L 9 U 707/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 3817/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 707/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
           
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Beachtung einer von der Klägerin an den Klägerbevollmächtigten erteilten Vollmacht im Verwaltungsverfahren.

Die Klägerin bezieht aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 05.03.1974 von der Beklagten eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit. Am 29.09.2021 beantragte sie über ihren Bevollmächtigten unter Vorlage einer von ihr unterschriebenen Vollmacht vom 21.09.2021 die Erhöhung der Verletztenrente und die Überprüfung der in der Vergangenheit ergangenen Bescheide gemäß 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Im Vollmachttext heißt es u.a.: „Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auf Neben- und Folgeverfahren aller Art. Jeglicher Schriftwechsel hat nur mit dem Bevollmächtigten zu erfolgen.“.

Die Beklagte übersandte hierauf am 01.10.2021 ein Schreiben zur Gutachterauswahl an den Bevollmächtigten der Klägerin und gewährte ihm Akteneinsicht, woraufhin er einen Gegenvorschlag für die Auswahl des Gutachters machte, dem die Beklagte später nachkam.

Mit Schreiben vom 26.11.2021 wandte sich die Beklagte direkt an die Klägerin ohne Einschaltung des Bevollmächtigten, indem sie der Klägerin ein Formular „Anfrage zur Leistungsfeststellung“ übersandte und um Angaben im Formular bat. Am 14.12.2021 reichte die Klägerin über ihren Bevollmächtigten den Vordruck an die Beklagte zurück mit dem Hinweis, dass dieser „unter Missachtung zugesandt“ worden sei.

Ebenfalls am 14.12.2021 hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten Unterlassungsklage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte dazu zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,- Euro, die Vollmacht, die für sie bei der Beklagten hinterlegt worden sei, nicht weiterhin zu missachten. Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte habe sich daran zu halten, dass laut vorgelegter Vollmacht jeglicher Schriftwechsel über den Bevollmächtigten zu erfolgen habe. Es komme in den letzten Jahren vermehrt bei Sozialversicherungsträgern zur Missachtung von Vollmachten, weshalb bereits umfangreiche Verfahren anhängig seien. Es sei ein systematisches Vorgehen der Versicherungsträger vorbei an den Bevollmächtigten zu verzeichnen, immer gerade dann, wenn es um kostenauslösende Ausführungs-, Anerkenntnis- oder Vergleichsbescheide oder gar rechtsgestaltende Briefe gehe. Alles Versuche, dies außergerichtlich zu ändern, seien erfolglos geblieben, weshalb nun Klage geboten sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Es sei lediglich ein Schreiben zur Abfrage der aktuellen Kontoverbindung und des aktuellen Leistungsbezugs versehentlich direkt an die Klägerin übersandt worden. Hierbei handle es sich weder um ein Anschreiben, mit dem eine Frist verbunden gewesen sei, noch handle es sich um eine systematische Vollmachtsmissachtung, da sonstige Schriftwechsel mit dem Bevollmächtigten erfolgt seien. Dennoch entschuldige sie sich für dieses Versehen. Künftiger Schriftwechsel werde weiterhin über den Bevollmächtigten erfolgen.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.02.2021 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Nach der Vorschrift des § 56a Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, wobei unter den Begriff der behördlichen Verfahrenshandlungen jegliches in Form des Verwaltungsakts oder als Realakt erfolgtes Handeln und Unterlassen einer Behörde i. S. d. § 1 Abs. 2 SGB X während eines Verwaltungsverfahrens i. S. d. § 8 SGB X falle, sofern die Handlung das Verfahren nicht selbst abschließe (Verweis auf Axer in jurisPK-SGB X, § 56a Rn. 9 u. 16 und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 56a Rn. 4). Die von der Klägerin gerügte Nichtbeachtung einer Vollmacht durch die Beklagte stelle ein in Form eines Realakts erfolgtes Unterlassen dar, das das Verwaltungsverfahren nicht abschließe und unterfalle damit § 56a Satz 1 SGG. Ob und mit welcher Begründung die Beklagte im Hinblick auf § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB X möglicherweise zurecht die streitgegenständliche Vollmacht nicht beachtet habe, sei daher nicht relevant. Zwar müsse sich die Beklagte als Behörde grundsätzlich an den für das Verwaltungsverfahren nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X bestellten Bevollmächtigten wenden, ein Verstoß gegen diese „Kommunikationsverpflichtung“ könne der Versicherte nach      § 56a Satz 1 SGG jedoch nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend machen (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2020 - L 11 KR 2616/20 ER-B - und Senatsurteil vom 19.10.2021 - Az. L 9 R 1944/21 -, jeweils Juris). Eine Ausnahme folge auch nicht über § 56a Satz 2 SGG. Denn vorliegend wende sich nicht der Bevollmächtigte gegen seine förmliche Zurückweisung nach § 13 Abs. 5 bis 7 SGB X – gegen die Rechtschutz im eigenen Namen möglich wäre –, sondern gegen die „Missachtung“ der nachgewiesenen Vollmacht, womit offenbar die behördliche Bekanntgabe und Zustellung von Schreiben und Bescheiden direkt an die Klägerin gemeint sein solle.

Hiergegen richtet sich die am 08.03.2022 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch den Bevollmächtigten im Namen der Klägerin eingelegte Berufung. Zur Begründung wiederholt und vertieft die Klägerin ihre Klagebegründung. Es sei abstrus, der Beklagten zu glauben, dass das Schreiben vom 26.11.2021 versehentlich direkt an sie versandt worden sei. Ihr Bevollmächtigter sei der Beklagten seit 35 Jahren bekannt und die Beklagte wisse, wie hier agiert werde. Es interessiere ihren Bevollmächtigten nicht, wenn die Beklagte mitteile, sie würde die Vollmacht zukünftig beachten. Dass „die Behörden“ das nicht tun würden, sehe man an zwischenzeitlich 50 Verfahren wegen Vollmachten und sehr wohl spiele es entgegen der Auffassung des SG eine Rolle, ob dies bundesweit bei „zig Behörden“ so laufe oder nicht. Es gehe darum, dass systematisch die Bevollmächtigten nicht beachtet würden. Dies verdeutliche die Wesentlichkeit jedes einzelnen Verfahrens. Es sei durchaus maßgeblich hinsichtlich der Frage des Rechtschutzbedürfnisses und des Verhaltens gegenüber einem Bevollmächtigten, ob ein System dahinterstecke. Da die Beklagte „anders nicht domestizierbar“ sei, würden „diese Verfahren hier“ geführt. Der Hinweis auf § 56a SGG gehe fehl. Ein Bevollmächtigter und seine Mandanten seien eine rechtliche Einheit. Die Missachtung der Vollmacht sei keine Verfahrenshandlung, sondern eine zu Gebote stehende Unterlassung einer Handlung. § 56a SGG sei vorliegend bereits nicht anwendbar, da es sich um reale Handlungen handle. § 56a SGG stelle keine allgemeine Rechtfertigungsnorm dar. Die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Februar 2022 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500 Euro, die Vollmacht, die für die Klägerin bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiterhin zu missachten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die aus ihrer Sicht zutreffende Entscheidung des SG.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 29.03.2022 und vom 07.04.2022 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschei-
det, ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat unter zutreffender Darstellung der einschlägigen Rechtsvorschriften und deren zutreffender Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids ausgeführt, dass und aus welchen Gründen die Unterlassungsklage der Klägerin bereits unzulässig ist. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung vollumfänglich an, sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend ist in Bezug auf das Berufungsvorbringen der Klägerin auf Folgendes hinzuweisen:

Die Vorschrift des § 56a SGG, wonach Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können, war bereits mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Der in § 56a SGG normierte Grundsatz war zunächst nur für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in § 44a VwGO ausdrücklich geregelt, galt aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren schon vor Inkrafttreten des § 56a SGG. Er soll verhindern, dass durch Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen die Sachentscheidung der Behörde verzögert wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund ausdrücklich entschieden, dass zu den ausgeschlossenen Rechtsbehelfen auch Verpflichtungs-, Feststellungs- und Leistungsklagen gehören. Dies gilt auch für den Unterfall der Leistungsklage in Form der (vorbeugenden) Unterlassungsklagen wie vorliegend (vgl. hierzu insgesamt BSG, Beschluss vom 10.03.2022 – B 5 R 309/21 B – m. w. N., n. v.) und für Realakte, die entgegen den Ausführungen der Berufung Verfahrenshandlungen im Sinne des § 56a SGG darstellen können (vgl. Senatsurteil vom 19.10.2021 - Az. L 9 R 1944/21 -, Juris m. w. N.).

Überdies fehlt es entgegen dem Berufungsvorbringen der Klägerin an dem für eine Unterlassungsklage erforderlichen qualifizierten Rechtschutzinteresse der Klägerin im Sinne einer Wiederholungsgefahr. Soweit die Klägerin ein qualifiziertes Rechtschutzinteresse bejaht sehen möchte mit Hinweis auf eine weiter angestiegene Vielzahl von Fällen, in denen verschiedene Versicherungsträger Bescheide und Schreiben in den letzten Jahren trotz Vorlage einer Vollmacht direkt an die Mandanten der Bevollmächtigten gerichtet hätten, geht dieser Hinweis fehl. Aus etwaigen Erfahrungen des Klägerbevollmächtigten in anderen Fällen lässt sich ein Rechtschutzbedürfnis der Klägerin selbst gerade nicht ableiten. Mit der Berufungsbegründung ist weder konkret vorgetragen noch ist anderweitig ersichtlich, dass sich die Beklagte – abgesehen von dem Schreiben vom 26.11.2021 – wiederholt direkt an die Klägerin gewandt hätte oder dies zukünftig zu befürchten wäre. Hierzu hat die Beklagte im Klageverfahren erklärt, dass es sich um ein Versehen gehandelt habe und sie zukünftig die Vollmacht beachten werde. Damit ist eine Wiederholungsgefahr im vorliegend allein relevanten Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht ersichtlich.

Ferner fehlt es an einem Rechtschutzbedürfnis der Klägerin auch deshalb, weil sie sich vor Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtschutzes nicht zunächst an die Beklagte gewandt hat, was ihr aber ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre (vgl. auch hierzu Senatsurteil 21.10.2021 a.a.O.) So hat sie am 14.12.2021 durch ihren Bevollmächtigten den zuvor direkt an sie übermittelten Vordruck lediglich mit dem Bemerken „unter Missachtung zugesandt“ an die Beklagte zurückgereicht und gleichzeitig, ebenfalls am 14.12.2021, Klage zum SG erhoben. Der Vortrag, der Klägerbevollmächtigte habe außergerichtlich alles versucht, eine „systematische Vollmachtsmissachtung“ zu verhindern, bezieht sich offensichtlich ebenfalls nicht auf das für die vorliegend im Namen der Klägerin erhobene Unterlassungsklage allein relevante Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten und kann mithin kein Rechtschutzbedürfnis der Klägerin begründen.

Damit ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved