Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.01.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von Kosten eines Widerspruchsverfahrens.
Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist gelernter Dreher und war seit 1972 in diesem Beruf beschäftigt. Seit Februar 2017 bestand Arbeitsunfähigkeit. Nach einer Unterschenkel-amputation am 14.02.2018 bei diabetischer Gangrän befand er sich vom 24.04.2018 bis zum 29.05.2018 in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik N. Im Entlassungsbericht vom 19.06.2018 wurden leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an 6 Stunden und mehr für möglich erachtet.
Am 09.09.2018 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 09.11.2018 bewilligte ihm die Beklagte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls am 02.02.2017 mit Rentenbeginn ab dem 01.03.2018.
Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 30.11.2018 Widerspruch und begehrte die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach Akteneinsicht begründete er den Widerspruch mit Schreiben vom 08.02.2019 und überreichte ein Attest von Dr. S (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) vom 04.12.2018 sowie ein Gutachten des MDK Westfalen-Lippe vom 18.01.2019 zur Feststellung des Pflegegrades nach dem SGB IX.
Die Beklagte holte ein Gutachten der Internistin, Sport- und Sozialmedizinerin Dr. U vom 13.06.2019 ein, die zu dem Ergebnis kam, das Leistungsvermögen des Klägers sei seit Februar 2017 erloschen.
Am 16.07.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es bestehe die Bereitschaft, dem Widerspruch abzuhelfen und volle Erwerbsminderung auf Dauer seit 02.02.2017 anzuerkennen und dazu einen Bescheid nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erteilen. Als Rentenantrag gelte der am 05.03.2018 gestellte Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Rentenbeginn sei somit der 01.03.2018. Außerdem bestehe die Bereitschaft, die notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach in voller Höhe zu übernehmen.
Der Kläger, der bereits zuvor am 15.07.2019 Untätigkeitsklage (S 10 R 1513/19, Sozialgericht [SG] Dortmund) erhoben hatte, teilte am 02.08.2019 mit, er sei mit der Abhilfe entsprechend des Schreibens vom 16.07.2019 einverstanden.
Daraufhin gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 16.09.2019 Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Am 01.10.2019 beantragte der Kläger Kostenerstattung gemäß § 63 des Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Er macht geltend, das vorliegende Widerspruchsverfahren sei überdurchschnittlich umfangreich gewesen. Der Widerspruch sei im November 2018 erhoben worden. Das Widerspruchsverfahren habe einen Zeitraum von ungefähr der vierfachen Frist des § 88 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gedauert. Es seien Befundberichte in hoher Anzahl zu bearbeiten und zu würdigen und eine umfangreiche Widerspruchsbegründung anzufertigen gewesen. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei durch die Bearbeitung der mannigfaltigen ärztlichen Berichte und eine durch die Persönlichkeit des Widerspruchsführers schwierige Kommunikation überdurchschnittlich. Die Bedeutung der Angelegenheit sei für den Auftraggeber – und auf dessen Sichtweise komme es an – überdurchschnittlich. Es liege eine existenzsichernde Dauerrentenleistung vor. Die Einkommensverhältnisse seien durchschnittlich. Insgesamt sei es gerechtfertigt für das Streitverfahren um den Erhalt eine Erwerbsminderungsrente die Höchstgebühr in Ansatz zu bringen. Durch die Übersendung des ärztlichen Attestes von Dr. S sowie des Pflegegutachtens und die daraufhin erfolgte Abhilfe sei nach ständiger Rechtfertigung des Bundessozialgerichts (BSG) die Erledigungsgebühr angefallen. In der an den Kläger beigefügten Rechnung vom 25.09.2019 macht der Prozessbevollmächtigte folgende Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) geltend:
2302 Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten 640,00 €
1005 Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheit 640,00 €
7000 Dokumentenpauschale 8,50 €
7002 Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 €
Umsatzsteuer 19 % 248,62 €
insgesamt 1.557,12 €
Mit Bescheid vom 24.10.2019 entsprach die Beklagte dem Antrag auf Erstattung der Kosten im Vorverfahren teilweise. Der Erstattungsantrag gemäß § 63 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 SGB X wurde wie folgt festgesetzt:
Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG 300,00 €
Gebühren nach Nr. 7000 ff. VV RVG 28,50 €
Umsatzsteuer 62,42 €
insgesamt 390,92 €
Sie führte aus, nach Nr. 2302 VV RVG entstehe für die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren in sozialgerichtlichen Angelegenheiten, in dem im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, eine Geschäftsgebühr. Diese umfasse einen Betragsrahmen von 50 € bis 640 €. Eine Gebühr von mehr als 300 € könne jedoch nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei (Schwellengebühr). Umfang oder Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit müssten also über dem Durchschnitt liegen, um im Ergebnis eine höhere Gebühr als die Schwellengebühr zu rechtfertigen. Das sei vorliegend nicht der Fall. Eine Erledigungsgebühr sei nicht entstanden. Von der weit überwiegenden sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu Nr. 1005 i.V.m. 1002 VV RVG werde vertreten, dass eine Gebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines sozialgerichtlichen Widerspruchsverfahrens nur beansprucht werden könne, wenn der Rechtsanwalt eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet habe. Erforderlich sei eine qualifizierte auf eine Erledigung gerichtete Tätigkeit, die über das Maß hinausgehe, dass schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für die anwaltliche Tätigkeit im Widerspruchsverfahren abgegolten werde. Auch die Vorlage präsenter Beweismittel bewege sich regelmäßig im Rahmen der dem Widerspruchsführer ohnehin obliegenden Mitwirkung und sei bereits mit der Geschäftsgebühr bzw. Auslagenpauschale abgegolten.
Dagegen legte der Kläger am 11.02.2020 Widerspruch ein und machte geltend, entgegen der Darstellung seien die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG in Höhe der Höchstgebühr und zusätzlich die Erledigungsgebühr angefallen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2020 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 05.06.2020 Klage vor dem SG Dortmund erhoben. Er hat geltend gemacht, unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG sei die Höchstgebühr gerechtfertigt. Im Übrigen habe die Beklagte infolge der neuen Beweismittel dem Widerspruch abgeholfen, wodurch nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Erledigungsgebühr angefallen sei.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2020 zu verurteilen, ihn von den Kosten der anwaltlichen Tätigkeit in Höhe von weiteren 1.166,20 € brutto freizustellen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2020 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26.01.2022 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers geforderte Höchstgebühr sei unbillig und nicht verbindlich, da eine höhere Geschäftsgebühr als 300,- € nicht gerechtfertigt sei. Dafür sprächen sowohl der Umfang als auch der Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit. Eine erschwerte Kommunikation mit dem Kläger sei nicht nachvollziehbar. Die Widerspruchsangelegenheit sei nicht außergewöhnlich umfangreich, die Bedeutung der Angelegenheit nicht mehr als durchschnittlich gewesen. Eine Erledigungsgebühr sei nicht angefallen, da die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung und eines präsenten Gutachtens nicht als qualifizierte Mitwirkungshandlung an der Erledigung angesehen werden könne.
Gegen das ihm am 14.02.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.02.2022 Berufung eingelegt. Er trägt vor, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei dadurch geprägt, dass der Kläger an neun verschiedenen Erkrankungen leide. Mit dem Kläger seien vier persönliche Besprechungen durchgeführt worden. Das Widerspruchsverfahren habe zehn Monate gedauert. Die Angelegenheit sei schwierig, da nicht davon auszugehen sei, dass ein Anwalt über medizinisches Wissen verfüge. Aufgrund der existenzsichernden Bedeutung für den Kläger sei die Höchstgebühr vorliegend angemessen. Die Übersendung eines neuen ärztlichen Attests von Dr. S habe zu weiteren Ermittlungen der Beklagten geführt. Eine Mitverursachung sei zum Anfall der Erledigungsgebühr ausreichend.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.01.2022 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2020 zu verurteilen, ihn von den Kosten der anwaltlichen Tätigkeit in Höhe von weiteren 1.166,20 € brutto freizustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.
Der Senat hat die Beteiligten – dem Kläger mit Empfangsbekenntnis vom 02.06.2022 zugestellt - zur beabsichtigte Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG angehört.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat weist die Berufung nach Anhörung der Beteiligten und in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch Beschluss zurück, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, § 153 Abs. 4 S. 1 SGG.
Die zulässige Berufung ist aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht begründet, § 153 Abs. 2 SGG analog.
Das Berufungsvorbringen gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Zu Recht hat die Beklagte die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG auf den Betrag von 300,00 € festgesetzt. Soweit der Kläger mit der Berufung geltend macht, dass die anwaltliche Tätigkeit deshalb umfangreich gewesen sei, weil er an neun verschiedenen Erkrankungen leide und mit ihm vier persönliche Besprechungen durchgeführt worden seien, ergibt sich hieraus kein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, die sich nach fristwahrender Einlegung des Widerspruchs und Einsichtnahme in die Verwaltungsakte in der Widerspruchsbegründung vom 08.02.2019 erschöpft hat. Dabei umfassen die Ausführungen, die sich konkret auf den Kläger beziehen und nicht allgemeiner Natur sind, lediglich etwa eine halbe Seite. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, ist auch die Dauer des Widerspruchsverfahrens angesichts der bei Erwerbsminderungsrenten üblichen Einholung von medizinischen Gutachten nicht überdurchschnittlich. Besondere medizinische Sachkunde des Bevollmächtigten des Klägers ist weder erforderlich gewesen noch in die Widerspruchsbegründung eingeflossen. Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger ist – wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – zu berücksichtigen, dass dem Kläger bereits Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung durch die Beklagte gewährt worden war, so dass jedenfalls keine überdurchschnittliche Bedeutung vorgelegen hat.
Weiterhin besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Freistellung von der Zahlung einer Erledigungsgebühr, da eine solche nicht angefallen ist. Insoweit ist keine besondere, auf die Erledigung gerichtete Mitwirkung des Rechtsanwaltes ersichtlich. Die Übersendung des präsenten MDK-Gutachtens vom 18.01.2019 ist von der Geschäftsgebühr bzw. Auslagenpauschale mit umfasst. Auch die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Neurologen und Psychiaters Dr. S vom 04.12.2018 stellt keine besondere Tätigkeit des Rechtsanwaltes in diesem Sinne dar. Erforderlich wäre gewesen, dass diese Mitwirkungshandlung ursächlich zum Erfolg des Klägers geführt hätte. Dies wäre gegeben, wenn allein aufgrund dieser Bescheinigung die Abhilfeentscheidung der Beklagten erfolgt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 02.10.1988 – B9/9a SB 5/07 R -, Rn. 16 f). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, wie auch das SG zutreffend ausgeführt hat, da ursächlich für die Abhilfeentscheidung das von der Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten der Dr. U gewesen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor, § 153 Abs. 4 S. 3 i.V.m. § 158 S. 3 SGG.