S 23 U 162/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 162/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 211/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Versicherungsfalls.

Der Kläger hatte als „Arbeitnehmer“ mit der D. Reisen GmbH („Arbeitgeber“) am 06.03.2015 folgenden „Befristeten Arbeitsvertrag“ abgeschlossen:

Zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer „werden folgende Beschäftigungsverhältnisse nach deutschem Arbeitsrecht vereinbart:

[das Nachstehende ist im Originaldokument durch vollständige Umrahmung vom übrigen Vertragstext abgegrenzt; Anm. d. Verf.]
Der Arbeitnehmer wird befristet vom 28.04.2015 bis einschließlich 14.10.2015 eingestellt, und innerhalb dieses Beschäftigungsverhältnisses
vom 28.04. – 25.07.2015 als MTB [Mountainbike; Anm. d. Verf.] Guide im Hause Sportclub G. in der Destination C-Stadt [Türkei; Anm. d. Verf.] und
vom 16.08. – 14.10.2015 als Allrounder „Sport“ im Hause Hotel M. in der Destination E-Stadt [Kroatien; Anm. d. Verf.] eingesetzt. 
Die monatliche Bruttovergütung beträgt € 1595,--. 
In der Bruttovergütung sind folgende Sachleistungen enthalten: 217,05 € für Halbpension und Logis. […]“

Hieran anschließend und außerhalb der Umrahmung befinden sich die §§ 1 bis 15 des Vertrages.

Nach § 1 des Vertrages „[endet] das Beschäftigungsverhältnis [..] jeweils zum angegebenen Termin, ohne dass es einer ausdrücklichen Kündigung bedarf. […] Die Befristung erfolgt aus folgendem Grund: Saisonalbedingte Mitarbeit. Einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ende der Befristung wird bereits jetzt ausdrücklich widersprochen.“

In § 2 des Vertrages verpflichtet sich der Arbeitnehmer, die in der zum Vertrag gehörenden Ausschreibung (Anlage 1) genannten Tätigkeiten zu übernehmen und zu erledigen. Die Anlage 1 enthält den „Aufgabenkatalog MTB-Guide“ sowie den „Aufgabenkatalog Sportallrounder“, jeweils für „Sommer 2015“. Der „Aufgabenkatalog MTB-Guide“ umfasste u. a. die Planung und Durchführung von MTB-Touren.

Nach § 3 wird für das zeitlich gesehen erste Beschäftigungsverhältnis eine Probezeit von 6 Wochen vereinbart. Während dieser Zeit kann dieses Beschäftigungsverhältnis jederzeit mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden.

Der Kläger trat seine Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag im Sportclub G. in der Türkei an. Nach entsprechenden Aktennotizen von Sachbearbeiterinnen der Abteilung Rehabilitation der Beklagten wandte sich der Arbeitgeber des Klägers am 04.05.2015 telefonisch an diese und teilte mit, dass der Kläger am 01.05.2015 einen Unfall, einen Schlüsselbeinbruch links, erlitten habe und bereits operiert worden sei. Der Arbeitgeber bat die Beklagte zudem um Übersendung des Formulars „T/A23“. Nach Übermittlung der Unfallanzeige des Arbeitgebers an die Beklagte stellte diese noch am selben Tag das gewünschte Formular aus, die „Bescheinigung über Anspruch auf Sachleistungen bei Arbeitsunfall während des Aufenthalts in der Türkei“ nach dem Deutsch-Türkischen Abkommen über Soziale Sicherheit, in der mitgeteilt wird, dass dem Kläger aufgrund „des am 01.05.2015 eingetretenen Arbeitsunfalls mit nachstehend bezeichneten Folgen Schlüsselbeinfraktur links“ zeitlich unbegrenzt Sachleistungen wegen des genannten Arbeitsunfalls gewährt werden können und rief den Kläger an. Dieser bat laut Aktenvermerk um Übersendung des Formulars direkt an das behandelnde Krankenhaus. Später teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, dass das Krankenhaus das Formular nicht akzeptiere, da es sich um eine Privatklinik handele. Der Kläger wurde gebeten, die Rechnung der Klinik inklusive einer Bescheinigung einzureichen, dass ein staatliches Krankenhaus nicht habe aufgesucht werden können. Am 05.05.2015 rief erneut der Arbeitgeber bei der Beklagten an und bat um Kontaktaufnahme derselben mit der Privatklinik, die auch erfolgte, wobei allerdings die Frage der Kostenübernahme offenblieb. Eine Klärung erfolgte auch nicht am 08.05.2015, als die Privatklinik ihrerseits die Beklagte anrief. Am 13.05.2015 meldete sich der Kläger bei der Beklagten, wiederum in der Rehabilitationsabteilung, und fragte nach dem Sachstand wegen der Kostenübernahme an. Er wurde informiert, „dass wir nicht mehr für den Fall zuständig sind und keine Entscheidung über die Höhe des Erstattungsanspruchs übernehmen können“ und ihm wurde eine andere Sachbearbeiterin zur Kontaktaufnahme genannt. 

Das sich noch in der Probezeit befindliche Arbeitsverhältnis war arbeitgeberseitig am 04.05.2015 zum 20.05.2015 gekündigt worden. In dem Kündigungsschreiben war der Kläger zur Arbeitslosmeldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert worden.

Wieder in Deutschland angekommen, begab sich der Kläger (am 26.05.2015) zur stationären Behandlung in das St. Vinzenz-Krankenhaus A-Stadt, das bei der Beklagten diesbezüglich einen Kostenübernahmeauftrag stellte.

Am 08.06.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten telefonisch die Gewährung von Verletztengeld bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit. Die Sachbearbeiterin der Beklagten erklärte dem Kläger telefonisch (Aktennotiz vom 08.06.2015), dass die Krankenkasse in ihrem Auftrag auszahle. Am Folgetag rief der Kläger wegen des Verletztengeldes erneut bei der Beklagten an. Nach Rücksprache mit der Sachbearbeiterin der Krankenversicherung des Klägers teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Krankenkasse vorerst Krankengeld auszahle, bis entschieden sei, ob es sich um einen Arbeitsunfall handele. Dies erfolgte auch so (vgl. Schreiben der Krankenkasse an die Beklagte vom 18.06.2015 mit Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs). 

Gegenüber der türkischen Privatklinik bot die Beklagte unter dem 17.06.2015 an, einen Teilbetrag der Kosten des dortigen stationären Aufenthalts des Klägers zu erstatten, „entsprechend den nach der deutschen Rechtslage geltenden Kostensätzen“. Eine Reaktion der Klinik ist nicht aktenkundig.

Nach Vorlage von Arbeitsvertrag und Kündigungsschreiben (s. o.) erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 19.06.2015 einen Bescheid, in dem sie verfügte, dass „Ansprüche auf Entschädigungsleistungen“ aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 01.05.2015 nicht bestünden.

Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass es sich bei dem Unfall vom 01.05.2015 nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Denn Voraussetzung hierfür sei, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt zum Kreis der versicherten Personen gehört habe. Dies sei aber grundsätzlich nur der Fall, wenn eine Beschäftigung im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches ausgeübt werde. Zwar könne auch eine Tätigkeit im Ausland unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Hierbei müsse aber ein Fall der Ausstrahlung nach § 4 Abs. 1 SGB IV vorliegen. Dies sei grundsätzlich der Fall, wenn Personen im Rahmen eines im Inland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nach § 2 Abs. 1 SGB VII ins Ausland entsandt würden und wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt sei. In den Fällen, in denen das Beschäftigungsverhältnis erst mit der Entsendung begonnen habe, sei darüber hinaus erforderlich, dass feststehe oder vereinbart worden sei, dass die Beschäftigung beim entsendenden Arbeitgeber (im Inland) weitergeführt werde. Nur dann liege der vom Gesetzgeber geforderte Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Beschäftigungsverhältnisses im Inland. In den Fällen, in denen eine Beschäftigung ausschließlich zum Zweck der Tätigkeit im Ausland eingegangen werde, könne es jedoch nicht zur Ausstrahlung kommen. Nach Maßgabe dieser Grundsätze sei vorliegend ein Fall der Entsendung nicht gegeben, weil der Kläger weder im Vorfeld (vor dem Türkei-Einsatz) noch im Nachhinein im Inland beschäftigt gewesen sei bzw. gewesen wäre. Dementsprechend habe er zum Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Da kein Versicherungsfall vorliege, seien auch keine Entschädigungsleistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen.

Den behandelnden Ärzten teilte die Beklagte mit, dass diese keine Leistungen mehr zu ihren Lasten erbringen dürften und gegenüber der AOK machte nunmehr die Beklagte einen Erstattungsanspruch geltend.

Gegen den Bescheid vom 19.06.2015 legte der Kläger Widerspruch ein; der sich für ihn einschaltende Arbeitgeber trug diesbezüglich vor, dass er beim zuständigen Sozialversicherungsträger eine Entsendung für den Kläger beantragt habe, die durch die AOK Hessen am 06.05.2015 ausgestellt worden sei. Für den Kläger hätten somit vier Wochen vor der Entsendung in die Türkei die deutschen Rechtsvorschriften gegolten. Er sei vom 27.03. bis 15.04.2015 bei dem Arbeitgeber angestellt und vom 16.04. bis 27.04.2015 bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet gewesen. 

Die genannte „Bescheinigung über die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften“ („Deutsch-türkisches Abkommen über soziale Sicherheit“) der AOK war beigefügt. Hierin heißt es, dass der Versicherte, der Kläger, während der Zeit vom 28.04.2015 bis 25.07.2015 von seinem Arbeitgeber D. Sportreisen zu dem Unternehmen Sportclub G. in C-Stadt in die Türkei entsandt worden sei. Das dieser Bescheinigung zugrunde liegende, vom Arbeitgeber ausgefüllte Formular „Entsendung eines Arbeitnehmers in einen anderen Mitgliedsstaat“ vom 14.04.2015, bei der Krankenkasse eingegangen am 27.04.2015, wurde mitübersandt. Hierin gibt der Arbeitgeber an, dass der Kläger seit 27.03.2015 bei ihm beschäftigt sei und voraussichtlich vom 28.04.2015 bis 25.07.2015 in die Türkei entsandt werde. Auf telefonische Nachfrage teilte hierzu die Krankenkasse mit, dass sie ihre Bescheinigung ausschließlich nach den Angaben des Arbeitgebers ausstelle, ohne dass deren Richtigkeit, insbesondere nach dem Arbeitsvertrag, geprüft werde.

Mit dem Widerspruch wurden des Weiteren zwei „Meldebescheinigung zur Sozialversicherung für den Arbeitnehmer nach § 25 DEÜV“ des Arbeitgebers vorgelegt: Die vom 29.04.2015 datierende Bescheinigung „Anmeldung wegen Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses“ weist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis seit 27.03.2015 ohne Enddatum aus; die vom Vortag (28.04.2015) datierende „Abmeldung wegen Ende des Beschäftigungsverhältnisses“ zeigt das Ende dieses Beschäftigungsverhältnisses zum 15.04.2015 an. Beide Bescheinigungen sind nicht vollständig ausgefüllt; insbesondere enthält die Anmeldebescheinigung keine Eintragung zum beitragspflichtigen Bruttoentgelt. In der Abmeldebescheinigung wird ein beitragspflichtiges Bruttoentgelt von 307,-- Euro angegeben. 

Der zwischenzeitlich eingeschaltete Klägervertreter trug zur Widerspruchsbegründung vor, dass die Zeit vom 26.07.2015 bis 15.08.2015 zwischen den beiden geplanten Auslandseinsätzen des Klägers als Arbeitszeit zähle. In dieser Zeit habe der Kläger „der Disposition in Deutschland“ unterlegen. Er habe weiterhin seine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis am Standort des Arbeitgebers in F-Stadt zu erfüllen gehabt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.06.2015 zurück. Zur Begründung berief sie sich, ergänzend zu dem im Ausgangsbescheid Ausgeführten, darauf, dass der „einsatzfreie Zeitraum“ zwischen den beiden Entsendungen nicht näher bezeichnet worden sei und somit nicht feststehe, ob und ggf. welche Hauptleistungspflicht der Kläger in dieser Zeit hätte nachkommen sollen.

Der Kläger hat am 18.12.2015 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben.

Der Klägervertreter trägt vor,
auch zwischen den beiden Auslandseinsätzen habe § 106 Gewerbeordnung (Weisungsrecht des Arbeitgebers) gegolten. Der Kläger habe auch in dieser Zeit der Weisung des Arbeitgebers unterlegen. Zudem sei in § 6 des Arbeitsvertrages ein Urlaubsanspruch von 24 Werktagen angegeben. Dies seien 12 Werktage bei einer halbjährigen Beschäftigungszeit. Urlaub sei eine grundsätzlich zu entlohnende Arbeitszeit. Eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis sei auch, dass der Arbeitnehmer seinen ihm zustehenden Jahresurlaub zusammenhängend nehme. Dies hätte in der Zeit zwischen den beiden Auslandseinsätzen erfolgen sollen, selbst wenn die Hauptpflicht des Klägers in der Betreuung von Kunden im Ausland gelegen habe. Denn der zeitliche Abstand zwischen den geplanten Auslandseinsätzen sei mit einem halben Monat signifikant groß. Dass der Kläger diese Zeit quasi bezahlt zu Hause verbringen könne, ohne dass der Arbeitgeber eine Arbeitsleistung abfordere, entspreche eher nicht den tatsächlichen Gepflogenheiten. Welche Art der Arbeitsleistung tatsächlich erwünscht gewesen sei, könne der Kläger „ex ante“ nicht beurteilen, da es hierzu keine ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag gebe. Hierzu müsste der Geschäftsführer des Arbeitgebers befragt werden.

Auf Nachfrage der Kammervorsitzenden teilt der Klägervertreter mit, dass der Kläger selbst die Bescheinigung der Beklagten vom 04.05.2015 für die Inanspruchnahme von medizinischen Sachleistungen in der Türkei (s. o.) nicht erhalten oder zur Kenntnis genommen habe. Sämtlicher Schriftverkehr sei zwischen dem damaligen Arbeitgeber und dem Krankenhaus bzw. der Beklagten und dem Arbeitgeber geführt worden. Der Kläger könne sich nur noch daran erinnern, dass er damals kurz nach dem Unfall mit der Beklagten gesprochen habe und diese auch mit dem zuständigen Vertreter des Krankenhauses telefoniert habe. Der Kläger hätte das Krankenhaus nicht verlassen dürfen, bis die Kostenfrage geklärt gewesen sei. Er habe eine sog. Flugtauglichkeitsbescheinigung benötigt. Die Beklagte habe ihm telefonisch wörtlich versichert, dass alles mit dem Krankenhaus geklärt sei. Dass es hinsichtlich der Kosten zu Problemen kommen könnte, sei dem Kläger nicht mitgeteilt worden. Vielmehr habe der Kläger, nachdem die Beklagte mit dem Vertreter des Krankenhauses gesprochen habe, die Flugtauglichkeitsbescheinigung erhalten und habe nach Hause fliegen können. Der Kläger gehe davon aus, dass die Kostenübernahme durch die Beklagte direkt an das Krankenhaus erfolgt sei. 

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 19.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2015 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 01.05.2015 ein Versicherungsfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig. Auf Nachfrage der Kammervorsitzenden trägt sie vor, dass sich aus den vom Arbeitgeber übersandten Lohn- und Gehaltsabrechnungen grundsätzlich nicht nachvollziehen lasse, ob für den Kläger Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung abgeführt worden seien.

Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die bei ihr geführte Unternehmensakte des Arbeitgebers zu dem Rechtsstreit beigezogen.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung war.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhaltung den Kläger persönlich angehört. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Feststellung eines Versicherungsfalls gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 erste Alt., § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft und zulässig. Die Beklagte hat im Bescheid vom 19.06.2015 zwar wörtlich „Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 01.05.2015“ abgelehnt, was allerdings unter Heranziehung des Begründungteils des Bescheids dahingehend auszulegen ist, dass die Beklagte es abgelehnt hat, das Ereignis vom 01.05.2015 als Versicherungsfall (§ 8 SGB VII i. V. m. § 4 Abs. 1 SGB IV) festzustellen. Ein Rechtschutzbedürfnis für diese Klage besteht, weil bei Stattgabe dieser Klage über die Erbringung von Leistungen (Heilbehandlung, Verletztengeld) durch die Beklagte von Amts wegen zu entscheiden wäre. 

Die zulässige Klage führt jedoch in der Sache nicht zum Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf gerichtliche Feststellung, dass das Ereignis vom 01.05.2015 ein Versicherungsfall ist. Vielmehr hat die Beklagte die Feststellung eines Versicherungsfalls zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 4 SGB IV, die für die Bejahung des § 8 SGB VII benötigt werden, nicht erfüllt sind.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IV umfasst die Sozialversicherung, zu der die Gesetzliche Unfallversicherung gehört, u. a. Personen, die kraft Gesetzes versichert sind. Kraft Gesetzes in der Gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist ein Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Die Feststellung eines Arbeitsunfalls nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, der Grundlage für die Leistungsgewährung durch die Gesetzliche Unfallversicherung ist, setzt in der hier maßgeblichen Fallgestaltung voraus, dass der Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit eines Beschäftigten eingetreten ist. Die Vorschriften über die Versicherungspflicht gelten, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, nach § 3 Nr. 1 SGB IV nur für Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs beschäftigt sind. Hiervon regelt § 4 Abs. 1 SGB IV eine Ausnahme: Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist (sog. Ausstrahlung).

Inländisch – im Geltungsbereich des SGB – ist ein Beschäftigungsverhältnis dann, wenn eine Person für ein deutsches Unternehmen im Inland beschäftigt wird. Für die Prüfung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift kommt über den Wortlaut der schriftlich getroffenen Vereinbarungen hinaus den faktischen Verhältnissen entscheidende Bedeutung zu (so BSG Urt. 17.12.2015 – B 2 U 1/14 R, BeckRS 2016, 68682). Die Ausstrahlung ist aber nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil das Beschäftigungsverhältnis im Hinblick auf die Entsendung begründet worden wäre. Insoweit ist es für eine Ausstrahlung dann allerdings notwendig, dass sich die für eine Auslandsbeschäftigung vorgesehene Person vor deren Aufnahme im Inland befunden hat und das Beschäftigungsverhältnis bzw. seine Hauptpflichten nach dem Ende der Entsendung im Inland weitergeführt werden soll/en (vgl. BSG Urt. v. 23.2.2017 – B 11 AL 1/16 R, BeckRS 2017, 112711) (zitiert nach KassKomm/Zieglmeier, 104. EL Juni 2019, SGB IV § 4 Rn. 6). 

In den Fällen, in denen eine Beschäftigung ausschließlich zum Zwecke der Tätigkeit im Ausland eingegangen wird, kann es nicht zu einer Ausstrahlung im Sinne des § 4 SGB IV kommen. In diesen Fällen wird der Beschäftigte nämlich nicht „im Rahmen“ eines Beschäftigungsverhältnisses im Inland, sondern aufgrund einer Anstellung im Inland ins Ausland geschickt. Der Beschäftigte ist insofern nicht im Sinne des § 4 SGB IV schutzbedürftig, da er schon bei Begründung des Beschäftigungsverhältnisses keinen Versicherungsschutz hatte, der durch die Ausstrahlung erhalten werden könnte. Darüber hinaus würde weder dem Territorialitätsprinzip der Bundesrepublik Deutschland noch der Souveränität des Empfangsstaats Genüge getan, wenn die einfache Einstellung in Deutschland ausreichen könnte, um eine Versicherungspflicht im anderen Staat zu umgehen (Dietrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 4 SGB IV, Rn. 37).

Dementsprechend liegt im Falle des Klägers keine Ausstrahlung nach § 4 SGB IV vor. Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend begründet das Gericht seine Entscheidung wie folgt:

Der Kläger stand vor der Aufnahme seines Beschäftigungsverhältnisses in der Türkei nicht in einem Beschäftigungsverhältnis im Inland. Zwar wurde der Arbeitsvertrag (s. Tatbestand) bereits am 06.03.2015 mit einem inländischen Unternehmen abgeschlossen, was allerdings nicht bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt ein inländisches Beschäftigungsverhältnis bestand. Dies wird auch nicht geltend gemacht. Auch macht sich der Klägervertreter zu Recht nicht den Vortrag des Arbeitgebers im Widerspruchsverfahren zu eigen, dass das Beschäftigungsverhältnis im Inland bereits seit 27.03.2015 bestanden habe und der Kläger hieraus am 28.04.2015 in die Türkei entsandt worden sei (s. Tatbestand), denn das Beschäftigungsverhältnis des Klägers ab 27.03.2015 hatte am 15.04.2015 geendet und der Kläger war danach und vor der Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses in der Türkei am 28.04.2015 als arbeitssuchend gemeldet gewesen. 

In dem Arbeitsvertrag werden, durch die Umrahmung (s. Tatbestand) besonders hervorgehoben, als Beschäftigungsverhältnisse ausschließlich die beiden Auslandsaufenthalte, vom 28.04. bis 25.07.2015 in der Türkei und vom 16.08. bis 14.10.2015 in Kroatien, genannt, und in § 1 des Arbeitsvertrags ist, passend hierzu, geregelt, dass das Beschäftigungsverhältnis jeweils zum angegebenen Termin endet, ohne dass es einer ausdrücklichen Kündigung bedarf. Dies spricht, ebenso wie § 3 des Vertrages, in dem das Arbeitsverhältnis in der Türkei als „erstes Beschäftigungsverhältnis“ bezeichnet wird, dafür, dass in dem Zeitraum vom 28.04.2015 bis einschließlich 14.10.2015 zwei, jeweils befristete Beschäftigungsverhältnisse im Ausland vereinbart waren. Daher ist nach dem oben Ausgeführten mangels „Inlandsbezug“ der Tatbestand der Ausstrahlung nicht erfüllt.

Soweit der Klägervertreter geltend gemacht hat, dass in dem Vertrag nicht zwei, sondern ein einheitliches, vom 28.04.2015 bis einschließlich 14.10.2015 andauerndes, Beschäftigungsverhältnis vereinbart worden sei, ist kein Nachweis dafür erbracht, dass beabsichtigt war, den Kläger nach dem Ende des Arbeitseinsatzes in der Türkei und vor dem Arbeitseinsatz in Kroatien im Inland weiterzubeschäftigen. Vielmehr enthält der Arbeitsvertrag keine Bestimmung über eine in der Zwischenzeit, im Zeitraum vom 26.07.2015 bis 17.08.2015, im Inland zu erfüllende Hauptleistungspflicht des Klägers; und auch der Verweis auf § 2 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 315 Bürgerliches Gesetzbuch bzw. § 106 Gewerbeordnung helfen nicht weiter, denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass für die Zeit zwischen dem Türkei- und dem Kroatieneinsatz keine konkrete Beschäftigung im Inland vereinbart gewesen sei und dass eine weitere Beschäftigung auch im Ausland, im Sinne eines kurzfristigen Einspringens für verhinderte Arbeitnehmer, denkbar gewesen sei, ohne Rückkehr nach Deutschland vor dem Kroatien-Einsatz.

Soweit der Klägervertreter schriftsätzlich geltend gemacht hat, dass der Kläger nach dem Ende des ersten Auslandseinsatzes im Vollzug seines inländischen Beschäftigungsverhältnisses zusammenhängend habe Urlaub nehmen sollen, ist dies schon widersprüchlich zum vorherigen Vortrag. Aber auch der in der mündlichen Verhandlung modifizierte Vortrag, dass zwischen den beiden Auslandseinsätzen sowohl Urlaub zu nehmen als auch Arbeitseinsatz im Inland nach Weisung des Arbeitgebers zu leisten gewesen wäre, wenn der Kläger nicht verunglückt wäre, erscheint vor dem Hintergrund der Aktenlage und der persönlichen Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung als bloßes Konstrukt, um – entgegen den faktischen Verhältnissen – ein Beschäftigungsverhältnis im Inland von Rechts wegen behaupten zu können.

Auch die Bescheinigung der Beklagten über „Anspruch auf Sachleistungen bei Arbeitsunfall“ vom 04.05.2015 (s. Tatbestand), die die Angabe enthält, dass es sich bei dem Ereignis vom 01.05.2015 um einen Arbeitsunfall handelt, konnte keine Wirkung zugunsten des Klägers entfalten, da sie laut Erklärung des Klägers/Klägervertreters nicht zu dessen Kenntnis gelangt ist. Die angebliche telefonische Mitteilung, dass mit dem Krankenhaus „alles“ geklärt sei, konnte – sollte sie entgegen der im Tatbestand dargestellten Aktenlage tatsächlich so erfolgt sein – nicht als mündlich gegenüber dem Kläger erlassener Verwaltungsakt der Beklagten ausgelegt werden, dass das Ereignis vom 01.05.2015 ein Versicherungsfall ist. Auch dass der Kläger möglicherweise aus dem Umstand seiner Entlassung geschlossen hat, dass die Beklagte die Kosten des Krankenhausaufenthalts übernommen habe, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war, wäre ebenso wenig rechtsbegründend.

Dementsprechend enthielt auch die telefonische Mitteilung vom 08.06.2015 über den Verletztengeld-/Krankengeldbezug keine implizite Feststellung eines Versicherungsfalls. Dass eine verbindliche Regelung gegenüber dem Kläger vom Empfängerhorizont aus hiermit nicht erfolgt war, zeigt sich daran, dass der Kläger am Folgetag erneut bei der Beklagten anrief, um nach der Verletztengeldzahlung zu fragen. Die Gewährung von Krankengeld durch die GKV im Auftrag der Beklagten erfolgte denn auch – wie dem Kläger beim Telefonat am 09.06.2015 deutlich gemacht wurde – vorläufig bis zur Entscheidung über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.

Auch bestand keine formell-rechtliches Versicherungsverhältnis zwischen den Beteiligten durch die Zahlung von Beiträgen für den Kläger, aus der der Kläger Rechte hätte ableiten können, denn es ist nicht nachgewiesen, dass der Arbeitgeber für den Kläger Beiträge zur Gesetzlichen Unfallversicherung entrichtet hat (zu dem Rechtsinstitut der Formalversicherung und deren Voraussetzungen vgl. etwa Bayerisches LSG, Urteil vom 11.12.2007, L 3 U 259/94 Rz. 29; BSG, Urteil vom 26. Juni 1973 – 8/7 RU 34/71 –, BSGE 36, 71-74, SozR Nr 40 zu § 539 RVO, beide juris).

Nach alledem konnte die Klage nicht zum Erfolg führen und war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.

Rechtskraft
Aus
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