L 1 BA 75/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 17 R 184/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 BA 75/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 BA 7/22 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 2. September 2021 wird zurückgewiesen.

II.    Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III.    Die Revision wird zugelassen.

IV.    Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens über das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses der Beigeladenen bezüglicher deren Tätigkeit als Ärztin.

Die Beigeladene ist Ärztin und war an zwei Tagen, dem 11.10.2015 und 24.10.2015, für die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE) als Ärztin auf der Grundlage eines als „Vereinbarung" überschriebenen Vertrags tätig. Sie übernahm dabei Aufgaben im Bereich der Erstuntersuchung und des Infektionsschutzes von Personen, die in der HEAE untergebracht waren.

Die Vereinbarung zwischen der HEAE und der Beigeladenen vom 16.11.2015 lautete wie folgt:
㤠1 Vertragsgegenstand und Status des Vertragspartners
(1) Der/Die Vertragspartner/in erbringt medizinische Dienstleistungen im Auftrag der HEAE im C-Straße, C-Stadt und in den jeweiligen Außenstellen in freiberuflicher Tätigkeit im Bedarfsfalle. Er/Sie ist nicht in die Arbeitsorganisation der HEAE eingegliedert. Das Entgelt erfolgt fallbezogen. Die Dienstleistungen unterliegen nicht der Sozialversicherungspflicht (Arbeitslosen-, Kranken-und Rentenversicherung).
(2) Die nachfolgende Vereinbarung regelt für den Fall eines Einsatzes die Rahmenbedingungen.
(3) Der/Die Vertragspartner/in legt als Nachweis über die Zulassung zur Berufsausübung eine Kopie der Approbationsurkunde vor.
§ 2 Leistungen des Vertragspartners während der vereinbarten Einsatzzeit
(1) Der/Die Vertragspartner/in übernimmt die ambulante medizinische Versorgung für Ausländer, die in der HEAE untergebracht sind, im Rahmen der Vorgaben nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (Anlage 1).
Dazu gehört
• die Behandlung von Krankheiten, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Verletzungen, soweit dies ambulant möglich ist,
• Anordnung von Überweisungen an Fachärzte bzw. Einweisungen in Kliniken
• Dokumentation aller ärztlichen Leistungen (in der Patientendatei der HEAE) unter Beachtung des Datenschutzes.
(2) Er/Sie übernimmt zudem Aufgaben, die sich maßgeblich aus den § 62 Asylverfahrensgesetz sowie § 36 Infektionsschutzgesetz und der dazu jeweils getroffenen Erlassregelungen des Hess. Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit (zurzeit Erlass vom 04.02.2009 Az.: IV 6 A 58 a 0101-0002/2008/001 - StAnz. 2009 S. 544- Anlage 2) zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ergeben.
Die Erstuntersuchung beinhaltet gemäß beigefügtem Erlass über die ärztliche Untersuchung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und anderen Personen nach Einreise in Hessen vom 04.02.2009 (siehe Anlage 2)
1. Aufnahme und Dokumentation der bestehenden Medikation
2. Rezeptur der notwendigen Medikation
3. Anamnese, Diagnostik und Dokumentation einer akut beklagten Erkrankung.
Während der Erstuntersuchung erbrachte Ambulanzleistungen werden nicht zusätzlich vergütet. Ausgenommen von der Erstuntersuchung sind die Röntgenuntersuchungen. Erforderlichenfalls hat der/die Vertragspartner/in alle erforderlichen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz einzuleiten.
(3) Der/Die Vertragspartner/in führt die vertraglichen Leistungen zeitlich nach Vereinbarung durch.
(4) Ein Not- oder Bereitschaftsdienst des/der Vertragspartners/in außerhalb der vereinbarten Präsenzzeiten ist nicht vorgesehen.
§ 3 Leistungen der HEAE
(1) Die HEAE stellt dem/der Vertragspartner/in adäquate Räumlichkeiten, Geräte, Inventar, Verbandsstoffe u. ä., sowie Medikamente und Impfstoffe zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und der medizinischen Versorgung kostenfrei bereit.
(2) Die HEAE trägt neben den Mietkosten für die Räume auch die Kosten der Instandhaltung, der Energieversorgung und der Müllentsorgung sowie der Reinigung.
(3) Ebenso stellt die HEAE Hilfspersonal zur Vor- und Nachbereitung sowie zur Durchführung der Sprechstunden.
(4) Die HEAE besorgt nach Ausstellen einer ärztlichen Verordnung durch den/die Vertragspartner/in nicht vorrätige notwendige Medikamente und Verbandsmittel zur Behandlung von Patienten.
(5) Die HEAE übernimmt eventuell entstehende Kosten für zusätzliche externe ärztliche oder technische Untersuchungs- und Behandlungsleistungen (z.B. Röntgen).
§ 4 Entgelt und Abrechnung
(1) Zur Vereinfachung der Abrechnung werden Fallpauschalen für die Erstuntersuchung sowie ambulante Beratungen und Behandlungen vereinbart, die sich an den Gebührensätzen der GOÄ orientieren. Diese sind auch erforderlich, um die Kosten einzelnen Patienten zur Abrechnung mit anderen Kostenträgern zuordnen zu können. Für die Gestellung der Praxisinfrastruktur durch die HEAE sind die nachfolgenden Beträge bereits um 25 % gemindert.
Erstuntersuchung mit Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung 11,37 €.
Fallpauschale pro ambulanter Beratung/Behandlung 15,34 €.
Für beratende Tätigkeiten für die Dienststellenleitung Stundensatz 50,00 €.
(2) Für die Abrechnung der Erstuntersuchungen stellt die HEAE dem/der Vertragspartner/in Listen mit den erforderlichen Angaben zur Verfügung.
(3) Für die Abrechnung der ambulanten Leistungen versieht die HEAE den Vordruck (Anlage 3) mit dem Behandlungsdatum und Aufklebern der behandelten Patienten, den der/die Vertragspartner/in seiner/ihrer Rechnung beifügt.
(4) Die Abrechnung und Zahlung der vereinbarten Vergütung erfolgt unverzüglich nach Rechnungseingang.
§ 5 Haftung
Der/Die Vertragspartner/in haftet für Schäden, die durch ihr/sein vorsätzliches Verhalten der HEAE oder Dritten entstanden sind. Die HEAE stellt den/die Vertragspartner/in für fahrlässig verursachte Schäden frei, soweit diese nicht durch ein privates Versicherungsverhältnis abgedeckt sind.
§ 6 Datenschutz und Schweigepflicht
Der/Die Vertragspartner/in verpflichtet sich, über alle Angelegenheiten, die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit für die HEAE zur Kenntnis kommen, Stillschweigen zu bewahren. Insbesondere ist er/sie nicht berechtigt, Auskünfte an die Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) ohne vorherige ausdrückliche Zustimmung des Dienststellenleiters der HEAE zu erteilen. Weiterhin sichert er/sie einen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Datenschutz für die bei sich oder Dritten in seinem Auftrag gespeicherten Daten zu.
§ 7 Vertragsdauer, Nebenabreden, Salvatorische Klausel
(1) Da die Einsätze zeitlich befristet erfolgen und diese Vereinbarung nur die gegenseitigen Verpflichtungen während der Einsatzzeiten regeln, bedarf es bei Nichtinanspruchnahme des/der Vertragspartners/in durch die HEAE keiner Kündigung.
(2) Nebenabreden sowie Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform.
(3) Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages unwirksam oder unzulässig sein, wird dadurch die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht beeinträchtigt. Anstelle der unwirksamen oder unzulässigen Bestimmung gelten die gesetzlichen Vorschriften.“

Am 05.09.2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Statusfeststellung. In den Anlagen zum Antrag wurde bezüglich der Grundlagen und Ausgestaltung der Tätigkeit im Wesentlichen angegeben, dass der ärztliche Dienst keinen fachlichen Weisungen der Dienststelle unterliege, die Ärzte entsprechend den Vereinbarungen leistungsbezogen vergütet würden und die Festlegung des Dienstes und die Koordination des ärztlichen Einsatzes in gemeinsamer Absprache via Telefon/E-Mail zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Arzt erfolge, wobei dieser dabei eigenständig entscheide, ob und in welchem Umfang Dienste übernommen werden können. Außerdem wurde angeführt, dass keine feste wöchentliche/monatliche Anwesenheit von Seiten des Klägers gefordert werde, sondern der Arzt lediglich zu den bilateral vereinbarten Zeiträumen für die Untersuchungen zur Verfügung stehe und im Krankheits- oder Urlaubsfall kein Entgelt gezahlt werde. Weiterhin gab der Kläger an, dass die Ärzte in ihrem Bereich gegenüber dem medizinischen Hilfspersonal weisungsbefugt seien und das fachliche Letztentscheidungsrecht dem leitenden Arzt des Klägers obliege.

Die HEAE wurde nach dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 30.09.2016 mit Wirkung zum 18.11.2016 als selbständige Behörde im nachgeordneten Bereich des Regierungspräsidiums Gießen aufgelöst und mit ihrem Aufgabenbestand als Abteilung VII „Flüchtlingsangelegenheiten, Erstaufnahmeeinrichtung und Integration" in das Regierungspräsidium Gießen eingegliedert. Rechte und Pflichten aus der Vereinbarung mit der HEAE sind ab dem 18.11.2016 auf das Regierungspräsidium Gießen übergegangen.

Nach Anhörung des Klägers und der Beigeladenen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen als Ärztin beim Kläger vom 11.10.2015 bis 24.10.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. In dem Beschäftigungsverhältnis habe Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung und keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung wegen Geringfügigkeit / Kurzfristigkeit bestanden. Die zu beurteilende Tätigkeit als Arzt bestehe darin, im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung für Ausländer Erstuntersuchungen und lnfektionsschutz durchzuführen. Das sich aus den vorgelegten vertraglichen und dargestellten tatsächlichen Verhältnissen ergebene Gesamtbild spräche für eine abhängige Beschäftigung, u.a. weil die die vertragliche Verpflichtung bestanden habe, die Leistungen persönlich zu erbringen, die Beigeladene hinsichtlich des Tätigkeitsortes gebunden gewesen sei, da sie auf die Nutzung der am Sitz der Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung stehenden Infrastruktur für die medizinische Versorgung (z.B. Behandlungs- und Praxisräume) angewiesen gewesen sei, die Koordination der Einsätze durch den Medizinischen Dienst der HEAE erfolgt sei und die Arbeitszeiten verbindlich in einem Dienstplan festgelegt worden seien.

Am 12.05.2017 hat der Kläger dagegen Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben und beantragt festzustellen, dass die von der Beigeladenen für den Kläger ausgeübte Tätigkeit als Ärztin vom 11.10.2015 bis 24.10.2015 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und dass keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden habe. Zur Klagebegründung hat sich der Kläger auf die o.g. Vereinbarung berufen und vorgetragen, dass die Beigeladene zeitliche Souveränität über ihre Einsätze gehabt und hinsichtlich des „ob" der Einsätze keinen Weisungen des Klägers unterlegen habe. Die Ausgestaltung ihres Vertragsverhältnisses habe sich fundamental von den Vertragsverhältnissen der beim Kläger festangestellten Ärzte unterschieden, die verpflichtet gewesen seien, die vertraglich festgelegten Wochenstunden an den festgelegten Wochentagen zu verrichten. 

Die Beigeladene hat vorgetragen, sie sei an zwei Wochenendtage, dem 11.10.2015 und 24.10.2015, jeweils ca. 8 Stunden in Aufnahme- bzw. Noteinrichtungen der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge ärztlich tätig gewesen und habe dabei medizinische Erstuntersuchungen durchgeführt. Ihr Aufgabenbereich sei klar umrissen gewesen: Sicherstellung einer kurzen medizinischen Erstbewertung der Geflüchteten, Feststellung etwaiger behandlungspflichtiger Erkrankungen und Durchführung einer lnfluenza-Reihenimpfung. Sie sei nicht mit der medizinischen Therapie, außer Bagatellerkrankungen (z.B. Erkältung), betraut gewesen. Die beiden spezifischen Einsätze habe sie nach Vermittlung der Malteser D-Stadt absolviert. Hierzu habe sie sich unverbindlich in eine E-Mail Liste eingetragen und daraufhin Dienstanfragen erhalten, welche sie auf freiwilliger Basis annehmen konnte. Die Abrechnung sei pauschaliert erfolgt nach Anzahl der Untersuchungen und Impfungen. Ihre wiederverwendbaren ärztlichen Arbeitsmittel habe sie sich selbst beschafft, z.B. Stethoskop, Reflexhammer und Leuchte. Die Einmalartikel, z.B. Handschuhe, Mundschutz, Kanülen seien ihres Wissens von den Maltesern gestellt worden. 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen G., S. und M. Auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 254 ff. der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 02.09.2021 hat das Sozialgericht Gießen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage zulässig sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis sei trotz der Versicherungsfreiheit zu bejahen, da in der gesetzlichen Unfallversicherung das Arbeitsentgelt der kurzfristig Beschäftigten umlagepflichtig sei. Die Klage sei aber unbegründet. Die Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen für den Kläger in der Zeit vom 11.10.2015 bis 24.10.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt sei und Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung und keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung wegen Geringfügigkeit / Kurzfristigkeit bestanden habe.

Gemäß § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV könnten die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliege, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach sei Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setze eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Diese Weisungsgebundenheit könne - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber sei eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hänge davon ab, welche Merkmale überwögen (BSG, Urteil vom 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, u.a.).

Für die Beurteilung sei auf die jeweiligen Einzeleinsätze des Beigeladenen abzustellen. Die einzelnen Dienste seien auf freiwilliger Basis individuell vereinbart gewesen. Bei Vertragsgestaltungen dieser Art sei für die Frage der Versicherungspflicht grundsätzlich jeweils auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestünden (BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, u.a.)

Die der Tätigkeit zugrundeliegende „Vereinbarung“ zwischen dem Kläger und der Beigeladenen vom 16.11.2015 weise zwar darauf hin, dass formal nicht die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses gewollt sei. Auch sei davon auszugehen, dass Ärzte bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich handelten, woraus indes nicht ohne weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden könne. Umgekehrt könne nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln, etwa des Krankenhauses, zwingend auf eine abhängige Beschäftigung der Ärztin bzw. des Arztes geschlossen werden (vgl. BSG, Urteile vom 04.06.2019, B 12 R 12/18 R u.a.).

Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung komme der der Tätigkeit zugrundeliegenden Vereinbarung aber keine überragende Bedeutung zu, wenn die übrigen Indizien tatsächlich für eine abhängige Beschäftigung sprächen. So liege es hier. Die Verpflichtung für den Kläger zur Durchführung von Erstuntersuchungen ergebe sich aus dem Erlass des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit vom 31.12.2008, wonach die Aufnahmeeinrichtung die Ausländerinnen und Ausländer unmittelbar nach ihrer Einreise nach Hessen auffordere, sich vom ärztlichen Dienst der Einrichtung oder einem ärztlichen Dienst nach § 62 AsylVfG bzw. § 36 Abs. 4 IfSG untersuchen zu lassen. Dadurch, dass im Rahmen der verpflichtend vor einer Freigabe an die Kommune und der weiteren Unterbringung der Geflüchteten durchzuführenden Erstuntersuchungen sowohl von der Beigeladenen als auch von den daneben beim Kläger angestellten Ärzte bestimmte Daten sowie Befunde zu erheben und zu dokumentieren gewesen seien im Hinblick auf das Asylverfahrensgesetz und das Impfschutzgesetz, sei die Beigeladene während ihrer Dienste auch tatsächlich weisungsabhängig und in „ein fremdes Unternehmen“ eingegliedert gewesen, ohne dass sie selbst ein erhebliches Unternehmerrisiko zu tragen gehabt habe. 

Auch wenn die Weisungsgebundenheit der Beigeladenen bei der Durchführung der jeweiligen Dienste eingeschränkt gewesen sei, sei sie vorliegend nicht völlig entfallen. Sie habe in ihrer Tätigkeit bereits aufgrund der Regelung in § 1 des Vertrages zumindest einem Weisungsrecht des Klägers im Hinblick auf die Ausführung ihrer Tätigkeiten unterlegen. Ergäben sich etwa Arbeitsort und/oder Arbeitszeit bereits aus vertraglichen Vereinbarungen oder mit einer Tätigkeit verbundenen Notwendigkeiten, komme es darauf an, ob nach den konkreten Vereinbarungen ein Weisungsrecht hinsichtlich aller Modalitäten der zu erbringenden Tätigkeit bestehe oder aber ausgeschlossen sei, und sich die Fremdbestimmtheit der Arbeit auch nicht über eine funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess innerhalb einer fremden Arbeitsorganisation vermittelte (BSG, Urteil vom 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R). Die Beigeladene habe dem Weisungsrecht des Klägers unterlegen. Sie sei verpflichtet gewesen, die vorgegebenen Befunde zu erheben und zu dokumentieren und sei nicht frei in der Wahl ihrer „Patienten“ gewesen, sondern habe die von den Helfern zwecks Erstuntersuchung zugewiesenen Geflüchteten im Hinblick auf Infektionskrankheiten zu untersuchen gehabt. Sie sei im Rahmen dieser ärztlichen Tätigkeit in ein fremdes Unternehmen - die Erstaufnahmeeinrichtung - eingegliedert gewesen und sei nicht berechtigt gewesen, die Untersuchungen an einem anderen Ort durchzuführen. Unschädlich sei, dass kein umfassendes Weisungsrecht bestanden habe, sondern dieses vielmehr „zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert“ gewesen sei (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 2/18 R). Denn mit der Einbestellung der Geflüchteten in die Räumlichkeiten der Erstaufnahmeeinrichtung zum Zweck der Erstuntersuchung sei die Tätigkeit vollständig fremdbestimmt erfolgt innerhalb des von der Erstaufnahmeeinrichtung vorgegebenen organisatorischen Betriebsablaufs entsprechend den auch von den angestellten Ärztinnen und Ärzten durchgeführten Erstuntersuchungen. Die Beigeladene habe, wie jene, die vorhandene Infrastruktur genutzt und habe dem nichtärztlichen Personal bzw. dem jeweiligen Helfer, im Rahmen ihrer Tätigkeit Anweisungen gegeben. Sie habe die Räumlichkeiten und nicht wiederverwendbaren Mittel, wie Handschuhe, Mundschutz und Kanülen genutzt, die ihr gestellt worden seien. Dass sie daneben ihr eigenes Stethoskop, Leuchte und Reflexhammer mitgebracht habe, stehe dem nicht entgegen und falle daneben nicht erheblich ins Gewicht. Die Aufgabe der Beigeladene habe dabei in der Durchführung von Erstuntersuchungen bestanden. Dies stelle einen wesentlichen Bestandteil der Arbeitsorganisation des Klägers im medizinischen Management für Flüchtlinge dar. Die Einschränkung auf einen bestimmten Aufgabenbereich spreche dabei nicht gegen die Eingliederung in die Arbeitsorganisation. Vielmehr habe die Beigeladene mit der Durchführung der Erstuntersuchungen einen wesentlichen Bestandteil im Rahmen der von dem Kläger durchzuführenden Schritte bei der Organisation der Unterbringung der Flüchtlinge übernommen. Anknüpfend an die Erstuntersuchungen sei sodann das Einscannen der Unterlagen durch weitere Mitarbeiter in den Räumen des Regierungspräsidiums erfolgt. Diese Unterlagen hätten sodann wiederum Ärzte ausgewertet und entschieden, ob gesundheitliche Gründe einer Freigabe in die Kommune entgegenstünden. Anschließend habe eine weitere Person die Entscheidung über die Freigabe getroffen. 

Ein erhebliches unternehmerisches Risiko habe für die Beigeladene nicht bestanden. Sie habe je durchgeführter Erstuntersuchung ein feststehendes Entgelt von 11,37 € erhalten, das der Verhandlung nicht unterlegen habe, und sie habe nicht das Risiko des Zahlungsausfalls trotz erbrachter Leistung getragen. Sie habe die Geflüchteten auf Infektionskrankheiten untersucht und habe keine Möglichkeit gehabt, durch unternehmerisches Geschick ihren Verdienst zu erhöhen. Da es lediglich auf die Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankomme, sei das einzig in Betracht kommende Risiko der Beigeladenen, vom Kläger keine weiteren Folgeaufträge zu erhalten, für die Frage ihres Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R). Die Beigeladene sei schließlich nicht an laufenden Kosten hinsichtlich der Einrichtung beteiligt gewesen, die im Sinne von Vorhaltekosten trotz gegebenenfalls ausbleibender Aufträge zu tragen gewesen wären.

In der zu beurteilenden Beschäftigung bestehe Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung und keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung (§ 7 Abs. 1 Satz 1, erster Halbsatz SGB V, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 27 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz SGB Ill, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI), weil sie nur in geringfügigem Umfang (kurzfristig) ausgeübt worden sei. Eine kurzfristige Beschäftigung liege vor, da die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens 2 Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein gepflegt sei oder im Voraus vertraglich begrenzt sei und nicht berufsmäßig ausgeübt werde beziehungsweise berufsmäßig ausgeübt werde, aber ihr Entgelt 450,00 EUR (ab 01.01.2013) nicht übersteige (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV).

Der Kläger hat gegen das ihm am 21.09.2021 zugestellt Urteil am 07.10.2021 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben und sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und ergänzend vorgetragen, dass aufgrund der Vielzahl von Flüchtlingen in den Jahren 2015/2016 Ärztinnen und Ärzte zu deren Untersuchung und Versorgung hätten herangezogen werden müssen. Die Beigeladene sei im Verhältnis zu dem jeweils betroffenen Flüchtling „Behandler“ im Sinne von § 630a BGB gewesen. Sie sei dem Flüchtling gegenüber nicht einem Krankenhaus vergleichbar aufgetreten. § 36 Abs. 4 IfSG bestätige, dass es sich bei dem „Ärztlichen Zeugnis“ über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der ansteckungsfähigen Lungentuberkulose um ein Dokument handele, welches gerade nicht in der Behörde generiert werde, die das IfSG durchführe. Die Beigeladene habe vollkommen frei über die zu beurteilenden Einzelaufträge entscheiden können. Sie habe auch keine Verwaltungstätigkeit ausgeübt und habe eine persönliche Haftung getragen. Als Arzt habe sie schon gemäß § 2 der Hessischen Berufsordnung keine Weisungen entgegennehmen dürfen. Die Beigeladene habe nicht eine Aufgabe des Klägers erfüllt. „Schuldner“ der medizinischen Nachweise sei vielmehr der Flüchtling gewesen. Die vom Kläger zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten stellten auch kein „fremdes Unternehmen“ dar, sondern allenfalls einen „Arbeitsplatz“, wie ihn Selbstständige ebenso wie abhängige Beschäftigte benötigten. Wenn überhaupt könnte man die Erstaufnahmeeinrichtung als ein „Unternehmen“ bezeichnen. Die Beigeladene sei nicht Teil dieses Unternehmens gewesen. Weder der Kläger noch die Beigeladene hätten Patienten „ausgewählt“. Geflüchtete seien nicht zugewiesen worden, sie hätten sich vielmehr der Untersuchung gestellt, ihre Einwilligung sei maßgeblich gewesen. Dass die Beigeladene die von dem Kläger zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten genutzt habe, sei vorliegend nicht relevant. Die Entscheidungen des BSG zu den Honorarärzten beträfen Sachverhalte, die mit dem hiesigen nicht zu vergleichen seien. Das Bayerische LSG habe zudem mit Entscheidung vom 12.11.2020 den Status einer Notärztin als selbstständig eingestuft. Auch die immer wieder betone „Organisationsstruktur“, die seitens des Klägers etabliert worden sei, rechtfertige die Einstufung als Beschäftigung nicht. Das Gesetz differenziere eindeutig zwischen der Organisation der Erstaufnahmeeinrichtung einerseits und der medizinischen Versorgung bzw. Betreuung der Flüchtlinge andererseits. Dies sei auch in der Sache geboten - so wie es das BSG in Bezug auf die Familienhelfer entschieden habe (Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R).

In der mündlichen Verhandlung am 12.05.2022 hat die Beklagte erklärt, dass neben der in den angefochtenen Bescheiden bereits tenorierten Versicherungsfreiheit auch die Freiheit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 2. September 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 und in Gestalt der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2022 aufzuheben und festzustellen, dass die von der Beigeladenen für den Kläger ausgeübte Tätigkeit als Ärztin am 11. Oktober 2015 und am 24. Oktober 2015 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die erstinstanzliche Entscheidungsgründe und verweist auf die aktuelle BSG-Rechtsprechung zu Honorarärzten und Notärzten (BSG Urteile vom 04.06.2019 und 19.10.2021).

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die im Bescheid vom 22.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 getroffene Feststellung der Beklagten, dass die Tätigkeit der Beigeladenen in der HEAE vom 11.10.2015 bis zum 24.10.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde. Die weitere Feststellung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, dass keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung bzw. Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestand sowie die erstmals in der mündlichen Verhandlung am 12.05.2022 getroffene Feststellung, dass auch Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung besteht, ist nicht (mehr) Gegenstand des Berufungsverfahrens. Der Kläger hat seinen Antrag beschränkt auf die Feststellung, dass die von der Beigeladenen ausgeübte Tätigkeit nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.

Diese Feststellung konnte der Kläger auch gesondert anfechten. Der von der Beklagten vorgenommene Ausspruch des Vorliegens von Beschäftigung ist zwar materiell eine unselbstständige Elementenfeststellung, denn § 7a SGB IV (in der Fassung vom 29.03.2017) ermächtigt dazu nicht, sondern verpflichtet zur Feststellung der Versicherungspflicht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG Urteil vom 14.03.2018, B 12 KR 12/17 R m.w.N.). Allerdings hat die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ausdrücklich neben dem Nichtbestehen der Versicherungspflicht festgestellt und damit den Rechtsschein einer verbindlichen Regelung gesetzt, so dass der Kläger dagegen zulässigerweise gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen konnte (vgl. BSG Urteil vom 24.11.2015, B 12 KR 18/04 R; Urteil vom 26.02.2019, B 12 R 8/18 R).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger kann eine gerichtliche Feststellung, dass die von der Beigeladenen ausgeübte Tätigkeit als Ärztin nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde, nicht erreichen. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.09.2021 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2017 in Gestalt der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen für den Kläger in der Zeit vom 11.10.2015 bis zum 24.10.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt ist und Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung und keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung wegen Geringfügigkeit / Kurzfristigkeit bestanden hat.
Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen. Zutreffend hat das Sozialgericht aufgrund der hiernach zu beachtenden Maßstäbe eine abhängige Tätigkeit festgestellt. 

Ergänzend ist anzumerken, dass die Durchführung von Erstuntersuchungen und Aufgaben des Infektionsschutzes grundsätzlich sowohl im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit als auch einer abhängigen Beschäftigung erfolgen können. Aufgrund der konkreten Ausgestaltung der Tätigkeit der Beigeladenen ist vorliegend allerdings von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

Aufgrund der umfangreichen Ausführungen des Klägers zu rechtlichen Rahmenbedingungen zum Umgang mit Flüchtlingen und der Untersuchungspflicht stellt der Senat fest, dass es für die rechtliche Einordnung der streitigen Tätigkeit der Beigeladenen nicht ausschlaggebend ist, aufgrund welcher rechtlichen Vorgaben der Kläger die Beigeladene mit medizinischen Dienstleistungen im Rahmen der Erstuntersuchung und der Aufgaben des Infektionsschutzes beauftragt hat. Ebenso wenig kommt es auf die (politische) Dimension des Zustroms von Flüchtlingen im maßgeblichen Zeitraum an. Maßgeblich ist nicht das „Warum“ der Beauftragung, sondern das „Wie“ der Beauftragung und der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit. Hierbei ist - wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt - von besonderer Bedeutung, ob der Beschäftigte in den fremden Betrieb eingegliedert ist und einem Weisungsrecht unterliegt. Der Wille der Vertragsparteien ist dabei nachrangig. 

Hinsichtlich des Weisungsrechts hat der Bundessozialgericht wiederholt festgestellt, dass insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten (so genannten Diensten höherer Art) das Weisungsrecht auf das Stärkste eingeschränkt sein kann. Dennoch kann die Dienstleistung in solchen Fällen fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers verfeinert sich in solchen Fällen zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess (zuletzt Urteil vom 19.10.2021, B 12 KR 29/19 R, juris, Rn.20 ff m.w.N). 

Zudem gilt, dass für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts maßgebend sind. „Bei der gebotenen Gesamtabwägung sind sämtliche, auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften oder eine öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung bedingt sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen. Ihnen ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar nicht zwingend eine entscheidende Indizwirkung für eine abhängige Beschäftigung beizumessen; umgekehrt ist eine abhängige Beschäftigung aber auch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil sich bestimmte Weisungsrechte oder Vorgaben aus der Eigenart der Tätigkeit ergeben oder ihr innewohnen. Indizwirkung gegen eine Beschäftigung und für eine selbstständige Tätigkeit besteht vielmehr dann, wenn bei Verrichtung der Tätigkeit eine Weisungsfreiheit verbleibt, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet. Denn ob und inwieweit einzelne Umstände einer Tätigkeit "ihrer Natur nach" immanent sind, hängt wesentlich mit der zu beurteilenden Tätigkeit und ihrer konkreten Ausgestaltung zusammen. Je enger der übertragene Tätigkeitsbereich abgesteckt ist, weil der Auftrag- oder Arbeitgeber nicht auf eigene Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet, desto weniger Spielraum kann der übertragenen Tätigkeit noch immanent sein. So ist in der Regel auch die strikte Weisungsunterworfenheit klassischer "Fabrikarbeiter" der Eigenart ihrer Tätigkeit geschuldet. Gerade dies begründet aber ihre Sozialversicherungspflicht und stellt sie nicht infrage“ (BSG, Urteil vom 19.10.2021, B 12 KR 29/19 R, m.w.N.). 

Zutreffend hat das Sozialgericht die Eingliederung der Beigeladenen in den Dienstbetrieb des Klägers, mit dem dieser u.a. die Erstuntersuchungen organisierte und durchführte, festgestellt. Diese Eingliederung findet ihre Entsprechung am vereinbarten Vergütungsmodell. Denn der Kläger bezahlte die Beigeladene für die von ihr geleisteten Dienste. Eine unmittelbare Abrechnung zwischen der Beigeladenen und den Flüchtlingen oder aber Krankenkassen oder anderen Kostenträgern fand nicht statt. 

Darüber hinaus bestehen - wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt - keine Anhaltspunkte, die mit einem derartigen Gewicht für Selbstständigkeit sprechen, dass sie die Weisungsgebundenheit und Eingliederung der Beigeladenen auch nur annähernd auf- oder überwiegen können. Insbesondere war die Beigeladene keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt. Sie erhielt Fallpauschalen bzw. einen festen Stundenlohn und hatte keinen Verdienstausfall zu befürchten. Für sie bestand auch nicht die Chance, durch unternehmerisches Geschick ihre Arbeit so effizient zu gestalten, dass sie das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu ihren Gunsten entscheidend hätte beeinflussen können. Da es lediglich auf eine Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankommt, war das einzig in Betracht kommende Risiko der Beigeladenen, vom Kläger keine weiteren Folgeaufträge zu erhalten, für die Frage ihres Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant. Denn aus dem (allgemeinen) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft gegebenenfalls nicht verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2021, B 12 KR 29/19 R, m.w.N). 

Die vom Kläger zitierte Entscheidung zu Familienhelfer ist vorliegend nicht einschlägig, da die Tätigkeit eines Familienhelfers in keiner Weise mit der eines Arztes in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu vergleichen ist.

Ob zwischen den Flüchtlingen und der Beigeladenen – wie vom Kläger vorgetragen - Behandlungsverträge gemäß § 630a BGB zustande gekommen sind, erscheint bereits fraglich (vgl. Rehborn/Gescher in: Ermann, § 630a BGB, Rn 7 zur Tätigkeit z.B. des Amtsarztes und des Impfarztes mit Verweis auf BGHZ 63,265 und BGH NJW 1990, 2311). Jedenfalls aber ist dies für die hier streitige Statusentscheidung nicht Ausschlag gebend, da das Auftragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen sowie die insoweit erbrachte Tätigkeit zu beurteilen war.  

Für die Beurteilung als abhängige Beschäftigung der Beigeladenen in der HEAE spricht zudem die gesetzliche Regelung zu Ärztinnen und Ärzten in einem Impfzentrum. Für diese wurde in § 130 SGB IV (eingeführt durch Gesetz vom 24.02.2021, BGBl I, 274. Eine vergleichbare Regelung für die in Corona-Testzentren tätigen Ärzte findet sich in § 131 SGB IV.) geregelt, dass ihre Einnahmen aus Tätigkeiten in einem Impfzentrum oder einem angegliederten mobilen Impfteam in der Zeit vom 15.12.2020 bis 30.05.2022 nicht der Beitragspflicht unterliegen. Die entsprechenden Tätigkeiten sind demnach auch nicht versicherungspflichtig. Dem liegt die gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, dass die entsprechenden Einnahmen grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht unterliegen, viele der Ärzte aber entweder selbstständig im Rahmen einer Praxis tätig sind, einem berufsständischen Versorgungswerk angehören und/oder bereits pensioniert sind und daher nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallen (siehe BT-Drs. 19/26249, S. 92; BR-Drs 83/1/21, S. 4; Dankelmann in: jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 130 SGB IV; Knospe in Hauck/Noftz SGB IV, § 130). Hiermit hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Tätigkeit von Ärzten in Impf- oder Testzentren nicht als selbstständige Tätigkeit, sondern als abhängige Beschäftigung ansieht. Deren Tätigkeit ist aber in gewisser Weise durchaus vergleichbar mit der vorliegenden streitigen Tätigkeit der beigeladenen Ärztin in der Erstaufnahmeeinrichtung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat (s. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Aufl., § 197a Rn.28 f. m.w.N.).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Klärung der Rechtsfragen ist für eine unbestimmte Anzahl ähnlicher Fälle relevant.

Gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG werden, wenn in einem Verfahren weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten kostenrechtlich privilegierten Personen gehört, Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist der Streitwert auf 5.000,00 € festzusetzen (§§ 47, 52 Abs. 2 GKG).
 

Rechtskraft
Aus
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