L 1 KR 275/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 221 KR 1521/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 275/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 87/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung

Nichtzulassungsbeschwerde

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt die Durchführung einer stationären Krankenhausbehandlung (Fettschürzenresektion).

 

Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger nahm infolge einer Sepsis mit Komplikationen anlässlich eines Krankenhausaufenthaltes 2016 bis 2017 um ca. 80 kg ab. Durch Ernährungsumstellung und Bewegung reduzierte er sein Gewicht noch weiter auf 135 kg bei einer Körpergröße von 193 cm. Durch den Gewichtsverlust hat sich allerdings sich eine Hautfettschürze gebildet.

Am 20. August 2018 beantragte der Kläger deshalb die Übernahme der Kosten für eine Abdominoplastik mit Neuinsertion des Nabels. Beigefügt war ein Attest des Facharztes für plastische und ästhetische Chirurgie Dr. P vom 3. August 2018. Die dringliche medizinische Indikation zur Abdominoplastik mit Neuinsertion sei gegeben, insbesondere auch, um den Kläger „in seinem Beruf als Koch halten“ zu können.

Mit Schreiben vom 23. August 2018 informierte die Beklagte den Kläger, dass zur Prüfung des Antrages die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme erforderlich sei. In einer von ihr eingeholten sozialmedizinischen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) vom 5. September 2018 gelangte der Gutachter Dr. B zu dem Ergebnis, dass eine medizinische Notwendigkeit der beantragten Leistung derzeit nicht bestehe. Das Vorliegen von Hautentzündungen sei nicht verifizierbar, gegebenenfalls werde eine dermatologische Behandlung empfohlen. Bei der vorhandenen Adipositas Grad II bestünden für die begehrte Operation das Risiko von Komplikationen, so dass (zunächst) eine weitere Gewichtsreduktion erfolgen solle.

 

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 10. September 2018 den Antrag ab.

 

Der Kläger widersprach mit Schreiben vom 25. September 2018. Zur Begründung trug er vor, bei Schweißbildung unter den Hautlappen komme es zu einem sehr unangenehmen Geruch. Die Haut entzünde sich, jucke, schmerze, scheuere und entzünde sich immer wieder. Er könne sich ohne Schmerzen nicht bücken, laufen, setzen und schlafe sehr schlecht. Auf seiner Arbeit habe er immer wieder mit feucht-warmen Klima zu tun.

 

Dr. B erstellte im Auftrag der Beklagten für den MDK unter dem 2. Januar 2019 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten und gelangte zum selben Ergebnis. Bei Hautrötungen oder Hautirritationen werde empfohlen, die Haut trocken zu halten, zum Beispiel mittels Kompressionseinlagen, und bei Bedarf eine ambulante dermatologische Behandlung mit Salben, gegebenenfalls kombiniert mit einem lokalen Antimykotikum/Antibiotikum durchführen zu lassen.

Der Kläger reichte Atteste der ihn behandelnden Psychotherapeutin Dr. H vom 7. November 2018 sowie seiner ihn behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W vom 9. April 2019 ein.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2019 zurück.

 

Hiergegen hat der Kläger am 9. Juli 2019 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er ergänzend ausgeführt, zwar liege keine Behandlungsbedürftigkeit im Sinne einer kurativen Heilbehandlung vor. Das Vorhandensein der Fettschürze wirke sich aber erheblich auf seine Tätigkeit als Koch aus. Die Beklagte habe ihre Leistungszuständigkeit als erstangegangener Leistungsträger im Sinne des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) außer Betracht gelassen. Die Fettschürze stelle ein erhebliches berufliches Hindernis dar.

 

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dass die bei dem Kläger durch die Reduzierung des Körpergewichts entstandenen Hautüberschüsse nicht als behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu bewerten seien. Ein Krankheitswert komme den Hauterschlaffungen nach extremer Gewichtsabnahme nur dann zu, wenn dauerhaft therapieresistente Hautreizungserscheinungen wie Pilzbefall, Sekretion oder entzündliche Veränderungen vorlägen. Die Hauterkrankungen des Klägers seien hingegen dermatologisch behandelbar. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass den krankhaften Hauterscheinungen nicht mit den bisherigen oder weiteren dermatologischen Maßnahmen entgegengewirkt werden könne. Eine dauerhafte Therapieresistenz bestehe also nicht. Dermatologische Erkrankungen seien grundsätzlich mit den Mitteln dieser Fachrichtung zu behandeln. Erst wenn mit diesen kein dauerhafter Erfolg erzielt werden könne, sei zu prüfen, ob als ultima ratio eine Entfernung notwendig sei. Die begehrte Operation könne der Kläger auch nicht im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme erlangen, da eine Fettschürzenresektion als Krankenbehandlung in die Zuständigkeit der Krankenkassen falle. Bei der Krankenbehandlung liege der Schwerpunkt auf der ärztlichen Behandlung, während für die medizinische Rehabilitation häufig ein Gesamtkomplex ineinandergreifender Leistungen charakteristisch sei. Liege der Schwerpunkt der Behandlung auf den nichtärztlich erbrachten Therapieanteilen (Krankengymnasten usw.), handelte es sich meist um eine medizinische Rehabilitation. Die Unterscheidung könne im Wesentlichen nur nach der Art der Einrichtung, den Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung getroffen werden, die sich auch in der Organisation der Einrichtung widerspiegelten. Jedenfalls sei für die Unterscheidung zwischen einer Rehabilitationsmaßnahme und Krankenbehandlung das mit der angestrebten Behandlung verfolgte subjektive Ziel nicht ausreichend.

 

Gegen diese am 20. Mai 2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 22. Juni 2020 (Montag).

Zu deren Begründung trägt er vor, die Feststellungen des SG, eine Fettschürze habe für sich genommen keinen Krankheitswert einerseits und eine operative Fettschürzenresektion sei eine Krankenbehandlung andererseits stünden zueinander im diametralem Widerspruch. Es dürfe nicht über zwei Jahre ausschließlich über Zuständigkeitsfragen gestritten werden. § 43 SGB IX spreche von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form von ärztlichen Behandlungen. Der Kläger sehe seine Erwerbsfähigkeit im bisherigen Beruf als Großküchenkoch akut erheblich gefährdet. Auch lägen die Voraussetzungen für eine Genehmigungsfiktion gemäß § 18 Abs. 3 SGB IX vor.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. September 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2019 zu verurteilen, die Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung zur Fettschürzenresektion zu übernehmen, hilfsweise den Leistungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

 

Die Beklagte beantragt,

 

Die Berufung zurückzuweisen.

 

Auf die angeführten ärztlichen Gutachten und Atteste wird ergänzend verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter allein entschieden werden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Beide Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise im Erörterungstermin am 11. Mai 2022 einverstanden erklärt. Gründe, von der Ermächtigung keinen Gebrauch zu machen, sind nicht ersichtlich.

 

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 10. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dies hat das SG im angegriffenen Gerichtsbescheid ausführlich dargelegt. Auf dessen Ausführungen wird zur Vermeidung von bloßer Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

 

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V i. V. m. § 39 Abs. 1 SGB V in Betracht. Nach diesen Vorschriften besteht Anspruch auf Behandlung im Krankenhaus, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zu Recht steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass die von dem Kläger begehrte Fettschürzenresektion der Art nach nur in einem Krankenhaus vorgenommen werden kann, weil für die Durchführung der Operation die besondere apparative Ausstattung eines Krankenhauses erforderlich ist.

Der von dem Kläger begehrte Eingriff ist jedoch nicht zur Behandlung einer Krankheit erforderlich. Als Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf. Der Körperzustand des Klägers ist zwar regelwidrig, weil er nach der stärkeren Gewichtsabnahme an Hautüberschüssen am Bauch leidet. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt. Indessen ergibt sich aus dieser Regelwidrigkeit noch nicht notwendig auch eine Behandlungsbedürftigkeit. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht nicht so weit, dass alle Versicherten Anspruch auf die (Wieder-)Herstellung eines äußeren Erscheinungsbildes hätten, das gängigen ästhetischen Vorstellungen entspricht. Nach der Rechtsprechung des BSG wird die Leistungspflicht der Krankenkassen bei der Korrektur anatomischer Besonderheiten dadurch begrenzt, dass entweder eine entstellende Wirkung vorliegen oder aber es zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen gekommen sein muss (BSG, Urteil v. 19. Oktober 2004 – B 1 KR 9/04 R – juris-Rdnr. 13).

Eine entstellende Wirkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG nur vor, wenn eine bestehende anatomische Besonderheit bei einem Versicherten so ausgeprägt ist, dass sie von jedermann auf der Straße sofort bemerkt und als auffällig wahrgenommen wird, wenn ihm der Versicherte in Alltagskleidung begegnet (BSG v. a. a. O. Rdnr. 14). Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers schon deswegen nicht gegeben, weil der Oberkörper üblicherweise durch Kleidung bedeckt wird.

Es ist ferner auch nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass die Hautüberschüsse beim Kläger zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen geführt haben, welche eine medizinische Indikation für den geplanten operativen Eingriff abgeben könnte.

Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, sind dermatologische Erkrankungen mit den Mitteln dieser Fachrichtung zu behandeln. Sollte sich herausstellen, dass mit diesen Mitteln kein dauerhafter Erfolg erzielt werden kann, so wäre erst im Anschluss zu prüfen, ob als ultima ratio eine Hautstraffung notwendig ist, wenn also ständige Hautreizungen auftreten, die sich als dauerhaft therapieresistent erweisen (vgl. die Rechtsprechung zusammenfassend: Bayerisches LSG, Urteil vom 04.12.2018 – L 20 KR 406/18 – juris-Rdnr. 63 f.). Hiervon kann beim Kläger nicht ausgegangen werden. Anhaltspunkte, dass die Einschätzung der MDK-Gutachter mittlerweile überholt sein könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

Auch die Befürchtung des Klägers, nicht mehr in seinem Beruf als Großküchenkoch arbeiten zu können, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Im Streit ist keine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 15 Sozialgesetzbuch 6. Buch i. V. m. § 42 SGB IX (Leistung des Rentenversicherungsträgers).

Zu Recht hat das SG darüber hinaus einen Anspruch als medizinische Rehabilitationsmaßnahme allgemein verneint. Bei der Fettschürzenresektion handelt es sich – unabhängig davon, ob die Hautlappenüberschüsse des Klägers für sich genommen Krankheitswert im Sinne des § 27 SGB V haben oder der schönheitschirurgische Aspekt vorherrschend ist- um eine (ärztliche) (Krankenhaus-)Behandlung und keine Maßnahme für eine Rehabilitationsklinik.

Ein Anspruch aus einer fiktiven Genehmigung scheitert bereits deshalb, weil kein Kostenerstattungsanspruch im Streit steht.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht im Ergebnis in der Sache.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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