L 15 U 273/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 394/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 273/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 65/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 17.05.2021 wird zurückgewiesen.

Dem Kläger werden Verschuldenskosten i. H. v. 1.000,00 € auferlegt.

Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente.

Der am 00.00.1968 geborene Kläger erlitt bei seiner Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter der Firma O am 07.12.2010 gegen 11.50h einen Unfall, bei dem ihm ein entgegenkommendes Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h in die Fahrerseite fuhr.

Der Durchgangsarzt Dr. H, der den Kläger um 12:25 Uhr untersuchte, diagnostizierte eine Distorsion der Halswirbelsäule, eine Schädelprellung sowie eine Thoraxprellung. Es zeigten sich am Kopf im Bereich des linken Ohres eine leichte Rötung und Schwellung. Auffälligkeiten der Bewusstseinslage sowie der Orientierung konnten nicht festgestellt werden. In dem Durchgangsarztbericht heißt es weiter, der Kläger sei nicht bewusstlos gewesen und es habe keine retrograde Amnesie bestanden. Die neurologische Untersuchung zeigte keinerlei Ausfälle. Knöcherne Verletzungen wurden ebenfalls ausgeschlossen. Anschließend befand sich der Kläger bis zum 10.12.2010 in stationärer Beobachtung im Evangelischen Krankhaus in X. Eine dort veranlasste Kernspintomographie des Schädels und der Halswirbelsäule vom 09.12.2010 brachte ebenfalls keine Hinweise auf knöcherne oder intracranielle Verletzungen zur Darstellung. Anschließend bestand Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.12.2010.

Im Rahmen einer neurologischen Untersuchung durch Dr. R am 07.04.2011, die wegen fortdauernder Beschwerden veranlasst worden war, wurden Konzentrationsstörungen, Schwindel sowie ausgeprägte Wetterfühligkeit beklagt. Der Neurologe und Psychiater Dr. E führte in einem Befundbericht vom 06.07.2012 aus, der Kläger sei nach seinen Angaben seit dem Unfall nicht mehr belastbar, leide an Konzentrationsstörungen und habe beruflich zurückgesteckt. Der Kläger habe sich 2009 nach längerer Vorgeschichte von seiner Ehefrau getrennt und lebe derzeit bei seiner Mutter. Es bestehe nur eine begrenzte Akzeptanz für mögliche psychosomatische Aspekte im Krankheitsbild. Im weiteren Verlauf stellte sich der Kläger wegen Kopfschmerzen, Schwindel und Kiefergelenksbeschwerden am 05.02.2013 in der Neurologie des UKM N bei Dr. T vor. Hier wurde der Verdacht auf einen leichtgradigen posttraumatischen Kopfschmerz sowie eine Myoarthropathie geäußert. Eine organische Ursache für die Beschwerden konnte jedoch nicht gefunden werden. Eine weitere Kernspintomographie des Schädels vom 28.10.2013 ergab einen altersentsprechenden Befund. Auch bei Dr. E und bei Dr. T hatte der Kläger eine Bewusstlosigkeit nach Anprallen des Kopfes ausdrücklich verneint.

Mit Bescheid vom 22.07.2014 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 07.12.2010 als Arbeitsunfall mit der Folge einer HWS-Distorsion, einer Schädelprellung sowie einer Thoraxprellung an. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 02.01.2011 bestanden. Die darüber hinausgehende Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. A vom 19.01.2015 und nach Auswertung der Unterlagen durch den Beratungsarzt Dr. Z vom 12.03.2015 mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurück. Im Rahmen der hiergegen erhobenen, auf die Gewährung einer Rente und Anerkennung von Konzentrationsstörungen, Schwindel, Myoarthropathie, postkommotionelles Syndrom, posttraumatischen Kopfschmerz und Wetterfühligkeit als weitere Unfallfolgen bei dem Sozialgericht Münster erhobenen Klage (Az. S 19 U 287/15) holte das Sozialgericht ein Gutachten bei Dr. B vom 17.03.2017 sowie von Dr. S nach § 109 SGG vom 17.10.2017 ein, die jeweils keine unfallabhängigen Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet feststellen konnten. Dr. B führte insoweit aus, der Kläger zeige ein gewohnheitsmäßiges Ausweichen in körperliche Beschwerdevorträge, womit er dem „durch den Unfall geschädigten Kopf“ die Schuld an seinem Scheitern gebe, wenn er anders seine besonders positive Sicht auf sich selber nicht aufrecht erhalten könne bzw. eine Situation ihn in seinem Selbstbild kränke. Es handele sich hierbei um eine undifferenzierte Somatisierungsstörung (F.45.1 ICD 10) mit regelmäßig erkennbaren Übergängen zu bewusstem Tendenzverhalten. Eine Anpassungsstörung sei mangels relevanter anhaltender Unfallfolgen nicht ersichtlich. Dr. S stimmte dem Gutachten von Dr. B ausdrücklich zu. Mit Urteil vom 14.05.2018 wies das Sozialgericht die Klage ab. In der nicht-öffentlichen Sitzung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Az.: L 15 U 916/18) nahm der Kläger die Klage zurück. Die Beklagte erklärte sich bereit, den Kläger über die Gewährung einer Rente zu bescheiden.

Mit Bescheid vom 30.08.2019 erkannte die Beklagte (nochmals) das Ereignis vom 07.12.2010 als Arbeitsunfall an. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit wegen der unfallbedingten Distorsion der Halswirbelsäule, einer Schädelprellung sowie einer Thoraxprellung habe bis zum 02.01.2011 bestanden. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Myoarthropathie, dem posttraumatischen Kopfschmerz, der Konzentrationsstörung sowie dem Schwindel und der ausgeprägten Wetterfühligkeit, auf die die weitere Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit zurückzuführen seien, bestehe nicht. Ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (insbesondere auf Heilbehandlung, Verletztengeld und Rente) aus Anlass des Arbeitsunfalls sei somit über den 02.01.2011 hinaus nach dem Ergebnis der eingeholten Gutachten nicht begründet. Bei fehlender Bewusstlosigkeit und einer oberflächlichen Verletzung des Kopfes sei von einem Schädel-Hirn-Trauma ohne Gehirnerschütterung auszugehen. Aufgrund der fehlenden neurologischen Ausfälle sei seitens der Halswirbelsäule ebenfalls nur eine leichtgradige Schädigung anzunehmen. Diese Verletzungen seien folgenlos ausgeheilt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2019 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Wegen dieser Entscheidung hat der Kläger am 04.12.2019 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben. Der erlittene Arbeitsunfall sei durch die Gewährung einer Rente zu entschädigen. In dem parallel geführten Klageverfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (S 24 R 96/17 SG Münster) habe Dr. F am 18.04.2018 eine Anpassungsstörung beschrieben. Die Ärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. P habe in ihrem ausführlichen Gutachten vom 06.11.2018 ausgeführt, dass er unter einer sonstigen somatoformen Störung leide, die auch in einem möglichen Zusammenhang mit einer posttraumatischen Belastungsstörung stehen könne.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

unter Abänderung des Bescheides vom 20.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2019 die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.12.2010 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v.H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat von Amts wegen eine Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 23.08.2020 eingeholt, die an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten hat.

Auf Antrag des Klägers im Rahmen von § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein weiteres Gutachten von Dr. P eingeholt. Die Sachverständige ist am 16.03.2021 zu dem Ergebnis gelangt: Beim Kläger sei weder eine Anpassungsstörung noch eine PTBS festzustellen. Es liege unfallunabhängig eine sonstige somatoforme Störung ICD 10:F45.8 vor, die auf intrapsychische Konfliktlagen zurückzuführen sei.

Mit Gerichtsbescheid (nach Anhörung) vom 17.05.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt:

Das Gericht hat den Rechtsstreit - nach Anhörung der Beteiligten - ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden können, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 30.0.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2019 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn der Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 07.12.2010.

Nach § 56 Abs. 1 des 7. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den Gutachten der Dres. A, B und S, welche die Kammer im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, sowie der im Gerichtsverfahren eingeholten Stellungnahme von Dr. B. Bei fehlender Bewusstlosigkeit und einer Oberflächenverletzung des Kopfes ist von einem Schädel-Hirn-Trauma ohne Gehirnerschütterung auszugehen. Aufgrund der fehlenden neurologischen Ausfälle ist seitens der Halswirbelsäule ebenfalls eine leichtgradige Schädigung anzunehmen. Diese Verletzungen sind folgenlos ausgeheilt. Nach den Feststellungen durch Dr. B besteht bei dem Kläger eine Somatisierungsstörung, welche nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen ist.

Auch das im Rahmen von § 109 SGG eingeholte Gutachten von Dr. P führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Sachverständige führt ebenfalls aus, dass keine Gesundheitsstörungen mehr vorliegen, welche auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Dies gelte insbesondere für die vom Kläger geklagten körperlichen Symptome, die jedoch als psychosomatische Erkrankung anzusehen sind. Die Sachverständige gelangt zu dem Ergebnis, es bestehe eine MdE von Null durchgehend ab dem Unfallereignis.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.“

Gegen den am 24.05.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.06.2021 Berufung eingelegt. Unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens führt er zur Begründung weiter aus, die Sachverständigen seien von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen und die Gutachten seien manipuliert. Es habe sich um schwerwiegendes Unfallgeschehen gehandelt und er sei aufgrund seiner Kopfverletzung kurzzeitig bewusstlos gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 17.05.2021 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 30.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2019 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.12.2010 Rente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat den Kläger im Erörterungstermin vom 22.02.2022 und im Verhandlungstermin vom 05.04.2022 darauf hingewiesen, dass er die weitere Rechtsverfolgung für missbräuchlich hält und beabsichtigt, dem Kläger Kosten nach § 192 SGG aufzuerlegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist. Der Kläger hat wegen des von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom 07.12.2010 keinen Anspruch auf Verletztenrente, weil er infolge dieses Ereignisses über die 26. Woche hinaus nicht um wenigstens 20 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist (vgl. § 56 Abs. 1 SGB VII). Ein Stützrententatbestand ist nicht ersichtlich.

Für die Feststellung einer rentenberechtigenden MdE sind zunächst nur solche Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die entweder als Gesundheitserstschäden kausal (haftungsbegründende Kausalität) auf das Unfallereignis selbst oder als Gesundheitsfolgeschäden kausal (haftungsausfüllende Kausalität) auf den Gesundheitserstschaden bzw. die Gesundheitserstschäden zurückzuführen sind. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt dabei, dass Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschäden, ebenso wie die Merkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung zur Zeit des Unfalls, Unfallereignis im Rahmen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R, juris Rn. 16 m. w. N.).

Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (haftungsbegründende und/oder haftungsausfüllende Kausalität) zwischen dem Unfallereignis und den festgestellten Gesundheitsstörungen gilt die Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R, juris Rn. 12 m. w. N.).

Diese Kausalitätsprüfung erfordert zunächst die Ermittlung der objektiven naturwissenschaftlichen Verursachung, bei der es darauf ankommt, ob die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den Tod eine Wirkursache war (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rn. 31 ff.; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rn. 55 ff.; BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rn. 31 ff.). Dies schließt die Prüfung mit ein, ob ein Ereignis nach medizinisch-wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen und welche Vorerkrankungen/Schadensanlagen ggfls. bestanden haben, die nach den genannten wissenschaftlichen Kriterien ebenfalls geeignet sind, die geltend gemachte Gesundheitsstörung zu bewirken (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- oder einem psychischen Gesundheitsschaden und einem Unfall ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernstliche Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 8/03 R - SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m. w. N.).

Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Kriterien zur Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache bei medizinischen Sachverhalten sind die versicherte Ursache als solche hinsichtlich Art und Stärke, einschließlich des zeitlichen Ablaufs, die konkurrierende(n) Ursache(n) hinsichtlich Art und Stärke, Krankheitsbild und Krankengeschichte, als auch die weitere Entwicklung und mögliche Vorgeschichte (siehe hierzu statt vieler BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, juris Rn. 15 f. m. w. N.).

Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist sodann zu fragen, ob und in welchem Umfang das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen infolge der kausal auf das Unfallereignis zurückzuführenden Gesundheitsschäden beeinträchtigt ist und dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt dabei als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die für die Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im einzelnen Fall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (zum Ganzen BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R, juris Rn. 15 f. m. w. N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch den Arbeitsunfall vom 07.12.2010 nicht in rentenberechtigendem Ausmaß gemindert. Es sind keine Unfallfolgen, insbesondere auch nicht auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, verblieben, die eine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v. H. begründen könnte. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die vollständigen und zutreffenden Ausführungen des Gerichtsbescheids, denen er sich nach eigener Prüfung in vollem Umfang anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Der Kläger hat bei dem Auffahrunfall lediglich eine HWS-Distorsion, eine Thoraxprellung sowie eine Schädelprellung erlitten, die nach übereinstimmenden ärztlichen Einschätzungen in den zeitnah veranlassten Untersuchungen bereits nach wenigen Wochen ausgeheilt waren. Anhaltspunkte für knöcherne Verletzungen bestanden nicht. Auch ergab die neurologische Untersuchung bei Dr. R am 07.04.2011 einen völlig unauffälligen Befund. Ebenso konnte in der Folgezeit auch durch Dr. D (UKM) am 15.02 2013 keine neurologische Störung objektiviert werden. Wie die Sachverständige Dr. B in ihrem Gutachten vom 17.03.2017 in dem vorangegangenen Streitverfahren (SG Münster S 19 U 287/15/ L 15 U 360/18) herausgearbeitet hatte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine hirnorganische oder neurologische Schädigung. Insbesondere haben die aufnehmenden Ärzte, wie die aktenkundigen Berichte zeigen (Durchgangsarztbericht Bericht Krankenhaus X, Dr. E, Bericht UKM) aufgrund der damaligen ausdrücklichen Angaben des Klägers keine Bewusstlosigkeit beschrieben, auch wenn der Kläger dies unter Ausweitung der Schwere und Bedrohlichkeit des Unfallgeschehens jetzt behauptet.

Auch andere psychoreaktive Störungen infolge des Ereignisses vom 07.12.2010 liegen beim Kläger nicht vor. Der Senat folgt insoweit ebenso wie das Sozialgericht den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. P in dem Gutachten vom 16.03.2021 sowie den vorangegangen aktenkundigen Gutachten des Verfahrens L 15 U 360/18.

Hinsichtlich der psychischen und somatischen  Auffälligkeiten wie Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen, die von Dr. B wie auch von dem nach § 109 SGG auf Antrag des Klägers gehörten Sachverständigen Dr. S schon in dem Verfahren L 15 U 360/18 als undifferenzierte Somatisierungsstörung befundet wurden, bestand nach Einschätzung dieser Ärzte kein wesentlicher Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Soweit die in dem genannten Rentenverfahren gehörten Sachverständigen Dr. F bezogen auf das Unfallereignis eine Anpassungsstörung bzw eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) thematisiert hatten, hat Dr. P im Rahmen ihrer Anhörung als Sachverständige nach § 109 SGG nach nunmehriger Auswertung der BG-Akten und den dortigen medizinischen Befunden (die ihr im Rentenverfahren S 24 R 96 / 17 gar nicht vorlagen) diese Diagnosen nicht bestätigt. Auch sie geht von einer sonstigen somatoformen Störung aus. Insbesondere lässt sich nach ihren Ausführungen auch  nicht mit der notwendigen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass bei dem Kläger eine PTBS vorliegt oder in der Vergangenheit vorgelegen hat. Denn die Kriterien einer PTBS nach dem Diagnosemanual der ICD-10 und des DSM-V sind nicht erfüllt. Nach ICD-10 F43.1 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Das DSM-V definiert das traumatische Ereignis als Konfrontation (in einer der dort näher beschriebenen Weisen) mit Tod, tödlicher Bedrohung, schwerer Verletzung, angedrohter schwerer Verletzung, sexueller Gewalt oder angedrohter sexueller Gewalt.

Ein Trauma im Sinne der vorgenannten Definitionen hat der Kläger nicht erlitten. Bei dem Ereignis vom 07.12.2010 handelt es sich ersichtlich nicht um ein Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Der Kläger war dadurch auch nicht mit Tod, tödlicher Bedrohung oder schwerer Verletzung konfrontiert, es handelte sich um einen einfachen Auffahrunfall, bei dem der Kläger nur sehr leichte, innerhalb kürzester Zeit ausgeheilte Verletzungen erlitten hat. Sein diesbezüglicher Vortrag, der im Laufe des Verfahrens mit einer deutlichen Ausweitung der Bedrohlichkeit der Geschehnissen einhergeht, ist durch nichts belegt und mit den aktenkundigen Erstangaben gegenüber den Untersuchern nicht in Einklang zu bringen.

Schon das Ereignis selbst reicht deshalb nach dem Diagnosemanual und der Einschätzung der Sachverständigen nicht aus, um eine PTBS zu verursachen. Zusammenfassend kommt Dr. P zu dem Ergebnis, dass bei sämtlichen vorgetragenen Befindlichkeitsstörungen unfallunabhängige, dem Kläger sehr wahrscheinlich nicht bewusste Psychodynamiken zum Tragen kommen, die auf psychosozialen Belastungsfaktoren und narzisstischen Persönlichkeitszügen beruhen und in zwanghaft rigiden Verhaltensweisen zum Ausdruck kommen.

Der Kläger hat sich mit dieser eindeutigen Gutachtenlage nicht ansatzweise auseinandergesetzt und führt lediglich angebliches „ärztliches Fehlverhalten“ an und wirft den Sachverständigeneine unrichtige Erfassung des tatsächlichen und medizinischen Sachverhalts vor. Ein näheres Eingehen auf das laienhafte Verständnis des Klägers von medizinischen Ursachenzusammenhängen und seinen völlig aus der Luft gegriffenen Behauptungen bezogen auf die Tätigkeit der Sachverständigen und der angeblich hieraus resultierenden „Fehldiagnosen“ ist bei dieser Sachlage nicht geboten.

Der Senat hat im Rahmen seines Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, dem Kläger sogenannte Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass er den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzende die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder der Rechtsverteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Eine missbräuchliche Rechtsverfolgung ist anzunehmen, wenn die Weiterführung des Rechtsstreits von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (vergl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 - 2 BvR 1255/02 - , juris Rn. 3; Beschluss vom 03.07.1995 - 2 BvR 1379/95 - , juris Rn. 10).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dem Kläger ist im Verhandlungstermin des Senats am 05.04.2022 wie schon zuvor im Erörterungstermin am 22.02.2022, bei dem er noch anwaltlich vertreten war, eingehend das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme erläutert worden und ihm wurde die völlige Aussichtslosigkeit und besondere Missbräuchlichkeit der Fortführung des Rechtsstreits verdeutlicht. Er hat dennoch ohne jegliche Reflexion hinsichtlich der medizinischen Befundlage an seinem Begehren festgehalten und gleichwohl auf einem Urteil beharrt.

Die Höhe der Kostenbeteiligung hat der Senat durch Schätzung des Kostenaufwands für die Fortführung des Berufungsverfahrens festgesetzt. Dabei hat er berücksichtigt, dass es sich bei § 192 SGG um eine Schadensersatzregelung handelt (vergl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 192 Rn. 1a und Rn. 12 m.w.N.), die bei Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung das Privileg der staatlich finanzierten Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens entfallen lässt. Dies hat zur Konsequenz, dass der Beteiligte in einem solchen Fall die tatsächlichen Kosten für die weitere Bearbeitung des Rechtsstreits zu tragen hat (vergl. LSG NRW, Beschluss vom 08.12.2016 - L 4 U 575/16; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.02.2012 - L 29 AS 1144/11 -, juris Rn. 66). Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG, somit für Verfahren vor dem Landessozialgericht ein Betrag von mindestens 225 €. Im Übrigen können die anfallenden Gerichtskosten geschätzt werden. Dabei sind neben dem bei der Abfassung des Urteils entstehenden Kosten sämtlicher Richter und Mitarbeiter auch die allgemeinen Gerichtshaltungskosten zu berücksichtigen (vergl. Leitherer, a.a.O. § 192 Rn. 14).

Allein für das Absetzen des Urteils durch die Berichterstatterin sind mindestens sechs Richterarbeitsstunden anzusetzen. Hinzu kommen die durch die Mitbefassung der weiteren Berufsrichter verursachten mindestens drei weiteren Richterarbeitsstunden. Der Wert einer Richterstunde wurde bereits 1986/1987 mit 350-450 DM (dies entspricht ca. 180-230 €) angesetzt (vergl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.10.2011 - L 13 R 2150/10 -, juris Rn. 22 m.w.N.). Selbst unter Berücksichtigung dieser für 1986/1987 geltenden Werte, die sich zwischenzeitlich aufgrund der allgemeinen Kostenentwicklung deutlich gesteigert haben dürften, sind somit allein für die zur Absetzung des Urteils erforderlichen Richterarbeitsstunden Kosten in Höhe von mindestens 1.620 € entstanden, ohne dass hierbei die Kosten der Servicekräfte, die an der Ausfertigung des Urteils mitwirken oder die allgemeinen Gerichtshaltungskosten berücksichtigt wären. Die dem Kläger auferlegten Kosten i.H.v. 1000 € liegen damit noch sehr deutlich unter den Kosten, die er mit der Weiterführung des Rechtsstreits tatsächlich verursacht hat. Bei der Bestimmung der Kostenhöhe hat der Senat zu Gunsten des Klägers geringe Einkommensverhältnisse unterstellt.

Die Kostenentscheidung im Übrigen beruht auf § 193 SGG

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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