L 4 P 37/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 119/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 P 37/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

 

1. Eine Erstattung der Aufwendungen nach § 45b SGB XI scheidet grundsätzlich aus, wenn der Leistungserbringer nicht über die erforderliche Anerkennung nach § 45a Abs. 1 Satz 3 SGB XI verfügt.

2. Die Vorschriften des SGB XI sehen eine Gewährleistungspflicht der Pflegekassen für bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgungsstrukturen im Bereich der Angebote zur Unterstützung im Alltag nicht vor.

3. Der Anwendungsbereich des § 150 Abs. 5b Satz 1 SGB XI ist auf pandemiebedingte Versorgungsengpässe beschränkt.

 

I.     Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

II.     Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.     Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Erstattung der Kosten für haushaltsnahe Dienstleistungen.

Der Kläger und Berufungskläger ist der Ehemann der 1942 geborenen und am 2020 verstorbenen Versicherten A. (im Folgenden: Versicherte). Die Versicherte war bei der beklagten Pflegekasse pflegeversichert. Sie und der Kläger lebten bis zu ihrem Tod in einem gemeinsamen Haushalt. Die Versicherte erhielt ab dem 08.10.2018 Leistungen nach dem Pflegegrad 1.

Der Kläger übersandte mit Schreiben vom 31.01.2019 unter Bezugnahme auf ein am 22.01.2019 mit einem Mitarbeiter der Beklagten geführtes Telefonat drei Rechnungen des Hausmeisterservice B1 über insgesamt 548,30 € für die 14tätige Bodenreinigung in den Monaten Oktober, November und Dezember 2018 mit dem Antrag, die anteiligen Kosten an die Versicherte zu überweisen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 07.03.2019 eine Erstattung der geltend gemachten Kosten ab. Nach § 45b Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) dürften nur die Kosten für Leistungen erstattet werden, welche durch zugelassene Pflegedienste oder durch Vertragspartner der Pflegekassen erbracht würden, bei denen eine Anerkennung nach Landesrecht vorliege. Eine solche Zulassung bestehe für die Firma B1 nicht.

Die Versicherte erhob dagegen Widerspruch und trug vor, dass die im Bereich ihres Wohnorts ansässigen Sozialdienste mit der Erbringung der Hilfeleistungen heillos überfordert seien und in absehbarer Zeit keine neuen Patienten mehr annehmen würden. Die Sozialstation W wie auch der ambulante Pflegedienst W1 hätten angegeben, dass es lange Wartelisten gäbe. Weiter entfernte Pflegedienste hätten ebenfalls keine freien Kapazitäten oder lehnten die Leistungserbringung wegen der langen Anfahrtszeit ab. Die Beklagte möge entweder einen Anbieter vermitteln oder die Firma B1 anerkennen. Schließlich sei es Aufgabe der Pflegeversicherung, eine entsprechende Infrastruktur bereitzustellen.

Mit Schreiben vom 08.04.2019 wies die Beklagte auf § 45b Abs. 1 Satz 3 Ziff. 4 SGB XI hin, wonach der Entlastungsbetrag der Erstattung von Aufwendungen diene, die dem Versicherten im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a SGB XI entstünden. Der von der Versicherten in Anspruch genommene Hausmeisterdienst besitze eine solche Anerkennung nicht. Die Vermittlung eines Anbieters obliege nicht der Beklagten, da diese als Körperschaft des öffentlichen Rechts keinen Einfluss auf den Wettbewerb unter den Anbietern nehmen könne und dürfe.

Nachdem die Versicherte erklärt hatte, den Widerspruch aufrechtzuerhalten, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2019 zurück.

Dagegen hat die Versicherte am 12.08.2019 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat zur Begründung vorgetragen, dass die Versicherte sich nach Kräften bemüht habe, einen anerkannten Pflegedienst oder eine Sozialstation mit der benötigten Leistung (Reinigung der Wohnung) zu beauftragen. Ganz offensichtlich stünden keine ausreichenden Versorgungsstrukturen zur Verfügung. Obwohl die Versicherte die Beklagte um Vermittlung eines anerkannten Anbieters gebeten habe, sei dies seitens der Beklagten nicht erfolgt. Die gesetzliche Pflegeversicherung habe jedoch sicherzustellen, dass ausreichend Angebote zur Unterstützung im Alltag vorhanden seien.
§ 45c SGB XI sehe die Förderung und Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen vor. Insoweit werde auf die entsprechenden Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. hingewiesen. Da die Versicherte trotz umfangreicher Bemühungen keine nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung gefunden habe und ausreichende Versorgungsstrukturen nicht zur Verfügung stünden, sei die Beklagte verpflichtet, den Entlastungsbetrag auch für Leistungen zur Verfügung zu stellen, die von einem nicht nach Landesrecht anerkannten Dienstleister erbracht wurden.

Mit Schreiben vom 11.02.2020 hat die Klägerseite ferner mitgeteilt, dass die Firma B1 - mangels Alternative - die Dienstleistungen weiterhin fortlaufend alle 14 Tage für die Versicherte erbringe. Es wurde weitere Rechnungen für die Zeit vom 07.01.2019 bis 23.12.2019 vorgelegt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17.02.2020 abgewiesen. Die als Anfechtungs- und Leistungsklage erhobene, auf die Gewährung des Entlastungsbetrags für im Zeitraum Oktober 2018 bis Januar 2020 entstandene Aufwendungen der pflegebedürftigen Klägerin gerichtete Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Gemäß § 45b Abs. 1 Satz 1 SGB XI hätten Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125 € monatlich. Der Betrag sei zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbar Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags (§ 45b Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Er diene der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme u.a. von Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a (§ 45b Abs. 1 Satz 3 Ziff. 4 SGB XI).
Der Bayerische Landesgesetzgeber habe in § 81 Nr. 6 der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) vom 02.12.2008 bestimmt, dass nach Maßgabe der in § 82 AVSG weiter geregelten Voraussetzungen haushaltsnahe Dienstleistungen als Angebote zur Unterstützung im Alltag nach § 45a Abs. 1 Satz 2 SGB XI anerkannt würden. Nach der klaren gesetzlichen Regelung sei jedoch Voraussetzung für eine Kostenerstattung die Anerkennung des Leistungserbringers, für die gemäß § 80 AVSG das Landesamt für Pflege zuständig sei. Nach den unbestrittenen Feststellungen der Beklagten verfüge der von der Versicherten in Anspruch genommene Leistungserbringer nicht über die entsprechende Anerkennung. Es sei auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass dieser die entsprechende Anerkennung beantragt habe, bereits insoweit könne zur Überzeugung des Gerichts nicht von einem Systemversagen ausgegangen werden.

Gegen dieses Urteil hat die Versicherte am 03.06.2020 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Ihr Bevollmächtigter hat die Berufung mit den im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Darlegungen begründet.

Die Versicherte ist 2020 verstorben. Mit Schreiben vom 03.11.2020 hat der Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, dass der Kläger das Verfahren als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten fortführt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.02.2020 in der durch Beschluss vom 08.04.2020 berichtigten Fassung aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2019 zu verurteilen, dem Kläger 2.000,00 Euro (16 Monate x 125 €) für die Inanspruchnahme des Hausmeisterservice B1 in der Zeit vom 01.10.2018 bis 31.01.2020 durch die Versicherte zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

      die Berufung zurückzuweisen.
      
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und der Beklagten Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der durch Inanspruchnahme der Firma B1 entstandenen Kosten für die Reinigung der Wohnung der Versicherten, weil die Firma B1 nicht über eine landesrechtliche Anerkennung gemäß § 45a Abs. 1 Satz 3 SGB XI i.V.m. § 81 AVSG verfügt.

Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Nochmals hervorzuheben ist, dass der vom Kläger begehrte Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI zwar grundsätzlich für die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen bei der Bewältigung von allgemeinen Anforderungen im Haushalt - und damit auch für Reinigungsarbeiten in der Wohnung - gewährt werden kann (§ 45b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 i.V.m. § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XI). Der Leistungserbringer, der entsprechende Unterstützungsleistungen anbietet, benötigt hierfür aber eine Anerkennung durch die zuständige Behörde nach Maßgabe des nach § 45a Abs. 3 SGB XI erlassenen Landesrechts
(§ 45a Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Zuständige Behörde für die Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag nach § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI ist in Bayern das Landesamt für Pflege (§ 80 AVSG).

Vorliegend hat die Versicherte Unterstützungsleistungen der Firma B1 in Anspruch genommen. Diese Firma verfügt nicht über die nach § 45a Abs. 1 Satz 3 SGB XI erforderliche Anerkennung des Bayerischen Landesamts für Pflege, um haushaltsnahe Dienstleistungen zur Entlastung im Alltag anbieten zu können. Eine Erstattung der Aufwendungen nach § 45b SGB XI scheidet daher aus.

Eine Erstattung der geltend gemachten Kosten kommt auch nicht im Hinblick auf § 45 c Abs. 1 Nr. 1 SGB XI in Betracht. Nach dieser Regelung fördert der Spitzenverband Bund der Pflegekassen den Auf- und Ausbau von Angeboten zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a SGB XI zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte und zur Förderung ehrenamtlicher Strukturen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten kann aus der Verpflichtung der Pflegekassen, den Auf- und Ausbau von Unterstützungsangeboten zu fördern, keine Gewährleistungspflicht der Pflegekassen für ausreichende Versorgungsstrukturen im Bereich der Angebote zur Unterstützung im Alltag abgeleitet werden. Anders als § 70 SGB V, der anordnet, dass die Krankenkassen und die Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung der Versicherten zu gewährleisten haben, sehen die Vorschriften des SGB XI eine entsprechende Gewährleistungspflicht der Pflegekassen für bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgungsstrukturen im Bereich der Angebote zur Unterstützung im Alltag nicht vor.

Mit dem Gebot, entsprechende Versorgungsstrukturen auf- und auszubauen, geht die Regelung des § 45 c Abs. 1 Nr. 1 SGB XI im Übrigen davon aus, dass noch keine hinreichenden Versorgungsstrukturen vorhanden sind. Trotz der bekannten unzureichenden Angebotssituation im Bereich von Unterstützungsleistungen im Alltag bei Inkrafttreten der Regelung hat der Gesetzgeber keine ergänzende Regelung aufgenommen, die vorsieht, dass Pflegebedürftige - abweichend von § 45b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB XI - den Entlastungsbetrag auch für die Inanspruchnahme von nicht landesrechtlich anerkannten Hilfsangeboten erhalten, solange die Versorgungsstrukturen für Unterstützungsangebote im Alltag nicht bedarfsgerecht auf- und ausgebaut sind.

Nichts Anderes folgt aus dem mit Wirkung zum 28.03.2020 eingefügten § 150 Abs. 5b Satz 1 SGB XI. Danach können Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 den Entlastungsbetrag abweichend von § 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI auch für die Inanspruchnahme anderer Hilfen im Wege der Kostenerstattung einsetzen, wenn dies zur Überwindung von infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Versorgungsengpässen erforderlich ist. Abgesehen davon, dass diese Regelung im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht galt, wird die Möglichkeit, den Entlastungsbetrag auch für die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen nicht landesrechtlich anerkannter Leistungsanbieter einzusetzen, explizit auf pandemiebedingte Versorgungsengpässe beschränkt und auf diese Weise gleichzeitig klar zum Ausdruck gebracht, dass in Fällen anderweitig begründeter Versorgungsengpässe diese Möglichkeit nicht besteht.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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