S 17 KA 282/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 17 KA 282/19 und S 17 KA 391/19 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Der Verstoß gegen die vertragsärztliche Pflicht zur persönlichen Unterzeichnung von Verordnungen begründet die Festsetzung eines sonstigen Schadens. 

1.    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 

2.    Die Klage wird abgewiesen.

3.    Der Kläger/Antragsteller trägt jeweils die Gerichtskosten. Die Beteiligten haben einander im Übrigen keine Kosten zu erstatten. 

4.    Der Streitwert wird im Verfahren S 17 KA 282/19 auf 453.418,99 € festgesetzt. 

5.    Der Streitwert wird im Verfahren S 17 KA 391/19 ER auf 151.139,66 € festgesetzt.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Regress aufgrund eines sonstigen Schadens in den Jahren 2013 bis 2016. 

Der Kläger war vom 1. Dezember 1991 bis zum 31. Dezember 2020 in einer Einzelpraxis als Facharzt für Urologie in A-Stadt niedergelassen und nahm seitdem an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In der Zeit vom 1. September 1999 bis zum 31. August 2001 war Frau D. L. als Ärztin in Weiterbildung in der Praxis tätig. Danach arbeitete sie weiter für den Kläger. Dies wurde jedoch den Zulassungsgremien nicht gemeldet.

Mit Antrag vom 23. März 2017 beantragte die AOK Hessen die Festsetzung eines sonstigen Schadens gemäß § 48 Abs. 1 BMV-Ä in Höhe von 475.018,09 €. Der Antrag wurde u. a. damit begründet, dass ein beträchtlicher Umfang Verordnungen vom 1. Januar 2013 bis laufend mit einer Unterschrift versehen sei, die nicht der Unterschrift des Klägers entspreche. Nach Auskunft der Beigeladenen zu 1) dürfe lediglich der Kläger vertragsärztlich tätig sein. Die Unterschriften auf den Verordnungen unterschieden sich von der Unterschriftprobe, die die Beigeladene zu 1) zur Verfügung gestellt habe. Der Kläger sei seiner Verpflichtung, die vertragsärztlichen Verordnungen persönlich zu unterschreiben, nicht nachgekommen. Man gehe davon aus, dass die Verordnungen von einer dritten Person ausgestellt worden seien, die in der Praxis nicht vertragsärztlich hätte tätig sein dürfen. Auf der Homepage der Praxis werde eine Frau D. L. als Mitglied des Praxisteams vorgestellt. lhre Funktion werde dort als Assistenzärztin beschrieben. Ein weiterer Arzt sei auf der Homepage nicht benannt. lm § 11 Abs. 1 AM/RL und § 35 Abs. 2 BMV-Ä sei vermerkt, dass Verordnungen von Arzneimitteln vom Vertragsarzt auszustellen und persönlich zu unterzeichnen seien. 


Insgesamt sei folgender Schaden entstanden:
 

Abrechnungsquartal Anzahl Medikamente Anzahl Rezepte Nettobetrag Schaden im jeweiligen Kalenderjahr
01-2013 150 128   19.394,89 €  
02-2013 156 136   22.799,34 €  
03-2013 170 140   27.770,81 €  
04-2013 182 151   32.538,86 € 102.503,90 €
01-2014 203 162   31.726,57 €  
02-2014 192 139   23.680,71 €  
03-2014 164 122   39.568,95 €  
04-2014 100   86   30.067,77 € 125.044,00 €
01-2015 170 135   39.462,76 €  
02-2015 150 124   36.127,87 €  
03-2015 151 120   36.854,80 €  
04-2015 153 126   41.489,97 € 153.935,40 €
01-2016 152 126   30.235,33 €  
02-2016 147 124   28.385,96 €  
03-2016 120 102   16.594,03 €  
04-2016 100   86   18.319,47 €   93.534,79 €
    gesamt: 475.018,09 €  

 

Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (PS) informierte den Kläger über diesen Antrag und bat um Stellungnahme. In seiner Stellungnahme erklärt der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, die Fristen für die Prüfung seien bereits größtenteils abgelaufen, daher komme eine Prüfung nicht mehr in Betracht. Des Weiteren sei der AOK auch kein Schaden entstanden, weil unstreitig die Verordnungen inhaltlich korrekt getroffen worden seien. Dies bedeute, dass die AOK die Kosten für die Versicherten in jedem Fall zu tragen hätte, mithin ein Schaden nicht entstanden sein könne.

Mit Bescheid vom 27. Juli 2017 stellt die PS gegen den Kläger einen sonstigen Schaden gemäß § 48 Abs. BMV-Ä in der beantragten Höhe von insgesamt 475.018,09 € für die Quartale I/2013 bis 4/2016 fest und schloss sich den Argumenten der AOK an. 

Mit Schreiben vom 22. September 2017 reduzierte die AOK ihren Antrag um 21.599,10 € aufgrund von abzugsfähigen Rabatten auf nunmehr 453.418,99 €. 

Mit Schreiben vom 24. August 2017 legte der Kläger Widerspruch ein und trug vor, seine Anhörung sei zu § 13 PrüfV erfolgt, die eigentliche Prüfung sei aber auf § 15 PrüfV gestützt worden. Somit sei das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

Zudem hätte die Prüfung nicht auf der Grundlage von § 15 PrüfV erfolgen dürfen, sondern allein auf der Grundlage von § 13 PrüfV; denn in der Sache gehe es um die Verordnungsweise in Einzelfällen. Folglich beruhe der Bescheid auf einer falschen Rechtsgrundlage. Ferner beziehe sich die PS im Bescheid auf die derzeit gültige PrüV, somit auf die PrüfV ab dem 1. Januar 2017. Dies sei jedoch keine taugliche Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, weil es aus rechtsstaatlichen Grundprinzipien heraus nicht möglich sei, den Kläger auf der Grundlage einer PrüfV zur Verantwortung zu ziehen, die zum Zeitpunkt der beanstandeten Handlung noch gar nicht gegolten habe.

lm Rahmen des Bescheides sei gar nicht geprüft worden, dass die einzelnen Anordnungen konkreter Maßnahmen nicht vom zugelassenen Arzt Dr. A. stammten. Ausweislich des Bescheides sei die Festsetzung allein auf der Grundlage der Annahme getroffen worden, es sei davon auszugehen, dass die Unterschriften von Frau L. getätigt worden seien. Offensichtlich seien die Berechnungen der AOK ungeprüft übernommen und allenfalls nur stichprobenweise Unterschriften beanstandet worden, nachfolgend jedoch der gesamte zur Festsetzung angemeldete Betrag unkritisch fortgeschrieben worden. Der Bescheid basiere folglich nicht auf einer hinreichenden Prüfung. Des Weiteren sei festzustellen, dass die PS bereits zuvor sämtliche Abrechnungen im Rahmen der Jahresrichtgrößenprüfung geprüft gehabt habe, diese jedoch nicht zu entsprechenden Beanstandungen geführt habe. lnsoweit habe die PS die einzelnen Verordnungen bereits geprüft und diesbezüglich keine Beanstandungen gehabt. Damit ergäben sich aus den vorliegenden Jahresrichtgrößenprüfungen – welche denknotwendig nur wirksame Verordnungen hätten zugrunde legen können – die bestandskräftige Feststellung, dass keine Beanstandungen gegenüber dem Abrechnungsverhalten des Klägers bestünden. Hieraus ergebe sich ein Bestandsschutz zugunsten des Klägers, der im Nachgang der jeweiligen Prüfungsbescheide darauf habe vertrauen dürfen, dass nachträglich keine weitergehenden Beanstandungen erhoben würden.

Ferner sei der AOK kein finanzieller Schaden entstanden. Die von der PS zitierte Rechtsprechung des BSG sei nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar; denn das BSG habe in seinem Urteil zu Verordnungen im Zusammenhang mit Sprechstundenbedarf Stellung genommen. Hier seien aber Einzelverordnungen getätigt worden. Somit seien die Einsparungen der AOK zwingend anzurechnen. Hilfsweise könne auf § 242 BGB zurückgegriffen werden, denn die AOK sei ungerechtfertigt bereichert und müsse diesen Betrag analog § 812 BGB wieder an den Kläger herausgeben.

Schließlich sei der Bescheid auch infolge Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Denn die PS hätte prüfen müssen, ob ein milderes Mittel geeignet gewesen wäre, die Beanstandung abzustellen. lnsoweit sehe § 13 Abs. 5 S. 2 PrüfV vor, dass vorrangig eine gezielte Beratung vorzunehmen sei (Beratung vor Regress).

Soweit die AOK und/oder die PS über Jahre hinweg ungeprüft Verordnungen ausgezahlt und nicht beanstandet hätten, liege ein Mitverschulden vor, auf dem letztendlich der Schaden beruhe. Somit könne auch kein Schaden geltend gemacht werden. Schlussendlich scheitere die Festsetzung spätestens an der völligen Unverhältnismäßigkeit, weil die Festsetzung ruinös wäre. Denn die Festsetzung hätte zur Auswirkung, dass der Kläger die objektiv erforderlichen Kosten für die Versorgung der Versicherten mit den für diese notwendigen Arzneimitteln sowie medizinische Leistungen Dritter (also nicht des Arztes selbst) zu tragen hätte, was nicht etwa zu einer reinen Kürzung des Honorars führen würde, sondern völlig unabhängig von der Vergütung und insbesondere von der Leistungsfähigkeit des Arztes unbegrenzt und unverhältnismäßig Drittkosten zu erstatten und auch jenseits der Vergütung bereitzustellen wären.

In seiner Widerspruchsbegründung vom 13. Februar 2019 erläuterte der Kläger ergänzend, er habe in der Vergangenheit (August 1993 und April 2003) gesundheitliche Beeinträchtigungen erfahren. ln der Folge seien diese Beeinträchtigungen erfolgreich neurologisch versorgt und langjährig therapiert worden. Mit der Reduzierung der Patientenzahl und dem eingeschränkten Arbeitsvolumen (Reduktion der Sprechzeiten von 45 auf 25 Stunden/Woche) sei seine Leistungsfähigkeit erhalten worden. 

Verkannt werde weiter, dass Frau L. ab dem 1. September 1999 als Weiterbildungsassistentin beschäftigt worden sei, nicht jedoch als ,,angestellte Ärztin". Die Anstellung als Weiterbildungsassistentin sei der Beigeladenen zu 1) ordnungsgemäß angezeigt worden. Der Unterschied zwischen Weiterbildungsassistentin und „angestellter Ärztin“ sei gravierend. Während ihrer gesamten Tätigkeit stehe die Weiterbildungsassistentin unter fortwährender und permanenter Supervision des Arztes. Die Weiterbildungsassistentin sei nicht frei in der Entscheidung über die von ihr angeordneten medizinischen Maßnahmen, nicht einmal im Hinblick auf Anamnese und Diagnose.

Demgegenüber stelle sich das Berufsbild einer „angestellten Ärztin" völlig anders dar. Aufgrund der Therapiefreiheit der angestellten Ärztin sei seitens der Beigeladenen zu 1) ein aufwändiges Verfahren zur Teilung des Arztsitzes einzuleiten und durchzuführen. Dieses Verfahren führe dann nachfolgend zur Genehmigung der Anstellung. Auf Frau L. übertragen bedeute dies: Frau L. sei immer von ihm als Weiterbildungsassistentin angesehen und von ihm als solche behandelt worden. Auch Frau L. habe sich selbst immer als Weiterbildungsassistentin verstanden. Daraus ergebe sich der Schluss: Nicht Frau L. habe die Patienten behandelt, sondern er selbst. Die Verordnungen, die von Frau L. unterzeichnet worden seien, dienten lediglich der Umsetzung seiner Weisungen.

Frau L. sei lediglich versehentlich von ihm als Weiterbildungsassistentin nach Ende des genehmigten Weiterbildungszeitraums fortbeschäftigt worden. Der „Anstellungsvertrag" von Frau L. gehe auf einen Irrtum über das Verbot der Beschäftigung eines ärztlichen Weiterbildungsassistenten über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus zurück. Sein Vater habe den Anstellungsvertrag für Frau L. ohne nähere Kenntnis der einschlägigen arztrechtlichen Vorschriften vorbereitet und Frau L. und ihm zur Unterzeichnung vorgelegt.
Größtenteils seien die Rezepte von Frau L. vorunterzeichnet worden. Die darin liegende Pflicht- und Standesvergessenheit werde nicht in Abrede gestellt und beschönigt. Die Vorunterzeichnung habe allein der administrativen Vereinfachung gedient. Die Verordnungen hätten überwiegend, d.h. zu über 90%, der Medikation der onkologischen Patienten, die ausschließlich von ihm selber behandelt worden seien, gedient. Von den restlichen Verordnungen entfielen wiederum ein großer Anteil auf seine Patienten, deren Verschreibung er selbst angewiesen habe. Von den restlichen Rezepten, die Frau L. unterzeichnet habe, verbleibe ein Rest für Patienten von Frau L., der nicht einmal den Wert von 25.000 € ausmache.

Der Beklagte wies den Widerspruch nach persönlicher Anhörung des Klägers mit Beschluss vom 27. Juni 2019 überwiegend zurück, änderte den Bescheid der PS nur insoweit ab, als der Schadensbetrag in Höhe von 453.418,99€ festgesetzt wurde. Aus der Nichtbeanstandung der Verordnung in der Richtgrößenprüfung erwachse kein Vertrauensschutz im Hinblick auf die Richtigkeit der ausgestellten Verordnungen, denn die Richtgrößenprüfung sei ausschließlich auf die Einhaltung der Richtgrößen gerichtet, nicht auf die ordnungsgemäße Ausstellung der Verordnungen. Die Prüfung eines sonstigen Schadens fuße auf § 15 PrüfV i.V.m. § 48 BMV-Ä. Eine vorherige Beratung sei in diesen Normen nicht festlegt. Auch das BSG erkenne den Grundsatz „Beratung vor Regress" nur für die Richtgrößenprüfung als zwingend an.

Das BSG habe ferner in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Ausschlussfristen für Wirtschaftlichkeitsprüfungen gehemmt werden könnten. Eine solche Wirkung habe das BSG Prüfanträgen der Krankenkassen beigemessen, sofern auch der betroffene Arzt von dem Prüfantrag Kenntnis erlange (BSG, Urteil vom 5. Mai 2010 - B 6 KA 5/09 R; zusammenfassend BSG, Urteil vom 18. August 2010, B 6 KA 14/09 R).

Somit sei der Fristablauf durch die Mitteilung der PS über die Antragstellung gehemmt worden. Sofern Fristen in der PRüfV nicht eingehalten worden seien, sei dies nicht relevant, da es sich lediglich um Ordnungsvorschriften handele (Vgl. BSG, Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 37/08 R), die keine Schutzwirkung zugunsten des Arztes entfalteten. 

Voraussetzung für den Anspruch einer Krankenkasse auf Ersatz eines sonstigen Schadens durch einen Vertragsarzt sei die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten, ein hieraus resultierender Schaden sowie ein schuldhaftes, also zumindest fahrlässiges Verhalten des Vertragsarztes (BSG, Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 19/00 R; BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 9/01 R). Diese Voraussetzungen lägen vor. Insoweit habe auch das BSG in seinem Urteil vom 20. März 2013 (B 6 KA 17/12 R) die Annahme eines sonstigen Schadens bei der nicht persönlichen Unterzeichnung von Verordnungen grundsätzlich bejaht.

Gemäß § 35 Abs. 2 BMV-Ä seien Vordrucke und Bescheinigungen vollständig auszufüllen, mit dem Vertragsarztstempel zu versehen und vom Arzt persönlich zu unterschreiben. Dies sei hier nicht geschehen. Die Unterschrift wurde von einer anderen Person getätigt. Insofern liege ein Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten vor. Eine Delegation von Leistungen an ärztliches Personal komme im vertragsärztlichen Bereich nur in Betracht, wenn es sich um angestellte Ärzte oder Assistenten handele, deren Beschäftigung von den Zulassungsgremien genehmigt worden sei. Ansonsten sei nicht gewährleistet, dass der Angestellte oder Assistent die beruflichen und sonstigen Voraussetzungen für eine Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung erfülle (BSG, Urteil vom 21. März 2018 - B 6 KA 47/16 R).

Die aufgeführten Pflichtverletzungen seien auch als verschuldet anzusehen. Die Regelungen des BMV-Ä und der AMW müsse jeder Vertragsarzt kennen (BSG, Urteil vom 20. März 2013, B 6 KA 17/12 R). Letztendlich sei der Vorwurf im Rahmen der Prüfung des § 48 BMV-Ä an den Arzt, dass er seine vertragsärztlichen Pflichten – hier konkret die persönliche Unterzeichnung seiner Verordnungen – schuldhaft verletzt habe. Ein Mitverschulden der AOK sei somit nicht ersichtlich.

lm Vertragsarztrecht sei kein Raum, einen Verstoß gegen Gebote und Verbote, die nicht bloße Ordnungsvorschriften beträfen, durch Berücksichtigung eines hypothetischen alternativen Geschehensablaufs als unbeachtlich anzusehen; denn damit würde das vertragsarztrechtliche Ordnungssystem relativiert.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 1. August 2019 zum Sozialgericht Marburg erhobene Klage. 
Gleichzeitig hat der Kläger zudem einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt (Aktenzeichen S 17 KA 391/19 ER). In der Folgezeit hat der Antragsteller mit der Beigeladenen zu 1) über eine Ratenzahlungsvereinbarung verhandelt. 

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger über seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren hinaus vor, § 15 PrüfV sei im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Beschlusses nicht mehr gültig gewesen und damit als Rechtsgrundlage untauglich. Die gemeinsame Prüfvereinbarung sei bereits im Juli 2018 mit Wirkung zum 31. Dezember 2018 gekündigt worden. Die Prüfungsstelle sei nicht mehr zuständig gewesen. Zudem liege eine Verletzung rechtlichen Gehörs aufgrund der Voreingenommenheit des Vorsitzenden bei der mündlichen Anhörung vor. Der Vorsitzende sei aufgrund seiner beruflichen Vita nicht unabhängig (da vorher auch in der Verwaltung tätig) gewesen. Schließlich bestehe Vertrauensschutz, da die Verordnungen vorher nicht beanstandet wurden sowie ein Mitverschulden der AOK bzw. den Beklagten durch langjährige Nicht-Prüfung. Nicht zuletzt sei es durchaus üblich, ehemalige Weiterbildungsassistenten weiter zu beschäftigen. Diesen Status eines „Altassistenten“ könne Frau L. in Anspruch nehmen. 

Der Kläger beantragt, 
den Beschluss des Beklagten vom 27. Juni 2019 aufzuheben sowie
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Der Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen. 

Der Beklagte entgegnet, dass sich die Kündigung der Prüfvereinbarung zum 31. Dezember 2018 auf die ab dem 1. Januar 2017 geltende Prüfvereinbarung und nicht auf die ab dem 1. Januar 2008 geltende Prüfvereinbarung beziehe. Selbst wenn eine Kündigung vorliege, gelte die Prüfvereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung vorläufig weiter (BSG, Urteil vom 9. April 2008, B 6 KA 34/07 R). Fehlerhafte Verordnung führten nach der Rechtsprechung unzweifelhaft zu einem sonstigen Schaden (BSG, Urteil vom 20. März 2013, B 6 KA 17/12 R). Alle Einwendungen des Klägers seien in der mündlichen Anhörung erörtert worden. Gründe für eine Befangenheit des Vorsitzenden seien nicht erkennbar. Es bestehe auch kein Vertrauensschutz, da kein Vertrauenstatbestand gesetzt worden sei. Ein Mitverschulden komme nicht in Betracht, da die fehlerhaften Verordnungen allein dem persönlichen Verantwortungsbereich des Klägers zuzuordnen seien. Schließlich könne bei der Schadensbemessung ein hypothetisches alternatives Geschehen nicht berücksichtigt werden. 

Mit den Beteiligten hat am 28. Oktober 2020 ein Termin zur mündlichen Verhandlung sowie am 1. Dezember 2021 ein Erörterungstermin stattgefunden. Zu seinen Vermögensverhältnissen hat der Kläger am 10. Januar 2022 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten verwiesen, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben. 


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten wurden hierzu auch angehört.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Eilantrag ist deshalb ebenfalls unbegründet. 

Die Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 106 Abs. 5 SGB noch in Verbindung mit § 48 Abs.1 des gemäß § 82 Abs. 1 SGB V geschlossenen Bundesmantelvertrag(s) Ärzte (im Folgenden: BMV-Ä — seinerzeit noch abgeschlossen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV — einerseits und — andererseits — den Bundesverbänden der AOKen, der BKKen, der IKKen und der Landwirtschaftlichen Kassen sowie der See-Krankenkasse und der Knappschaft; zur Weitergeltung dieses Vertrags bis zu einem neuen Vertragsabschluss — nunmehr mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen — vgl. § 217f Abs. 5 SGB V). Zwischenzeitlich ist eine Neuregelung der Spitzengremien auf Bundesebene verabredet worden, die in der Sache keine wesentliche Änderung enthält. 
Nach § 48 Abs. 1 BMV-Ä (in der geltenden Fassung) wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 SGB V festgestellt. 
Dem entsprechend ist in der gemäß § 106 Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 106 Abs. 3 SGB V (a. F.) vorgesehenen bzw. vereinbarten maßgeblichen hessischen PrüfV, die auch andere Prüfarten vorsehen kann, auch in § 15 eine Regelung getroffen worden, wonach die PS (und damit nachfolgend der BA) für die Prüfung und Festsetzung eines „sonstigen Schadens" zuständig ist. Dann ist auch das Widerspruchsverfahren, wie sich aus § 106 Abs. 5 Satz 2 SGB V (a. F.) ergibt, vor dem Beklagten durchzuführen. § 15 PrüfV war für den vorliegenden Fall auch anzuwenden. Im Falle einer Kündigung gilt die Prüfvereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung vorläufig weiter (BSG, Urteil vom 9. April 2008, B 6 KA 34/07 R).

Hinsichtlich der formalen Ordnungsgemäßheit des Verfahrens hat das Gericht keine Bedenken. Weder sind Gründe für die Befangenheit des Vorsitzenden erkennbar, noch ist ersichtlich, dass die Einwendungen des Klägers nicht berücksichtigt worden sein könnten. Vielmehr enthält der streitgegenständliche Beschluss eine umfassende Würdigung des klägerischen Vorbringens im Widerspruchsverfahren, so dass zunächst gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheides verwiesen werden kann, der weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden ist. 

Nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V, § 32 Abs. 1 S. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), § 15 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä hat der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt die Pflicht, die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben. Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung dient der Sicherung der hohen Qualität der vertragsärztlichen Versorgung und ist materielle Voraussetzung für jede ärztliche Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung. Dem Gebot kommt für die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung großes Gewicht zu. Es gilt nicht nur für die Behandlungs-, sondern auch für die Verordnungstätigkeit des Arztes; Vertragsärzte und ermächtigte Krankenhausärzte müssen es gleichermaßen beachten (BSG, Urteil vom 21. März 2012, B 6 KA 22/11 R). Von welcher anderen Person die strittigen Verordnungen tatsächlich getätigt worden sind, ist damit letztendlich nicht entscheidungserheblich; denn allein maßgeblich ist, dass der Kläger die Verordnungen zwar als eigene Verordnung mit seinem Praxisstempel gestempelt hat, sie aber nicht selbst unterschrieben hat. Dies ergibt sich eindeutig aus einem Vergleich der vorgelegten Unterschrift auf den Verordnungen mit den bei der Beigeladen zu 1) hinterlegten Unterschrift des Klägers. Diesen Umstand hat der Kläger auch nicht bestritten. 

Gemäß § 35 Abs. 2 BMV-Ä sind Vordrucke und Bescheinigungen vollständig und Leserlich auszufüllen, mit dem Vertragsarztstempel zu versehen und vom Arzt persönlich zu unterzeichnen. Dies ist hier nicht geschehen. Die Unterschrift wurde von einer anderen Person geleistet. Insofern liegt ein Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten vor. Da der Kläger zudem in einer Einzelpraxis als Vertragsarzt tätig ist, ist zudem nicht ersichtlich, dass er diese Aufgabe an einen anderen Vertragsarzt hätte delegieren können. Eine Delegation von Leistungen an ärztliches Personal kommt im vertragsärztlichen Bereich nur in Betracht, wenn es sich um angestellte Ärzte oder Assistenten handelt, deren Beschäftigung von den Zulassungsgremien genehmigt worden ist. Ansonsten ist nicht gewährleistet, dass der Angestellte oder Assistent die beruflichen und sonstigen Voraussetzungen für eine Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung erfüllt (BSG, Urteil vom 21. März 2018). 

Auch die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) stellt klar, dass die Verschreibung „die eigenhändige Unterschrift der verschreibenden Person" enthalten muss (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 AMVV). Dabei ist zu beachten, dass die Arztunterschrift auf einem Rezept kein bloßer formaler Vorgang ist, sondern Leben und körperliche Unversehrtheit der Patienten schützen soll. Nicht zuletzt deswegen sieht auch die AMVV zwingend die eigenhändige Unterschrift bzw. die qualifizierte elektronische Signatur der verschreibenden Person vor. So wird der Tatsache Rechnung getragen, dass eine ärztliche Verordnung ohne ausreichende Unterschrift als solche nicht genügend zu erkennen gibt, dass der ausstellende Arzt der Verordnung letztendlich die entscheidende Gültigkeit verleihen will.

So geht die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unter anderen zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung davon aus, dass Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb des GKV-Systems die Funktion zu gewährleisten haben, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Nur die Einhaltung bestimmter wichtiger Formalien — wie zweifellos die ärztliche Unterschrift unter einer Verordnung — können garantieren, dass die Patienten Medikamente erhalten, die im Rahmen der ärztlich vorgesehenen Therapie verschrieben worden und unter ärztlicher Therapieverantwortung stehen (BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 17/12 R). Entgegen der Ansicht des Klägers fordert das Gebot der persönlichen Leistungserbringung nicht lediglich die ärztliche Entscheidung über das zu verordnende Medikament selbst, sondern auch die persönliche Ausstellung und Unterzeichnung der Verordnung. 

Frau L. war lediglich vom 1. September 1999 bis 31. August 2001 als Ärztin in Weiterbildung in der Praxis beschäftigt. Mangels Genehmigung der darüberhinausgehenden Tätigkeit kommt – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht in Betracht, Frau L. wie eine „Altassistentin“ zu behandeln. 

Die aufgeführten Pflichtverletzungen sind auch als verschuldet anzusehen. Die Regelungen des BMV-Ä und der AMW muss jeder Vertragsarzt kennen (BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 17/12 R). Ein Mitverschulden der AOK oder des Beklagten ist nicht ersichtlich.

In der dargestellten Konstellation ist auch ein Schaden eingetreten. Das vertragsarztrechtliche Prinzip, dass kein Raum für die Berücksichtigung hypothetischer alternativer Geschehensabläufe ist, ist gleichermaßen für Verfahren gemäß § 106 SGB V wie für solche gemäß § 48 BMV-Ä und für alle Arten von Verstößen gegen Gebote und Verbote, ohne Unterscheidung danach, ob ein sog. Status betroffen ist oder nicht anwendbar; ausgenommen sind nur Verstöße, die lediglich sog. Ordnungsvorschriften betreffen (BSG, Urteil vom 20. März 2013, B 6 KA 17/12 R). Dass es sich vorliegend nicht um eine Verletzung von Ordnungsvorschriften, sondern von fundamentalen Grundsätze des Vertragsarztrechts handelt, wurde oben bereits dargelegt. 

Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da von keinem anderen Beteiligten ein Vertrauenstatbestand gesetzt worden ist. Vertrauensschutz setzt voraus, die zuständigen Körperschaften oder Gremien explizit für die von dem betroffenen Arzt praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt und die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft ihre Verordnungsweise fortgesetzt haben. Erforderlich ist eine auf eine verbindliche Festlegung zielende behördliche Äußerung (BSG, Urteil vom 20. März 2013, B 6 KA 27/12 R). Da die Beteiligten im Vorfeld des Antrags der AOK überhaupt nicht in Kontakt über die Verordnungspraxis waren, kann auch Vertrauen im o.g. Sinne nicht begründet worden sein. Allein die Nichtbeanstandung von früheren Verordnungen konnte bei dem Kläger nicht die berechtigte Erwartung erwecken, dass eine Forderung nicht besteht oder nicht geltend gemacht würde. 

Aus diesen Gründen konnte die Klage keinen Erfolg haben. 

Aus den gleichen Gründen war der Eilantrag abzulehnen. Ein Anordnungsanspruch besteht nicht. 

Eine nochmalige Fristverlängerung war dem Kläger – nach ausdrücklichen Hinweis auf die letztmalige Fristverlängerung – nicht zu gewähren. Es gab weder seitens des Gerichts Hinweise noch seitens des Beklagten Vortrags, zu dem der Kläger im Laufe des nunmehr drei Jahre anhängigen Verfahrens mit zwei Verhandlungsterminen nicht hätte hinreichend Stellung nehmen können. 

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts Anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft das Verfahren eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 S. 1 GKG). Der Streitwert war deshalb in Höhe des Regressbetrages festzusetzen. 

Für das einstweilige Anordnungsverfahren war der Betrag auf 1/3 des Berichtigungsbetrages zu reduzieren.
 

Rechtskraft
Aus
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