L 10 KR 381/20

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 24 KR 665/17
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 10 KR 381/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei der Verbeitragung von Einnahmen aus Kapitalvermögen zur GKV sind mit der Erzielung dieser Einnahmen einhergehende Werbungskosten abzuziehen. Der Begriff der Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs 1 Einkommensteuergesetz entspricht dem in § 3 Abs 1b Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler und kann daher bei der Bestimmung und Berechnung des beitragspflichtigen Einkommens herangezogen werden.

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. August 2020 und der Bescheid der Beklagten vom 17. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. August 2017 geändert.

 

Die Beklagte wird verurteilt, die Beiträge der Klägerin zur gesetzlichen Kranken- und zur sozialen Pflegeversicherung in der Zeit vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 unter Berücksichtigung von Werbungskosten in Höhe von 20.561,92 Euro neu festzusetzen.

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Die Beklagte hat der Klägerin 1/3 ihrer notwendigen außergerichtlichen Auslagen im Vor-, Klage- und Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 31. Dezember 2015. Dabei besteht Uneinigkeit darüber, ob die beklagte Krankenkasse bei der Beitragserhebung Einkünfte aus Kapitalvermögen wie im Einkommensteuerbescheid ausgewiesen zugrunde legen kann oder vor der Verbeitragung von diesen ausgewiesenen Einkünften anzuerkennende Werbungskosten abzuziehen hat.

 

Die Klägerin war seit 1. Oktober 2005 bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) freiwillig versichert und bezog Einnahmen aus diversen Kapitalanlagen. Mit Bescheiden vom 19. Juni 2013 bzw 18. September 2014 setzte die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Juli 2013 bzw ab 1. Juli 2014 auf monatlich insgesamt 188,32 EUR fest und aufgrund einer Änderung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung erhöhte die Beklagte die Beiträge mit Bescheid vom 29. Dezember 2014 ab 1. Januar 2015 auf insgesamt 191,66 EUR.

 

Nachdem die Klägerin bei der Beklagten am 12. August 2015 die Einkommensteuerbescheide für 2012 vom 13. Mai 2014 und für 2013 vom 5. Juni 2015 vorgelegt hatte, berechnete die Beklagte die Beiträge zur GKV und SPV neu. Da die von der Beklagten berücksichtigten im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Kapitalvermögen die herangezogene Beitragsbemessungsgrenze (4.125 EUR) überstiegen, legte die Beklagte ihrer Beitragsberechnung letztere zugrunde. Sie setzte die Beiträge zur GKV und SPV mit Bescheid vom 17. August 2015 für die Zeit ab 1. Juni 2014 neu auf monatlich insgesamt 711,57 EUR fest (592,78 EUR zur GKV und 93,49 EUR zur SPV), wodurch für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 31. Juli 2015 eine Nachzahlung in Höhe von 7.126,43 EUR zu leisten war, die sich aus der beigefügten tabellarischen Aufstellung ergab. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2017 zurück.

 

Die am 15. September 2017 bei dem Sozialgericht Itzehoe eingegangene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 25. August 2020 abgewiesen. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 26. Oktober 2020 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. November 2020 eingegangene Berufung der Klägerin. Ihr Anliegen besteht darin, dass bei der Beitragsfestsetzung zur GKV und SPV für die Berechnung des zu verbeitragenden Einkommens nicht ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden, die im Einkommensteuerbescheid als zu versteuernde Einkünfte ausgewiesen werden, sondern zuvor ihr für diese Einkommenserzielung entstandene Werbungskosten abgezogen werden. Sie stützt ihr Begehren auf § 3 Abs 1b der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler und hat ein Konvolut von Ausgaben vorgelegt, die ihres Erachtens zu berücksichtigungs- und abzugsfähigen Werbungskosten in Höhe von 21.017,58 EUR für das Jahr 2012 und 21.652,59 EUR für das Jahr 2013 führen. Es handelt sich um Kosten für den Geldverkehr, Telekommunikation, Mobilkommunikation, häusliches Arbeitszimmer, Bürobedarf, Postwertzeichen, Geschäftsreisen und Steuerberatung. Sie erläutert, seit Einführung der Abgeltungssteuer zum 1. Januar 2009 würden Kapitalerträge nur noch mit einem Steuersatz von 25 % der Einkommensteuer unterzogen werden und der Abzug tatsächlicher Werbungskosten sei nach § 20 Abs 9 Einkommensteuergesetz (EStG) ausgeschlossen. Wenn jedoch für die Beiträge die im Einkommensteuerbescheid als Einkommen aus Kapitalvermögen ausgewiesenen Einkünfte ohne Abzug von Werbungskosten verbeitragt werden, führe das zu einem verfälschten Bild ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die jedoch nach den Regelungen zur Beitragserhebung freiwilliger Mitglieder maßgeblich sei.

 

Die Klägerin beantragt,         

 

  1. das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. August 2020 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 17. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2017 zu ändern,

 

  1. die Beklagte zu verurteilen, ihre Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung vom 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 unter Berücksichtigung von in 2012 angefallenen Werbungskosten über 21.017,58 EUR sowie vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 unter Berücksichtigung von in 2013 angefallenen Werbungskosten über 21.652,59 EUR neu festzusetzen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

  1. die Berufung zurückzuweisen.

 

  1. ggf. die Revision zuzulassen.

 

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass sie für die Beitragserhebung die Einkünfte aus Kapitalvermögen aus dem Steuerbescheid entnehmen könne, ohne dass weitere Abzüge vorzunehmen sind. Eine andere Vorgehensweise sei nicht verwaltungspraktikabel.

 

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die aktenkundigen Unterlagen und Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingegangen, und teilweise begründet.

 

1. Verfahrensgegenständlich ist der Beitragsbescheid der Beklagten vom 17. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2017 für den Regelungszeitraum 1. Juni 2014 bis 31. Dezember 2015, da die Beteiligten im Rahmen ihrer Dispositionsmaxime über den Streitgegenstand den gerichtlich zu überprüfenden Zeitraum übereinstimmend bis zum 31. Dezember 2015 beschränkt haben. Die Klägerin begehrt nicht die Freistellung von der Beitragszahlung zur GKV und SPV, sondern die Neuberechnung ihrer Beitragspflicht auf der Grundlage von beitragspflichtigen Einnahmen aus Kapitalvermögen nach Abzug von Werbungskosten, die ihr für die Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen entstanden sind. Dieses Ziel verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), die den Beitragsbescheid der Beklagten vom 17. August 2015 ändert und die Beklagte dazu verpflichtet, über die Höhe ihrer Beitragsverpflichtung vom 1. Juni 2014 bis 31. Dezember 2015 neu zu entscheiden.

 

2. Die Beitragserhebung der Beklagten mit Bescheid vom 17. August 2015 erweist sich für den Zeitraum 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 als rechtmäßig, für die Zeit ab 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 jedoch als rechtswidrig und verletzt die Klägerin diesbezüglich in ihren Rechten. Das Sozialgericht hat die Klage für den Zeitraum 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 zu Unrecht abgewiesen.

 

Ausgehend von den Grundsätzen zur Beitragserhebung und Berücksichtigung von Änderungen bei Selbstzahlern <dazu 3.> waren die Beiträge der Klägerin zwar unter Berücksichtigung der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Kapitaleinkünfte zu berechnen <dazu 4. a)>, allerdings hatte die Beklagte tatsächlich nachgewiesene Werbungskosten in Abzug zu bringen <dazu 4. b) bis d)>. Die Berechnungen führen allerdings dazu, dass die im Bescheid der Beklagten vom 17. August 2015 ausgewiesene Beitragslast der Klägerin für den Zeitraum 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 korrekt ist <dazu 5. a)>, jedoch für die Zeit ab 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 Einnahmen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze zu verbeitragen waren <dazu 5. b)>. Daraus ergeben sich gleichzeitig ab 1. Juli 2015 geringere Beiträge zur Pflegeversicherung <dazu 6.)>.

 

3. Die Entscheidung der Beklagten beruht auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) <dazu a)> und berücksichtigt die Regelungen zur Beitragsbemessung bei freiwilliger Mitgliedschaft in § 240 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) <dazu b)> einschließlich der Maßstäbe für die Berücksichtigung von Veränderungen der beitragspflichtigen Einnahmen <dazu c)>, wobei der Klägerin Mitteilungspflichten über Veränderungen bekannt waren <dazu d)>.

 

a) Die verfahrensgegenständliche Entscheidung der Beklagten vom 17. August 2015 beruht sowohl für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 als auch ab 1. Juli 2015 auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X. Der Bescheid vom 17. August 2015 ändert die Beitragsbescheide vom 21. Mai 2013, 19. Juni 2013, 18. September 2014 und 29. Dezember 2014 ab, die jeweils ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sind. Soweit allerdings in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X).

 

b) Nach § 240 Abs 1 Satz 1 SGB V wird die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Für die Jahre 2014 und 2015 galten die „Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)“ vom 27. Oktober 2008, geändert am 10. Dezember 2014. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler stehen in Einklang mit höherrangigem (Gesetzes- und Verfassungs-)Recht (BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 KR 15/13 R – Rn 22; BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 KR 11/20 R, Rn 11). Nach § 240 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 SGB V ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Mit einzubeziehen sind demgemäß alle Einnahmen und Geldmittel, die das freiwillige Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, und zwar ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung der Einkünfte (siehe § 3 Abs 1 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler; vgl auch BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 KR 12/13 R – Rn 15; BSG, Urteil vom 15. Oktober 2014 – B 12 KR 10/12 R – Rn 21 mwN, juris).

 

c) Änderungen in den beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder der GKV werden nicht nach dem Zuflussprinzip umgesetzt, sondern auch für Einnahmen aus Kapitalvermögen zeitversetzt ab Beginn des auf die Ausfertigung eines neuen Einkommensteuerbescheides folgenden Monats berücksichtigt (vgl § 6 Abs 6 Satz 2 iVm § 7 Abs 7 Satz 2 und 3 sowie § 6 Abs 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler), wobei unerheblich ist, ob – wie hier von der Klägerin betreffend das Jahr 2012 – gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch eingelegt wurde oder nicht (vgl BSG, Urteil vom 22. März 2006 
B 12 KR 14/05 R – Rn 16, 21, juris; Urteil vom 2. September 2009 – B 12 KR 21/08 R – Rn 16; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Juni 2013 – L 11 KR 300/12 – Rn 29, juris; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 7. Juli 2016 – L 5 KR 63/16 B ER – Rn 17, juris).
Für die Beitragserhebung maßgebliche
– und damit im Sinne von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wesentliche – Änderungen der Einkommenssituation der Klägerin sind belegt durch die Einkommensteuerbescheide für 2012 vom 13. Mai 2014 und für 2013 vom 5. Juni 2015, die im August 2015 vorgelegt wurden, jedoch bereits ab 1. Juni 2014 bzw. 1. Juli 2015 zu berücksichtigen waren.

 

d) Die in § 6 Abs 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler geregelte Pflicht eines freiwilligen Mitgliedes, Änderungen unverzüglich mitzuteilen, besteht unabhängig davon, dass die Krankenkasse nach § 6 Abs 2 Satz 1 und 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler die beitragspflichtigen Einnahmen, die nicht von Dritten gemeldet werden, von Amts wegen spätestens alle sechs Monate zu überprüfen hat. Der Klägerin war aus den Verwaltungsverfahren zu vorangegangenen Beitragsbescheiden vom 21. Mai 2013, 19. Juni 2013, 18. September 2014 und 29. Dezember 2014 und deren Anlagen, die auf die unverzügliche Vorlage neuer Einkommensteuerbescheide hinweisen, insbesondere bekannt, dass die Einkommensteuerbescheide für die Berechnung des Beitrags zur freiwilligen Krankenversicherung relevant waren und sie neue Nachweise über die Höhe ihrer Einnahmen bei der Beklagten vorzulegen hat. Sie ist ihrer Pflicht, die Einkommensteuerbescheide für 2012 vom 13. Mai 2014 bzw für 2013 vom 5. Juni 2015 unverzüglich vorzulegen, daher grob fahrlässig iSv § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht nachgekommen.

 

4. Zur Beitragserhebung im Rahmen der freiwilligen Versicherung heranzuziehen waren Einnahmen der Klägerin aus Kapitalvermögen. Die – zwischen den Beteiligten nicht streitige – Beitragserhebung der Beklagten auf die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erweisen sich als Ertrag aus einer langfristigen Finanzanlage in geschlossenen Fonds, denen ein Gewerbebetrieb zugrunde liegt, und unterlagen daher – ebenso wie die übrigen im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Kapitalvermögen – den im Recht der GKV geltenden Regelungen zur Verbeitragung von Einnahmen aus Kapitalvermögen.

 

a) Für Einnahmen aus Kapitalvermögen ergibt sich aus dem Umstand, dass sie – mangels gegenteiliger Zweckbestimmung – für das Bestreiten des Lebensunterhalts eingesetzt werden können und der expliziten Regelung in § 3 Abs 1b Satz 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (vom 27. Oktober 2008, zuletzt geändert am 10. Dezember 2014), nach der Einnahmen ua aus Kapitalvermögen den beitragspflichtigen Einnahmen zuzurechnen sind, dass sie der Verbeitragung zur gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen (dem Grunde nach bestätigend BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 KR 12/13 R – Rn 18). Dabei kann die beklagte Krankenkasse im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens bei der Vorlage von Nachweisen (vgl § 6 Abs 3 Satz 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) auf den Einkommensteuerbescheid abstellen.

 

b) Allerdings folgt aus dem Umstand, dass Werbungskosten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (im Sinne des § 240 Abs 1 Satz 2 SGB V) des freiwilligen Mitglieds einschränken (vgl BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 KR 11/20 R, Rn 30) und der Regelung in § 3 Abs 1b Satz 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, wonach Einnahmen aus Kapitalvermögen nach Abzug von Werbungskosten zu verbeitragen sind, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht in dem im Einkommensteuerbescheid festgestellten Umfang zur Beitragserhebung heranzuziehen sind (aA ohne plausible Herleitung Gerlach in: Hauck/Noftz SGB V, § 240 Beitragspflichtige Einnahmen freiwilliger Mitglieder, Rn 78). § 3 Abs 1b Satz 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sieht insoweit selbst für Einnahmen aus Kapitalvermögen nicht das Bruttoprinzip vor, sondern regelt explizit, dass als Werbungskosten bei Einnahmen aus Kapitalvermögen ein Betrag von 51 Euro pro Kalenderjahr zu berücksichtigen ist, sofern keine höheren tatsächlichen Aufwendungen nachgewiesen werden. Solche höheren tatsächlichen Aufwendungen müssen – systematisch folgerichtig – Werbungskosten im Sinne von § 3 Abs 1b Satz 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sein. Dort werden Werbungskosten definiert als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Eine detaillierte Auflistung, die für die Verbeitragung von Einnahmen aus Kapitalvermögen eine Gleichbehandlung aller Versicherten (zum Gebot der Belastungsgleichheit vgl BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 KR 11/20 R, Rn 23) gewährleistet, enthält diese Regelung allerdings nicht. Unter Berücksichtigung des Wortlauts und des gleichzeitig fehlenden Verweises auf das Einkommensteuergesetz (systematische Auslegung), ist für das Beitragsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung eine – abstrakte – Festlegung zu treffen, welche Kosten als Werbungskosten anzuerkennen sind, die auf alle freiwillig Versicherten, für deren Beitragszahlung (auch) Einnahmen aus Kapitalvermögen herangezogen werden, gleichermaßen angewendet wird.

 

c) Die in § 3 Abs 1b Satz 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler und § 9 Abs 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) wortlautidentische Definition für Werbungskosten (vgl auch BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 KR 11/20 R, Rn 23) veranlasst den Senat dazu, bei der Verbeitragung zur GKV ihrer Art nach dieselben Aufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen, die auch nach dem Einkommensteuerrecht anerkannt werden können, vor allem wenn für die berücksichtigungsfähigen Einnahmen aus Kapitalvermögen auf die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Kapitalvermögen abgestellt wird (vgl zur synchronen Berücksichtigung von Einkünften und Werbungskosten nach Maßgabe des Steuerrechts jüngst BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 KR 11/20 R, Rn 33). Auf diese Art und Weise lässt sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds einer gesetzlichen Krankenkasse für alle gleichermaßen ermitteln und festlegen.

Aufwendungen iSd § 9 Abs 1 S 1 EStG sind – als Gegenstück zu Einnahmen im Sinne von § 8 EStG – alle Ausgaben, dh Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und bei Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs 1 Nr 4 bis 7 EStG abfließen, sowie sonstiger Aufwand (vgl Oertel in: Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl 2022 § 9 Werbungskosten, Rn 6, 7). Nach dem Einkommensteuerrecht sind Werbungskosten bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs 1 Satz 2 EStG). Die Übertragung dieses Grundsatzes auf die Verbeitragung von Einnahmen aus Kapitalvermögen führt dazu, dass nur solche Kosten abzugsfähig sind, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen aus Kapitalvermögen durch den Beitragspflichtigen stehen. Dabei steht der Übertragung dieser Vorgehensweise auf die Beitragserhebung im Recht der GKV nicht entgegen, dass steuerrechtlich der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgeschlossen ist (§ 20 Abs 9 Satz 1 EStG in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung). Denn dieses Vorgehen sieht § 3 Abs 1b Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler gerade nicht vor. Dieser Umstand führt zwar dazu, dass bei der Verbeitragung von Kapitalerträgen die tatsächlichen Aufwendungen der Steuerpflichtigen nicht mehr vom Finanzamt geprüft werden und die Krankenkasse die Einnahmen aus Kapitalvermögen und die abzugsfähigen Aufwendungen nicht mehr ohne eigene Prüfung dem Einkommensteuerbescheid entnehmen kann. Das kann angesichts des eindeutigen Wortlauts in § 3 Abs 1b Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler jedoch nicht dazu führen, dass die durch die Regelung des GKV-Spitzenverbandes determinierte Vorgehensweise als nicht verwaltungspraktikabel bewertet wird mit der Folge, dass diese Regelung nicht umgesetzt wird (vgl BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 KR 11/20 R, Rn 29). Weder die beklagte Krankenkasse noch das überprüfende Gericht haben insoweit eine Verwerfungskompetenz aus Gründen der Arbeitserleichterung. Die Entscheidungen des BSG, auf die sich die Beklagte bzw das Sozialgericht berufen haben, betreffen die Rechtslage bis Ende 2008 (Urteil vom 28. Mai 2015, B 12 KR 12/13 R) bzw deutlich früher (1978) und sind angesichts der heutigen Rechtslage in § 240 SGB V und der im Wege der Selbstverwaltung getroffenen Regelungen in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler überholt. Rechtlich maßgebliche Gründe für die Nichtanwendung von § 3 Abs 1b Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind keinesfalls ersichtlich, zumal § 240 Abs 1 Satz 2 SGB V – wie bereits oben dargestellt – für die Beitragserhebung auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds abstellt und dieser Grundsatz mit § 3 Abs 1b Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler gerade umgesetzt wird.

 

d) Die seitens der Klägerin für die Jahre 2012 und 2013 geltend gemachten Werbungskosten erkennt der Senat dem Grunde nach an. Der Senat stützt diese Entscheidung auf § 9 Abs 1 Satz 3 EStG, das Amtliche Einkommensteuer-Handbuch des Bundesministeriums der Finanzen (auf der Homepage verfügbare Ausgabe 2019) Abschnitt R 20.1 Richtlinie „Werbungskosten bei Einkünften aus Kapitalvermögen“ S 2210 und nachfolgend benannte Entscheidungen aus der Finanzgerichtsbarkeit zu bei Kapitaleinkünften anzuerkennenden Werbungskosten. Anerkennungsfähig sind danach Kosten für Fachliteratur, Reisekosten, Steuerberatung oder Rechtsberatung, Kontoführungsgebühren (sa Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 14. Mai 1981 – VII 20/81 – Rn 16 juris); Schuldzinsen und andere Kosten für Kredite, deren Valuta zum Erwerb oder zur Schaffung einer Kapitalanlage im Sinne des § 20 EStG verwandt wird (sa FG Münster, Urteil vom 20. Februar 2014 – 8 K 475/11 E,F –, Rn 43f, juris; FG Köln, Urteil vom 18. April 1986 – V K 378/85 – Rn 49, juris); anteilige Wohnkosten für ein häusliches Arbeitszimmer (BFH, Urteil vom 8. März 2017 – IX R 52/14 –, Rn 10ff, juris), anteilige Telefonkosten (BFH, Urteil vom 21. November 1980 – VI R 202/79 – Rn 14 bis 15) sowie Postwertzeichen und Bürobedarf (§ 9 Abs 1 Satz 3 Nr 6 EStG).

 

Der Höhe nach ist für die rückwirkende Beitragserhebung zu bedenken, dass der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 13. Mai 2014 für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 heranzuziehen war und der Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 5. Juni 2015 ab 1. Juli 2015 maßgeblich war (vgl § 6 Abs 6 Satz 2 iVm § 7 Abs 7 Satz 2 und 3 sowie § 6 Abs 4 Satz 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Folglich sind die von der Klägerin geltend gemachten Werbungskosten der Höhe nach für 2012 und 2013 gesondert zu prüfen. Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten sind weit überwiegend auch der Höhe nach anzuerkennen. Die von der Klägerin in den im Oktober 2021 überlassenen Übersichten (Blatt 348 für 2012 und Blatt 167 für 2013) genannten spartenweise aufsummierten Beträge sind anhand der vorgelegten Belege nachvollziehbar. Nicht anzuerkennen sind Kosten des Geldverkehrs bei der B_____________bank und für miles & more, die dem Ehemann der Klägerin zuzurechnen sind, und Kosten des Steuerberaters, die nicht für Beratungsleistungen betreffend Kapitaleinkünfte in Rechnung gestellt wurden. Die Kosten des Geldverkehrs sind im Übrigen inklusive der Sollzinsen für das Kreditlinienkonto 0_________ abzugsfähig. Die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer erkennt der Senat aufgrund der von dem Steuerberater der Klägerin vorgelegten Unterlagen über für die Jahre 2007 und 2008 geltend gemachte und im Einkommensteuerbescheid anerkannte Kosten nach freier Überzeugung (§ 128 SGG) an. Im Einzelnen ergibt sich folgende Kostenaufstellung, die zur Anerkennung von Werbungskosten in Höhe von 20.328,66 EUR für 2012 und in Höhe von 20.561,92 EUR für 2013 führt.

 

 

 

Werbungskosten 2012

Geldverkehr

13.577,58 EUR

Telekommunikation (anteilig)

64,60 EUR

Mobilkommunikation (anteilig)

341,86 EUR

Häusliches Arbeitszimmer (14,73 %)

2.393,59 EUR

Bürobedarf

2.620,84 EUR

Fachliteratur

692,99 EUR

Geschäftsreisen

637,20 EUR

Summe

20.328,66 EUR

 

Werbungskosten 2013

Geldverkehr

14.953,00 EUR

Telekommunikation

335,80 EUR

Mobilkommunikation

240,00 EUR

Häusliches Arbeitszimmer (14,73 %)

2.133,60 EUR

Bürobedarf

1.458,96 EUR

Postwertzeichen

38,14 EUR

Steuerberatung

1.402,42 EUR

Summe

20.561,92 EUR

 

5. a) Auf der Grundlage des Steuerbescheides vom 13. Mai 2014 für das Jahr 2012 war der Beitragserhebung ab 1. Juni 2014 ein Einkommen aus Kapitalvermögen in Höhe von monatlich 4.390,52 EUR zugrunde zu legen <(59.762,00 EUR minus 20.328,66 EUR) plus 13.253,00 EUR – aufgeteilt auf 12 Monate>. Dieser Betrag überschritt die Beitragsbemessungsgrenze iSv § 223 Abs 3 SGB V, die im Jahr 2014 auf 4.050,00 EUR festgesetzt war, so dass die Klägerin Beiträge auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze zu zahlen hatte, solange der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 13. Mai 2014 maßgeblich war. Das war bis Ende Juni 2015 der Fall, weil mit Wirkung ab 1. Juli 2015 der Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 5. Juni 2015 zugrunde zu legen war.

 

b) Ausgehend von dem Steuerbescheid vom 5. Juni 2015 für das Jahr 2013 war der Beitragserhebung ab 1. Juli 2015 ein Einkommen aus Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung in Höhe von monatlich 2.994,34 EUR zugrunde zu legen <(52.718,00 EUR minus 20.561,92 EUR) plus 1.880 EUR plus 1.896 EUR – aufgeteilt auf 12 Monate>. Dieser Betrag unterschritt die Beitragsbemessungsgrenze iSv § 223 Abs 3 SGB V, die im Jahr 2015 auf 4.125,00 EUR festgesetzt war, so dass die Klägerin Beiträge auf der Grundlage ihrer tatsächlichen berücksichtigungsfähigen Einkünfte zu zahlen hatte, nicht jedoch auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze.

 

Der Bescheid vom 17. August 2015 erweist sich daher für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 als rechtmäßig, für die Zeit ab 1. Juli 2015 jedoch als rechtswidrig. Er war daher entsprechend ab dem 1. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte war zur Neubescheidung über die Beitragspflicht der Klägerin zu verurteilen.

 

6. Die Entscheidung der Beklagten über die Beitragserhebung zur SPV beruht auf § 57 Abs 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), der auf die Vorschriften zur Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder nach § 240 SGB V verweist. Auch die Entscheidung der Beklagten zur Verbeitragung des Einkommens der Klägerin für die SPV ist für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 30. Juni 2015 rechtmäßig, für die Zeit ab 1. Juli 2015 – begrenzt bis 31. Dezember 2015 – jedoch rechtswidrig mit der Folge, dass die Beklagte die Klägerin auch betreffend ihre Beitragsverpflichtung zur SPV ab 1. Juli 2015 neu zu bescheiden hat.

 

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin für etwa ein Drittel des streitigen Zeitraums (6 von 19 Monaten) obsiegt hat.

 

8. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung weder von Entscheidungen des BSG ab noch hat der Senat über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung entschieden. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 28. Mai 2015 (B 12 KR 12/13 R, Rn 24) ausdrücklich – nur – für die bis zum 31. Dezember 2008 geltende Rechtslage ausgeführt, dass die Feststellungen des Einkommensteuerbescheides maßgeblich seien und darüber hinaus gesehen, dass
– aus der Sicht der dortigen Fallgestaltung erst – ab 1. Januar 2009 die §§ 6, 7 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler Anwendung finden. Für die Rechtslage ab 1. Januar 2009 fehlt es angesichts des klaren Wortlauts von § 240 Abs 1 SGB V, der dem GKV-Spitzenverband die Ermächtigung einräumt, die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler zu erlassen (Satz 1) und vorgibt, die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen (Satz 2), an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage.

Rechtskraft
Aus
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