L 10 U 3569/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3798/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3569/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Bestanden bei einem Versicherten bereits vor dem Arbeitsunfall gesundheitliche Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit in Gestalt von Vorschäden (hier: inkomplette Querschnittslähmung), ist bei der Bemessung der unfallbedingten MdE im Rahmen des Rentenanspruchs zunächst die bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bestandene individuelle Erwerbsfähigkeit mit 100 v.H. zu Grunde zu legen. Die durch den Unfall bedingte Einbuße dieser individuellen Erwerbsfähigkeit ist sodan in einem bestimmten Prozentsatz davon auszudrücken, wobei eine allein rechnerische Betrachtung unzulässig ist; entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall bestehenden funktionellen Wechselwirkungen zwischen Vorschaden und Unfallfolgen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 01.08.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

           

Gründe

I.


Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer höheren Verletztenrente, namentlich über das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Der 1963 geborene Kläger ist seit Anfang August 1979 inkomplett querschnittsgelähmt (unterhalb von L1/L2) und auf einen Rollstuhl angewiesen, nachdem er als Jugendlicher bei privater Betätigung von einem Baum gefallen war. Von Anfang September 1980 bis Mitte Februar 1984 erlernte er den Beruf eines Feinmechanikers und war ab Anfang Oktober 1984 (zunächst in Vollzeit, vgl. S. 282 VerwA) bei der Fa. Z GmbH (später: R GmbH) in S beschäftigt, wo er vor dem vorliegend angeschuldigten Ereignis zuletzt als Büromaschinenmechaniker (s. S. 45, 58 VerwA) im Bereich der Daten- und Kommunikationstechnik im Umfang von 3,25 Stunden täglich - bei gleichzeitigem Bezug einer Rente wegen Berufsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung (ab 01.12.1988, s. S. 286 VerwA) - an einem rollstuhlgerechten Bildschirmarbeitsplatz eingesetzt war (vgl. die Angaben im Gutachten des M vom 15.11.2011 im seinerzeitigen Erwerbsminderungsrentenverfahren, S. 300 ff. VerwA).

Ursprünglich hatte der Kläger geplant, vom 13.09.2013 bis Mai 2014 auf G eine Rollstuhlfahrerbasketballmannschaft der 1. Liga zu trainieren und von dort aus für seinen Arbeitgeber im „Home Office“ zu arbeiten. Am 12.09.2013 kam der Kläger mit seinem Pkw von der Arbeit und stellte diesen vor seiner Garage ab. Er stieg aus dem Fahrzeug aus und bewegte sich am Autodach festhaltend in Richtung Kofferraum, um dort an seine Tasche mit dem Garagenöffner zu gelangen (s. S. 58 VerwA). Regennässebedingt rutschte er dabei ab, kam aus dem Gleichgewicht und fiel auf die rechte Hüfte (vgl. S. 18 VerwA). Der W (Chefarzt des Zentrums für Traumatologie und Orthopädische Chirurgie des S1klinikums) beschrieb am selben Tag als Erstbefund Schmerzen im Bereich der rechten Leiste sowie Druckschmerzen über dem rechten Trochanter major bei annähernd schmerzbedingter Aufgehobenheit der Hüftbeweglichkeit rechts und diagnostizierte eine mediale Schenkelhalsfraktur rechts bei Zustand nach Beckenvenenthrombose im Jahr 2005 und entsprechender Marcumareinnahme (S. 1 VerwA).

In der Zeit vom 12.09. bis 21.09.2013 befand sich der Kläger sodann zur operativen Versorgung in stationärer Behandlung im Zentrum für Traumatologie und Orthopädische Chirurgie des S1klinikums, wo ein proximaler Femurnagel implantiert wurde. Ausweislich des ärztlichen Zwischenberichts vom 09.10.2013 war der intra- und postoperative Verlauf komplikationslos und der behandelnde S2 ging von einer MdE um 10 v.H. aus (s. S. 62 VerwA). Bei der Nachuntersuchung am 26.11.2013 war der lokale sowie röntgenologische Befund unauffällig und der Kläger beklagte keine Schmerzen, gab aber an, noch nicht wieder in der Lage zu sein, wie früher Auto zu fahren und dass er in den bisherigen maßgefertigten Rollstuhl nicht mehr ganz exakt hineinpasse. Er arbeite im Übrigen derzeit bei der Fa. Z vom „Home Office“ aus (vgl. S. 74 f. VerwA).

Auf entsprechende Nachfrage der Beklagten teilte S2 Mitte Januar 2014 mit, dass der Kläger seit Ende November 2013 nicht mehr in der Sprechstunde gewesen sei und dass er (S2) mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehe, dass der Kläger wieder eigenständig Auto fahren könne. Mit Schreiben vom 03.02.2014 gab der Kläger an, dass er nicht wieder Auto fahre, er müsse sich wohl nach einem anderen Pkw umschauen, da sein V zu hoch sei.

Ab dem 20.01.2014 erhielt der Kläger Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe 1.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei dem F ein (S. 119 VerwA), der auf der Grundlage der postoperativen Röntgenaufnahmen im Bereich des Beckens rechts einen leicht abgekippten Kopf und eine leicht rückläufige Klinge des proximalen Femurnagels (PFN) beschrieb. Eine Metallentfernung (ME) sei in ein paar Monaten sinnvoll, da die PFN-Klinge im engen Rollstuhl sicher störe. Die geklagten Beschwerden beim Autofahren seien medizinisch nachvollziehbar und er sehe eine MdE „als GV“ (gemeint: Grundvoraussetzung) für fünf Monate als gegeben an, da der Kläger in seiner Sitzfähigkeit relevant eingeschränkt sei.

In seinem Zwischenbericht über die ambulante Vorstellung des Klägers am 28.05.2014 beschrieb W (S. 124 f. VerwA) klinisch eine insgesamt knöchern konsolidierte Fraktur bei reizloser PFN-Lage mit nur endgradig eingeschränkter Extension und Flexion des rechten Hüftgelenks, indes bei deutlicher Innenrotationsfehlstellung (bildgebend: Delta im Varussinne von 24° sowie Rotationsdelta von ca. 35° rechts gegenüber links), sodass die Sitzposition im Rollstuhl entsprechend beeinträchtigt sei. Der Kläger beklagte namentlich Schmerzen v.a. beim Strecken des Beins und beim Versuch der endgradigen Rotation.

Vom 10.06. bis 16.06.2014 war der Kläger zur Metallentfernung des proximalen Femurnagels mit korrigierender, valganisierender und erodierender proximaler Femurosteotomie sowie Plattenosteosynthese der proximalen Femur erneut in stationärer Behandlung im S1klinikum. Der postoperative Verlauf verlief komplikationslos, Auffälligkeiten zeigten sich nicht (s. Zwischenbericht vom 16.06.2014, S. 129 f. VerwA). Im ärztlichen Nachschaubericht vom 17.07.2014 (S. 146 VerwA) wurde ausgeführt, der Kläger klage, dass das früher rechts im Vergleich zu links besser bewegliche Bein nun in der Beweglichkeit stärker eingeschränkt sei. In der klinischen Untersuchung ließ sich indes eine Anspannung der Oberschenkelmuskulatur nachweisen, sodass die Ärzte davon ausgingen, dass die geklagte Bewegungseinschränkung am ehesten als schmerzbedingt zu werten sei.

Am 22.07.2014 nahm der Kläger seine Arbeit - zunächst von zu Hause, dann auch im Betrieb - wieder auf (s. S. 182 VerwA). Im Zwischenbericht vom 31.10.2014 (S. 181 f. VerwA) beschrieb S2 eine zwischenzeitlich deutlich gebesserte Situation. Der Kläger sei u.a. wieder in der Lage, sich mit einem Dreiradmotorrad fortzubewegen und er komme auch im Rollstuhl wieder besser zurecht. Die Gesamtfunktion, auch der Oberkörpermuskulatur, habe sich deutlich gebessert und im Sitzen seien die Beeinträchtigungen im täglichen Lebens- und Arbeitsablaufs kaum mehr vorhanden. Lediglich im Liegen gelinge es noch nicht, das rechte Bein ganz flach auszustrecken. Eine MdE um 20 v.H. wäre „im Prinzip“ gegeben.

Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte sodann am 18.12.2014 eine Begutachtung des Klägers im Zentrum für Traumatologie und Orthopädische Chirurgie des S1klinikums. Der Facharzt für Chirurgie S3 nannte im Gutachten vom 08.03./ 21.04.2015 (S. 211 ff. VerwA) als unfallbedingte Gesundheitsstörungen eine pertrochantäre Femurfraktur rechts mit nachfolgender Abheilung in Fehlrotation, eine Abheilung in einer Coxa vara von -25° rechts zu links nach intertrochantärer Korrekturosteotomie, eine Beinlängenverkürzung rechts um 2 cm zu links, eine erhebliche Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks (vgl. S. 229 VerwA: Streckung/Beugung rechts 0-20-75°, links 0-0-120°; Abspreizen/Anführen rechts 40-0-30°, links 40-0-40°; Drehung auswärts/einwärts rechts 10-0-30°, links 30-0-45°) sowie eine erheblich eingeschränkte Belastbarkeit des rechten Beins. Unfallunabhängig bestehe ein links betonter, inkompletter Querschnitt L2/L3 bei Zustand nach Sturzverletzung 1979, ein Zustand nach metastasierendem Hoden-Karzinom mit mehrfacher operativer und chemotherapeutischer Behandlung 2005, ein Zustand nach Beckenvenenthrombose links (Oktober 2005) mit anschließender Marcumarisierung bis Oktober 2013 sowie ein Zustand nach Appendektomie bzw. Leistenhernien-OP rechts jeweils im Kindesalter. Er schätzte die MdE aus unfallchirurgischer Sicht auf 30 v.H. und empfahl eine neurologische Zusatzbegutachtung zur Beurteilung der pathologischen Muskelspannung bzw. reflektorisch erfolgenden Beugung im rechten Hüftgelenk bei Berührung des rechten Oberschenkels respektive bei Stauchung/Belastung des rechten Femur.

In seinem Zwischenbericht vom 11.06.2015 (S. 232 f. VerwA) führte W aus, dass der Kläger nach eigener Angabe nunmehr deutlich besser zurechtkomme, es ihm aber - im Gegensatz zu früher - noch nicht gelinge, das (rechte) Bein zum Anziehen von Schuhwerk vollständig an den Thorax zu führen; auch sei er nicht mehr in der Lage, allein seinen Rollstuhl aus dem Auto zu holen, weil dabei ein Stabilitätsverlust im rechten Kniegelenk auftrete. Die Ursache der geklagten Beschwerden liege nach seiner (W) Einschätzung eindeutig in einer Irritation des Tractus iliotibialis der Fascia lata durch die Osteotomieplatte, eine andere Ursache für die Beschwerden sei nicht festzustellen. Er empfehle daher eine Metallentfernung.

Seit Oktober 2015 bezieht der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. Bl. 414 VerwA). Eine Beschäftigung nahm er seither nicht mehr auf.

B Uklinik T) beschrieb beim Kläger am 12.11.2015 (S. 351 ff. VerwA) eine fortbestehende erhebliche Fehlstellung des Femurs mit Verkürzung und Varusfehlstellung bei Streckdefizit des rechten Hüftgelenks von etwa 20° und deutlich eingeschränkter Beugestellung. Der Kläger gleiche die knöchernen Veränderungen am Femur durch eine entsprechende Beckenkippung aus, was sich auf die Wirbelsäule auswirke und zu einer Beeinträchtigung der Sitzzeit führe. Prinzipiell sei er auch in der jetzigen Situation arbeitsfähig, müsse sich indes im Verlauf des Arbeitstages entsprechend entlasten und seine Sitzposition wechseln können.

Am 01.12.2015 wurde sodann beim Kläger eine Metallentfernung der 4-Lochwinkelplatte durchgeführt. Die Operation verlief komplikationslos (vgl. S. 369 VerwA). B ging am 17.12.2015 davon aus, dass eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit vom Erfolg einer Arbeitsplatzanpassung abhängig sei.

Mit Bescheid vom 06.09.2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.09.2013 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v.H. beginnend ab dem 05.10.2013. Zur Begründung führte sie aus, dass der Unfall zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit des rechten Beins mit deutlicher Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte und Minderung der rechten Oberschenkelmuskulatur nach operativ versorgtem, in Verkürzung und deutlicher Fehlstellung knöchern verheiltem Bruch des Oberschenkelhalsknochens geführt habe. Unfallunabhängig bestehe ein Zustand nach inkompletter Querschnittslähmung unterhalb L1/L2 (nach privatem Unfall 1979) sowie ein Zustand nach Beckenvenenthrombose und Leistenhernien-Operation rechts. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch vom 04.10.2016 machte der Kläger geltend, dass seine MdE deutlich mehr als 20 v.H. betrage. Er könne seit dem Unfall nicht einmal mehr selbstständig seine Socken und Schuhe anziehen und auch nicht mehr um sein Auto gehen bzw. mit Krücken laufen. Dinge aufheben gelinge ihm nur noch über die linke Seite respektive mit einem Hilfsgreifer. Er habe zudem Probleme, ohne Schmerzen zu sitzen oder zu liegen und sei nicht mehr in der Lage, am Arbeitsleben teilzunehmen, weil er nicht lange sitzen könne.

Mit Bescheid vom 18.10.2016 stellte die Beklagte nach Anhörung des Klägers die Zahlung des seit dem 29.07.2015 geleisteten Verletztengelds mit Ablauf des 13.12.2016 ein. Mit Schreiben vom 24.10.2016 übernahm die Beklagte die Kosten für den Einbau einer Lift-Rollstuhlrampe für das (neue) Kfz des Klägers. Sodann wies sie den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 06.09.2016 mit Widerspruchsbescheid vom 03.11.2016 als unbegründet zurück. Eine höhere MdE könne nicht angenommen werden, wobei die geltend gemachten konkreten Auswirkungen im ausgeübten Beruf oder bei der Freizeitgestaltung ohnehin nicht maßgeblich seien.

Hiergegen hat der Kläger am 28.11.2016 beim Sozialgericht Ulm (SG) mit dem Begehren Klage erhoben, ihm eine höhere Verletztenrente, nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. zu gewähren. Er hat sich dabei auf die Einschätzung in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten berufen.

Mit Urteil vom 01.08.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter Darlegung der namentlich von W bzw. S3 und B mitgeteilten Befunde und der unfallmedizinischen Literatur im Einzelnen dargelegt, dass und warum sich eine höhere MdE als 20 v.H. nicht begründen lasse, nachdem der Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall auf Grund der vorbestehenden inkompletten Querschnittslähmung mit mäßig bis ausgeprägter Teillähmung der Beine und Störung der Darm- und Blasenentleerung erheblich in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei (Hinweis auf das Gutachten des M). Der MdE-Einschätzung in dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten könne schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sie nicht begründet worden sei.

Gegen das - seinen Prozessbevollmächtigten am 14.08.2017 zugestellte - Urteil hat der Kläger am 11.09.2017 Berufung eingelegt. Er hat im Wesentlich geltend gemacht, dass die MdE beim ihm vor dem angeschuldigten Ereignis mit höchstens 50 v.H. einzuschätzen gewesen sei. Die MdE nach dem Unfall betrage 100 v.H., denn allein auf Grund der unvollständigen Lendenmarkschädigung mit ausgeprägter Teillähmung beider Beine sowie Blasen- und Mastdarmentleerungsstörung sei eine MdE von 80 v.H. festzustellen. Dies ergebe sich aus den Ausführungen des B. Hinzukomme - auch dies sei den Ausführungen des B zu entnehmen und auch S3 habe dies bestätigt -, dass er längstens für eine Stunde im Rollstuhl sitzen könne und erhebliche Bewegungsbeeinträchtigungen bestünden. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Beklagte nur von einer „90-prozentigen Erwerbsunfähigkeit“ ausgehe, nachdem er von der Rentenversicherung Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, diese also eine „100-prozentige Erwerbsunfähigkeit“ annehme. S3 hätte dazu befragt werden müssen, wie er zu einer MdE von 30 v.H. gelangt sei und das von ihm empfohlene neurologische Zusatzgutachten hätte eingeholt werden müssen.

Der Kläger beantragt (teilweise sachdienlich gefasst, vgl. Bl. 17, 25 f. Senats-Akte),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 01.08.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 06.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2016 zu verurteilen, ihm die Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren,

hilfsweise von Amts wegen ein fachärztliches Gutachten im Fachbereich der Orthopädie und Chirurgie mit Schwerpunkt Wirbelsäule, Hüfte und Oberschenkelhals einzuholen, zum Beweis der Tatsache, dass beim Kläger auf Grund der durch den Arbeitsunfall vom 12.09.2013 eingetretenen Erkrankungen und Leiden in Form von pertrochantärer Fermurfraktur rechts mit nachfolgender Abheilung in Fehlrotation, von Abheilung in einer Coxa vara von -25° rechts zu links nach intertrochantärer Korrekturosteotomie, von erheblicher Einschränkung der Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit des rechten Beins (auch im Sitzen), einer Beinlängenverkürzung des rechten Beins um 2 cm, erheblicher Bewegungseinschränkungen des rechten Hüftgelenks (auch im Sitzen), Minderung der Oberschenkelmuskulatur nach operativ versorgtem, in Verkürzung und deutlicher Fehlstellung knöchern verheiltem Bruch des Oberschenkelhalsknochens, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 30 v.H. vorliegt,

hilfsweise von Amts wegen ein neurologisches Zusatzgutachten einzuholen, zum Beweis der Tatsache, dass beim Kläger auf Grund der durch den Arbeitsunfall vom 12.09.2013 eingetretenen Erkrankungen und Leiden in Form von pertrochantärer Fermurfraktur rechts mit nachfolgender Abheilung in Fehlrotation, von Abheilung in einer Coxa vara von -25° rechts zu links nach intertrochantärer Korrekturosteotomie, von erheblicher Einschränkung der Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit des rechten Beins (auch im Sitzen), einer Beinlängenverkürzung des rechten Beins um 2 cm, erheblicher Bewegungseinschränkungen des rechten Hüftgelenks (auch im Sitzen), Minderung der Oberschenkelmuskulatur nach operativ versorgtem, in Verkürzung und deutliche Fehlstellung knöchern verheiltem Bruch des Oberschenkelhalsknochens, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 06.09.2016 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2016, dies indes nur insoweit, wie die Beklagte damit dem Kläger für die Zeit ab dem 05.10.2013 Rente auf unbestimmte Zeit nur nach einer MdE um 20 v.H. statt nach einer MdE um wenigstens 30 v.H. bewilligte. Der Senat hat somit nur darüber zu entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe unter Abänderung der angefochtenen Bescheide und Aufhebung des Urteils des SG eine höhere Verletztenrente (nach einer höheren MdE) zu gewähren ist.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 06.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.11.2016 ist - soweit angefochten (s.o.) - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf eine höhere Rente.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert - was beim Kläger nicht der Fall ist - und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII), wobei Folgen eines Versicherungsfalls nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R, in juris): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Indes können die MdE-Erfahrungswerte („Regelsätze“) namentlich dann nicht ohne weiteres zu Grunde gelegt werden, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten bereits vor dem Versicherungsfall gemindert gewesen ist (sog. Vorschaden). Denn neben den auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind auch die aus der gesetzlichen Definition der MdE sowie den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten (BSG, Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 25/05 R, in juris, m.w.N., auch zum Nachfolgenden). Bestanden bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bereits gesundheitliche - auch altersbedingte - Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit in Gestalt von Vorschäden, werden diese nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der einhelligen Auffassung in der Literatur (s. die w.N. bei BSG, a.a.O.; Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, § 56 Rdnr. 42, Stand Mai 2018; Ricke in KassKomm, § 56 SGB VII Rdnrn. 20 f., Stand März 2017; Scholz in jurisPK-SGB VII, § 56 Rdnr. 51, Stand Januar 2022) für die Bemessung der MdE berücksichtigt, wenn die Folgen des Versicherungsfalls durch die Vorschäden beeinflusst werden. Denn Versicherte unterliegen mit ihrem individuellen Gesundheitszustand vor Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies verlangt § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach die „infolge“ des Versicherungsfalls eingetretene Beeinträchtigung des Leistungsvermögens und die dadurch verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens maßgeblich sind.

Typischerweise ist eine derartige Beeinflussung anzunehmen (BSG, a.a.O.), wenn durch zwei Schäden bzw. Erkrankungen dasselbe Organ oder dieselbe Körperfunktion betroffen ist, was insbesondere bei paarigen Organen anzunehmen ist. Hatte ein Versicherter z.B. sein linkes Auge vor dem Versicherungsfall verloren und verliert er durch den Versicherungsfall auch noch das rechte Auge, sind die Auswirkungen des Versicherungsfalls auf die Erwerbsfähigkeit erheblich schwerwiegender als in dem Fall, in welchem ein gesunder Versicherter durch den Versicherungsfall (nur) ein Auge verliert. Auch wenn ein bestimmtes Organ, z.B. die Lunge, durch eine Tuberkulose vorgeschädigt ist und die Berufskrankheit (BK) der Silikose hinzutritt, kann die Lungenfunktion insgesamt schwerer betroffen sein als bei einem bis auf die Silikose lungengesunden Versicherten. Unter Umständen kann die Folge einer BK oder eines Arbeitsunfalls für die MdE beim Zusammentreffen mit einem Vorschaden aber auch weniger gewichtig sein, z.B. wenn ein durch einen Privatunfall Fußamputierter durch einen Arbeitsunfall den Unterschenkel verliert, oder der Betroffene kann sogar bessergestellt sein als vor dem Arbeitsunfall (BSG, a.a.O., m.w.N.; s. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 135). Indes ist die Berücksichtigung von Vorschäden keineswegs auf die Schädigung paariger Organe oder die Betroffenheit desselben Organs oder derselben Körperfunktion beschränkt. Auch andere Vorschäden, die die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen, können im Sinne einer Beeinflussung Auswirkungen auf die durch den Versicherungsfall selbst hervorgerufene Einschränkung der Leistungsfähigkeit haben (BSG, a.a.O.).

Für die Bemessung der MdE bei Vorschäden ist dabei die bei dem Verletzten vor dem Versicherungsfall bestandene Erwerbsfähigkeit zu Grunde zu legen und - auch und gerade in Ansehung eines vor Eintritt des Unfalls vorhandenen Vorschadens (BSG, Urteil vom 23.02.1983, 2 RU 25/82, in juris) - mit 100 v.H. (auch wenn die Erwerbsfähigkeit vor Eintritt des Unfalls bereits durch andere Gesundheitsstörungen gemindert war, s. nur BSG, a.a.O.; Kranig in Hauck/Noftz, a.a.O.) einzusetzen (BSG, Urteil vom 05.09.2006, a.a.O.). Die durch den Versicherungsfall bedingte Einbuße dieser individuellen Erwerbsfähigkeit ist in einem bestimmten Prozentsatz davon auszudrücken (BSG, a.a.O., m.w.N.), wobei eine allein rechnerische Betrachtung unzulässig ist (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 29.04.1964, 2 RU 155/62, in juris; Ricke in KassKomm, a.a.O.). Entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall bestehenden funktionellen Wechselwirkungen zwischen Vorschaden und Unfallfolgen (Ricke in KassKomm, a.a.O., m.w.N.).

Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sind die durch die Unfallfolgen bedingten Funktionseinschränkungen im Bereich der rechten unteren Extremität (einschließlich Hüftgelenk) des Klägers unter Berücksichtigung der funktionellen Vorschäden auch zur Überzeugung des Senats mit einer MdE um jedenfalls nicht mehr als 20 v.H. zu bemessen.

Als Vorschäden liegen beim Kläger im Wesentlichen eine inkomplette Querschnittslähmung unterhalb von L1/L2 mit Rollstuhlpflichtigkeit (seit Anfang August 1979), eine Blasenentleerungsstörung mit Selbstkatheterisierung, eine Störung der Darmentleerung mit (massiven, so die Angaben des Klägers gegenüber M, s. S. 300, 310 VerwA) Durchfällen - nach infektbedingter Antibiotikabehandlung im Frühjahr 2011 dadurch deutlich verstärkt (s. S. 310 VerwA) -, ein Zustand nach 4-Etagen-Beinvenenthrombose links (2005) mit Dauerantikoagulation und Kompressionsstrumpfpflichtigkeit, ein Zustand nach stattgehabter Beseitigung eines bösartigen Hodentumors links mit Metastasen (2005) und Chemotherapie, die namentlich zu einer Einschränkung des Lungenvolumens führte, sowie ein Zustand nach Appendektomie bzw. Leistenhernien-OP rechts im Kindesalter vor. Dies stützt der Senat auf das urkundbeweislich verwertbare Gutachten des M vom 15.11.2011. Aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des S3 (ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertbar) ergibt sich nichts Abweichendes.

Auf Grund dessen war der Kläger bereits vor dem Unfall in seiner individuellen Erwerbsfähigkeit - die entsprechend den obigen Ausführungen mit 100 v.H. in Ansatz zu bringen ist - erheblich gemindert, ohne dass er allerdings dauernd völlig erwerbsunfähig war. M beschrieb in seinem Gutachten zeitlich vor dem Unfall (u.a.) eine weitere Verminderung der - durch die Querschnittslähmung mit Rollstuhlpflichtigkeit ohnehin reduzierten - Leistungsfähigkeit durch die im Jahr 2005 (s.o.) aufgetretenen Erkrankungen bzw. deren Therapiefolgen (insbesondere: vermindertes Lungenvolumen, Hilfebedarf beim An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe, s. S 303 VerwA) sowie durch die eingreifende antibiotische Behandlung im Jahr 2011 (insbesondere: heftige Durchfallsymptomatik mit Bauchschmerzen im Abstand von ein bis zwei Wochen, sodass der Kläger mitunter drei Stunden auf der Toilette verbringen muss, s. S. 303, 310 VerwA). Büroarbeiten im Sitzen an einem leidensgerechten Arbeitsplatz erachtete der Gutachter aber noch in einem zeitlichen Umfang von drei bis vier Stunden täglich für möglich, wobei der Kläger selbst eine Reduzierung seiner damaligen Arbeitszeit von 3,25 Stunden täglich ins Auge fasste, damit die Pausen wegen des Durchfalls nicht „so sehr ins Gewicht fallen“ (s. S. 312 VerwA).

Bei dem vorliegend in Rede stehenden Arbeitsunfall vom 12.09.2013 zog sich der Kläger die von S3 im Gutachten vom 08.03./21.04.2015 beschriebenen (orthopädisch-chirurgischen) Gesundheitsstörungen - insoweit wird auf die entsprechende Darstellung oben im Tatbestand Bezug genommen - mit entsprechenden Funktionsdefiziten zu und auch B ging in seiner (urkundbeweislich verwertbaren) Stellungnahme vom 12.11.2015 von nichts wesentlich Anderem aus. Demgemäß legte auch die Beklagte ihrer Rentenbewilligung im Bescheid vom 06.09.2016 eine unfallbedingte Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit des rechten Beins mit deutlicher Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte und Minderung der rechten Oberschenkelmuskulatur nach operativ versorgtem, in Verkürzung und deutlicher Fehlstellung knöchern verheiltem Bruch des Oberschenkelhalsknochens zu Grunde.

Dass das Unfallereignis darüber hinaus beim Kläger zu neurologischen Gesundheitsstörungen respektive entsprechenden Funktionsdefiziten geführt hat, ist nicht nachgewiesen. Unabhängig davon, dass die Klägerseite Entsprechendes nicht konkret dargetan hat, fehlen insoweit bereits jegliche Anknüpfungstatsachen. Soweit sich die Klägerseite (einzig) auf die Empfehlung des S3 im Gutachten vom 08.03./21.04.2015 zur Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens berufen hat, übersieht sie, dass dieser Empfehlung durch den - dem Gutachten zeitlich nachgegangenen - Zwischenbericht des W vom 11.06.2015 die Grundlage entzogen war. Denn dieser erachtete nach erneuter Untersuchung als alleinige Ursache der vom Kläger beschriebenen Beschwerden (nur noch) eine Irritation des Tractus iliotibialis der Fascia lata durch die Osteotomieplatte als gegeben, empfahl deshalb eine entsprechende Metallentfernung, die dann beim Kläger auch erfolgreich durchgeführt wurde. Irgendwelche Anomalien von neurologischer Seite beschrieb denn auch B nicht, und zwar weder vor (Stellungnahme vom 12.11.2015) noch nach der Metallentfernung (Zwischenbericht vom 18.12.2015, S. 378 ff. VerwA).

Ausgehend davon und unter Darstellung des namentlich von S3 erhobenen klinischen Befunds hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils unter Zugrundelegung des unfallmedizinischen Schrifttums - auch der erkennende Senat legt in ständiger Rechtsprechung bei der Bemessung der MdE regelmäßig das Standardwerk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., zu Grunde - zutreffend dargelegt und begründet (s. S. 8 f. UA), dass und warum die unfallbedingten Funktionsdefizite beim Kläger im Bereich der unteren rechten Extremität (einschließlich Hüftgelenk) jedenfalls keine höhere (regelhafte) MdE als 20 v.H. bedingen. Der Senat nimmt darauf zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug und schließt sich dem an (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Das Unfallereignis hat in Ansehung der aktenkundigen klinischen Befunde, insbesondere der von S3 mitgeteilten Funktionsparameter, weder zu einer Versteifung eines Hüftgelenks in Funktionsstellung (s. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 621), noch zu einer Bewegungseinschränkung eines Hüftgelenks von (Streckung/Beugung) mehr als 0-30-90° (s. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.), noch zu einer Beinverkürzung um mehr als 4 cm (s. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 714) und erst recht nicht zu einer Bewegungseinschränkung um die Hälfte mit deutlicher Verschmälerung des Gelenkspalts und Randschwulstbildungen am Oberschenkelkopf (s. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 625) geführt, was ggf. eine höhere MdE rechtfertigen würde. Von einer MdE um 20 v.H. sind der Sache nach auch F (dessen beratungsärztliche Stellungnahme als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar ist) und zuletzt auch S2 (Zwischenbericht vom 31.10.2014, urkundbeweislich verwertbar) ausgegangen

Eine Erhöhung des (regelhaften) MdE-Satzes von 20 v.H. kommt vorliegend auch und gerade auf Grund besonderer Umstände in Gestalt der oben beschriebenen Vorschäden nicht in Betracht, weil sich die Unfallfolgen in Ansehung dieser Vorschäden nicht anders auswirken als im Normalfall. Wie bereits oben dargelegt, war der Kläger schon vor dem Unfall in seiner individuellen Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt und zwar insbesondere im Bereich der beiden unteren Extremitäten. Er konnte nur zeitweise körperlich leichte, rollstuhlgerechte Bürotätigkeiten im Sitzen ausüben und hatte bereits vor dem Unfall einen erhöhten Pausenbedarf. Andererseits beschrieb S2 noch in seinem Zwischenbericht vom 31.10.2014 eine deutliche Besserung und im Sitzen kaum mehr vorhandene Beeinträchtigungen und B ging sowohl vor als auch nach der Metallentfernung Anfang Dezember 2015 von einer fortbestehenden Arbeitsfähigkeit an einem leidensgerechten Arbeitsplatz und mit der Möglichkeit eines Sitzpositionswechsels (zur Vermeidung lagerungsbedingter Schmerzen) aus. Auch im Gutachten des MDK für die Pflegeversicherung von März 2015 (S. 504 ff. VerwA, ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertbar) wurde (u.a.) beschrieben, dass der Kläger mit dem Rollstuhl selbstständig fahren, seine Sitzposition verändern und sich positionieren bzw. stündlich umsetzen kann, dass er in der Lage ist, sich im Sitzen zu bücken und seine Unterschenkel zu erreichen und dass ihm der Faust- und Pinzettengriff sowie die Armhebung uneingeschränkt gelingt.

Dass der Kläger bereits vor dem Unfall gesundheitlich in seiner Lebensführung erheblich beeinträchtigt war, steht außer Frage. Die in Folge des Unfalls verbliebenen und verstärkten Einschränkungen in der Lebensführung (insbesondere: kein selbstständiges Anziehen von Schuhen und Strümpfen mehr, kein selbstständiges Ein- und Ausladen des Rollstuhls aus seinem damals vorhandenen Pkw und kein Gehen/Stehen mehr, Schmerzen nach längerem Sitzen, vgl. im Einzelnen die entsprechenden Ausführungen im MDK-Gutachten; kein Training mehr der Basketballrollstuhlmannschaft) rechtfertigen indes - darauf hat bereits das SG zutreffend hingewiesen, worauf Bezug genommen wird - keine Erhöhung der MdE von 20 v.H., weil es nach den unfallversicherungsrechtlichen Maßstäben allein auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens - und nicht auf die private Lebensführung und auch nicht auf den zuletzt konkret innegehabten Arbeitsplatz - ankommt (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), und zwar vorliegend unter Berücksichtigung der Vorschäden. Die Arbeitsmöglichkeiten des Klägers waren - wie schon dargelegt - bereits vor dem Unfall insbesondere wegen der Querschnittslähmung erheblich vermindert und die infolge des Versicherungsfalls eingetretenen Gesundheitsschäden an der rechten unteren Extremität wirken sich gerade in Ansehung der Vorschäden nicht stärker auf die Erwerbsfähigkeit aus als im Regelfall. Der Unfall hat mithin - bezogen auf die Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens - qualitativ nicht dergestalt etwas verändert, dass eine höhere MdE als 20 v.H. gerechtfertigt wäre.

Soweit der Kläger gemeint hat, seine MdE habe vor dem Unfall „höchstens 50%“ betragen, verkennt er die oben dargestellten rechtlichen Maßstäbe. Nämliches gilt, soweit er gemeint hat, seine MdE nach dem Unfall sei mit „100%“ zu bemessen. Eine irgendwie geartete „Aufaddition“ der Vorschäden mit den unfallbedingten Folgen kommt gerade nicht in Betracht. Nur am Rande merkt der Senat insoweit noch an, dass nicht einmal S3 eine MdE von mehr als 30 v.H. angenommen hat und dass sich Derartiges auch weder aus seinem Gutachten noch aus den Berichten des W und des B auch nur ansatzweise ableiten lässt. Im Gegenteil, wie bereits dargelegt hat B nach Durchführung der letzten Metallentfernung eine noch bestehende Arbeitsfähigkeit beschrieben, die ganz wesentlich derjenigen vor dem Unfall entspricht (leichte Bürotätigkeiten im Sitzen an einem rollstuhlgerechten Arbeitsplatz mit Möglichkeit des Wechsels der Sitzposition, um lagerungsbedingte Schmerzen zu vermeiden).

Der Hinweis der Klägerseite auf die bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung geht bereits deshalb fehl, weil sich die Voraussetzungen für die Gewährung einer derartigen Rente von den Voraussetzungen einer Verletztenrente nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundlegend unterscheiden. Rente wegen voller Erwerbsminderung ist dann zu leisten, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -), wobei es auf die Ursachen nicht ankommt. Demgegenüber ist vorliegend entscheidend, zu welcher MdE der Arbeitsunfall geführt hat und ob diese (Regel-)MdE in Ansehung einer vorschadensbedingten individuellen Erwerbsfähigkeit bezogen auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu erhöhen ist. Nur am Rand merkt der Senat an, dass eine MdE um 100 v.H. beispielsweise dann nicht in Betracht kommt, wenn der Versicherte nach seinem beruflichen Werdegang wie auch nach seinen gesundheitlichen Kräften noch einfache Schreib- und Büroarbeiten an mehreren Tagen in der Woche einige Stunden lang zumindest in Heimarbeit gewinnbringend ausführen kann (vgl. BSG, Urteil vom 27.04.1973, 5 RKnU 27/71, in juris).

Schließlich rechtfertigt auch die Einschätzung des S3, die MdE betrage 30 v.H., keine andere Beurteilung, denn er hat seine diesbezügliche Einschätzung schon nicht begründet, geschweige denn eine Abgrenzung der Unfallfolgen von den vielfältigen Vorschäden auch nur in Erwägung gezogen. Dass nach den unfallmedizinischen (Regel-) Erfahrungswerten die Unfallfolgen allenfalls mit einer MdE von 20 v.H. bewertet werden können, ist oben dargelegt worden, davon sind richtigerweise auch F und S2 ausgegangen. Dass und warum aus Rechtsgründen eine Erhöhung dieser MdE auf der Grundlage der aktenkundigen - auch und gerade im Gutachten von S3 - beschriebenen Befunde nicht in Betracht kommt, ist ebenfalls bereits oben ausgeführt worden.

Abschließend sieht der Senat auch eine besondere berufliche Betroffenheit (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII) im Hinblick auf die strengen Voraussetzungen, die das BSG (s. dazu nur Ricke in KassKomm, a.a.O., Rdnrn. 28 ff. m.w.N. zur Rspr., Stand März 2017) hieran stellt, nicht als gegeben, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Vorschäden.

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt. Die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere auch das Gutachten des M und das auf Veranlassung der Beklagten erstattete Gutachten des S3, haben dem Senat die notwendigen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt. Insbesondere im zuletzt genannten Gutachten sind die unfallbedingten Gesundheitsstörungen und funktionellen Beeinträchtigungen beschrieben, ebenso wie in den Befundberichten des W und B. Da nach den allgemeinen Erfahrungssätzen in Verbindung mit den maßgeblichen rechtlichen Erwägungen eine Bewertung mit einer MdE von mehr als 20 v.H. beim Kläger nicht in Betracht kommt (s.o.), lehnt der Senat die (Hilfs-)Beweisanträge des Klägers ab. Ein Sachverständigengutachten könnte, nachdem der Kläger selbst - was seinen Anträgen zu entnehmen ist - die auch und gerade vom Senat zu seinen Gunsten zu Grunde gelegten Gesundheitsstörungen mit entsprechenden Funktionsdefiziten (s.o.) als zutreffend betrachtet, zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen, eben weil der Senat diese zu Grunde gelegt hat und den beschriebenen Erfahrungssätzen gefolgt ist (vgl. dazu schon Senatsurteil vom 14.07.2011, L 10 U 1446/09). Die Frage der Bewertung der MdE ist ohnehin nicht vorrangig Aufgabe eines Sachverständigen, sondern richterliche Tätigkeit im Rahmen der Beweiswürdigung, wie sich aus den eingangs dargelegten Grundsätzen ergibt (s. dazu auch bereits BSG, Beschluss vom 11.09.1991, 9a BV 16/91, in juris). Neue Gesichtspunkte, die dem Senat Anlass gegeben hätten, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen, hat die Klägerseite nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich, zumal der Kläger auch eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustands nicht einmal behauptet hat. Ungeachtet dessen kommt die Einholung eines neurologischen Gutachtens schon mangels entsprechender Anknüpfungstatsachen - insoweit wird auf die obigen Darlegungen verwiesen - als unzulässiger Ausforschungsbeweis nicht in Betracht. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss der Senat nicht ins Blaue hinein ermitteln (BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.




 

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