L 10 U 3559/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 19/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3559/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.09.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung von Unfallfolgen im Streit.

Die 1973 geborene Klägerin erlitt am 07.10.2014 einen seitens der Beklagten mit Bescheid vom 24.10.2017 (Akten-Id: 96 S. 1 ff. VA) - bestandskräftig - anerkannten Arbeitsunfall, als ihr im Rahmen ihrer bei der Beklagten versicherten Tätigkeit ein Regalteil auf die linke Schulter fiel (s.a. Angaben der Klägerin, Akten-Id; 7/1 VA, Unfallanzeige, Akten-Id: 24/1 VA).

Sie begab sich daraufhin zur Behandlung in das Klinikum L, wo seitens des A eine Schulterprellung links und eine Muskelverspannung cervikal/Distorsion diagnostiziert wurde (Akten-Id: 2/1 VA, Befund: Halswirbelsäule <HWS>: kein Druckschmerz über den Dornfortsätzen der HWS, Druckschmerz links paravertebral, tastbarer Muskelhartspann, HWS frei beweglich in allen Ebenen, Kribbeln der Fingerkuppen, sensomotorisches Defizit der oberen Extremitäten; Schulter links: keine äußeren Verletzungszeichen, kein Druckschmerz oder Klopfschmerz, periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität intakt, normale Schultersymmetrie, keine Muskelatrophiezeichen, freie aktive/passive Beweglichkeit mit Anteversion 170-0-40°, Abduktion bis 180°, IR bis Th10, AR bis 60°, Schürzen- und Nackengriff flüssig). Die röntgenologische Untersuchung der HWS in zwei Ebenen ergab weder eine Fraktur, noch eine Gefügestörung, sondern lediglich eine Steilstellung. Im Rahmen der ebenfalls im Klinikum L am 17.10.2014 durchgeführten Nachuntersuchung wurde eine Schulterprellung und eine Muskelverspannung cervikal bestätigt und dokumentiert, dass es zu einer Besserung der Beschwerden gekommen sei.

Am 05.11.2014 stellte sich die Klägerin in der Klinik für Neurologie des Klinikums L bei der D vor (Akten-Id: 3/1 ff. VA) und klagte über mehrfach täglich wellenförmig brennende Missempfindungen von der HWS bis in die Lendenwirbelsäule (LWS), abends ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen II-IV der linken Hand, wobei diese mittlerweile weitestgehend rückläufig seien und nur noch selten aufträten (seltener als 1x pro Woche) sowie ein dauerhaft bestehendes muskelkaterähnliches Gefühl an der linken Unterarmaußenseite, welches über den Handrücken bis in die Finger II-IV ausstrahle. D beschrieb einen komplett unauffälligen Befund (guter Allgemein- und adipöser Ernährungszustand, unauffälliger Hirnnervenstatus, unauffällige Motorik in Trophik, Tonus und Kraft, seitengleich gut auslösbare Muskeleigenreflexe ohne Pyramidenbahnzeichen und eine für alle Qualitäten erhaltene Sensibilität) und diagnostizierte eine Schulterprellung und HWS-Distorsion „am 07.10.2014“. Insbesondere habe sich kein Hinweis auf eine radikuläre Läsion oder eine Läsion des Plexus brachialis ergeben.

Eine am 10.11.2014 durchgeführte MRT der HWS ergab keinen Nachweis einer frischen Fraktur und Luxation. Es zeigten sich in erster Linie degenerativ-bedingte geringgradige Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten HWK 3 bis 6 ohne höhergradige Spinalkanalstenose oder neuroforaminale Einengung. Für eine traumatische diskoligamentäre Verletzung gab es keinen Anhalt. Darüber hinaus wurde als Nebenbefund am Ehesten ein Hämangiom im HWK 7 und BWK 5 beschrieben (Akten-Id: 17/1 f. VA).

Im Abschlussbericht des Klinikums L vom 26.11.2014 wurden als Diagnosen Bandscheibenprotrusionen im Segment HWK 2 und 3 ohne sensomotorische Defizite nach HWS-Distorsion QTF 2 (Akten-Id: 18/2 f. VA, Befund: reizlose Weichteile über der HWS, Druckdolenz paravertebral links über 5. bis 7. Halswirbel sowie Musculus trapezius und sternocleidomastoideus links, Durchblutung, Motorik und Sensibilität peripher intakt, linke Schulter frei beweglich, ligamentär stabil), der Abschluss der Behandlung am selben Tage sowie Arbeitsfähigkeit ab dem 01.12.2014 mitgeteilt.

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme von Januar 2015 (Akten-Id: 29/1 f. VA) bestätigte V eine leichte Prellung der linken Schulter und eine Distorsion der HWS. Frische strukturelle Verletzungen an der HWS schloss er - bezugnehmend auf den MRT-Befund vom 10.11.2014 - aus. Die in der MRT festgestellten Bandscheibenprotrusionen seien bei multisegmentaler Betroffenheit und fehlenden frischen Verletzungszeichen als unfallunabhängig vorbestehend zu werten. Die über etwa acht Wochen erfolgte Behandlung und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit könne als wesentlich unfallbedingt akzeptiert werden.

Mit Schreiben vom 10.02.2015 lehnte es die Beklagte gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung der Klägerin ab, „die Erkrankung ab 11.12.2014“ als Folge des Arbeitsunfalls anzuerkennen (Akten-Id: 36/1 f. VA).

Am 16.02.2015 stellte sich die Klägerin zur neurochirurgischen Untersuchung bei K vor (Akten-Id: 45/1 f. VA), in deren Rahmen eine CT der HWS (Befund: flache Bandscheibenprotrusionen teils als hard disc von HWK 4 bis HWK 6, Fehlhaltung mit flachbogiger Kyphosierung, kein umschriebener Bandscheibenvorfall, intakte Wirbelgelenke) erstellt wurde. Laut K ließen sich direkte oder indirekte Traumafolgen nicht nachweisen. Eine weitere CT der HWS vom 18.11.2015 zeigte einen normal weiten Spinalkanal ohne relevante Einengung der Neuroforamina. Ein zervikaler NPP wurde ausgeschlossen (Akten-Id: 87/18 VA). Eine weitere MRT der HWS vom 02.12.2015 ergab eine Chondrose und eine Bandscheibenprotrusion HWK 4/5 mehr als HWK 5/6, ohne Nachweis eines NPP, ohne umschriebene höhergradige Einengung des Spinalkanals und eine flache Kyphosierung der HWS im Liegen (Akten-Id: 87/19 VA).

In den Jahren 2016 und 2017 befand sich die Klägerin immer wieder u.a. wegen Beschwerden im HWS-Bereich bei K in Behandlung (Akten-Id: 89/2 ff. VA).

Im März 2017 wandte sich die Klägerin an die Beklagte (Akten-Id: 62/1 f. VA) und begehrte die Überprüfung und Aufhebung des „Bescheides“ vom 10.02.2015 (gemeint: Schreiben an die AOK, s.o.) gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie habe vor dem fraglichen Arbeitsunfall am 07.10.2014 zwar an Rückenbeschwerden gelitten, jedoch lediglich im lumbalen Bereich. Im HWS-Bereich sei sie stets beschwerdefrei gewesen. Außerdem sei sie seit dem Arbeitsunfall insbesondere psychisch sehr belastet, da u.a. ein Arbeitsplatzwechsel wegen der Einschränkungen im HWS-Bereich nicht funktioniert habe. Sie sei seit August 2016 arbeitsunfähig und leide unter Depressionen und Angstzuständen. Auch zitterten ihre Hände seit dem Arbeitsunfall durchgehend.

Die Beklagte zog daraufhin medizinische Unterlagen der behandelnden Ärzte der Klägerin bei (Akten-Id: 73 ff. VA). Den von dem Z übersandten Unterlagen lässt sich entnehmen, dass die Klägerin bereits im März 1994 behandelt und damals eine neurotische Depression und ein Tremor diagnostiziert wurde (Akten-Id: 84/1 ff. VA). Im Juni 2017 diagnostizierte Z bei der Klägerin eine Dysthymia, eine nichtorganische Insomnie, Angst und depressive Störung, gemischt, eine Hypertonie und einen Familienkonflikt (Akten-Id: 82/1 VA). Sie berichtete ihm u.a., dass sie den Stress nicht vertrage, ihr Mann nicht arbeite und sie sich auch noch um vier Kinder kümmern müsse. Der Ehemann „blicke“ es nicht und sie seien zwei Jahre lang getrennt gewesen. 2015 sei er zurückgekommen. Der M diagnostizierte (bereits) am 28.01.2008 ein Zervikobrachialsyndrom rechts mit Tendomyalgie am rechten Unterarm (Akten-Id: 87/4 und 87/26 VA), am 23.06.2008 eine HWS-Distorsion (Akten-Id: 87/28 VA) und am 16.10.2008 ein Zervikalsyndrom (Akten-Id: 87/29 VA).

Mit - an die Klägerin gerichteten - Bescheid vom 24.10.2017 erkannte die Beklagte (erstmals) das Ereignis vom 07.10.2014 als Arbeitsunfall an, lehnte jedoch (u.a.) eine Anerkennung der geltend gemachten Beschwerden im Bereich der HWS sowie die vorgebrachten psychischen Leiden als Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.10.2014 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Akten-Id: 97/1 f. VA) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2017 zurück (Akten-Id: 100/2 ff. VA). Die unfallbedingte Schulterprellung links und die Muskelverspannung der HWS seien folgenlos ausgeheilt. Die (übrigen) Beschwerden der HWS, namentlich die bandscheibenbedingten Veränderungen, seien unfallunabhängig, ebenso die psychischen Beschwerden, die durch den Unfall weder verursacht noch verschlimmert worden seien.

Hiergegen hat die Klägerin am 02.01.2018 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Das SG hat ein den Zeitraum vom 29.01.2009 bis 01.03.2018 umfassendes Mitglieds- und Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse der Klägerin beigezogen (Bl. 34 ff. SG-Akte) und eine (schriftliche) Auskunft der W1 eingeholt (Bl. 41 f. SG-Akte). W hat mitgeteilt, dass die Klägerin seit Dezember 2017 bei ihr in Behandlung stehe und zuvor von Z behandelt worden sei. Sie hat eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert und auf familiäre (alleinerziehend zuständig für die Kinder) sowie berufliche Belastungen in der Vorgeschichte hingewiesen. Außerdem hat das SG den Bericht der Klinik u.a. für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Klinikums L beigezogen (Bl. 45 ff. SG-Akte), in der sich die Klägerin vom 23.10.2017 bis 15.12.2017 in teilstationärer Behandlung befand (Diagnosen: anhaltend somatoforme Schmerzstörung, mittelgradig depressive Episode, arterielle Hypertonie, Nikotinabusus).

Das SG hat von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei dem C (Bl. 52 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 25.06.2018) und ein Zusatzgutachten bei der E (Bl. 65 ff. SG-Akte; Untersuchungstag: 12.07.2018), die zur Anamneseerhebung und neuropsychologischen Testung die B hinzugezogen hat (Bl. 90 SG-Akte), eingeholt.

Im Rahmen der Anamnese hat die Klägerin gegenüber dem C angegeben, bereits vor dem Unfall am 07.10.2014 „immer mal wieder einen steifen Nacken“ und „Beschwerden zwischen den Schulterblättern“ gehabt zu haben. Als Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet hat der Sachverständige degenerative Veränderungen der unteren HWS mit endgradiger Bewegungseinschränkung ohne Nervenwurzelreizerscheinung sowie eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenkes bei unauffälligem radiologischem Befund diagnostiziert, einen Zusammenhang zwischen diesen Gesundheitsbeeinträchtigungen und dem Unfallereignis vom 07.10.2014 nicht für wahrscheinlich erachtet und dies mit dem vom D-Arzt am Unfalltag erhobenen Befunden (u.a. freie Beweglichkeit des linken Schultergelenkes), dem neurologischen Untersuchungsergebnis vom 05.11.2014 (unauffälliger Befund ohne Hinweis auf eine radikuläre Läsion oder eine Läsion des Plexus brachialis) und der zeitnah angefertigten Kernspintomografie der HWS vom 10.11.2014, die keine Hinweise für eine stattgehabte knöcherne oder weichteilige Verletzung ergeben habe, im Einzelnen begründet. Zum Unfallzeitpunkt hätten bereits degenerative Veränderungen der unteren HWS zwischen dem dritten bis sechsten HWK bestanden. Es sei auch nicht erkennbar, dass diese degenerativen Veränderungen durch das Ereignis vom 07.10.2014 verschlimmert worden seien. Als Unfallfolgen lägen eine folgenlos ausgeheilte Schulterprellung links und eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der HWS vor.

Die E hat eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Agoraphobie mit Panikstörung, ein „angegebenes“ HWS-Syndrom mit Zervikobrachialgien links und ein Restless-Legs-Syndrom diagnostiziert, einen Zusammenhang zwischen diesen Erkrankungen und dem Unfall vom 07.10.2014 jedoch verneint. Das Ereignis sei nicht geeignet gewesen, eine der genannten Gesundheitsstörungen bei der Klägerin zu verursachen oder auch nur zu verschlimmern. Zur Dekompensation sei es auch erst 2016 auf einer langen Urlaubsreise in die Türkei mit Auftreten von Panikattacken gekommen. Damals hätte sich die Klägerin auch in Privatinsolvenz befunden, so dass die schwierige familiäre und finanzielle Situation der Familie eskaliert sei, was als wesentlicher Auslöser für die bestehende psychische Erkrankung zu sehen sei. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet lägen nicht vor.

Die Klägerin hat das Zusatzgutachten als unverwertbar gerügt, da E die persönliche Exploration auf eine dritte Person übertragen habe. Die Klägerin habe eine Stunde lang mit einer jungen Frau und lediglich zehn Minuten lang mit der Sachverständigen persönlich gesprochen. Diese Behauptung hat die Sachverständige in ihrer ergänzenden Stellungnahme von Oktober 2018 (Bl. 97 SG-Akte) unter näherer Darlegung zurückgewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.09.2019 hat das SG die Klage - in erster Linie gestützt auf die Sachverständigengutachten des C und der E - abgewiesen. Der C habe bei der Klägerin degenerative Veränderungen der unteren HWS mit endgradiger Bewegungseinschränkung ohne Nervenwurzelreizerscheinung und eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenks bei unauffälligem radiologischem Befund beschrieben, jedoch überzeugend dargelegt, dass diese Gesundheitsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 07.10.2014 zurückzuführen seien, da sich weder aus dem Erstschadensbild noch aus den im Verlauf durchgeführten neurologischen und radiologischen Untersuchungen ergeben habe, dass der Arbeitsunfall vom 07.10.2014 zu einem strukturell fassbaren Schaden geführt habe. Bereits zum Unfallzeitpunkt hätten unfallunabhängig degenerative Veränderungen der unteren HWS zwischen den HWK 3 bis 6 bestanden. Es sei auch nicht erkennbar, dass diese degenerativen Veränderungen durch den Arbeitsunfall vom 07.10.2014 verschlimmert worden seien. Der Unfall habe lediglich zu einer folgenlos ausgeheilten Schulterprellung links und einer folgenlos ausgeheilten Distorsion der HWS bzw. zervikalen Muskelverspannungen geführt. Auch lägen nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen E keine Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei deren Gutachten verwertbar, da keine Zweifel bestünden, dass E die erforderliche persönliche Begegnung mit der Klägerin und das explorierende Gespräch in wesentlichem Umfang selbst durchgeführt habe und lediglich bei der Anamneseerhebung und neuropsychologischen Testung die B mitgewirkt habe, worauf E in ihrem Gutachten auch verwiesen habe. E habe überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin keine psychische Erkrankung vorliege, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf den in Rede stehenden Arbeitsunfall zurückzuführen sei, da eine wesentliche psychische Symptomatik erst nach dem Arbeitsunfall im Zusammenhang mit einer Urlaubsreise in die Türkei im Jahr 2016 beschrieben worden sei. Im Rahmen der Türkeireise habe die Klägerin erste Panikattacken erlitten und es hätte sich eine psychiatrische Behandlung angeschlossen. Die auch seitens der behandelnden W beschriebene familiäre Problematik sei als wesentlicher Faktor für das Entstehen der psychischen Erkrankung zu sehen. Die jahrelange familiäre Belastung habe dazu geführt, dass das körperliche und seelische Gleichgewicht der Klägerin sehr labil gewesen sei und jedes kritische Ereignis zur Dekompensation hätte führen können. Die Schmerzsymptomatik hätte sicher eine Belastungssituation für die Klägerin dargestellt, zur Dekompensation sei es jedoch auf Grund der unversicherten schwierigen psychosozialen Situation gekommen.

Gegen den - ihrer Prozessbevollmächtigten am 20.09.2019 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21.10.2019 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat weiterhin mangels persönlicher Exploration die Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens der E gerügt und erneut behauptet, lediglich „10 Minuten“ mit der Sachverständigen und ansonsten mit einer jungen Frau gesprochen zu haben. Hinsichtlich der orthopädischen Leiden hat sie vorgetragen, dass auch HWS-Distorsionen im Bereich Grad 1 und Grad 2 zu einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) führen könnten, womit sich der C nicht auseinandergesetzt habe. Außerdem habe sie im Bereich der HWS keinerlei Vorerkrankungen gehabt. Überdies sei zwar ein MRT der HWS nicht jedoch der linken Schulter veranlasst worden. Der Sachverständige schließe allein aus der freien Beweglichkeit der linken Schulter am Unfalltag, dass die Schultererkrankung keine Folge des Arbeitsunfalls sei.

Die Klägerin beantragt (teilweise sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.09.2019 aufzuheben sowie den Bescheid vom 24.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.10.2014 Nacken-Schulter-Schmerzen/Cervicocephalgien bei Zustand nach cervicaler Distorsion sowie Angst und depressive Störung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 24.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2017 ist - soweit angefochten - rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 24.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2017 und Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung von „Nacken-Schulter-Schmerzen/Cervicocephalgien bei Zustand nach cervicaler Distorsion“ sowie „Angst und depressive Störung“ als weitere Unfallfolgen.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids unter Benennung der Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt und gestützt auf die Sachverständigengutachten des C und der E ebenso zutreffend ausgeführt, dass und warum die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Beschwerden als weitere Unfallfolgen hat. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung vorgebracht hat, der C habe sich nicht ausreichend „hiermit“ - gemeint ist wohl die Kausalität zwischen Arbeitsunfall und HWS-/Schulterbeschwerden - auseinandergesetzt, insbesondere habe er nicht beachtet, dass es auch bei einer HWS-Distorsion im Bereich Grad 1 und Grad 2 zu einer dauerhaften MdE kommen könne, so geht dies fehl. Zum einen ist zulässiger Streitgegenstand vorliegend ausschließlich die Anerkennung von Unfallfolgen und nicht die Höhe der MdE. Zum anderen hat sich der Sachverständige sehr wohl durch Auswertung der Befund- und radiologischen Berichte mit der Krankheitsgeschichte der Klägerin auseinandergesetzt (Bl. 58 ff. SG-Akte). Den bildgebenden Befunden (MRT der HWS vom 10.11.2014, Akten-Id: 17/1 VA, CT der HWS vom 16.02.2015, Akten-Id: 45/2 VA, CT der HWS vom 18.11.2015, Akten-Id: 87/18 VA, MRT der HWS vom 02.12.2015, Akten-Id: 87/19 VA) lassen sich jedoch keine Anhaltspunkte für eine traumatische Schädigung durch den Unfall am 07.10.2014 entnehmen, worauf der Sachverständige hingewiesen hat (Bl. 61, 63 SG-Akte). Darüber hinaus ist die wiederholte Behauptung der Klägerin, sie habe im Bereich von HWS und Schulter keine Vorerkrankungen gehabt, widerlegt. Zwar lässt sich dem vom SG beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der AOK (Bl. 34 ff. SG-Akte) eine entsprechende Erkrankung nicht entnehmen. Dies ist jedoch allein dem Umstand geschuldet, dass dieses Vorerkrankungsverzeichnis lediglich den Zeitraum vom 14.05.2009 bis 01.03.2018 umfasst. Hingegen litt die Klägerin ausweislich der von Dr. Meyer übersandten Unterlagen bereits im Januar und Oktober 2008 an einem Zervikobrachialsyndrom mit endgradig eingeschränkter schmerzhafter Rotation und druckdolenten Schulter-Nacken-Verspannungen litt (Akten-Id: 87/4 und 87/29 VA); im Juni 2008 wurde sogar eine HWS-Distorsion diagnostiziert (Akten-Id: 87/28 VA). Entsprechende bereits vor dem Unfall bestehende Beschwerden („steifer Nacken“, „Beschwerden zwischen den Schulterblättern“) hat die Klägerin schließlich auch gegenüber dem Sachverständigen im Rahmen der Anamneseerhebung eingeräumt (Bl. 53 SG-Akte). Vor diesem Hintergrund und den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des C sieht der Senat - ebenso wie das SG - daher keinen Zusammenhang weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung zwischen dem Unfallereignis und den bei der Klägerin noch bestehenden Beschwerden im Bereich der HWS und der Schulter.

Gleiches gilt für die geltend gemachten psychischen Beschwerden. Das SG hat sich zu Recht der Einschätzung der Sachverständigen E angeschlossen. Danach leidet die Klägerin zwar an Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet in Form einer anhaltend somatoformen Schmerzstörung, einer Agoraphobie mit Panikstörung, eines Restless-Legs-Syndroms und eines HWS-Syndroms mit Zervikobrachialgien (Bl. 89 SG-Akte). Diese sind jedoch nicht durch den Unfall vom 07.10.2014 verursacht oder auch nur verschlimmert worden. Die Sachverständige hat die psychische Dekompensation der Klägerin, die im Übrigen erst im Rahmen einer 30-stündigen Autofahrt in die Türkei im Sommer 2016 und somit fast zwei Jahre nach dem Unfallereignis aufgetreten ist, schlüssig und nachvollziehbar auf die bereits vor dem Unfall bestehende Vulnerabilität der Klägerin zurückgeführt. So hat sie bereits im Jahr 1992 einen Suizidversuch unternommen, stand im Jahr 1994 in psychiatrischer Behandlung (Diagnosen: neurotische Depression, Tremor, Akten-Id: 84/2) und befand sich bereits vor dem Unfall in einer schwierigen psychosozialen Situation (Alleinversorgerin der sechsköpfigen Familie, keine Unterstützung durch Ehemann, Privatinsolvenz). Einen hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den psychiatrischen Erkrankungen vermag somit auch der Senat nicht zu erkennen.

Im Übrigen ist das Sachverständigengutachten der E - wovon das SG zutreffend ausgegangen ist - auch verwertbar. Dass sich die Sachverständige, wie bereits in ihrem Gutachten kenntlich gemacht (Bl. 90 SG-Akte) und in ihrer ergänzenden Stellungnahme weiter ausgeführt (Bl. 97 f. SG-Akte), bei der Anamneseerhebung und neuropsychologischen Testung der Mitarbeit der B bedient hat (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO), ist nicht zu beanstanden (vgl. nur BSG, Urteil vom 07.05.2019, B 2 U 25/17 R, in juris, m.w.N.). E hat zudem schlüssig und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass sie nach Erhebung der allgemeinen Anamnese, der Aufnahme der aktuellen Beschwerden und einer ersten psychopathologischen Befunderhebung durch die Psychologin anschließend selbst den psychopathologischen Befund (dazu bereits im Gutachten: „2,5 stündiges Gespräch“, Bl. 73 SG-Akte) erhoben und die Klägerin zudem selbst neurologisch (s. Bl. 71 ff. SG-Akte) - einschließlich elektromyographischer Testungen (s. Bl. 74 f. SG-Akte: EEG, Stimulation des N. medianus bds., elektrophysiologische Untersuchung des N. medianus bds., elektrophysiologische Untersuchung des N. ulnaris bds., Elektromyografie) - untersucht hat, wobei Letzteres von einer Psychologin ohnehin nicht durchgeführt werden könne und deutlich länger als zehn Minuten dauere (Bl. 97 f. SG-Akte). Dem hat die Klägerseite schon im SG-Verfahren nichts Durchgreifendes entgegengehalten, sondern lediglich pauschal behauptet, dass die Klägerin mit der Sachverständigen „nur 10 Minuten gesprochen“ habe, was allein im Hinblick auf die umfangreiche neurologische Untersuchung und das ausführliche Gutachten (25 Seiten) nicht nachvollziehbar ist. Ebenso wenig ist die Behauptung in der Rechtsmittelschrift nachvollziehbar, die Sachverständige habe „eingeräumt“, die persönliche Exploration nicht durchgeführt zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. E hat vielmehr der entsprechenden Behauptung widersprochen und auch für den Senat überzeugend dargelegt, dass sie zentrale Aufgaben der Begutachtung (namentlich persönliche Begegnung mit dem Probanden, explorierendes Gespräch, vgl. BSG, Beschluss vom 20.03.2017, B 9 SB 54/16 B, in juris) selbst erbracht hat. Nur am Rande merkt der Senat an, dass die Klägerin ihre (ohnehin nur pauschale) Behauptung einer unzureichenden persönlichen Untersuchung durch die Sachverständige auch nicht zeitlich unmittelbar nach der Exploration Mitte Juli 2018 - auf S. 1 des Gutachtens wurde offenbar versehentlich als Untersuchungsdatum der 25.04.2018 angegeben - geltend gemacht hat, sondern erst nach Vorlage des für ihr Begehren negativen Gutachtens Mitte September 2018.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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