Das Angebot einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 16 SGB II iVm § 45 SGB III stellt sich prozessual als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt iSd § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG dar.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. März 2022 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Angebots der Teilnahme an der Maßnahme "BG Coaching" für die Zeit vom 25.11.2020 bis 24.5.2021.
Der 1968 geborene Kläger und Berufungskläger (in der Folge: Kläger) lebte in der Zeit ab August 2020 zur Untermiete zu einer Gesamtmiete iHv 450 Euro monatlich. Der Beklagte und Berufungsbeklagte (in der Folge: Beklagter) bewilligte dem Kläger (vorläufig) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von August 2020 bis Januar 2021 bzw von Februar bis Juli 2021 (Bescheid vom 10.9.2020, zuletzt geändert durch Bescheid vom 19.4.2021 sowie Bescheid vom 25.1.2021, geändert durch Bescheid vom 19.4.2021).
Unter dem 4.11.2020 bot der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 25.11.2020 bis 24.5.2021 die Teilnahme an der Maßnahme "BG Coaching" an. Der Kläger lehnte eine Teilnahme an der Maßnahme aus verschiedenen Gründen ab. Sein hierauf gestützter Widerspruch blieb in der Sache ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20.4.2021).
Bereits im März 2021 nahm der Kläger eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf, für die er ab April 2021 ein monatliches Nettoeinkommen iHv rd 2 100 Euro monatlich bezog. Hierauf hob der Beklagte seine Bewilligung für die Zeit ab April 2021 auf.
Der Kläger hat gegen das Maßnahmenangebot vom 4.11.2020 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.4.2021 am 21.5.2021 Anfechtungsklage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die Zuweisung sei rechtswidrig, da nicht hinreichend bestimmt. Es hätte vor dem Beginn der Maßnahme zwingend ein Sicherheitskonzept dargelegt werden müssen, was offensichtlich nicht hinreichend erfolgt sei. Damit habe der Kläger nicht sanktionsbewährt zur Teilnahme an der Maßnahme verpflichtet werden können. Auch sei die Maßnahme für den Kläger nicht sinnvoll gewesen. Nachdem der Kläger seit März 2021 nicht mehr im Leistungsbezug sei, habe sich die Maßnahme für die Zukunft erledigt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Nachdem sich die Maßnahme durch das Ausscheiden des Klägers aus dem Leistungsbezug ab April 2021 erledigt habe, sei die Anfechtungsklage nicht mehr statthaft. Die Feststellungsklage sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Wiederholungsgefahr scheide aus, da der Kläger seit April 2021 nicht mehr im Leistungsbezug und ein erneuter Leistungsbezug nicht absehbar sei. Auf die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Maßnahmenzuweisung käme es damit nicht mehr an (Urteil vom 15.3.2022).
Mit seiner am 24.3.2022 beim Sozialgericht eingelegten Berufung lässt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen. Soweit das Sozialgericht von einer Erledigung ausgehe, hätte es hierauf hinweisen und Gelegenheit zur Erledigterklärung geben müssen. Allerdings sei die Sache bereits deshalb nicht erledigt, weil immer noch eine Sanktion ausgesprochen werden könne. Im Hinblick auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz müsse der Kläger bereits gegen die Maßnahmen selbst vorgehen können und dürfe nicht auf Rechtsschutz gegen die Sanktion verwiesen werden. Die Maßnahme sei rechtswidrig, insbesondere ermessensfehlerhaft gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils den Bescheid vom 4.11.2020 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.4.2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Akten verwiesen, auch soweit sie vom Beklagten und dem Sozialgericht Augsburg beigezogen worden sind.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufung ist nicht zulässig.
Der Senat konnte in Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen worden waren (§ 110 Abs 1 S 2, § 153 Abs 1 SGG).
1. Streitig ist neben dem Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.3.2022 das Maßnahmenangebot vom 4.11.2020 idG des Widerspruchsbescheides vom 20.4.2021.
2. Die Berufung ist nicht zulässig, da sie nicht statthaft ist.
a) Abweichend von § 143 SGG bedarf die Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte der Zulassung, ua wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt (§ 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes bemisst sich danach, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt (vgl Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 13. Aufl 2020, § 144 Rn 14 mwN).
b) Auf dieser Grundlage ist die Berufung des Klägers nicht statthaft, da sein Begehren (letztlich) einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt betrifft und der Beschwerdegegenstand 750 Euro nicht übersteigt.
aa) Streitig ist vorliegend die Rechtmäßigkeit des Angebots der Teilnahme an der Maßnahme "BG Coaching" bei der BBZ gGmbH, ausweislich des streitgegenständlichen Schreibens vom 4.11.2020 einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 16 SGB II iVm § 45 SGB III. Bei Angeboten von Trainingsmaßnahmen handelt es sich - anders als bei Zuweisungen zu Arbeitsgelegenheiten oder Eingliederungsverwaltungsakten - regelmäßig um lediglich behördliche Vorbereitungshandlungen, die der eigentlichen Sachentscheidung dienen bzw dieser (etwa einer Sanktion) vorangehen (vgl (zu Trainingsmaßnahmen nach § 48 SGB III aF) BSG, Urteil vom 27.8.2011 - B 4 AS 1/10 R -, Rn 31; Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 101/10 R -, Rn 16; Urteil vom 19.1.2005 - B 11a/11 AL 39/04 R -, Rn 20; zur Abgrenzung bei Eingliederungsverwaltungsakten vgl BSG, Urteil vom 21.3.2019 - B 14 AS 28/18 R -, Rn 10). Die Bedeutung des streitigen Angebots erschöpft sich darin, im Fall der Verletzung der Teilnahmeobliegenheit Grundlage der Prüfung einer Sanktion nach § 31 SGB II zu sein, wobei eine solche eine geeignete und zumutbare Maßnahme voraussetzt (vgl zum Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 Abs 1 SGB III BSG, Urteil vom 19.1.2005 - B 11a/11 AL 39/04 R -, Rn 22). Prozessual stellt sich das Maßnahmenangebot damit als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt iS des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG dar (vgl Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.8.2021 - L 18 AL 67/21 B PKH; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 4.1.2021 - L 7 AS 902/20 B ER; Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, § 144 Rn 15.7 (Stand: 5.11.2021). Eine abweichende Beurteilung ergibt sich vorliegend auch nicht aus den Umständen des konkreten Einzelfalles. Insbesondere ergeben sich aus diesen keine Gesichtspunkte, die eine Beurteilung des streitigen Maßnahmenangebots als (Formal-) Verwaltungsakt begründen.
bb) Hiergegen steht nicht, dass der Kläger sein Begehren (zulässig) ausschließlich mit der (Fortsetzungs-) Feststellungsklage geltend machen kann, da die Klageart für die Anwendung von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG bedeutungslos ist, wenn das Rechtsverhältnis - wie vorliegend dargelegt - gleichwohl eine Geldleistung zum Gegenstand hat (vgl zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Meldeaufforderung nach § 59 SGB II BSG, Beschluss vom 24.8.2017 - B 4 AS 223/17 B -, Rn 3 mwN).
cc) Als mögliche aus der Obliegenheitsverletzung resultierende Sanktion nach §§ 31 ff SGB II kommt (bzw kam) unter Berücksichtigung der Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 - eine Absenkung iHv maximal 401,40 Euro in Betracht (30 % des Regelbedarfs eines alleinlebenden Erwachsenen in 2021 = 446 Euro x 30/100 x 3), so dass der für die Statthaftigkeit der Berufung kraft Gesetzes nach § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG erforderliche Betrag nicht erreicht wird.
b) Eine Statthaftigkeit der Berufung nach § 144 Abs 1 S 2 SGG scheidet aus, da nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind.
c) Das Sozialgericht hat die Berufung (im angefochtenen Urteil) nicht zugelassen. Die bei zulässiger Berufung übliche Rechtsmittelbelehrung genügt nicht den Anforderungen an eine positive Entscheidung über die Zulassung der Berufung (BSG, Urteil vom 4.7.2018 - B 3 KR 14/17 R -, Rn 15) und kann auch im Übrigen die Statthaftigkeit der Berufung nicht begründen.
d) Die nicht statthafte Berufung ist zu verwerfen (§ 158 S 1 SGG).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
4. Die Revision wird zugelassen, da der Frage der Statthaftigkeit der Berufung grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zugemessen wird.