Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine Operation durch eine Eigenfetttransplantation (Lipofilling) zur Versorgung des linken Unterschenkels der Klägerin.
Die 1980 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Sie wurde mit einem Klumpfuß geboren und musste sich mehrfachen Operationen (Beinstreckungen) unterziehen. Es besteht bei ihr eine Asymmetrie der Unterschenkel mit funktionellen und schmerzhaften Beschwerden im Bereich des linken Unterschenkels. Das Gangbild ist gestört. Es gibt verschiedene orthopädische Folgeschäden. Am linken Unterschenkel sind narbige Einziehungen sowie eine ausgeprägte Atrophie von Muskulatur und dem subkutanen Fettgewebe vorhanden. Die Asymmetrie der Unterschenkel belastet die Klägerin psychisch stark.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 19. Februar 2018 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Krankenhausbehandlung zur Eigenfetttransplantation. Dem Antrag fügte sie Fotos der Beine bei, woraus sich die Wichtigkeit der Angelegenheit ergebe. Sie fühle sich stark minderwertig und gebeutelt, weil (das linke) Bein einfach nur hässlich sei. Nie könne sie einen Rock tragen, im Bikini am Strand sitzen, ihre Sexualität frei leben oder einen Wellnessbereich besuchen, da sie sich sehr schäme. Die ihr genehmigte Wadenepithese könne sie nicht tragen. Seit langem sei sie in psychologischer Betreuung, das Grundproblem bleibe aber: Sie könne mit dieser Einschränkung sehr schwer leben. Dem Antrag war auch ein Attest des Helios Klinikum Emil von Behring vom 16. Februar 2018 beigefügt mit der Empfehlung für eine Augmentation des Subkutangewebes durch Lipofilling des linken Unterschenkels beigefügt, ferner ein psychiatrisches Gutachten des Dr. M vom 14. September 2010.
Die Beklagte bestätigte der Klägerin den Eingang des Antrages mit Schreiben vom 26. Februar 2018, dessen Zugang streitig ist, und informierte sie, dass eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt werden müsse. Auf Veranlassung der Beklagten gab die Gutachterin L des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) unter dem 19. März 2018 eine gutachterliche Stellungnahme ab, wonach die Differenz des Umfanges der Unterschenkel mit Kleidung kaschiert werden könne und im begleiteten Zustand kein entstellender Charakter vorliege. Psychische Leiden müssten mit Mitteln der Psychiatrie bzw. Psychotherapie behandelt werden. Die unstrittig bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen könnten durch ein Lipofilling nicht beseitigt werden.
Mit Bescheid vom 20. März 2018 lehnte daraufhin die Beklagte eine Kostenübernahme ab.
Die Klägerin erhob Widerspruch und reichte dazu eine Stellungnahme ihrer behandelnden Psychotherapeutin Sommer vom 14. März 2018 ein. Bei der beantragten Lipofilling-Behandlung gehe es nicht ausschließlich um ästhetische Aspekte.
Der MDK gelangte im sozialmedizinischen Gutachten durch Dr. B vom 20. Juni 2018 zu der Einschätzung, dass die Operation nicht empfohlen werde. Die psychotherapeutische Behandlung solle fortgesetzt werden, ferner orthopädische Rehabilitation und eine Optimierung der Hilfsmittelversorgung durch ggf. Einholung einer Zweitmeinung eines anderen Sanitätshauses.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2018 zurück. Zur Begründung verwies sie auf die Stellungnahme des MDK. Es handele sich bei dem geplanten Eingriff überwiegend um eine ästhetische Korrektur.
Hiergegen hat die Klägerin am 9. November 2018 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Sie hat vorgebracht, der Antrag gelte gemäß § 13 Abs. 3 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) als genehmigt. Ein Schreiben der Beklagten vom 27. Februar 2018 habe die Klägerin nie erhalten. Auch bestehe der Anspruch in der Sache. Das linke Bein wirke deutlich entstellend. Auch sei es aufgrund der fehlenden Fettschicht stark berührungsempfindlich. Wenn sich die Klägerin stoße, erleide sie unüblich starke Schmerzen und blaue Flecken.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Januar 2021 abgewiesen. Die begehrte Operation sei nicht erforderlich im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V um eine Krankheit zu heilen oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheitswert im Rechtssinne sei nicht jede körperliche Unregelmäßigkeit. Erforderlich sei, dass der Versicherte entweder in seiner Körperfunktion beeinträchtigt werde oder das er an einer Abweichung vom Regelfall leide, die entstellend wirke. Die Asymmetrie der Unterschenkel der Klägerin wirke nicht entstellend. Eine solche liege nur dann vor, wenn sich die Asymmetrie schon bei flüchtiger Begegnung in einer alltäglichen Situation quasi im Vorbeigehen bemerkbar mache und regelmäßig zur Fixierung des Interesses andere auf den Betroffenen führe. Es müsse sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die die naheliegende Reaktion der Mitmenschen wie Neugierde oder Betroffenheit bewirkten und erwarten lasse, dass der Versicherte ständig viele Blicke auf sich ziehe, zum Objekt besonderer Beachtung anderer werde und sich deshalb aus dem Leben der Gemeinschaft zurückziehe. Ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten Fotos, den Äußerungen der attestierten Ärzte sowie den gutachterlichen Ausführungen des MDK liege diese Situation bei der Klägerin nicht vor. Die Gutachterin L sei zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Umfangsdifferenz der Unterschenkel mit Kleidung kaschieren lasse. Das Gesamtbild der Klägerin sei deshalb nicht geeignet, quasi im Vorbeigehen naheliegende Reaktionen der Mitmenschen auszulösen. Die schmerzhaften und funktionellen Einschränkungen im Bereich des linken Unterschenkels selbst würden weder nach der Einschätzung der MDK-Gutachter noch nach dem Attest der Ärzte des H K durch das begehrte Lipofilling behandelt. Die psychische Belastung der Klägerin rechtfertige keinen operativen Eingriff. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) könnten psychische Leiden einen Anspruch auf einen operativen Eingriff in ein krankenversicherungsrechtlich gesundes Organ nicht rechtfertigen. Offenbleiben könne, ob die Klägerin das Schreiben der Beklagten vom 27. Februar 2018 erhalten habe. Denn eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V vermittele keinen eigenständigen Anspruch auf Versorgung mit einer Naturalleistung (Bezugnahme auf Urteile des BSG vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 R, Urteile vom 18. Juni 2020 – B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R).
Gegen diese am 21. Januar 2021 zugestellte Entscheidung richtig sich die Berufung der Klägerin vom 10. Februar 2021. Zu deren Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen. Bei ihr bestehe nicht nur eine Asymmetrie der Unterschenkel, sondern auch funktionelle und schmerzbedingte Einschränkungen. Gerade beim Tragen langer Kleidung liege eine besondere Druckempfindlichkeit vor. Auch hinsichtlich der Frage einer „Entstellung“ sei die Entscheidung unrichtig. Es hätte zumindest eine Inaugenscheinnahme erfolgen müssen. Jedenfalls die Klägerin halte sich für entstellt. Es sei auch nicht sachgerecht, den begehrten Eingriff im Hinblick auf die psychischen Beschwerden reflexhaft zu verneinen. Die körperliche Auffälligkeit sei derart ausgeprägt, dass sie sich bereits bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen bemerkbar mache und durch weite Kleidung kaschiert werden müsse. Es seien auch Fälle denkbar, in denen nicht alleine auf den bekleideten Zustand abgestellt werden dürfe. Auch seien Beine nicht regelmäßig bedeckt. Gerade an wärmeren Tagen könne nicht unterstellt werden, dass ständig lange und weite Kleidung getragen werde. Anders etwa als bei asymmetrischen Brüsten, bei welchen eine Prothese auch unter einem Badeanzug getragen werden könne, scheide eine solche Verdeckung bei den Beinen aus. Die Klägerin ziehe sich gerade an wärmeren Tagen aus dem Leben in der Gemeinschaft zurück.
Der psychischen Beeinträchtigung versuche sie durch die seit April 2015 bestehende psychotherapeutische Behandlung entgegen zu wirken. Jedoch komme auch die Behandlerin zu dem Schluss, dass der Ausgleich des linken Unterschenkels eine erhebliche Entlastung der Klägerin darstelle und die Gefahr einer Verschlechterung der psychischen Symptomatik verringern würde.
Die Klägerin beantragt,
in Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 6. Januar 2021 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2018 zu verurteilen, die Kosten für eine Eigenfetttransplantation zur Versorgung des linken Unterschenkels der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf die angeführten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Beide Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise im Erörterungstermin am 11. Mai 2022 einverstanden erklärt. Gründe, von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch zu machen, sind nicht ersichtlich.
Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen zunächst nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.
Ob die begehrte Behandlung ambulant durchgeführt werden könnte oder ob sie eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderte, kann dahingestellt bleiben. Denn die Beklagte und das SG gehen zu Recht davon aus, dass der von der Klägerin begehrte Eingriff nicht zur Behandlung einer Krankheit erforderlich ist.
Als Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf. Der Körperzustand der Klägerin ist zwar regelwidrig, weil bei ihr eine ausgeprägte Asymmetrie der Unterschenkel besteht. Indessen ergibt sich aus einer Regelwidrigkeit noch nicht notwendig eine Behandlungsbedürftigkeit.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht nicht so weit, dass alle Versicherten Anspruch auf die Herstellung eines äußeren Erscheinungsbildes hätten, das gängigen ästhetischen Vorstellungen entspricht. Nach der Rechtsprechung des BSG wird die Leistungspflicht der Krankenkassen bei der Korrektur anatomischer Besonderheiten dadurch begrenzt, dass entweder eine entstellende Wirkung vorliegen oder aber es zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen gekommen sein muss (BSG, Urteil v. 19. Oktober 2004 – B 1 KR 9/04 R – juris-Rdnr. 13).
Um eine behandlungsbedürftige Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit hervorruft und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Ausgehend vom objektiven Krankheitsbegriff kommt es für die Bewertung der Entstellung nicht auf eine subjektive oder persönliche Einschätzung der Betroffenen an. Die Feststellung, dass im Einzelfall Versicherte wegen einer körperlichen Abnormität entstellt sind, ist anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen und in erster Linie Tatfrage (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022 – B 1 KR 3/21 R Rdnr. 16 mit weiteren Nachweisen). Regelmäßig ist darauf abzustellen, dass die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein muss, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht (vgl. BSG, a. a. O. Rdnr. 17). Bei der Klägerin, die im Erörterungstermin vor dem Senat anwesend war, fällt die Asymmetrie nicht in diesem Sinne auf.
Eine Entstellung kann allerdings in eng begrenzten Ausnahmefällen auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein. Da die gesellschaftliche Teilhabe ganz überwiegend im bekleideten Zustand erfolgt, ist die Erheblichkeitsschwelle jedoch bei Auffälligkeiten im Gesichtsbereich deutlich eher überschritten, als an sonstigen, regelmäßig durch Kleidungsstücke verdeckten Bereichen des Körpers. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten deshalb besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Die Auffälligkeit muss evident abstoßend wirken (BSG, a. a. O. Rdnr. 18).
Die Asymmetrie der Unterschenkel ist keine Auffälligkeit, die so besonders schwerwiegend ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nämlich nicht das subjektive Empfinden des Betroffenen maßgeblich. Diese Bewertung ergibt sich aber auch zwanglos aus den Äußerungen der Klägerin im Rahmen der Anamnesen zu ihrem Familienleben.
Dass die begehrte Eigenfettverpflanzung der atrophierten Unterschenkelmuskulatur am linken Bein dienen soll, trägt auch die Klägerin nicht vor und ist nicht ersichtlich. Die Funktionsbeeinträchtigungen können ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme des MDK durch die geplante Behandlungsform des Lipofillings von vornherein nicht beseitigt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.