S 49 KA 97/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 49 KA 97/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

I. Die Klage wird abgewiesen.

 

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Streitig sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen im Quartal 1/2020 in Höhe von 18.200,13 Euro.

Die Klägerin ist Trägerin eines MVZ im A-Stadt, in welchem radiologische und nuklearmedizinische Leistungen erbracht werden. Sie wehrt sich gegen die im Honorarbescheid vom 12.08.2020 für das Quartal 1/2020 enthaltene Streichung von nach den EBM-Ziffern 17310, 17311 und 17312 abgerechneten Leistungen bei 105 Patienten. Der von der Klägerin am 04.09.2020 eingelegte Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2021 zurückgewiesen. Dagegen wurde am 25.05.2021 Klage erhoben.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die von der Beklagten vorgenommenen Streichungen mit der Begründung "nur einmal am Tag berechnungsfähig" seien nicht rechtmäßig. Aus dem Wortlaut der betroffenen GOPs, der nach ständiger Rechtsprechung des BSG der primäre Ansatzpunkt der Auslegung einzelner Leistungspositionen des EBM sei, ergebe sich keine derartige Einschränkung. Dort sei kein Zeitintervall von "einmal am Behandlungstag" oder "pro Sitzung" geregelt. In den vorliegend betroffenen Fällen sei die Untersuchung, eine Knochenszintigraphie, zweimal am Tag erfolgt. Morgens sei eine Frühaufnahme und nachmittags eine Spätaufnahme gemacht worden. Dabei handele es sich um zwei Untersuchungen, die zwingend zeitlich getrennt erfolgen müssten und nicht als eine Untersuchung gewertet werden könnten. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Aufnahmen sei üblicherweise so groß, dass die Patienten die Praxis in der Zwischenzeit verließen und die Aufnahmen von zwei unterschiedlichen Nuklearmedizinern (Früh- und Spätschicht) durchgeführt würden. Die Zuschläge nach den GOPs 17360 und 17361 bildeten dies nicht ab. Bei einem Großteil der betroffenen Patienten handele es sich um Patienten mit der Abklärung "rheumatische Erkrankungen". Für diese spezielle Abklärung werde immer eine frühe und eine späte Phase der Knochenszintigrafie benötigt, weil nur so die Differenzierung der Arthritis gelinge. Darüber hinaus diene die Knochenszintigrafie bei einer Vielzahl von Patienten der Abklärung einer RSO. Auch hier benötige man zwei Phasen, um die Synovialitis an den Gelenken zu erkennen und somit die Indikation zur RSO stellen zu können. Selbst bei dem verbleibenden kleinen "Rest" Staging-Patienten benötige man die frühe Phase, um Metastasen von Arthrosen differenzieren zu können. Genau in diesen Fällen, in denen die Szintigraphie zweimal am Tag erfolge, habe die Klägerin die beiden Untersuchungen getrennt voneinander abgerechnet. Es sei auch darauf zu verweisen, dass die Klägerin an der ambulanten spezialärztlichen Versorgung gemäß § 116b SGB V teilnehme, in deren Rahmen die GOP 17311 in der Regel zweimal am Tag zeitlich getrennt erbracht und abgerechnet werden könne, wenn dies medizinisch erforderlich sei. Wenn die Beklagte schließlich die Auffassung vertrete, dass die GOP 17310 "im Rahmen einer Sitzung nur einmal berechnungsfähig" sei, handelt es sich vorliegend gerade nicht um eine Sitzung. Vielmehr wäre der Begriff Sitzung, welcher der Leistungslegende gerade nicht zu entnehmen sei, dann als mit der einzelnen Früh-bzw. Spätaufnahme identisch zu sehen.

Die Klägerbevollmächtigte beantragt zuletzt,
den Bescheid vom 12.8.2020 betreffend das Quartal 1/2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.05.2021 insoweit aufzuheben, als von der Klägerin abgerechnete Leistungen nach den GOP 17310, 17311 und 17312 gestrichen wurden und die Beklagte zu verurteilen, die entsprechenden Leistungen nachzuvergüten.

Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf eine in der Akte enthaltene interne Stellungnahme der KBV, wonach die GOP 17310 grundsätzlich im Rahmen einer Sitzung nur einmal berechnungsfähig sei, auch wenn verschiedene Regionen des Körpers teilszintigraphisch untersucht würden. Der Begriff "Untersuchung" umfasse die Gesamtheit der durchgeführten teilkörperszintigraphischen Messungen innerhalb einer Sitzung. Die Ganzkörperszintigrafie nach GOP 17311 sei nicht einmal für Frühaufnahmen und einmal für Spätaufnahmen und damit im Rahmen einer Sitzung nicht zweimal berechnungsfähig. Die ganzkörperszintigrafische Untersuchung beinhalte die Gesamtheit der Untersuchungen im Rahmen einer Ganzkörperszintigrafie - sowohl die Frühaufnahmen als auch die nach einer Wartezeit durchgeführten Spätaufnahmen. Eine Mehrphasenszintigrafie stelle trotz mehrerer, zeitlich getrennter Untersuchungsgänge insgesamt nur eine Untersuchung dar, die dann im Rahmen einer Sitzung berechnungsfähig sei. Für die Abrechnung der Mehrphasenszintigrafie sei zusätzlich der Zuschlag nach der GOP 17360 für die Extravasalphasenuntersuchung berechnungsfähig. Vorliegend habe die Einsichtnahme in die Abrechnung ergeben, dass in den beanstandeten Fällen die GOP 17310 mit der Angabe "TK" unberechtigterweise zweimal berechnet worden sei. Zwar habe die Klägerin die GOP 17360 in den jeweiligen Fällen nicht angesetzt. Eine eventuelle Zusetzung dieser GOP sei jedoch ausgeschlossen, da zusätzlich die GOP 17363 (gegebenenfalls zweimal) zur Abrechnung gekommen sei und zwischen dieser und der GOP 17360 ein Abrechnungsausschluss bestehe, wobei die GOP 17363 zudem höher bewertet sei. Nachdem in den jeweiligen Fällen die GOP 17311 bei mehr als einmaligem Ansatz von der Vergütung ausgenommen worden sei, sei auch die GOP 17312 entsprechend abzusetzen gewesen. Ein Zusammenhang mit der von Klägerseite angeführten ASV sei nicht erkennbar.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Akteninhalt, insbesondere die dort enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig, erweist sich in der Sache aber als unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12.08.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.05.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommenen quartalsgleichen Richtigstellungen der Abrechnung der Klägerin ist §106d Abs. 2 SGB V, wonach die Beklagte die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen feststellt.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung der abgesetzten streitgegenständlichen Leistungen. Die Auffassung der Beklagten, dass bei den zur Abrechnung gebrachten Knochenszintigraphien auch die aus medizinischem Gründen mit gegebenenfalls mehrstündigem zeitlichem Abstand durchgeführte weitere szintigraphische Aufnahme nicht gesondert zu vergüten ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach dem für das Quartal 1/2020 einschlägigen Wortlaut werden mit der GOP 17310 EBM die "Teilkörperszintigraphische Untersuchung" und mit der GOP 17311 EBM die "Ganzkörpüerszintigraphische Untersuchung" vergütet. Die GOP 17312 EBM enthält nach ihrem Wortlaut einen "Zuschlag zu der Gebührenordnungsposition 17311 für die Verwendung eines Ganzkörperzusatzes". In der Anmerkung zur GOP 17310 wird außerdem ausgeführt, bei der Abrechnung dieser GOP sei "das untersuchte Organ bzw. sind die untersuchten Organe" anzugeben. Im Übrigen enthalten die Anmerkungen zu den og. GOP ausschließlich Angaben dazu, neben welchen GOPs diese Ziffern nicht abgerechnet werden können.

Die Klägerseite hat zutreffend darauf hingewiesen, dass für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen, was sowohl die Allgemeinen Bestimmungen des EBM, den Inhalt der einzelnen Vergütungsziffern als auch die dazu ergangenen Anmerkungen umfasst, nach gefestigter, langjähriger Rechtsprechung des BSG in erster Linie der Wortlaut maßgeblich ist. Raum für eine systematische Interpretation oder entstehungsgeschichtliche Auslegung ist danach nur ausnahmsweise und in engen Grenzen bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen (ausführlich dazu mwN Clemens in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., §106d SGB V, Rn. 183ff.).

1. Auch wenn der Wortlaut der GOPs 17310 und 17311 keine Einschränkung dahingehend enthält, dass die Leistung z. B. nur einmal "je Sitzung" oder "je Behandlungsfall" abrechenbar ist, sieht der EMB die von der Klägerin begehrte, mehrfache Abrechnung dieser GOPs in den beschriebenen Fällen nicht vor.

a) Die og. GOPs sind im Abschnitt 17.3 des EBM enthalten mit der Überschrift "Diagnostische und therapeutische Gebührenordnungspositionen". Nach Ziffer 4.2. der Allgemeinen Bestimmungen des EBM sind GOPs mit diagnostischem und/oder therapeutischem Leistungsinhalt als Einzelleistungen, Leistungskomplexe oder Zusatzpauschalen beschrieben. Nach Ansicht der fachkundig besetzten Kammer handelt es sich bei den GOPs 17310 und 17311 um Leistungskomplexe, mit denen nicht die einzelne szintigraphische Messung oder Aufnahme vergütet werden soll, sondern wie aus dem Wortlaut erkennbar, eine Teil- oder Ganzkörperszintigraphische Untersuchung. Unter Untersuchung wird in der Medizin "die gezielte Erhebung körperlicher oder psychischer Befunde zur Erkennung einer Krankheit oder des Heilungsverlaufs" verstanden (vgl. Pschyrembel Online, www.pschyrembel.de/untersuchung/K07DJ/doc/, Stand 20.07.2022). Danach setzt sich eine Untersuchung gegebenenfalls auch aus mehreren, auch verschiedenen Teilleistungen zusammen. Bereits aus dem Wort Untersuchung ist damit erkennbar, dass mit den streitgegenständlichen Ziffern nicht eine einzelne Leistung, sondern ein Leistungskomplex honoriert werden soll. Die Klägerin hat vorliegend nachvollziehbar dargelegt, dass in den streitigen Fällen die erstrebte Abklärung bzw. der Befund, das Vorliegen einer Arthrose, einer Entzündung oder von Metastasen, nur durch die zweite Aufnahme erreicht werden konnte. Die Untersuchung setzte sich in diesen Fällen also aus mehreren Aufnahmen zusammen. Anhand der jeweils einzelnen Aufnahme konnte die in Frage stehende Diagnose jeweils nicht gestellt werden. Die vollständige Leistungserbringung der jeweils einschlägigen Teil- oder Ganzkörperszintigraphischen Untersuchung beinhaltete damit jeweils das Erstellen auch der Spätaufnahme.

b) Die Auslegung der GOPs 17310 und 17311 als Leistungskomplexe steht im Einklang damit, dass die vorliegend streitige "Spätaufnahme" als nicht gesondert abrechenbare Leistung in Anhang 1 zum EBM explizit aufgeführt wird. In Ziffer 1 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM ist geregelt, dass in Gebührenordnungspositionen enthaltene- aus der Leistungsbeschreibung ggf. nicht erkennbare- Teilleistungen im Verzeichnis nicht gesondert berechnungsfähiger Leistungen in Anhang 1 aufgeführt sind. In Anhang 1 wiederum als nicht gesondert berechnungsfähige Leistung aufgeführt ist der "szintigraphische Nachweis von Radioaktivitätsverteilungen im Körper (soweit nicht von anderen Leistungsansätzen erfasst), z. B. Ganzkörpermessungen, Suche nach Tumoren, Metastasen und/oder Infektionen". Nach Ansicht der fachkundig besetzten Kammer fallen die von der Klägerin gesondert abgerechneten (Teil-) Leistungen genau unter diese Definition und sind auch aus diesem Grund nicht gesondert abrechenbar.

c) Einer gesonderten Abrechenbarkeit der streitigen Leistungen steht schließlich auch entgegen, dass im EBM in der GOP 17360 EBM ein Zuschlag zu den GOPs 17310 oder 17311 für die "szintigraphische Untersuchung der Extravasalphase im Rahmen einer Mehrphasenszintigraphie" vorgesehen ist. Bei den geltend gemachten Aufnahmen in der Spätphase handelt es sich nach Ansicht der fachkundig besetzten Kammer um Aufnahmen in der Extravasalphase im Rahmen einer Mehrphasenszintigraphie. Soweit die Klägerseite insoweit die Ansicht vertritt, die Bewertung der Zuschlagsziffer bilde den Mehraufwand in den vorliegenden Fällen nicht ab, berechtigt das die Klägerin nicht, stattdessen den Leistungskomplex mehrfach abzurechnen.

2. Da nach dem oben Ausgeführten die Abrechnung der geltend gemachten Leistungen nach den Ziffern 17310 und 17311 unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt und die Beklagte die geltend gemachten Leistungen zu Recht abgesetzt hat, waren auch die Leistungen nach der GOP 17312 als Zuschlag zur GOP 17311 abzusetzen.

Die Entscheidung über die Kosten basiert auf §197a SGG in Verbindung mit §154 Abs. 1 VwGO.

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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