S 8 R 195/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 8 R 195/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 BA 18/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 BA 29/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Der Bescheid der Beklagten vom 21.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2017 wird aufgehoben. 

2.    Es wird festgestellt, dass der Kläger bei der Beigeladenen zu 1. nicht abhängig beschäftigt ist und keine Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besteht.

3.    Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die sozialversicherungsrechtliche Einordnung einer Tätigkeit des Klägers als Arzt bei der Beigeladenen zu 1. im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Beigeladenen zu 1. und einer Gemeinschaftspraxis, an der der Kläger beteiligt ist. 

Der Kläger ist Arzt. Er ist einer von vier Gesellschaftern einer nephrologischen Gemeinschaftspraxis, die in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts besteht (Gesellschaftsvertrag Bl. 74 d. A.). Die Gemeinschaftspraxis besteht schon seit langer Zeit; es wird bei jedem Ein- oder Austritt eines Gesellschafters ein neuer Gesellschaftsvertrag geschlossen. 

Die Beigeladene zu 1. ist ein Krankenhaus mit Versorgungsauftrag im Bereich innere Medizin; hierzu zählt auch die Nephrologie. Die Beigeladene zu 1. verfügt selbst nicht über angestellte Ärzte auf dem Fachgebiet der Nephrologie. 

Zwischen der Gemeinschaftspraxis und der Beigeladenen zu 1. besteht ein Kooperationsvertrag (Bl. 52 ff. d. A.). Dort ist im Wesentlichen geregelt, dass die Ärzte der Gemeinschaftspraxis auf Anforderung Leistungen auf dem Gebiet der Nephrologie im Krankenhaus der Beigeladenen zu 1. erbringen. Hierfür haben sie Zugriff auf Personal und medizinische Infrastruktur und Apparate der Beigeladenen zu 1. Für die Leistungen erhält die Gemeinschaftspraxis eine Vergütung. Die Beigeladene zu 1. hat kein vertraglich eingeräumtes Recht, den Einsatz bestimmter Ärzte zu verlangen. Die Disposition über die von ihr eingesetzten Ärzte verbleibt bei der Gemeinschaftspraxis (§ 2 Abs. 5 des Vertrages). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Kooperationsvertrag verwiesen. 

Die Erbringung von Leistungen für die Beigeladene zu 1. macht etwa ein Drittel der Tätigkeit der Gemeinschaftspraxis aus. Daneben versorgt die Praxis eigene Patienten in ihren eigenen Räumlichkeiten sowie erbringt Leistungen für weitere Institutionen. Die Einnahmen aus der Leistungserbringung für die Beigeladene zu 1. werden zwischen dem Kläger und den weiteren Gesellschaftern der Gemeinschaftspraxis nicht gesondert abgerechnet, sondern fließen der Gemeinschaftspraxis zu und werden sodann im Rahmen der Gewinnverteilung insgesamt unter den Gesellschaftern aufgeteilt. Die Gesellschafter haben intern vereinbart, dass jeder in etwa gleich viel im Rahmen des Kooperationsvertrages bei der Beigeladene zu 1. tätig wird.

Der Kläger wurde auf Grundlage des Kooperationsvertrages bei der Beigeladenen zu 1. tätig. 

Auf entsprechenden Statusfeststellungsantrag nach § 7a Sozialgesetzbuch – Viertes Buch – (SGB IV) hin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21.02.2017 (Bl. 5 d. A.) fest, dass der Kläger seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. als abhängige Beschäftigung ausübe und der Versicherungspflicht in allen versicherungszweigen unterliege. Ein hiergegen aus den Gründen des Klageantrags gerichteter Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12.06.2017, Bl. 13 d. A.). 

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, zu deren Begründung der Kläger vorträgt, dass er als Arzt in der Erbringung seiner Tätigkeit frei sei und keinen Weisungen unterliege. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, könnte er solche Weisungen nicht von der Beigeladenen zu 1. erhalten, da er mit dieser nicht in einer vertraglichen Beziehung stehe. Arbeitnehmerüberlassung liege ebenfalls nicht vor, da der Kläger kein Arbeitnehmer der Gemeinschaftspraxis sei. Der Kooperationsvertrag zwischen Gemeinschaftspraxis und Beigeladener zu 1. widerspreche auch nicht geltendem Recht.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt. 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. 

Sie verteidigt die von ihr getroffenen Entscheidungen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stehe fest, dass im Krankenhaus tätige Ärzte abhängig beschäftigt seien. Der Kläger werde in die Strukturen der Beigeladenen zu 1. eingegliedert tätig und trage keinerlei unternehmerisches Risiko. Es sei im Übrigen zweifelhaft, ob der Kooperationsvertrag zwischen Gemeinschaftspraxis und Beigeladener zu 1. zulässig sei, da Krankenhäuser gesetzlich verpflichtet seien, ihren Versorgungsauftrag durch eigenes Personal zu erfüllen. 

Mit Bescheid vom 28.05.2018 (Bl. 177 d. A.) stellte die Beklagte fest, dass die Versicherungspflicht des Klägers erst am 24.02.2017 beginnt. Mit Schriftsatz vom 13.08.2018 (Bl. 190 d. A.) erkannte die Beklagte an, dass bei dem Kläger keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vorliegt. Der Kläger nahm dieses Teilanerkenntnis an.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt von Gerichts- und Verwaltungsakte sowie insbesondere das Protokoll über die mündliche Verhandlung.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. 

Rechtsgrundlage der Bescheide der Beklagten ist § 7a SGB IV. Danach können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt. Auf den Antrag entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt.

Vorliegend hat die Beklagte zu Unrecht entschieden, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen zu 1. eine abhängige (sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung ist. 

Beschäftigung besteht im Falle nichtselbständiger Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, § 7 SGB IV.

Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt das Vorliegen einer Beschäftigung die persönliche Abhängigkeit des Auftragnehmers vom Auftraggeber voraus. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. statt vieler nur BSG v. 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R). Zur Abgrenzung sind dabei regelmäßig die von den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen heranzuziehen (BSG v. 29.06.2016, B 12 R 5/14 R).

Die Kammer hat vorliegend keinen Zweifel daran, dass bei isolierter Betrachtung der Tätigkeit des Klägers als solche diese der Tätigkeit eines Arztes im Krankenhaus entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG v. 04.06.2019, B 12 R 11/18 R) bringt eine derartige Beschäftigung regelmäßig die Eingliederung in die Strukturen des Krankenhauses mit sich und ist daher eine abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. 

Der vorliegende Fall weicht aber wesentlich von der durch das BSG entschiedenen Konstellation ab. Der Feststellung einer abhängigen Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen zu 1. steht insbesondere entgegen, dass der Kläger seine Tätigkeit nicht für die Beigeladene zu 1., sondern für die Gemeinschaftspraxis ausgeführt hat. Vertragliche Beziehungen bestanden ausschließlich zwischen der Beigeladenen zu 1. und der Gemeinschaftspraxis, sowie zwischen dem Kläger und der Gemeinschaftspraxis. Kläger und Beigeladene zu 1. hingegen unterhielten keinerlei Vertragsbeziehungen. Bereits dies macht es der Beigeladenen zu 1. unmöglich, über die Arbeitskraft des Klägers zu verfügen, wie dies für eine abhängige Beschäftigung typisch ist. Die Beigeladene zu 1. hat vielmehr Leistungen nur bei der Gemeinschaftspraxis abgerufen. Wer diese dann konkret erbracht hat war allein eine interne Angelegenheit der Gemeinschaftspraxis. Für die Kammer sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Beigeladene zu 1. hierauf hätte Einfluss nehmen können.

Über eine dennoch bestehende abhängige Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen ließe sich allenfalls Nachdenken, wenn der Kläger Arbeitnehmer der Gemeinschaftspraxis wäre; hier käme eine Arbeitnehmerüberlassung in Betracht. Dies ist aber nicht der Fall, denn der Kläger ist Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis. Für die Gemeinschaftspraxis besteht insoweit ebenfalls keine Möglichkeit, über die Arbeitskraft des Klägers zu verfügen oder ihm Weisungen zu erteilen bzw. diese Befugnisse an die Beigeladene zu 1. zu übertragen. 

Die Kammer hat vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, anzunehmen, dass die Gemeinschaftspraxis nur zum Schein besteht um eine abhängige Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen zu 1. zu verdecken. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn die Gemeinschaftspraxis als reine Abrechnungsstelle zwischen Kläger und Beigeladener zu 1. fungiert oder der Zweck der Gemeinschaftspraxis ausschließlich in der Erbringung von Leistungen an die Beigeladene zu 1. bestünde. Derartiges ist aber nicht ersichtlich. Die Gemeinschaftspraxis besteht tatsächlich und erbringt in erheblichen Umfang Leistungen an andere als die Beigeladene zu 1. Auch werden die Einnahmen der Gemeinschaftspraxis aus der Leistungserbringung für die Beigeladene zu 1. gleichmäßig unter den Gesellschaftern aufgeteilt und nicht etwa nach konkretem Tätigkeitsanteil der Gesellschafter. Damit hat der Kläger von der Beigeladenen zu 1. – auch nicht mittelbar – ein Entgelt für seine Tätigkeit erhalten. 

Im Übrigen kommt es auch nicht darauf an, ob der Kooperationsvertrag zwischen der Gemeinschaftspraxis und der Beigeladenen zu 1. gesetzlichen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs – Fünftes Buch – (SGB V) widerspricht. Selbst wenn dem so sein sollte, bleibt der Vertrag für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der klägerischen Tätigkeit maßgeblich, da insoweit auf die tatsächlich bestehenden Gegebenheiten abzustellen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. 
 

Rechtskraft
Aus
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