L 5 BA 2707/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 BA 532/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 BA 2707/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.02.2020 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtstreits in erster und zweiter Instanz zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.

Der Streitwert des Verfahrens wird endgültig auf 1.391,84 € festgesetzt.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Geschäftsführer der Klägerin im Zeitraum vom 20.11.2015 bis 30.11.2015 und des Beigeladenen zu 2) als Geschäftsführer bzw. mitarbeitender Gesellschafter der Klägerin im Zeitraum vom 20.11.2015 bis 31.12.2015 streitig.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Autohaus mit angeschlossener Werkstatt. Gegründet wurde sie im Jahr 2004 mit einem Stammkapital von 40.000,00 €. Gründungsgesellschafter waren je zur Hälfte die beiden Ehefrauen der Beigeladenen zu 1) und 2). Die Beigeladenen zu 1) und 2) – Brüder – wurden zunächst als einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Laut § 14 des Gesellschaftsvertrages vom 15.07.2014 erfolgte die Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit. Mit notariellem Vertrag vom 20.11.2015 übernahmen die Beigeladenen zu 1) und 2) die Gesellschaftsanteile ihrer Ehefrauen zu jeweils 50 Prozent. Die Eintragung in das Handelsregister erfolgte am 30.11.2015. Ebenfalls am 30.11.2015 ist das Ausscheiden des Beigeladenen zu 2) als Geschäftsführer im Handelsregister vermerkt.

Vom 10.11.2016 bis 01.06.2017 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung hinsichtlich des Prüfzeitraums vom 01.01.2012 bis 31.12.2015 durch. Mit Schreiben vom 06.03.2017 hörte sie die Klägerin zu der beabsichtigten Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) und 2) an. Mit Schreiben vom 17.05.2017 führte die Klägerin aus, bei beiden Geschäftsführern habe keine persönliche Abhängigkeit bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit bestanden, da diese einem umfassenden Weisungsrecht der Gesellschaft nicht unterlegen hätten. Schriftliche Vereinbarungen seien nicht getroffen worden, weshalb die Beigeladenen zu 1) und 2) den Umfang und den zeitlichen Rahmen ihrer Tätigkeit hätten jeweils selbst bestimmen können. Als Geschäftsführer hätten die Betroffenen die Aufgabe gehabt, den Betrieb eigenverantwortlich zu führen und seien auch in der Anschaffung von Betriebs- oder Produktionsmitteln völlig frei gewesen. Die Preiskalkulation hätten die Betroffenen auch eigenständig durchgeführt. Das alleinige Know-how zur Führung des Autohauses sowie die alleinigen Geschäftskontakte seien bei den Geschäftsführern gelegen. Beide Geschäftsführer hätten auch ein erhebliches unternehmerisches Risiko getragen. Dieses habe aus den übernommenen Bürgschaften für die Anschaffung verschiedener Betriebsmittel bestanden. Darüber hinaus seien noch weitere selbstschuldnerische Bürgschaften in sechsstelliger Höhe abgegeben worden. Neben den Bürgschaften hätten die Betroffenen auch private Darlehen der Gesellschaft gewährt. Hieraus lasse sich ein erhebliches unternehmerisches Risiko herleiten. Beide Beigeladenen seien zusammen mit ihrer Mutter noch Gesellschafter der GbR K. Diese GbR sei Eigentümerin des Grundstückes in K, auf welchem der Betrieb geführt werde. Die GbR habe ein Darlehen an die GmbH geleistet. Mithin würden die Geschäftsführer auch insoweit ein zusätzliches finanzielles Risiko und damit Unternehmerrisiko tragen. Damit sei belegt, dass die GmbH von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Geschäftsführer vollkommen abhängig sei, um ihren Geschäftsbetrieb durchzuführen. Mit dieser beherrschenden Stellung der Geschäftsführer ginge auch eine entsprechend uneingeschränkte Dispositionsfreiheit der Geschäftsführer einher. Beide Betroffenen würden deshalb in keinem sozialversicherungspflichtig abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen.

Mit Bescheid vom 07.06.2017 forderte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 85.826,19 € für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.12.2015 für die bei ihr beschäftigten Beigeladenen zu 1) und zu 2). Zur Begründung gab sie an, der Beigeladene zu 2) habe als Fremdgeschäftsführer bzw. mitarbeitender Gesellschafter im Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2015 sowie der Beigeladene zu 1) als Fremdgeschäftsführer im Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.11.2015 keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der GmbH gehabt. Eine weitere Rechtsmacht ergebe sich auch nicht außerhalb des Gesellschaftervertrages.

Hiergegen legte die Klägerin am 06.07.2017 Widerspruch ein. Dieser wurde neben den bisherigen Ausführungen damit begründet, dass die betroffenen Geschäftsführer vergleichbar mit beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern seien. Diese Einflussmöglichkeiten habe die Beklagte bei der Beurteilung unberücksichtigt gelassen. Es werde deshalb nochmals auf die Bürgschaften sowie Darlehen hingewiesen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die seitens der Geschäftsführer übernommenen Bürgschaften kündbar seien. Die Kündigung der Bürgschaften durch die Geschäftsführer hätte zur Folge, dass die gesicherten Darlehen vom Darlehensgeber wegen wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse gekündigt werden könnten. Dies hätte zur weiteren Folge, dass die Gesellschaft die aufgenommenen Darlehen umgehend zurück zu führen hätte, was zu ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen würde. Dies gelte auch für die gewährten Darlehen. Außerdem werde darauf hingewiesen, dass im Gesellschaftervertrag vom 26.11.2004 in § 14 für die Abberufung der Gesellschafter ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit erforderlich sei. Hätten die beiden Gesellschafterinnen vorwiegend einen Geschäftsanteil von jeweils zur Hälfte, könne keiner der Gesellschafterinnen allein einen Geschäftsführer nur mit ihrem Stimmenanteil abberufen. Dieser wäre vielmehr auf die Stimmen der anderen Gesellschafter angewiesen. Dies würde jedoch bedeuten, dass zur Abberufung eines Geschäftsführers jeweils die Ehefrau desselben gegen ihn stimmen müsste. Auch hierdurch bestünde eine faktische Einflussmöglichkeit der jeweiligen Geschäftsführer.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 29.01.2018 hat die Klägerin zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und diese auf den Zeitraum ab 20.11.2015 beschränkt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, der Beigeladene zu 2) übe seine Tätigkeit seit der Übernahme eines Gesellschaftsanteils von 50% als Selbstständiger aus. Beschlüsse seien mit einfacher Mehrheit zu fassen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse sei hierdurch aber stets seine Zustimmung erforderlich. Zudem sei die Entlastung des Geschäftsführers nach § 14 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages nur mit Zustimmung des Beigeladenen zu 2) möglich. Dies stelle eine tatsächliche Einflussnahme im Sinne einer mittelbaren Beeinflussung durch die Verhinderung von Beschlüssen dar, welche eine Überlagerung einer etwaigen rechtlich bestehenden Abhängigkeit rechtfertigen könne. Durch die Verhinderung eines solchen Beschlusses habe der Beigeladene zu 2) die Möglichkeit, den Geschäftsführer zu einem bestimmten Verhalten als Arbeitgeber zu bewegen. Einem Weisungsrecht habe der Beigeladene zu 2) nicht unterlegen. Vielmehr habe er den Umfang und den zeitlichen Rahmen seiner Tätigkeit jeweils selbst bestimmen können und er sei nicht verpflichtet gewesen, zu bestimmten Zeitpunkten und an bestimmten Orten zu erscheinen oder anwesend zu sein. Es habe keine Zeiterfassung gegeben und er habe keine Rechenschaft über die Gestaltung seiner Tätigkeit ablegen müssen. Eine Kontrolle durch die Klägerin habe ebenfalls nicht stattgefunden. Zudem habe er durch Bürgschaft und Darlehensverträge ein erhebliches Unternehmerrisiko getragen. Darüber hinaus seien die Beigeladenen zu 1) und 2) zusammen mit ihrer Mutter noch Gesellschafter der Ä GbR K“. Diese sei Eigentümerin des Grundstückes in K, auf welchem der Betrieb der Klägerin derzeit geführt werde. Hierfür zahle die Klägerin eine monatliche Miete an die genannte GbR. Ferner habe die GbR ein Darlehen in Höhe von rund 130.000,00 € an die Klägerin gewährt. Hinsichtlich des Beigeladenen zu 1) sei der streitgegenständliche Bescheid insoweit rechtswidrig, als für den Beginn der selbstständigen Tätigkeit der 01.12.2015 angenommen worden sei. Die Geschäftsanteile seien aber bereits am 25.11.2015 übertragen worden.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 26.02.2020 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 aufgehoben, soweit die Beklagte für den Zeitraum ab 20.11.2015 Nachforderungen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) festgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der angefochtene Bescheid vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 sei rechtswidrig, soweit die Beklagte für den Zeitraum ab 20.11.2015 Nachforderungen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) festgesetzt habe. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Hinsichtlich der festgesetzten Nachforderung für den Beigeladenen zu 2) sei der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Der Beigeladene zu 2) habe im streitgegenständlichen Zeitraum trotz der Übertragung von Gesellschaftsanteilen wegen der Aufgabe der Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Die Kammer schließe sich nach eigener Überzeugungsbildung den Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 08.08.2019 (L 7 R 715/17, in juris) zu mitarbeitenden Gesellschaftern mit einem Gesellschaftsanteil von 50%, die nicht zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt seien, an. Im vorliegenden Fall sei nach Übertragung der Gesellschaftsanteile auf die beiden Beigeladenen der Beigeladene zu 1) als alleiniger Geschäftsführer der Klägerin bestellt gewesen. Der Beigeladene zu 2) sei im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit für die Klägerin an die Weisungen des Geschäftsführers rechtlich gebunden gewesen. Allein dieser habe die laufenden Geschäfte der GmbH geführt, zu denen auch die Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Beschäftigten der Gesellschaft gehört habe. Einschränkungen in Bezug auf dieses Weisungsrecht sehe der Gesellschaftsvertrag nicht vor. Auch komme es nicht darauf an, dass - wie vorgetragen - dem Beigeladenen zu 2) tatsächlich keine Weisungen durch die Klägerin bzw. den Beigeladenen zu 1) erteilt worden seien. Vielmehr komme es auf die rechtliche Situation an und die Frage, ob der Beigeladene zu 2) im Konfliktfall über die Rechtsmacht verfüge, eine ihm nicht genehme Weisung des Geschäftsführers zu verhindern. Hinsichtlich der Argumentation der Klägerin, dass bei der Entlastung des Geschäftsführers die Zustimmung des Beigeladenen zu 2) gemäß § 14 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages erforderlich sei, werde ebenfalls auf die Ausführungen des LSG Baden-Württemberg (a.a.O.) verwiesen. Es handele sich insbesondere nicht um ein rechtlich wirksames und durchsetzbares Instrument, um Weisungen des Geschäftsführers zu verhindern. Der Bescheid sei jedoch rechtswidrig, soweit durch ihn hinsichtlich des Beigeladenen zu 1) Beitragsforderungen für den Zeitraum ab 20.11.2015 festgesetzt werden. Zutreffend gehe die Beklagte davon aus, dass der Beigeladene zu 1) nach der Übertragung von Gesellschaftsanteilen an der Klägerin nicht mehr in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dieser stehe. Insoweit werde auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheides verwiesen. Allerdings habe die abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) nicht erst zum 30.11.2015, sondern bereits am 20.11.2015 geendet. Denn an diesem Tag sei dem Beigeladenen zu 1) wie auch dem Beigeladenen zu 2) durch notarielle Vereinbarung jeweils die Hälfte der Gesellschaftsanteile übertragen worden. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten komme es hinsichtlich des Zeitpunktes auch nicht auf die Eintragung in das Handelsregister an. Denn die Verpflichtung des Notars, eine von ihm unterschriebene Liste der Gesellschafter gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zum Handelsregister einzureichen, treffe ihn erst nach Wirksamwerden der Veränderung in den Personen der Gesellschafter.

Die Beklagte hat gegen die in dem ihr am 31.07.2020 zugestellten Urteil nicht zugelassene Berufung am 26.08.2020 Nichtzulassungsbeschwerde beim LSG Baden-Württemberg eingelegt, die der Senat mit Beschluss vom 13.09.2021 zugelassen hat.

Am 07.09.2020, einem Montag, hat die Klägerin gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 06.08.2020 zugestellte Urteil Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt (vormals L 5 BA 2832/20). Mit Beschluss vom 02.11.2021 hat der Senat beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Berufung geltend, das SG habe nicht berücksichtigt, dass der Beigeladene zu 2) keine arbeitnehmertypischen Pflichten innegehabt habe. Es habe keine schriftlichen Vereinbarungen zu seiner Tätigkeit gegeben, keine Vereinbarungen zu Zeit, Ort und Umfang (etc.) einer etwaig zu verrichtenden Arbeit und auch keine Rechenschaftspflicht gegeben. Die seitens des zitierten LSG-Urteils insoweit angenommene Dienstaufsicht und das Weisungsrecht der Geschäftsführung über die Angestellten einer GmbH greife vorliegend nicht. Ferner nehme das SG nicht ausreichend in den Blick, dass eine rechtlich bestehende Abhängigkeit durch die tatsächlichen Verhältnisse so überlagert werden könne, dass eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dennoch ausscheide, was ebenso für die Beschäftigung von Gesellschaftern in der GmbH gelte (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 23.06.1994 - 12 RK 72/92 -). Das SG lasse unerwähnt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) tatsächlich mit den Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit gelebt worden sei. Aufgrund seines hälftigen Gesellschaftsanteiles habe er sowohl die Entlastung der Geschäftsführung verhindern können wie auch die Feststellung des Jahresabschlusses, was tatsächliche Möglichkeiten seien, auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen. Der Beigeladene zu 2) habe außerdem im erheblichen Umfang Bürgschaften bzw. Darlehen an die Klägerin gewährt. Die Beklagte habe ausweislich ihres vorliegend streitigen Ausgangsbescheides betreffend den Beigeladenen zu 2) ein monatliches „Arbeitsentgelt“ in Höhe von rund 2.600 € (brutto) ermittelt; hieraus würde sich ein jährliches Arbeitsentgelt in Höhe von rund 32.000 € (brutto) ergeben. Der Beigeladene zu 2) habe jedoch für Forderungen der Klägerin in Höhe von wenigstens 300.000,00 € persönlich gebürgt. Das Haftungsrisiko des Beigeladenen zu 2) übersteige die Höhe seines jährlichen Arbeitsentgeltes damit um rund das Zehnfache. Gemessen rein an der Höhe des Arbeitsentgeltes würden die Bürgschaftsverpflichtungen den Beigeladenen zu 2) wirtschaftlich überfordern. Auch die Übernahme dieser Bürgschaftsverpflichtungen sei ein Indiz und zudem ein schwerwiegendes Indiz dafür, dass der Beigeladene zu 2) eine selbstständige Tätigkeit ausübe. Die Übernahme eines solchen Haftungsrisikos decke sich nicht mit dem Bild eines abhängig Beschäftigten, der für einen „fremden“ Betrieb tätig sei. Das SG habe zudem vollkommen unberücksichtigt gelassen, dass der Beigeladene zu 2) zudem Mitgesellschafter der Ä GbR K“ sei und hierdurch - auch in Bezug auf die Klägerin - ein zusätzliches wirtschaftliches Risiko getragen habe. Der Beigeladene zu 2) habe zudem aufgrund seiner hälftigen Kapitalbeteiligung ein erhebliches wirtschaftliches Interesse am Erfolg der Klägerin, welches über das Interesse eines sonstigen abhängig Beschäftigten weit hinausgehe; wobei damit untrennbar auch das Risiko eines entsprechenden Misserfolges verbunden sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.02.2020 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 auch insoweit aufzuheben, als die Beklagte für die Zeit vom 20.11.2015 bis 31.12.2015 Sozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) fordert,

und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen

und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.02.2020 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, mit Abschluss des notariellen dinglichen Vertrags zur Abtretung der Gesellschafteranteile werde der Erwerbende zwar Gesellschafter. Allerdings sei er im Verhältnis zu der Gesellschaft im Zeitraum von Vertragsschluss bis zur tatsächlichen Eintragung in die Gesellschafterliste der Handwerksrolle (gemeint wohl Handelsregister) nur materiell Berechtigter, d.h. er könne zwar über seine Gesellschaftsanteile verfügen; die einem Gesellschafter zustehenden Mitgliedsrechte, wie beispielsweise die Teilnahme und Stimmberechtigung bei Gesellschafterversammlungen, könnten von ihm gleichwohl erst ab Eintragung ins Handelsregister rechtlich voll wirksam wahrgenommen werden, in der Zwischenzeit seien sie schwebend unwirksam. Für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status eines Gesellschafters sei es aber entscheidend, ob dieser die Rechtsmacht besitze, durch seine Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen, ohne dass hierfür weitere Handlungen vorgenommen werden müssten.

Die mit Beschluss des SG vom 12.08.2019 und Beschuss des LSG Baden-Württemberg vom 12.04.2021 Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, die Akten der Beklagten, des SG und des Senats (auch zu L 5 BA 2832/20) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einem streitigen Nachforderungsbetrag für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) in der Zeit vom 20.11.2015 bis 31.12.2015 in der Höhe von 1.243,33 € den erforderlichen Betrag von 750,00 € übersteigt. Die Berufung der Beklagten ist nach der Zulassung durch den Senat ebenfalls zulässig.

II. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017, soweit damit Sozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer im Zeitraum vom 20.11.2015 bis 30.11.2015 und für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) als Geschäftsführer bzw. mitarbeitender Gesellschafter im Zeitraum vom 20.11.2015 bis 31.12.2015 gefordert werden.

III. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit Sozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) in der Zeit vom 20.11.2015 bis 31.12.2015 gefordert werden.

1. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 ist formell rechtmäßig.

Die Beklagte hat als zuständige Behörde gehandelt. Rechtsgrundlage des Bescheids ist § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Hiernach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die in Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insb. die Richtigkeit der Beitragszahlung und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Im Rahmen der Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV; vgl. zur Zuständigkeit für den Erlass von Nachforderungsbescheiden auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.07.2010 - L 11 R 2595/10 ER-B -, in juris).

Der Bescheid der Beklagten ist auch im Übrigen formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass des belastenden Bescheids ordnungsgemäß angehört (§ 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>).

2. Der Bescheid vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 ist – soweit er hier zur Überprüfung stand – auch materiell rechtmäßig.

a) Versicherungspflichtig sind in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), in der gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Die Pflicht des Arbeitgebers zur anteiligen Tragung der Beiträge folgt aus § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und § 346 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Die Verpflichtung zur Tragung der Umlage 1 (Ausgleich für Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) und der Umlage 2 (Leistungen des Arbeitgeberzuschusses zum Mutterschaftsgeld) folgt aus § 7 Abs. 1 des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (AAG), die zur Tragung der Insolvenzgeldumlage aus § 359 Abs. 1 Satz 1 SGB III.

Grundvoraussetzung für die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Dafür ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist das der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (vgl. etwa BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R -; Urteile vom 29.07.2015 - B 12 R 1/15 R - und - B 12 KR 23/13 R -; Urteil vom 29.08.2012 - B 12 KR 25/10 R -, alle in juris). Das Unternehmerrisiko besteht (regelmäßig) in der Gefahr, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens das eingesetzte Kapital (ganz) zu verlieren oder mit ihm (nur) Verluste zu erwirtschaften; ihm entspricht die Aussicht auf Gewinn, wenn das Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg hat. Abhängig Beschäftigte tragen demgegenüber das Arbeitsplatzrisiko, das in der Gefahr besteht, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens die Arbeitsstelle einzubüßen. Das für eine selbstständige Tätigkeit typische Unternehmerrisiko ist nicht mit einem Kapitalrisiko gleichzusetzen. Ein Kapitalrisiko, das nur zu geringen Ausfällen führt, wird das tatsächliche Gesamtbild einer Beschäftigung nicht wesentlich bestimmen (BSG, Beschluss vom 16.08.2010 - B 12 KR 100/09 B -, in juris). Maßgebendes Kriterium für das Vorliegen eines Unternehmerrisikos ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen (BSG, Urteil vom 25.04.2012 - B 12 KR 24/10 R -, in juris).

Die Unterscheidung von Unternehmer- und Arbeitsplatzrisiko ist auch in der Rechtsprechung des Senats ein wichtiges, vielfach entscheidendes Kriterium für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einer Tätigkeit. Es steht allerdings nicht für sich allein. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, also den rechtlich relevanten Umständen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ausgangspunkt der Prüfung sind die (der jeweiligen Tätigkeit zugrundeliegenden) Vereinbarungen, die die Beteiligten - schriftlich oder ggf. auch nur mündlich - getroffen haben. Behörden und Gerichte müssen den Inhalt dieser Vereinbarungen feststellen. Sind die Vereinbarungen schriftlich getroffen worden, muss dabei auch geklärt werden, ob sie durch mündlich getroffene (Änderungs-)Vereinbarungen oder durch schlüssiges Verhalten rechtswirksam abgeändert worden sind. Steht der Inhalt der Vereinbarungen danach fest, ist zu prüfen, ob die Vereinbarungen (mit dem festgestellten Inhalt) wirksam oder wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht unwirksam sind, wobei bei gegebenem Anlass auch die Ernsthaftigkeit der Vereinbarungen geklärt werden muss, um auszuschließen, dass ein „Etikettenschwindel“ bzw. ein Scheingeschäft vorliegt und die Vereinbarung deswegen gemäß § 117 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig ist; ist letzteres der Fall, muss der Inhalt des durch das Scheingeschäft verdeckten Rechtsgeschäfts festgestellt werden. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der (der jeweiligen Tätigkeit zugrundeliegenden) Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder zum Typus der selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen. Danach ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere (tatsächliche) Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R -; Urteile vom 29.07.2015 - B 12 R 1/15 R - und - B 12 KR 23/13 R -, alle in juris).

Die Zuordnung des konkreten Lebenssachverhalts zum rechtlichen Typus der (abhängigen) Beschäftigung als nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung erfordert nach der Rechtsprechung des BSG eine Gewichtung und Abwägung aller als Indizien für und gegen eine Beschäftigung bzw. selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale der Tätigkeit im Einzelfall. Bei Vorliegen gegenläufiger, d. h. für die Bejahung und die Verneinung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals sprechender tatsächlicher Umstände oder Indizien hat das Gericht (ebenso die Behörde) insoweit eine wertende Zuordnung aller Umstände im Sinne einer Gesamtabwägung vorzunehmen. Diese Abwägung darf allerdings nicht (rein) schematisch oder schablonenhaft erfolgen, etwa in der Weise, dass beliebige Indizien jeweils zahlenmäßig einander gegenübergestellt werden, sondern es ist in Rechnung zu stellen, dass manchen Umständen wertungsmäßig größeres Gewicht zukommen kann als anderen, als weniger bedeutsam einzuschätzenden Indizien. Eine rechtmäßige Gesamtabwägung setzt deshalb - der Struktur und Methodik jeder Abwägungsentscheidung (innerhalb und außerhalb des Rechts) entsprechend - voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Indizien festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und in dieser Gesamtschau nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 24.05.2012 - B 12 KR 14/10 R - und - B 12 KR 24/10 R -, beide in juris).

Von diesen allgemeinen Grundsätzen ausgehend ist auch der sozialversicherungsrechtliche Status des Geschäftsführers einer GmbH zu beurteilen. Bei einem Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige Tätigkeit regelmäßig aus (BSG, Urteil vom 29.06.2021 - B 12 R 8/19 R -; BSG, Urteil vom 12.05.2020 - B 12 KR 30/19 R -; BSG Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R -; Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R -, alle in juris). Er besitzt allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliegt - sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist - nicht der Gesellschafterversammlung, sondern ist Teil der laufenden gewöhnlichen Geschäftsführung. Erst wenn Gesellschafter kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber der Geschäftsführung haben, unterliegen sie nicht mehr deren Weisungsrecht (BSG, Urteil vom 29.06.2021 - B 12 R 8/19 R -; BSG, Urteil vom 12.05.2020 - B 12 KR 30/19 R -; beide in juris). Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt (BSG, Urteil vom 19.09.2019 - B 12 R 25/18 R -, in juris). Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 11.11.2015 - B 12 R 2/14 R -; Urteil vom 29.06.2016 - B 12 R 5/14 R -, beide in juris).

b) Nach diesen Maßstäben ist der Senat unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu der Überzeugung gelangt, dass der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 20.11.2015 bis 31.12.2015 bei der Klägerin beschäftigt war; in seiner Tätigkeit für die Klägerin unterliegt er der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht spricht gegen die Einstufung des Beigeladenen zu 2) als selbstständigen Erwerbstätigen maßgeblich seine fehlende Rechtsmacht im Unternehmen. Für die Zeit vom 20.11.2015 bis 29.11.2015 war der Beigeladene zu 2) überhaupt nicht an der Gesellschaft beteiligt. Er war zusammen mit dem Beigeladenen zu 1) Fremdgeschäftsführer. Mangels Rechtsmacht innerhalb der Gesellschaft konnte er Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nicht verhindern. Dass es sich bei den beiden Gesellschafterinnen der Klägerin um die Ehefrauen der Beigeladenen zu 1) und 2) handelt, ändert hieran nichts. Ein rein faktisches, nicht rechtlich gebundenes und daher jederzeit änderbares Verhalten der Beteiligten ist für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht maßgeblich. Dies wäre mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“ lediglich in harmonischen Zeiten, während im Fall eines Zerwürfnisses die rechtlich bestehende Weisungsgebundenheit zum Tragen käme, ist nicht anzuerkennen (BSG, Urteil vom 19.09.2019 - B 12 R 25/18 R -; BSG, Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R -; BSG, Urteil vom 29.07.2015 - B 12 KR 23/13 R -; alle in juris). Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23.06.1994 - 12 RK 72/92 -, in juris) zur Überlagerung der rechtlichen Verhältnisse durch familiäre Verbundenheit ist überholt. Insofern kommt auch dem von der Klägerin vorgetragenen Umstand, der Beigeladene zu 2) sei tatsächlich keinen Weisungen unterlegen gewesen, keine entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich sind die rechtlichen Verhältnisse.

In der Zeit vom 30.11.2015 bis 31.12.2015 war der Beigeladene zu 2) zwar zu 50 % an der Klägerin beteiligt. Trotz seiner hälftigen Beteiligung am Stammkapital war er aber rechtlich an die Weisungen des ab 30.11.2015 allein als Geschäftsführer bestellten Beigeladenen zu 1) gebunden. Allein dieser führte seither die laufenden Geschäfte der GmbH, zu denen auch die Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Beschäftigten der Gesellschaft gehörte. Die Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung erfolgte mit einfacher Mehrheit. Folglich fehlte dem Beigeladenen zu 2) die Rechtsmacht, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung herbeizuführen. Über Sonderrechte zur Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen hat er nicht verfügt. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin sah auch weder eine Einschränkung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführung (vgl. § 37 GmbHG) noch ihres Weisungsrechts gegenüber Angestellten der Gesellschaft vor. Insbesondere ist der Gesellschafterversammlung im Gesellschaftsvertrag nicht das Weisungsrecht gegenüber dem Beigeladenen zu 2) im Allgemeinen oder für bestimmte Einzelfälle vorbehalten. Er war damit weder in der Lage, diese Zuständigkeitsverteilung zu ändern, noch konnte er im Einzelfall eine Weisung des Geschäftsführers an sich verhindern. Allein die bloße Möglichkeit, einen Gesellschafterbeschluss zu verhindern, schließt die Dienstaufsicht der Geschäftsführung über die Angestellten nicht aus (BSG, Urteil vom 29.06.2021 - B 12 R 8/19 R -, in juris). Ebenso wenig genügt die Möglichkeit, die Entlastung der Geschäftsführung und die Feststellung des Jahresabschlusses verhindern zu können, um von einem maßgeblichen, rechtlichen Einfluss auf die Geschäftsführung ausgehen zu können. Seine Stellung als Gesellschafter der Klägerin versetzte den Beigeladenen zu 2) mithin nicht in die Lage, in seiner Tätigkeit für die Klägerin Einzelanweisungen des Geschäftsführers an sich im Bedarfsfall zu verhindern. 

Ebenso unzureichend für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit trotz fehlender Rechtsmacht ist das bloße wirtschaftliche Interesse des Beigeladenen zu 2) am Erfolg der Klägerin aufgrund seiner Kapitalbeteiligung und seinem finanziellen Engagement in Form von Bürgschaften, Darlehen und Beteiligung an der Ä GbR K“ als Vermieterin des Betriebsgrundstückes. Der Beigeladene zu 2) übernahm damit kein unternehmerisches Risiko. Maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko ist, dass eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Ein unternehmerisches Risiko ist allerdings nur dann hinreichendes Indiz für eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen. Mit der Übernahme von Bürgschaften und der Gewährung von Darlehen geht nur ein Haftungs- oder Ausfallrisiko einher, wie es mit jeder Darlehensgewährung bzw. Bürgschaft verbunden ist. Ein zusätzliches finanzielles Risiko in Bezug auf seine Tätigkeit für die Klägerin ergab sich daraus nicht. Er erhielt vielmehr eine feste monatliche Vergütung in Höhe von 2.500,00 €. Im Übrigen ist es im Geschäftsleben auch nicht völlig unüblich, dass Arbeitnehmer (insbesondere in einer Familiengesellschaft) dem Unternehmen persönliche Darlehen gewähren oder zu dessen Gunsten sonstige finanzielle Verbindlichkeiten eingehen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Kreditinstitute bei Familienunternehmen typischerweise auch auf einer finanziellen Beteiligung bzw Mithaftung von Ehepartnern bzw. anderen beteiligten Familienangehörigen bestehen (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 12 KR 9/14 R -, in juris). Ein wesentliches unternehmerisches Risiko, dem entsprechende unternehmerische Freiheiten gegenüberstanden, lag mithin nicht vor. Der Beigeladene zu 2) setzte angesichts des festen Monatsgehalts seine Arbeitskraft nicht mit der Gefahr des Verlusts ein.

Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht schließlich nicht entgegen, dass der Beigeladene zu 2) mit der Klägerin keinen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen hatte. Ausweislich des aktenkundigen Lohnkontos wurde er als „Arbeitnehmer“ der Klägerin geführt; er bezog ein monatlich festes Gehalt in Höhe von 2.500,00 € sowie Urlaubsgeld und erhielt monatliche Lohnabrechnungen. Außerdem führte die Klägerin Lohnsteuer ab. Dies bestätigt die Annahme einer Beschäftigung.

c) Auch die Beitragsfestsetzung ist nicht zu beanstanden. Arbeitgeber haben für versicherungspflichtig Beschäftigte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen (§ 28d Satz 1 und 2, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Der Beitragsbemessung liegt in der gesetzlichen Rentenversicherung, gesetzlichen Krankenversicherung, sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde (§ 162 Nr. 1 SGB VI; § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI; § 342 SGB III). Darüber hinaus haben die Arbeitgeber die Mittel zur Durchführung der U1- und U2-Verfahren durch gesonderte Umlagen aufzubringen, die sich nach dem Entgelt richten, nach dem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die im Betrieb Beschäftigten bemessen werden (§ 1 Abs. 1 und 2 Satz 1 AAG). Dass die Beklagte die Beiträge und Umlagen fehlerhaft berechnet hätte, ist weder geltend gemacht worden noch ersichtlich.

IV. Die Berufung der Beklagten hat dagegen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2017 ist auch insoweit rechtmäßig, als Sozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer im Zeitraum vom 20.11.2015 bis 30.11.2015 gefordert werden. Die Beklagte hat zu Recht auf den Zeitpunkt der Eintragung des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter in das Handelsregister am 30.11.2015 und nicht auf den Abschluss des notariellen Vertrages über den Erwerb der Gesellschafteranteile am 20.11.2015 abgestellt. Nur in einer in das Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste Eingetragene können Gesellschafterrechte wahrnehmen und haften für fällige Gesellschaftspflichten; ein noch nicht eingetragener Gesellschafter muss deren Rechtshandlungen gegen sich gelten lassen (BSG, Urteil vom 10.12.2019 - B 12 KR 9/18 R -, in juris m.w.N.). Erst die mit der Eintragung der Gesellschafterliste in das Handelsregister einhergehende Publizität genügt dem bei der Statuszuordnung zu beachtenden Grundsatz der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (zum Wechsel in der Geschäftsführerstellung BSG, Urteil vom 07.07.2020 - B 12 R 17/18 R -, in juris).

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keine Sachanträge gestellt und damit ein Prozessrisiko nicht übernommen haben.

VI. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

VII. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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