1. Versicherte dürfen aus dem Krankenhaus nicht entlassen werden, wenn - etwa durch eine medizinisch gebotene Diagnostik oder eine sonstige gebotene medizinische Intervention im weitesten Sinn - in einem überschaubaren Zeitraum a) Klarheit darüber geschaffen werden kann, ob eine Fortsetzung der stationären Behandlung medizinisch geboten ist, und b) ggf die Behandlung aus medizinischen Gründen auch tatsächlich fortgesetzt werden kann.
2. Maßgeblich dafür ist der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entlassung verfügbare Wissens- und Kenntnisstand der Krankenhausärzte.
3. In der Regel ist ein Zeitraum von zehn Tagen ab der Entscheidung über die Entlassung bis zur Fortsetzung der Behandlung noch als überschaubar anzusehen.
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 2021 und des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 1219,98 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
I
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Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.
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Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte wurde im Krankenhaus der Klägerin (im Folgenden: Krankenhaus) zunächst vom 5. ‑ 11.5.2011 stationär wegen der Abklärung von Blutabgängen zur Diagnostik und Therapie aufgenommen. Die Versicherte wurde mit der Diagnose Analkarzinom am Tag vor der interdisziplinären Tumorkonferenz des Krankenhauses entlassen und in Umsetzung des Ergebnisses der Tumorkonferenz am 19.5.2011 zur laparoskopischen Sigmoideostoma-Anlage (künstlicher Darmausgang) und Adhäsiolyse (operatives Lösen von bindegeweblichen Verwachsungen, hier im Bauchraum) sowie zur Implantation eines Ports für eine anschließende Radiochemotherapie erneut stationär aufgenommen und am 31.5.2011 aus der stationären Behandlung entlassen. Das Krankenhaus berechnete zwei Fallpauschalen; für den ersten stationären Aufenthalt 1219,98 Euro (DRG G60B) und für den zweiten stationären Aufenthalt 7412,46 Euro (DRG G18B). Die KK beglich die Rechnungen zunächst, rechnete jedoch nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Höhe von 1219,98 Euro mit unstreitigen Forderungen des Krankenhauses auf: Im Zeitpunkt der Entlassung am 11.5.2011 sei die Behandlung noch nicht abgeschlossen, sondern deren Fortsetzung bereits geplant gewesen. Es sei von einem einheitlichen Behandlungsfall auszugehen, der allein nach DRG G18B abzurechnen sei. Das SG hat die KK zur Zahlung von 1219,98 Euro nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 10.9.2019). Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Zwar lägen die Voraussetzungen der Fallzusammenführung nach § 2 Abs 2 Satz 1 der 2011 geltenden Fallpauschalenvereinbarung (FPV 2011) vor, diese sei jedoch nach § 2 Abs 2 Satz 2 FPV 2011 iVm dem Fallpauschalenkatalog, DRG G60B, Spalte 13, ausgeschlossen. Diese Ausnahmeregelung sei abschließend. In den Regelungen über die Fallzusammenführung sei in Einklang mit höherrangigem Recht in pauschalierender Weise das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs 1 SGB V berücksichtigt. Eine Einzelfallbetrachtung anhand des Wirtschaftlichkeitsgebots sei ausgeschlossen. Dies werde auch durch § 8 Abs 5 Satz 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) klargestellt. Zudem hätte das Krankenhaus die Versicherte nicht beurlauben können. Der Landesvertrag nach § 112 SGB V sehe dies nicht vor. Die Versicherte sei in der Zeit vom 12. ‑ 18.5.2011 auch nicht stationär behandlungsbedürftig gewesen (Urteil vom 25.2.2021).
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Mit ihrer Revision rügt die KK die Verletzung von § 8 Abs 5 Satz 3 KHEntgG, § 12 Abs 1, § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V sowie von § 1 Abs 7 Satz 5 FPV 2011. Eine Fallzusammenführung habe im vorliegenden Fall nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens stattzufinden.
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Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Februar 2021 und des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6 |
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
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Die zulässige Revision der beklagten KK ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG ihre Berufung gegen das stattgebende Urteil des SG zurückgewiesen. Die vom klagenden Krankenhaus erhobene echte Leistungsklage auf weitere Vergütung ist nicht begründet.
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Die KK hat die eingeklagte unstreitige Forderung von 1219,98 Euro für Behandlungen anderer Versicherter durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch in derselben Höhe aufgrund der bereits rechtsgrundlos beglichenen Rechnung für die vollstationäre Behandlung der Versicherten vom 5. - 11.5.2011 erfüllt (vgl zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise BSG vom 26.5.2020 ‑ B 1 KR 26/18 R ‑ juris RdNr 11 mwN, stRspr; vgl zur Aufrechnung BSG vom 25.10.2016 ‑ B 1 KR 9/16 R ‑ SozR 4‑5562 § 11 Nr 2 und BSG vom 25.10.2016 ‑ B 1 KR 7/16 R ‑ SozR 4‑7610 § 366 Nr 1). Das Krankenhaus hat keinen Anspruch auf die hier letztlich streitige, von der KK gezahlte Fallpauschale (DRG G60B, 1219,98 Euro) für die vom 5. ‑ 11.5.2011 für die Versicherte erbrachten Leistungen. Dem Krankenhaus steht der Vergütungsanspruch lediglich in Höhe der von der KK bereits beglichenen 7412,46 Euro nach DRG G18B zu. Das Krankenhaus durfte in dieser Höhe nach den Grundsätzen des wirtschaftlichen Alternativverhaltens lediglich einen Behandlungsfall ‑ ggf mit einer zwischenzeitlichen Beurlaubung ‑ abrechnen, nicht hingegen zwei Behandlungsfälle.
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1. Rechtsgrundlage des vom Krankenhaus wegen der stationären Behandlung der Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 KHEntgG und § 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (vgl BSG vom 8.11.2011 ‑ B 1 KR 8/11 R ‑ BSGE 109, 236 = SozR 4‑5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.3.2020 ‑ B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4‑2500 § 12 Nr 18, RdNr 11 mwN).
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Die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses liegen bis auf die Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V; dazu 2. b) vor. Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch Versicherte kraft Gesetzes, wenn die Versorgung ‑ wie hier ‑ in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl zB BSG vom 8.11.2011 ‑ B 1 KR 8/11 R ‑ BSGE 109, 236 = SozR 4‑5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 33/18 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 77 RdNr 10, 12 f mwN). Nach den von der KK nicht angegriffenen, bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG war die stationäre Behandlung der Versicherten während beider Behandlungsepisoden (5. ‑ 11.5.2011 und 19. ‑ 31.5.2011) medizinisch erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
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2. Zu Recht streiten die Beteiligten auch nicht darüber, dass das Krankenhaus die Höhe der Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs zutreffend sachlich-rechnerisch berechnete (dazu a). Das Krankenhaus behandelte die Versicherte jedoch nicht in jeder Hinsicht wirtschaftlich und hat daher lediglich Anspruch auf die Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre (dazu b). Die vom LSG hiergegen vorgebrachten Gründe greifen nicht durch (dazu c).
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a) Das Krankenhaus berechnete die Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs sachlich-rechnerisch zutreffend. Die Krankenhausvergütung bemisst sich nach Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage (vgl entsprechend zB BSG vom 8.11.2011 ‑ B 1 KR 8/11 R ‑ BSGE 109, 236 = SozR 4‑5560 § 17b Nr 2, RdNr 14 ff). Das Krankenhaus rechnete die Fallpauschalen DRG G60B und G18B nach der FPV 2011 korrekt ab. Danach waren ‑ bei unterstellter Wirtschaftlichkeit ‑ insbesondere die Voraussetzungen einer abrechnungstechnisch gebotenen Fallzusammenführung weder wegen Einstufung in dieselbe Basis-DRG (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 2 FPV 2011) noch wegen Wiederaufnahme bei Komplikation (§ 2 Abs 3 Satz 1 FPV 2011) erfüllt. Die Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 Satz 1 FPV 2011 führten trotz Eingruppierung der ersten Fallpauschale in die "medizinische Partition" und der zweiten Fallpauschale in die "operative Partition" (§ 2 Abs 2 Satz 1 Nr 2 FPV 2011) nicht zur Fallzusammenführung, weil die Ausnahme nach § 2 Abs 2 Satz 2 FPV 2011 eingreift. Hiernach wird eine Zusammenfassung und Neueinstufung nach Satz 1 nicht vorgenommen, wenn einer der Krankenhausaufenthalte mit einer Fallpauschale abgerechnet werden kann, die bei Versorgung in einer Hauptabteilung in Spalte 13 des Fallpauschalen-Katalogs als "Ausnahme von Wiederaufnahme" gekennzeichnet ist (vgl hierzu Fußnote 4 des Fallpauschalenkatalogs). Dies trifft auf die streitige DRG G60B zu. Die Vorinstanzen haben dies zutreffend ausgeführt.
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b) Das Krankenhaus behandelte die Versicherte jedoch nicht in jeder Hinsicht vollumfänglich wirtschaftlich und hat daher nur Anspruch auf diejenige Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre. Diesen sich nach DRG G18B berechnenden Anspruch hat die KK bereits erfüllt, sodass kein weiterer Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten während der beiden Zeiträume vom 5. ‑ 11.5. und vom 19. ‑ 31.5 2011 besteht.
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aa) Ein Krankenhaus hat auch bei der Vergütung der Krankenhausbehandlung durch Fallpauschalen einen Vergütungsanspruch gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ‑ korrespondierend mit dem Leistungsanspruch der Versicherten ‑ nur für eine erforderliche und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung (stRspr; vgl nur BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81 RdNr 17 ff mwN). Nach § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die KKn nicht bewilligen (§ 12 Abs 1 Satz 2 sowie § 2 Abs 1 Satz 1, § 4 Abs 3, § 70 Abs 1 SGB V).
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Nach der Gesetzeskonzeption des SGB V gilt das Wirtschaftlichkeitsprinzip uneingeschränkt auch im Leistungserbringerrecht (vgl § 12 Abs 1 Satz 2 sowie § 2 Abs 1 Satz 1, § 4 Abs 3, § 70 Abs 1 SGB V und dazu BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81 RdNr 18 ff mwN). Hierzu gehört die Pflicht des Krankenhauses, bei der Behandlungsplanung auch die Möglichkeit wirtschaftlichen Alternativverhaltens zu prüfen und die Behandlungsplanung ggf daran auszurichten. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener, gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind. Denn nur die geringere Vergütung ist wirtschaftlich (stRspr; vgl BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81 RdNr 17 und 24 mwN; BSG vom 27.10.2020 ‑ B 1 KR 9/20 R ‑ juris RdNr 14 und 16).
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Behandelt ein Krankenhaus einen Versicherten bei erforderlicher Krankenhausbehandlung hingegen in teilweise unwirtschaftlichem Umfang, hat es nach der Rspr des Senats zwar einen Vergütungsanspruch, obwohl die abgerechnete, konkret erbrachte Behandlung nicht in vollem Umfang dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht und daher wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs eigentlich gar keine Vergütung zu beanspruchen wäre. Das Krankenhaus kann aber die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichem Alternativverhalten angefallen wäre (stRspr; vgl BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81 RdNr 26 mwN; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 9/20 R ‑ juris RdNr 16; ausführlich zuletzt BSG vom 26.4.2022 ‑ B 1 KR 5/21 R ‑ juris RdNr 16 ff).
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bb) Die Anwendbarkeit des Wirtschaftlichkeitsgebots im einzelnen Behandlungsfall wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Vertragsparteien der FPV in § 2 FPV 2011 iVm § 17b Abs 2 Satz 1 KHG und § 8 Abs 5 KHEntgG (letztere Vorschrift idF durch Art 2 Nr 6 Buchst b des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften <Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz ‑ 2. FPÄndG> vom 15.12.2004, BGBl I 3429) Regelungen über die Fallzusammenführung vereinbart und in § 2 Abs 2 Satz 2 FPV 2011 eine Rückausnahme von der Fallzusammenführung vorgesehen haben (vgl RdNr 12). Die Rückausnahme hat zur Folge, dass es bei der konkreten Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall verbleibt. Soweit die Vertragsparteien nach § 17b Abs 2 Satz 1 KHG ‑ Spitzenverband Bund der KKn und die Deutsche Krankenhausgesellschaft ‑ Regelungen über Fallzusammenführungen getroffen haben, entfällt lediglich eine individuelle Prüfung der Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Sind Fallzusammenführungen angeordnet, bedarf es dafür keiner weiteren Begründung. In allen anderen Fällen - wie hier - ist die individuelle Wirtschaftlichkeitsprüfung weiterhin erforderlich. Gegenteiliges ergibt sich weder aus § 8 Abs 5 KHEntgG (vgl auch BT‑Drucks 15/994 S 22) noch aus § 17b Abs 2 Satz 1 KHG (idF durch Art 2 Nr 4 Buchst b aa des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser <Fallpauschalengesetz ‑ FPG> vom 23.4.2002, BGBl I 1412; aA Sächsisches LSG vom 13.2.2019 ‑ L 1 KR 315/14 ‑ juris RdNr 28 ff).
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Die preisrechtlichen Regelungen der FPV 2011 sind aufgrund ihrer Stellung in der Normenhierarchie und ihrer rechtssystematischen Verortung außerhalb der GKV nicht in der Lage, aus eigenem Geltungsgrund das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1 und des § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V einzuschränken. Eine spezifische gesetzliche Ermächtigung zu einer solchen Einschränkung zu Lasten der KKn fehlt den Vertragsparteien des § 17b Abs 2 Satz 1 KHG. Etwas anderes ergibt sich jedenfalls für den vorliegend maßgeblichen Abrechnungszeitraum nicht aus der mit Art 9 Nr 6 Buchst c des Gesetzes zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ‑ PpSG ‑ vom 11.12.2018, BGBl I 2394) eingefügten Regelung des § 8 Abs 5 Satz 3 KHEntgG (vgl BSG vom 27.10.2020 ‑ B 1 KR 9/20 R ‑ juris RdNr 17).
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cc) Versicherte dürfen nicht entlassen werden, wenn ‑ etwa durch eine medizinisch gebotene Diagnostik oder eine sonstige gebotene medizinische Intervention im weitesten Sinne ‑ in einem überschaubaren Zeitraum 1. Klarheit darüber geschaffen werden kann, ob eine Fortsetzung der stationären Behandlung medizinisch geboten ist, und 2. ggf die Fortsetzung der Behandlung aus medizinischen Gründen auch tatsächlich erfolgen kann. Maßgeblich dafür ist der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entlassung verfügbare Wissens- und Kenntnisstand der Krankenhausärzte. Insoweit gilt hinsichtlich der Fortsetzung der stationären Krankenhausbehandlung nichts anderes als hinsichtlich der Aufnahme Versicherter in die stationäre Krankenhausbehandlung. Es ist von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand der verantwortlichen Krankenhausärzte auszugehen. Die Krankenhausärzte haben keinen Beurteilungsspielraum oder eine Einschätzungsprärogative im Sinne eines Entscheidungsfreiraums mit verminderter Kontrolldichte (vgl BSG <Großer Senat> vom 25.9.2007 ‑ GS 1/06 ‑ BSGE 99, 111 = SozR 4‑2500 § 39 Nr 10, RdNr 27 ff).
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Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von zehn Tagen ab der Entscheidung über die Entlassung bis zur Fortsetzung der Behandlung noch als überschaubar anzusehen ist und damit noch das erforderliche Behandlungskontinuum wahrt (in der Sache so bereits: BSG vom 10.3.2015 ‑ B 1 KR 3/15 R ‑ juris = KHE 2015/15 = USK 2015-6: Mammakarzinom, Behandlungsepisode 5. - 7.12.2008 mit Gewinnung von Gewebe zur histologischen Untersuchung, Ergebnis am 9.12.2008, Wiederaufnahme am 19.12.2008; BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81: Lungenkarzinom, Behandlungsepisode vom 13. - 20.1.2012 mit Gewinnung von Gewebe zur histologischen Untersuchung am 16.1.2012, Ergebnis am 18.1.2012, immunhistologischer Nachbericht am 20.1.2012 nach Entlassung an diesem Tag, Wiederaufnahme am 24.1.2012; BSG vom 27.10.2020 ‑ B 1 KR 9/20 R ‑ juris: Sprunggelenksoperation: Behandlungsepisode vom 8. - 20.6.2012, wegen interkurrenter Erkrankung und Behandlung mit gerinnungshemmendem Medikament Aufschieben der Sprunggelenksoperation, Wiederaufnahme am 25.6.2012). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Verzögerung auf rein organisatorischen Zwängen und Kapazitätsproblemen im Krankenhaus beruht. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gebietet es dann, Versicherte auch über zehn Tage hinaus zu beurlauben.
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dd) Es standen nach diesen Grundsätzen anstelle der Entlassung und Wiederaufnahme der Versicherten gleich zweckmäßige und notwendige, aber wirtschaftlichere Möglichkeiten im Rahmen eines Behandlungsfalls zur Verfügung, die nur 7412,46 Euro Kosten verursacht hätten.
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Das Krankenhaus hätte angesichts der bevorstehenden Tumorkonferenz die Versicherte nicht entlassen dürfen. Es war auch absehbar, dass die Fortsetzung der stationären Behandlung binnen zehn Tagen in Betracht kam. So ist es auch geschehen. Nach den Feststellungen des LSG wurde die Behandlung innerhalb von weniger als zehn Tagen, nämlich nach acht Tagen in Umsetzung der Empfehlung der Tumorkonferenz fortgesetzt. Das Krankenhaus hätte deshalb bis dahin entweder die Versicherte in der stationären Behandlung belassen oder sie beurlauben müssen. Nach dem Gesamtzusammenhang der bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) sprachen medizinische Gründe weder dagegen, die vollstationäre Behandlung der Versicherten umgehend fortzusetzen, noch dagegen, die Versicherte zwischen beiden Eingriffen für wenige Tage zu beurlauben. Jedenfalls gerechnet mit Ablauf des 12.5.2011 (Besprechungstag) war auch aus Sicht des Krankenhauses binnen sieben Tagen die stationäre Behandlung durch erneute Aufnahme der Versicherten fortzusetzen.
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Tatsächlich aber führte das Krankenhaus zwei vollstationäre Behandlungen mit zwischenzeitlicher Entlassung der Versicherten durch und rechnete dafür zwei Fallpauschalen ab (DRG G60B und G18B in Höhe von insgesamt 8632,44 Euro <1219,98 Euro + 7412,46 Euro>). Sowohl im Fall eines Verbleibs der Versicherten im Krankenhaus als auch im Fall ihrer Beurlaubung wäre lediglich eine Fallpauschale (DRG G18B) in Höhe von 7412,46 Euro angefallen. In jeder Hinsicht wirtschaftlich waren daher nur diese beiden Behandlungsmöglichkeiten. Das Krankenhaus hat deshalb nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens nur einen Vergütungsanspruch in Höhe von 7412,46 Euro für einen Behandlungsfall.
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c) Entgegen der Meinung des LSG waren auch die Voraussetzungen einer ‑ den Aufwand des Krankenhauses mindernden ‑ Beurlaubung erfüllt (vgl zur Beurlaubung BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81 RdNr 25 mwN; BSG vom 28.3.2017 ‑ B 1 KR 29/16 R ‑ BSGE 123, 15 = SozR 4‑2500 § 109 Nr 61, RdNr 17 ff mwN). Dies gilt selbst dann, wenn der in Hamburg geltende Landesvertrag hier eine Beurlaubung ausgeschlossen hätte. Das im SGB V vorgesehene Vertragsrecht lässt eine Einschränkung des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zu. Durch die Verträge nach § 112 SGB V soll sichergestellt werden, dass Art und Umfang der Krankenhausbehandlung den Anforderungen des Gesetzes entsprechen. Das Vertragsrecht muss dementsprechend auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügen. Das im SGB V zugelassene Vertragsrecht ist kein Mittel, das Wirtschaftlichkeitsgebot zu unterlaufen. Anderes ließe sich auch mit der Normenhierarchie nicht vereinbaren, die dem Vertragsrecht keinen Rang oberhalb des SGB V einräumt (so BSG vom 10.3.2015 ‑ B 1 KR 3/15 R ‑ juris RdNr 25 mwN = KHE 2015/15 = USK 2015-6, dort zum Hamburgischen Landesvertrag nach § 112 SGB V; BSG vom 19.11.2019 ‑ B 1 KR 6/19 R ‑ SozR 4‑2500 § 109 Nr 81 RdNr 22). Soweit ein Landesvertrag nach § 112 SGB V Regelungen vorsieht, die das Wirtschaftlichkeitsgebot einschränken, sind diese Regelungen mit dem höherrangigen Gesetzesrecht unvereinbar und deshalb nichtig (BSG vom 13.11.2012 ‑ B 1 KR 27/11 R ‑ BSGE 112, 156 = SozR 4‑2500 § 114 Nr 1, RdNr 35 ff; BSG vom 13.11.2012 ‑ B 1 KR 14/12 R ‑ SozR 4‑2500 § 301 Nr 1 RdNr 26). Unbeachtlich sind daher Regelungen des hier anzuwendenden Landesvertrags, insbesondere nach dessen § 8, wenn sie einer Beurlaubung entgegenstehen sollten.
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Dass die Initiative für eine Beurlaubung zwingend vom Patienten ausgehen muss (vgl auch Makoski, GuP 2020, 33, 34; ders, jurisPR-MedizinR 2/2020 Anm 1), ist nach § 1 Abs 7 Satz 4 FPV 2011 nicht erforderlich (vgl BSG vom 27.10.2020 ‑ B 1 KR 9/20 R ‑ juris RdNr 19). Unerheblich ist schließlich, dass im Fall einer Beurlaubung eine sofortige endgültige Rechnungslegung noch nicht möglich ist. Ein Zeitraum von maximal zehn Tagen ist dem Krankenhaus zumutbar. Im Fall einer längeren Beurlaubung wegen organisatorischer Schwierigkeiten hat es ein Krankenhaus selbst in der Hand, die Behandlung zügig abzuschließen oder zumindest einen Abschlag zu fordern. Die Zuzahlungspflicht Versicherter (§ 61 Satz 2 SGB V) steht dem auch für sie geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot ohnehin nicht entgegen. Die Beurlaubung wird schließlich vergütungsrechtlich nicht dadurch ausgeschlossen, dass während ihrer Dauer keine tagesbezogene zwingende stationäre Behandlungsbedürftigkeit besteht. Dies belegt schon § 1 Abs 7 Satz 4 FPV 2011. Die stationäre Behandlungsbedürftigkeit bestimmt sich nach dem Gesundheitszustand der Versicherten, den gebotenen Behandlungsmöglichkeiten und dem sich daraus ergebenden Behandlungsplan in Bezug auf das einheitlich gedachte Behandlungsziel. Eine tageweise Betrachtung widerspräche dem Behandlungskontext.
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3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.