudem fehlten Erkenntnisse zur Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit des Konzepts der Anspruchseinschränkungen. Diese seien nicht geeignet, dass das sanktionierte Verhalten unterlassen oder eine Mitwirkung nachgeholt werde. Ferner seien die starre Sanktionsdauer von sechs Monaten und die Beschränkung der Leistungen auf solche zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege verfassungswidrig. Die Leistungshöhe betrage ca. 50% der Grundleistungen und nur 40% der Analogleistungen. Darüber hinaus lägen im Fall des Antragstellers die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG nicht vor. Eine Anspruchseinschränkung sei nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Nur dann habe es der Betroffene selbst in der Hand, die Sanktionierung durch pflichtgemäßes Verhalten zu beenden. Der Antragsteller habe sich jedoch weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben, noch verweile er hier pflichtwidrig. Unklar sei, ob der Antragsteller in Bulgarien überhaupt Asyl beantragt habe. Ein pflichtwidriges Verhalten scheide bereits deshalb aus, weil dem Antragsteller nicht mitgeteilt worden sei, dass er in Deutschland kein Asyl beantragen dürfe. Jedenfalls aber sei eine Belehrung über die Rechtsfolge, dass er während des Verfahrens in Deutschland nur eingeschränkte Sozialleistungen erhalte, nicht erfolgt. Eine Überstellung nach Bulgarien dürfe nicht durchgeführt werden, weil für den Antragsteller die ernsthafte Gefahr bestehe, dass er dort seine elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Leistungen verstoße es gegen das Gleichheitsgebot, wenn Leistungsberechtigte in Gemeinschaftsunterkünften Grundleistungen nur nach Bedarfsstufe 2 erhielten. Eine Differenzierung sei nur möglich, sofern der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen signifikant von dem anderer Bedürftiger abweiche und dies in einem transparenten Verfahren belegt werden könne. Der Gesetzgeber habe aber keine Ermittlungen zum spezifischen Bedarf angestellt. Der Bedarf weiche auch nicht signifikant ab. Als Grund für die Leistungsreduzierung werde eine "Solidarisierung in der Gemeinschaftsunterbringung" behauptet. Dass diese Herleitung verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genüge, sei offensichtlich. Personen, die gemeinsam untergebracht seien, profitierten nicht von Einspareffekten. Leistungen i.H.v. nur 90% seien evident unzureichend.

Der Antragsgegner hat erwidert, der Antragsteller erfülle die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG. Der Asylantrag des Antragstellers sei durch Bescheid des BAMF vom 20.04.2022 als unzulässig abgelehnt worden, da Bulgarien für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Das vom Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eingeschlossene soziokulturelle Minimum, das die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasse, könne anders als das physische Minimum im Rahmen des § 1a Abs. 1 AsylbLG in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auch dem Umfang nach beschränkt werden. Das Existenzminimum werde im Fall des Antragstellers in Form von Sachleistungen in der Ankereinrichtung Unterfranken erbracht.

Das SG hat mit Beschluss vom 07.07.2022 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 29.06.2022 gegen den Bescheid vom 22.06.2022 sei nicht anzuordnen, weil auf der Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstandes keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner festgestellten Anspruchseinschränkung bestünden. Es bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen; eine teleologische Reduktion des § 1a Abs. 7 AsylbLG aus verfassungsrechtlichen Gründen sei nicht geboten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine nur eingeschränkte Leistungsgewährung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG seien zweifellos erfüllt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung von Grundleistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 statt der vom Antragsgegner zugrunde gelegten Regelbedarfsstufe 2 verpflichtet werden solle, sei bereits unzulässig. Insoweit fehle dem Antrag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil sich der Antragsteller vor der Antragstellung bei Gericht nicht rechtzeitig mit seinem Begehren an den Antragsgegner gewandt habe. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung bestehe in der Regel nur, wenn der Antragsteller zuvor sein Begehren an den zuständigen Verwaltungsträger herangetragen und die normale Bearbeitungszeit abgewartet habe. Der Antragsteller erhalte seit dem 17.12.2021 nur Grundleistungen entsprechend der Bedarfsstufe 2, ohne dass er gegen die betreffenden Bewilligungsbescheide Widerspruch eingelegt hätte. Der Antragsgegner habe somit vor Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Gelegenheit gehabt, sich inhaltlich mit diesem Begehren des Antragstellers auseinanderzusetzen. Ergänzend stehe dem geltend gemachten Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG im vorliegenden Fall auch der Umstand entgegen, dass der Antragsgegner in sofort vollziehbarer Weise eine Einschränkung des Leistungsanspruchs des Antragstellers nach § 1a Abs. 7 AsylbLG festgestellt habe. Als Rechtsfolge sehe § 1a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich vor, dass die betreffenden Leistungsberechtigten keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG hätten.

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Zur Begründung wird im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt.

Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.07.2022 abzuändern, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.06.2022 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 01.07.2022 bis 31.12.2022 vorläufig Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsauffassung fest und verweist auf den Beschluss des SG.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) ist statthaft. Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller insbesondere die Gewährung von Geldleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG entsprechend der Bedarfsstufe 1, mithin monatlich 135 €, weiter. Ausgehend vom Begehren des Antragstellers, in diesem Umfang höhere Geldleistungen für die Zeit von 01.07.2022 bis 31.12.2022 zu erhalten, wird damit der Beschwerdewert von 750 € überschritten (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Begehren des Antragstellers, für die Zeit ab Juli 2022 höhere Leistungen nach dem AsylbLG in Form von Geldleistungen nach § 3, § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG in Höhe der Bedarfsstufe 1 ohne Anspruchskürzung zu erhalten. Da es sich hinsichtlich der Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt, unabhängig davon, auf welche Rechtgrundlage das Begehren nach weiteren Leistungen gestützt wird, ist - jedenfalls regelmäßig im Wege der Auslegung nach dem Meistbegünstigungsprinzip - die Leistungshöhe unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. BSG vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R und vom 26.06.2013 - B 7 AY 6/11 R; Urteil des Senats vom 29.04.2021 - L 8 AY 122/20 - alle nach juris).

Sein Rechtsschutzziel kann der Antragsteller nicht allein mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.06.2022 gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erreichen. Soweit er über die ihm mit Bescheid vom 04.01.2022 vom 01.01.2022 bis zum 31.12.2022 bewilligten Leistungen hinaus im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von (höheren) Leistungen entsprechend der Bedarfsstufe 1 begehrt, strebt er eine Erweiterung seiner Rechtsposition an, so dass daneben eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlich ist. Insoweit hat das SG jedoch zutreffend festgestellt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig ist. Es fehlt an einer vorherigen Befassung der Behörde und damit am Rechtsschutzbedürfnis (Beschlüsse des Senats vom 27.10.2020 - L 8 AY 105/20 B ER - juris Rn. 31 und vom 11.04.2022 - L 8 AY 34/22 B ER - juris Rn. 25; LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2019 - L 7 AS 1916/19 ER-B - juris Rn. 6 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 26b). Vorliegend hat der Antragsteller unmittelbar gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen, ohne zuvor gegenüber dem Antragsgegner in irgendeiner Weise kundgetan zu haben, dass er mit der Höhe der bewilligten Leistungen nicht einverstanden sei. Umstände, die ausnahmsweise eine vorherige Befassung der Behörde als entbehrlich erscheinen lassen (vgl. Keller, aaO., § 86b Rn. 26b), sind vorliegend nicht ersichtlich.

Im Übrigen ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zwar zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Klage gegen einen Bescheid über die Feststellung der Einschränkung der Leistungsberechtigung nach § 1a AsylbLG haben gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung. Wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, kann der Antragsteller auf diese Weise für den streitigen Zeitraum aus der Leistungsbewilligung vom 04.01.2022 einen Anspruch auf die dort bewilligten Grundleistungen (entsprechend der Bedarfsstufe 2) herleiten.

Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts und erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Da § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG keine Vorgaben dafür enthält, wann die sofortige Vollziehung bzw. die aufschiebende Wirkung anzuordnen sind, sind grundsätzlich das Vollzugsinteresse einerseits und das Suspensivinteresse andererseits gegeneinander abzuwägen. Die Abwägung orientiert sich wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung und der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG) zentral an den Erfolgsaussichten der Hauptsache, da an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse besteht, umgekehrt aber bei einem rechtmäßigen Verwaltungsakt kein Suspensivinteresse des Adressaten. Die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache gewährleistet auch, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - etwa aufgrund einer bloßen Folgenabwägung - keine Rechtspositionen eingeräumt werden, die im Hauptsachverfahren erkennbar nicht zugesprochen werden können. Lediglich in den Fällen, in denen - insbesondere weil der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden kann - der Ausgang des Hauptsachverfahrens offen ist, erfolgt eine Interessenabwägung im engeren Sinne. Bei dieser ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in den Fällen des § 11 Abs. 4 AsylbLG zum Ausdruck gebracht hat, dass im Regelfall das Interesse an einem Sofortvollzug der Leistungseinschränkung gegenüber dem Interesse des Leistungsberechtigten, dass eine Sanktion erst nach rechtskräftiger Feststellung eines Pflichtverstoßes eintreten soll, höher zu bewerten ist.

Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind summarisch zu prüfen. Eine Beweisaufnahme wird regelmäßig nicht durchgeführt, vielmehr genügt eine Glaubhaftmachung der entscheidungserheblichen Tatsachen. Rechtsfragen sind dagegen vollständig und abschließend zu klären wobei die im Eilverfahren gewonnene Rechtsauffassung des Gerichts unter dem Vorbehalt neuer, weiterentwickelter Rechtskenntnisse im Hauptsacheverfahren steht.

Dies zugrunde gelegt, hat das SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.06.2022 zu Recht abgelehnt. Der Antragsgegner stützt die Aufhebung seines Bewilligungsbescheids vom 04.01.2022 auf § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche wesentliche Änderung ist vorliegend durch die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig durch Bescheid des BAMF vom 20.04.2022 eingetreten. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung verwirklicht der Antragsteller den Tatbestand für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG.

Nach § 1a Abs. 7 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 5 AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 des Asylgesetzes (AsylG) als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG angeordnet wurde, nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist. Dies gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat (§ 1a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG). Vorliegend ist der Antragsteller nach der Ablehnung seines Asylantrags vollziehbar ausreisepflichtig und gehört daher gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG zu dem von § 1a Abs. 7 AsylbLG erfassten Personenkreis. Sein Asylantrag wurde nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt, weil Bulgarien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin III-Verordnung für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist. Zugleich wurde seine Abschiebung nach Bulgarien angeordnet. Einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht nicht gestellt.

Seinem Wortlaut nach wird eine Leistungskürzung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG allein aus dem Grund vorgenommen, dass der Leistungsberechtigte einem europäischen Asylregime unterworfen ist; über das Verweilen im Bundesgebiet hinaus ist kein weiteres pflichtwidriges Verhalten erforderlich (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 19/20984, S. 8). Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG knüpft weder an eine durch bestimmte äußere Umstände geänderte Bedarfslage noch an ein ausländerrechtlich missbilligtes Verhalten, sondern an die Rechtsfolge einer ausländer- bzw. asylrechtlichen Entscheidung an.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats gebieten jedoch das Grundrecht auf die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen der verglichen mit anderen existenzsichernden Leistungssystemen deutlich reduzierten Leistungen des AsylbLG eine restriktive Auslegung aller Tatbestände des § 1a AsylbLG. Nach dem Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) können migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell höheres Leistungsniveau zu vermeiden, von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren (vgl. BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 95). Soweit § 1a Abs. 7 AsylbLG, jedenfalls dem Wortlaut nach, eine Anspruchseinschränkung ohne Anknüpfung an ein Fehlverhalten vorsieht, widerspricht dies dem bisherigen Sanktionssystem sowohl im AsylbLG als auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) und der Sozialhilfe (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII), wonach die Kürzung von Leistungen stets ein bestimmtes, vorwerfbares Verhalten oder Unterlassen des Leistungsberechtigten zur Voraussetzung hat. Dann hat es der Leistungsberechtigte selbst in der Hand, eine Leistungskürzung zu vermeiden bzw. zu beenden (vgl. zu § 1a Abs. 4 AsylbLG: Beschluss des Senats vom 17.09.2018 - L 8 AY 13/18 B ER - juris Rn. 27). Mit Blick hierauf fordert der Senat für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG - im Wege der normerhaltenden, teleologischen Reduktion -, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist (Beschlüsse des Senats vom 11.04.2022 - L 8 AY 34/22 B ER, vom 15.03.2022 - L 8 AY 7/22 B ER und vom 18.01.2022 - L 8 AY 103/21 B ER - alle nach juris).

Als solches pflichtwidriges Verhalten kann es ausreichen, dass der Antragsteller trotz Kenntnis von der Zuständigkeit Bulgariens für die Durchführung seines Asylverfahrens und trotz vollziehbarer Ausreisepflicht nicht freiwillig dorthin ausreist. Vorliegend wurde der Antragsteller vom Antragsgegner im Anhörungsschreiben vom 09.06.2022 darauf hingewiesen, dass er die Leistungseinschränkung durch freiwillige Ausreise abwenden kann. Nach der gebotenen, summarischen Prüfung geht der Senat davon aus, dass dieser Hinweis gerade noch ausreicht, um dem Antragsteller hinreichende Kenntnis davon zu verschaffen, dass von ihm eine Ausreise nach Bulgarien zur dortigen Durchführung des Asylverfahrens erwartet wird. Gleichzeitig wurde ihm damit vom Antragsgegner ein Weg aufgezeigt, wie er die beabsichtigte Einschränkung der Leistungen durch eigenes Tun abwenden kann. Damit ist die Leistungseinschränkung auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zu rechtfertigen, da sie an ein ausländerrechtlich gebotenes, zumutbares Verhalten anknüpft, welches die leistungsberechtigte Person jederzeit erfüllen kann. Art. 1 und 20 GG gebieten keine bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen. Der Antragsteller ist in der Lage, sein Verhalten jederzeit zu ändern, selbst wenn dies bedingt, dass er ausreisen muss.

Der Senat geht vorliegend unter Bezugnahme auf die Feststellungen des BAMF im Bescheid vom 20.04.2022 davon aus, dass dem Antragsteller eine Rückkehr nach Bulgarien zur Durchführung des Asylverfahrens zumutbar ist. Es ist nicht erkennbar, dass dem Antragsteller nach seiner Rückkehr die erhebliche Gefahr droht, dass er seine elementarsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen könnte. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Die Vermutung ist nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris). Von diesen Voraussetzungen ist angesichts der (ober)gerichtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte für Bulgarien nicht auszugehen (vgl. zuletzt OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.02.2022 - 11 A 1625/21.A - juris).

Allerdings bedarf die Rechtsfolge des § 1a Abs. 7 AsylbLG, die sich nach der Neufassung nunmehr einheitlich aus § 1a Abs. 1 AsylbLG ergibt, der verfassungskonformen Auslegung. Gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG erbringt der Antragsgegner nur noch Leistungen zur Gewährleistung des physischen Existenzminimums; nur im Ausnahmefall sind weitere Leistungen des notwenigen Bedarfs vorgesehen (§ 1a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 12.05.2021 ausgeführt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums neben dem physischen auch das soziokulturelle Existenzminimum umfasst (BVerfG vom 12.05.2021 - 1 BvR 2682/17 - juris Rn. 17). Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (BVerfG vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - juris Rn. 75; BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 94). Eine Anwendung des § 1a Abs. 1 Satz 2 und 3 AsylbLG, die als Regelfall eine Unterdeckung des Existenzminimums insbesondere im Bereich der sozialen Teilhabe bewirkt, begegnet daher verfassungsrechtlichen Bedenken. Jedoch ist die Härtefallregelung des § 1a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG wegen der dem Wortlaut nach bedarfsbezogenen Rechtsfolge dahingehend einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, dass ergänzend die weiteren in §§ 3, 3a und 6 AsylbLG vorgesehenen Leistungen zu gewähren sind, allerdings nicht pauschaliert, sondern nur dann, wenn dies nach der Bedarfssituation des Antragstellers geboten ist. Die dortige Einzelfallregelung zur Berücksichtigung besonderer Umstände muss jeden Bedarfsfall des § 3 Abs. 1 AsylbLG und nicht nur des § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfassen (Hessisches LSG vom 26.02.2020 - L 4 AY 14/19 B ER - juris Rn. 38 ff.). Zur bis zum 28.02.2015 geltenden Fassung des § 1a Nr. 2 AsylbLG, die eine Gewährung von "im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen" Leistungen vorsah, hat das BVerfG festgestellt, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn der gesamte existenzsichernde Bedarf weiterhin zu decken ist, aber nun von der bedarfsorientierten Prüfung im Einzelfall abhängig gemacht wird (BVerfG vom 12.05.2021 - 1 BvR 2682/17 - juris Rn. 22). Die Sanktion besteht mithin darin, dass der Antragsteller von dem pauschalierten Leistungsmodell der §§ 3, 3a AsylbLG auf die Anmeldung des individuellen Bedarfs insbesondere im Bereich der soziokulturellen Existenz verwiesen wird und im Falle der fehlenden Darlegung des Bedarfes auch nicht von der Pauschalierung profitieren kann (Beschluss des Senats vom 11.05.2022 - L 8 AY 27/22 B ER - juris Rn. 31).

Eine entsprechende Bedarfssituation ist vom Antragsteller vorliegend nicht dargelegt worden und ist auch sonst nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist dabei, dass trotz der Anspruchseinschränkung Teile des soziokulturellen Existenzminimums, beispielsweise Bekleidung, Hausrat und WLAN, weiterhin als Sachleistungen in der Ankereinrichtung erbracht werden.

Der Widerspruch des Antragstellers in der Hauptsache hat daher voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Damit überwiegt in der Abwägung das Interesse des Antragsgegners an der Vollziehung des Bescheids vom 22.06.2022.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.

Dem Antragsteller ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen und sein Bevollmächtigter beizuordnen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden, so dass es ausreichend ist, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - SozR 3-1500 § 62 Nr. 19). Eine solche gewisse Erfolgsaussicht war der Beschwerde des Antragstellers nicht von vornherein abzusprechen, so dass Prozesskostenhilfe auch für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen war.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
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