Die Feststellung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ist nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch den Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu bestimmen.
Zu vergleichen sind die unfallbedingten Gesundheitsverhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung der Verwaltung mit denen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts.
Eine ablehnende Entscheidung der Verwaltung kommt grundsätzlich als Ausgangspunkt für den Vergleich nicht in Betracht, da diese keine Dauerwirkung enthält.
Ein ablehnender Verwaltungsakt kann aber auch einzelne Feststellungen enthalten, die über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugen. Dann muss die Auslegung indes ergeben, dass die Beklagte eine sie bindende Regelung mit Wirkung über den Ablehnungsbescheid hinaus erzeugen wollte.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 2. November 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1976 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und eine höhere Rente.
Der inzwischen berentete Kläger war als Vorarbeiter in einem Sägewerk beschäftigt, als ihm am 26. August 2013 eine Palette mit Holz auf seinen Oberkörper fiel, die von einem Gabelstapler gerutscht war. Hierbei zog er sich multiple Frakturen an der Brustwirbelsäule (BWS), eine Fraktur der Wirbel Th11, Th12, eine Schädelprellung sowie eine Wunde am Ohr zu. Die Frakturen der Wirbelsäule (inkomplette obere Berstungsfraktur Brustwirbelkörper (BWK)-12, Deckplatten-Impressionsfraktur BWK-9 bis BWK-11) wurden operativ versorgt. Es erfolgte eine dorsale Spondylodese Th-11 bis L1 und eine ventrale Spondylodese Th-11/Th-12. Am 21. Juni 2014 erfolgte die Metallentfernung der dorsalen Spondylodese.
Die Beklagte gewährte dem Kläger u. a. Leistungen zur Heilbehandlung sowie Verletztengeld. Der Kläger war nach vorhergehender Belastungserprobung ab dem 25. August 2014 (zunächst) wieder arbeitsfähig.
Die Ärzte für Chirurgie/Unfallchirurgie/Orthopädie des Med. Zentrums D. (Dr. E., Dr. F.) stellten in dem „Ersten Rentengutachten“ vom 12. September 2014 fest, wesentliche Unfallfolgen seien die Narbenbildung am Rücken, in der linken Flanke und am linken Beckenkamm, die deutliche Bewegungseinschränkung der BWS und Lendenwirbelsäule (LWS) sowie die radiologisch beschriebenen Veränderungen nach knöchern verheilter Brustwirbelkörper(BWK)12-Berstungsfraktur mit Fixation des Fragmentes BWK-11/BWK-12, nach Beckenkamminterponat des Bandscheibenraumes BWK-11/BWK-12 und die radiologisch beschriebene verstärkte Brustkyphose von 30° oberhalb des Segmentes Th-11/Th-12. Sie erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule Seitneigen 30/0/30°, Rotation 70/0/70°, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule Seitneigen 10/0/10°, Rotation 10/0/10°, Ott 30/30, Schober 10/11, Finger-Boden-Abstand (FBA) 30 cm. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewerteten die Ärzte mit 20 v. H.
Der unfallchirurgische Beratungsarzt der Beklagten G., führte unter dem 28. Oktober 2014 aus, es liege eine erheblich eingeschränkte Seitneigungs- und Rotationsbeweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule vor. Die Entfaltungsmöglichkeit der Brustwirbelsäule sei nahezu aufgehoben und die Entfaltungsmöglichkeit der Lendenwirbelsäule ebenfalls deutlich herabgesetzt. Es verbleibe ein statisch wirksamer Achsknick von 30°. Unter Berücksichtigung der Rente als vorläufige Entschädigung sei eine MdE in Höhe von 30 v. H. gerechtfertigt.
Mit Bescheid vom 14. November 2014 stellte die Beklagte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE in Höhe von 30 von Hundert ab dem 23. August 2014 fest. Folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen seien auf den Arbeitsunfall vom 26. August 2013 zurückzuführen und bei der Bewertung der MdE zu berücksichtigen:
„Eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach operativer Versteifung des elften und zwölften Brustwirbelkörpers infolge eines Deckplattenkompressionsbruches mit Zerstörung der Bandscheibe am zwölften Brustwirbelkörper und unter Keilwirbelbildung knöchern verheilten Brüchen des neunten, zehnten und elften Brustwirbelkörpers, eine verstärkte Brustkyphose von 30° oberhalb des Segmentes 11./12. BWK, reizlose Operationsnarben; ohne Folgen ausgeheilte Schädelprellung“.
In einem für die Rente auf unbestimmte Zeit von der Beklagten eingeholten „Zweiten Rentengutachten“ vom 24. April 2016 stellten die Ärzte Prof. Dr. H., Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Klinikums Fulda, und Dr. J., Oberarzt der betreffenden Klinik, fest, bei dem Kläger stehe die ausgeprägte Schmerzsymptomatik im Vordergrund. Klinisch sei eine eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule (LWS) festzustellen. Radiologisch hätten sich mäßiggradige degenerative Veränderungen im LWS-Bereich gezeigt und im Bereich der BWS ein reizlos einliegendes Plattenimplantat ohne Lockerungszeichen (Th11-Th12) bei entferntem Schrauben-Stab-System (Th11-L1). BWK-9 und BWK-10 hätten eine konsolidierte Deckplattenimpression ohne relevante Höhenminderung oder Deformität aufgewiesen. Die Ärzte erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule Seitneigen 30/0/30°, Rotation 80/0/80°, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule Seitneigen 15/0/15°, Rotation 20/0/20°, Ott 30/30, Schober 10/12, FBA 44 cm. Die Funktionsstörungen bewerteten sie mit einer MdE in Höhe von 20 v. H.
Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. und Anhörung des Klägers gewährte die Beklagte diesem mit Bescheid vom 5. August 2016 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. ab dem 1. September 2016. In der MdE seien als Folgen des Unfalls vom 26. August 2013 berücksichtigt:
Belastungsbeschwerden und eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach operativer Verblockung des elften und zwölften Brustwirbelkörpers nach instabilem Deckplattenkompressionsbruch mit Zerstörung der Bandscheibe des zwölften Brustwirbelkörpers sowie knöchern verheilten Deckplattenbrüchen des neunten bis zwölften Brustwirbelkörpers, eine verstärkte Brustkyphose im Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule; ohne Folgen ausgeheilte Schädelprellung.
Seinen dagegen erhobenen Widerspruch vom 29. August 2016 begründete der Kläger mit unfallbedingten Schmerzen und einer eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit, die eine höhere MdE als die zuerkannten 20 v. H. rechtfertigten.
Eine von der Beklagten veranlasste neuro-traumatologische Untersuchung des Klägers mit neurologisch-psychiatrischer Konsiliaruntersuchung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main (BGU) ergab unfallunabhängig den Verdacht auf eine endogene Depression (Befundbericht von Prof. Dr. L. und Dr. M. vom 29. Januar 2017). Der Kläger habe über zunehmende Mutlosigkeit, Zukunftsangst und Stressintoleranz geklagt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Änderung der Verhältnisse sei für die Festlegung der Rente auf unbestimmte Zeit nicht notwendig. Es handele sich vielmehr um eine neue Einschätzung der MdE. Die noch bestehenden Unfallfolgen rechtfertigten nur noch eine MdE in Höhe von 20 v. H. Die üblichen Beschwerden und belastungsabhängige, dem Schadensbild entsprechende Schmerzen seien in diesem MdE-Satz enthalten.
Auf Grund der Wiedererkrankung des Klägers mit wiederholter bzw. (später) durchgehender Arbeitsunfähigkeit ließ die Beklagte „zur Abgrenzung unfallunabhängiger Befunde und zur Abklärung Schmerztherapie und Psyche“ stationäre Heilverfahrenskontrollen im BG Klinikum Bergmannstrost durchführen. Die Ärzte der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums (Prof. Dr. Dr. N., Dr. O., P.) stellten in ihrem Bericht vom 17. August 2017 fest, die Beschwerden des Klägers bezüglich des Bandscheibenvorfalles L4/5 mit einer anschließenden Schmerzausstrahlung in das Bein seien als unfallunabhängig zu beurteilen, denn es gebe keinen Nachweis einer Spinalkanalstenose oder Neuroforamenstenose und eine regelrechte Darstellung der autochthonen (= ohne äußere Einwirkung entstandenen) Rückenmuskulatur. Die Ärzte des Schmerzzentrums des Klinikums (PD Dr. Q., Dr. R., S.) führten in ihrem Bericht vom 21. September 2017 aus, die Schmerzen seien auch nach Durchführung einer zweimonatigen Schmerztherapie nach den Angaben des Klägers auf hohem Niveau. Der leitende Psychologe des Klinikums, Dr. Phil. Dipl.-Psych. T., stellte in seinem psychischen Befundbericht vom 18. Juni 2017 fest, auf psychischer Ebene dominiere ein massiver Rollenverlust. Er diagnostizierte zum Untersuchungszeitpunkt eine „schwergradige Anpassungsstörung im Übergang zur reaktiven depressiven Episode“ und empfahl eine Kurzzeitpsychotherapie. Diese Therapie wurde in der Folgezeit zu Lasten der Beklagten durchgeführt. Der behandelnde Psychotherapeut U. diagnostizierte in seinem Erstbericht vom 11. August 2017 (wie auch in seinem Folgebericht vom 22. Januar 2018) eine schwierige Reaktion auf schwere Belastung, eine mittelgradige depressive Episode und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
Zur weiteren Abklärung holte die Beklagte sodann ein psychiatrisches und ein orthopädisch/fachchirurgisches Gutachten ein. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie V. führte unter dem 14. Oktober 2017 aus, weder für ein depressives Syndrom noch für eine Anpassungsstörung seien die diagnostischen Kriterien erfüllt. Der Kläger weise nur gewisse Züge einer Dysthymie auf, indes ohne Krankheitswert. Durch die Schmerzen sei keine Persönlichkeitsänderung eingetreten, auch eine somatoforme Schmerzstörung liege nicht vor. Die Entwicklung der Schmerzstörung, wie sie aus der Schilderung und Aktenlage hervorgehe, erscheine typisch und regelhaft. Sie erfordere keine Erklärung durch spezielle psychogene Faktoren. Der Kläger sei aktuell fokussiert auf die Verursachung seines Arbeitsunfalls durch Fremdverschulden, die ungerechte Behandlung durch den Arbeitgeber und die Selbstwahrnehmung, in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Das Ergebnis der laufenden Psychotherapie sei abzuwarten.
Dres. E. und F., Orthopädisches Zentrum am D., kamen in ihren fachchirurgischen Stellungnahmen vom 6. Mai 2017, 5. Dezember 2017 und 6. Februar 2018 zu dem Ergebnis, hinsichtlich des chronischen Schmerzsyndroms seien die Schmerzen im Bereich der BWS führend; die Beschwerden der LWS bei durch CT vom 8. Mai 2017 festgestellter Bandscheibenprotrusion mit Ausstrahlung in das linke Bein hätten sich erst später eingestellt und seien unfallunabhängig. Die Sachverständigen erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule Seitneigen 20/0/20°, Rotation 60/0/45°, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule Seitneigen 15/0/15°, Rotation 10/0/10°, Ott 30/30, Schober 10/11, FBA 54 cm. Die MdE für die verbliebenen Funktionsstörungen der Wirbelsäule würde wie im „Ersten Rentengutachten“ mit 30 v. H. eingeschätzt; das chronische Schmerzsyndrom sei zusätzlich zu bewerten.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. stellte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 12. März 2018 fest, eine unfallreaktive MdE liege nervenärztlicherseits nicht vor. Die zurzeit im Vordergrund stehende Symptomatik gründe sich in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Es sei nicht von einer eigenständigen Schmerzkrankheit auszugehen. Anlässlich der erlittenen körperlichen Frakturen seien Schmerzen als normales Begleitsymptom der Berstungsfraktur zu erwarten; es handele sich um die üblichen Schmerzen. Zudem bestehe ein schädigungsunabhängiger orthopädischer Verschleiß. Die aktuellen Lebensbelastungen, insbesondere das beeinträchtigte Selbstwertgefühl, unterhielten die Schmerzen psychischerseits.
Der unfallchirurgische Beratungsarzt G. führte unter dem 1. April 2018 aus, für die bei dem Kläger vorliegende knöcherne monosegmentale Fusion im Segment Th-11/-12 in Kombination mit stabil ausgeheilten Deckplattenfrakturen der BWK 9-11 sei unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte eine MdE in Höhe von 20 v. H. zuzuerkennen. Eine MdE in Höhe von 30 v. H. läge erst dann vor, wenn beispielsweise muskulär nicht kompensierbare Instabilitäten und/oder schwerwiegende neurologische/urologische Unfallfolgen vorliegen würden. In der Schnittbilddiagnostik hätten eine Spinalkanalstenose, Foramenstenose sowie eine Instabiliät oder Lockerung im Bereich der unteren BWS ausgeschlossen werden können; dieser Befund und der neurologische Befund von Dr. X. vom 30. Mai 2017 sowie der Verlauf sprächen gegen den Zusammenhang des neuropathischen Schmerzes mit dem Ereignis vom 26. August 2013; der chronifizierte muskuloskelettale Schmerz mit neuropathischer Komponente gehöre daher nicht zu den Unfallfolgen.
Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 stellte die Beklagte die Zahlung des Verletztengeldes mit Ablauf des 17. Juni 2018 ein. Die Arbeitsfähigkeit würde in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Maschinenführer nicht mehr eintreten.
Mit Bescheid vom 17. Mai 2018 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente nach einer höheren MdE als 20 v. H. ab. Die Verhältnisse hätten sich nicht wesentlich geändert. Es sei allenfalls von einer leichtgradigen Anpassungsstörung ohne Relevanz für die Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugehen. Grundlage der jetzt noch bestehenden depressiven Verstimmung seien im Wesentlichen unfallunabhängige Belastungsfaktoren, da eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten sei. Eine MdE auf psychiatrischem Gebiet bestehe nicht. Ein Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und statisch wirksamem Achsenknick bedinge eine MdE in Höhe von 10 bis 20 v. H. Unter Berücksichtigung der Funktionseinbußen und der Schmerzsymptomatik liege eine MdE in Höhe von 20 v. H. vor. Die Bandscheibenvorwölbung in dem Segment L4/5 mit Kompression von Bandscheibengewebe auf die Nervenwurzel inklusive neuropathischer Schmerzkomponente und Schmerzausstrahlung in das linke Bein, die mittelgradige depressive Episode, das Schulter-Schmerzsyndrom und das Sulcus-ulnaris-Syndrom links seien nicht unfallbedingt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2019 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Er habe ständig Schmerzen im Narbenbereich, die sich in die Arme, Hände und Beine „verteilen“ und zu Schlaflosigkeit führen würden.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von den Ärzten der Klinik für Orthopädie des St. Georg Klinikums Eisenach (Chefarzt G., Leitender Oberarzt Dr. Y., Oberarzt Dipl.-Med. Z.) vom 18. März 2019 ein. Die Ärzte führten in dem Gutachten aus, bei gleichzeitigem Vorliegen der knöchern ausgeheilten BWK 9 bis 11 – Deckplattenfrakturen und insgesamt daraus resultierender Bewegungseinschränkung der unteren Brustwirbelsäule könne trotz fehlender Instabilität einer MdE in Höhe von 20 v. H. zugestimmt werden. Eine Änderung der maßgeblichen früheren Vergleichsbefunde sei nicht eingetreten.
Mit Bescheid vom 24. April 2019 lehnte die Beklagte eine Rentenerhöhung ab. Es liege weiterhin eine MdE in Höhe von 20 v. H. vor. Die dem Bescheid vom 5. August 2016 zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich nicht wesentlich geändert. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2019 zurück.
Der Kläger hat am 14. August 2019 beim Sozialgericht Fulda Klage erhoben. Er macht geltend, nach Auffassung der Ärzte des St. Georg Klinikums in Eisenach sei die Ausbildung eines chronischen Schmerzsyndroms nach einer doch relativ komplexen Wirbelsäulenverletzung durchaus möglich. Diese Erkrankung des Klägers sei bei der MdE zusätzlich zu berücksichtigen.
Das Sozialgericht hat Berichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt, die medizinischen Unterlagen des Rentenversicherungsträgers und das Vorerkrankungsverzeichnis beigezogen und Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen und eines orthopädischen Gutachtens.
Dr. AA. hat in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 19. Juni 2020 festgestellt, bei dem Kläger, der sich zum Untersuchungszeitpunkt weder in ambulanter psychiatrischer noch psychotherapeutischer Behandlung befunden habe („gar keine Therapie“), lägen chronische depressive Verstimmungen in Form einer Dysthymia vor. Die Dysthymia stelle keine unfallreaktive psychische Erkrankung dar. Sie beruhe bei dem Kläger auf mehreren lebensgeschichtlichen sozialen Faktoren (Migrationsproblematik, Tod des Bruders, finanzielle und soziale Situation, Verbitterung über das Verhalten des Arbeitgebers nach dem Unfall 2013), die nicht oder nicht mehr auf den Unfall zurückzuführen seien. Eine Diskussion von Zusammenhangsfragen erübrige sich auch deshalb, weil ein seelischer Erstschaden hier nicht nachgewiesen sei; der Kläger habe erstmals im Januar 2017 über seelische Beschwerden geklagt. Unabhängig davon spreche die Progredienz der Beschwerden gegen einen Zusammenhang der psychischen Symptomatik mit dem Unfall; denn üblicherweise verliere eine unfallbedingte psychische Symptomatik im weiteren Verlauf an Intensität. Mittelbare seelische Störungen auf Grund der physischen Beeinträchtigung durch das Wirbelsäulenleiden könnten nicht angenommen werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger das Ausmaß der körperlichen Beeinträchtigung erst drei Jahre nach dem Unfallereignis deutlich geworden sei. Ebenso ließe sich die von dem behandelnden Psychotherapeuten U. diagnostizierte chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vier Jahre nach dem Unfall nicht nachvollziehen; abgesehen davon fehle auch ein Anhalt für eine relevante Somatisierung. Die üblichen seelischen Begleiterscheinungen seien bei der MdE für die orthopädischen Unfallfolgen bereits berücksichtigt. Nach dem neurologischen Untersuchungsbefund lägen keine signifikanten Ausfälle vor. Es hätten Hinweise auf eine Aggravation bzw. Simulation hinsichtlich der Motorik vorgelegen. Die bei dem Unfall erlittene Schädelprellung, d. h. ein Schädeltrauma ohne Bewusstseinsverlust und ohne neurologische Ausfälle, sei ausgeheilt.
Der Sachverständige Dr. BB. hat in seinem Gutachten vom 23. Juni 2020 auf fachorthopädisch-unfallchirurgisch-sozialmedizinischem Gebiet festgestellt, bei dem Kläger bestehe radiologisch eine konsolidierte ehemalige BWK-12 Fraktur. Die Deckplattenimpressionsfraktur des 9. bis 11. Brustwirbelkörpers sei ohne statische Beeinträchtigungen ausgeheilt. Bei der klinischen Untersuchung bestehe eine mittelgradige Funktionseinschränkung der Brust- und Lendenwirbelsäule, als Bewegungsausmaße seien zu erheben: Halswirbelsäule Seitneigen 40/0/40°, Rotation 60/0/60°, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule Seitneigen 30/0/30°, FBA 32 cm, Ott 30/31, Schober 10/13. Nach den Einschätzungsempfehlungen für die gesetzliche Unfallversicherung in der Literatur seien die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule infolge des Unfalles weiterhin mit einer MdE in Höhe von 20 v. H. zu bewerten.
Mit Urteil vom 2. November 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine höhere Rente. Nach den nachvollziehbaren Gutachten der Sachverständigen Dr. BB. und Dr. AA. hätten sich weder die festgestellten Unfallfolgen verschlimmert noch ließen sich weitere Unfallfolgen feststellen. Insbesondere komme nicht die von dem Kläger geltend gemachte somatoforme Schmerzstörung als weitere Unfallfolge in Betracht. Dr. AA. habe mit schlüssigen Argumenten schon das Vorliegen einer gesonderten seelischen oder psychiatrischen Erkrankung und zudem einen Kausalzusammenhang zwischen solchen Erkrankungen mit dem Unfallereignis verneint. Gegen das Vorliegen einer eigenständigen Schmerzerkrankung spreche auch, dass der Kläger Schmerzmittel der Stufe 1 einnehme und eine multimodale Schmerztherapie nicht absolviert werde. Bei den Schmerzen des Klägers handele es sich um die üblichen Schmerzen nach derartigen Frakturen, die in der MdE für den orthopädischen Bereich mitberücksichtigt seien. Für die unfallbedingten Funktionsstörungen durch den Bruch der Brustwirbelkörper sei nach wie vor eine MdE in Höhe von 20 v. H. angemessen. Dies ergebe sich aus den erhobenen Bewegungsausmaßen der Sachverständigen. Die ehemaligen Frakturen seien bis auf einen leichten Achsenknick knöchern stabil verheilt, was einer Keilwirbelbildung von unter 10 Grad entspreche. Relevanz für eine (höhere) MdE hätte erst ein Neigungswinkel von mehr als 25 Grad. Auch eine relevante Höhenminderung in den angrenzenden Segmenten bestehe nach Auswertung der Aktenlage nicht, so dass sich auch damit keine höhere Bewertung der MdE begründen lasse.
Gegen das ihm am 20. November 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. November 2020 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Er macht weiterhin geltend, das chronische Schmerzsyndrom sei als weitere Unfallfolge anzuerkennen und ihm Rente nach einer MdE in Höhe von mindestens 30 v. H. zu gewähren. Seine Beschwerden hätten sich im Laufe der Zeit verschlimmert, er habe ständige Schmerzen im Bereich der BWS, aber auch in den angrenzenden Wirbelsäulenbereichen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 2. November 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2019 zu verurteilen, ein chronisches Schmerzsyndrom als weitere Unfallfolge festzustellen und ihm höhere Rente nach einer MdE von mindestens 30 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat auf Antrag des Klägers Beweis erhoben durch Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens auf dem Gebiet der Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie von Dr. CC. vom 19. November 2021 mit einem neuropsychologischem Zusatzgutachten der Diplompsychologin DD. vom 30. August 2021. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Gutachten in der Gerichtsakte (Band II) Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte (Band I und II), auf die medizinischen Unterlagen aus der Akte der DRV Hessen und auf die Verwaltungsakte verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.
Entscheidungsgründe
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten und das ihn bestätigende erstinstanzliche Urteil sind zu Recht ergangen. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines chronischen Schmerzsyndroms als weitere Unfallfolge noch auf Gewährung einer höheren Rente. Die bei ihm vorliegenden bzw. von der Beklagten anerkannten Unfallfolgen sind weiterhin mit einer MdE in Höhe von 20 v. H. zu bewerten.
Der auf Feststellung einer Unfallfolge nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG gerichtete Klageantrag ist dabei neben der auf (höhere) Leistung gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig (BSG, Urteil vom 28. Juni 1984 – 2 RU 64/83 – juris; Keller in: Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 55 Rnrn. 13, 19b).
Rechtsgrundlage für die von dem Kläger geltend gemachte Neufeststellung wegen Verschlimmerung ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialdatenschutz und Verwaltungsverfahren – SGB X i. V. m. § 73 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII.
Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft und unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für die Vergangenheit aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Unfallversicherungsrecht wird durch § 73 Abs. 3 SGB VII konkretisiert, in welchen Fällen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bei der Bewertung der MdE vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v. H. beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muss die Veränderung der MdE zudem länger als drei Monate andauern.
Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen stellt dabei jede Änderung des für die getroffene Regelung maßgeblichen Sachverhaltes dar, wobei in der gesetzlichen Unfallversicherung insoweit vor allem Änderungen des Gesundheitszustandes des Versicherten relevant sind (BSG, Urt. vom 13. Februar 2013 – B 2 U 25/11 R – juris). Die Frage, ob eine solche Änderung vorliegt, ist durch den Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu bestimmen. Bei einer wie vorliegend geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes sind die unfallbedingten Gesundheitsverhältnisse im Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung der Verwaltung zu vergleichen mit den entsprechenden Gesundheitsverhältnissen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts (BSG, Urt. vom 8. Dezember 2021 – B 2 U 10/20 R – juris m. w. N. aus der höchstrichterlichen Rspr.).
Zu vergleichen sind somit die Erkenntnisse aus den in diesem Verfahren eingeholten Gutachten und medizinischen Befunden mit den medizinischen Unterlagen, die zum Zeitpunkt des letzten Bescheides der Beklagten mit Dauerwirkung vorlagen. Maßgeblicher Ausgangspunkt für den Vergleich ist hier der Bescheid der Beklagten vom 5. August 2016, mit dem sie die Folgen des Unfalls und die Rente auf unbestimmte Zeit festgestellt hat. Der spätere (bestandskräftige) Bescheid vom 17. Mai 2018 kommt als Ausgangspunkt für den Vergleich nicht in Betracht. Es handelt sich bei diesem Bescheid nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er nur die Ablehnung einer Rente nach einer höheren MdE beinhaltet und über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus keine Wirkungen erzeugt (vgl. zur Definition eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung BSG, Urteil vom 8. Dezember 2021 a. a. O.). Daran ändert sich auch nichts durch die Ausführungen der Beklagten in dem betreffenden Bescheid vom 17. Mai 2018, „wir gehen allenfalls von einer leichten Anpassungsstörung ohne Relevanz für die Gesamt-MdE aus….“; denn dadurch wollte die Beklagte ersichtlich keine sie bindende Regelung mit Wirkungen über den Ablehnungsbescheid hinaus erzeugen, zumal sie in dem Bescheid weiter ausführt „Grundlage der jetzt noch bestehenden depressiven Verstimmung sind im Wesentlichen unfallunabhängige Belastungsfaktoren“.
Der Vergleich der Feststellungen in dem Bescheid vom 5. August 2016 bzw. den diesem Bescheid zugrundeliegenden medizinischen Unterlagen mit den dem Senat vorliegenden aktuellen Gutachten ergibt, dass sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers nicht wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 73 Abs. 3 SGB VII verändert haben.
Das von dem Kläger geltend gemachte „chronische Schmerzsyndrom“ ist nicht als weitere Unfallfolge zu den im Bescheid vom 5. August 2016 festgestellten orthopädischen Unfallfolgen hinzugetreten.
Gesundheitsstörungen müssen, um als Unfallfolge (d. h. länger andauernder unfallbedingter Gesundheitsschaden) anerkannt zu werden, zunächst im Vollbeweis nachgewiesen sein, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (§ 128 SGG; BSGE 103, 99, 104).
Ein chronisches Schmerzsyndrom liegt und lag als eigenständige Erkrankung zur vollen Überzeugung des Senats zu keinem Zeitpunkt vor.
In seinem Gutachten vom 19. November 2021 stellt der Sachverständige CC. zwar eine „chronische Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren (ICD10 F45.41)“ als Unterfall einer somatoformen Störung fest und beschreibt einen fortschreitenden Prozess seit der erstmaligen Diagnose einer solchen Erkrankung in dem Befundbericht des behandelnden Psychotherapeuten U. von August 2017. Andererseits relativiert der Sachverständige CC. seine Diagnose zugleich selbst, indem er diese Störung nur „mit aller Wahrscheinlichkeit“ annimmt. Er führt ausdrücklich aus, dass er den Vollbeweis im Hinblick auf die in der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung erfassten Inkonsistenzen mit Hinweis auf Aggravation als nicht belegt ansieht. Der psychiatrische Vorgutachter im Klageverfahren, Dr. AA., hat das Vorliegen einer eigenständigen Schmerzkrankheit ausdrücklich verneint. Dieser Sachverständige hat zum Zeitpunkt seiner Untersuchung keinen Anhalt für eine relevante Somatisierung gesehen; er führt gegen die Annahme der Diagnose nachvollziehbar an, dass der Kläger aktuell gar keine Therapie (auch keine Schmerztherapie) durchführe und zum anderen Hinweise auf Aggravation bei der Motorik vorgelegen hätten. Ebenso haben - mit Ausnahme des 2017/2018 behandelnden Psychotherapeuten U. - auch die im Verwaltungsverfahren gehörten Ärzte zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung geurteilt. Die Psychiater V. und Dr. W. haben die Entwicklung der Schmerzen als typisch und regelhaft im Hinblick auf den körperlichen Schaden angesehen, d. h. als normales Begleitsymptom der Berstungsfraktur. Angesichts dieser ärztlichen Feststellungen ist das Vorliegen bzw. die Entwicklung einer eigenständigen Schmerzerkrankung nicht bewiesen. Der Kläger trägt im Übrigen die Beweislast für das Vorliegen ihm günstiger Tatsachen.
Selbst wenn man hier aber von dem Vorliegen einer solchen eigenständigen Schmerzerkrankung ausgehen würde, wäre diese Erkrankung nicht als Unfallfolge festzustellen, da der dafür notwendige Zusammenhang (die haftungsausfüllende Kausalität) mit dem Arbeitsunfall vom 26. August 2013 nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Arbeitsunfalls basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer 1. Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d. h. - so die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Auf dieser Stufe der Tatsachenfeststellungen ist zudem zu prüfen, ob mehrere versicherte und nicht versicherte Ursachen zusammen objektiv wirksam geworden sind, ggf. sind deren Mitwirkungsanteile festzustellen (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R – juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass ein möglicherweise aus mehreren Schritten bestehender Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). In einer 2. Stufe der Kausalitätsprüfung ist sodann die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die für den Erfolg rechtlich verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für alle Kausalitätsbeziehungen im Bereich der Unfallversicherung der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris).
Vorliegend fehlt es schon an dem naturwissenschaftlichen Zusammenhang (1. Prüfungsstufe) zwischen dem Arbeitsunfall und der (hier unterstellten) Schmerzerkrankung.
Für diese Feststellung stützt sich der Senat insbesondere auf die Ausführungen des Sachverständigen CC.. Der Sachverständige hat den Zusammenhang für den Senat überzeugend verneint, und zwar unter Berücksichtigung der S2k-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF-Register Nr. 051-029, 2. Aktualisierung 2019), die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auf dem betreffenden Gebiet zusammenfasst. Der Sachverständige weist auf dieser Grundlage zutreffend darauf hin, dass eine somatoforme Schmerzerkrankung in der Regel eine multifaktorielle Genese hat und ihre Anerkennung als psychoreaktive Folgestörung nach einmaligen Schädigungsereignissen nach der Leitlinie (AWMF-Leitlinie Teil III S. 32, 44) nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder ein geeigneter Körperschaden, die eine solche Schmerzerkrankung nach der betreffenden Leitlinie erklären könnten, liegen bei dem Kläger aber nicht vor. Der Sachverständige CC. stellt insoweit zutreffend fest, dass die Voraussetzungen einer PTBS nach den aktuellen Diagnosemanuals ICD 10 und DSM-5 hier ganz sicher nicht erfüllt sind. Denn abgesehen davon, dass der Kläger nicht über typische Beschwerden einer PTBS klagt, sind psychische Beschwerden erst nach einer erheblichen Latenz von mehreren Jahren nach dem Unfallereignis dokumentiert. Derartige Beschwerden des Klägers lassen sich erstmalig seinem Widerspruchsschreiben vom 29. August 2016 entnehmen bzw. seinen Äußerungen gegenüber den Ärzten der BGU im Januar 2017. Das Ereignis selbst ist – so zutreffend der Sachverständige – auch nicht von einem außergewöhnlichen Schweregrad, dass sich damit die Latenz zwischen Ereignis und dem Auftreten posttraumatischer Symptome begründen ließe. Für den Senat nachvollziehbar bewertet der Sachverständige die körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers nach dem Unfall auch als nicht so gravierend, dass diese geeignet wären, die Entwicklung einer solchen Schmerzerkrankung auszulösen. Schließlich spricht mit Dr. CC. auch der hier festzustellende Crescendo-Verlauf der von dem Kläger geschilderten Schmerzentwicklung (Ausdehnung der Schmerzregionen mit nahezu gewissem Ganzkörperschmerzcharakter und deutliche Zunahme der Intensität der Beschwerdesymptomatik) gegen einen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall. Nach der AWMF Leitlinie (s. dort Teil III S. 44) treten bei einem solchen Verlauf regelmäßig psychosoziale Kontextfaktoren in den Vordergrund.
Die bei dem Kläger aktuell vorliegenden Gesundheitsstörungen sind mit einer MdE in Höhe von 20 v. H. weiterhin zutreffend bewertet; eine wesentliche Änderung ist in den gesundheitlichen Verhältnissen im Vergleich zu der Situation zum Zeitpunkt des Bescheides vom 5. August 2016 nicht eingetreten.
Gemäß § 56 Abs. 2 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt (BSG, Urteil vom 29. November 1956 – 2 RU 121/56 – BSGE 4, 147). Die Schadensbemessung erfolgt abstrakt, d.h. ohne konkrete Schadensfeststellung in Form eines tatsächlichen Minderverdienstes. Gleiche unfallbedingte Funktionseinschränkungen führen bei allen Versicherten grundsätzlich zur gleichen Höhe der MdE; bewertet werden dabei die unfallbedingten Funktionsdefizite und nicht Befunde und Erkrankungen (Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Auflage 2014, § 56 Rn. 47, 49, 57). Die Bemessung des Grades der MdE ist eine tatsächliche Feststellung, die der Richter nach freier, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnener Überzeugung (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 49/99 R – juris) anhand der durch medizinische Sachverständigengutachten ermittelten Funktionsdefizite trifft (Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, § 56 Rn. 58). Zur Einschätzung der MdE sind Erfahrungssätze zu beachten und anzuwenden. Dabei handelt es sich um von der Rechtsprechung und in den einschlägigen Fachkreisen, dem versicherungsrechtlichen sowie dem versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeitete Empfehlungen, die sich über einen gewissen Zeitraum gebildet und verfestigt haben und allgemeine Anerkennung und Akzeptanz bei Gutachtern, Versicherungsträgern und Gerichten sowie Betroffenen gefunden haben. Diesen Erfahrungssätzen kommt die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu und sie bilden die Basis für einen Vorschlag des medizinischen Sachverständigen zur Höhe der MdE im Einzelfall (Deppermann-Wöbbeking, Die sozialrechtliche Bewertung von seelischen Störungen nach Unfällen in: Thomann, Klaus-Dieter (Hrsg.), Personenschäden und Unfallverletzungen, 2015, S. 633; Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, § 56 Rn. 58 ff.). Diese Richtwerte schließen im Übrigen die üblicherweise mit körperlichen Funktionseinschränkungen einhergehenden Schmerzen mit ein (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 244).
Die bei dem Kläger auf orthopädischem Fachgebiet im Bereich der BWS anerkannten Gesundheitsstörungen haben sich seit dem Bescheid der Beklagten vom 5. August 2016 nicht verändert. Dr. BB. stellt in seinem Gutachten im Klageverfahren ebenso wie zuvor schon der unfallchirurgische Beratungsarzt G. (Stellungnahme vom 1. April 2018 und Gutachten vom 18. März 2019) fest, dass die ehemalige BWK-12 Fraktur radiologisch konsolidiert und die Deckplattenimpressionsfraktur des 9. bis 11. Brustwirbelkörpers ohne statische Beeinträchtigungen ausgeheilt ist. Bei der klinischen Untersuchung bestand eine mittelgradige Funktionseinschränkung der BWS und LWS. Beide Ärzte beschreiben damit zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Untersuchung genau das Ausheilungsergebnis und das verbliebene Ausmaß an Funktionseinschränkungen, das Prof. Dr. H. in seinem „Zweiten Rentengutachten“ mitgeteilt hat, welches Grundlage für den Bescheid der Beklagten vom 5. August 2016 gewesen ist. Die genannten Ärzte bewerten die Funktionsstörungen auf Grund der Erfahrungssätze im Schrifttum übereinstimmend und zutreffend mit einer MdE in Höhe von 20 v. H. Nach den Erfahrungssätzen im Schrifttum (vgl. u. a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 466) kommt eine höhere MdE als 20 v. H. erst bei Befunden wie einem statisch wirksamen Achsenknick (Keilwirbel größer als 25 Grad) und verbliebener segmentaler Instabilität (muskulär teilkompensiert) oder groben, muskulär nicht kompensierbaren Instabilitäten und oder schwerwiegenden neurologischen/urologischen Unfallfolgen in Betracht. Einen statisch wirksamen Achsenknick oder eine segmentale Instabilität haben die im Verfahren gehörten Unfallchirurgen zu keinem Zeitpunkt festgestellt, ebenso keine neurologischen Unfallfolgen. Der neurologische Sachverständige CC. hat in seinem Gutachten im Berufungsverfahren ausdrücklich festgehalten, dass sich aus nervenärztlicher Sicht kein Hinweis auf eine abgelaufene Rückenmarkschädigung/Myelopathie im Zusammenhang mit der BWS Fraktur findet; der neurologische und psychiatrische Sachverständige im Klageverfahren, Dr. AA., konnte beim neurologischen Untersuchungsbefund keine signifikanten Ausfälle objektivieren. Ein wie hier von den Ärzten beschriebenes reizlos einliegendes (Platten)Implantat begründet keine höhere Einschätzung der MdE (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 467).
Weitere Unfallfolgen auf orthopädischem Fachgebiet, die bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen wären, liegen (und lagen) bei dem Kläger nicht vor. Die von den Orthopäden E. und F. mittels CT vom 5. April 2017 und damit nach dem Bescheid der Beklagten vom 5. August 2016 festgestellte Bandscheibenprotrusion im Segment L4/5 mit ausstrahlenden Schmerzen in das linke Bein ist in die MdE nicht einzubeziehen. Diese Erkrankung ist nach den übereinstimmenden Feststellungen aller im Verfahren gehörten Orthopäden bzw. Unfallchirurgen und Neurologen unfallunabhängig. Der Sachverständige CC. hat in seinem Gutachten im Berufungsverfahren zudem ausgeführt, dass die von dem Kläger angegebenen Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Beins eher als funktionelle Ausgestaltung zu interpretieren sind und nicht mit einer Schädigung eines peripheren Nervs oder einer oder mehrerer Nervenwurzeln zu erklären sind.
Bei dem Kläger liegen auch keine Unfallfolgen auf Seiten des seelischen Fachgebietes vor, die zusätzlich zu der MdE für die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet zu berücksichtigen sind.
Die Ermittlungen nach dem Neufeststellungsantrag des Klägers ergeben nach Auffassung des Senats zwar, dass sich inzwischen aus einer depressiven Verstimmung bei dem Kläger eine seelische Störung entwickelt hat, die im Vollbeweis gesichert ist. Eine wesentliche Änderung im Rechtssinne liegt indes nicht vor, da diese Störung nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist.
Für diese Feststellungen stützt sich der Senat insbesondere auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. AA. im Klageverfahren. Der Sachverständige hat - ebenso wie der Vorgutachter V. im Verwaltungsverfahren bei dem Kläger depressive Verstimmungen im Sinne einer Dysthymia (ICD-10: F34.1) diagnostiziert. Während der Facharzt für Psychiatrie V. in seinem Gutachten vom 14. Oktober 2017 dieser Störung noch keinen Krankheitswert zugemessen hat, ist diese Diagnose nach Dr. AA. im Zeitpunkt seiner Untersuchung am 15. Juni 2020 zu stellen. Entsprechend der Beschreibung im Diagnosemanual (ICD 10: F 34.1) handelt es sich bei einer solchen seelischen Erkrankung um eine chronische depressive Verstimmung, die nach Schweregrad und Dauer der einzelnen Episoden gegenwärtig nicht die Kriterien für eine leicht- oder mittelgradige rezidivierende depressive Störung erfüllt. Intermittierend können leichte depressive Episoden vorkommen. Nach Dr. AA. liegt der Diagnose Dysthymia eine multifaktorielle Genese zu Grunde. Bei dem Kläger sieht der Sachverständige diese Genese in mehreren lebensgeschichtlichen sozialen Belastungsfaktoren (Migrationsproblematik, Verkehrsunfall, bei dem der ältere Bruder 1994 zu Tode kam, finanzielle und soziale Situation, die Verbitterung über das Verhalten des Arbeitsgebers nach dem Unfall 2013), die er in seinem Gutachten ausführlich darstellt und die anamnestisch auch in den psychiatrischen Vorgutachten beschrieben werden. Die Diagnosestellung ist für den Senat nachvollziehbar; sie entspricht den diagnostischen Merkmalen des Krankheitsbildes, die in den Erläuterungen zu der „Persistierenden Depressiven Störung (Dysthymie)“ in DSM-5 (s. dort S. 229 ff.) aufgeführt sind, die den aktuellen Erkenntnisstand bezüglich psychischer Störungen darlegen.
Die bei dem Kläger im Vollbeweis gesicherte Erkrankung Dysthymia ist nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Arbeitsunfall vom 26. August 2013 zurückzuführen und damit keine Unfallfolge. Es fehlt schon an der Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne (1. Prüfungsstufe).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. AA. ist die Dysthymia schon nach ihrer diagnostischen Beschreibung keine unfallreaktive psychische Erkrankung, da diese Erkrankung – wie vorliegend – von konkurrierenden lebensgeschichtlichen Faktoren unterhalten wird. Gegen einen Zusammenhang der seelischen Störung mit dem Arbeitsunfall spricht nach den Ausführungen dieses Sachverständigen zudem, dass zeitnah zu dem Ereignis ein seelischer Erstschaden relevanten Ausmaßes nicht nachgewiesen ist, über seelische Störungen hat der Kläger erstmals im Januar 2017 geklagt. Auch der Verlauf der Erkrankung spricht nach Dr. AA. gegen einen Zusammenhang. Die Progredienz der von dem Kläger geäußerten Beschwerden sowohl in körperlicher als auch in seelischer Hinsicht ist – so der Sachverständige - bei einem unfallreaktiven Schaden unüblich; denn eine unfallbedingte psychische Symptomatik verliert im weiteren Verlauf an Intensität. Die Argumente des Sachverständigen überzeugen, zumal sie dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen. Nach der einschlägigen, oben genannten AWMF-Leitlinie (s. dort Teil III S. 46) bedingt die Annahme des Zusammenhangs das Vorliegen von Anknüpfungstatsachen wie einen geeigneten zeitlichen Zusammenhang zwischen Ereignis/Körperschaden und dem Auftreten der psychischen Symptome, eine geeignete Symptomatik und einen geeigneten Verlauf (vgl. zu dem seelischen Erstschaden als Anknüpfungstatsache auch Deppermann-Wöbbeking, a. a. O., S. 621, 622). Die mit großer Latenz nach dem Ereignis vorgebrachten seelischen Beschwerden des Klägers lassen sich auch nicht mit seinen nach dem Unfall verbliebenen körperlichen Belastungen erklären. Dr. AA. stellt insoweit schlüssig fest, dass es nicht nachvollziehbar ist, dass dem Kläger das Ausmaß der körperlichen Beeinträchtigung erst drei Jahre nach dem Unfallereignis deutlich geworden ist. Plausibel ist insoweit auch der Hinweis von Dr. CC., dass der Körperschaden nach seiner Schwere nicht geeignet erscheint, mittelbare (seelische) Folgen hervorzurufen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.