Der der Klägerin erteilte Bescheid der Beklagten vom 30. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin zur teilweisen Erstattung von für die Zeit nach dem Tod der Rentenberechtigten M N (Versicherte) gezahlten Rentenbeträgen verpflichtet ist.
Die Beklagte gewährte der Versicherten Altersrente für Frauen. Die Zahlung erfolgte durch Überweisung auf ein Girokonto bei der Sparkasse A (im Folgenden nur: Sparkasse). Die Versicherte starb am 24. November 2018. Der Zahlbetrag der Rente für Dezember 2018 in Höhe von 917,95 Euro wurde am 30. November 2018 auf das genannte Konto überwiesen.
Ebenfalls am 30. November 2018 erfolgte eine Abbuchung zu Gunsten der Energie- und Wasserversorgung Altenburg GmbH in Höhe von 30,00 Euro. Davor betrug der Saldo auf dem Konto 4,41 Euro.
Am 3. Dezember 2018 erfolgten weitere Kontobelastungen zu Gunsten verschiedener Unternehmen, u. a. in Höhe einer Mietzahlung von 447,98 Euro zu Gunsten der Klägerin. Die Sparkasse vereinnahmte zudem 9,00 Euro aufgrund einer Entgeltabrechnung.
Am 11. Dezember 2018 ging die Rückforderung des Deutsche Post Rentenservice bei der Sparkasse ein. Der Kontostand betrug zu diesem Zeitpunkt 226,40 Euro; diesen Betrag überwies die Sparkasse an den Rentenservice zurück.
Die Kranken- und Pflegekasse zahlten die aus der Rente für den Monat Dezember 2018 gezahlten Beiträge einschließlich des Eigenanteils der Versicherten von 22,58 Euro an die Beklagte zurück.
Die Stadt A teilte der Beklagten mit, dass die Bestattung durch N N veranlasst wurde. Darauf forderte die Beklagte von dieser die Erstattung von 668,97 Euro (Bescheid vom 24. Juni 2020). Dagegen wurde kein Widerspruch eingelegt, jedoch auch keine Zahlung geleistet.
Ferner erließ die Beklagte Rückforderungsbescheide gegenüber allen Unternehmen, zu deren Gunsten das Konto am 3. Dezember 2018 belastet worden war, im Wesentlichen jeweils in Höhe der erhaltenen Zahlungen, lediglich in einem Fall in etwas geringerem Umfang (Bescheide vom 30. September 2020).
Nur die Klägerin und die S D GmbH, von der die Beklagte eine Erstattung in Höhe von 99,00 Euro forderte, legten gegen die an sie gerichteten Bescheide Widerspruch ein.
Durch die weiteren Bescheidadressaten erfolgten bereits Zahlungen in Höhe von insgesamt 122,99 Euro.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2021 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, über den Todesmonat hinaus gezahlte Rentenbeträge gälten als unter Vorbehalt erbracht und seien vom Geldinstitut zurückzuüberweisen. Seien jedoch anderweitige Verfügungen getroffen worden, sodass dafür kein ausreichendes Guthaben mehr zur Verfügung stehe, entfalle diese Pflicht. Personen, die die entsprechenden Geldleistungen in Empfang genommen oder darüber verfügt hätten, seien zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet. Das treffe hier zu; unerheblich sei, dass der Zahlung eine von der Klägerin erbrachte Leistung gegenübergestanden habe.
Dagegen richtet sich die am 26. Januar 2021 erhobene Klage. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Beklagte müsse sich vorrangig an die Erben und die Sparkasse wenden. Es seien von ihr inzwischen Zahlungen an die Erben in einer die Forderung übersteigenden Höhe erfolgt. Die Beklagte sei viel zu spät mit ihrer Erstattungsforderung an sie herangetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30. September 2020 zur Rückforderung von Rentenzahlung nach dem Todesmonat von M N in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihre Ausführungen aus den angefochtenen Bescheiden. Insbesondere vertritt sie die Auffassung, dass gegenüber N N ein bestandskräftiger Rückforderungsbescheid bestehe, stehe der Forderung nicht entgegen, da die Rückforderungsansprüche gegen Erben und Empfänger eigenständig und voneinander unabhängig seien. Selbstverständlich nehme sie nicht mehr Gelder ein, als an Überzahlung überhaupt entstanden sei; zwischenzeitliche Zahlungen der N N, die bisher nicht erfolgt seien, würden bei der Durchsetzung der Forderung gegenüber der Klägerin rückzahlungsmindernd berücksichtigt und umgekehrt ebenso.
Entscheidungsgründe
A. Die Beiladung anderer zur Zahlung Herangezogener nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 des Sozialgerichtsgesetzes ist nicht notwendig (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. Oktober 2013, Az.: B 13 R 35/12 R, Rn. 17, juris), ebenso wenig die der Sparkasse (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 1998, Az.: B 9 V 48/97 R, Rn. 39, juris).
B. Die Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind nach § 118 Abs. 4 Satz 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger) als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende) dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche nach § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI durch Verwaltungsakt geltend zu machen.
Die Voraussetzungen hierfür sind grundsätzlich gegeben, jedoch durfte die Beklagte nicht alle in Betracht kommenden Erstattungspflichtigen in einem Umfang in Anspruch nehmen, der die Gesamthöhe der Forderung übersteigt.
I. Ein Erstattungsanspruch gegen die Klägerin besteht grundsätzlich.
Die Überweisung der Rente für den Monat Dezember 2018 erfolgte zu Unrecht, denn nach § 102 Abs. 5 SGB VI werden Renten nur bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind. Die Klägerin hat durch Dauerauftrag oder Lastschrifteinzug einen Teil der nicht zustehenden Rentenzahlung für Dezember 2018 erhalten.
Gegen Erben und Empfänger von Geldleistungen bestehen gleichrangige, eigenständige und voneinander unabhängige Erstattungsansprüche (BSG, Urteil vom 10. Juli 2012, Az.: B 13 R 105/11 R, Rn. 31, juris; BSG, Urteil vom 20. Mai 2020, Az.: B 13 R 4/18 R, Rn. 30, juris). Ein weiterer vorrangiger Anspruch besteht lediglich nach § 118 Abs. 3 SGB VI in Höhe von 9,00 Euro gegenüber der zur Rücküberweisung des noch vorhandenen Guthabens verpflichteten Sparkasse. Die Sparkasse überwies das beim Eingang der Rückforderung des Rentenservice noch vorhandene Guthaben in Höhe von 226,40 Euro bereits an die Beklagte zurück. Nach Abzug dieses Betrags und des an die Beklagte geflossenen Eigenanteils der Kranken- und Pflegeversicherung verbleibt der von der Beklagten berechnete Fehlbetrag von 668,97 Euro. Die Sparkasse darf den überwiesenen Betrag nach § 118 Abs. 3 Satz 4 SGB VI jedoch nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. August 1998, Az.: B 4 RA 72/97 R, Rn. 38, juris). Das trifft hier in Höhe der Entgeltabrechnung über 9,00 Euro zu. Die mündliche Urteilsbegründung ist insoweit richtig zu stellen, dass sich allein daraus noch nicht die Rechtswidrigkeit der strittigen Erstattungsforderung im Umfang von 9,00 Euro ergibt, sondern nur die Minderung des von Erben und Empfängern insgesamt zu erstattenden Betrags um 9,00 Euro.
Auf das Vorhandensein weiterer Konten der Versicherten kommt es nicht an (BSG, Urteil vom 3. Juni 2009, Az.: B 5 R 120//07 Rn. Rn. 16 ff. m. w. N., juris).
Dass die Geltendmachung des Anspruchs erst nahezu zwei Jahre nach dem Tod der Versicherten erfolgte, schließt den Erstattungsanspruch nicht aus. Der Anspruch verjährt nach § 118 Abs. 4a Satz 1 SGB VI in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Träger der Rentenversicherung Kenntnis von der Überzahlung und dem Erstattungspflichtigen erlangt hat. Weiter gehende Einschränkungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die Voraussetzungen für eine Verwirkung liegen nicht vor. Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen; solche, die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, Urteil vom 1. Juli 2014, Az.: B 1 KR 47/12 R, Rn. 10 m. w. N., juris). Der bloße Zeitablauf stellt kein die Verwirkung begründendes Verhalten dar; Nichtstun kann ein schutzwürdiges Vertrauen in Ausnahmefällen allenfalls dann begründen und zur Verwirkung des Rechts führen, wenn der Schuldner dieses als bewusst und planmäßig erachten darf (a. a. O. Rn. 11, juris). Das trifft hier nicht zu.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Inanspruchnahme gutgläubiger Dritter bestehen nicht (BSG, Urteil vom 20. Mai 2020, Az.: B 13 R 4/18 R, Rn. 31 ff.).
II. Die Beklagte hätte jedoch eine Auswahlentscheidung zwischen allen gleichrangigen Erstattungspflichtigen (Erben und Empfänger) treffen müssen.
Dass die Erstattungsansprüche gleichrangig und eigenständig sind, bedeutet nicht, dass sie in einem Umfang festgesetzt werden dürfen, die den Gesamtbetrag der nach Rücküberweisung durch das Geldinstitut verbleibenden Überzahlung übersteigen. In einem solchen Fall ist vielmehr eine Auswahlentscheidung zwischen den möglichen Schuldnern zu treffen (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 2020, Az.: L 2 R 163/15, Rn. 34, juris: Auswahl zwischen mehreren Empfängern nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. Dezember 2019, Az.: L 2 R 116/19, Rn. 89, juris: Auswahl zwischen den Erstattungspflichtigen nach Ermessen; Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21. Februar 2018, Az.: 1 BvR 606/14, Rn. 10, juris: Wahlrecht; Westphal, in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl. 2021, § 118 Rn. 80, 62: Begrenzung durch die Höhe des unter Vorbehalt gezahlten Betrags).
Soweit vereinzelt eine andere Auffassung vertreten wird (Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 18. Dezember 2019, Az.: AN 16 K 18.02024, Rn. 23, juris), überzeugt dies nicht. Die Erstattungsbescheide enthalten andernfalls die Festsetzung unbedingter Zahlungspflichten in einem insgesamt überhöhten Umfang. Die Klarstellung, Zahlungen anderer Verpflichteter jeweils leistungsmindernd zu berücksichtigen, ändert daran nichts. Es fehlt an einer Festlegung, wer vorrangig zu leisten hat. Dies kann nicht dem Zufall bzw. der Zahlungsbereitschaft überlassen bleiben, sondern gehört zum notwendigen Inhalt der getroffenen Regelung. Es wäre im Übrigen unbillig, diejenigen zu begünstigen, die die Zahlung verzögern.
Ob die Auswahl ausschließlich nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten erfolgen darf oder Ermessen auszuüben ist, kann offen bleiben, da keinerlei diesbezügliche Entscheidung getroffen wurde.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.