L 3 R 204/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 20 R 1700/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 204/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.03.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Streitig ist Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung von Altersrente unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Der am 00.00.1930 in Z, Rumänien geborene Kläger hat die israelische Staatsangehörigkeit und ist nach seinen Angaben als Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetztes anerkannt. Er beantragte mit bei der Beklagten am 01.10.2010 eingegangenem Schreiben die Gewährung einer Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten im Ghetto „Tzernowic – Bucowina, Rumänien“ (auch: Czernowitz) und fügte eine Kopie einer Liste der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem bei. Die Beklagte zog Unterlagen der Claims Conference (The Conference on Jewish Material Claims Against Germany) bei. Dort hatte der Kläger am 25.04.1994 angegeben, bei Kriegsausbruch in Galatz gelebt zu haben. Er sei dort im April 1942 zur Zwangsarbeit herangezogen worden, obwohl er damals erst 12 Jahre alt gewesen sei. Er habe bis zur Befreiung im August 1944 schwerste Arbeiten am Flughafen neben Galatz geleistet. Er habe unter schrecklichen Bedingungen gearbeitet und ständig an Hunger und Misshandlungen gelitten. Er habe in den Baracken neben dem Flughafen gelebt und das Lager nicht verlassen dürfen.

Am 26.01.2011 teilte die Beklagte mit, dass beabsichtigt sei den Antrag abzulehnen, da die Arbeitszeit im Ghetto Czernowitz nicht in einem vom Deutschen Reich eingegliederten oder vom Deutschen Reich besetzten Gebiet zurückgelegt worden sei und daher nach dem ZRBG nicht berücksichtigt werden könne. Der Ort habe sich auf dem Gebiet Rumäniens befunden. Laut den bei der Claims Conference gemachten Angaben sei der Kläger außerdem nicht im Ghetto Czernowitz, sondern im Zentralarbeitslager in Galatz gewesen.

Daraufhin erklärte der Kläger mit Fax vom 04.04.2011, er habe in Zichron gelebt. Im Dezember 1941 sei er gezwungen worden, die Schule zu verlassen und in einem Flughafen zu arbeiten, um die Straße des Terminals in Ordnung zu halten. Er sei dort im Ghetto für sechs Monate gewesen. Von Galati sei er gezwungen worden, nach Braila in ein deutsches Lager zu gehen, um dort die Toiletten zu säubern. Er sei dort wieder in einem Ghetto gewesen. 1943 sei er in Buzau in einem Ghetto gewesen und habe dort das Lager gesäubert. 1944 sei er gezwungen worden, in ein 400 km entferntes Konzentrationslager nach Nord-Bokovina zu gehen. Dort sei er 8 Monate gewesen.

Mit Bescheid vom 04.04.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Arbeitszeit im Ghetto Czernowitz nicht in einem vom Deutschen Reich eingegliederten oder vom Deutschen Reich besetzten Gebiet zurückgelegt worden sei und daher nach dem ZRBG nicht berücksichtigt werden könne. Der Ort habe sich auf dem Gebiet Rumäniens befunden. Zudem habe der Kläger bei der Claims Conference angegeben, nicht im Ghetto Czernowitz, sondern im Zentralarbeitslager Galatz gewesen zu sein. Bei den im Fax vom 04.04.2011 aufgeführten Orten habe es sich nicht um Ghettos, sondern um Arbeits- bzw. Konzentrationslager gehandelt.

Am 18.06.2014 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung einer Altersrente für ehemalige Ghettobeschäftigte.

Er gab an, sich von Oktober 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Czernowitz in Rumänien aufgehalten und dort von November 1941 bis Juli 1942 für den Judenrat Straßenreinigungsarbeiten durchgeführt zu haben. Er habe von 1963 bis 1995 Beiträge an den israelischen Versicherungsträger gezahlt.

Die Beklagte teilte dem Kläger am 09.10.2014 mit, dass die ablehnende Entscheidung überprüft worden sei. Leider sei auch nach der neuen Rechtsprechung eine Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten nicht möglich. Die geltend gemachte Arbeitszeit von November 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Czernowitz / Rumänien könne mangels Glaubhaftmachung nicht nach den Vorschriften des ZRBG anerkannt werden. Laut Angaben des Klägers bei der Claims Conference sei er im April 1942 zu Zwangsarbeiten am Flughafen der Stadt Galatz herangezogen worden. Dort hätte er in einem Lager gewohnt. In dem Fax vom 04.04.2011 habe er angegeben, ab Dezember 1941 bis August 1944 an verschiedenen aufgeführten Orten gearbeitet und gelebt zu haben, einen Aufenthalt im Ghetto Czernowitz habe er nicht erwähnt.

Die Bevollmächtigten des Klägers teilten daraufhin mit, der Kläger sei in hohem Alter. Es sei schwer zu verstehen, warum sich bei ihm im Gedächtnis das Ghetto Czernowitz eingeprägt habe. Er habe aber auch in einer Erklärung angegeben, dass er in Braila gewesen sei. Dort habe von September 1941 bis Mai 1942 ein Ghetto existiert. Also sei er zu jener Zeit im Ghetto Braila gewesen. Es solle auf der Basis der Erklärung des Klägers bei der Claims Conference entschieden werden. Danach sei der Kläger ab Dezember 1941 im Ghetto Galati gewesen und habe auf dem Flughafen gearbeitet. Anschließend sei er dann im Ghetto Braila gewesen und sei als Toilettenreiniger in einem deutschen Lager eingesetzt gewesen. Der Kläger könne sich leider nicht mehr an Details erinnern.

Mit Bescheid vom 02.02.2015 lehnte die Beklagte den als Überprüfungsantrag gewerteten Antrag vom 18.06.2014 ab. Der Bescheid vom 04.04.2011 sei nicht rechtswidrig. Die geltend gemachte Ghettobeitragszeit von November 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Czernowitz / Rumänien könne mangels Glaubhaftmachung nach den Vorschriften des ZRBG nicht anerkannt werden. Laut Angaben bei der Claims Conference sei der Kläger von April 1942 bis August 1944 zu Zwangsarbeiten am Flughafen der Stadt Galatz herangezogen worden und habe dort in einem Lager gewohnt. Im Fax vom 04.04.2011 habe er angegeben, an verschiedenen aufgeführten Orten gearbeitet und gelebt zu haben. Einen Aufenthalt im Ghetto Czernowitz habe er nicht erwähnt. Mit Schreiben vom 24.11.2014 habe er angegeben, ab Dezember 1941 für sechs Monate im Ghetto Galati und anschließend im Ghetto Braila gearbeitet zu haben. Die verbleibenden Widersprüche seien nicht zu erklären.

Dagegen legte der Kläger am 09.02.2015 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2015 zurückwies.

Hiergegen hat der Kläger am 20.08.2015 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Die Bevollmächtigten des Klägers haben für diesen vorgetragen, er habe von Dezember 1941 für 6 Monate im Ghetto Galati gearbeitet und sei dort als Arbeiter auf dem Flughafen tätig gewesen. Anschließend sei er in das Ghetto Braila und ab 1943 in das Ghetto Buzau gekommen und habe dort jeweils Reinigungsarbeiten verrichtet. Leider könne er sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern. Er bitte um eine Anerkennung auf Grund seiner Aussage bei der Claims Conference.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2015 zu verurteilen, dem Kläger die Altersrente im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit nach dem ZRBG von April 1942 bis März 1944 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig erachtet.

Im Einverständnis mit den Beteiligten hat das SG ohne mündliche Verhandlung entschieden. Mit Urteil vom 02.03.2017 hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger von April 1942 bis März 1944 gegen Entgelt in einem oder mehreren Ghettos Tätigkeiten verrichtet habe. Die Angaben des Klägers seien widersprüchlich. Es sei für die Kammer nicht ersichtlich, dass es sich bei den Tätigkeiten um entgeltliche Tätigkeiten gehandelt habe.

Gegen das ihm am 08.03.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.03.2017 Berufung eingelegt. Er trägt durch seine Bevollmächtigen vor, es genüge, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sei, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände im Vergleich mit den anderen ernsthaften Möglichkeiten mehr für diese als für die anderen Möglichkeiten spreche. Durch die Beklagte sei bis zum Herbst 2009 die Anwendung des ZRBG für Ghettotätigkeiten in Transnistrien ausgeschlossen worden. Da der Kläger an einer früheren Antragstellung und Aufklärung gehindert worden sei, sollte eine Umkehr der Beweislast oder zumindest eine erhebliche Beweiserleichterung in Betracht gezogen werden. Der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto und die Ausübung von Tätigkeiten mit einem Wohnsitz im Ghetto seien glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit. Er habe sich in Brailow, Transnistrien aufgehalten. Den Angaben des Klägers sei selbstverständlich eine hohe Bedeutung beizumessen, denn sie seien Anknüpfungstatsachen für alle einzuleitenden Ermittlungen. Sie müssten aber einer Auslegung zugänglich sein. Der Vortrag des Klägers, sich in verschiedenen Ghettos während der Verfolgung aufgehalten zu haben, entspreche geradezu dem typischen Verfolgungsschicksal eines Verfolgten in Transnistrien. Er übersendet einen Auszug aus dem Archiv des United States Holocaust Memorial Museum, Washington, wonach ein B G sich von 1941 bis 1944 in Galati aufgehalten habe. In Transnistrien habe es einen Arbeitszwang ab dem 12. Lebensjahr gegeben. Kein Verfolgter werde in der Verfolgung ausschließlich Zwangsarbeiten während eines Ghettoaufenthaltes verrichtet haben. Vielmehr habe es stets ein Nebeneinander von freiwilliger Arbeit und Zwangsarbeit gegeben.

Der Kläger sei in Galati, Gebiet Regat (Altrumänien) aufgewachsen und nach seinen Mitteilungen während des Holocaust nicht nach Transnistrien deportiert worden. Er sei in den Regionen Braila und Cernauti verblieben und habe sich in verschiedenen Ghettos aufgehalten, darunter die Ghettos Galati, Buzau und Czernowitz. Auch Braila werde für ein Ghetto im Sinne des ZRBG gehalten. Ein Entschädigungsverfahren nach dem BEG sei dem Kläger verwehrt geblieben. Es ergebe sich ein Kern, der im Wesentlichen immer gleich geblieben sei. Der Kläger habe wiederholt über die Tätigkeiten berichtet, die er im Ghetto Galati verrichtet habe. Entweder sei der Kläger bereits im Sommer 1941 in Galati gewesen und habe wie angegeben dort am Flugplatz gearbeitet oder aber er sei im Zuge der Internierung nach Czernowitz gebracht worden, wo er sich bis etwa April 1942 im dortigen Ghetto aufgehalten habe und sei dann wieder nach Galati zurückgekehrt, wo er dann sechs Monate lang gearbeitet habe, also bis etwa Oktober. Denkbar sei in dieser Variante auch, dass der Kläger bereits Ende des Jahres 1941 nach Galati zurückgekehrt sei, wo er dann im Dezember 1941 mit seiner Familie aus dem Familienheim in das örtliche Ghetto verwiesen worden sei und die Tätigkeit am Flugplatz aufgenommen habe. In beiden Varianten habe er sich in der Zeit von Juli bzw. jedenfalls Oktober 1941 bis April 1942 in Ghettos befunden, wo er gegen Entgelt gearbeitet habe. Hier gelte zu Gunsten des Klägers das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung. Der Kläger habe angegeben, im Anschluss an die Tätigkeiten in Galati ins Ghetto Braila verbracht worden zu sein, wo er Reinigungsarbeiten verrichtet habe. Wie lange er sich dort aufgehalten habe, gebe er nicht an. Im Anschluss sei er dann in das Ghetto Buzau verbracht worden, wo er bis Ende des Jahres 1943 verblieben sei. Galati, Braila und Buazau befänden sich in unmittelbarer Nähe zueinander. Ein Austausch der Ghettobewohner nach Bedarf sei für den Holocaust in Rumänien historisch belegt. Da der Kläger den Holocaust überlebt habe, sei davon auszugehen, dass er mit zusätzlichen Lebensmitteln für seine Arbeit entlohnt worden sei. Habe er nicht an wechselnden Orten gearbeitet, was durchaus auch eine gute Möglichkeit darstelle, dann wäre er nach eigenen Angaben noch in Galati gewesen und habe im dortigen Ghetto Tätigkeiten im Sinne des ZRBG verrichtet. Es werde angenommen, dass der Kläger nicht erst am Ende seiner Verfolgung in Czernowitz (Cernauti) gewesen sei. Er fügt einen Ausdruck einer Balkankarte, abgerufen aus Wikipedia bei. Er habe in seiner Online-Recherche in der Datenbank von Yad Vashem einen Eintrag für einen B1 G1 gefunden und fügt den entsprechenden Ausdruck bzgl. Zwangsarbeit in Cernauti im Jahre 1941 bei. Für die Zuerkennung einer Entschädigungsleistung komme es weder darauf an, ob der Kläger einer freiwilligen Tätigkeit während seines zwangsweisen Ghettoaufenthaltes nachgegangen sei, noch in wie vielen Ghettos oder Lagern er sich aufgehalten habe. Er übersendet eine Auszug aus dem Buch von Dennis Deletant „Hitler´s forgotten Ally. Ion Antonescu and His Regime, Romania 1940 – 1944“ sowie ein Sitzungsprotokoll des LSG Berlin-Brandenburg (L 16 R 58/17) vom 31.01.2018. Er behaupte weiterhin eine Tätigkeit im Ghetto Galati gegen Entgelt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.03.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2015 zu verurteilen, dem Kläger eine Regelaltersrente unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit nach dem ZRBG von April 1942 bis Mai 1942 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Kläger verwechsele anscheinend den Ort Brailov in der Ukraine (hier könne ein Ghetto angenommen werden) mit Braila in Rumänien, wo der Kläger sich nach der vorliegenden Erklärung zeitweise in einem Lager aufgehalten habe. Sie übersendet Ablichtungen aus der Encyclopedia of Jewish Life, S. 179 – 181. Grundsätzlich sei inzwischen die Anerkennung von Arbeitszeiten in Galatz und Buzau möglich. Der Einschätzung des Bevollmächtigten des Klägers, dass sich „bei näherer Betrachtung der Angaben des Klägers … ein Kern, der im Wesentlichen immer gleich bleibt“ ergäbe, vermöge sie sich nicht anzuschließen. Im Antrag vom 07.09.2010 habe der Kläger ohne Zeitangaben angegeben, sich in Tzernovic-Bukovina aufgehalten zu haben. Gegenüber der Claims Conference habe er am 25.04.1994 angegeben, von 04/1942 bis 08/1944 im ZAL (Zwangsarbeitslager) Galatz gelebt zu haben. In der am 04.04.2011 eingegangenen Erklärung habe er angegeben, sich ab Dezember 1941 im Ghetto in Galati befunden zu haben und am Flughafen gearbeitet zu haben und dann gezwungen worden zu sein, nach Braila in ein deutsches Lager zu gehen, um dort Toiletten zu säubern. 1944 sei er gezwungen worden, in ein Konzentrationslager der deutschen Armee für acht Monate nach Nord-Bukovina zu gehen. Im ZRBG-Antrag vom 11.05.2014 habe er angegeben, sich von Oktober 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Czernowitz aufgehalten und dort von November 1941 bis Juli 1942 gearbeitet zu haben. Die Bevollmächtigten des Klägers hätten im Folgenden verschiedene Beschäftigungen für möglich gehalten. Sie übersendet ein Gutachten der Historikerin Dr. Glass für das SG Lübeck (S 34 R 717/14) vom 07.05.2017, wonach in Galatz jüdische Männer vom 02.07.1941 bis zum 04.12.1941 interniert worden seien. In der Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933 – 1945, woraus sie einen Auszug übersendet, würden für Galatz Zwangsarbeiten in Arbeitsbataillonen innerhalb und außerhalb der Stadt beschrieben. Der Verfolgungshergang sei nach wie vor unklar.

Sie übersendet weiterhin Kopien der Entschädigungsakte der Bezirksregierung betreffend den Kläger. Ein verfolgungsbedingter Freiheitsschaden sei seinerzeit ausschließlich auf das Tragen des Judensterns in Galatz von Juli 1941 bis August 1944 gestützt worden. Beschäftigungszeiten nach dem ZRBG seien damit auch nicht im Sinne einer guten Möglichkeit glaubhaft gemacht.

Der Senat hat eine Auskunft des United States Holocaust Memorial Museum, Washington beigezogen, in der ein B G mit Wohnsitz in Galati bezeichnet wird. Der Kläger führt an, dass das vom Senat ermittelte Dokument eher nicht ihn betreffe, da sein Nachname zu Kriegszeiten und auch in Israel „G1“ und der Vorname „B1“ gelautet hätten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.07.2015 beschwert den Kläger nicht, weil er nicht rechtswidrig ist, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 04.04.2011 zurückzunehmen. Dieser Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zur Überzeugung des Senats ist für den Kläger Regelaltersrente nicht zu bewilligen. Eine mit der Berufung geltend gemachte Ghettobeitragszeit des Klägers im Sinne des § 2 Abs. 1 ZRBG von April 1942 bis Mai 1942 ist nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Zwar hat der Kläger im Januar 1995 das 65. Lebensjahr vollendet, er kann jedoch die erforderliche Wartezeit nicht vorweisen. Als anrechnungsfähige Versicherungszeiten kommen insoweit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt.

Der Kläger hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Gemäß §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt und werden als sog. „Ghetto-Beitragszeiten“ bei der Anrechnung auf die Wartezeit als Beitragszeiten berücksichtigt. Die von dem Kläger behaupteten Ghetto-Beitragszeiten von April 1942 bis Mai 1942 sind nicht glaubhaft gemacht.

Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 4 Abs.1 des Fremdrentengesetzes - FRG -, § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG -). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die „gute Möglichkeit“, dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (BSG Urteil vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 R).

Zur Überzeugung des Senats ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger von April 1942 bis Mai 1942 in einem Ghetto beschäftigt gewesen ist. Es ist bereits nicht zu klären, wo sich der Kläger in dieser Zeit aufgehalten hat. Ausgehend von seinen Angaben beim erstmaligen Antrag auf die Gewährung einer Altersrente vom 01.10.2010 hat er sich – ohne nähere zeitliche Angaben – in Tzernowic-Bukowina, Rumanien (Czernowitz) aufgehalten. Gegenüber der Claims Conference hat der Kläger am 25.04.1994 angegeben, sich von April 1942 bis August 1944 im Zwangsarbeitslager Galatz (Galaz, Galati) befunden zu haben, am Flughafen neben Galatz schwere Arbeiten verrichtet und dort in einer Baracke neben dem Flughafen gelebt zu haben. Mit am 04.04.2011 bei der Beklagten eingegangenen Schriftsatz hat er angegeben, im Dezember 1941 für sechs Monate am Flughafen in Galati gearbeitet und dort in einem Ghetto gelebt zu haben. Anschließend sei er gezwungen gewesen, nach Braila in ein deutsches Lager zu gehen, um dort Toiletten zu säubern, 1943 habe er dann in einem Ghetto in Buzau das Lager gesäubert und sei 1944 in ein Konzentrationslager der deutschen Armee gekommen. Im erneuten Rentenantrag vom 18.06.2014 hat der Kläger erneut angegeben, sich von Oktober 1941 bis Juli 1942 im Ghetto Czernowitz befunden zu haben und dort von November 1941 bis Juli 1942 für den Judenrat Strassenreinigungsarbeiten verrichtet zu haben. Im Entschädigungsverfahren hat der Kläger im Jahr 1967 dagegen angegeben, sich von Juli 1941 bis August 1944 in Galatz befunden zu haben, und dort gezwungen gewesen zu sein, den Judenstern zu tragen. Ein Zwangsaufenthalt in einem Ghetto ist dagegen im Entschädigungsverfahren (trotz der Frage nach Freiheitsentziehungen in einem Konzentrationslager, Gefängnis, Zwangsarbeitslager oder Zwangsaufenthalt im Ghetto) nicht angegeben worden.

Im Hinblick auf diese Widersprüche sowohl in örtlicher als auch zeitlicher Hinsicht sieht es der Senat nicht als überwiegend wahrscheinlich an, dass sich der Kläger von April 1942 bis Mai 1942 in einem Ghetto befunden und dort beschäftigt gewesen ist. Insbesondere die jeweils wiederholt gemachten Angaben des Klägers, sich entweder von Oktober 1941 bis Juli 1942 in Czernowitz bzw. von Juli 1941/April 1942 bis August 1944 in Galati aufgehalten zu haben, wobei diese Orte über 400 km voneinander entfernt liegen, lassen es nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass der Kläger an einem dieser Orte tatsächlich in einem Ghetto gearbeitet hat. Davon abweichend aber teilweise zeitgleich hat der Kläger dann auch noch Ghettoaufenthalte in Braila und Buzau bzw. den Aufenthalt in einem Konzentrationslager in Nord-Bukovina behauptet. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Verfolgter sich nach Jahrzehnten unter Umständen nicht mehr genau daran erinnern kann, zu welchem exakten Zeitpunkt er sich an welchem Ort befunden hat, erscheinen im Falle des Klägers schon dessen Angaben als sich derart widersprechend, dass es nicht überwiegend wahrscheinlich erscheint, dass eine der Sachverhaltsdarstellungen tatsächlich zutreffend ist, so dass auch keine Wahlfeststellung in Betracht kommt (vgl. BSG Urteil vom 30.08.1960 – 8 RV 245/58 –, Rn. 13). Weiterhin hat der Kläger auch nichts dazu vorgetragen, in welcher Form – etwa in Form einer besseren Verpflegung – er für eine freiwillige Beschäftigung entlohnt worden sein soll.

Auch die von dem Kläger benannten historischen Erkenntnisse hinsichtlich der Verfolgung von Juden in Rumänien während des Zweiten Weltkriegs führen nicht dazu, dass eine Ghettobeitragszeit für den Kläger anzuerkennen wäre. Aus dem Umstand, dass sich an einem bestimmten Ort ein Ghetto befunden hat, kann nicht geschlossen werden, dass sich der Kläger dort auch aufgehalten hat. Ebenso kann nicht aus der Tatsache, dass der Kläger den Holocaust überlebt hat, darauf geschlossen werden, dass er auch in einem Ghetto beschäftigt gewesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved