S 8 U 67/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 67/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 209/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Feststellung, wie die aus dem Arbeitsunfall vom 26.08.2013 resultierenden Folgen zu bewerten sind und ob sich diese verschlimmert haben.

Dem Kläger, geboren 1976, fielen am 26.08.2013, um 5:50 Uhr eine Palette mit Holz auf seinen Oberkörper. Hierbei zog er sich multiple Frakturen an der Brustwirbelsäule, eine Fraktur der Wirbel Th 11, Th 12 und eine Schädelprellung sowie eine Wunde am Ohr zu. 

Nach Kenntnisnahme von dem Unfall durch die Unfallanzeige vom 27.08.2013 ermittelte die Rechtsvorgängerin der Beklagten den tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt unter Heranziehung ärztlicher Befundberichte des Klägers.
Die Frakturen der Wirbelsäule (inkomplette obere Berstungsfraktur BWK 12, Deckplattenimpressionsfraktur BWK 9-11) wurden operativ versorgt. Es erfolgte eine dorsale Spondylodese Th 11 bis L1 und eine ventrale Spondylodese Th 11/12. Am 21.06.2014 erfolgte die Metallentfernung der dorsalen Spondylodese.

Der die Beklagte befragte beratende Arzt führte unter dem 24.09.2013 aus, dass beim Kläger stabile Deckplattenfrakturen der Brustwirbelkörper 9, 10 und 11 erkennbar seien. Beim zwölften Brustwirbelkörper handele es sich her um eine frische instabile Fraktur mit einer bis zu 50 %igen Zerstörung des apikalen Wirbelkörperanteils. Der zwölfte Brustwirbelkörper sei korrekterweise dorsal instrumentiert worden. Bei der Größenordnung der Zerstörung sollte zusätzlich eine ventrale Stabilisierung erfolgen. 

Die Beklagte gewährte Leistungen zur Heilbehandlung sowie Verletztengeld und eine orthopädische Matratze. Die Arbeitsfähigkeit des Klägers trat nach vorhergehender Belastungserprobung ab dem 25.08.2014 ein.

Nach vorheriger Anhörung des Klägers veranlasste die Beklagte dessen Begutachtung. Dr. C. schlug in seinem Ersten Rentengutachten vom 12.09.2014 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor.
Der Kläger gab an, dass er nach seiner normalen Arbeitsschicht starke Schmerzen im Rücken habe. Beim Wechsel des Wetters zum feucht-kalten hin habe er extreme Schmerzen sowie ein Taubheitsgefühl in der Flanke und der Rückennarbe. Er habe immer Rückenschmerzen. Er könne sich nicht mehr richtig Bücken. Er könne auch nicht mehr schwer heben. In Rückenlage würden die linke Hand und das linke Bein immer wieder taub.

Wesentliche Unfallfolgen seien die Narbenbildung am Rücken, in der linken Flanke und am linken Beckenkamm, die deutliche Bewegungseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule sowie die radiologisch beschriebenen Veränderungen nach knöchern verheilter BWK-12-Berstungsfraktur mit Fixation des Fragmentes BWK11/BWK12, nach Beckenkamminterponat des Bandscheibenraumes BWK11/12 und die radiologisch beschriebene verstärkte Brustkyphose von 30° oberhalb des Segmentes Th 11/12.

Der Sachverständige erhob folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 70/0/70, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 10/0/10, Rotation 10/0/10, Ott 30/30, Schober 10/11, FBA 30.

Der von der Beklagten befragte Beratungsarzt schlug unter dem 28.10.2014 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert vor. Denn es liege eine erheblich eingeschränkte Seitneigungs- und Rotationsbeweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule vor. Die Entfaltungsmöglichkeit der Brustwirbelsäule sei nahezu aufgehoben und die Entfaltungsmöglichkeit der Lendenwirbelsäule ebenfalls deutlich herabgesetzt. Es verbleibe ein statisch wirksamer Achsknick von 30°.

Mit Bescheid vom 14.11.2014 stellte die Beklagte eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert ab dem 23.08.2014 fest. Folgende gesundheitliche Beeinträchtigungen seien auf den Arbeitsunfall vom 26.08.2013 zurückzuführen:
Eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach operativer Versteifung des elften und zwölften Brustwirbelkörpers infolge eines Deckplattenkompressionsbruches mit Zerstörung der Bandscheibe am zwölften Brustwirbelkörper und unter Keilwirbelbildung knöchern verheilten Brüchen des neunten, zehnten und elften Brustwirbelkörpers, eine verstärkte Brustkyphose von 30° oberhalb des Segmentes 11./12. Brustwirbelkörper;
reizlose Operationsnarben; ohne Folgen ausgeheilte Schädelprellung.

Das von der Beklagten beauftragte Zweite Rentengutachten vom 24.04.2016 für die Rente auf unbestimmte Zeit von Prof. Dr. D. und Dr. E. schlugen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor. Beim Kläger stehe die ausgeprägte Schmerzsymptomatik im Vordergrund. Klinisch sei eine eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule festzustellen. Im Bereich der Brustwirbelsäule zeige sich ein reizlos einliegendes Plattenimplantat (Th 11/12 bei entferntem Schrauben-Stab-System Th11-L1).

Der Kläger gab an, dass die Beschwerden seit der letzten Begutachtung unverändert seien. Insbesondere nach längeren Lauf- und Sitzphasen habe er Schmerzen im Bereich der unteren Brustwirbelsäule. Bei Wetterumschwüngen sei er sehr schmerzgeplagt. Er sei in seinem Alltag eingeschränkt.

Die Narbenverhältnisse seien reizlos. Die Bewegungen des Klägers beispielsweise beim Entkleiden wirken mühsam. Im Profil sei eine abgeflachte Lordose der Lendenwirbelsäule und eine verankerte Kyphose der Brustwirbelsäule zu erkennen. Bei der Halswirbelsäule zeigen sich physiologische Bewegungsausmaße. Die Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule sei in der Seitneigung eingeschränkt gewesen. Auch die Körperdrehung sei leicht vermindert.

Die Sachverständigen erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 80/0/80, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 15/0/15, Rotation 20/0/20, Ott 30/30, Schober 10/12, FBA 44.

Der die Beklagte beratende Arzt verneinte das Eintreten einer wesentlichen Besserung der Unfallfolgen. Unter Berücksichtigung der ärztlichen Unterlagen sei eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert zu empfehlen. 

Mit Schreiben vom 07.07.2016 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Rentenherabsetzung an. Es liege nur noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor. Es sei keine Besserung notwendig. 

Mit Bescheid vom 05.08.2016 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert ab dem 01.09.2016. Folgende Folgen des Arbeitsunfalls vom 26.08.2013 seien berücksichtigt:
Belastungsbeschwerden und eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach operativer Verblockung des elften und zwölften Brustwirbelkörpers nach instabilem Deckplattenkompressionsbruch mit Zerstörung der Bandscheibe des zwölften Brustwirbelkörpers sowie knöchern verheilten Deckplattenbrüchen des neunten bis zwölften Brustwirbelkörpers, eine verstärkte Brustkyphose im Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule;
ohne Folgen ausgeheilte Schädelprellung.

Den klägerischen Widerspruch vom 29.08.2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2017 zurück. Eine Änderung der Verhältnisse sei für die Festlegung der Rente auf unbestimmte Zeit nicht notwendig. Es handele sich vielmehr um eine neue Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die noch bestehenden Unfallfolgen rechtfertigten noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert. Hierbei seien die bestehenden Belastungsbeschwerden und Bewegungseinschränkungen der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule berücksichtigt.

Ausweislich des Berichts vom 20.06.2017 zur Heilverfahrenskontrolle aufgrund der anhaltenden Schmerzen des Klägers wurde ein milder chronifizierter muskuloskelettaler Schmerz mit neuropathischer Komponente festgestellt.

Der Bericht vom 18.06.2017 diagnostizierte eine schwergradige Anpassungsstörung im Übergang zur reaktiven depressiven Episode. Es sei von einer relevanten depressiven Symptomatik auszugehen.

Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin psychotherapeutische Leistungen. 

Die Beklagte beauftragte nach vorheriger Anhörung des Klägers dessen Begutachtung. 

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie F. führte in seinem fachpsychiatrischen Gutachten vom 14.10.2017 aus, dass sich auf psychiatrischem Fachgebiet keine manifesten Gesundheitsstörungen gezeigt haben. Es seien weder für ein depressives Syndrom noch für eine Anpassungsstörung die diagnostischen Kriterien erfüllt. Der Kläger weise gewisse Züge einer Dysthymie auf. Diese Züge seien beim Kläger zwar vorhanden, besäßen aber keinen Krankheitswert. Es sei nicht zu erkennen, dass sich die Persönlichkeit des Klägers über das übliche Maß psychischer Reaktionen bei einem chronischen Schmerzsyndrom hinaus verändert habe. Die Kriterien einer Persönlichkeitsänderung seien nicht erfüllt. Beim Kläger gebe es keine Veränderungen, die über ein chronisches Schmerzsyndrom hinausgingen. Eine somatoforme Schmerzstörung liege nicht vor. Die Entwicklung einer Schmerzstörung erscheine typisch und regelhaft. Sie erfordere keine Erklärung durch spezielle psychogene Faktoren.

Ohne den Arbeitsunfall 2013 wäre die Belastung durch das chronische Schmerzsyndrom nicht entstanden. Allein durch psychische Störungen bestehe keine zusätzliche Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger gibt an, dass er ungerecht behandelt worden sei, er sei unzureichend therapiert worden und seine Minderung der Erwerbsfähigkeit sei gekürzt worden. Er sei seit dem 19.12.2016 durchgehend arbeitsunfähig.

Nach dem tödlichen Unfall des Bruders sei sein Leben normal weitergegangen. Er habe bei seiner Arbeit beim Steinmetz selbst den Grabstein angefertigt und so das Abschiednehmen unterstützt. Nach der Trauerphase von einem Jahr habe er den Tod des Bruders gut akzeptieren können. 

Bei seinen eigenen Unfallfolgen sei er weniger wirkmächtig und handlungsfähig. Er wolle wieder gesund werden.

Dres. G. und C. schlugen in ihrem fachchirurgischen Gutachten vom 05.12.2017 keine Minderung der Erwerbsfähigkeit vor. Dies könne aufgrund der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit nicht beurteilt werden. Wesentliche Unfallfolgen seien:
•    die Narbenbildung am Rücken
•    die schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule 
•    die radiologisch beschriebenen Veränderungen nach verheilter und operativ versorgter Berstungsfraktur des zwölften Brustwirbelkörpers und der mit keilförmiger Deformierung verheilten Wirbelfrakturen BWK 9 bis 1
•    das Dauerschmerzempfinden im Sinne eines chronischen Schmerzsyndroms.

Das Ende der bestehenden Arbeitsunfähigkeit sei vorläufig nicht abzusehen. Auch die Behandlungsbedürftigkeit dauere an. Zum jetzigen Zeitpunkt stehe die Bewältigung des chronischen Schmerzsyndroms im Vordergrund. Es bestünden keine unfallunabhängigen Erkrankungen. 

Der Kläger gab an, dass er zunehmende Schmerzen im Rücken verspüre. Bis 10/2016 seien die Schmerzen erträglich gewesen und seitdem hätten sie sich verschlimmert. Er habe auch Schmerzen im linken Bein und ein Taubheitsgefühl in beiden Händen. Nachts würde er von den Rückenschmerzen aufwachen. Er könne sich kaum noch bücken und nur noch leichte körperliche Tätigkeiten zu Hause erledigen. Eine Wiederaufnahme der Arbeit sei aufgrund der schlimmen Schmerzen nicht möglich und nicht absehbar. 

Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei in allen Ebenen eingeschränkt gewesen, ebenso die der Brustwirbelsäule und die der Lendenwirbelsäule.

Die Sachverständigen erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule seitneigen 20/0/20, Rotation 60/0/45, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 15/0/15, Rotation 10/0/10, Ott 30/30, Schober 10/11, FBA 54.

Unter Berücksichtigung der Nachfrage der Beklagten gaben Dres. G. und C. unter dem 06.02.2018 an, dass die Bandscheibenprotrusion unfallunabhängig sei. Der Kläger klage schwerpunktmäßig über Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule. Die Beschwerden in der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in das linke Bein haben sich erst später eingestellt. Die Entwicklung des chronischen Schmerzsyndroms sei daher allein auf die erlittene Brustwirbelfraktur bezogen. Der hauptsächliche Schmerzanteil gehe eindeutig von der Brustwirbelsäule aus. Im Vergleich der funktionellen Messwerte zeige sich eine deutliche Verschlechterung zwischen dem zweiten Rentengutachten und der Nachuntersuchung im Rahmen des Zusammenhangsgutachtens. Neben der Rotation und der Seitneigung haben sich auch der Fingerbodenabstand verschlechtert. Es werde daher eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert vorgeschlagen. Das chronische Schmerzsyndrom sei zusätzlich zu bewerten. 

Der von der Beklagten befragte Beratungsarzt führte unter dem 12.03.2018 aus, dass keine unfallreaktive Minderung der Erwerbsfähigkeit psychiatrischerseits vorliege. Die zurzeit im Vordergrund stehende Symptomatik gründe sich in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Es sei nicht von einer eigenständigen Schmerzkrankheit auszugehen. Anlässlich der erlittenen körperlichen Frakturen seien Schmerzen als normales Begleitsymptom der Berstungsfraktur zu erwarten; es handele sich um die üblichen Schmerzen. Zudem bestehe ein schädigungsunabhängiger orthopädischer Verschleiß. Die aktuellen Lebensbelastungen, insbesondere das beeinträchtigte Selbstwertgefühl unterhielten die Schmerzen psychischerseits. 

Zweifelsohne sei aufgrund der lebensgeschichtlichen Entwicklung eine Vielzahl von belastenden Lebensereignissen dokumentiert. Vor dem Unfallereignis habe keinerlei psychiatrische Behandlung stattgefunden. Es sei daher nicht von einer Vorschädigung, aber von einer Schadensanlage auszugehen. Aufgrund der als brennend charakterisierten Schmerzsymptomatik sei eine neuropathische Komponente der musculoskelettalen Schmerzen zu unterstellen. 

Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor. Es sei davon auszugehen, dass die Unfallfolgen im zeitlichen Verlauf abgeklungen seien. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage sei zu unterstellen. Die Anpassungsstörung sei zeitlich limitiert gewesen. Die ab dem 19.12.2016 bestehende Beschwerdesymptomatik stehe nicht mehr im Unfallzusammenhang. 

Es sei stattdessen von einer rezidivierenden depressiven Störung auszugehen. Die Schmerzsymptomatik stehe nicht im Schädigungszusammenhang. Bei dem schmerztherapeutisch beschriebenen Schmerz handele es sich um einen üblichen Schmerz. Diese seien bei der chirurgischerseits zu erfolgenden MdE-Bewertung bereits berücksichtigt und nicht gesondert zu bewerten. Daher resultiere aus der Schmerzsymptomatik keine anhaltende Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Der von der Beklagten befragte Beratungsarzt führte unter dem 01.04.2018 aus, dass der chronifizierte muskuloskelettale Schmerz mit neuropathischer Komponente nicht zu den Unfallfolgen gehöre. Es liege eine knöcherne monosegmentale Fusion im Segment Th 11/12 in Kombination mit stabil ausgeheilten Deckplattenfrakturen des BWK 9-11 vor. Unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte sei von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert auszugehen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert läge erst dann vor, wenn beispielsweise muskulär nicht kompensierbare Instabilitäten und/oder schwerwiegende neurologische/urologische Unfallfolgen vorliegen würden. Die Schnittbilddiagnostik und der neurologische Befund sowie der Verlauf sprächen gegen den Zusammenhang des neuropathischen Schmerzes mit dem Ereignis vom 26.08.2013.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 25.04.2018 zu der beabsichtigten Einstellung des Verletztengeldes zum 17.06.2018 an. Denn mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit sei nicht mehr zu rechnen. 

Dies führte die Beklagte mit Bescheid vom 16.05.2018 aus und stellte die Zahlung des Verletztengeldes mit Ablauf des 17.06.2018 ein. Die Arbeitsfähigkeit würde in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Maschinenführer nicht mehr eintreten. 

Mit Bescheid vom 17.05.2018 lehnte die Beklagte die Gewährung einer höheren Rente ab. Es liege nach wie vor eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor und die zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich nicht wesentlich geändert. Es sei allenfalls von einer leichtgradigen Anpassungsstörung ohne Relevanz für die Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugehen. Grundlage der jetzt noch bestehenden depressiven Verstimmung seien im Wesentlichen unfallunabhängige Belastungsfaktoren. Es sei eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf psychiatrischem Gebiet bestehe nicht. 

Ein Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und statisch wirksamen Achsenknick bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 bis 20 von Hundert. Unter Berücksichtigung der Funktionseinbußen und der Schmerzsymptomatik liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor.

Die Bandscheibenvorwölbung in dem Segment L4/5 mit Kompression von Bandscheibengewebe auf die Nervenwurzel inklusive neuropathischer Schmerzkomponente und Schmerzausstrahlung in das linke Bein, die mittelgradige depressive Episode, das Schulter-Schmerzsyndrom und das Sulcus-ulnaris-Syndrom links seien nicht unfallbedingt. 

Mit Schreiben vom 17.01.2019 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag, da er ständig Schmerzen im Narbenbereich habe. Diese würden sich in die Arme, Hände und Beine verteilen und zu Schlaflosigkeit führen.

Nach vorheriger Anhörung des Klägers beauftragte die Beklagte dessen Begutachtung. Dres. H. und J. schlugen in ihrem Gutachten vom 18.03.2019 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor. Diese beziehen sich auf die durch die Unfallverletzungen hervorgerufenen Bewegungs- und somit funktionellen Einschränkungen der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Nach den Erfahrungswerten ergebe eine monosegmentale Fusion der Brustwirbelsäule mit aufgehobener Beweglichkeit im betroffenen Segment eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 von Hundert. Bei gleichzeitigem Vorliegen der knöchern ausgeheilten BWK 9 bis 11 Deckplattenfrakturen und insgesamt daraus resultierende Bewegungseinschränkung der unteren Brustwirbelsäule könne trotz fehlender Instabilität einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert zugestimmt werden. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert und höher ergebe sich beispielsweise bei muskulär nicht kompensierbarer Instabilität und schwerwiegenden neurologischen Unfallfolgen. Eine Änderung der maßgeblichen früheren Vergleichsbefunde sei nicht eingetreten.
Der Kläger gab an, dass sich die Beschwerden seit der letzten Begutachtung verschlimmert hätten. Er habe ständig Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule, aber auch in den angrenzenden Wirbelsäulenbereichen.

Die Ausbildung eines chronischen Schmerzsyndroms sei nach einer solch relativ komplexen Wirbelsäulenverletzung möglich, werde aber in den aktenkundigen Unterlagen kontrovers diskutiert. Eine weitere Begutachtung werde empfohlen.

Die Sachverständigen erhoben folgende Bewegungsausmaße: Halswirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 60/0/40, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 20/0/20, Rotation 20/0/20, Ott 30/31, Schober 10/12, FBA 52.

Mit Bescheid vom 24.04.2019 lehnte die Beklagte eine Rentenerhöhung ab. Es liege weiterhin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor. Die dem Bescheid vom 05.08.2016 zugrundeliegenden Verhältnisse haben sich nicht wesentlich geändert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2019 wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch vom 06.05.2019 zurück. Eine wesentliche Verschlimmerung der festgestellten Unfallfolgen liege nicht vor. Es sei nach wie vor eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert zu gewähren.

Der Kläger hat am 14.08.2019 beim Sozialgericht Fulda Klage eingereicht.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm wegen der Unfallfolgen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mehr als 20 vom Hundert zusteht. Bei der zuerkannten Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert sei das chronische Schmerzsyndrom noch nicht berücksichtigt. Seine Lebensqualität sei erheblich beeinträchtigt. Er werde zunehmend depressiv und die Gewährung der Erwerbsminderungsrente sei verlängert worden. 

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 24.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2019 insoweit aufzuheben, als dass die festgestellten Folgeschäden des Arbeitsunfalls vom 26.08.2013 nicht mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 30 vom Hundert bewertet worden sind und das chronische Schmerzsyndrom nicht als weiterer Folgeschaden festgestellt worden ist und
die Beklagte zu verurteilen, die festgestellten und festzustellenden Folgeschäden des Arbeitsunfalls vom 26.08.2013 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 30 v.H. zu bewerten und eine Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab dem 17.01.2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf den angefochtenen Bescheid bezogen. 

Die Kammer hat im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht Berichte der den Kläger behandelnden Ärzte angefordert und die medizinischen Unterlagen des Rentenversicherungsträgers und das Vorerkrankungsverzeichnis beigezogen und zum Gegenstand ihrer Entscheidung gemacht. 

Ausweislich des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. K. vom 21.09.2018 liege beim Kläger eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor. Zudem habe sich eine depressive Anpassungsstörung entwickelt, die dann im Verlauf in eine rezidivierende depressive Störung übergegangen sei, die gegenwärtig ein mittelgradiges Ausmaß annehme.

Nach dem Unfall hätten sich auch Alpträume, Nachhallerinnerungen/Flashbacks als verzögerte Reaktion auf das belastende Unfallereignis mit außergewöhnlicher Belastung entwickelt. 

Die berufliche Leistungsfähigkeit sei erheblich qualitativ und quantitativ eingeschränkt, unter drei Stunden. 

Der Kläger hat angegeben, dass er weiterhin Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und Halswirbelsäule habe. Die Stimmung sei schlecht. Nichts sei so wie früher. Er ziehe sich zurück, gehe nicht mehr gerne unter Menschen, unternehme wenig. Der Unfall sei von der Firma unter den Teppich gekehrt worden. Er habe dort ständig die Konfrontation mit dem Unfall gehabt. Er habe in Firma häufiger versteckt geweint. 

Die Kammer hat Beweis über Art und Umfang der Folgen des Unfalls vom 26.08.2013 durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG erhoben. Dabei hat der Sachverständige Dr. M. in seinem Gutachten vom 19.06.2020 auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet ausgeführt, dass der Kläger eine chronische depressive Verstimmung in Form einer Dysthymia hat. Die Dysthymia habe eine multifaktorielle Genese und sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Unfallereignisses. Die Schwerpunkte des Beschwerdebildes lägen auf orthopädischem Gebiet. Die stattgehabte Schädelprellung sei folgenlos ausgeheilt.

Die Dysthymia stelle keine unfallreaktive psychische Erkrankung dar. Sie gründe sich auf mehrere Faktoren. Beim Kläger seien mehrere lebensgeschichtliche Belastungsfaktoren bekannt: Migrationsproblematik, Verkehrsunfall, bei dem der ältere Bruder 1994 zu Tode kam, die finanzielle und soziale Situation, die Verbitterung über das Verhalten des Arbeitgebers nach dem Unfall 2013. Soziale Folgen eines Arbeitsunfalls seien nicht entschädigungspflichtig.

Ein seelischer Erstschaden relevanten Ausmaßes sei nicht nachgewiesen. Der Kläger habe erstmals in 01/2017 seelische Beschwerden beklagt. Bei nicht nachweisbarem Primärschaden erübrige sich jede weitere Diskussion zu den Zusammenhängen. 

Auffallend sei in der Zusammenschau der Befunde die Progredienz der Beschwerden sowohl in körperlicher als auch in seelischer Hinsicht im Laufe des Verwaltungsverfahrens. Üblicherweise verliere eine unfallbedingte psychische Symptomatik im weiteren Verlauf an Intensität.

Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit lasse sich nicht feststellen. Die von der Beklagten gewährte Psychotherapie sei nicht nachvollziehbar. Denn die diagnostizierte Anpassungsstörung müssen innerhalb von drei Monaten nach dem belastenden Ereignis beginnen und nicht erst 06/2017. Auch könne keine mittelbare seelische Störung angenommen werden, da das Auftreten drei Jahre nach dem Unfall nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus seien die üblichen seelischen Begleiterscheinungen bei der orthopädischen Minderung der Erwerbsfähigkeit bereits berücksichtigt. Die gestellten Diagnosen sonstige Reaktion auf schwere Belastung, mittelgradige depressive Episode und die chronische Schmerstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ließen sich so nicht nachvollziehen. Vier Jahre nach dem Unfall lasse sich auch keine Unfallkausalität ableiten. 

Beim Kläger lasse sich kein chronisches Schmerzsyndrom feststellen. Die vom Kläger angegebenen Schmerzen seien aus psychiatrischer Sicht für ihre Ursache unspezifisch.

Der Kläger hat angegeben, dass die linke Seite oft taub wäre. Durch die Gefühlsstörungen vom linken Bein her sei er schon zweimal gestürzt. Seit Ende 2019 habe er nun einen Handgehstock links. Bei schlechtem Wetter wolle er nicht aus dem Haus und bei Wetterwechseln habe er vermehrt Schmerzen im Narbenbereich. Immer wenn er den Lift bedienen musste, habe er die Bilder vor Augen gehabt. Der Staplerfahrer sei bei dem Unfall betrunken gewesen, aber die Firma habe den Unfall nicht aufgeklärt, sondern habe ihn unter den Teppich gekehrt. Es gebe Differenzen mit der zuständigen Berufsgenossenschaft. Auch habe er nach der Wiedereingliederung ein Mobbing durch den Produktionsleiter erfahren. Er habe bis Ende 2016 gearbeitet und sei dann arbeitsunfähig geworden.

Der Staplerfahrer habe einen Fehler gemacht. Er sollte eine Last in den Aufzug stellen und habe die zwei Gitterboxen schief abgestellt. Diese wären dann auf den Kläger gefallen. 

Er habe eine psychotherapeutische Behandlung gemacht. Die letzte sei 2017 oder 2018 gewesen. Der Kläger hat angegeben, dass er noch an den Unfall denke, wenn er Schmerzen habe. Instrusionen oder Nachhallerinnerungen werden verneint. Ein episodenhafter Verlauf der Stimmungslage werde verneint. Er repariere oder restauriere gerne Fahrräder. Er bastele auch ferngesteuerte Autos mit Verbrennungsmotoren. In der Rekonvaleszenzzeit habe er auch Legomodelle gebaut. Er bastele gerne und wolle so schnell wie möglich wieder Fahrrad fahren können. Er wünsche sich, dass der Unfall aufgeklärt werde. 
Bei der körperlichen Untersuchung haben sich aus neurologischer Sicht schon Hinweise auf eine Aggravation bzw. gegebenenfalls Simulation ergeben. In der Grundstimmung habe der Kläger niedergeschlagen, belastet, subdepressiv bzw. dysthym gewirkt. Der Kläger habe angemessen seinen Alltag geschildert. Er habe gute soziale Kontakte. Wesentliche Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeit seien der Schilderung des Alltags nicht zu entnehmen. 

In dem neurologischen Untersuchungsbefund lägen keine signifikanten Ausfälle vor. Es hätten Hinweise auf eine Aggravation bzw. Simulation hinsichtlich der Motorik vorgelegen. Die Beeinträchtigungen seien mit dem Krankheitsbild so nicht vereinbar. Kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes lägen nicht vor. Eine tiefgehende depressive Stimmungslage habe nicht vorgelegen. Es fehle auch ein Anhalt für eine relevante Somatisierung. 

Die Kammer hat Beweis über Art und Umfang der Folgen des Unfalls vom 26.08.2013 durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG erhoben. Dabei hat der Sachverständige Dr. N. in seinem Gutachten vom 23.06.2020 auf fachorthopädisch-unfallchirurgisch-sozialmedizinischem Gebiet ausgeführt, dass Folge des Unfallereignisses vom 26.08.2013 eine instabile Berstungsfraktur des zwölften Brustwirbelkörpers sowie eine Deckplattenimpressionsfraktur des neunten bis elften Brustwirbelkörpers und eine verbliebene mittelgradige Funktionseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach dorsaler Spondylodese (Th 11 bis L 1) in 08/2013, eine ventrale Spondylodese Th 11/Th 12 in 11/2013 und einer Entfernung der dorsalen Spondylodese in 06/2014 beim Kläger vorliegen. Die Spondylodese Th 11/Th 12 sei korrekt implantiert. 

Unter Berücksichtigung der Konsensempfehlungen liege eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vor. Unfallunabhängige Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule ließen sich nicht nachweisen. Eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen liege nicht vor. Es handele sich um einen Dauerzustand.

Der Kläger hat angegeben, dass er im Bereich der Halswirbelsäule einen brennenden, ziehenden und stechenden Schmerz im unteren Halswirbelsäulenbereich ohne Ausstrahlung an sieben Tagen in der Woche in wechselnder Intensität je nach Belastung habe. An der gesamten linken Körperhälfte einschließlich des linken Armes und Beines habe er ein Taubheitsgefühl. Im Bereich der Brustwirbelsäule liege ein brennender, ziehender und stechender Schmerz im unteren Bereich der Brustwirbelsäule mit Ausstrahlung in die linke Flanke an sieben Tagen in der Woche in wechselnder Intensität je nach Belastung vor. Im Bereich der Lendenwirbelsäule habe er einen brennenden Schmerz im unteren Lendenwirbelsäulenbereich mit Ausstrahlung in die linke Gesäßhälfte sowie in den hinten liegenden Oberschenkel auf der linken Seite an sieben Tagen in der Woche in wechselnder Intensität, je nach Belastung. Im linken Bein bestehe ein Taubheitsgefühl.

Es bestehe ein leicht linkshinkendes, aber flüssiges Gangbild. Auf der rechten Seite werde ein Handstock als orthopädisches Hilfsmittel benutzt. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei endgradig eingeschränkt. Es zeige sich eine mittelgradig vermehrte Rundrückenbildung im Bereich der Brustwirbelsäule. Die Bewegung und das Aufrichten aus der Rumpfbeuge werden unter leichter Schmerzangabe im Bereich des thorakolumbalen Überganges durchgeführt. Die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule sei mittelgradig eingeschränkt. Die aktuelle Schmerzstärke liege nach den Angaben des Klägers bei 9/10.

Der Sachverständige hat folgende Bewegungsausmaße erhoben: Halswirbelsäule seitneigen 40/0/40, Rotation 60/0/60, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 30/0/30, FBA 32 cm, Ott 30/31, Schober 10/13.

Der Kläger hat sich dem Ergebnis der Begutachtung nicht anschließen können. 

Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 02.11.2020 wird Bezug genommen.

Die das verfahrensgegenständliche Ereignis betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Blatt 1 bis 1117) lag vor und war Grundlage der Entscheidung und Bestandteil der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die genannte Verwaltungsakte sowie die Akte des Gerichts, Az. S 8 U 67/19, verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 24.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, da die festgestellten Folgeschäden des Arbeitsunfalls vom 26.08.2013 nicht mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 vom Hundert zu bewerten sind. Eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen lässt sich nicht feststellen. Zudem sind auch keine weiteren Unfallfolgen festzustellen.

Nach § 73 Abs. 3 SGB VII i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine Verschlimmerung oder Verbesserung von Unfallfolgen stellt dann eine wesentliche Änderung der Verhältnisse dar, wenn sich hierdurch der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 5 v.H. senkt oder erhöht. Maßgeblich zur Beurteilung einer wesentlichen Änderung ist der Vergleich der für die letzte bindend gewordene Feststellung maßgeblichen Befunde mit denjenigen, die zum Zeitpunkt der geltend gemachten Änderung vorliegen.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vom Hundert (v.H.) gemindert ist. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Versicherte Tätigkeit ist gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Unstreitig liegt durch das Ereignis vom 26.08.2013 ein Arbeitsunfall vor. Allerdings haben sich die festgestellten Unfallfolgen weder verschlimmert noch sind weitere Unfallfolgen festzustellen. 

Durch das Wort „infolge“ drückt § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden erforderlich ist. Diese sogenannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Der Bereich der haftungsbegründenden Kausalität ist u.a. betroffen, wenn es um die Frage geht, ob der Unfall wesentlich durch die versicherte Tätigkeit oder durch eine sogenannte innere Ursache hervorgerufen worden ist, während dem Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität die Kausalkette - Unfallereignis (primärer) Gesundheitsschaden und (sekundärer) Gesundheitsschaden - weitere Gesundheitsstörungen zuzuordnen ist. 

Für die Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus und einen zweiten, wertenden Schritt, dass das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. 

Während für die Grundlagen der Ursachenbeurteilung - versicherte Tätigkeit, Unfallereignis, Gesundheitsschaden - eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden Tatsachen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht. Dabei müssen auch körpereigene Ursachen erwiesen sein, um bei der Abwägung mit den anderen Ursachen berücksichtigt werden zu können. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen.

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden „voll“, das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, also nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.

Auf der ersten Stufe ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt. Aufgrund dieser Unbegrenztheit dieses conditio sine qua non-Zusammenhanges ist auf der zweiten Stufe zwischen solchen Ursachen zu differenzieren, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden und denen der Erfolg zugerechnet wird gegenüber den für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. 

Die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einem Gesundheitsschaden besteht, ist in erster Linie nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Im Rahmen seiner richterlichen Überzeugungsbildung hat das Gericht alles Erforderliche im Sinne der §§ 103, 128 SGG zu tun, um diese Frage zu klären, wobei es sich des Urteils fachkundiger Sachverständiger zu bedienen hat, um mit deren Hilfe festzustellen, ob nach den einschlägigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen das angeschuldigte Ereignis die wahrscheinliche Ursache des bestehenden Gesundheitsschadens ist. Maßgebend ist hierfür grundsätzlich die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen kann. Andererseits ist es nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit voneinander abweichenden medizinischen Lehrmeinungen im Einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, welche von ihnen richtig ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass die Folgen des Arbeitsunfalls vom 26.08.2013 keine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe als 30 vom Hundert bedingen. Eine wesentliche Verschlimmerung der festgestellten Unfallfolgen liegt zur Überzeugung der Kammer nicht vor und weitere Unfallfolgen lassen sich ebenfalls nicht feststellen. Dies ergibt sich aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Dr. N. und Dr. M., denen sich die Kammer anschließt und dessen Inhalt sie sich zu eigen macht. 

Der Sachverständige Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 19.06.2020 auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nach § 106 SGG ausgeführt, dass der Kläger eine chronische depressive Verstimmung in Form einer Dysthymia hat. Die Dysthymia hat nach den Darlegungen des Sachverständigen eine multifaktorielle Genese und ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Unfallereignisses, wie der Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar darlegt. Die Schwerpunkte des Beschwerdebildes liegen vielmehr auf orthopädischem Gebiet. Die stattgehabte Schädelprellung ist folgenlos ausgeheilt.

Die Dysthymia stellt nach den Ausführungen des Sachverständigen keine unfallreaktive psychische Erkrankung dar. Sie gründet sich auf mehrere Faktoren. Beim Kläger sind mehrere lebensgeschichtliche Belastungsfaktoren bekannt: Migrationsproblematik, Verkehrsunfall, bei dem der ältere Bruder 1994 zu Tode kam, die finanzielle und soziale Situation, die Verbitterung über das Verhalten des Arbeitgebers nach dem Unfall 2013. Soziale Folgen eines Arbeitsunfalls sind nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen jedoch nicht entschädigungspflichtig nach der gesetzlichen Unfallversicherung.

Ein seelischer Erstschaden relevanten Ausmaßes ist nicht nachgewiesen, wie der Sachverständige korrespondierend mit der Aktenlage aufzeigt. Der Kläger hat erstmals in 01/2017 seelische Beschwerden beklagt. Bei nicht nachweisbarem Primärschaden erübrigt sich jede weitere Diskussion zu den Zusammenhängen, wie der Sachverständigen darlegt. 

Auffallend ist für den Sachverständigen in der Zusammenschau der Befunde die Progredienz der Beschwerden sowohl in körperlicher als auch in seelischer Hinsicht im Laufe des Verwaltungsverfahrens. Üblicherweise verliert eine unfallbedingte psychische Symptomatik im weiteren Verlauf an Intensität.

Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit stellt der Sachverständige auf seinem Fachgebiet nicht fest. Die von der Beklagten gewährte Psychotherapie ist für ihn nicht nachvollziehbar. Denn die diagnostizierte Anpassungsstörung muss nach den Diagnoserichtlinien innerhalb von drei Monaten nach dem belastenden Ereignis beginnen und nicht erst 06/2017. Auch können der Sachverständige und die Kammer keine mittelbare seelische Störung annehmen, da das Auftreten drei Jahre nach dem Unfall nicht nachvollziehbar ist. Darüber hinaus sind die üblichen seelischen Begleiterscheinungen bei der orthopädischen Minderung der Erwerbsfähigkeit bereits berücksichtigt. Die gestellten Diagnosen sonstige Reaktion auf schwere Belastung, mittelgradige depressive Episode und die chronische Schmerstörung mit somatischen und psychischen Faktoren kann der Sachverständige nicht nachvollziehen. Vier Jahre nach dem Unfall kann nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen keine Unfallkausalität abgeleitet werden. 

Beim Kläger verneint der Sachverständige nachvollziehbar und schlüssig ein chronisches Schmerzsyndrom. Die vom Kläger angegebenen Schmerzen sind aus psychiatrischer Sicht für ihre Ursache zur unspezifisch.

Bei der körperlichen Untersuchung haben sich für den Sachverständigen aus neurologischer Sicht schon Hinweise auf eine Aggravation bzw. gegebenenfalls Simulation ergeben. In der Grundstimmung hat der Kläger niedergeschlagen, belastet, subdepressiv bzw. dysthym gewirkt. Der Kläger hat angemessen seinen Alltag geschildert. Er hat gute soziale Kontakte. Wesentliche Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeit hat der Sachverständige der Schilderung des Alltags nicht entnommen. 

In dem neurologischen Untersuchungsbefund liegen nach den Feststellungen des Sachverständigen keine signifikanten Ausfälle vor. Es hätten Hinweise auf eine Aggravation bzw. Simulation hinsichtlich der Motorik vorgelegen. Die Beeinträchtigungen sind nach der Einschätzung des Sachverständigen mit dem Krankheitsbild so nicht vereinbar. Kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes liegen nicht vor. Eine tiefgehende depressive Stimmungslage hat nach der Einschätzung des Sachverständigen ebenso nicht vorgelegen. Es fehlt auch ein Anhalt für eine relevante Somatisierung. 

Danach kann der vom Kläger begehrten Feststellung der somatoformen Schmerzstörung als weitere Unfallfolge nicht entsprochen werden.

Der Sachverständige Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 23.06.2020 auf fachorthopädisch-unfallchirurgisch-sozialmedizinischem Gebiet ausgeführt, dass Folge des Unfallereignisses vom 26.08.2013 eine instabile Berstungsfraktur des zwölften Brustwirbelkörpers sowie eine Deckplattenimpressionsfraktur des neunten bis elften Brustwirbelkörpers und eine verbliebene mittelgradige Funktionseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach dorsaler Spondylodese (Th 11 bis L 1) in 08/2013, eine ventrale Spondylodese Th 11/Th 12 in 11/2013 und einer Entfernung der dorsalen Spondylodese in 06/2014 beim Kläger vorliegen. Die Spondylodese Th 11/Th 12 ist korrekt implantiert. 

Unter Berücksichtigung der Konsensempfehlungen empfiehlt der Sachverständige eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert. Unfallunabhängige Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule kann der Sachverständige nicht nachweisen. Der Sachverständige verneint eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen. Es handelt sich vielmehr um einen Dauerzustand.

Es besteht nach den Feststellungen des Sachverständigen ein leicht linkshinkendes, aber flüssiges Gangbild. Auf der rechten Seite benutzt der Kläger einen Handstock als orthopädisches Hilfsmittel. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule ist endgradig eingeschränkt. Es zeigt sich den Sachverständigen eine mittelgradig vermehrte Rundrückenbildung im Bereich der Brustwirbelsäule. Die Bewegung und das Aufrichten aus der Rumpfbeuge werden unter leichter Schmerzangabe im Bereich des thorakolumbalen Überganges durchgeführt. Die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule ist nach den Feststellungen des Sachverständigen mittelgradig eingeschränkt. Die aktuelle Schmerzstärke liegt nach den Angaben des Klägers bei 9/10.

Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten verneinen ebenfalls das Vorliegen einer wesentlichen Verschlimmerung der von der Beklagten festgestellten Unfallfolgen. 

Dres. H. und J. haben in ihrem Gutachten vom 18.03.2019 weiter eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert vorgeschlagen. Diese beziehen sich auf die durch die Unfallverletzungen hervorgerufenen Bewegungs- und somit funktionellen Einschränkungen der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Nach den Erfahrungswerten ergebe eine monosegmentale Fusion der Brustwirbelsäule mit aufgehobener Beweglichkeit im betroffenen Segment eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 von Hundert. Bei gleichzeitigem Vorliegen der knöchern ausgeheilten BWK 9 bis 11 Deckplattenfrakturen und insgesamt daraus resultierende Bewegungseinschränkung der unteren Brustwirbelsäule könne trotz fehlender Instabilität einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert zugestimmt werden. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert und höher ergebe sich beispielsweise bei muskulär nicht kompensierbarer Instabilität und schwerwiegenden neurologischen Unfallfolgen. Eine Änderung der maßgeblichen früheren Vergleichsbefunde sei nicht eingetreten.

Der Kläger gab an, dass sich die Beschwerden seit der letzten Begutachtung verschlimmert hätten. Er habe ständig Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule, aber auch in den angrenzenden Wirbelsäulenbereichen.

Die Ausbildung eines chronischen Schmerzsyndroms sei nach einer solch relativ komplexen Wirbelsäulenverletzung möglich, werde aber in den aktenkundigen Unterlagen kontrovers diskutiert. Eine weitere Begutachtung werde empfohlen.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie F. hat in seinem fachpsychiatrischen Gutachten vom 14.10.2017 ausgeführt, dass sich auf psychiatrischem Fachgebiet keine manifesten Gesundheitsstörungen gezeigt haben. Es seien weder für ein depressives Syndrom noch für eine Anpassungsstörung die diagnostischen Kriterien erfüllt. Der Kläger weise gewisse Züge einer Dysthymie auf. Diese Züge seien beim Kläger zwar vorhanden, besäßen aber keinen Krankheitswert. Es sei nicht zu erkennen, dass sich die Persönlichkeit des Klägers über das übliche Maß psychischer Reaktionen bei einem chronischen Schmerzsyndrom hinaus verändert habe. Die Kriterien einer Persönlichkeitsänderung seien nicht erfüllt. Beim Kläger gebe es keine Veränderungen, die über ein chronisches Schmerzsyndrom hinausgingen. Eine somatoforme Schmerzstörung liege nicht vor. Die Entwicklung einer Schmerzstörung erscheine typisch und regelhaft. Sie erfordere keine Erklärung durch spezielle psychogene Faktoren.

Ohne den Arbeitsunfall 2013 wäre die Belastung durch das chronische Schmerzsyndrom nicht entstanden. Allein durch psychische Störungen bestehe keine zusätzliche Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger gibt an, dass er ungerecht behandelt worden sei, er sei unzureichend therapiert worden und seine Minderung der Erwerbsfähigkeit sei gekürzt worden. Er sei seit dem 19.12.2016 durchgehend arbeitsunfähig.

Nach dem tödlichen Unfall des Bruders sei sein Leben normal weitergegangen. Er habe bei seiner Arbeit beim Steinmetz selbst den Grabstein angefertigt und so das Abschiednehmen unterstützt. Nach der Trauerphase von einem Jahr habe er den Tod des Bruders gut akzeptieren können. 

Bei seinen eigenen Unfallfolgen sei er weniger wirkmächtig und handlungsfähig. Er wolle wieder gesund werden.

Die Kammer stellt zusammenfassend nach Auswertung der Unterlagen und Gutachten fest, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 26.08.2013 die festgestellten Frakturen an der Brustwirbelsäule erlitten hat. Die weiter erlittene Schädelprellung ist folgenlos ausgeheilt. Die beim Kläger bestehenden Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule führen unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert, wobei hierbei schon die Schmerzen des Klägers berücksichtigt sind. Denn eine gesonderte seelische oder psychiatrische Erkrankung hat der Gerichtssachverständige einerseits nicht festgestellt und andererseits legt dieser eine Verschiebung der Wesensgrundlage zugrunde bzw. wirkt sich diese nicht erhöhend aus. Maßgeblich und führend sind daher allein die Einschränkungen aus orthopädischer Sicht.
 

Wer? Wann? Beschreibung Bewegungsausmaße
Zweite Rentengutachten vom 24.04.2016 für die Rente auf unbestimmte Zeit von Prof. Dr. D. und Dr. E.

Beim Kläger stehe die ausgeprägte Schmerzsymptomatik im Vordergrund. Klinisch sei eine eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule festzustellen. Im Bereich der Brustwirbelsäule zeige sich ein reizlos einliegendes Plattenimplantat (Th 11/12 bei entferntem Schrauben-Stab-System Th11-L1).

Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert

Halswirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 80/0/80, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 15/0/15, Rotation 20/0/20, Ott 30/30, Schober 10/12, FBA 44
Dres. G. und C., fachchirurgischen Gutachten vom 05.12.2017

Wesentliche Unfallfolgen seien:
•    die Narbenbildung am Rücken
•    die schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule 
•    die radiologisch beschriebenen Veränderungen nach verheilter und operativ versorgter Berstungsfraktur des zwölften Brustwirbelkörpers und der mit keilförmiger Deformierung verheilten Wirbelfrakturen BWK 9 bis 1
•    das Dauerschmerzempfinden im Sinne eines chronischen Schmerzsyndroms

Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert

Halswirbelsäule seitneigen 20/0/20, Rotation 60/0/45, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 15/0/15, Rotation 10/0/10, Ott 30/30, Schober 10/11, FBA 54
Dres. H. und J., Gutachten vom 18.03.2019 Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert 
Diese beziehen sich auf die durch die Unfallverletzungen hervorgerufenen Bewegungs- und somit funktionellen Einschränkungen der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Nach den Erfahrungswerten ergebe eine monosegmentale Fusion der Brustwirbelsäule mit aufgehobener Beweglichkeit im betroffenen Segment eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 von Hundert. Bei gleichzeitigem Vorliegen der knöchern ausgeheilten BWK 9 bis 11 Deckplattenfrakturen und insgesamt daraus resultierende Bewegungseinschränkung der unteren Brustwirbelsäule könne trotz fehlender Instabilität einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert zugestimmt werden. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert und höher ergebe sich beispielsweise bei muskulär nicht kompensierbarer Instabilität und schwerwiegenden neurologischen Unfallfolgen. Eine Änderung der maßgeblichen früheren Vergleichsbefunde sei nicht eingetreten.
Halswirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 60/0/40, Brustwirbelsäule / Lendenwirbelsäule seitneigen 20/0/20, Rotation 20/0/20, Ott 30/31, Schober 10/12, FBA 52
Dr. N. in seinem Gutachten vom 23.06.2020 auf fachorthopädisch-unfallchirurgisch-sozialmedizinischem Gebiet

Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert 

Folge des Unfallereignisses vom 26.08.2013 sind eine instabile Berstungsfraktur des zwölften Brustwirbelkörpers sowie eine Deckplattenimpressionsfraktur des neunten bis elften Brustwirbelkörpers und eine verbliebene mittelgradige Funktionseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule nach dorsaler Spondylodese (Th 11 bis L 1) in 08/2013, eine ventrale Spondylodese Th 11/Th 12 in 11/2013 und einer Entfernung der dorsalen Spondylodese in 06/2014 beim Kläger vorliegen. Die Spondylodese Th 11/Th 12 ist korrekt implantiert.

Halswirbelsäule seitneigen 40/0/40, Rotation 60/0/60, Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule seitneigen 30/0/30, Rotation 30/0/30, FBA 32 cm, Ott 30/31, Schober 10/13


Die Einschätzung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert entspricht zur Überzeugung der Kammer den einschlägigen Erfahrungswerten.

§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII bestimmt, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit den durch die körperlichen, seelischen und geistigen Folgen des Versicherungsfalles bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bezeichnet. Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt. Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände des Einzelfalles. 

Wie weit die Unfallfolgen die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Um die Minderung der Erwerbsfähigkeit einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis. Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Aus Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, ergeben sich folgende Erfahrungswerte:
•    Wirbelluxationen treffen gewöhnlich mit Bogen- und Gelenkfortsatzfrakturen zusammen. Bei folgenloser Ausheilung ist bis zum Ende des ersten Jahres eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert angebracht. Bei einer Verschiebung um Wirbelbreite im Bereich der unteren Halswirbelsäule und mit Abknickung der Halswirbelsäule um fünf Grad nach vorn ohne neurologische Ausfälle beträgt die Rente als vorläufige Entschädigung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 bis 40 von Hundert, die Rente auf unbestimmte Zeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 von Hundert.
•    stabil verheilter Wirbelbruch = unter 10
•    keine oder nur geringe Fehlstatik (Keilwirbel < 10 °) = unter 10
•    gegebenenfalls Höhenminderung der angrenzenden Bandscheibe ohne wesentliche segmentbezogene Funktionsstörung = unter 10
•    stabil verheilter Wirbelbruch = 10
•    leichter Achsenknick (Keilwirbel 10 ° bis  <0 °) = 10
•    gegebenenfalls Höhenminderung der angrenzenden Bandscheibe mit mäßiger segmentbezogener Funktionsstörung = 10
•    stabil verheilter Wirbelbruch = 20
•    statisch wirksamer Achsenknick (Keilwirbel > 25 °) = 20
•    gegebenenfalls Höhenminderung der angrenzenden Bandscheibe mit deutlicher segmentbezogener Funktionsstörung = 20
•    verheilter Wirbelbruch mit verbliebener segmentaler Instabilität (muskulär teilkompensiert) = 20
•    Versteifung von zwei Segmenten der Lendenwirbelsäule (einschließlich BWK 12/LWK 1) oder der Halswirbelsäule (unterhalb von HWK 2) = 20
•    Versteifungen von Brustwirbelsäulensegmenten wirken sich geringer, Versteifungen des kraniozervikalen Übergangs stärker aus
•    verheilter Wirbelbruch mit statisch wirksamen Achsenknick (Keilwirbel >25 °) und verbliebener segmentaler Instabilität (muskulär teilkompensiert) = 20-30 
•    Werte über 30 können sich bei groben, muskulär nicht kompensierten Instabilitäten und / oder schwerwiegend neurologisch/urologischen Unfallfolgen ergeben.

Die Kammer stellt fest, dass die Bewegungseinschränkung nach dem Bruch der Brustwirbelkörper (noch) keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 von Hundert ergeben. Dies ergibt sich aus den erhobenen Bewegungsausmaßen der Sachverständigen. Die ehemaligen Frakturen sind bis auf einen leichten Achsenknick knöchern stabil verheilt, was einer Keilwirbelbildung unter 10° entspricht. Eine Relevanz für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit hätte erst ein Neigungswinkel von mehr als 25°. Eine relevante Höhenminderung in den angrenzenden Segmenten besteht nach Auswertung der Aktenlage hingegen nicht und kann daher auch keine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen. Der Kläger nimmt Schmerzmittel der Stufe 1 ein und eine multimodale Schmerztherapie wird nicht absolviert. Aus dies spricht gegen eine eigenständige Schmerzerkrankung.

Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom 18.07.2019, § 136 Abs. 3 SGG.

Nach alledem ist die Klage abzuweisen gewesen. Die klägerischen Einwände haben nicht rechtserheblich durchgegriffen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Bewertung der festgestellten Unfallfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mehr als 20 vom Hundert. Eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen liegt unter Berücksichtigung obiger Ausführungen nicht vor. 

Die Kammer kann nachvollziehen, dass der Kläger in Anbetracht der divergierenden Diagnosen und Einschätzungen verunsichert ist. Entscheidungsleitend für die Kammer ist gewesen, dass sich unfallnah keine seelische bzw. psychiatrische Erkrankung gezeigt hat. Erstmals in 01/2017 hat der Kläger seelische Schäden geltend gemacht. Im Vordergrund stehen zur Überzeugung der Kammer überwiegend unfallfremde Faktoren, nämlich die aus Sicht des Klägers nicht mehr gegebene vollständige Leistungsfähigkeit, die Unzufriedenheit über die Abwicklung des Unfalls durch den Arbeitgeber und die nicht mehr mögliche Selbstbestätigung durch die Ausübung der früheren Tätigkeit als Vorarbeiter. Hinzu kommt die Enttäuschung des Klägers über die fehlende Unterstützung des Klägers. All dies trägt zu dem Zustand bei, den der Kläger als Zustandsverschlechterung erlebt, der aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 26.08.2013 zurückzuführen ist. Für den Kläger mag allein der Unfall dafür verantwortlich sein, aber eben nicht nach den Zusammenhangskriterien der gesetzlichen Unfallversicherung. Es handelt sich zur Überzeugung der Kammer um übliche Schmerzen nach den komplexen Frakturen der Brustwirbelsäule, die durch unfallfremde Faktoren aufrechterhalten werden und überwiegend unfallchirurgisch zu beurteilen sind. 

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Das Verfahren ist für den Kläger gemäß § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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