L 7 AS 1637/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 38 AS 1929/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1637/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20.08.2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe:

I.

Die Kläger begehren für die Zeit vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten.

Die 1983 geborene, alleinerziehende Klägerin ist die Mutter der 2000 und 2008 geborenen Söhne‚ Kläger zu 2) und 3). Sie sind rumänische Staatsbürger und halten sich nach eigenen Angaben seit Sommer 2008 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Von 2012 bis 2014 lebten die Kläger nach Angaben der Klägerin in Berlin und bezogen vom Jobcenter Berlin Sozialleistungen. Einer Erwerbstätigkeit ging die Klägerin bis Dezember 2016 nicht nach. Am 23.08.2019 hat die Klägerin in Rumänien wieder geheiratet.

Die Bedarfsgemeinschaft lebte in der Vergangenheit in Deutschland von Kindergeld, Unterhaltsvorschuss sowie der finanziellen Unterstützung der Familie der Klägerin. Neben Kindergeld erhält die Klägerin nach dem Schreiben des Jugendamtes für den Kläger zu 3) seit Februar 2017 einen Unterhaltsvorschuss i.H.v. 201 €. Der Kläger zu 3) wurde im August 2015 in E in eine Grundschule eingeschult.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom 26.10.2017 auf  Gewährung von Alg II mit Bescheid vom 29.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2018 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II  ab. Die Klägerin könne sich nicht auf das materielle Freizügigkeitsrecht berufen. Die Tätigkeit bei „N e.V.“ als Helfer, Reinigungskraft sei nicht geeignet, ihr die Arbeitnehmereigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu vermitteln. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen habe zu der Thematik der Vermittlung des Arbeitnehmerstatus bei Beschäftigungsverhältnissen beim Verein N e.V. insgesamt umfangreich Beweis erhoben und deutliche Zweifel an der Echtheit der Arbeitsverhältnisse des Vereins und an dessen Mildtätigkeit geäußert (L 2 AS 2386/17 B ER).

Die Kläger haben am 15.05.2018 Klage beim Sozialgericht Duisburg erhoben. Es bestehe ein Anspruch auf Grundsicherung, da die Klägerin als Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU anzuerkennen sei.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 29.03.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum von Januar bis Juni 2018 zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat betont, dass der vermeintliche Arbeitgeber „N e.V.“ eine Tätigkeit der Klägerin nur als Reinigungskraft und zwar u.a. in der Kleiderkammer bestätigt habe. Bei dem Arbeitgeber seien dutzende Personen zeitgleich beschäftigt gewesen.

Das Sozialgericht hat im Klageverfahren die Klägerin angehört und die Zeugen T und Frau U zu dem Arbeitsverhältnis der Klägerin vom 01.12.2016 bis zum 30.03.2017, die Mutter der Klägerin A zur Beaufsichtigung des Klägers zu 3)  und die Großmutter der Klägerin zu deren Lebensumständen 2018 vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 06.03.2019, 30.07.2019 und 20.08.2020 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 20.08.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Kläger, die im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II erfüllten, seien nach § 7 Abs. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Klägerin sei keine Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU; eine Freizügigkeitsberechtigung nach Art. 10 der Verordnung/EU Nr. 492/2011 komme auch nicht in Betracht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 28.09.2020 zugestellte Urteil haben die Kläger vertreten durch den Bevollmächtigten am 28.10.2020 Berufung eingelegt. Sie verfolgen ihr Begehren weiter.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil vom 20.08.2020 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2018 zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum von Januar bis Juni 2018 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20.08.2020 verwiesen.

Nachdem der Bevollmächtigte trotz mehrfacher Fristverlängerung eine Begründung der Berufung bis zum 10.02.2021 nicht vorgelegt hat, hat der Senat mit Betreibensaufforderung vom 11.02.2021 den Bevollmächtigten aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und die Berufung zu begründen.

Der Bevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 11.05.2021 zur Begründung der Berufung darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht verkannt habe, dass die Klägerin nicht nur als Reinigungskraft, sondern vielmehr auch als Helferin in der Kleiderkammer beschäftigt gewesen sei. Der Einwand, bei dem Arbeitgeber „N e.V.“ seien, bezogen auf die Größe der Räume, zu viele Reinigungskräfte beschäftigt gewesen, mag berechtigt sein, treffe aber auf die Klägerin nicht zu. Die Klägerin könne aus der Tätigkeit einen Arbeitnehmerstatus herleiten. Zudem hat der Bevollmächtigte mitgeteilt, dass er gleichzeitig das Mandat niederlegt, die Kläger nicht mehr von ihm vertreten werden und daher die Kläger zukünftig selbst anzuschreiben seien.

Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt ergab, dass die Kläger nicht mehr in der L-Straße in E wohnhaft sind. Die Anschriften der Kläger zu 1) und 2) sind unbekannt, für den Kläger zu 3) wird „Hauptwohnung Rumänien“ angegeben. Die Nachfrage beim Beklagten ergab, dass der Leistungsbezug der Kläger mit Ablauf des Juni 2019 endete und im Anschluss daran kein Fortzahlungsantrag mehr gestellt wurde. Die aktuelle Anschrift der Kläger ist unbekannt und der Leistungsfall ist im Rahmen einer internen Verfügung von der Leistungsabteilung geschlossen worden. Ermittlungen bei der Deutsche Postadress GmbH & Co. KG ergaben, dass in der Umzugsdatenbank keinerlei Informationen zu den Klägern vorhanden sind.

Der Senat hat die Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 11.08.2021 darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht ordnungsgemäß eingelegt worden sei, da die Kläger keine ladungsfähigen Anschriften angegeben hätten. Die Kläger hätten die Berufung zwar noch ordnungsgemäß eingelegt. Nach der Mandatsniederlegung des Prozessbevollmächtigten seien die Kläger ihrer Pflicht, durch Angabe einer ladungsfähigen Anschrift während des Berufungsverfahrens tatsächlich erreichbar zu sein, nicht mehr nachgekommen. Es sei beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen. Mit Beschluss vom 19.08.2021 hat der Senat die öffentliche Zustellung des Hinweises vom 11.08.2021  an die Kläger angeordnet. Die Beteiligten haben auf den Hinweis nicht reagiert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

 

II.

Der Senat macht von dem ihm in § 158 Satz 2 SGG eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass die Entscheidung vorliegend durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergeht. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (vgl. hierzu BSG Beschluss vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 8/14 B).

Die Berufung der Kläger ist unzulässig geworden. Zu den zwingenden Bestandteilen eines wirksam eingelegten und betriebenen Rechtsmittels gehört nach §§ 153 Abs. 1, 92 Abs. 1 S. 1 SGG die Benennung einer ladungsfähigen Anschrift des Rechtsmittelführers (BSG  Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S; BVerwG Urteil vom 13.04.1999 - 1 C 24/97 und Beschluss vom 14.02.2012 - 9 B 79/11 u.a.). Enthält die Rechtsmittelschrift keine zustellungsgeeignete und damit auch keine ladungsfähige Anschrift, ist das Rechtsmittel nach herrschender Meinung jedenfalls dann unzulässig, wenn die Angabe ohne Weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse hinsichtlich der Geheimhaltung einer Adresse entgegensteht (BSG Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S, BVerwG Urteil vom 13.04.1999 - 1C 24/97, LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 22.04.2022 – L 7 AS 1242/19 und vom 24.01.2017 - L 7 AS 1834/16 B ER; LSG NRW, Urteil vom 09.05.2019 – L 19 AS 1510/17). Kein schützenswertes Interesse stellen persönliche Interessen wie z.B. das Bestreben dar, anonym zu bleiben, als wirtschaftlich nicht leistungsfähig erkannt zu werden oder sich dem Zugriff von Gläubigern zu entziehen. Erforderlich ist die Angabe der Anschrift, unter der ein Rechtsmittelführer tatsächlich zu erreichen ist. Dies gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift dient zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit (§ 57 SGG), zum Bewirken rechtswirksamer Zustellungen gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen sowie der einwandfreien Identifizierung eines Verfahrensbeteiligten, und muss in jedem Stadium des Verfahrens vorliegen (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 22.04.2022 – L 7 AS 1242/19)

Vorliegend ist die ladungsfähige Anschrift der Kläger weder bekannt noch ermittelbar. Die Kläger haben die Berufung zwar noch ordnungsgemäß, nämlich durch den damals ihn vertretenden Prozessbevollmächtigten eingelegt. Dieser hat mit der Berufungsbegründung das Mandat niedergelegt. An einer zur Zustellung geeigneten Anschrift der Kläger fehlt es infolge der Mandatsniederlegung des Prozessbevollmächtigten. Ab diesem Zeitpunkt sind die Kläger für den Senat nicht mehr erreichbar gewesen. Die von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vermochten eine ladungsfähige Anschrift nicht zu ermitteln. Ein nochmaliger Zustellversuch an die bisherige Anschrift verlief erfolglos. Anfragen beim Einwohnermeldeamt, dem Beklagten, der Postadress GmbH & Co. KG  ergaben, dass die Kläger nach unbekannt verzogen sind.

Schützenswerte Interessen an einer Geheimhaltung einer Offenbarung der Wohnanschrift sind weder von den Klägern vorgetragen bzw. aus dem Akteninhalt erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe iSv §§ 158 Satz 3, 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zu Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Nummer 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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