L 8 KR 168/22 DS B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 932/22 DS ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 168/22 DS B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 2022 abgeändert und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die den Antragsteller betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2019 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln.

Die Antragsgegnerin hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.


Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers mit dem sinngemäß gestellten Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 2022 abzuändern und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die den Antragsteller betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2019 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln

ist zulässig und auch in der Sache begründet.

Der Antragsteller verfolgt seinen Anspruch zulässig im Rahmen der von ihm beantragten Sicherungsanordnung. Der vom Antragsteller begehrte einstweilige Rechtsschutz gegen die Übermittlung der in § 303b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Umsetzung der Vorschriften über die Datentransparenz (Datentransparenzverordnung – DaTraV) bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2019 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen konnte vorliegend nicht durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15. März 2022 gegen das Schreiben der Antragstellerin vom 8. März 2022 bzw. der Anfechtungsklage gegen den nachfolgend ergangenen Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2022 herbeigeführt werden, da die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers darin zutreffend als unzulässig zurückgewiesen hat. Von der Antragsgegnerin wurde insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei dem zu Grunde liegenden Schreiben ihres Datenschutzbeauftragten vom 8. März 2022 nicht um einen Verwaltungsakt handelt, da dieser darin ausschließlich im Wege einer Auskunft auf die geltende Rechtslage hingewiesen hat. 

Die Voraussetzungen des danach zutreffend im Wege der Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) weiterverfolgten Antrags auf vorläufige Untersagung der Übermittlung der den Antragsteller betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2019 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen sind vorliegend erfüllt.

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhaltes sowie der rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der Sicherungsanordnung, insbesondere im Hinblick auf Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds, wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Beschluss insbesondere zutreffend darauf hingewiesen, dass im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens aufgrund der komplexen datenschutz- und grundrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Datenübermittlung nach § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV sowie der gebotenen Sachverhaltsaufklärung bezüglich der zu Grunde liegenden Informationstechnologie die Entscheidung über die Gewährung des beantragten einstweiligen Rechtsschutz ausschließlich auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu erfolgen hat. Vom Sozialgericht wurde diesbezüglich zutreffend auf die Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19. März 2020 verwiesen. In dem betreffenden Verfahren zum Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der vorliegend streitgegenständlichen gesetzlichen Regelung wurde vom BVerfG auf die bestehenden Zweifel im Hinblick auf das Reidentifikationsrisiko, die Datensicherheit insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Verschlüsselung der Daten statt einer Anonymisierung oder Pseudonymisierung und das Selbstbestimmungsrecht der gesetzlich Versicherten über ihre Daten hingewiesen. Nach der Einschätzung des BVerfG ergeben sich hieraus komplexe Fragen der verfassungsrechtlichen Datenschutzdogmatik, die der näheren Aufklärung bedürfen und in der für das Eilverfahren gebotenen Kürze der Zeit nicht angemessen behandelt werden können (BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 19. März 2020 – 1 BvQ 1/20 –, juris Rn. 8).

Das Sozialgericht hat bezüglich der Datenübermittlung für das Berichtsjahr 2021 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass die Nachteile, die sich für den Antragsteller ergeben, wenn seinem Antrag nicht stattgegeben wird, er aber in einem Hauptsacheverfahren obsiegt, bei Weitem die Nachteile überwiegen, die der Antragsgegnerin drohen, wenn dem Antrag stattgegeben wird und die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren obsiegt. Die hiergegen von der Antragsgegnerin zunächst erhobene Beschwerde wurde von dieser nicht begründet und nachgehend zurückgenommen, so dass auch insoweit von der nochmaligen Darlegung der Gründe des angefochtenen Beschlusses abgesehen wird. In der Sache hat die Antragsgegnerin hierzu im Beschwerdeverfahren nochmals bestätigt, dass es technisch möglich ist, die betreffenden Daten des Antragstellers aus den zu meldenden Daten herauszufiltern, so dass keinerlei Daten von ihm an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen gelangen. Die begehrte Sicherungsanordnung betrifft folglich ausschließlich den Datensatz des Antragstellers; die gesetzlich vorgesehene Übermittlung der Daten weiterer Versicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung wird hierdurch nicht berührt. Aufgrund dessen bestehen auch seitens des Senats keine Zweifel, dass die vom Antragsteller substantiiert geltend gemachten möglichen Grundrechtsverletzungen - insbesondere die Verletzungen seiner informellen Selbstbestimmung -  weitaus höher zu gewichten sind als die Folgen des vorübergehenden Ausschlusses der Übermittlung bzw. statistische Auswertung der den Antragsteller betreffenden Daten, welche wegen der seltenen schweren Erkrankung des Antragstellers besonders schutzwürdig sind. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass hierdurch das Ziel der Regelung des Datentransparenzverfahrens nach §§ 303a ff SGB V, Gesundheitsdaten der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Personen für Zwecke der medizinischen Forschung, der Planung, Analyse und Evaluation der Gesundheitsversorgung verfügbar zu machen, in relevantem Umfang vereitelt werden könnte. 

Auf das vorliegend allein noch streitgegenständliche Berichtsjahr 2019 sind die umfassenden Ausführungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main zur Folgenabwägung betreffend des Berichtsjahres 2021 ohne weiteres übertragbar. Allerdings ist das Sozialgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei, da die Übermittlung von Daten für 2019 gesetzlich nicht angeordnet und von der Antragsgegnerin nicht beabsichtigt sei. Auf Nachfrage des Senats hat die Antragsgegnerin hierzu mitgeteilt, dass sie sich aufgrund der Regelung des § 12 Abs. 3 Nr. 1 DaTraV verpflichtet sieht, auch die den Antragsteller betreffenden, vorhandenen Daten für das Berichtsjahr 2019 spätestens bis zum 1. Oktober 2022 zu übermitteln. Die weitergehende Nachfrage des Senats, ob und ggf. welche den Antragsteller betreffende Daten für das Berichtsjahr 2019 „vorhanden“ sind, deren Übermittlung spätestens bis zum 1. Oktober 2022 zu erfolgen hätte, wurde von der Antragsgegnerin nicht beantwortet. Aufgrund dessen kann dem Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung nicht abgesprochen werden. 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
Saved