L 5 R 591/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 1601/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 591/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 20.12.2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die 1959 geborene Klägerin ist gelernte Textilfacharbeiterin und war zuletzt bis 2014 als Verkäuferin, überwiegend als Kassiererin, versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 18.09.2014 ist sie arbeitsunfähig. Nach Bezug von Krankengeld bis 23.12.2015 bezog die Klägerin bis 22.06.2017 Arbeitslosengeld. Seither ist sie arbeitslos ohne Leistungsbezug. Der Versicherungsverlauf enthält letztmals bis 22.06.2017 eine Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen wegen Bezugs von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit und anschließend bis 14.05.2018 Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug. Für den nachfolgenden Zeitraum sind keine Versicherungszeiten mehr gespeichert.

Im Juni 2004 erfolgte eine Bandscheibenoperation zwischen LWK4 und LWK5 und im Oktober 2014 eine ventrale Stabilisierung der HWS wegen mehrsegmentalen Verschleißes der HWS nach Bandscheibenvorfall C5/6. Aus der stationären Rehabilitation vom 04.09.2015 bis 25.09.2015 in der Aklinik 1 wurde die Klägerin arbeitsunfähig für drei bis sechs Monate entlassen. Aufgrund der morphologischen Veränderungen an der Wirbelsäule sei eine Leistungsfähigkeit für die letzte Tätigkeit als Kassiererin nicht mehr gegeben. Leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechselrhythmus könne die Klägerin vollschichtig verrichten.

Am 19.10.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, seit 18.09.2014 könne sie keine Tätigkeiten mehr verrichten.

Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei und lehnte den Antrag gestützt auf den Entlassungsbericht der Aklinik 1 mit Bescheid vom 21.12.2015 ab. Die Klägerin könne unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein und sei daher nicht erwerbsgemindert. Zwar könne die Klägerin in ihrem bisherigen Beruf nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich tätig sein, jedoch sei ihr aufgrund des beruflichen Werdegangs eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zumutbar.

Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte die Begutachtung der Klägerin bei der G. Diese führte im Gutachten vom 29.02.2016 aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 16.02.2016 aus, es bestünden mäßige Funktionseinschränkung seitens der Kopfbeweglichkeit. Eine erschwerte Armhebe rechts über der Horizontalen sei nachvollziehbar, hier komme es zu muskulären Dysbalancen und Brachialgien, ein sensomotorisches Defizit finde sich klinisch nicht. Die Behandlung der Schmerzen sowohl der LWS als auch der HWS erfolge lediglich nach WHO Stufe I. Das Syndrom der unruhigen Beine sei medikamentös gut kompensiert. Es stehe ein Schmerzbild bei degenerativen Veränderungen an Hals- und Lendenwirbelsäule im Vordergrund. Eine höhergradige depressive Störung liege nicht vor. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Kälte und Nässe, ohne ständige einseitige manuelle Arbeiten mit dem rechten Arm/Überkopfarbeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben, die Tätigkeit als Kassiererin jedoch nur unter drei Stunden täglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zeitlich einschränkten. Ihr seien noch leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Deshalb habe die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.05.2016 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei aufgrund ihrer Schmerzen und der zahlreichen Bandscheibenvorfälle nicht in der Lage, Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden täglich durchzuführen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das Gericht hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. K, Bkrankenhaus U, hat mit Auskunft vom 26.09.2016 über die letzte Behandlung bis 04.03.2015 nach Operation an der HWS am 28.10.2014 berichtet. Die S hat mit Auskunft vom 04.10.2016 bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert und ausgeführt, es sei seit Oktober 2015 keine wesentliche Befundänderung eingetreten. Die Schmerzmedikation nehme die Klägerin bei Bedarf. Es bestünden Schmerzen bei längerem Stehen und Sitzen. Die Kopfdrehung sei deutlich eingeschränkt, die Armhebung über die Horizontale über längere Zeit nicht möglich. Eine anhaltend sitzende oder stehende Tätigkeit mit einseitigen Bewegungsabläufen könne die Klägerin sicher nicht über drei Stunden täglich ausführen.

Das SG hat den K1 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat im Gutachten vom 22.12.2016 aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 10.12.2016 bei der Klägerin eine mehrsegmentale Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule mit operativer Versteifung zwischen dem 5. und 6. Halswirbel und Ausräumen des Bandscheibenfaches mit Funktions- und Belastungsminderung ohne aktuelle neurologische Ausfälle und eine mehrsegmentale Verschleißerkrankung der Lendenwirbelsäule mit Erniedrigung des Bandscheibenfaches, vor allem zwischen dem 5. Lendenwirbelkörper und dem Kreuzbein sowie zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper und Funktions- und Belastungsminderung ohne aktuelle neurologische Ausfälle diagnostiziert und ausgeführt, Tätigkeiten in Armvorhalte, über Kopf, mit häufigem Drehen und Wenden des Kopfes, in Wirbelsäulenzwangshaltungen, in gebückter Position und überwiegend im Stehen seien nicht mehr möglich. Deshalb sei auch die Tätigkeit als Kassiererin nicht leidensgerecht. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen seien mindestens sechs Stunden täglich möglich.

Nachdem die Klägerin verschiedene Arztbriefe u.a. des G1 vom 30.03.2017, 26.09.2017 und 28.03.2018 vorgelegt hatte, welcher wegen anhaltender Schmerzen im März 2017 zweimalig eine Facettenblockade an der HWS, am 26.09.2017 an der LWS und am 23.03.2018 eine Dekompression des Spinalkanals L4-5 mit Spondylodese durchgeführt hat, hat das SG auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des S1 eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 19.09.2018 aufgrund einer persönlichen Untersuchung am 07.11.2017 multiple degenerativ bedingte Veränderungen im Bereich der HWS, BWS und LWS mit Bewegungseinschränkungen, chronischem Schmerzsyndrom und teilweise radikulären Ausfallerscheinungen diagnostiziert. Die Tätigkeit als Kassiererin sei nicht mehr leidensgerecht. Leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen seien der Klägerin bis zu drei Stunden am Tag möglich. Diese Leistungseinschränkung liege seit der operativen Teilfusion im Bereich der HWS seit Oktober 2014 vor. Zu erwarten seien weitere Folgeoperationen im Bereich der LWS, auf Grund der stattgehabten Fusion im Bereich des Segmentes L4/5 werde das schon deutlich vorveränderte Segment L5/S1 vermehrt belastet und in Kürze dekompensieren, was eine weitere Fusionsmaßnahme erforderlich mache. Seit der zuletzt durchgeführten Untersuchung habe sich ein deutlich geändertes Befundprofil ergeben, insbesondere verändere die Stabilisierung der LWS die Belastungssituation. Dies führe jedoch nicht zu einer veränderten Schmerzsituation, da weiterhin eine Folgeinstabilität L5/S1 bestehe.

Die Beklagte ist dem Gutachten nicht gefolgt und hat die Stellungnahme der Fachärztin für B1 vom 03.12.2018 vorgelegt. Diese hat ausgeführt, der Sachverständige begründe die Leistungseinschätzung mit einem deutlich geänderten Befundprofil, verweise dann aber darauf, dass diese schon seit Herbst 2014 gelte, ohne sich mit den vorhergehenden Entlassungsberichten und Gutachten auseinanderzusetzen. Eine richtungsweisende Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin sei ebenfalls nicht ersichtlich. Das Wirbelsäulenleiden an der HWS habe sich nachweislich gebessert (z.B. Arztbrief G1 vom 26.09.2017: HWS-seitig sei es gut). Für die LWS seien ab September 2017 zunehmende Beschwerden dokumentiert, allerdings ohne Nachweis von Funktionsstörungen. Ab Februar 2018 werde eine Instabilität auf Höhe L4/L5 dokumentiert, die am 05.05.2017 noch ausgeschlossen worden war. Ohne Vorlage des radiologischen Originalberichts und ohne ausreichend dokumentierte Funktionseinschränkungen verbleibe es dabei, dass keine überdauernde zeitliche Leistungseinschränkung anzunehmen sei. Der Untersuchungsbefund des S1 rechtfertige ebenfalls keine zeitliche Leistungseinschränkung. Er habe mäßige Funktionseinschränkungen der HWS festgehalten. Zudem habe sich noch kein Hinweis auf das Vorliegen einer klinisch relevanten Instabilität der Wirbelsäule ergeben. Die Operation, die bei der Klägerin im März 2018 durchgeführt worden sei, führe zu einer 12- bis 14-wöchigen Rekonvaleszenzdauer. Komplikationen, wie die vom Sachverständigen erwartete Instabilität, seien nicht nachgewiesen.

Mit Urteil vom 20.12.2018 hat das SG den Bescheid vom 21.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2018 bis 30.09.2021 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei seit 23.03.2018 voll erwerbsgemindert, weil sie nicht mehr in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergebe sich aus dem Konsiliarbericht des G1 vom 28.03.2018 über die vom 22.03.2018 bis 28.03.2018 durchgeführte Operation und dem Gutachten des PD S1. Für die Zeit davor sei die Klägerin allerdings nicht erwerbsgemindert. Dies ergebe sich aus dem Entlassungsbericht der Aklinik 1 und den Gutachten der G und des K1. Ob der Beurteilung des S1 zu folgen sei, dass nur noch eine bis zu dreistündige Tätigkeit täglich möglich sei, oder sich das Leistungsvermögen zwischen drei und unter sechs Stunden täglich bewege, könne dabei dahinstehen, da eine volle Erwerbsminderung auch dann vorliege, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein könne und mithin teilweise erwerbsgemindert sei, er bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts jedoch keinen entsprechenden Arbeitsplatz innehabe. Die Erwerbsminderung bestehe auch auf „nicht absehbare Zeit" im Sinne des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Da nicht unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne (z.B. durch die geplante Fusionsoperation L5/S1), bleibe es bei dem Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Gegen das der Beklagten am 21.01.2019 zugestellte Urteil hat diese am 20.02.2019 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben und u.a. beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil gemäß § 199 Abs. 2 SGG vorläufig auszusetzen. Mit Beschluss vom 04.04.2019 hat die Senatsvorsitzende die Vollstreckung aus dem Urteil bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt.

Am 29.03.2019 ist die Klägerin in der SRH Klinik für Chirurgie von G1 aufgrund eines zervikalen Bandscheibenvorfalls HWK 6/7 mittels mikrochirurgischer Dekompression und ventraler Fusion HWK 6/7 operiert worden. Sie ist ausweislich des Entlassbriefs vom 01.04.2019 nach klinischer Besserung in gutem Allgemeinzustand und schmerzarm entlassen worden.

Die Klägerin hat weitere Befundberichte eingereicht, u.a. des M. Dieser hat am 12.07.2019 eine längere depressive Reaktion und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert und ausgeführt, die Klägerin möchte keine antidepressive Medikation.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nach § 106 SGG beim D. Dieser hat in seinem Gutachten vom 19.11.2019 aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 16.10.2019 folgende Gesundheitsstörungen beschrieben:
35 %ige Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Halswirbelsäule nach operativer Versteifung der Bewegungssegmente C 5/6 und 6/7 (bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die Halswirbelsäule betreffender Rückenmarksnerven).
17 %ige Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Brustwirbelsäule.
24 %ige Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Lendenwirbelsäule nach operativer Versteifung des Bewegungssegmentes L4/5 und deutlich vermehrten Verschleißerscheinungen im Bewegungssegment L5/S1 (bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die Lendenwirbelsäule betreffender Rückenmarksnerven).
Aus der dann auftretenden Schmerzsymptomatik der Lendenwirbelsäulen- und Nackenmuskulatur resultierende endgradig eingeschränkte Armvorwärts- und Armseitwärtsanhebung in den Schultergelenken.

D hat ausgeführt, die Klägerin sei in der Lage bei der Möglichkeit eines selbstgewählten Stellungswechsels zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, mindestens 6 Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche leichte Tätigkeiten auszuüben. Dabei müssten Arbeiten mit häufigem Bücken, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung, Arbeiten in Zugluft, Kälte und Nässe, häufige Überkopfarbeiten sowie Arbeiten ausschließlich im Sitzen oder Stehen vermieden werden. Dieses Leistungsbild bestehe sei 2015. Die Behauptung von S1 einer Instabilität im Bewegungssegment L5/S1 werde durch die Funktionsaufnahmen der Lendenwirbelsäule vom 30.09.2019 widerlegt. Dessen Annahme einer Dekompensation des Segments L5/S1 in Kürze sei lediglich eine persönliche Einschätzung, welche infolge der Stabilität grundsätzlich in Frage zu stellen sei.

Nach Übersendung eines Attestes der S und Radiologiebefunden vom 30.09.2019 hat D unter dem 27.02.2020 ergänzend Stellung genommen. Er ist bei seiner Leistungseinschätzung geblieben und hat u.a. darauf hingewiesen, dass neue Befunde nicht vorlägen.

Die Klägerin hat weitere Befundberichte von G1, von M und vom J vorgelegt. Letzterer hat am 16.11.2020 eine rheumatoide Arthritis in deutlicher Entzündungsaktivität diagnostiziert und mit einer diesbezüglichen medikamentösen Behandlung begonnen

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat S1 nach § 109 SGG ergänzend befragt. Dieser hat nach mehrfacher Erinnerung in seiner Stellungnahme vom 11.09.2021 ausgeführt, es lägen Indizien für eine Instabilität im Segment L5/S1 vor. Die Klägerin leide an erheblichen Beschwerden aufgrund der deutlichen Höhenminderung des Bandscheibenfaches L5/S1. Eine Veränderung der Einschätzung seines Gutachtens ergebe sich nicht.

Die Beklagte führt unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme von B1 vom 07.02.2019 aus, eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens sei nicht nachgewiesen. Das Gutachten von S1 beruhe auf seinem Untersuchungsbefund vom 07.11.2017 und sei daher nicht geeignet, sinnvolle Informationen über den Gesundheitszustand der Klägerin nach ihrer LWS-OP vom 23.03.2018 zu geben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 20.12.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beruft sich auf die Einschätzung von S1. Sie sei gesundheitlich nicht in der Lage, zu arbeiten. D habe sie nicht persönlich untersucht. Die Beschwerden würden zunehmend stärker werden und es stehe erst dann eine Besserung in Aussicht, wenn eine Erweiterung der Spondylodese vorgenommen werde, wie S1 zutreffend ausführe.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig und in der Sache begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 21.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2016, mit dem der Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.

Das SG hat den Bescheid zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte zu Unrecht zu einer Rentengewährung verurteilt, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit und bis zum heutigen Tag einen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweise Erwerbsminderung, wenn sie
1.         voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2.         in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.         vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

§ 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf vor dem 02.01.1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt sind. Da die Klägerin 1959 geboren ist, findet § 240 SGB VI auf sie Anwendung.

Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin nicht vor.

Ausweislich des Versicherungsverlaufs der Klägerin, der von der Beklagten bereits mit Schreiben vom 03.11.2020 und erneut – inhaltsgleich – mit Schreiben vom 10.01.2022 übermittelt worden ist, hat die Klägerin derzeit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals im Juni 2020 erfüllt. Es kann deshalb letztlich dahinstehen, ob wie von der Klägerin unter Vorlage der Befundberichte des G1 vom 27.10.2020 und des J vom 16.11.2020 geltend gemacht, nach Juni 2020 wegen Verschlechterung des Gesundheitszustands ein Leistungsfall der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung eingetreten ist. Denn bei einem Leistungsfall nach Juni 2020 sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Klägerin hat dann in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Das gilt auch unter Anwendung möglicher Verlängerungstatbestände gem. §§ 43 Abs. 4 und 5, 241 SGB VI. Der Versicherungsverlauf enthält lediglich Zeiten bis 14.05.2018. Weitere Zeiten sind nicht ersichtlich und auch nicht behauptet.

Für den Senat steht fest, dass die Klägerin seit 2015 bis jedenfalls Ende Juni 2020, aber auch darüber hinaus, bei der Möglichkeit eines selbstgewählten Stellungswechsels zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche leichte Tätigkeiten auszuüben kann. Dabei sind Arbeiten mit häufigem Bücken, Arbeiten in gebückter Zwangshaltung, Arbeiten in Zugluft, Kälte und Nässe, häufige Überkopfarbeiten, Arbeiten mit häufigem Drehen und Wenden des Kopfes und mit Armvorhalte sowie Arbeiten ausschließlich im Sitzen oder Stehen zu vermeiden.

Dies ergibt sich aus den überzeugenden Gutachten von K1 und D sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von G, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Die umfassenden Ausführungen insbesondere von D, der die Klägerin persönlich untersucht hat – die zuletzt vom Klägerbevollmächtigten getätigten anderslautende Stellungnahme ist nicht nachvollziehbar –, sind in sich schlüssig und für den Senat gut nachvollziehbar, er macht sie deshalb zur Grundlage seiner Beurteilung. Nicht überzeugend dagegen sind die Ausführungen des auf Antrag der Klägerin beauftragten Gutachters S1. Damit im Einklang steht auch der Entlassungsbericht der Aklinik 1 aus dem Jahr 2015.

Bei der Klägerin bestehen folgende Gesundheitsstörungen:
35 %ige Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Halswirbelsäule nach operativer Versteifung der Bewegungssegmente C 5/6 und 6/7 (bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die Halswirbelsäule betreffender Rückenmarksnerven).
17 %ige Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Brustwirbelsäule.
24 %ige Gesamtbeweglichkeitseinschränkung der Lendenwirbelsäule nach operativer Versteifung des Bewegungssegmentes L4/5 und deutlich vermehrten Verschleißerscheinungen im Bewegungssegment L5/S1 (bei fehlenden sensiblen und motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen seitens die Lendenwirbelsäule betreffender Rückenmarksnerven).
Aus der dann auftretenden Schmerzsymptomatik der Lendenwirbelsäulen- und Nackenmuskulatur resultierende endgradig eingeschränkte Armvorwärts- und Armseitwärtsanhebung in den Schultergelenken.
chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
chronifizierte Depression
rheumatoide Arthritis (erstmals diagnostiziert am 16.11.2020).


Diese Gesundheitsstörungen wirken sich nur insoweit auf die berufliche Leistungsfähigkeit aus, als die oben genannten qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen sind. Eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht für leichte Arbeiten besteht nicht. Dass die Klägerin eine Tätigkeit als Kassiererin nicht mehr ausüben kann, ist für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung unbeachtlich. Maßgeblich sind alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Dieser Grundsatz gilt regelmäßig auch in den Fällen, in denen der Eintritt des Leistungsfalls in der Vergangenheit umstritten ist. Dies gilt umso mehr, wenn in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letztmöglichen Zeitpunkt eines relevanten Leistungsfalls eine Untersuchung nach Begutachtungskriterien durch einen Sachverständigen stattgefunden hat.

Der Schwerpunkt der Gesundheitsstörungen liegt zweifelsfrei auf orthopädischem bzw. chirurgischem Fachgebiet. Die von D beschriebenen Gesundheitsstörungen lassen eine leichte Arbeit mindestens sechs Stunden täglich unter Berücksichtigung der oben beschriebenen qualitativen Einschränkungen zu. Die abweichende Ansicht von S1 ist dagegen nicht überzeugend. Soweit S1 von einem unter dreistündiges Leistungsvermögen ausgeht, fehlt es an einer schlüssigen Begründung. Abgesehen davon, dass die von ihm am 07.11.2017 erhobenen Befunde durch die am 29.03.2018 erfolgte ventrale Fusion HWK 6/7 überholt sind, lässt sich die von ihm behauptete Instabilität im LWS-Segment L5/S1 den erhobenen Befunden nicht entnehmen. Seine Prognose einer weiteren Fusionsoperation in der Zukunft rechtfertigt für sich alleine nicht ein gemindertes Leistungsvermögen. Die Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme vom 11.09.2017, in der S1 auch nur von Indizien für eine Instabilität spricht, sind ganz allgemein gehalten und nicht spezifisch im Hinblick auf den tatsächlichen Zustand der Klägerin. Im Übrigen negiert D nicht die vorliegenden Beschwerden der Klägerin, sondern widerspricht nur auf der Grundlage der erhobenen Bildbefunde der behaupteten Instabilität.

Eine seit der Untersuchung durch D am 16.10.2019 eingetretene anhaltende rentenrelevante Verschlechterung ist jedenfalls bis Ende Juni 2020 nicht nachgewiesen. G1 beschreibt noch am 10.02.2020 eine regelrechte Stellung des Fusionsmaterials. Aber auch über den Juni 2020 hinaus fehlt es am Nachweis einer rentenrelevanten Verschlimmerung der Funktionseinschränkungen. Zwar leidet die Klägerin wieder unter lumbalen Schmerzen (Arztbriefe vom 27.10.2020 und 24.11.2020), jedoch erfolgt keine substantielle orthopädische Behandlung. Die im November 2020 erstmals diagnostizierte rheumatoide Arthritis wird medikamentös behandelt. Wesentlich neue Befunde sind dem Bericht des J vom 16.11.2020 diesbezüglich nicht zu entnehmen. Die Entzündungsparameter waren nicht erhöht, Druckempfindlichkeit und Bewegungseinschränkungen bekannt.

Aus den vorliegenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet ergibt sich keine zeitliche Leistungseinschränkung. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tagesstrukturierung mit jedem Gutachten dürftiger ausfallen kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Form der Betroffene versucht, einem sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck durch angemessene therapeutische Bemühungen entgegenzuwirken. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wirken sich die Gesundheitsstörungen der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet (chronifizierte Schmerzstörung und chronifizierte depressive Erkrankung) noch nicht auf das zeitliche Leistungsvermögen aus. Auch wenn der behandelnde M zuletzt im Attest vom 27.05.2020 einen erheblichen Krankheitszustand beschreibt, so lassen sich diesem Attest keine schwerwiegenden Befunde entnehmen. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass M im Befundbericht vom 12.07.2019 noch ausschließlich eine supportive Therapie bei längerer depressiver Reaktion beschreibt. Eine Psychotherapie und/oder medikamentöse antidepressive Therapie findet nicht statt. Dies spricht gegen einen hohen Leidensdruck. Der gegenüber D beschriebene Tagesablauf war strukturiert. Die Klägerin ist in der Lage, ihren Haushalt – teilweise mit Unterstützung des Ehemanns – zu führen. Es bestehen noch Hobbies (Spazierengehen und Lesen).

Sonstige rentenrelevante Gesundheitseinschränkungen sind nicht erkennbar und werden auch nicht geltend gemacht. Soweit die S Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipoproteinäme, Restless legs-Syndrom und einen Nikotinabusus diagnostiziert, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Gesundheitsstörungen Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen haben.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R-, vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 R -, jeweils in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang einschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird.

Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist).

Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.

Keine der genannten Fallkonstellationen ist hier gegeben. Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen.

Auch die Wegefähigkeit der Klägerin ist zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. Die Klägerin ist in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Wegefähigkeit liegen nicht vor, lassen sich keinem Gutachten oder Befundbericht entnehmen und wurden auch zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht. Bei der Untersuchung durch D beschreibt die Klägerin eine tägliche Spazierstrecke von ca. 3 km. Im Übrigen verfügt die Klägerin auch über einen Führerschein und ein Auto.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Gemäß § 240 SGB VI haben Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind, Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Die Rechtsprechung des BSG hat insoweit das so genannte Mehrstufenschema entwickelt. Die Stufen sind von unten nach oben nach ihrer Leistungsqualität, diese gemessen nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung und beruflichen Erfahrung, nicht nach Entlohnung oder Prestige, geordnet. Danach sind bei den Angestelltenberufen zu unterscheiden: Ungelernte Berufe (Stufe I); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe II); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe III); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe IV), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe V); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe VI). Eine Verweisung kann nur auf einen Beruf derselben qualitativen Stufe oder der nächst niedrigeren erfolgen (BSG, Urteil vom 29.06.2004 - B 4 RA 5/04 R -, in juris). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist. In formeller Hinsicht muss der Versicherungsträger den Verweisungsberuf schließlich hinreichend konkret benennen (Gebot konkreter Benennung), sofern der Versicherte nicht zur Gruppe der ungelernten bzw. unteren Gruppe der angelernten Arbeiter (Stufe II mit einer Ausbildung bis zu einem Jahr) gehört und deshalb auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann. Nur bei konkreter Benennung des Verweisungsberufs kann geprüft werden, ob er dem Hauptberuf des Versicherten qualitativ gleichwertig ist und ob ihn der Versicherte ausüben könnte, ohne damit gesundheitlich oder fachlich über- oder unterfordert zu werden, ob also seine Berufskompetenz und sein Restleistungsvermögen dem Leistungsprofil des Vergleichsberufs genügen (BSG, Urteil vom 14.05.1996, - 4 RA 60/94 -, in juris). Nur dann kann auch der Versicherte die Einwendung des Versicherungsträgers überprüfen und ihr, falls sie ihn nicht überzeugt, substantiiert entgegengetreten. Das Gebot konkreter Benennung des Vergleichsberufs muss der Versicherungsträger spätestens bei Erlass des Widerspruchsbescheids erfüllen. Allerdings kann der Vergleichsberuf auch noch im Berufungsverfahren benannt werden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.05.1996, - 4 RA 60/94 -, in juris).

Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hier nicht erfüllt. Die Klägerin war zuletzt als Verkäuferin, überwiegend als Kassiererin, versicherungspflichtig beschäftigt. Dabei handelt es sich um eine ungelernte Tätigkeit. Die Klägerin ist deshalb der Stufe I des Mehrstufenschemas zuzuordnen und muss sich folglich auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Solche Tätigkeiten konnte und kann sie, wie oben ausgeführt, noch mehr als sechs Stunden täglich ausüben. Das Risiko, einen leidensgerechten Arbeitsplatz auch tatsächlich zu erhalten, liegt nicht bei der Rentenversicherung. Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 SGB VI liegt deshalb ebenfalls nicht vor.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten von K1 und D haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 Zivilprozessordnung). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG, Beschluss vom 08.12.2009 - B 5 R 148/09 B – in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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