L 1 KR 448/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 386/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 448/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Das für Pflegekinder gezahlte Erziehungsgeld nach § 39 SGB VII kann jedenfalls nach der Generalklausel des § 3 Abs. 1 der Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) nicht als beitragspflichtige Einnahme gemäß § 240 SGB V berücksichtigt werden. 

Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 26. September 2019 wird aufgehoben.

 

Die Beklagten werden unter Aufhebung des Bescheides vom 9. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2017 verpflichtet, den Bescheid vom 29. Dezember 2015 abzuändern und die monatlichen Beiträge für das Jahr 2016 für die freiwillige Krankenversicherung auf 150,09 € und für die Pflegeversicherung auf 25,18 € festzusetzen.

 

Die Beitragsbescheide vom 22. Dezember 2016, 11. Mai 2017 und vom 13. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2017 und die Beitragsbescheide vom 17. November 2017, 24. Mai 2018, 22. Oktober 2018, 14. Februar 2019, 26. März 2019, 20. Dezember 2021 und 8. Februar 2022 werden abgeändert. Die monatlichen Beiträge werden wie folgt festgesetzt:

 

Zeitraum

Krankenversicherung

Pflegeversicherung

1.1. – 31.12.2017

153,71 €

27,77 €

1.1. – 31.12.2018

157,33 €

28,42 €

1.1. – 31.12.2019

160,94 €

34,26 €

1.1. – 31.12.2020

164,56 €

35,04 €

1.1. – 31.12.2021

169,98 €

36,16 €

1.1.2022 bis laufend

169,98 €

37,29 €

 

Die Beklagten haben die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Im Streit steht die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung, konkret inwieweit Leistungen des Jugendamtes für die Erziehung von Pflegekindern zu berücksichtigen sind.

 

Die 1967 geborene Klägerin betreut seit Juli 2014 den 2011 geborenen T-H als Pflegekind, dazu seit Mai 2015 den 2010 geborenen A-A sowie seit Juni 2015 den 2012 geborenen M-E. Das Jugendamt des Landkreises Teltow-Fläming teilte ihr dazu jeweils mit, dass dem Kind als Hilfeempfänger Leistungen gem. §§ 27, 30 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) in Verbindung mit § 39 SGB VIII nach § 33 Abs. 1 SGB VIII für die materiellen Aufwendungen gewährt würden, sowie für die Kosten der Erziehung abzüglich einer (Teil-)Anrechnung des Kindergeldes (vgl. für M ausweislich des Mitteilungsschreibens vom 1. Juni 2015 508,00 € monatlich für materielle Aufwendungen, 237,00 € Kosten der Erziehung, abzüglich ¼ des Kindergeldes = 46,00 €). Teilweise wurde den Pflegekindern ein höherer Betrag für die Kosten der Erziehung für einen erweiterten pädagogischen Förderbedarf zuerkannt (vgl. Schreiben vom 22. Juli 2014: 600 €; weitere Schreiben vom 26. Mai 2015 für A und für T).

 

Die Klägerin war und ist seit 16. Dezember 2014 bis zum 31. Mai 2015 sowie ab 1. Dezember 2015 freiwillig krankenversichert. In der Zeit vom 1. Juni 2015 bis zum 30. November 2015 unterlag sie aufgrund des Bezuges von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) der Krankenversicherungspflicht.

 

Die Beklagte bestimmte für die Jahre 2014 und 2015 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach der Mindestbemessungsgrenze.

 

In ihrer Erklärung vom 9. Dezember 2015 gegenüber der Beklagten zu 1 (nachfolgend nur noch: „die Beklagte“) gab die Klägerin an, keine eigenen Einnahmen zu haben und ihren Lebensunterhalt von „3 Pflegekindern à 237“ zu bestreiten. Sie reichte aktuelle Mitteilungsschreiben ein. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2015 setzte die Beklagte die monatlichen Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung ab 1. Januar 2016 auf 222,74 € sowie zur Pflegeversicherung auf 37,35 €, insgesamt 260,09 € fest. Sie ging dabei von beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 1.437,00 € aus.

 

Die Klägerin bat mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 unter Bezugnahme auf das Urteil des hiesigen Senates vom 11. März 2016 (L 1 KR 140/14) um Überprüfung, Neuberechnung und Erstattung.

 

Mit Bescheid vom 9. November 2016 lehnte die Beklagte eine Änderung des Beitragsbescheides vom 29. Dezember 2015 ab. Sie gehe nach Rücksprache mit dem Verband der Ersatzkassen davon aus, dass Beiträge zur Anerkennung beziehungsweise Abgeltung der Erziehungskosten einer Pflegeperson nach § 39 SGB VIII sowie Vollzeitpflege nach Maßgabe von § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII zu den beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 240 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zählten. Der Bescheid ergehe auch im Namen der Beklagten zu 2. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch.

 

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 22. Dezember 2016 die Beträge ab 1. Januar 2017 auf insgesamt 262,98 € fest.

 

Die Klägerin reichte auch in der Folgezeit unter Beibehaltung ihres Standpunkts keine zu berücksichtigenden Einnahmen (außer Kindergeld) zu haben weitere Mitteilungsschreiben des Landkreises Teltow-Fläming für die Pflegekinder ein, auf die insgesamt ergänzend verwiesen wird.

 

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 11. Mai 2017 unter Zugrundelegung von beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 1.800,00 € die monatlichen Beiträge ab 1. Juni 2017 auf insgesamt 329,40 € fest. Mit weiterem Bescheid vom 13. Juni 2017 bestimmte sie unter Berücksichtigung monatlicher Mieteinnahmen i.H.v. 43,50 € und daher ausgehend von beitragspflichtigen Einnahmen von i.H.v. 1.843,50 € monatlich den Monatsbeitrag ab 1. Juni 2017 auf 337,36 €.

 

Die Beklagte wies ferner mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2017 den Widerspruch unter Einbeziehung des nachfolgenden Bescheides vom 22. Dezember 2016 zurück. Zur Begründung führte sie aus, maßgeblich für die Beitragsbemessung seien die Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler), wonach alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten, zu Grunde zu legen seien. Dazu zählten die Erziehungsgelder hier. Sie folge Urteilen des LSG Schleswig-Holstein (vom 15. Dezember 2011 - L 5 KR 101/10 -) und des Hessischen LSG (vom 22. August 2013 – L 1 KR 390/12 -), wonach die Beträge zur Anerkennung beziehungsweise Abgeltung der Erziehungskosten bei der Beitragsbemessung in voller Höhe zu berücksichtigen seien. Das Urteil des hiesigen Senates vom 11 März 2016 sei als Einzelfall zu bewerten. Ungeachtet zwischenzeitlicher Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung verbleibe es aus Gründen des Vertrauensschutzes bis zum 31. Mai 2017 bei der in den Bescheiden vom 29. Dezember 2015 und 22. Dezember 2016 vorgenommenen Beitragsbemessung.

 

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 4. August 2017 Klage beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben.

 

Sie hat vom 13. September 2017 bis zum 5. März 2018 im Auftrag des Landkreises Oder-Spree ein weiteres Pflegekind J betreut (vgl. Mitteilung des Landrates des Landkreises Oder-Spree vom 9. Oktober 2017; 237,00 € Erziehungsbetrag monatlich). In der Folge hat die Beklagte mit Bescheid vom 17. November 2017 den Gesamtbeitrag für die Zeit ab 1. Oktober 2017 auf insgesamt 380,73 € monatlich unter Berücksichtigung von beitragspflichtigen Einnahmen i.H.v. 2.080,05 € festgesetzt.

 

Mit Schreiben vom 28. Dezember 2017 hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass sich zum 1. Januar 2018 keine Änderung der Beiträge ergeben werde.

 

Im Hinblick auf eine Einkommenserklärung der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 2018 mit beigefügten weiteren Mitteilungen der Landkreise Oder-Spree und Teltow-Fläming hat die Beklagte unter dem 24. Mai 2018 einen weiteren Beitragsbescheid für die Zeit ab 1. Juni 2018 erlassen (Beiträge i.H.v. insgesamt 337,36 € monatlich aufgrund beitragspflichtiger Einnahmen i.H.v. 1.843,50 €). Weitere Unterlagen hat die Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 eingereicht, woraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2018 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. September 2018 auf 328,08 € monatlich festgesetzt hat unter Ansatz von 1.765,50 € als beitragspflichtigen Einnahmen.

 

Aufgrund einer Beitragssatzänderung zum 1. Januar 2019 hat sie mit Bescheid vom 16. Januar 2019 den monatlichen Gesamtbeitrag zunächst auf 331,91 € festgesetzt. Mit Bescheid vom 14. Februar 2019 hat sie diesen Bescheid jedoch aufgehoben und den monatlichen Gesamtbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Januar 2019 mit 323,74 € bestimmt (beitragspflichtige Einnahmen i.H.v. 1.722,00 €). Ein weiterer Beitragsbescheid aufgrund ist unter dem 26. März 2019 erlassen worden (Gesamtbeitrag: 345,45 € monatlich, beitragspflichtige Einnahmen von 3 x Kosten der Erziehung von jeweils 612,50 €).

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. September 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, bei den an die Klägerin als Pflegeperson ausgezahlten Erziehungsbeiträgen handele es sich um Einnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, weil die Klägerin die Gelder zum eigenen Lebensunterhalt verbrauchen könne. Denn der Erziehungsbeitrag werde der Pflegeperson als Anerkennung und zur Abgeltung der von ihr erbrachten Erziehungsleistung ausgezahlt und beeinflusse ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Sie betreue als Pflegemutter drei – vom 1. Januar 2018 bis 5. März 2018 vier - Pflegekinder im Rahmen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und habe hierfür Pflegegelder gem. § 39 SGB VIII erhalten. Nach § 39 Abs. 5 Satz 5 SGB VIII bestehe der monatliche Pauschalbetrag für die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt aus dem Grundbetrag für materielle Unterhaltskosten und dem Erziehungsbeitrag für die Kosten der Erziehung. Mit dem Grundbetrag solle der gesamte wiederkehrende Lebensbedarf des Kindes oder Jugendlichen gedeckt werden. Die Beklagte habe den Grundbetrag, der (nur) für die materiellen Aufwendungen der Pflegekinder gezahlt worden sei, zu Recht nicht in die Beitragsberechnung eingestellt. Insoweit handele es sich um einen zweckgebundenen durchlaufenden Posten, der - wenn auch pauschaliert - für den Unterhalt des Kindes bestimmt sei.

Anderes gelte aber für die Geldleistung, die als Erziehungsbeitrag gewährt werde. Auch wenn Anspruchsinhaber der Leistung entweder der Minderjährige selbst oder der Personensorgeberechtigte sei, müsse der gezahlte Erziehungsbeitrag nicht tatsächlich dem Pflegekind unmittelbar zukommen. Die rechtliche Zuordnung des Erziehungsbeitrages bringe lediglich zum Ausdruck, dass auch diese Geldleistung, ebenso wie die Gewährung des Pflegegeldes, letztlich einen notwendigen Unterhalt des Pflegekindes abdecken solle und sich somit an dessen Pflege- und Erziehungsbedarf auszurichten habe. Der Pauschalbetrag zur Deckung der Erziehungskosten in § 39 Abs. 1 S. 1 SGB VIII umfasse daher die gesamten Kosten der Erziehung. Damit könnten zwar materielle Aufwendungen, die der Erziehung des Pflegekindes dienten, finanziert werden. Der Pflegeperson stehe es aber frei, selbst über die Verwendung des Erziehungsgeldes zu verfügen. Sie könne das Geld sowohl für Sachaufwendungen wie die Anschaffung von Spielzeug oder Sportgeräten für das Pflegekind aufwenden als auch als Ausgleich für den von ihr geleisteten Erziehungsbeitrag zum Bestreiten des Lebensunterhaltes verwenden. Das Recht der Pflegeeltern, diesen Beitrag behalten zu dürfen, stehe dabei dem Anspruch eines Kinderheimes auf Deckung der Kosten der Heimunterbringung gleich, in dem die Personalkosten der Erzieher enthalten seien. Für eine Berücksichtigung des Erziehungsbeitrages spreche ferner, dass in begründeten Ausnahmefällen, in denen aufgrund der Entwicklung der Pflegeperson ein erhöhter pädagogischer Mehraufwand oder erhöhter Betreuungsaufwand bestehe, der Erziehungsbeitrag zeitlich begrenzt angehoben werden könne. Dies sei im vorliegendem Fall auch geschehen. Auch hieraus folge, dass der Erziehungsbeitrag im vollem Umfang dem Ausgleich der ideellen Erziehungsleistung der Pflegeperson diene und somit deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit trage.

Bereits der Umstand, dass der Erziehungsbeitrag nach dem SGB II nur für zwei Pflegekinder nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei, spreche gegen die Annahme des Senats, dass auch der Erziehungsbeitrag als zweckbestimmte Leistung alleine der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Pflegekindes diene. Die Nichteinbeziehung des Erziehungsbeitrages von zwei Pflegekindern trage alleine dem Umstand Rechnung, Empfänger von SGB II-Leistungen zur Aufnahme von zumindest zwei fremden Kindern zu motivieren.

 

Gegen diese am 26. November 2019 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin vom 17. Dezember 2019. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Entgegen der Auffassung des SG dienten die Leistungen des Jugendamtes nicht der Finanzierung des allgemeinen Lebensunterhaltes der Klägerin und hätten auch nicht den Nebenzweck, deren allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Nach § 30 SGB VIII sollten die Leistungen die Kosten der Erziehung abgedeckt werden. Ein etwaiger Vorteil bei der Pflegeperson sei eine bloße Nebenfolge. Aus § 11a Abs. 3 Nr. 1a und 1b SGB II folge aufgrund der speziellen Vorschrift zum Einkommen eher ein genereller Ausschluss als umgekehrt – wie vom SG angenommen – die Einbeziehung.

 

Nachdem die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 die Beiträge für die zeit ab 1. Januar 2022 bestimmt hatte, hat sie diesen Bescheid wegen eines Fehlers mit Bescheid vom 20. Dezember 2021 aufgehoben und für die Zeit ab 1. Januar 2021 sowie für die Zeit ab 1. August 2021 die Beiträge neu festgesetzt (345,45 € monatlich beziehungsweise ab August 2021 351,09 €). Aufgrund veränderter Hilfen zur Erziehung der drei Pflegekinder ist ferner der Bescheid vom 8. Februar 2022 ergangen (Gesamtbeitrag 361,47 € ab 1. Januar 2022 aufgrund beitragspflichtiger Einnahmen von 1.912,50 €).

 

Die Klägerin beantragt,

 

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 26. September 2019 die Bescheide vom 29. Dezember 2015 in der Fassung des Bescheides vom 9. November 2016 in der Fassung des Bescheides vom 22. Dezember 2016 in der Fassung des Bescheides vom 11. Mai 2017 in der Fassung des Bescheides vom 13. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2017 in Gestalt der nachfolgenden Beitragsbescheide vom 17. November 2017, 28. Dezember 2017, 24. Mai 2018, 22. Oktober 2018, 14. Februar 2019, 26. März 2019, 6. Dezember 2021, 20. Dezember 2021 und 8. Februar 2022 insoweit aufzuheben, als darin auch Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung für die Pflegekinder gezahlten Erziehungsgelder (Pflegegelder) gefordert werden.

 

Die Beklagten beantragen,

 

die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.

 

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung.

 

Auf Bitte des Senats haben sie eine Berechnung der Beiträge unter verschiedenen Prämissen eingereicht, auf die ergänzend verwiesen wird.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Urteil des SG vom 26. September 2019 der Bescheid der Beklagten vom 9. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2017, mit welchem es die Beklagten abgelehnt haben, den Beitragsbescheid vom 29. Dezember 2015 (Festsetzung der Beiträge für die Zeit ab dem 1. Januar 2016) zu ändern. Darüber hinaus sind Gegenstand die aus dem Tenor ersichtlichen Beitragsbescheide vom 22. Dezember 2016, 11. Mai 2017, 13. Juni 2017, 17. November 2017, 24. Mai 2018, 22. Oktober 2018, 14. Februar 2019, 26. März 2019, 20. Dezember 2021 und 8. Februar 2022. Die im Widerspruchs- und im Klageverfahren ergangenen Bescheide sind nach §§ 86, 96 Abs. 1 i.V.m. 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einbezogen worden. Sie haben jeweils die zeitlich vorangegangen Entscheidungen ersetzt. Das Schreiben vom 28. Dezember 2017 stellt sich hingegen als bloße Mitteilung und nicht als belastender Verwaltungsakt dar. Die Bescheide vom 6. Dezember 2021 und 12. Januar 2022 sind bereits von den Beklagten selbst aufgehoben worden.

 

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, soweit mit ihr gegen den eine Rücknahme des Beitragsbescheides vom 29. Dezember 2015 ablehnenden Bescheid vorgegangen wird. Dies betrifft das klägerische Begehren, den Beitragsbescheid vom 29. Dezember 2015 aufzuheben und die Beiträge niedriger festzusetzen. Weiterhin möchte sie im Wege der Anfechtungsklage die Abänderung der ergangenen Beitragsbescheide erreichen.

 

Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist, soweit es sich auf die Aufhebung des Bescheides vom 9. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2017 und Rücknahme des Beitragsbescheides vom 29. Dezember 2015, soweit mit diesem monatliche Beiträge nicht nach der Mindestbemessungsgrenze, sondern unter Berücksichtigung von Einnahmen auf Erziehungsbeiträgen i.H.v. 1.437,00 € (2 x 600,00 € zzgl. 237,00 €) festgesetzt worden sind, § 44 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb zu Unrecht Sozialleistungen nicht erbracht oder Beiträge erhoben wurden.

 

Der Beitragsbescheid vom 29. Dezember 2015 für das Jahr 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Beklagten die Erziehungsbeiträge der Beitragsberechnung zu Grunde gelegt haben. Dies gilt gleichfalls für die weiteren streitgegenständlichen Beitragsbescheide.

 

Die Beklagten waren nur insoweit berechtigt, die von der Klägerin zu zahlenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung neu festzusetzen, als sich wesentliche Änderungen der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 SGB X in Gestalt von rechtlichen Änderungen (etwa Anpassung der Beitragssätze) oder wegen der Erzielung von Einkommen aus Vermietung ergeben haben, nicht jedoch soweit Erziehungsbeiträge bzw. deren Änderungen berücksichtigt worden sind.

 

Der Senat hält an seiner bereits in seinem Urteil vom 11. Märtz 2016 – L 1 KR 140/14 – (juris) dargelegten Rechtsauffassung fest. Jedenfalls nach derzeitiger Rechtslage sind zudem die einschlägigen Geldzahlungen des Jugendamtes auch für das dritte und vierte Pflegekind nicht als Einnahmen im Sinne des § 240 SGB V beziehungsweise § 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler anzusehen:

 

Der Senat hat in dem erwähnten Urteil vom 11. März 2016 ausgeführt:

„Gemäß § 223 Abs. 2 Satz 1 SGB V werden die Beiträge zur Krankenversicherung und gemäß § 54 Abs. 2 SGB XI auch die Beiträge zur Pflegeversicherung nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Nach § 240 SGB V wird bei freiwilligen Mitgliedern die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dazu hat der Spitzenverband mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 einheitliche Grundsätze erlassen (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler), die eine wirksame und hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage für die Beitragsbemessung abgeben (BSG v. 19. Dezember 2012 – B 12 KR 20/11 R). Gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI gelten diese Grundsätze auch für die Bemessung der Beiträge zur Pflegeversicherung.

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist das an die Klägerin gezahlte Erziehungsgeld nicht als beitragspflichtige Einnahme zu berücksichtigen. Nach § 3 Abs. 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen findet nicht statt. Danach kommt es für die Beitragspflicht nicht darauf an, ob die in Frage stehende Leistung mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen vergleichbar ist und auch nicht darauf, ob mit ihr weitere Zwecke verfolgt werden. Voraussetzung für die Beitragspflicht ist aber, dass die Mittel für die Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen. Dafür reicht nicht aus, dass eine Geldleistung tatsächlich auch zur Finanzierung des Lebensunterhaltes verwandt werden kann. Das ist nämlich bei allen Geldleistungen der Fall. Zu unterscheiden ist zwischen Leistungen, die zumindest auch dem allgemeinen Lebensbedarf zu dienen bestimmt sind und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Letztere sind für die Beitragsbemessung nicht heranzuziehen. Die Abgrenzung erfordert eine wertende Entscheidung über das Bestehen einer besonderen Zweckbestimmung von öffentlichen Leistungen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die in Frage stehende Leistung die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Zahlungsempfängers günstig beeinflusst (vgl. zum Ganzen BSG v. 3. Juli 2013 – B 12 KR 27/12 R – juris Rn 17/18; LSG Baden-Württemberg v. 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15 – juris Rn 29 mit weit. Nachw.).

Der Senat ist der Überzeugung, dass die der Klägerin vom Jugendamt gewährten Leistungen nicht zur Finanzierung ihres allgemeinen Lebensbedarfes bestimmt sind. Sie haben auch nicht den Nebenzweck, ihre allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessern. Rechtsgrundlage für die Leistungen ist § 39 SGB VIII iVm den dazu ergangenen Ausführungsvorschriften der Berliner Senatsverwaltung über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und teilstationärer Familienpflege (§ 32 Satz 2 SGB VIII) v. 21. Juni 2004. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Leistungen die Kosten der Erziehung abdecken sollen. Nach der Konzeption des Gesetzes ist Leistungsberechtigter das Kind bzw. dessen Personensorgeberechtigter, nicht aber die Pflegeperson. Das spricht dagegen, dass diese Leistungen den Zweck haben, das Einkommen der Pflegeperson zu mehren (BSG v. 29. März 2007 – B 7b AS 12/06 R; LSG Berlin-Brandenburg v. 7. September 2007 – L 24 KR 173/09 B ER). Nach den Gesetzesmaterialien soll mit diesen Leistungen ein Anreiz gesetzt werden, um die Bereitschaft zur Betreuung zur Pflegekinder zu stärken (BR-Drucks 503/89, S. 73). Danach ist die Anreizfunktion der eigentliche Zweck der Leistung und nicht die Sicherung des Lebensunterhaltes. Ein dadurch bewirkter finanzieller Vorteil bei der Pflegeperson ist bloße Nebenfolge. Dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck würde es widersprechen, wenn der Anreiz gerade für freiwillig Versicherte dadurch gemindert wird, dass eine Berücksichtigung als Einnahme bei der Beitragsbemessung erfolgt. Im Übrigen ist das Erziehungsgeld auch im Rahmen des SGB II und des SGB XII von der Berücksichtigung als Einnahmen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen (v. Koppenfels-Spiess in jurisPK SGB VIII, § 39 Rn 42, 43). Ersteres gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut werden. Deswegen spricht der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung dafür, von einer Anrechnung auch im Rahmen der beitragspflichtigen Einnahmen abzusehen. Dazu verweist der Senat auf § 3 Abs. 1 Satz 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, wonach eine Berücksichtigung als beitragspflichtige Einnahme zu unterbleiben hat, wenn eine Leistung wegen ihrer besonderen Zwecksetzung bei der Gewährung von sonstigen einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht als Einkommen berücksichtigt wird. Da die Vorschrift der Klarstellung dient, ist unerheblich, dass sie erst seit der 5. Änderung der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler vom 27. November 2013 in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler zu finden ist.

Die gegenteiligen Argumente des Sozialgerichts sowie des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (Urt. v. 15. Dezember 2011 – L 5 KR 101/10) und des Hessischen Landessozialgerichts (Urt. v. 22. August 2013 – L 1 KR 390/12). überzeugen den Senat nicht. Zunächst geht es nicht an, die vorhandene Rechtsprechung des BSG zur Einordnung des Erziehungsgeldes als nicht der Lebensführung der Pflegeperson dienende Leistung mit dem Hinweis wegzuwischen, dass das BSG zur Frage des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II entschieden habe und nicht zur Bemessung von Beiträgen nach § 240 SGB V. Entscheidungserheblich ist in beiden Konstellationen dieselbe Sachfrage, ob die Leistungen nach § 39 SGB VIII dem Zweck dienen, die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Pflegeperson günstig zu beeinflussen. Die Zweckbestimmung der Leistungen nach dem SGB VIII kann sich nicht danach unterscheiden, ob ihre Anrechnung auf den Bedarf nach dem SGB II oder die Höhe von Beiträgen zur Krankenversicherung in Frage steht. Auch das Argument, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Betreuung eines Pflegekindes bereits durch die Sachpauschale abgedeckt seien, so dass das zusätzlich gezahlte Erziehungsgeld der Pflegeperson zum Verbrauch zur Verfügung stehe, überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass der Senat es für fraglich hält, ob die Sachpauschale ausreicht, um alle im Rahmen der Unterbringung, Betreuung und Erziehung eines Kindes anfallenden Aufwendungen zu decken, kommt es nicht auf die tatsächliche Verwendung des Geldes, sondern auf die von dem Gesetzgeber mit der Leistung verfolgte Zweckbestimmung an. Den Vorschriften ist aber – wie bereits erwähnt – gerade nicht zu entnehmen, dass Zweck der Zahlung des Erziehungsgeldes die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Pflegeperson ist.“

 

Der vorliegende Fall gibt dem Senat keinen Anlass, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Primär maßgeblich ist dabei der Umstand, dass der Erziehungsbeitrag als eine der Hilfen zur Erziehung (§§ 32-35 SGB VIII) von den Jugendämtern nicht an die Pflegeeltern geleistet wird. Anspruchsberechtigt ist vielmehr nach § 27 SGB VIII (nur) der Personensorgeberechtigte (vgl. von Koppenfels-Spies in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 39 SGB VIII (Stand: 01.08.2022), Rdnr. 11). Es handelt sich schon deshalb nicht um Einnahmen „des Mitglieds“ i.S.d. §§ 223 Abs. 2 Satz 1, 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. § 54 Abs. 2 SGB XI. Dass die Gelder – wie auch hier - direkt auf ein Konto der Pflegemutter überwiesen werden, setzt eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung zwischen Pflegeperson und Sorgeberechtigten über eine Abtretung oder Bevollmächtigung zur Geltendmachung im eigenen Namen voraus (von Koppenfells-Spies, a. a. O.). Auch nach den hier für die drei hauptsächlichen Pflegekinder maßgeblichen Ausführungsbestimmungen zu §§ 39f SGB VIII, der „Richtlinie über die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege und Krankenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch, Achtes Buch (SGB VIII) i.V.m. §§ 39, 40 SGB VIII im Landkreis Teltow-Fläming“ vom 25. März 2015 bzw. der Vorgängerrichtlinie, sind für Minderjährige die Sorgeberechtigten antragsberechtigt, nicht die Pflegeeltern.

 

Die Erziehungsbeiträge sind nach § 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler auch nicht teilweise, etwa in analoger Anwendung des § 11a Abs. 3 S. 2 SGB II, heranzuziehen. Diese Generalklausel reicht hierfür als Rechtsgrundlage nicht aus. Es bedürfte entweder einer speziellen Regelung in § 240 SGB V selbst oder aber jedenfalls einer ausdrücklichen speziellen und genügend bestimmten Regelung in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler:

 

Das Bundessozialgericht (BSG) hat wiederholt entschieden, dass die Verfahrensgrundsätze Selbstzahler den Regelungsauftrag der § 240 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 SGB V mit dem Ziel der Sicherstellung, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt und bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds herangezogen werden, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind, hinsichtlich der grundsätzlichen Regelungen im Einklang mit höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht umsetzen (BSG, Urteil vom 24. November 2020 – B 12 KR 31/19 R – Rdnr. 13). Ob die Konkretisierung der Beitragsbemessung für die vielen freiwillig Versicherte in jedem Fall den Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit von Rechtsnormen genügt, hat es aber dahinstehen lassen (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2012 – B 12 KR 20/11 R –, BSGE 113, 1-23, juris-Rdnr. 37). Nur im Grundsatz ist die Generalklausel des § 3 Abs. 1 S 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nach Auffassung des BSG bestimmt genug, weil der Inhalt unter Rückgriff auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 240 SGB V, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der hierzu und zu den Vorgängervorschriften bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, bestimmt werden kann. Denn die Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit dürfen nicht übersteigert werden. Dem Bestimmtheitserfordernis ist Genüge getan, wenn die Ausgestaltung einer Regelung den zu ordnenden Lebenssachverhalt sowie Normzweck berücksichtigt, einer Auslegung zugänglich ist und Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (BSG, Urteil vom 10. Oktober 2017 – B 12 KR 16/16 R - Rdnr. 16). Das bedeutet aber nicht, dass die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler unbesehen anzuwenden sind. Die konkret anzuwendenden Regelungen sind unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu überprüfen und ggf. verfassungskonform auszulegen oder unangewendet zu lassen (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 240 SGB V [Stand: 14.10.2021], Rdnr. 29 mit Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 15. August 2018 – B 12 KR 8/17 R –, BSGE 126, 189-195, Rdnr. 17ff, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 KR 21/14 R –, Rdnr. 30; Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 KR 15/13 R).

 

Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind höhere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der (Eingriffs-)Ermächtigung zu stellen, wenn eine Regelung erheblich in die Rechtsstellung eines Betroffenen eingreift, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 – 2 BvL 1/15 –, BVerfGE 143, 38-64, Rdnr. 56 mit weiteren Nachweisen). Auch hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist (vgl. BVerfG, a.a.O. Rdnr. 57). Bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten oder absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind geringere Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einfach gelagerten und klar vorhersehbaren Lebenssachverhalten.

 

Dem Normgeber hier ist die Problematik der Leistungen nach dem SGB VIII bewusst gewesen, weil „Beiträge zu Anerkennung bzw. Abgeltung der Erziehungskosten der Pflegeperson“ nach § 39 SGB VIII in den „Katalog von Einnahmen und deren beitragsrechtliche Bewertung nach § 240 V“ nach § 2 Abs. 5 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler aufgenommen worden sind. Eine spezielle Regelung hätte seit langem getroffen werden können.

 

Die hier zu klärende Frage, inwieweit den Pflegekindern zustehende Erziehungsbeiträge, welche an die Pflegeeltern weitergereicht werden, bei diesen als Einnahmen anzurechnen sind, kann aus Sicht des Senats durch Auslegung gerade nicht eindeutig gelöst werden.

 

Problematisch ist bei der Klärung, ob Geldmittel vorliegen, die für den Lebensunterhalt im Sinne des § 3 Abs. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler verbraucht werden oder verbraucht werden könnten, nicht nur die auch § 11a Abs. 3 SGB III zu Grunde liegende (Zweck-)Abgrenzung danach, ob die zugewandten Leistungen speziell für ausdrücklich genannte Zwecke erbracht werden oder ganz allgemein ausgegeben werden können. Hinzu kommt auch der Umstand, dass die Zweckbestimmung einer anderen Person zu Gute kommt bzw. käme: Es geht nicht darum, ob die Versicherte beispielsweise ein Stipendium teilweise als Sachkostenpauschale erhält (vgl. hierzu z.B. BSG, Urteil vom 7. Juni 2018 – B 12 KR 1/17 R –). Die Mittel für Erziehungsbeiträge können vielmehr unmittelbar dem Pflegekind zu Gute kommen. Wie wiederholt dargestellt, sind die Pflegeeltern gerade nicht Adressaten der Pflegeleistungen.

 

Bereits für die Frage, inwieweit die Erziehungsbeiträge zweckbestimmte Leistungen für die Pflegekinder sind oder (voll) für den Lebensunterhalt verwendet werden können, lässt sich kein eindeutiges Ergebnis feststellen.

 

In den Entscheidungen des BSG zur (Nicht-)Anrechnung bei Leistungen nach dem § 11 Abs. 3 SGB II in der vor dem 1. Januar 2007 geltenden Fassung ist die Behandlung von Leistungen für mehr als zwei Kinder offengelassen worden. Jedenfalls bei bis zu zwei Pflegekindern erübrige sich eine Gerechtfertigkeitsprüfung gemäß § 11 Abs. 3 SGB II alter Fassung (BSG, Urteil vom 29. März 2007 – B 7b AS 12/06 R –, juris-Rdnr. 21; ebenso: BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 9/09 R –, juris-Rdnr. 26). Maßstab der "Gerechtfertigkeitsprüfung" sei das Maß der Professionalität bzw. der Erwerbsmäßigkeit der Erziehungsleistung. Werde Hilfe zur Erziehung in einer Pflegefamilie nach § 33 SGB VIII und für nicht mehr als zwei Pflegekinder an die Pflegeperson erbracht, könne davon ausgegangen werden, dass kein so großes Maß an Professionalität der Erziehungsleistung gegeben sei, das es erforderlich mache, den Ertrag hieraus als Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu werten (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 9/09 R –, Rdnr. 27). Das Maß der Professionalität der Erziehungsleistung ist ein vages Abgrenzungskriterium. Die Gesetzesmaterialien für diese SGB II-Regelung sind unergiebig: Der Erziehungsbeitrag solle teilweise auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angerechnet werden, der Erziehungsbeitrag für das erste und zweite Pflegekind gar nicht, für das dritte Pflegekind zu 75 Prozent sowie ab dem vierten Pflegekind voll (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 21). Zweck dieser Regelung ist es nach der Rechtsprechung des BSG, aufgrund des Zusammenhangs bei bis zu zwei Kindern die Erziehungsbeiträge nicht als Einkommen zu berücksichtigen und erst bei einer größeren Anzahl von Kindern den gesamten Erziehungsbeitrag nur zu einem Teil zu berücksichtigen, weil dann die Grenze des nicht zu berücksichtigenden Einkommens auch im Hinblick auf die Gerechtfertigkeitsprüfung überschritten ist (BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 148/11 R –, Rdnr. 26).

 

Gegen eine exakte analoge Heranziehung des (heutigen) § 11a Abs. 3 Nr. 1 SGB II spricht ferner, dass die Vorschrift selbst Bestimmtheitsprobleme aufwirft. Sie wird nicht wortgetreu nach der zeitlichen Reihenfolge des ersten, zweiten usw. Pflegekindes angewendet. Vielmehr wird auf die Durchschnittswerte abgestellt (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 22; dem folgend die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit).

 

Steuerrechtlich bleiben die SGB VIII-Leistungen regelmäßig gänzlich von der Einkommensteuer befreit. Sie werden als steuerfreie Beihilfen im Sinne des § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz (EStG) behandelt, die die Erziehung unmittelbar fördern, sofern eine Erwerbstätigkeit nicht vorliegt. Eine solche wird erst vermutet, wenn mehr als sechs Kinder gleichzeitig im Haushalt aufgenommen werden. Bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern ist ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird. Weder die besondere Qualifikation noch ein in diesem Kontext für eine Familienpflege für besonders beeinträchtigte Kinder gezahltes bedarfsabhängiges erhöhtes Pflegegeld schließen die Annahme einer Beihilfe zur Förderung der Erziehung im Sinne von § 3 Nummer 11 EStG aus (vgl. Erlass des Bundesfinanzministeriums IV C 3 - S 2342/07/0001 :138 DOK 2018/0797477 vom 22. Oktober 2018).

 

Ob von Erwerbstätigkeit bereits bei vier Pflegekindern oder erst ab sieben auszugehen ist, wird also unterschiedlich betrachtet.

 

Soweit auf die Professionalität der Erziehung abgestellt wird, wäre auch eine Differenzierung zwischen dem „normalen“ Erziehungsbeitrag und dem bei einem erhöhten pädagogischen Förderbedarf denkbar. Der erhöhte Betrag könnte sich eher als die Gegenleistung für eine Art Erwerbstätigkeit darstellen.

 

Eine ganz andere Zurechnung ist im Wohngeldgesetz (WoGG) getroffen worden. In das für das Wohngeld relevante Jahreseinkommen fließen die Hälfte der Pauschale für den Sachaufwand (als Einkommen des Kindes) und die Hälfte der Pauschale für den Erziehungsaufwand (als Einkommen der Pflegeperson) ein, § 14 Abs. 2 Nr. 24, 25 WoGG. Allerdings zählen Pflegekinder zu den zu berücksichtigenden Haushaltsmitgliedern, §§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, 19 Abs. 1 WoGG.

 

In Betracht kommt auch, streng zwischen den Ausgaben für das Kind (für Spielsachen, Aktivitäten oder z. B. Nachhilfeunterricht) und den tatsächlich den Pflegeeltern zur eigenen Lebensführung zur Verfügung stehenden Beträgen analog der Einkommensberechnung für Selbstständige zu differenzieren.

 

Die Abgrenzung nach der „Gerechtfertigkeit“ führt also bereits zu unterschiedlich denkbaren Lösungen.

 

Bei der Klärung, ob es gerechtfertigt ist, die Gelder als zweckgebunden anzusehen, kann ferner der Umstand, dass für die freiwillige Krankenversicherung nach § 240 SGB IV Mindestbeiträge zu entrichten sind, nicht außer Betracht bleiben. Im hier streitgegenständlichen Zeitraum wird sowieso ein fiktives Monatseinkommen (Mindestbemessungsgrenze) von 968,33 € (2016) bis 1.096,67 € (2022) zu Grunde gelegt.

 

§ 3 Verfahrensgrundsätze Selbstzahler ist schließlich deshalb keine ausreichend klar bestimmte Ermächtigungsgrundlage für die teilweise Heranziehung der Erziehungsbeiträge, weil es sich um weitergereichte Ansprüche handelt. Die öffentlich-rechtliche Leistungen der Jugendämter stehen gerade nicht als Bezahlung den agierenden Pflegeeltern selbst zu. Für Konstellationen, in welchen die Berücksichtigung von Zahlungen an Dritte zu klären ist, bedarf es ausdrücklicher Regelungen.

 

Vor diesem Hintergrund existieren bereits Regelungen für weitergereichte Pflegegelder und die Anrechnung von Einkommen der Ehegatten. Die Heranziehung von Ehegatteneinkommen – anstelle der Berücksichtigung des tatsächlich vom Ehegatten erhaltenen Bar- und Sachunterhaltes wie bei Geschiedenen oder getrennt Lebenden - bedarf einer ausdrücklichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 31/00 R –, juris-Rdnr. 11; vgl. deshalb § 2 Abs. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Für weitergereichte Pflegegelder ist extra Satz 4 des § 240 Abs. 2 SGB V mit Wirkung vom 22. Juli 2009 eingefügt worden (durch Art. 15 Nr. 10 b Buchst. a des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009). Das an eine Pflegeperson weitergereichte Pflegegeld ist bis zur Höhe des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 SGB XI nicht anzurechnen. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll das Pflegegeld dem Pflegebedürftigen vor allem ermöglichen, Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten, welche die häusliche Pflege sicherstellen, eine finanzielle Anerkennung zukommen zu lassen. Diese Anerkennung soll nicht durch eine Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung geschmälert werden (vgl. KassKomm/Beck, 118. EL März 2022, SGB V § 240 Rdnr. 47).

 

Die Beklagte durfte deshalb jedenfalls auch aufgrund des Fehlens einer geeigneten Ermächtigungsgrundlage die Erziehungsbeiträge nicht der Beitragsberechnung zu Grunde legen.

 

Fehler an der Beitragsberechnung in den streitgegenständlichen Bescheiden im Übrigen – insbesondere hinsichtlich der zeitweisen Berücksichtigung von Mieteinnahmen - sind nicht ersichtlich. Die Beitragshöhe ergibt sich damit vorliegend primär aus der Mindestbeitragsgrenze des § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V. Auf die Berechnung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 4. April 2022 wird ergänzend Bezug genommen.

 

Die streitgegenständlichen Beitragsbescheide waren entsprechend abzuändern, der ablehnende Überprüfungsbescheid vom 9. November 2016 aufzuheben.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

 

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zugelassen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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