1. Die nach der GOÄ in Rechnung gestellten Kosten für eine Nadelepilation der hellen Barthaare Transsexueller muss eine Krankenkasse auch dann übernehmen, wenn die einzige diese Leistung erbringende Ärztin auch als Vertragsärztin zugelassen, aber nicht zu einer vertragsärztlichen Abrechnung dieser Leistung bereit ist.
2. Die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten durch eine Vertragsärztin tangiert nicht zwangsläufig das Rechtsverhältnis zwischen den von ihr behandelten Versicherten und deren Krankenkasse.
- Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2019 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung ihres Bescheides vom 10. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2018 verpflichtet, die Kosten einer Nadelepilationsbehandlung zur dauerhaften Barthaarentfernung durch die Beigeladene zu 4) oder durch einen anderen zur Behandlung bereiten approbierten Arzt zu übernehmen.
- Die Beklagte hat 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Weitere außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der Kosten zur Durchführung einer Nadelepilation zur Entfernung von Barthaaren hat.
Die im Jahr 1977 als Mann geborene Klägerin ist transsexuell und lebt seit dem Jahr 2012 ausschließlich als Frau. Seit dem Jahr 2014 ließ sie eine Laserepilationsbehandlung zur Entfernung eines Teiles ihrer Bartbehaarung durchführen, die sie zunächst selbst finanzierte. Derzeit besteht bei ihr noch ein weiß-gräulicher Bartwuchs.
Am 10. Juli 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, bei der sie gesetzlich krankenversichert ist, die Gewährung von geschlechtsangleichenden Sachleistungen, insbesondere die Durchführung einer Nadelepilation. Nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) lehnte die Beklagte diesen Antrag mit Bescheid vom 10. August 2017 mit der Begründung ab, dass es sich bei der Nadelepilation um eine neue Behandlungsmethode handele und es hierzu keine positive Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses gebe. Nachdem die Klägerin gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt hatte, holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK ein, welches feststellte, dass bei der Klägerin eine seit Jahren bestehende manifeste Transsexualität von Mann zu Frau, ein klinisch relevanter Leidensdruck auf Grund der Diskrepanz zwischen gelebter Identität als Frau und körperlicher Ausstattung als Mann wie auch die weiteren sozialmedizinischen Voraussetzungen für die Durchführung einer Nadelepilation der Barthaare gegeben seien. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2017 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass sie durch die Aussage des vorgenannten Gutachtens zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Nadelepilationsbehandlung unter sozialmedizinischen Aspekten bei der Klägerin nachvollzogen werden könne. Allerdings handele es sich bei der Firma D, bei der die Klägerin behandelt werden wolle, nicht um einen zugelassenen Leistungserbringer. Die Klägerin könne gerne ein Leistungsangebot eines Vertragsarztes zur Prüfung bei der Beklagten einreichen. Ergänzend wies die Beklagte, nachdem sie von der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg die Information erhalten hatte, dass keiner ihrer Vertragsärzte Nadelepilationen durchführe, die Klägerin in einem weiteren Schreiben darauf hin, dass es für sie seit dem 1. Oktober 2017 möglich sei, bei der Vertragsarztpraxis Dr. H eine Laserepilation zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse durchzuführen. Die Klägerin erwiderte hierauf, dass ihre dunklen Haare einer bereits durchgeführten Laserepilation zugänglich gewesen seien. Für die verbliebenen grauen Haare benötige sie eine Nadelepilation. Die Klägerin reichte einen Kostenvoranschlag der Firma D GmbH & Co KG – Fachzentrum für ästhetische Hautbehandlung – (im Folgenden: D) für eine dauerhafte Haarentfernung mittels Nadelepilation in Höhe von 7.800,00 Euro sowie Rechnungen für bereits erfolgte Haarentfernungen im Gesicht bei der Beklagten ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass eine Kostenübernahme für eine Nadelepilation bei der Firma D auf Grund des Arztvorbehalts ausgeschlossen sei. Das Erfordernis einer ärztlichen Approbation sei eine zwingende Tatbestandsvoraussetzung dafür, die Nadelepilation zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu erbringen. Selbst für den Fall eines Systemmangels bestehe somit kein Leistungsanspruch auf eine Epilationsbehandlung durch eine Elektrologistin oder eine Kosmetikerin.
Mit ihrer am 30. August 2018 am Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Erstattung ihrer bereits entstandenen Kosten für die Barthaarentfernung sowie die Tragung der Kosten der weiteren notwendigen Epilationsbehandlung durch die Beklagte begehrt. Das Sozialgericht hat durch Nachfrage bei der Firma D in Erfahrung gebracht, dass deren Nadelepilationsbehandlungen durch geschulte Kosmetikerinnen und Heilpraktikerinnen durchgeführt werden, ohne dass eine ärztliche Anleitung oder eine regelmäßige ärztliche Überwachung erfolgt. Schriftsätzlich hat die Klägerin zunächst beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die benötigte dauerhafte Haarentfernung in ihrem Gesicht mittels Nadelepilation durch eine/n entsprechend qualifizierten Kosmetiker/in (Elektrologist/in) zu übernehmen. Hilfsweise hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu ihrer Versorgung mit einer durch einen Arzt verantworteten und überwachten Nadelepilation durch eine Kosmetikerin oder zu ihrer Versorgung durch eine von einem Arzt durchgeführten Nadelepilation zu verurteilen. Mit Urteil vom 31. Oktober 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Nadelepilationsbehandlung als ärztliche Leistung nur von einem approbierten Arzt durchgeführt werden dürfe. Die auf die Versorgung mit ärztlichen oder ärztlich verantworteten Leistungen gerichteten Hilfsanträge der Klägerin seien unzulässig, da ein entsprechender Tenor nicht vollstreckbar wäre. Die Krankenkassen hätten keinen direkten Einfluss darauf, ob Ärzte bestimmte Leistungen selbst oder in von ihnen verantworteter Form erbrächten. Ein auf die Versorgung gerichteter Tenor könne nicht vollstreckt werden, da die Beklagte zu Recht einwenden könne, dass ihr dieses rein tatsächlich nicht möglich sei. Das Urteil wurde der Klägerin am 3. Dezember 2019 zugestellt.
Mit ihrer am 19. Dezember 2019 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, wobei sie nach einer umfassenden Berufungseinlegung ihr Klageziel auf die Verpflichtung der Beklagten zu ihrer Versorgung mit einer von einer approbierten Ärztin oder einem approbierten Arzt durchgeführten Nadelepilationsbehandlung zur dauerhaften Haarentfernung im Gesicht beschränkt hat.
Die Praxisklinik Dr. H hat im Berufungsverfahren mitgeteilt, dass sie mit ihrem Laserepilationssystem gut in der Lage sei, dunkle Haare zu epilieren. Graue, weiße oder blonde Haare könne sie nicht epilieren, da keine Absorption der Energie durch Melanin stattfinde. Die Klägerin habe sich in der dortigen Praxis vorgestellt. Bezüglich der bei der Klägerin verbliebenen Barthaare bestehe in der der dortigen Praxis keine Behandlungsmöglichkeit, da diese depigmentiert seien. Der Praxis sei keine Praxis bekannt, die eine Nadelhaarepilation heller Barthaare durchführe.
Die Praxis L hat auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, dass es Laser höherer Preisklasse gebe, die besser in der Lage seien, auch helles Haar zu entfernen. Der Erfolg einer solchen Behandlung hänge neben dem Gerät aber auch von der Fertigkeit des Behandlers und weiteren Faktoren wie der Einnahme von Medikamenten ab. Bei Transgenderpersonen könne es auf Grund der starken Hormonschwankungen sowie der Einnahme hormoneller Medikamente keine Garantie für einen Behandlungserfolg geben.
Die Beigeladene zu 4) ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und besitzt eine vertragsärztliche Zulassung. Sie hat am 2. Februar 2021 einen Kostenvoranschlag für eine Nadelepilationsbehandlung/Elektroepilation der Klägerin zur dauerhaften Haarentfernung im Gesicht und Bartbereich für 50 Behandlungen von jeweils 60 Minuten und einem Gesamtpreis von 7.755,50 Euro eingereicht, den sie im Verlauf des Verfahren weiter konkretisiert und erläutert hat. Sie hat ausgeführt, dass sie pro Sitzung 15 Minuten ansetze. Damit die Klägerin nicht an vier Tagen in der Woche erscheinen müsse, habe sie vier Sitzungen an einem Tag angesetzt. Der Faktor von 3,5 je Abrechnungseinheit ergebe sich aus dem hohen zeitlichen wie auch dem hohen Konzentrationsaufwand, der sich aus der Durchführung von vier aufeinander folgenden Sitzungen innerhalb einer Stunde ergebe.
Der Berufsverband Deutscher Dermatologen e.V. hat auf gerichtliche Nachfrage mitgeteilt, dass er kein Verbandsmitglied gefunden habe, welches die von der Klägerin begehrte Leistung durchführe. Grundsätzlich sei die Lasertherapie in den allermeisten Fällen dunkelpigmentierter Bartbehaarung „State of the Art“. In besondere Fällen könnten nach der AWMF-S2k-Leitlinie „Lasertherapie der Haut“ auch alternative Behandlungsmethoden zum Einsatz kommen. Die Existenz einer EBM-Ziffer bedeute nicht, dass ein Arzt diese Leistung anzubieten habe, zumal die Elektro-Epilation als nebenwirkungsreich (Vernarbung) angesehen werden müsse.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2019 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 10. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2018 zu verpflichten, die Kosten einer Nadelepilationsbehandlung zur dauerhaften Barthaarentfernung durch die Beigeladene zu 4) oder durch einen anderen zur Behandlung bereiten approbierten Arzt zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Beklagte verweist darauf, im Widerspruchsverfahren nur über die Ablehnung einer damals begehrten nichtärztlichen Behandlung durch die Firma D entschieden zu haben, so dass nur dieses streitgegenständlich seien könne. Die diesbezüglich geführte Klage sei zurückgenommen worden. Sie sei ferner nicht bereit, die Kosten einer Behandlung bei der Beigeladenen zu 4) zu tragen, insbesondere wenn die Abrechnung dieser Kosten nicht auf Grundlage der einschlägigen Gebührenordnungsposition (GOP) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) erfolge. Die Beigeladene zu 4) sei als Vertragsärztin dazu verpflichtet, die von der Klägerin begehrte Behandlung nach dem EBM abzurechnen und dürfe diese nicht als Privatleistung unter Zugrundelegung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in Rechnung stellen. Der Kostenvoranschlag missachte jedoch auch gemessen an der GOÄ geltendes Recht, da es willkürlich sei, die Ziffer 742 viermal abzurechnen und den Höchstfaktor zu Grunde zu legen. Entsprechend dessen, dass die Behandlung unabhängig von der jeweiligen Dauer einmal pro Tag abrechenbar sei, ergebe sich nach dem EBM ein täglich abrechenbarer Betrag von 6,45 Euro und nach der GOÄ von 9,62 Euro. Aus diesem Grund ließen sich bundesweit keine Ärzte / Dermatologen finden, die die von der Klägerin begehrte Leistung durchführten.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Die Beigeladene zu 1) – die Kassenärztliche Vereinigung Berlin – hat auf Nachfrage des Gerichts mitgeteilt, dass die Nadelepilation von Barthaaren nach den GOP 10340 für Dermatologen und 02300 für alle anderen Vertragsärzte abrechenbar sei. Da die vorgenannten GOP auch andere Behandlungen abdeckten, könne keine Aussage erfolgen, ob eine Nadelepilation von Barthaaren zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse abgerechnet werde. Nach Auskunft des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen e.V. sei in Berlin kein Dermatologe bekannt, der noch eine Nadelepilation mittels elektrokaustischem Gerät anbiete. Die Laserepilation werde bei Vorliegen von Transsexualismus in vier Praxen in Berlin angeboten.
Die Beigeladene zu 2) – der Spitzenverband Bund der Krankenkassen – hat ausgeführt, dass für die GOP 02300 und 10340 EBM für die Behandlungsmethode des dritten Spiegelstrichs, der Epilation durch Elektrokoagulation im Gesicht, keine zeitliche Grenze existiere. Diese Leistung sei unabhängig vom Dauer der Sitzung täglich einmal abrechenbar und könne theoretisch einmal für jeden Behandlungstag im Quartal in Rechnung gestellt werden. Überlegungen zur Schaffung einer eigenen Abrechnungsziffer für die Versicherungsleistung der Nadelepilation speziell bei Transsexualität gebe es nicht.
Die Beigeladene zu 4) hat ausgeführt, dass sie ihre Abrechnung auf Grund der GOÄ und nicht der GOP 02300/10340 EBM erstellt habe, da ein Systemversagen vorliege. Dieses ergebe sich aus der Mitteilung der Beigeladenen zu 2), welches für eine 60-minütige Leistungserbringung eine geregelte Vergütung von 6,53 Euro vorsehe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin hat, soweit sie nicht im Verlauf des Berufungsverfahrens zurückgenommen wurde, Erfolg.
1.
Die Klage ist im Verfahren vor dem Sozialgericht in zulässiger Weise erhoben worden. Dieses gilt auch in Bezug auf den von der Klägerin begehrten Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine ärztliche Nadelepilationsbehandlung zur Entfernung ihrer Bartbehaarung. Sie hat insbesondere das hierfür notwendige Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durchgeführt. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten die Übernahme der Kosten einer Nadelepilationsbehandlung beantragt und diesen Antrag weder im Antrags- noch im Widerspruchs- oder im Klageverfahren auf die Leistungserbringung durch die Firma D begrenzt. Ihr Antrag wurde von der Beklagten mit dem Bescheid vom 10. August 2017 auch ohne Einschränkung auf den vorgenannten Leistungserbringer abgewiesen. Da Streitgegenstand nach § 95 SGG der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Form ist, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, ist es unschädlich, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid nur darauf eingegangen ist, dass der vorgenannte Leistungserbringer keine Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen konnte. Im Übrigen hat die Beklagte ausweislich des Tenors des Widerspruchsbescheides den Widerspruch insgesamt zurückgewiesen. Dass sie die Ablehnung zu den über die Versorgung durch D hinausgehenden Begehren der Klägerin im Widerspruchsbescheid nicht weiter begründet hat, führt zu keiner Begrenzung des Streitgegenstandes.
Die Klage ist auch nicht aus dem Grunde unzulässig, dass es der Beklagten unmöglich seien könnte, den im Klageverfahren hilfsweise geltend gemachten Klageanspruch auf Versorgung der Klägerin durch eine ärztliche Leistungsbringerin zu erfüllen. Denn es gibt mit der Beigeladenen zu 4) eine ärztliche Leistungserbringerin, die bereit ist, die im Streit stehende Leistung zu erbringen, wenn die Beklagte die hierfür nach GOÄ abrechenbaren Kosten trägt. Ein entsprechender Urteilstenor ist damit auch vollstreckbar.
2.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der notwendigen Kosten der Beigeladenen zu 4) oder eines anderen zur Durchführung einer Nadelepilationsbehandlung bereiten approbierten Arztes, wobei der Senat auf Grund des bestehenden vertragsärztlichen Systemversages keine durchgreifenden Einwände gegen eine Abrechnung der hierdurch entstehenden Kosten nach der GOÄ hat.
Der Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten auf Übernahme der künftigen Kosten für die Entfernung der gesamten Bartbehaarung resultiert § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Fall Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Hat die gesetzliche Krankenkasse danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der gesetzlichen Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Regelung erfasst über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus auch die zukünftige Kostenfreistellung bei einer Lücke im Naturalleistungssystem, die verhindert, dass Versicherte sich die begehrte Leistung im üblichen Weg der Naturalleistung verschaffen können (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Dezember 2020, Aktenzeichen B 1 KR 19/20 R, Rn 7, und vom 2. September 2014, Aktenzeichen B 1 KR 3/13 R, Rn 11; sämtliche Rechtsprechung hier und folgend zitiert nach JURIS). Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2019, Aktenzeichen B 1 KR 18/19 R, Rn 8 m.w.N.). Diese Regelung ist auch dann einschlägig, wenn ein „vertragsärztliches Systemversagen“ vorliegt. Ein solches ist unter anderem dann gegeben, wenn der Versicherte keine Vertragsärzte findet, welche die dem Versicherten geschuldete Sachleistungen erbringen können und wollen und auch von Seiten der Krankenkasse kein Vertragsarzt benannt werden kann, der bereit und in der Lage ist, die geschuldete Sachleistung zu erbringen (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 34, und vom 18. Dezember 2018, Aktenzeichen B 1 KR 34/17 R, Rn 23). Ist dieses der Fall, besteht für den Versicherten die Möglichkeit, eine privatärztliche Leistung in Anspruch zu nehmen mit der Folge, dass die Krankenkassen bei einer rechtmäßigen Honorarvereinbarung und einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach der GOÄ die hierdurch entstandenen Kosten in der tatsächlichen Höhe zu erstatten haben, wobei eine Begrenzung auf die „Kassensätze“ ausscheidet (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O.). Dasselbe gilt auch in diesem Fall für eine künftige Kostenübernahme. Es genügt insoweit, dass der Versicherte zwar keinen Natural- oder Sachleistungsanspruch nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts hat, wohl aber einen sachleistungsersetzenden Kostenübernahmeanspruch wegen Systemversagens. Der Anspruch sichert, dass Versicherte ihren Individualanspruch trotz der Mängel im System der Leistungserbringung verwirklichen können (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2014, Aktenzeichen B 1 KR 3/13 R, Rn 14). Die Krankenkasse hat daher bei einem vertragsärztlichen Systemversagen die durch die Inanspruchnahme eines Privatarztes entstehenden Kosten vorab zu übernehmen und gegebenenfalls unmittelbar mit dem Leistungserbringer abzurechnen, wenn feststeht, dass die Leistung in jedem Fall zu gewähren ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 35, und 3. April 2001, Aktenzeichen B 1 KR 40/00 R, Rn 32). Will sie Mehrkosten vermeiden, muss sie den Versicherten im Rahmen ihrer Ablehnungsentscheidung auf konkret erreichbare günstigere Möglichkeiten angemessener Selbstbeschaffung zur Schließung der Versorgungslücke hinweisen, auf die sich Versicherte im Interesse der Obliegenheit zur Kostenminderung grundsätzlich einlassen müssen (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Dezember 2020, a.a.O., und vom 2. September 2014, a.a.O., Rn 24). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Durchführung einer Nadelepilation zur Beseitigung ihrer Barthaare als Krankenbehandlung zusteht (a.) und sie diesen Behandlungsanspruch auf Grund eines Versagens des vertragsärztlichen Systems nicht durch die Inanspruchnahme eines Vertragsarztes zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung realisieren kann (b.).
a.
Die Klägerin kann den streitgegenständlichen Behandlungsanspruch aus § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 und § 28 Abs. 1 SGB V ableiten. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dies umfasst unter anderem die ärztliche Behandlung. Bei der Klägerin besteht ein Mann-zu-Frau-Transsexualismus, der zu einem Anspruch auf medizinisch indizierte geschlechtsangleichende Maßnahmen der Krankenbehandlung führen kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 8, und 11. September 2012, Aktenzeichen B 1 KR 3/12 R, Rn 10ff). Der Umfang der Krankenbehandlung richtet sich unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst i SGB V nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Dabei ist vor allem die Zielsetzung der Behandlung zu berücksichtigen, den Körper dem empfundenen Geschlecht dann anzunähern, wenn ein entsprechend ausgeprägter Leidensdruck der Betroffenen besteht, um ihn durch die äußerliche Geschlechtsangleichung zu lindern (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. September 2012, a.a.O., Rn 22). Der Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen ist aber auf einen Zustand begrenzt, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 11. September 2012, a.a.O.). Mann-zu-Frau-Transsexuelle können wegen der Augenfälligkeit von Barthaaren deren Entfernung als (vertrags-)ärztliche Behandlung beanspruchen, um den fortbestehenden Leidensdruck, der bei der Klägerin besonders ausgeprägt ist und – wie klägerseitig in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschildert – bis zu zeitweiser Suizidalität reicht, weiter zu mildern, wenn nach den konkreten Umständen nur dadurch eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht werden kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O.).
Die im Streit stehende Behandlung einer Barthaarnadelepilation wird im EBM erfasst und damit als eine abrechnungsfähige vertragsärztliche Leistung (vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB V) beschrieben. Sie fällt unter die arztgruppenübergreifende GOP 02300 und die hautärztliche GOP 10340, welche die Epilation durch Elektrokoagulation im Gesicht und/oder an den Händen bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs erfassen. Die männliche Bartbehaarung bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus ist ein solcher krankhafter und zugleich regelhaft entstellender Haarwuchs. Der weiß-gräuliche Bartwuchs der Klägerin als Mann-zu-Frau transsexueller Person mit entstellendem äußeren Erscheinungsbild stellt eine behandlungsbedürftige Erkrankung dar. Nach den gerichtlich durchgeführten Ermittlungen besteht bei dem verbliebenen hellen Bartwuchs der Klägerin nicht die Möglichkeit, diesen zuverlässig durch eine Laserepilation dauerhaft zu beseitigen (so auch die von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften [AWMF] publizierte S2k-Richtlinie „Lasertherapie der Haut“, AWMF-Register-Nr.: 013-095, 2022, mit Stand vom 11. Januar 2022, S. 47). Die alternativen Behandlungsmethoden der Epilation der Barthaare mittels hochenergetischen Blitzlampen („Intense Pulse Light“ bzw. „IPL“) und des „Super Hair Removals“ („SHR“) als Unterart der IPL-Methode unter der Nutzung anderer Lichtfrequenzen und einer höheren Zahl der Lichtimpulse (vgl. Karaca, Doğruk Kaçar und Ozuğuz, Comparison of SHR Mode IPL System with Alexandrite an Nd: YAG Laders for Leg Hair Reduction, Balkan Medical Journal, Seite 401, 402) stehen der Klägerin bereits aus dem Grund nicht zur Verfügung, dass es sich um neue Behandlungsmethoden handelt, für die es noch keine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses gibt und die daher nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht zu Lasten der Beklagten erbracht werden dürfen (vgl. hierzu auch die siebte Anmerkung zur GOP 02325 des EBM – Epilation mittels Lasertechnik bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus im Rahmen geschlechtsangleichender Maßnahmen, im Gesicht und/oder am Hals –: „Behandlungen unter Nutzung der IPL-Technologie sind nicht abrechnungsfähig“). Dass somit eine Barthaarnadelepilation indiziert ist, ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
b.
Es liegt ferner ein vertragsärztliches Systemversagen vor, da die Klägerin nicht in der Lage ist, die ihr nach den zu a) getroffenen Feststellungen zustehende Sachleistung in einer vertragsärztlichen Praxis zu den Bedingungen und Konditionen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erlangen; nichtärztliche Dienstleister wie z.B. Kosmetiker dürfen diese Leistung wegen des Arztvorbehalts aus § 15 Abs. 1 SGB V nicht zu Lasten der Beklagten erbringen (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 17 ff.). Trotz intensiver Suchbemühungen der Beteiligten wie auch der mit dem Fall befassten Gerichte ist es nicht gelungen, einen Vertragsarzt ausfindig zu machen, der bereit wäre, die Klägerin zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Barthaarnadelepilation zu behandeln. Anfragen des Senats bei weiteren Kassenärztlichen Vereinigungen waren entbehrlich, da diese – ebenso wie die Beigeladene zu 1) – anhand der Abrechnungsdaten der vertragsärztlichen Leistungserbringer nicht erkennen können, wer von diesen Nadelepilationen durchführt. Allein die Beigeladene zu 4) hat als Vertragsärztin überhaupt Behandlungsbereitschaft für die vorgenannte Behandlungsmethode angezeigt, wobei sie jedoch nicht bereit ist, die Behandlung vorzunehmen, wenn sie dafür nur einmal täglich die mit 58 Punkten bewertete GOP 10340 abrechnen darf. Das führt zu einem vertragsärztlichen Systemversagen, da weder die Klägerin noch die Beklagte in der Lage sind, die Beigeladene zu 4) gegen ihren Willen zu einer Behandlung zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu zwingen. Das Vorliegen eines vertragsärztlichen Systemversagens und die Tatsache, dass die Nadelepilation von Barthaaren Transsexueller in der vertragsärztlichen Praxis eine sehr zeitintensive und gering vergütete Tätigkeit ist, welche deswegen nahezu ausschließlich im Wege der Delegation auf nichtärztliche Behandler vorstellbar ist, hat das Bundessozialgericht im Jahr 2020 bereits im Rahmen eines obiter dictums festgestellt (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 34). Dass sich die Lage seitdem nicht verändert hat, dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass die Nadelepilation von Barthaaren nach dem schlüssigen Vortrag der Beigeladenen zu 4) täglich mit einer Dauer von mindestens einer Stunde und unter hohem Konzentrationsaufwand durchzuführen ist und nach der nachvollziehbaren Darstellung des Bundesverbandes der Dermatologen bei fehlerhafter Behandlung das Risiko der Vernarbung des Patienten und damit für den Behandler ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko birgt.
Nur am Rande weist der Senat darauf hin, dass zur Feststellung eines Systemversagens, das auf einem Mangel leistungsbereiter Leistungserbringer beruht, auch Krankenkassen befugt sind. Soweit das Bundessozialgericht den Krankenkassen diese Befugnis abgesprochen hat, beruhte das (mögliche) Systemversagen auf einem Verstoß der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gegen höherrangiges Recht (Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 2000, Aktenzeichen B 1 KR 11/98 R, Rn 20; missverständlich hingegen, weil pauschalisierend für alle Formen des Systemversagens: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21. März 2005, Aktenzeichen B 1 KR 16/04 B, Rn 6).
3.
Rechtsfolge dieses vertragsärztlichen Systemversagens ist, dass die Klägerin berechtigt ist, die Nadelepilationsbehandlung als privatärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen und hierfür eine entsprechende Honorarvereinbarung abzuschließen. Wenn hierbei die zwingenden Vorgaben der GOÄ für eine rechtmäßige und ordnungsgemäße Abrechnung eingehalten werden, ist die Beklagte auch zur Übernahme der hieraus entstehenden Mehrkosten verpflichtet (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 34). Hierbei hat das Bundessozialgericht in Bezug auf die Barthaarepilation ausdrücklich entschieden, dass die GOÄ bei einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ keine Vergütungsobergrenze festlegt. Der Umstand, dass wie im Fall der transsexuellen Klägerin, die nicht an einem krankhaften Haarwuchs in Folge von Endokrinopathie leidet, die Gebührenposition 742 der GOÄ nicht einschlägig und die Nadelepilation daher nur entsprechend § 6 Abs. 2 GOÄ abrechenbar ist, steht einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ nicht entgegen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 36f.). Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, dass es der Klägerin gelingen kann, mit der Beigeladenen zu 4) zumindest über den Abschluss einer Honorarvereinbarung, bei der der Multiplikator für die vereinbarte Leistungserbringung im Wege einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ einer von den sonstigen Vorgaben der GOÄ abweichenden Regelung zugänglich ist (vgl. Spickhoff in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, zu § 2 GOÄ, Rn 3), eine Versorgung mit der von ihr begehrten Epilationsleistung zu erreichen. Die Beklagte wird hierdurch nicht benachteiligt, da es dieser freisteht, selbst mit der Beigeladenen zu 4) zu verhandeln oder ein günstigeres privatärztliches Behandlungsangebot vorzulegen, worauf sich die Klägerin dann wiederum auf Grund ihrer Kostensenkungsobliegenheit einlassen müsste (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 35).
4.
Schließlich steht der Kostentragungspflicht der Beklagten nicht entgegen, dass die Beigeladene zu 4) Vertragsärztin ist und die begehrte Leistung grundsätzlich auch zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen könnte.
a.
Dieses gilt, obwohl die Beigeladene zu 4) als Vertragsärztin nach § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V grundsätzlich der Verpflichtung unterliegt, Versicherte im Umfang ihres aus der Zulassung folgenden Versorgungsauftrages (hier: Haut- und Geschlechtskrankheiten) nach den Maßgaben und Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln. Eine Vertragsärztin wie die Beigeladene zu 4) kann grundsätzlich nicht beliebig auswählen, welche vertragsärztlichen Leistungen sie erbringen will. Denn die vertragsärztliche Zulassung hat zur Folge, dass sie alle wesentlichen Leistungen des Fachgebiets auch tatsächlich anbieten und erbringen muss. Abweichungen hiervon können sich aus einer – bei der Beigeladenen zu 4) nicht ersichtlichen – zulässigen Spezialisierung der ärztlichen Tätigkeit ergeben. Hingegen ist die Beigeladene zu 4) als Vertragsärztin nicht berechtigt, ihr Leistungsspektrum aus sachfremden – namentlich finanziellen – Erwägungen zu beschränken, etwa weil sie die Vergütung einzelner Leistungen als "unattraktiv" ansieht, oder die Behandlung Versicherter davon abhängig zu machen, dass sie für diese Behandlung angemessen vergütet wird (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 2016, Aktenzeichen B 6 KA 3/15 R, Rn 27 m.w.N.; Rademacker in: beck-online. Großkommentar, Stand: 1. August 2019, zu § 95 SGB V, Rn 179f). Dementsprechend verstößt ein Vertragsarzt, der einen Versicherten dazu beeinflusst, eine privatärztliche Leistung an Stelle einer ihm zustehenden Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen, nach § 18 Abs. 8 Satz 2 des zwischen der Beigeladenen zu 2) und der Beigeladenen zu 3) vereinbarten Bundesmantelvertrages–Ärzte (BMV-Ä) in der aktuellen Fassung gegen seine vertragsärztlichen Pflichten.
b.
Eine Verletzung dieser für das Funktionieren des vertragsärztlichen Systems essentiellen Pflicht betrifft indes nur das Rechtsverhältnis zwischen Vertragsarzt und Kassenärztlicher Vereinigung. Diese hat die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht (§ 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Sie hat daher die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Vertragsärzte, soweit notwendig, unter Anwendung der in § 81 Abs. 5 SGB V vorgesehenen (Disziplinar-)Maßnahmen zur Erfüllung dieser Pflichten anzuhalten (§ 75 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Verletzt ein Vertragsarzt die aus seiner Zulassung resultierenden Pflichten, betrifft dies sein Rechtsverhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung, wirkt sich aber nicht zwangsläufig auf das wechselseitige Verhältnis anderer Akteure des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung – hier: das Verhältnis zwischen Krankenkasse und ihren Versicherten – aus. Es handelt sich insoweit um unterschiedliche Rechtskreise, wie sie in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für andere Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung in der Vergangenheit schon anerkannt wurden (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 5. Mai 2010, Aktenzeichen B 6 KA 5/09 R, Rn 44, vom 17. September 2008,Aktenzeichen B 6 KA 48/07 R, Rn 30, vom 30. November 2016, Aktenzeichen B 6 KA 38/15 R, Rn 45, vom 15. Juni 2016, Aktenzeichen B 6 KA 27/15 R, Rn 44, und vom 28. Oktober 2015, Aktenzeichen B 6 KA 15/15 R, Rn 11).
c.
Unter anderem deshalb ist eine nach den Vorgaben der GOÄ geschlossene Honorarvereinbarung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 4) zur Durchführung einer Barthaarnadelepilation nicht nichtig. Weder verstößt eine solche Vereinbarung gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch wäre sie nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
aa.
Ein allgemeines gesetzliches Verbot für Vertragsärzte, eine Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ mit Versicherten abzuschließen, gibt es nicht. Denn § 18 Abs. 8 Satz 3 Nr. 2 BMV-Ä sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass ein Vertragsarzt von dem gesetzlich versicherten Patienten eine Vergütung fordern kann, wenn dieser vor Beginn der Behandlung ausdrücklich verlangt, auf eigene Kosten behandelt zu werden, und er dieses dem Vertragsarzt schriftlich bestätigt. Der Umstand, dass die Beigeladene zu 4) durch den Abschluss einer Honorarvereinbarung mit der Klägerin möglicherweise gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten verstößt und hierfür gegebenenfalls durch die Beigeladene zu 3) zur Verantwortung gezogen werden kann, betrifft – wie bereits dargelegt – nicht das Vertragsverhältnis zur Klägerin und führt nicht zur Nichtigkeit der Honorarvereinbarung.
bb.
Der Abschluss einer Honorarvereinbarung für die Behandlung der Klägerin zu einem Mehrfachen des Betrages von 7,66 / 6,53 Euro, den der EBM für die einschlägigen GOP 02300 / 10340 auf der Grundlage des Orientierungspunktwerts nach § 87 Abs. 2e SGB V (näher Hamdorf in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB V, § 87, Stand: Februar 2021, Rn 9) ausweist, ist auch nicht wegen einer Benachteiligung der Beklagten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Der Abschluss einer Honorarvereinbarung zu Lasten der Beklagten verstößt in der hier vorliegenden Konstellation nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Hierbei muss Beachtung finden, dass bei der Nadelepilation von Barthaaren Transsexueller ein Systemversagen (hierzu unter 2b.) vorliegt und die Klägerin diese Leistung gegenwärtig nur im Rahmen einer privatärztlichen Behandlung durch die Beigeladene zu 4) – ggf. auf der Grundlage einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ – erlangen kann. Die Beklagte und damit die Versichertengemeinschaft sind vor einer sittenwidrigen Schädigung durch den Abschluss einer solchen Honorarvereinbarung dadurch hinreichend geschützt, dass es der Beklagten – auch mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) – freisteht, einen Vertragsarzt, der zur Behandlung der Klägerin zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung, oder einen Privatarzt, der zu günstigeren Konditionen als die Beigeladene zur Behandlung der Klägerin bereit ist, zu benennen. Auch im Übrigen belastet dieses Ergebnis die Beklagte nicht unbillig.
(1)
Die Beklagte hat gemeinsam mit den anderen Krankenkassen(-verbänden) auf regionaler Ebene sowie mit dem Beigeladenen zu 2) mehrere Möglichkeiten, das Systemversagen zu beseitigen.
Zum einen liegt es in der Hand der Beigeladenen zu 2) und 3), für die Barthaarnadelepilation Transsexueller eine bessere Bewertung vorzusehen, sei es durch pauschal höhere Punktzahlen für die GOP 02300 bzw. 10340, durch die Zuordnung der Nadelepilation zu einer besser bewerteten GOP (etwa die 02302 bzw. 10342 mit 230 bzw. 234 Punkten), durch die Ausgliederung der Nadelepilation aus dem bisherigen o.g. GOP und höhere Punktzahlen und/oder durch die Erhöhung der zulässigen Abrechnungsfrequenz je Behandlungstag. Entsprechende Versäumnisse sind den Krankenkassen als maßgeblichen Mitakteuren im Bewertungsausschuss (vgl. näher § 87 Abs. 3 SGB V) und Anspruchsgegnerinnen der Behandlungsansprüche Versicherter zuzurechnen (vgl. zur ähnlich gelagerten Situation bei der rückwirkenden Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit: Bundessozialgericht, Urteil vom 26. März 2020, Aktenzeichen B 3 KR 9/19 R, Rn 27f.).
Zum anderen kann die Beklagte auf regionaler Ebene gemeinsam mit den anderen Krankenkassen(-verbänden) Zuschläge nach § 87a Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V mit den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren und hierdurch Anreize für die Durchführung von Nadelepilationen durch vertragsärztliche Leistungserbringer setzen. Dass die Beklagte insoweit bereits Aktivitäten entfaltet hat, ist weder ihrem Vorbringen zu entnehmen noch konnte ihre Terminsvertreterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierzu Angaben machen.
An dieser Verantwortlichkeit der Beklagten ändert nichts, dass der Beigeladenen zu 1) auch ohne Mitwirkung der Krankenkassen weitere Möglichkeiten zur Beseitigung des o.g. Systemversagens in ihrem Bezirk eröffnet sind. So kann sie mit Blick auf die von ihr entgegen § 75 Abs. 1 SGB V offenkundig nicht gewährleistete Versorgung Versicherter mit Nadelepilationen Vergütungszuschläge aus dem Strukturfonds für diese (ggf. in der Abrechnung gesondert zu kennzeichnenden) Leistungen vorsehen (§ 105 Abs. 1a SGB V; näher hierzu Geiger in: Hauck/Noftz, SGB V, § 105 (Stand: Dezember 2016), Rn 23 ff.).
(2)
Darüber hinaus kann die Beklagte die ihr durch die privatärztliche Abrechnung von Nadelepilationen entstehenden Kosten auf die Beigeladene zu 1) abwälzen, muss sie somit nicht endgültig tragen.
Kommt die Kassenärztliche Vereinigung ihrem Sicherstellungsauftrag aus Gründen, die sie zu vertreten hat, nicht nach, können die Krankenkassen gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V die in den Gesamtverträgen nach § 85 oder § 87a SGB V vereinbarten Vergütungen teilweise zurückbehalten. Dem Auftrag, die Einzelheiten zu regeln (§ 75 Abs. 1 Satz 3 SGB V), sind die Partner des BMV-Ä durch dessen § 54 Abs. 3 nachgekommen. Danach kann die Krankenkasse, wenn die Kassenärztliche Vereinigung der Verletzung des Sicherstellungauftrags nach Durchführung des in § 54 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 BMV-Ä vorgesehenen Verfahrens nicht abhilft und auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt, Teile der Gesamtvergütung in der zuvor angezeigten Höhe einbehalten (§ 54 Abs. 3 Satz 9 BMV-Ä). Soweit der Krankenkasse aufgrund der Pflichtverletzung Schäden entstanden sind, können sich daraus ergebende Ansprüche mit den auszuzahlenden Beträgen aufgerechnet werden; es können abweichende gesamtvertragliche Regelungen getroffen werden (§ 54 Abs. 3 Satz 12 BMV-Ä). Diese Regelungen greifen auch in Fällen vertragsärztlichen Leistungsversagens (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 2018, a.a.O., Rn 25; vgl. auch Bundessozialgericht, Urteil vom 30. November 2016, Aktenzeichen B 6 KA 38/15 R, Rn 54, m.w.N.), zumal eine Untätigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung in Fällen vertragsärztlichen Systemversagens eine „erhebliche Verletzung des Sicherstellungsauftrags“ (§ 54 Abs. 3 Satz 2 BMV-Ä) darstellen dürfte (a.A. wohl BeckOK-SozR/Scholz, § 54 BMV-Ä, Rn 8).
Angesichts dessen kann dahinstehen, ob der Beklagten auf der Basis weiterer Rechtsgrundlagen – erwogen werden könnte etwa eine positive Forderungsverletzung (zur Anwendbarkeit dieses in § 280 BGB kodifizierten Rechtsinstituts im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Januar 2012, Aktenzeichen L 4 R 1296/11, Rn 24; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 12. Mai 2005, Aktenzeichen L 4 KR 118/03; jeweils m.w.N.; Sozialgericht Duisburg, Urteil vom 30. Mai 2007, Aktenzeichen S 9 (7) KR 15/06; Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, § 43 (Stand: Dezember 2016), Rn 40; Wilhelm, VSSR 2005, 469 ff.; Seegmüller, NZS 1996, 408 ff.) – sonstige Ersatzansprüche zustehen könnten. Gleiches gilt für die Möglichkeit von Krankenkassen, nach § 49 BMV-Ä vor einer bei der Kassenärztlichen Vereinigung zu errichtenden Schlichtungsstelle oder dem Sozialgericht (BeckOK-SozR/Daum, § 49 Rn 5) Schadensersatzansprüche gegenüber Vertragsärzten wegen schuldhafter Verletzung vertragsärztlicher Pflichten geltend zu machen.
Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass auch die Beigeladene zu 1) ihrerseits die ihr auf diese Weise auferlegten Kosten nicht endgültig tragen müsste. Denn diese könnte sie gegenüber den für die Verletzung des Sicherstellungauftrags mitverantwortlichen vertragsärztlichen Leistungserbringern geltend machen, sei es nur gegenüber der Beigeladenen zu 4), sei es den Nadelepilationen nicht anbietenden, aber hierzu befugten Arztgruppen (etwa durch entsprechende Reduzierung ihres Honorartopfes). Unbenommen bleibt der Beigeladenen zu 1) die Möglichkeit, disziplinarrechtliche Schritte gegen die Beigeladene zu 4) oder die vorgenannten Arztgruppen einzuleiten (vgl. § 75 Abs. 2 Satz 2, § 81 Abs. 5 SGB V i.V.m. der Disziplinarordnung der Beigeladenen zu 1).
cc.
Erweist sich somit in Fällen der vorliegenden Art eine auf § 2 GOÄ basierende Honorarvereinbarung nicht per se als sittenwidrig, können sich gleichwohl aus § 138 BGB oder aus Standesrecht Grenzen bei der Vergütungshöhe ergeben (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2020, a.a.O., Rn 36, m.w.N.).
5.
Der Senat teilt nicht die vom Beigeladenen zu 2) erhobenen Bedenken, das vom Senat gefundene Ergebnis könnte für andere vertragsärztliche Leistungserbringer einen Anreiz schaffen, aus ihrer Sicht nur unzureichend vergütete vertragsärztliche Leistungen künftig nur noch privatärztlich in der Hoffnung anzubieten, die Krankenkassen müssten ihnen diese Leistungen nach der GOÄ vergüten. Der vorliegende Fall zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die für die Klägerin notwendige Leistung allein von der Beigeladenen zu 4) erbracht wird. Demgegenüber würde bei von mehreren oder vielen Vertragsärzten erbrachten Leistungen die Weigerung einzelner Leistungserbringer nicht zwangsläufig zu einem vertragsärztlichen Systemversagen führen. Spätestens bei Hinweisen auf eine zwischen mehreren Vertragsärzten abgestimmte Leistungsverweigerung hält der Senat ein disziplinarrechtliches Vorgehen der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund ihres Sicherstellungsauftrags für unumgänglich.
6.
Inhaltlich ist der Anspruch der Klägerin auf Übernahme der durch vertragliche Vereinbarungen mit der Beigeladenen zu 4) oder einem anderen leistungsbereiten, approbierten Arzt entstehenden Kosten gerichtet. An einer Verurteilung der Beklagten zu einer sachleistungsersetzenden Kostenfreistellung (hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 2. September 2014 – B 1 KR 3/13 R –, Rn 14) hat sich der Senat gehindert gesehen, weil er es im vorliegenden Fall für möglich hält, dass Kosten nicht nur durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 4) oder einem anderen leistungsbereiten, approbierten Arzt entstehen können – dann wäre ein Kostenfreistellungsanspruch sachgerecht –, sondern auch dadurch, dass die vertragliche Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen 4) oder einem anderen leistungsbereiten, approbierten Arzt als Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) zustande kommt.
7.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin wirtschaftlich gesehen überwiegend obsiegt hat. Der Klägerin kam es im gesamten Verfahren nicht entscheidend darauf an, durch welchen Leistungserbringer die im Streit stehende Barthaarnadelepilation erfolgt, sondern dass sie diese Leistung überhaupt erhält und die Beklagte die Kosten dieser Behandlung zu tragen hat. Daher fällt es bei der Bewertung von Erfolg und Misserfolg nicht entscheidend ins Gewicht, dass sie im Klageverfahren mit ihrem ursprünglichen Hauptantrag und ihrem ersten Hilfsantrag erfolglos geblieben ist. Der Umstand, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren und zu Beginn des Klageverfahrens noch erfolglos begehrt hatte, die Kosten der bereits durchgeführten Barthaarepilationen für ihre dunklen Barthaare erstattet zu erhalten, wird dadurch hinreichend berücksichtigt, dass sie ein Viertel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, da sie wirtschaftlich gesehen in dieser Höhe unterlegen ist. Von der Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Senat in entsprechender Anwendung der Norm des § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung abgesehen, da diese keine Anträge gestellt und damit auch kein Kostenrisiko getragen haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. März 2009, Aktenzeichen B 14 AS 34/07 R, Rn 23).
Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zu der Frage, ob es für einen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung im Falle eines vertragsärztlichen Systemversagens möglich ist, zu deren Lasten Leistungen eines Vertragsarztes auf Grundlage einer Abrechnung nach der GOÄ in Anspruch zu nehmen, wenn dieser und auch kein anderer Arzt ansonsten nicht bereit sind, eine dem Grunde nach geschuldete Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen, existiert bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung.