I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2021 verurteilt, dem Kläger vom 01.10.2021 bis 28.02.2022 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
T a t b e s t a n d :
Der Rechtsstreit wird um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) geführt. Es ist zwischen den Beteiligten die Bewilligung von Arbeitslosengeld streitig.
Der Kläger erhielt im Zeitraum 01.04.2017 bis 22.04.2019 immer wieder Arbeitslosengeld von der Beklagten, bis er die volle Anspruchsdauer erschöpft hatte. Vom 15.10.2020 bis zum 30.09.2021 war er sodann befristet bei der Fa. E. beschäftigt. Ein erster befristeter Arbeitsvertrag wurde einmal verlängert, ein weiterer Arbeitsvertrag zweimal. Im Einzelnen waren die Befristungen wie folgt vereinbart:
1. Befristeter Arbeitsvertrag für die Zeit vom 15.10.2020 - 15.12.2020,
Verlängerung bis zum 15.01.2021
2. Befristeter Arbeitsvertrag für die Zeit vom 16.01.2021 - 12.02.2021,
Verlängerung bis zum 15.07.2021, weitere Verlängerung bis zum 30.09.2021
In dieser Zeit verdiente der Kläger insgesamt (einschließlich Sonderzahlung) 29.715,58 EUR brutto.
Mit Wirkung zum 01.10.2021 beantragte der Kläger nach Ablauf der Befristung erneut Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.11.2021 ab, weil der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2021 zurück. Der zuvor erworbene Leistungsanspruch sei bereits ausgeschöpft worden. Innerhalb der Rahmenfrist vom 01.04.2019 bis zum 30.09.2021 sei der Kläger - anstatt der erforderlichen 360 Kalendertage - nur 351 Tage versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass ein neuer Anspruch nicht entstanden sei.
Am 08.12.2021 hat der Kläger bei der Beklagten "Widerspruch" gegen den Widerspruchsbescheid eingelegt, den die Beklagte nach entsprechender Rückfrage beim Kläger als Klage an das Sozialgericht Nürnberg weitergeleitet hat. Er begehrt die Bewilligung von Arbeitslosengeld nach Ablehnung. Auf Grund seiner mehrfach befristeten Beschäftigungen sei die Anwartschaftszeit ausnahmsweise bereits nach sechs Monaten erfüllt. Seit dem 01.03.2022 sei er nicht mehr arbeitslos.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 09.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2021 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.10.2021 bis 28.02.2022 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Anwartschaftszeit von 360 Tagen nicht erfüllt sei. Eine Verkürzung auf sechs Monate komme nach der aktuellen internen Weisungslage nicht in Betracht, weil es sich bei der mehrfach befristeten Tätigkeit nicht um überwiegend kurze Beschäftigungsverhältnisse gehandelt habe. Die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 142 SGB III führen unter Nr. 142.2.2 Abs. 3 aus: "Dauert die ursprünglich befristete Beschäftigung tatsächlich länger als 14 Wochen, erfüllt sie nicht das Merkmal der kurzen Beschäftigung und ist im Vergleich der Beschäftigungen den längeren Beschäftigungen zuzuordnen." Der Kläger sei beim selben Arbeitgeber mehrfach nahtlos nacheinander befristet beschäftigt gewesen, deshalb sei dies als eine zusammenhängende, einheitliche längere Tätigkeit zu werten, was eine Verkürzung der Anwartschaftszeit ausschließe.
Die Leistungsakte der Beklagten ist beigezogen worden. Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird hierauf verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Bescheid vom 09.11.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2021, mit dem die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosengeld ab dem 01.10.2021 abgelehnt hat.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Die Klage ist begründet, weil der Kläger vom 01.10.2021 bis zum 28.02.2022 einen Arbeitslosengeldanspruch hat.
Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 137 Abs. 1 SGB III). Der Kläger war vom 01.10.2021 bis zum 28.02.2022 unstreitig arbeitslos. Er hat sich bei der Agentur für Arbeit auch arbeitslos gemeldet. Die Anwartschaftszeit ist, entgegen der Auffassung der Beklagten, ebenfalls erfüllt.
Grundsätzlich erfüllt die Anwartschaftszeit, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs. 1 SGB III). Für Arbeitslose, die diese Anwartschaftszeit nicht erfüllen sowie darlegen und nachweisen, dass
1. sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben, die auf nicht mehr als 14 Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet sind, und
2. das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt das 1,5fache der zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgeblichen Bezugsgröße nach § 18 Absatz 1 des Vierten Buches nicht übersteigt,
gilt gemäß § 142 Abs. 2 SGB III allerdings bis zum 31. Dezember 2022 hiervon abweichend, dass die Anwartschaftszeit nur sechs Monate beträgt.
Im Rahmen dieser Ausnahmevorschrift ist umstritten und - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht geklärt, wie mit der (ggf. mehrfachen) Verlängerung von befristeten Arbeitsverhältnissen bei demselben Arbeitgeber umzugehen ist.
Die Beklagte vertritt in ihren Fachlichen Weisungen vom 27.07.2022 zu § 142 SGB III unter Nr. 142.2.2 Abs. 3 die Auffassung, dass die verkürzte Anwartschaftszeit von sechs Monaten nur dann Anwendung finde, wenn die kurzen befristeten Beschäftigungen überwögen. Dauere die ursprünglich befristete Beschäftigung tatsächlich länger als 14 Wochen, erfülle sie nicht das Merkmal der kurzen Beschäftigung. Maßgeblich sei dann die Gesamtdauer der jeweils verlängerten Beschäftigung. Dieser Auffassung folgen zumindest das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 18.05.2018 - L 8 AL 3995/16 - juris Rn. 33 und Öndül in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 142 SGB III, Stand: 05.07.2022, Rn. 44.
Anderer Ansicht ist das LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 20.02.2020 - L 9 AL 6/18 - juris Rn. 38 f. Nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB III sei für die Erfüllung der verkürzten Anwartschaftszeit nicht entscheidend, ob die Beschäftigungsverhältnisse nach Verlängerung tatsächlich länger bestehen als zunächst vereinbart. Die tatsächlich zurückgelegten und die im Voraus vereinbarten Beschäftigungstage könnten auseinanderfallen. Allein der Umstand, dass die erneute Einstellung ohne zeitliche Unterbrechung beim gleichen Arbeitgeber erfolge, sei jedenfalls nicht geeignet, der jeweils befristeten Beschäftigung nachträglich den Charakter einer kurzen Beschäftigung im Sinne von § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III zu nehmen.
Die erkennende Kammer folgt der letztgenannten Ansicht und stellt bei der Beurteilung, ob es sich um eine längere oder um mehrere kurze, bis zu 14 Wochen befristete Beschäftigungen handelt, auf die jeweils im Voraus vereinbarten Befristungsabreden ab. Das Gesetz differenziert jedenfalls nach seinem Wortlaut gerade nicht danach, ob es sich um Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber oder bei unterschiedlichen Arbeitgebern handelt. Die Rede ist nur von "versicherungspflichtigen Beschäftigungen [...], die auf nicht mehr als 14 Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet sind". Auch gibt es in der streitentscheidenden Vorschrift keinen Hinweis darauf, dass es auf eine rückblickende Gesamtbetrachtung des gesamten Beschäftigungszeitraumes ankommen würde. Vielmehr soll nach dem Willen des Gesetzgebers darauf abgestellt werden, dass "im Voraus" eine arbeitsvertragliche Befristung vereinbart ist - also gerade eine Betrachtung aus der Sichtweise zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses.
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes war der Kläger, der die regelmäßige Anwartschaftszeit von 12 Monaten um gerade einmal neun Tage verfehlt, innerhalb der Rahmenfrist überwiegend befristet kurzzeitbeschäftigt.
Die Rahmenfrist beträgt 30 Monate und beginnt mit dem Tage vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 143 Abs. 1 SGB III). Der Kläger erfüllt die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen am 01.10.2021. Die Rahmenfrist umfasst daher die Zeit vom 01.04.2019 bis 30.09.2021. In dieser Zeit war er wie folgt beschäftigt:
15.10.2020 - 15.12.2020 (8 Wochen und 6 Tage)
16.12.2020 - 15.01.2021 (4 Wochen und 3 Tage)
16.01.2021 - 12.02.2021 (4 Wochen)
13.02.2021 - 15.07.2021 (21 Wochen und 6 Tage)
16.07.2021 - 30.09.2021 (11 Wochen)
Bis auf die Beschäftigung vom 13.02.2021 bis 15.07.2021 handelt es sich jeweils um kurze, auf nicht mehr als 14 Wochen befristete Beschäftigungen im Sinne des § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III. Die 21 Wochen und 6 Tage dauernde Befristung schließt eine Anwendung von § 142 Abs. 2 SGB III im vorliegenden Fall nicht aus. Das Merkmal "überwiegend" ist erfüllt, wenn die Arbeitnehmer mehr als die Hälfte ihrer Beschäftigungstage in der Rahmenfrist in kurzer befristeten Beschäftigung zurückgelegt haben, im Übrigen kann die Anwartschaftszeit von sechs Monaten auch durch Beschäftigungen erfüllt werden, die länger als 14 Wochen sind (vgl. Brand/Brand, 9. Aufl. 2021, SGB III § 142 Rn. 10 und BT-Drs. 16/13424, 34). Der Kläger war insgesamt 50 Wochen und einen Tag beschäftigt. Dabei entfällt deutlich mehr als die Hälfte der Zeit auf befristete Kurzbeschäftigungen.
Im Übrigen erfüllt der Kläger auch die Voraussetzungen von § 143 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III. Danach wird die Anwartschaftszeit nur dann auf sechs Monate verkürzt, wenn das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt das 1,5fache der zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgeblichen Bezugsgröße nach § 18 Absatz 1 SGB IV nicht übersteigt. Diese Bezugsgröße ist für das Jahr 2021 mit 39.480,00 EUR beziffert (vgl. Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung für 2021 vom 30.11.2020, BGBl. 2020, Teil I Nr. 57, S. 2612 f.), das 1,5-Fache wären somit 59.220,00 EUR. Der Kläger hat in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit nur 29.715,58 EUR und damit deutlich weniger als die 1,5-fache Bezugsgröße verdient.
Somit hätte die Beklagte die verkürzte Anwartschaftsfrist des § 142 Abs. 2 SGB III anwenden müssen. Der Kläger war in der Rahmenfrist unstreitig mehr als sechs Monate, nämlich 11 Monate und 16 Tage sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Er hat damit dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben. Wegen Beschäftigungsaufnahme endet dieser am 28.02.2022.
Im Ergebnis war die Klage somit erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrung statt.