L 12 SO 323/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 39 SO 485/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 323/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 61/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.07.2019 wird zurückgewiesen.

Die Klagen, die Klageänderung betreffend, werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Versagungsbescheid der Beklagten vom 29.08.2017.

Der 1946 geborene Kläger stellte am 03.02.2017 bei der Beklagten erstmals einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) für die Zeit ab dem 01.05.2017. Er teilte bei Antragstellung mit, dass er zurzeit keine Wohnung habe und gelegentlich bei Freunden, Verwandten oder Kunden verweile. Für eine feste Wohnung reiche seine Altersrente und der geringe Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit als Unternehmensberater nicht aus. Der Kläger legte gleichzeitig einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, wonach seine Rente ab dem 01.07.2016 monatlich netto 541,72 Euro betrug. Ferner überreichte der Kläger einen so genannten „Hauseigentümer-Vorschlag“ der W GmbH vom 01.02.2017, wonach dem Kläger ab dem 20.03.2017 eine Einzimmerwohnung in T mit einer Wohnfläche von 43 m² zu einer Bruttowarmmiete i.H.v. 409,38 Euro monatlich angeboten wurde. Die Beklagte bescheinigte dem Kläger mit Schreiben vom 03.02.2017, dass die geforderte Miete sozialhilferechtlich angemessen sei. Nachdem der Kläger auf Anforderung durch die Beklagte verschiedene weitere Angaben gemacht und Unterlagen vorgelegt hatte, forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 25.04.2017 unter Fristsetzung bis zum 15.05.2017 auf, folgende weitere Unterlagen vorzulegen:

„– Anlage EKS, abschließend für die vergangenen sechs Monate (Verweis auf die Umsatzsteuererklärung ist nicht ausreichend);

– Anlage EKS, vorläufig für die kommenden sechs Monate (Verweis auf die Umsatzsteuererklärung ist nicht ausreichend);

– Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016;

– Kundenfinanzstatus, Finanzübersicht Kreissparkasse L;

– Nachweis über die Einrichtung eines Girokontos (gemäß beiliegendem Merkblatt);

– Nachweis über den Kranken- und Pflegeversicherungsschutz (alternativ: Erklärung über das zuletzt bestehende Versicherungsverhältnis);

– Aufhebungsbescheid Grundsicherung L (alternativ: Bestätigung, dass in L keine Grundsicherung bezogen wurde);

– Anmeldebestätigung für die Wohnung D-Str. 30“.

 

Die Beklagte wies den Kläger gleichzeitig darauf hin, dass bei Verletzung der angeforderten Mitwirkungshandlungen eine Versagung der beantragten Leistungen gemäß § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) in Betracht komme.

Mit weiterem Schreiben vom 13.07.2017 forderte die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme sowie Erinnerung an ihr Mitwirkungsschreiben vom 25.04.2017 zur Vorlage eines Kundenfinanzstatus der Stadtsparkasse L auf und teilte dem Kläger hierbei mit, es werde eine Bestätigung bzw. Negativbescheinigung der Geschäftsbeziehungen zur Sparkasse L benötigt. Mit weiterem Schreiben vom 26.07.2017 forderte die Beklagte Belege für die EKS für das erste Halbjahr 2017 sowie nochmals einen Kundenfinanzstatus der Sparkasse L an. Die Beklagte wies erneut auf die Möglichkeit einer Versagung der beantragten Leistungen bei Unterlassen der angeforderten Mitwirkung hin.

Die Beklagte fertigte unter dem Datum 18.08.2017 einen Bewilligungsbescheid über Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 242,89 Euro für die Monate Mai bis September 2017. Der Bescheid enthielt als Adresse „D-Str. 26“ in T. Der Brief mit dem Bewilligungsbescheid lief mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt“ am 24.08.2017 an die Beklagte zurück. Der Bescheid wurde sodann von der Beklagten mit dem Vermerk „Bescheid versehentlich versandt, Leistungen wurden versagt! Nicht erneut verschicken!“ zur Verwaltungsakte genommen. Gleichzeitig überwies die Beklagte den bewilligten Gesamtbetrag i.H.v. 1.214,45 Euro für die fünf Monate auf das Girokonto des Klägers. Mit Bescheid vom 31.08.2017 forderte die Beklagte den Kläger zur Rückzahlung des aufgrund eines technischen Fehlers überwiesenen Betrages in Höhe von 1.214,45 Euro auf.

Mit Bescheid vom 29.08.2017 versagte die Beklagte die beantragten Leistungen nach § 66 SGB I und führte zur Begründung unter anderem aus, dass der Kläger trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die mit verschiedenen Schreiben angeforderten Unterlagen, die sein Einkommen sowie seinen Finanzstatus klären sollten, nicht vorgelegt habe. Der Kläger sei hierdurch seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe daher die Aufklärung des Sachverhaltes erschwert.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2017 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat daraufhin am 24.01.2018 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Das Sozialgericht Düsseldorf hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15.11.2018 an das örtlich zuständige Sozialgericht Köln verwiesen.

Der Kläger führte unter anderem aus, es sei nicht zulässig, dass die Beklagte erst nach Monaten Untätigkeit neue Unterlagen verlange, die nicht zu erbringen seien, wie etwa Angaben über zukünftige Einnahmen und Ausgaben bei der gewerblichen Nebentätigkeit, irgendwelche Belege zur Anlage EKS, die im amtlichen Formular dieser Anlage nicht verlangt würden und die von der Beklagten zuvor auch nicht verlangt worden seien, obwohl die Angaben des Klägers in der Anlage EKS durch das Finanzamt geprüft worden seien. Ferner sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte vom Kläger Kundenstatusinformationen von allen möglichen Banken verlange. Der Versagungsbescheid sei offenbar nachträglich erstellt worden, um den vorher erlassenen Bewilligungsbescheid zu ersetzen, denn die Bewilligung und Überweisung der Sozialhilfe habe nicht aufgrund des Versagungsbescheides erfolgen können. Der Versagungsbescheid sei hinsichtlich seines Datums manipuliert worden. Der vorherige Erlass eines Bewilligungsbescheides und das nachträgliche Ersetzen des Bewilligungsbescheides mit dem Versagungsbescheid habe im EDV-System der Beklagten Spuren hinterlassen müssen, die durch einen unabhängigen IT-Sachverständigen gefunden werden könnten. Er habe sich nachweislich bereits seit Januar 2017 in T aufgehalten. Die Beklagte sei nicht befugt, ungeachtet der Steuerbescheide des Finanzamtes die dazugehörenden Einnahmen-Überschussrechnungen zu beanstanden bzw. eine Prüfung der Steuerbescheide durch Prüfung der Buchungsbelege durchzuführen. Zu den Buchungsbelegen gehörten auch Rechnungen des Klägers an seine Kunden, die persönliche Daten der Kunden enthielten. Diese Kundendaten seien gesetzlich geschützt. Das Sozialamt sei nicht befugt, ohne ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Kunden in die persönlichen Daten der Kunden des Klägers Einsicht zu nehmen. Die Leistungen der Grundsicherung seien ab Antragstellung am 03.02.2017 bis zur Aufgabe der Wohnung zu leisten. Er sei viel geschäftlich unterwegs, insbesondere in Polen. Er habe jedoch seit seinem Zuzug nach Deutschland 1981 niemals seinen Wohnsitz im Ausland gehabt. Wenn die Beklagte insoweit auf Auszüge aus dem Einwohnermelderegister verweise, wonach der Kläger aus Polen zugezogen sei, so sei dies nicht zutreffend.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2017 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung im Alter für den Zeitraum vom 03.02.2017 bis zum 31.07.2017 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trug vor, Streitgegenstand sei allein der Zeitraum vom 01.05.2017 bis zum 31.07.2017. Der Kläger habe den Sozialhilfeantrag seinerzeit auf die Zeit ab dem 01.05.2017 beschränkt. Bis heute fehle noch die abschließende Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit für den Zeitraum vom 01.05.2017 bis zum 31.07.2017 sowie sämtliche Belege zu allen angegebenen Einnahmen und Ausgaben in der Anlage EKS (Rechnungen, Quittungen, Kontoauszüge, Nachweise zu den gezahlten Steuern und Aufwendungen, etc.) für den Zeitraum vom 01.05.2017 bis zum 31.07.2017. Auch sei der Kläger erst zum 02.05.2017 tatsächlich nach T gezogen.

Das Sozialgericht hat die Klage nach vorheriger Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 26.07.2019 abgewiesen. Soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII begehre, sei die Klage bereits unzulässig, da der angefochtene Bescheid vom 29.08.2017 keine Entscheidung über den Leistungsanspruch des Klägers in der Sache enthalte. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da die Beklagte die Leistungen des Klägers wegen fehlender Mitwirkung nach Fristsetzung und unter Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens zu Recht versagt habe.

Hiergegen richtet sich die am 27.08.2019 eingelegte Berufung des Klägers.

Er macht geltend, er habe sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für einen Leistungsanspruch dem Gesetz entsprechend belegt und geklärt. Sein Leistungsantrag habe daher nicht wegen fehlender Mitwirkung versagt werden dürfen. Das Sozialgericht hätte zudem den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln müssen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

1.) den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.07.2019 aufzuheben,

 2.) festzustellen, dass die zur Beurteilung der Bedürftigkeit zur Grundsicherung im Alter des Klägers notwendigen Mitwirkungspflichten des Klägers erfüllt wurden und dass die übrigen, durch die Beklagte geforderten Mitwirkungspflichten gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 SGB I nicht bestanden,

3.) den Versagungsbescheid der Beklagten vom 29.08.2017 aufzuheben,

4.) den Bescheid der Beklagten vom 31.08.2017 (Erstattungsforderung) aufzuheben,

5.) den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 18.08.2017 aufrecht zu erhalten und die Beklagte zu verurteilen, diesen Bewilligungsbescheid dem Kläger förmlich zuzustellen,

6.) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unverzüglich eine seniorengerechte und zumutbare Sozialmietwohnung zur Verfügung zu stellen,

7.) die Beklagte zu verurteilen, Nachzahlung der dem Kläger zustehenden Leistung/Vergütung für die, durch die Beklage verursachte Obdachlosigkeit des Klägers in der Zeit vom 03.02.2017 bis zum 30.04.2017 und vom 01.10.2017 bis zum Datum der Bereitstellung einer Sozialwohnung für den Kläger, in der, mit dem Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 18.08.2017 festgesetzten Höhe von 242,89 Euro monatlich, zuzüglich gesetzliche Zinsen seit dem 01.10.2017, an den Kläger zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil des Sozialgerichts und macht geltend, dass die nunmehr erstmalig gestellten Anträge zu 3) bis 7) bereits unzulässig seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat in Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden können, da er sie mit ordnungsgemäßer Ladung vom 05.07.2021, den Beteiligten zugegangen am 16.07.2021 (Kläger) bzw. 15.07.2021 (Beklagte), auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 26.07.2019 hat keinen Erfolg. Dies gilt ebenfalls für die in der Berufungsbegründung erstmals gestellten, weiteren Klageanträge.

Klagegegenstand ist der Bescheid vom 29.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2017 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), mit dem die Beklagte die beantragten Leistungen nach dem SGB XII wegen fehlender Mitwirkung versagt hat. Der Streitzeitraum umfasst gemäß dem erstinstanzlichen Klageantrag die Zeit vom 03.02.2017 bis zum 31.07.2017 (§ 123 SGG).

Sofern der Kläger mit seinem Antrag zu 2) eine Feststellungsklage erhebt, ist diese nicht statthaft, da eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte auf andere Weise schneller bzw. besser erreichen kann. Eine Gestaltungs- oder Leistungsklage hat gegenüber der Feststellungsklage Vorrang, da diese einen effektiveren Rechtsschutz aufgrund der Vollstreckbarkeit des Urteils bieten. Ein Feststellungsurteil ist dagegen nicht vollstreckbar (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 55 Rn. 19). Der Kläger kann sein Begehren auf einfacherem Weg mit der Anfechtungsklage geltend machen.

Die in der Berufungsinstanz erstmalig gestellten Anträge zu 3) bis 7) sind ebenfalls unzulässig. Insoweit handelt es sich um Klageänderungen, die den Voraussetzungen der §§ 153 Abs. 199 Abs. 1 (und Abs. 3) SGG nicht genügen und deswegen zur Unzulässigkeit der Klagen führen. Eine Klageänderung ist eine Änderung des Streitgegenstandes. Durch die Erklärung des Klägers wird anstelle des bisherigen prozessualen Anspruches oder neben diesem ein anderer erhoben (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 99 Rn. 2). Die Anträge des Klägers umfassen einen neuen Sachverhalt und damit einen neuen Streitgegenstand. Die neu gestellten Anträge stellen weder eine Ergänzung noch eine Erweiterung des Klagegegenstandes des bisherigen Verfahrens, bei dem ein Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung des Klägers streitig ist, dar. Eine Zustimmung zu der geänderten Klage durch den Prozessgegner nach § 99 Abs. 1, 1. Alt. SGG liegt nicht vor. Die Beklagte hat dem vielmehr schriftsätzlich ausdrücklich widersprochen und erklärt, dass sie diese für unzulässig halte. Insbesondere ist eine solche Klageänderung auch nicht sachdienlich (§ 99 Abs. 1, 2. Alt. SGG). Die vom Kläger neu gestellten Anträge stellen den Rechtsstreit rechtlich auf eine völlig neue Grundlage und können daher genauso gut als ein eigenständiges neues Verfahren geführt werden. Bei den Anträgen ist von dem Kläger auch nicht dargetan, worauf er sich nach materiellem Recht stützt. Nachdem die Anträge zu 3) bis 7) erstmalig im Berufungsverfahren geltend gemacht worden sind und das Sozialgericht demgemäß nicht über sie entschieden hat, sind die diesbezüglichen Klagen aus den vorgenannten Gründen abzuweisen.

Die Berufung ist ansonsten zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sozialgerichts an (§ 153 Abs. 2 SGG) und ergänzt lediglich unter Würdigung des Berufungsvorbringen des Klägers folgende Ausführungen:

Die Klage ist - wie vom Sozialgericht zutreffend festgestellt - unzulässig, soweit der Kläger mit dieser im Wege eines Leistungsantrages die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII begehrt. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2017 enthält keine Entscheidung über den Grundsicherungsanspruch des Klägers in der Sache. Vielmehr handelt es sich um einen bloßen Versagungsbescheid aufgrund fehlender Mitwirkung. Hat der Leistungsträger die Leistung nach § 66 SGB I vorläufig versagt, kann dieser Verwaltungsakt grundsätzlich nur mit der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, da über den Leistungsanspruch als solchen nicht entschieden wurde; eine Klage auf die Leistung ist grundsätzlich nicht zulässig (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rn. 38b). Es liegt kein Ausnahmefall vor, der eine Abweichung von diesem Grundsatz aus prozessökonomischen Gründen rechtfertigen würde, auch wenn es vorliegend um existenzsichernde Leistungen geht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

Ein Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht durch den Bescheid vom 18.08.2017. Insoweit liegt keine wirksame Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII vor. Es fehlt bereits an den zwingenden Voraussetzungen eines wirksamen Verwaltungsaktes. Dieser ist erst dann existent, wenn er durch Bekanntgabe an einen Betroffenen erlassen wird. Der Zeitpunkt des Erlasses und damit des Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes bestimmt sich nach der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den Adressaten (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 37 Rn. 5). Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, indem er ihm bekannt gegeben wird (§ 39 Abs. 1 S. 1 SGB X). An einer solchen unbedingt erforderlichen Bekanntgabe fehlt es hier jedoch. Der Bescheid vom 18.08.2017 ist zwar an den Kläger versandt worden, diesem jedoch nicht zugegangen, weil er eine falsche Adresse enthielt. Nach dem Postrücklauf des Bescheides ist dieser in der Verwaltungsakte verblieben und mit einem Vermerk, der Bescheid sei versehentlich erstellt worden und solle nicht erneut verschickt werden, versehen worden. Selbst die Kenntnisnahme des Klägers von diesem Bescheid – z.B. im gerichtlichen Verfahren – ersetzt eine Bekanntgabe im Sinne von § 39 SGB X nicht (BSG Urteil vom 14.04.2011, B 8 SO 12/09 R, juris Rn. 12). Diese erfordert vielmehr, dass die Behörde dem Adressaten willentlich den Inhalt vermittelt (BSG Urteil vom 15.11.2016, B 2 U 19/15 R, juris Rn. 15). Die Bekanntgabe setzt daher eine zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsaktes durch die Behörde voraus (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 37 Rn. 6). Zutreffend ist das Sozialgericht daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte berechtigt war, die beantragten Leistungen zu versagen, da eine rechtswirksame Bewilligung nicht erfolgt war.

Auch aus der erfolgten Auszahlung von Grundsicherungsleistungen an den Kläger folgt nichts anderes. Hierbei handelt es sich lediglich um ein schlichtes Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktqualität. Diese käme allein dem – hier nicht wirksam erlassenen – Bewilligungsbescheid zu.

Die Beklagte hat daher den Leistungsantrag des Klägers zu Recht wegen fehlender Mitwirkung versagt.

Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I). Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten im vorgenannten Sinne nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen (§ 66 Abs. 1 S. 1 SGB I). Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist (§ 66 Abs. 3 SGB I). Der Kläger ist seiner Mitwirkungspflicht im vorgenannten Sinne nicht nachgekommen. Er hat die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert. Eine erhebliche Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts ist dann gegeben, sofern eine Kausalität und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen unterlassener Mitwirkung und den Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung zu bejahen ist und der Leistungsträger den Sachverhalt ohne die Mitwirkungshandlung nur mit beträchtlichem zusätzlichen Verwaltungsaufwand an Zeit und/oder Kosten aufklären kann. Maßgeblich dafür sind die jeweilige Fallgestaltung und Umstände des Einzelfalls. Führt eine Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit nicht zu einer erheblichen Erschwerung der Aufklärung, bleibt sie ohne Konsequenzen. Eine erhebliche Erschwerung liegt zudem vor, wenn die Aufklärung des Sachverhalts durch die fehlende Mitwirkung unmöglich gemacht wird (BSG Urteil vom 26.11.2020, B 14 AS 13/19 R, juris Rn. 15).

Weder hat der Kläger die mehrfach angeforderte Finanzübersicht der Sparkasse L bzw. eine diesbezügliche Negativerklärung vorgelegt noch die Belege zur EKS für das erste Halbjahr 2017. Die vorgenannten Unterlagen waren erforderlich, um die Hilfebedürftigkeit des Klägers nachvollziehbar zu prüfen. Hinsichtlich der verlangten Belege zur EKS für das erste Halbjahr 2017 kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass bereits eine entsprechende Steuererklärung von dem Finanzamt entgegengenommen und nicht beanstandet worden ist. Das Sozialgericht hat hierzu zutreffend die folgenden Ausführungen gemacht, die sich der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen macht: „Zum einen überprüft das Finanzamt – wie auch dem Kläger bekannt sein dürfte – die Angaben in der EKS allenfalls stichprobenartig. Zum anderen gibt es keinen Grundsatz, dass sich das Sozialamt die Angaben des Betroffenen zur Einnahmen-Überschuss-Situation nicht genauer anschauen dürfte. Der Einkommensteuerbescheid hat keine Tatbestandswirkung, welche das Sozialamt binden würde. Dies ergibt sich aus § 4 Abs. 3-5 der Verordnung zu § 82 SGB XII, welche für die Ermittlung von Einkünften aus selbständiger Arbeit im Sozialhilferecht maßgeblich ist. Danach kann der vom Finanzamt festgestellte Gewinn vom Sozialamt zugrunde gelegt werden. Zwingend ist dies jedoch nicht. Zu denken ist hier insbesondere an die Berücksichtigung von Betriebsausgaben, die im allgemeinen Steuerrecht üblich sind, jedoch im Hinblick auf die begehrte Gewährung von Sozialhilfeleistungen unangemessen sein könnten. Auch auf den Datenschutz zu Gunsten seiner Kunden kann der Kläger sich insoweit nicht berufen. Abgesehen davon, dass insbesondere die Nachweise über die Betriebsausgaben für Beklagte von Relevanz sein dürften, wird es in der Regel unproblematisch möglich sein, die persönlichen Daten von Kunden auf Rechnungen o.Ä. zu schwärzen, ohne dass die Aussagekraft dieser Unterlagen leitet.“

Durch die fehlende Mitwirkung des Klägers, die der Kläger bis heute trotz Anregung des Senats nicht nachgeholt hat, war es der Beklagten nicht möglich die Hilfebedürftigkeit des Klägers zu prüfen. Sie war auch auf die Mitwirkung des Klägers angewiesen, da sie ohne seine Mithilfe an die erforderlichen Angaben zu seinem finanziellen Status nicht gelangen konnte. Eine alleinige Aufklärung des Sachverhalts durch die Beklagte war daher entgegen der Auffassung des Klägers unmöglich.

Die Beklagte hat den Kläger vor Erlass des Versagungsbescheides mit Schreiben vom 26.07.2017 unter Fristsetzung bis zum 03.08.2017 letztmalig zur Vornahme der Mitwirkungshandlungen aufgefordert. Auf die Möglichkeit der Versagung der Leistungen bis zu einer etwaigen Nachholung der geforderten Mitwirkungshandlung hat die Beklagte den Kläger durch Verweis auf das Mitwirkungsschreiben vom 13.07.2017 dabei hingewiesen. Die Beklagte hat in dem angegriffenen Versagungsbescheid auch von ihrem gesetzlich eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, indem sie eine Abwägung zwischen dem Interesse der Allgemeinheit, Leistungen nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit zu erbringen, und der Entscheidung, gegenüber dem Kläger die Leistungen zu versagen, getroffen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

Anlass, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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