L 5 R 968/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 1287/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 968/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.11.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu
erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach Vollendung des 63. Lebensjahres.

Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert. Nach seiner Schulausbildung und der bis August 1973 absolvierten Berufsausbildung war er zunächst als abhängig Beschäftigter rentenversicherungspflichtig. Zuletzt war er in der Zeit vom 04.07.2008 bis 30.11.2012 (erneut) selbständig tätig. In dieser Zeit zahlte er freiwillige Beiträge zur Arbeitslosen- sowie zur gesetzlichen Rentenversicherung. Wegen überwiegender Verluste aus dieser selbständigen Tätigkeit meldete er zum 01.12.2012 sein Gewerbe zum geringfügigen Nebenerwerb um und meldete sich arbeitslos. In der Zeit vom 01.12.2012 bis 30.11.2014 erhielt der Kläger Arbeitslosengeld (Alg) von der Bundesagentur für Arbeit; diese führte für den Kläger Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung an die Beklagte ab.

Der Kläger zahlte ab 01.12.2012 zunächst weiterhin freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung, um sich die Möglichkeit offenzuhalten, eventuell frühzeitiger in Rente gehen zu können. Mit Bescheid vom 05.03.2013 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger aufgrund des Bezuges von Alg keine Berechtigung zur freiwilligen Rentenversicherung habe. Mit Bescheid vom 11.03.2013 beanstandete die Beklagte die Beiträge, und erstattete dem Kläger diese für die Zeit vom 01.12.2012 bis 31.01.2013.

Am 02.09.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte und Altersrente für langjährig Versicherte. Mit Schreiben vom 22.09.2014 wies die Beklagte darauf hin, dass der Kläger in den letzten beiden Jahren vor dem beantragten Altersrentenbeginn am 01.12.2014 Alg bezogen habe. Solche Zeiten dürften für die Wartezeit nur berücksichtigt werden, wenn die Arbeitslosigkeit auf eine Insolvenz oder eine Geschäftsaufgabe zurückzuführen sei. Falls ein solcher Sachverhalt vorliege, solle der Kläger entsprechende Beweismittel vorlegen. Der Kläger wies darauf hin (Schreiben vom 15.10.2014), dass er seine hauptberufliche Tätigkeit aufgegeben habe. Falls der Sachverhalt jetzt anders (als im Bescheid vom 05.03.2013) zu beurteilen sei, sei er bereit, ab 01.12.2012 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung nachzuzahlen.

Mit Bescheid vom 23.10.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte ab, da der Kläger die Mindestversicherungszeit von 45 Jahren (540 Monate) nicht erfülle. Bis zum gewünschten Rentenbeginn 01.12.2014 seien nur 519 Wartezeitmonate zurückgelegt. Die letzten 24 Kalendermonate mit Bezug von Alg vor Rentenbeginn könnten nicht angerechnet werden, da er zuvor nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und somit auch keine Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers vorgelegen habe.

Hiergegen erhob der Kläger am 24.11.2014 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 11.11.2014 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 01.12.2014 in Höhe von laufend 1.137,75 € ab dem 01.01.2015. Sie berücksichtigte dabei einen Rentenabschlag (verminderten Zugangsfaktor) von 0,913 wegen einer um 29 Monate vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente. Der Kläger legte vorsorglich Widerspruch gegen diesen Bescheid ein (Schreiben vom 08.12.2014). Das Verfahren ruht derzeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.10.2014 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Regelung des § 51 Abs. 3a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ziele ihrem Wortlaut nach nur auf Arbeitnehmer ab, nicht auf Selbständige. Diese hätten keinen Arbeitgeber. Eine analoge Anwendung dieser Ausnahmeregelung auf Selbständige sei ausgeschlossen. Unabhängig davon habe der Kläger seine selbständige Tätigkeit nicht aufgegeben, sondern in ein Nebengewerbe umgewandelt, so dass keine vollständige Geschäftsaufgabe vorliege. Die hilfsweise Zahlung von freiwilligen Beiträgen gemäß § 7 SGB VI für den Zeitraum der Arbeitslosigkeit von Dezember 2012 bis November 2014 sei nicht möglich. In diesem Zeitraum habe Versicherungspflicht nach § 3 SGB VI vorgelegen. Diese schließe eine freiwillige Versicherung aus.

Der Kläger hat am 18.03.2015 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe aus seiner selbständigen Tätigkeit von 2008 bis 2012 einen Verlust von 5.277,92 € erzielt. Dies sei ihm nicht mehr zumutbar gewesen. Es sei daher auch in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „vollständige Geschäftsaufgabe" nicht relevant, dass er seine Tätigkeit im Nebenerwerb weiterbetrieben habe. Zum Zeitpunkt der Beanstandung und Erstattung seiner freiwilligen Beiträge zur Rentenversicherung seien die Regelungen des § 236b SGB VI und des § 51 SGB VI - die er für sich als Einschränkung ansehe - noch nicht absehbar gewesen, so dass ein Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Ihm gehe es um die Altersrente für besonders langjährig Versicherte und nur hilfsweise um die Möglichkeit der Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge, um die Altersrente beanspruchen zu können. Die Regelung des § 51 Abs. 3a SGB VI i.d.F. ab 01.07.2014 sei nicht verfassungsgemäß, da in der Mehrzahl der Fälle kein Verschulden an der Arbeitslosigkeit vorliegen werde, so etwa bei betriebsbedingter oder krankheitsbedingter Kündigung. Der Gesetzgeber habe mit Geschäftsaufgabe oder Insolvenz lediglich willkürlich zwei Beispiele herausgenommen. Der hier vorliegende Fall einer eigenen Selbständigkeit sei von dem Gesetzgeber nicht gesehen worden. Er sei als selbständiger Einzelversicherungsvertreter Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Person gewesen, so dass die Regelung analog auch auf ihn anzuwenden sei. Aus den Unterlagen zum Gesetzgebungsverfahren sei erkennbar, dass nur von Arbeitnehmern, aber nicht von Selbständigen die Rede gewesen sei. Es sei ihm als Selbständigem erlaubt gewesen, sich durch freiwillige Zahlungen an die Sozialversicherung entsprechende Ansprüche zu sichern, so dass er diese auch in Anspruch nehmen dürfe und davon ausgehen dürfe, dass seine Zahlungen eine Würdigung fänden. Missbräuchliche Absichten, wie sie in der Gesetzesbegründung genannt würden, habe er nicht gehabt. Das Verfahren sei im Hinblick auf Musterverfahren zur Verfassungsmäßigkeit des § 51 Abs. 3a SGB VI ruhend zu stellen oder dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Wegen echter Rückwirkung dieser Regelung, die für niemanden absehbar gewesen sei, lägen Verstöße gegen Art. 12 Grundgesetz (<GG> Berufsfreiheit) und v.a. Art. 14 GG (Schutz des Eigentums) vor. Zudem liege wegen der Ungleichbehandlung mit Arbeitnehmern ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG vor. Er habe damit gerechnet, die 540 Wartezeitmonate zu erfüllen. Als er in die Arbeitslosigkeit gegangen sei, sei die Rechtslage nicht absehbar gewesen. Die Situation komme derjenigen einer Arbeitslosigkeit wegen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers nahe. Seine Situation sei in § 51 Abs. 3a SGB VI nicht berücksichtigt, was sich unerträglich auswirke. Die Beklagte wäre im Übrigen verpflichtet gewesen, bei Eintritt der neuen Rechtslage zum 01.07.2014 oder bei Antragstellung am 02.09.2014 oder auch schon bei Ablehnung der freiwilligen Beiträge Anfang 2013 über Entsprechendes zu benachrichtigen, damit er entsprechende Vorkehrungen hätte treffen können. Anstatt ihm die freiwilligen Leistungen im Rahmen der Arbeitslosigkeit zu versagen, hätte die Beklagte ihn darauf hinweisen müssen, dass er sich möglicherweise seiner Rechte begebe und er sich als Alternative einen anderen Weg suchen solle als die Arbeitslosigkeit. Es bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zur Begründung hat sie dargelegt, die zum 01.01.2012 mit der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 65. Lebensjahr (§ 38 SGB VI) eingeführte Wartezeit von 45 Jahren sei mit Wirkung vom 01.07.2014 erheblich erweitert worden. Nunmehr würden auch Pflichtbeitragszeiten und Anrechnungszeiten wegen Bezuges von Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung berücksichtigt, um Härten bei infolge von Arbeitslosigkeit kurzzeitig unterbrochenen Erwerbsbiografien zu vermeiden. Allerdings würden auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales hin Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung sei durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (§ 51 Abs. 3aBild entfernt. Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der Fassung durch Gesetz vom 23.06.2014 ab 01.07.2014). Die Ausnahmeregelung für Insolvenz und vollständige Geschäftsaufgabe könne nicht im Wege der Analogie auf Selbständige erweitert werden, die ihr Gewerbe unverschuldet hätten abmelden müssen. Der Gesetzgeber habe nur jene Fälle ausgenommen, in denen dem Arbeitnehmer jede Steuerungsmöglichkeit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Beschäftigungsverhältnisses genommen worden sei. Die Entscheidung über die Aufgabe seines eigenen Betriebs treffe der Selbständige jedoch selbst; insoweit bestünden Gestaltungsmöglichkeiten, die auch missbräuchlich genutzt werden könnten. Dies werde hier auch durch den Vortrag des Klägers bestätigt, der die freiwillige Arbeitslosenversicherung habe nutzen wollen und sich daher zum 01.12.2012 arbeitslos gemeldet habe. Der Kläger könne auch keine Ansprüche aus einer fehlerhaften Beratung herleiten, weil 2012/2013 die Neuregelungen zum Bezug einer abschlagsfreien Altersrente noch nicht bekannt gewesen seien. Dies sei frühestens am 21.05.2014 durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales bekannt gewesen, die am 23.05.2014 im Bundestag beraten worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger bereits 18 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten aufgrund Bezuges von Alg zurückgelegt. Die Versichertenakte des Klägers sei erst im September 2014 wegen des Antrages auf Rente wieder zu bearbeiten gewesen. Die Beklagte sei auch nicht berechtigt oder verpflichtet gewesen, den Kläger zum Bezug von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zu beraten. Ab dem 01.12.2012 sei wegen Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung bei Bezug von Alg keine freiwillige Rentenversicherung mehr möglich gewesen. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung zum 01.07.2014 nicht in rentenrechtliche, nach Art. 14 GG geschützte Anwartschaften des Klägers eingegriffen. Nach dem bis 30.06.2014 geltenden Recht hätte er ab dem 01.12.2014 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit Abschlägen in Anspruch nehmen können; dies habe er wohl auch beabsichtigt. Einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte hätte er nach der Rechtslage bis 30.06.2014 nicht gehabt. Die Problematik des Falles liege darin, dass der Kläger nicht zu dem Kreis der durch die Neuregelung begünstigten Versicherten zähle. Dies sei aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Erweiterung der Ausnahmeregelungen für Insolvenz und vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers auf andere Fallgruppen sei auch in den bisher ergangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen abgelehnt worden. Sie verweise auf das Urteil des SG Hannover vom 11.01.2017 (S 14 R 171/15, in juris), wonach die Aufgabe des eigenen Unternehmens nicht einer „vollständigen Geschäftsaufgabe“ entspreche.

Mit Urteil vom 16.11.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte abschlagsfreie Altersrente nach mit Wirkung vom 01.07.2014 eingefügten § 236b SGB VI nach Vollendung des 63. Lebensjahres ab dem 1.12.2014. Diesem Rentenanspruch stehe entgegen, dass der Kläger nicht die hierfür vorausgesetzte Wartezeit von 45 und damit 540 Kalendermonaten erfülle. Auf die Wartezeit seien nach dem Versicherungsverlauf des Klägers nur 519 Kalendermonate anzurechnen. Die dem Rentenbeginn vorangehenden 24 Monate mit Pflichtbeiträgen bei Arbeitslosigkeit vom 01.12.2012 bis zum 30.11.2014 rechneten nicht zu den anrechenbaren Zeiten. Denn der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3a SGB VI in der ab 01.07.2014 geltenden Fassung. Zwar seien die Pflichtbeitragszeiten bei Bezug von Alg (§ 3 Abs. I Satz I Nr. 3 SGB VI) ab dem 01.12.2012 bis 30.11.2014 anders als nach der bis dahin geltenden Rechtslage bei der Wartezeit von 45 Jahren grundsätzlich zu berücksichtigen. Dies gelte aber ausdrücklich nicht für die beiden letzten Jahre vor dem Rentenbeginn und damit für den hier streitigen Zeitraum. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die Rückausnahme nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB VI, da der Bezug von Alg hier nicht durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sei. Der Kläger sei im Zeitraum bis 30.11.2012 als selbständig Tätiger nicht Arbeitnehmer gewesen und habe daher keinen Arbeitgeber gehabt. Eine erweiternde Auslegung der Norm dahingehend, dass jede unfreiwillige und unverschuldete Beendigung einer Beschäftigung ausreichen könne, habe das BSG unter Hinweis auf den Wortlaut und den strengen Ausnahmecharakter der Regelung im Rahmen der Missbrauchsabwehr verneint (BSG, Urteile vom 17.08.2017 - B 5 R 8/16 R und B 5 R 16/16 R -, beide in juris). Die Vorschrift könne entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht entsprechend auf einen Selbständigen angewandt werden, da es auch hierfür bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehle (vgl. Urteil des SG Hannover vom 11.01.2017 - S 14 R 171/15 -, in juris). Abgesehen davon würde es selbst dann, wenn man dies anders sähe, an einer Insolvenz des Klägers (als sein eigener Arbeitgeber) bzw. an einer „vollständigen" Geschäftsaufgabe fehlen, nachdem die selbständige Tätigkeit nebengewerblich bzw. geringfügig weitergeführt worden sei. Die vom Kläger geltend gemachten Verluste aus seiner selbständigen Tätigkeit unterfielen nicht dem Begriff einer „Insolvenz", da hierfür ein durch die Insolvenzordnung gelenktes Verfahren erforderlich sei (BSG, Urteile vom 17.08.2017 - B 5 R 8/16 R und B 5 R 16/16 R, a.a.O.), an dem es hier fehle. Der Kläger könne auch nicht beanspruchen, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so gestellt zu werden, als habe er die Voraussetzungen für die Rente ab dem 01.12.2014 erfüllt. Dem stehe bereits entgegen, dass eine Verletzung einer entsprechenden Beratungs- oder Hinweispflicht der Beklagten nicht erkennbar sei. Zum Zeitpunkt der Aufgabe der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit zum 01.12.2012 und der Arbeitslosmeldung - zu der sich der Kläger aus eigenen Beweggründen entschieden habe - habe keine Veranlassung bestanden, den Kläger im Hinblick auf die erst im Juni 2014 von dem Gesetzgeber im Detail beschlossene und bis dahin weder für den Kläger noch für die Beklagte im Einzelnen absehbare Änderung im Bereich der Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu beraten. Die von dem Kläger gewählte und von der Bundesagentur für Arbeit offenbar akzeptierte Gestaltungsmöglichkeit habe bereits auf eine vorzeitige Rentengewährung ab dem 01.12.2014 - nach vorangegangener umfassender Ausschöpfung des mit den freiwilligen Beiträgen versicherten Anspruches auf Alg - abgezielt. Hieran müsse sich der Kläger festhalten lassen. Zu einem späteren Zeitpunkt ab Mai 2014 oder spätestens ab dem Rentenantrag im September 2014 hätte auch eine entsprechende Beratung hingegen nichts mehr an den fehlenden 21 Monaten Wartezeit ändern können. Die Regelung des § 51 Abs. 3a SGB VI sei auch nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Art. 12, 14 und 3 GG liege nicht vor. Der Kläger könne auch nicht beanspruchen, für die Zeit vom 01.12.2012 bis 30.11.2014 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung nachzahlen zu dürfen. Abgesehen davon, dass auch (nur) freiwillige Beiträge für diese Zeit der Arbeitslosigkeit nach § 51 Abs. 3a Nr. 4 SGB VI nicht bei der Wartezeit von 45 Jahren berücksichtigt würden, stünden dem die von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten Pflichtbeiträge wegen des Bezuges von Alg entgegen.

Gegen das ihm am 28.11.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.12.2017 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Dort ist das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen L 5 R 4894/17 geführt worden, bis der Senat mit Beschluss vom 01.08.2018 das Ruhen des Verfahrens angeordnet hat. Seit Wiederanrufung des Verfahrens durch die Beklagte mit Schreiben vom 07.03.2019 wird der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen L 5 R 968/19 geführt.

Zur Begründung seiner Berufung hält der Kläger seinen bisherigen Vortrag aufrecht und führt teilweise wiederholend aus, bei ihm sei ein atypischer Sonderfall gegeben, weswegen er einen Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente für langjährig Versicherte habe. Schließlich habe er zunächst die freiwilligen Beiträge weiterbezahlt und so eindeutig die Intention gehabt, die Möglichkeit einer Rente für besonders langjährig Versicherte aufrecht zu erhalten. Zudem liege ein atypischer Sonderfall vor, da er als Selbständiger freiwillige Beiträge für die Arbeitslosenversicherung bezahlt gehabt habe und dann auch die freiwilligen Beiträge, die vorher für die Rentenversicherung bezahlt worden seien, habe weiterzahlen wollen, was ihm jedoch aufgrund der Pflichtbeiträge im Rahmen der Arbeitslosigkeit verwehrt worden sei. Es sei evident, dass er jegliche Anstrengung unternommen habe, in den Leistungsbezug nach der damals geltenden Rechtslage zu gelangen. Letztlich sei er aufgrund einer eindeutig nicht mehr vertretbaren finanziellen Situation im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit dazu genötigt worden, diese zu beenden. Zudem sei ein Fall echter Rückwirkung eines Gesetzes gegeben.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.11.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 19.02.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.12.2014 zu gewähren.

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.11.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm nach rückwirkender Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 01.12.2012 bis 30.11.2014 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.12.2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus dem Urteil des BSG vom 28.06.2018 (- R 5 R 25/17 R -, in juris) ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass auch die Aufgabe des eigenen Geschäfts als vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers im Sinne von § 51 Abs. 3a Satz 1 Halbsatz 3 SGB VI zu verstehen sei. Auch das LSG Niedersachsen-Bremen habe im Urteil vom 22.08.2018 (L 2 R 145/17) dargelegt, dass die Aufgabe des eigenen Geschäfts durch den selbständig tätigen Versicherten keine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers sei. Ferner liege kein Fall der echten Rückwirkung eines Gesetzes vor. Eine echte Rückwirkung liege nur vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreife. Hier habe der Gesetzgeber mit der Einführung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte zum 01.07.2014 jedoch in keinerlei bestehende Rechtspositionen, also Ansprüche oder Anwartschaften, des Klägers eingegriffen. Wie vom Kläger bereits langfristig geplant, erhalte dieser seit 01.12.2014 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Auch die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme dieser Altersrente verbundenen Abschläge seien vom Gesetzgeber nicht erst durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz zum 01.07.2014 eingeführt worden, sondern beruhten auf der bereits zuvor bestehenden Rechtslage.

Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 25.10.2019 erörtert. Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte - auch im Verfahren L 5 R 4894/17 - und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 2 Sozialgerichtgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2015, mit dem der Antrag des Klägers auf Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.12.2014 abgelehnt worden ist. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist hingegen der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2014, mit dem die Beklagte dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 01.12.2014 gewährt und gegen den der Kläger Widerspruch erhoben hat. Ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens ist der bestandskräftige Bescheid vom 05.03.2013, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass der Kläger ab 01.12.2012 keine Berechtigung zur freiwilligen Rentenversicherung hat.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.12.2014.

Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 236b Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.06.2014. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, die vor dem 01.01.1953 geboren sind, Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet (Abs.1 Nr. 1) und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben (Abs. 1 Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar ist der Kläger vor dem 01.01.1953 - am 21.11.1951 - geboren und hatte am 01.12.2014 das 63. Lebensjahr vollendet. Allerdings hat er die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren nicht erreicht.

Welche Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit angerechnet werden, regelt § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.06.2014. Danach werden auf die Wartezeit von 45 Jahren Kalendermonate angerechnet mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 1), Berücksichtigungszeiten (Nr. 2), Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (Nr. 3a), Leistungen bei Krankheit (Nr. 3b) und Übergangsgeld (Nr. 3c), soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind (Halbsatz 1), wobei Zeiten nach Buchst a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt werden (Halbsatz 2), es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (Halbsatz 3). Ferner werden auf die Wartezeit von 45 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen angerechnet (Nr. 4).

Die Beklagte hat den vom Kläger zurückgelegten Versicherungsverlauf im Rentenbescheid vom 11.11.2014 zutreffend festgestellt. Diese Zeiten werden vom Kläger auch nicht bestritten. Unter Zugrundelegung dieser Zeiten hat die Beklagte bereits im Bescheid vom 23.10.2014 zutreffend berechnet, dass der Kläger statt der erforderlichen 540 Monate lediglich 519 auf die 45-jährige Wartezeit anrechenbare Monate zurückgelegt hat. Die darüber hinaus von Januar 2012 bis November 2014 zurückgelegten 23 Monate des Bezugs von Alg, einer Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 SGB III), sind nach den Vorgaben des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 und 3 SGB VI nicht anrechnungsfähig.

Insbesondere erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzungen für die Rückausnahme nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 3 SGB VI, da der Bezug von Alg in der Zeit vom 01.12.2012 bis 30.11.2014 hier nicht durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist. Denn der Kläger hat zwar seine hauptberufliche selbständige Tätigkeit als Versicherungsvertreter am 30.11.2012 aufgegeben; er war aber anschließend noch nebenberuflich in seinem eigenen Betrieb tätig, so dass mangels Geschäftsaufgabe der Kläger bereits nach dem Wortlaut der Norm nicht unter die Vorschrift des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 3 SGB VI fällt. Darauf, dass es nicht die Geschäftsaufgabe eines Arbeitgebers, sondern die eigene Geschäftsaufgabe gewesen ist, kommt es damit überhaupt nicht an. Darüber hinaus hat auch eine Insolvenz im Sinne des § 51 Absatz 3 a Satz 1 Halbsatz 3 SGB VI des Klägers nicht vorgelegen. Ein Insolvenzverfahren ist weder beantragt noch eröffnet worden.

Der Kläger kann auch nicht für sich beanspruchen, im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als hätte er die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte erfüllt.

Zudem verstößt § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23.6.2014 (BGBl. I S. 787) nicht gegen die Verfassung.

Letztlich ist auch der Hilfsantrag des Klägers auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung erfolglos, denn insoweit stehen die von der Bundesagentur für Arbeit getragenen Pflichtbeiträge wegen des Bezugs von Alg in der Zeit vom 01.12.2012 bis 30.11.2014 entgegen. Außerdem steht bestandskräftig fest, dass eine Berechtigung zur Entrichtung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge ab 01.12.2012 nicht besteht (Bescheid vom 05.03.2013).

Zur Begründung im Einzelnen wird auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, die der Senat nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage für zutreffend erachtet (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte scheitert nicht bereits daran, dass er seit dem 01.12.2014 eine Altersrente für langjährig Versicherte bezieht. Zwar regelt § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI, dass nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Diese Regelung betrifft jedoch nicht den Anspruch auf eine andere Altersrente, die vor oder gleichzeitig mit einer bereits bewilligten oder bezogenen Altersrente beginnt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2018 - B 5 R 25/17 R -, in juris m.w.N.).

Im Übrigen hat das BSG in seinem Urteil vom 28.06.2018 (B 5 R 25/17 R, in juris, Rn. 58ff.) die Auffassung des SG bestätigt, dass ein Ausschluss nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 SGB VI der Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn von der Anrechenbarkeit auf die 45-jährige Wartezeit sowie die Rückausnahme für die Fälle eines durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingten Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung mit der Verfassung in Einklang stehen. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Es liegt weder ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG wegen Altersdiskriminierung vor, da der Katalog der in der Grundrechtsnorm aufgeführten Merkmale abschließend ist und das Merkmal "Alter" nicht enthält, noch liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, dass Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung gemäß § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn entgegen der Grundregel des Halbsatzes 1 nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden. Der allgemeine Gleichheitssatz im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (stRspr., vgl. BVerfGE 117, 272, 300 f.). Die Regelung des Halbsatzes 2 benachteiligt die Personengruppe, die Zeiten im Sinne des Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn zurückgelegt hat, gegenüber der Personengruppe, die derartige Zeiten vor diesem Zeitraum absolviert hat und damit der Grundregel des Halbsatzes 1 unterfällt. Die unterschiedliche Behandlung der dargestellten Gruppen durch den Gesetzgeber wird aber durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Da eine Anordnung des Gesetzgebers, Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind, auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen, angesichts der weiten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit (BVerfGE 122, 1, 23; 130, 240, 254) aus Verfassungsgründen nicht geboten war, kann es ihm grundsätzlich auch nicht verwehrt sein, für sie zeitliche Grenzen zu setzen. Insoweit liegt ein Vergleich mit der Zulässigkeit von Stichtagsregelungen nahe (vgl. BVerfGE 80, 297, 311). Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Einführung eines Stichtags überhaupt notwendig ist und sich die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist. Einer Prüfung anhand dieser Kriterien hält § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a Halbsatz 2 SGB VI stand (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2018 - B 5 R 25/17 R -, in juris m.w.N.).

In seiner Entscheidung vom 28.06.2018 (B 5 R 25/17 R, in juris Rn. 106ff.) hat das BSG auch bestätigt, dass eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vorliegt. Was zum „Inhalt“ des Eigentums gehört, bestimmen entsprechend Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Gesetze (BVerfGE 52, 1, 27). Der Gesetzgeber schafft auf der Ebene des objektiven Rechts diejenigen Rechtssätze, die die Rechtsstellung des Eigentümers begründen und ausformen; sie können privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein (BVerfGE 58, 300, 330). Die Anrechnung von Zeiten des Alg-Bezugs auf die 45-jährige Wartezeit ist erst durch § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI mit Wirkung zum 01.07.2014 angeordnet worden, wobei zugleich die Berücksichtigung dieser Zeiten für die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn ausgeschlossen worden ist. Die Vorschrift hat damit nicht in eine den Versicherten bereits zuerkannte Rechtsposition eingegriffen, sondern ihnen vielmehr von Anfang an nur eine beschränkte Rechtsposition eingeräumt. Art. 14 GG schützt aber lediglich Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen (BVerfGE 95, 173, 187 f). Auch dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

Auch die gem. Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit ist nicht tangiert.

Schließlich liegt auch kein Fall der vom Kläger zuletzt noch monierten echten Rückwirkung vor. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte Rückwirkung dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 -, in juris). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (Verkündung) der Norm abzustellen (vgl. BVerfG 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 -, in juris; BSG, Urteil vom 02.11.2005 - B 6 KA 63/04 R -, in juris; vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2020 - L 11 KR 2249/20 -, in juris m.w.N.).

Verkündet wurde das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) am 23.06.2014. Für den hier maßgeblichen Sachverhalt kommt weder § 236b SGB VI noch § 51 SGB VI eine echte Rückwirkung zu. Denn der Gesetzgeber hat mit der Neueinführung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte zum 01.07.2014 und den mit dieser einhergehenden Begrenzungen auf einen bestimmten Personenkreis in keinerlei bestehende Rechtspositionen, also Ansprüche oder Anwartschaften, des Klägers eingegriffen. Auch die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme dieser Altersrente verbundenen Abschläge sind vom Gesetzgeber nicht erst durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz zum 01.07.2014 eingeführt worden, sondern beruhen auf der bereits zuvor bestehenden Rechtslage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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