Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 26.05.2021 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das beim Sozialgericht Dortmund ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 34 R 2477/18 geführte Verfahren fortzusetzen ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endendscheidung vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Rechtsstreit zum Aktenzeichen S 34 R 2477/18, Sozialgericht (SG) Dortmund, in der Hauptsache erledigt ist.
Die Klägerin hat am 15.10.2018 vor dem SG Duisburg S 53 R 975/16 Klage erhoben gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2018, mit dem die Beklagte die Rentenversicherungspflicht der Klägerin als selbständige Propagandistin mit im Wesentlichen einem Auftraggeber gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) vom 01.01.2013 bis 15.09.2017 und eine entsprechende Beitragspflicht festgestellt hatte. Mit Beschluss vom 26.11.2018 hat das SG Duisburg sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige SG Dortmund verwiesen, bei dem der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 34 R 2477/18 fortgeführt worden ist.
Nachdem der Kammervorsitzende der Klägerin am 30.08.2019 aufgegeben hatte, innerhalb eines Monats eine Aufstellung ihrer Einkünfte in den Jahren 2013 bis 2017, getrennt nach Auftraggebern, sowie entsprechende Nachweise vorzulegen, hat die Klägerin am 29.01.2020 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Darin hat sie ihre Versicherungs- und Beitragspflicht vom 01.01.2013 bis 30.09.2017 anerkannt und sich bereit erklärt, die Beitragsforderung von 24.079,29 Euro in Raten von 500,- Euro monatlich an die Beklagte zu zahlen. Nachdem die Beklagte sich hiermit nicht einverstanden erklärt hatte, hat die Klägerin am 31.01.2020 eine Aufstellung ihrer Einkünfte von Januar 2015 bis September 2017 nebst Abrechnungen vorgelegt. Sie hat sich nunmehr bereit erklärt, 17.346,79 Euro an rückständigen Beiträgen zu zahlen.
Mit Beschluss vom 03.02.2020 hat das SG die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten der Klägerin abgelehnt, da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden seien.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 18.02.2020 unter anderem vorgetragen, dass die Umsätze für die Fa. G und Fremdware jeweils dem Hauptauftraggeber zuzurechnen seien, was sich aus einer entsprechenden Zusatzvereinbarung ergebe. Zudem habe die Klägerin die bereits am 06.06.2017 angeforderten Einkommenssteuerbescheide zum Nachweis der erzielten Arbeitseinkommen nicht vorgelegt. Mit Verfügung vom 27.02.2020 und Erinnerungen vom 27.04.2020 und 09.06.2020 ist die Klägerin durch das SG hierzu zur Stellungnahme aufgefordert worden.
Am 03.08.2020 (eine Ausfertigung dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 06.08.2020) hat der stellvertretende Vorsitzende der 34. Kammer eine Betreibensaufforderung erlassen, die er im (in den Gerichtsakten befindlichen) Original mit seinem Nachnamen unterschrieben hat, mit folgendem Inhalt:
„…
in obiger Streitsache wird die Klägerin aufgefordert, das Verfahren zu betreiben, insbesondere die Verfügung des Gerichts vom 27.02.2020 (Erinnerungen vom 27.04.2020 und 09.06.2020) zu erledigen.
Es wird darauf hingewiesen, dass nach § 102 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine Klage als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz entsprechender Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.“
Nachdem hierauf keine Reaktion der Klägerin erfolgt ist, ist die Streitsache mit Verfügung vom 10.11.2020 als erledigt durch Zurücknahme ausgetragen worden.
Am 11.01.2021 hat die Klägerin beantragt, das Verfahren fortzuführen. Auf Grund ihres umfangreichen Sachvortrages habe es keinen Grund für die Annahme gegeben, dass sie kein Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits gehabt habe. Die Betreibensaufforderung sei unwirksam gewesen, weil sie keine Unterschrift des Richters enthalten habe. Der Schriftsatz der Beklagten vom 18.02.2020 sei allein mit dem Hinweis zur Stellungnahme übersandt worden. Eine konkrete Fragestellung bzw. Einforderung einer Mitwirkungshandlung durch sie habe es von Seiten des Gerichts nicht gegeben. Sie hat die durch die Regierungsbeschäftigte R unterschriebene und mit dem Gerichtsstempel versehene Ausfertigung der Betreibensaufforderung vom 03.08.2020 übersandt, wonach diese im Anschluss an den bereits wiedergegebenen Wortlaut weiter lautete:
„Mit freundlichen Grüßen
Der Vorsitzende der 34. Kammer
H
Richter am Sozialgericht
Ausgefertigt
[Unterschrift: R]
R
Regierungsbeschäftigte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle“
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit zum Aktenzeichen S 34 R 2477/18 nicht durch die Klagerücknahmefiktion am 07.11.2020 in der Hauptsache erledigt worden ist,
Die Beklagte hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit zum Aktenzeichen S 34 R 2477/18 durch die Klagerücknahmefiktion am 07.11.2020 in der Hauptsache erledigt worden ist.
Die Beklagte hat vorgetragen, es sei nicht ersichtlich, warum es dem Bevollmächtigten der Klägerin nicht möglich gewesen sein solle, auf die Verfügungen des Gerichts vom 27.02.2020, 27.04.2020, 09.06.2020, 03.08.2020 und 10.11.2020 zu reagieren. Schließlich sei nicht einmal Fristverlängerung beantragt worden. Damit sei der Eindruck entstanden, dass die Gegenseite an einer inhaltlichen Klärung gar nicht interessiert sei. Bis heute sei eine Auseinandersetzung mit ihrem Schriftsatz vom 18.02.2020 nicht erfolgt.
Das SG hat die Beteiligten am 04.05.2021 (dem Bevollmächtigten der Klägerin mit Empfangsbekenntnis vom 10.05.2021 zugestellt) zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.05.2021 hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit zum Aktenzeichen S 34 R 2477/18 durch Klagerücknahme seit dem 07.11.2020 in der Hauptsache erledigt sei. Es hat ausgeführt, die Betreibensaufforderung vom 03.08.2020 habe den gesetzlichen Anforderungen nach § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG genügt. Diese sei durch den damals zuständigen stellvertretenden Kammervorsitzenden mit vollem Namen unterzeichnet und den Beteiligten in beglaubigten Ausfertigungen zugestellt worden. Die Beklagte habe im Schriftsatz vom 18.02.2020 konkret benannt, warum sie die vorgelegte Aufstellung der Klägerin nicht akzeptiere und u.a. auf ausstehende Einkommenssteuerbescheide hingewiesen. Über die monatelange Untätigkeit der anwaltlich vertretenen Klägerin hinaus habe es konkrete Veranlassung gegeben, am Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses zu zweifeln. Bereits mit Schriftsatz vom 29.01.2020 habe sie die Beitragsforderung der Beklagten in Gänze akzeptiert und lediglich versucht, eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dieser zu treffen. Auch nach Vorlage der Abrechnungen am 31.01.2020 habe sie weiterhin einen Großteil der Forderungen akzeptiert. Vor diesem Hintergrund habe das Nichtbetreiben des Rechtsstreits nach den qualifizierten Einwänden der Beklagten und des wiederholten Hinweises auf das Erfordernis der Vorlage der Einkommensbescheide sachlich begründet als Anhaltspunkt für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses gewertet werden können. Auch nach Fristablauf der Betreibensaufforderung habe die Klägerin weitere zwei Monate verstreichen lassen, bevor sie im Januar 2021 die Fortsetzung des Rechtsstreits beantragt habe. Auch dies spreche dafür, dass sie im Jahre 2020 das Rechtsschutzinteresse im Verfahren S 34 R 2477/18 verloren habe.
Gegen den ihr am 31.05.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10.06.2021 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das SG ignoriere, dass die Klage umfangreich begründet und auch immer umfangreich auf das Vorbringen der Beklagten vorgetragen worden sei. Für die Annahme, sie habe das Verfahren nicht betreiben wollen, habe nie Raum bestanden. Ein solcher Fall möge vorliegen, wenn ausschließlich Klage erhoben und diese nie begründet werde. Es sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich argumentiert worden. Bis zuletzt habe die Beklagte sich nur unzureichend und unvollständig mit ihrer Argumentation auseinandergesetzt. Der Schriftsatz der Beklagten vom 18.02.2020 sei allein mit dem Hinweis zur Stellungnahme übersandt worden. Eine konkrete Fragestellung bzw. Einforderung einer Mitwirkungshandlung habe es von Seiten des Gerichts nicht gegeben. Es sei nicht klar erkennbar, was das Gericht von ihr erwarte, bzw. welche Überlegungen es im Rahmen seines Amtsermittlungsgrundsatzes angestellt habe und inwieweit offene Fragen bestünden. Nach ständiger Rechtsprechung müsse die Betreibensaufforderung vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet sein. Die vorliegende Betreibensaufforderung trage keine Unterschrift des Richters, sondern allein die der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Auf der Betreibensaufforderung finde sich nicht der Vorname des Richters. Auch eine beglaubigte Ausfertigung liege nicht vor, lediglich der Zusatz, es sei ausgefertigt worden. Sie übersendet die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2015, 2016 und 2017.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 26.05.2021 aufzuheben und festzustellen, dass das beim Sozialgericht Dortmund ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 34 R 2477/18 geführte Verfahren fortzusetzen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe sich nicht mit den qualifizierten Einwänden gemäß Schriftsatz vom 18.02.2020 auseinandergesetzt. Auch der wiederholte Hinweis auf das Erfordernis der Vorlage der Einkommensbescheide sei ignoriert worden. Von einem Betreiben des Verfahrens könne vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Offenbar sei die Klägerin nicht mehr an einer inhaltlichen Klärung interessiert gewesen, nachdem sie das (unzureichende) Vergleichsangebot vom 29.01.2020 abgelehnt habe. Das Verhalten sie vielmehr darauf gerichtet gewesen, das Verfahren maximal zu verzögern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Zulässiger Streitgegenstand der Berufung der Klägerin ist allein die Frage, ob der Rechtsstreit S 34 R 2477/18, SG Dortmund erledigt ist. Allein hierüber hat das SG in dem angefochtenen Gerichtsbescheid entschieden. Da das Landessozialgericht den Streitfall (nur) im gleichen Umfang wie das SG (§ 157 Abs. 1 Satz 1 SGG) prüft, ist der Senat gehindert, eine Sachentscheidung über den ursprünglich erstinstanzlich gestellten Hauptantrag der Klägerin zu treffen. Entsprechend hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch nur noch beantragt, den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und festzustellen, dass das erstinstanzliche Verfahren fortzusetzen ist.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Eine wirksame fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.
Eine Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibt (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger ist in der Betreibensaufforderung auf die sich aus Satz 1 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Die Betreibensaufforderung des SG ist formell wirksam ergangen. Soweit mit der Berufung gerügt wird, dass die Betreibensaufforderung nicht durch den Richter unterschrieben worden sei, ist dies unzutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG - (Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 58/09 R -, Rn. 49) ist die Betreibensaufforderung durch den zuständigen Richter zu verfügen und mit vollem Nachnamen zu unterschreiben (vgl. zum Urteil: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 134 Rn. 2a m.w.N.). Dies ist durch den stellvertretenden Kammervorsitzenden auf der in der Akte verbliebenen Urschrift auch mit vollem, lesbarem Nachnamen geschehen. Zugestellt wird grundsätzlich nicht die Urschrift, die in der Prozessakte verbleibt, sondern eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 58/09 R -, Rn. 49; Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 63 SGG Rn. 23). Vorliegend ist eine Ausfertigung erteilt worden. Erforderlich sind die Unterschrift des Urkundsbeamten und die Anbringung des Gerichtssiegels auf dem Ausfertigungsvermerk (vgl. § 137 SGG zur Urteilsausfertigung). Auch ist die Unterschrift des Richters mit Namen wiederzugeben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 137 Rn. 2a – 4). Diese Formvorschriften sind ausweislich der dem Bevollmächtigten der Klägerin zugegangenen Ausfertigung eingehalten worden.
Jedoch haben die Voraussetzungen für eine Rücknahmefiktion nicht vorgelegen (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 17.09.2012, 1 BvR 2254/11). Die Rücknahmefiktion greift in das Prozessgrundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) und Art. 103 Abs. 1 GG bzw. in die entsprechenden Verfahrensgehalte der im Einzelfall betroffenen materiellen Grundrechte ein. Zwar ist dies grundsätzlich zulässig. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 -, Rn. 17 ff; BSG, Urteile vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R – Rn. 50 und - B 13 R 58/09 R -, Rn. 46), deren Rechtsprechung sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, darf ein Gericht im Einzelfall von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Das BVerfG und das BSG haben zugleich aber betont, dass Vorschriften über eine Fiktion der Klagerücknahme Ausnahmecharakter haben, der bei ihrer Auslegung und Anwendung besonders zu beachten ist (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R – Rn. 18 ff). § 102 Abs. 2 SGG dient nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder unkooperatives Verhalten eines Beteiligten. Die Rücknahmefiktion soll nur die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzinteresses festlegen und gesetzlich legitimieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012, a.a.O., Rn. 28); § 102 Abs. 2 SGG bezweckt indes nicht, einen Kläger zu einer Substantiierung seines Klagebegehrens anzuhalten, sondern dient (nur) der Klärung aufgekommener Zweifel am Fortbestehen seines Rechtsschutzinteresses (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 a.a.O., Rn. 35; Landessozialgericht - LSG – NRW, Beschluss vom. 20.01.2016 - L 19 AS 1863/15 B -, Rn. 16). Stets muss sich aus dem Verhalten des Klägers der Schluss auf einen Wegfall des Sachbescheidungsinteresses, also auf ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens, ableiten lassen. Denn die Klagerücknahmefiktion ist "kein Hilfsmittel zur bequemen Erledigung lästiger Verfahren oder zur vorsorglichen Sanktionierung prozessleitender Verfügungen" (BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 74/09 R -, Rn. 51 unter Verweis auf Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 12.04.2001 - 8 B 2/01 – Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 05.07.2000 - 8 B 119/00 – Rn. 3, jeweils zu § 92 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung).
Für den Erlass einer Betreibensaufforderung i.S.d. § 102 Abs. 2 S. 1 SGG genügt indes nicht jegliche Verletzung einer Mitwirkungspflicht (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 74/09 R -, Rn. 52) vielmehr ist nur das Unterlassen einer solchen prozessualen Mitwirkungshandlung erheblich, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam ist, also für das Gericht – nach seiner Rechtsansicht – notwendig ist, um den Sachverhalt zu klären und eine Sachentscheidung zu treffen. Ausreichend wäre insoweit beispielswiese die fehlende Begründung der Klage, da das SG nicht verpflichtet ist, „ins Blaue hinein“ zu ermitteln (BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 58/09 R -, Rn. 47).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend lässt sich ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Klägerin nicht feststellen. Die Klägerin hat nach Klageerhebung beim Betreiben des Rechtsstreits ausreichend mitgewirkt. Sie hat die Klage begründet. Anschließend ist durch sie weiterer Sachvortrag unter Übersendung von Unterlagen am 29.01.2020 erfolgt. Weiterhin sind durch die Klägerin am 29. und 31.01.2020 Vergleichsvorschläge unterbreitet worden. Anzeichen dafür, dass das Rechtsschutzinteresse der Klägerin später – bei Erlass der Betreibensaufforderung - weggefallen ist, bestehen nicht. Die Beklagte hat zu dem modifizierten Vergleichsangebot der Klägerin und den durch diese übersandten Unterlagen mit Schriftsatz vom 18.02.2020 Stellung genommen, ihre Rechtsauffassung dargelegt und darauf hingewiesen, dass die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren aufgefordert worden sei, zum Nachweis des erzielten Arbeitseinkommens aus den selbständigen Tätigkeiten ihre Einkommenssteuerbescheide vorzulegen; sie sei dieser Aufforderung bis heute nicht nachgekommen. Dieser Schriftsatz der Beklagten ist der Klägerin am 27.02.2020 durch den Kammervorsitzenden „zur Kenntnis und Stellungnahme, Frist 1 Monat“ übersandt worden. An die Stellungnahme ist am 27.04.2020 und 09.06.2020 durch die Geschäftsstelle erinnert worden, bevor der (stellvertretende) Kammervorsitzende am 03.08.2020 die Betreibensaufforderung verfügt hat. Die Nichtübersendung einer Stellungnahme durch die Klägerin zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.02.2020 stellt keinen Verstoß gegen eine erhebliche prozessuale Mitwirkungspflicht dar. Das SG hat keine Mitwirkungshandlung der Klägerin eingefordert, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam wäre. Insbesondere hat das SG keine Einkommenssteuerbescheide bei der Klägerin angefordert. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 18.02.2020 auf die aus ihrer Sicht fehlenden Einkommenssteuerbescheide hingewiesen hat, hat sich das SG diese Auffassung weder bei Erlass der Betreibensaufforderung noch zuvor erkennbar zu Eigen gemacht. Im Übrigen wäre das SG auch bei Verweigerung der Vorlage der Einkommenssteuerbescheide durch die Klägerin an einer Entscheidung in der Sache nicht gehindert gewesen. Das bloße Schweigen der Klägerin zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.02.2020 kann dagegen nicht als Wegfall des Rechtsschutzinteresses gewertet werden. Da die Betreibensaufforderung des SG vom 03.08.2020 bereits materiell unwirksam gewesen ist, kommt es auf das weitere Verhalten der Klägerin nach Erlass der Betreibensaufforderung nicht mehr an. Aus dem Umstand, dass die Klägerin am 29.01.2020 einen weitgehenden Vergleichsvorschlag unterbreitet, den die Beklagte am gleichen Tag abgelehnt, und den die Klägerin mit Schriftsatz vom 31.01.2020 dahingehend modifiziert hat, statt 24.079,29 € nur noch 17.346,79 € zahlen zu wollen, kann ebenfalls nicht auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis geschlossen werden, da jedenfalls ausgehend von dem Schriftsatz der Klägerin vom 31.01.2020 weiter Streit um einen Teilbetrag der Forderung bestanden hat. Auch wenn die Klägerin im Prozesskostenhilfeverfahren die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt und das SG den Antrag infolgedessen mit Beschluss vom 03.02.2020 abgelehnt worden ist, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, sie habe kein Interesse mehr an der Fortführung des Rechtsstreits. Denn sie hat innerhalb der Vorlagefrist bis zum 31.01.2020 zur Sache vorgetragen und die Vergleichsvorschläge unterbreitet.
Der Senat ist gehindert, den Rechtsstreit in der Hauptsache zu entscheiden, da die Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sich als unwirksam erwiesen hat (vgl. LSG NRW, Urteil vom 28.05.2013 – L 20 SO 431/17 -, Rn. 40; LSG NRW, Urteil vom 19.05.2017 – L 17 U 315/16 -, Rn. 20; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 102 Rn. 13 m.w.N.), vielmehr ist der Rechtsstreit in der vorigen Instanz fortzuführen, dies auch, um den Beteiligten die Möglichkeit einer Sachentscheidung in erster Instanz zu erhalten. Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.11.2021 – L 3 U 49/20 -, Rn. 34) kann das Berufungsgericht nicht in der Sache entscheiden. Denn die Rechtshängigkeit der Sache vor dem SG ist nicht beendet gewesen, da eine Erledigung nach § 102 Abs. 2 SGG zu keinem Zeitpunkt eingetreten ist, so dass durch den Senat die Feststellung zu treffen ist, dass der Rechtsstreit vor dem SG fortzuführen ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des SG vorbehalten (vgl. LSG NRW, Urteil vom 19.05.2017 – L 17 U 315/16 -, Rn. 22).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.