I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab dem 18.06.2020 die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs (Deutsche Gebärdensprache, DGS) durch die A., A-Stadt, als Leistungserbringerin vorläufig und vorbehaltlich einer Entscheidung des Klageverfahrens S 20 SO 106/20 in erster Instanz vor dem Sozialgericht Nürnberg zu übernehmen, und zwar in einem zeitlichen Umfang von maximal wöchentlich 1,5 Stunden (90 Minuten) zu einem Stundenhöchstsatz von € 50,00 pro Stunde (60 Minuten, einschließlich sämtlicher Nebenkosten und der An- oder Abfahrtskosten der Unterrichtenden) bis zum Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung im Sinne des § 125 SGB IX zwischen dem Antragsgegner und der A. A., ab Abschluss einer solchen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung in Höhe der darin enthaltenen Vergütungssätze.
II. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
III. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu zwei Dritteln dem Grunde nach.
IV. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs (DGS) durch den Antragsgegner für den Antragsteller im Rahmen der Sozialen Teilhabe.
I.
Der am xx.xx.xxxx geborene Antragsteller ("AS") leidet vermutlich seit seiner Geburt an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Im November 2016 wurde er rechts und im Februar 2017 links mit Cochlear-Implantaten ("CI") versorgt. Die Nachsorge erfolgte über das Cochlear-Implantatzentrum E. ("CICERO")
Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung ("GdB") von 100 und mit den Merkzeichen "G", "B", "H", "RF" und "Gl".
Seitens des Antragsgegners ("AG") erhielt und erhält der Antragsteller Eingliederungshilfe in Form interdisziplinärer Frühförderung am Zentrum für Hörgeschädigte in N. Seit September besuchte der AS die integrative Kinderkrippe "D." in N. mindestens vier Stunden täglich wofür der AG ebenfalls im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten übernimmt. Seit September 2019 besucht der AS den "Kindergarten, U., A-Stadt" als integrative Kindertagesstätte in Kostenträgerschaft durch den AG (Übernahme der Kosten für 10 Fachdienststunden im Rahmen der Eingliederungshilfe).
Am 13.03.2019 beantragte der AS beim AG die Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs als persönliches Budget in einem Umfang von 2 Stunden pro Woche in Höhe von € 65,00 pro Stunde bei der A. in N. bis zur Erlangung einer guten Gebärdensprachkompetenz.
Zur Begründung führten die Eltern des AS aus, dass trotz dessen CI-Versorgung viele Situationen entstanden seien, in denen der AS auf das Verstehen der Gebärdensprache angewiesen sei, damit die Eltern ihn vor Schaden hätten bewahren können, so zum Beispiel bei zwei Unfällen im Hallenbad. Jedoch hätten sich auch in alltäglichen Situationen sehr oft Momente ergeben, in denen auf Grund des jeweiligen Geräuschpegels im Raum eine lautsprachliche Unterhaltung erschwert würde und zur Aufrechterhaltung der Kommunikation auf Gebärdensprache zurückgegriffen werden müsse.
Auch nach anstrengenden Krippentagen nehme der AS gerne zu Hause zur Entspannung und Erholung das CI ab, da es als CI-Träger mit großer geistiger Anstrengung verbunden sei, allem folgen zu können. Insbesondere in diesen Momenten sei die Verwendung von Gebärdensprache extrem wichtig, um eine Kommunikation weiterhin zu ermöglichen.
Darüber hinaus würden die Eltern gerne dem AS die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, ob er sich in der Welt der Gehörlosen oder der der Hörenden besser zurechtfindet.
Man merke jedoch, dass die seitens der Mutter seit Geburt des AS und auf eigene Kosten und Initiative angeeigneten Kenntnisse der Deutschen Gebärdensprache ("DGS") nicht mehr ausreichen würden. Der AS brauche nun professionelle Unterstützung in Gebärdensprache, da er einen starken Wissensdrang habe, den die Eltern nicht mehr befriedigen könnten.
Ein Kostenübernahmeantrag beim örtlichen Jugendamt sei nicht gestellt worden.
Am 25.10.2019 fand eine Hospitation im Kindergarten F., A-Stadt mit anschließender Personenkonferenz statt. Aufgrund dieser erstellte der Sozialpädagogisch-medizinische Dienst des AG am 18.12.2019 eine Stellungnahme:
Der AS zeige sich im Gruppengeschehen als zufriedener, offener, recht eigenständiger Junge und habe sich bereits gut in den (für ihn neuen) Kindergarten eingelebt. Grundsätzlich nutze er seine CI und teile sich lautsprachlich auf verständliche Weise mit. Es sei von kontinuierlichen Fortschritten im sprachlichen Bereich berichtet worden.
Insgesamt gehe aus der Personenkonferenz hervor, dass die Eltern durch den Gebärdenkurs (DGS) für den AS die Möglichkeit schaffen möchten, später selbst entscheiden zu können, welchem Gehörkreis - hörend oder gehörlos - der AS sich zuordnen möchte. Des Weiteren sei von Situationen ohne CI oder von Momenten mit erhöhtem Geräuschpegel berichtet worden, in welchen die Kommunikation mittels Gebärdensprache weiter ermöglicht bzw. aufrechterhalten werden könne (Schwimmbad, Restaurant, Ablegen der CI nach Anstrengung).
Die Situationen, in denen Gebärden als erforderlich geschildert würden, beträfen das Familienleben bzw. die Kommunikation im familiären und erzieherischen Kontext. Zudem handele es sich bei der Frage, welcher Welt - hörend oder nicht hörend - sich der AS später einmal zugehörig fühlen werde, um eine "Identitätsfrage", die in Zukunft vielleicht einmal auftauchen werde.
Der AS lebe in der "hörenden Welt" (Familie und Kita) und teile sich lautsprachlich mit. Mittels der (von der Krankenkasse finanzierten) Hörprothesen / CI-Geräte sei dem AS die lautsprachliche Verständigung mit anderen Personen möglich. Er erhalte nach wie vor zur Erweiterung seiner Kommunikationskompetenzen Unterstützungsleistungen im Rahmen der Frühförderung über das Zentrum für Hörgeschädigte. Zusätzlich werde noch über 10 Fachdienststunden im Kindergarten nachgedacht.
Zusammenfassend könne der Hausgebärdensprachkurs (DGS) aus fachlicher Sicht nicht als Maßnahme der Eingliederungshilfe bzw. nicht als Hilfe / Unterstützung zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bezeichnet und somit nicht empfohlen werden. Es stelle sich vielmehr die Frage, inwiefern die beantragte Maßnahme durch das Jugendamt im Rahmen der Hilfen zur Erziehung übernommen werden könne.
Im Rahmen der Anhörung wies der AG darauf hin, dass er beabsichtige, den Kostenübernahmeantrag abzulehnen. Das Hör- und Sprachvermögen des AS sei dem Höralter entsprechend, er selbst Teil der Welt der Hörenden. Im Falle eines Ausfalls der CI könne eine Kommunikation mittels lautsprachebegleitender Gebärden ("LBG") erfolgen. Die Grundgebärden könnten dem Kindergartenpersonal vom Fachdienst vermittelt werden. Die Familie des AS habe solche Grundgebärden bereits an der VHS erlernt, zudem würden auch entsprechende Kurse am Zentrum für Hörgeschädigte angeboten. Demgegenüber sei der Kreis der mittels DGS kommunizierenden Menschen sehr klein; insbesondere sei es nicht der Fall, dass im Kindergarten Mitarbeiter oder andere Kinder DGS beherrschen würden.
Die Eltern des AS führten in der Anhörung weiter aus, der AS sei gehörlos. Seine natürliche Sprache sei DGS und nicht die Lautsprache, die er nur mittels Hilfsmitteln beherrschen bzw. nutzen könne. Nach der UN-Menschenrechtskonvention habe der AS als Gehörloser ein Recht auf die jeweilige Gebärdensprache. Insbesondere im Familienleben und im erzieherischen Kontext sei ihrer Ansicht nach eine lückenlose Kommunikationsmöglichkeit zwingend erforderlich. Die vom Zentrum für Hörgeschädigte angebotenen Kurse seien nicht ausreichend, daher sei die Mutter auch auf eigene Initiative und Kosten auf die VHS gegangen, um sich Kenntnisse in der DGS anzueignen. Allerdings werde bzw. würden in den VHS-Kursen keine kinderspezifischen Inhalte vermittelt, die sich zudem am häuslichen Umfeld orientieren würden. Zudem könne nicht die gesamte Familie am Kurs teilnehmen. Sie seien sehr engagiert in einer Elterninitiative zur bilingualen Schulbildung. Daher habe der AS inzwischen Kontakt mit anderen Hörgeschädigten und Gehörlosen. Zudem erfolge ein besserer Spracherwerb, wenn Kinder sowohl die Lautsprache als auch die Gebärdensprache angeboten bekämen.
Zudem wisse man nicht, ob die CI lebenslang funktionieren würden.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.03.2020 lehnte der AG die Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs (DGS) unter Aufrechterhaltung seiner bisherigen Auffassung ab. Die von den Eltern im Rahmen der Anhörung vorgebrachten Argumente würden ins Leere laufen: Im häuslich-familiären Kontext, in dem die Gebärden der DGS, die durch die VHS vermittelt worden seien, nicht ausreichen würden, stehe ja als Alternative die Kommunikation mittels Lautsprache zur Verfügung. Kinderwortschatz und Kindergeschichten würden durch Frühförderung und Eingliederungshilfe vermittelt, die der Vorbereitung auf die Schulbildung dienen würden und durch pädagogisch geschultes Personal vermittelt würden, das auf den kindlichen Wissensdrang eingehe. Bezüglich des Besprechens von Gefahrensituationen, insbesondere beim Schwimmen, könne davon ausgegangen werden, dass eine ausführliche und geordnete Kommunikation über Gebärden in einer Gefahrensituation nicht möglich sei und ein Kind in einer solchen Situation vorrangig von seinen Eltern aus dieser Situation herausgebracht werden müsse und eine Besprechung im Anschluss erfolge. Selbst ein hörendes Kind werde in einer Gefahrensituation nicht geordnet den Anweisungen seiner Eltern folgen können. Hinsichtlich der Frage, ob CI ein Leben lang halten würden, sei anzumerken, dass die Abdeckung sämtlicher Lebenseventualitäten nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe sei.
Hinsichtlich eines erleichterten Lautspracherwerbes bei zusätzlichem Erlernen von DGS sei anzumerken, dass aufgrund der vorliegenden Berichte und der Hospitation jedoch erkennbar sei, dass die Sprachentwicklung des AS dem Höralter nach adäquat ausgebildet sei. Die bereits bewilligten Eingliederungshilfeleistungen würden demnach ihren Zweck erfüllen, nämlich die Förderung der Sprachentwicklung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Eine noch bessere Sprachentwicklung sei sicherlich wünschenswert, jedoch sei die Gewährleistung einer Optimalversorgung nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe. Der DGS-Kurs sei nicht erforderlich. Der Eingliederungshilfebedarf des AS sei bereits durch die anderen Maßnahmen gedeckt.
II.
Mit Schreiben vom 20.04.2020, eingegangen am 22.04.2020, erhob der AS hiergegen Widerspruch. Der AS erlerne am Zentrum für Hörgeschädigte durch die bereits bewilligten Maßnahmen lediglich LBG, nicht jedoch die DGS. Auch seitens des Zentrums für Hörgeschädigte werde der Erwerb der DGS befürwortet. In Studien sei darüber hinaus ein besserer Spracherwerb erwiesen worden, wenn Kinder sowohl die Lautsprache als auch die jeweilige Gebärdensprache erlernen würden. Hierbei sei zu beachten, dass sich das Sprachfenster langsam schließe. Daher benötige der AS jetzt den DGS-Kurs.
Der AG half dem Widerspruch nicht ab, sondern legte ihn der Regierung von Mittelfranken vor. Diese wies mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2020 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Zwar habe der AS grundsätzlich einen Anspruch auf Eingliederungshilfe; ein Anspruch auf Kostenübernahme scheitere aber bereits daran, dass Anspruchsinhaber der AS selbst sei, der Hausgebärdensprachkurs jedoch in erster Linie an dessen Eltern gerichtet sei (LSG Baden-Württemberg, 18.07.2013, Az.: L 7 SO 4642/12). Auch sei vorliegend nicht eine Konstellation gegeben, die mit derjenigen vergleichbar sei, die der Entscheidung vom 28.01.2019 des Bayerischen Landessozialgerichts (Az.: L 18 SO 320/18 B ER) zugrunde gelegen habe: In dieser Entscheidung sei es um ein erst zwei Jahre altes Kind gegangen, das noch kaum aktive Sprache entwickelt habe. Vorliegend gehe es um einen bereits vierjährigen AS, der nach den Berichten eine altersgemäße Sprachentwicklung aufweise. Nach den Berichten der Erzieherinnen bzw. Mitarbeiterinnen des AG sei eine sprachliche Verständigung mit dem AS relativ problemlos möglich. Insofern sei bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt, dass der AS mittels CI-Versorgung die Lautsprache erwerben könne. Da weder das Personal im Kindergarten noch die in diesem betreuten übrigen Kinder die DGS beherrschen würden, würden die in einem Hausgebärdensprachkurs vermittelten Kenntnisse dem AS auch kaum weitere Möglichkeiten eröffnen, am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Er besitze mit der Lautsprache bereits eine Kommunikationsmöglichkeit, mit der er sich sprachlich adäquat mit seiner Umwelt verständigen könne. Das Erlernen einer weiteren (Fremd-)Sprache, die noch dazu einen relativ kleinen Nutzerkreis habe, sei daher im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht zwingend erforderlich. Für die von den Eltern geschilderten Alltagssituationen dürften die Grundkenntnisse, die an der Volkshochschule oder im Zentrum für Hörgeschädigte angeboten würden, ausreichen. Eine Notwendigkeit für einen Hausgebärden Sprachkurs ergebe sich hieraus nicht. Das Ermessen des AG sei nicht auf null reduziert.
III.
Der AS hat sein Begehren weiterverfolgt und mit Schriftsatz vom 17.06.2020, eingegangen am Folgetag, Klage zum Sozialgericht N. erhoben. Diese wird unter dem Aktenzeichen S 20 SO 106/20 geführt.
Zugleich hat der AS den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und im Wesentlichen die bisherige Begründung für die Notwendigkeit des Hausgebärdensprachkurses wiederholt.
Zur weiteren Begründung hat der AS ausgeführt, ein entsprechender Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund seien gegeben.
Es bestehe ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form des Hausgebärdensprachkurses, weil dieser entgegen der Auffassung des AG geeignet und erforderlich sei, den Teilhabebedarf des AS zu decken, nämlich dessen Teilhabe am Leben in die Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, mithin die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern. Nach dem Bedarfsdeckungsgrundsatz lasse sich der konkrete Hilfebedarf nicht in einzelne Komponenten aufspalten, etwa erzieherisch oder behinderungsbedingt.
Entgegen der Auffassung des AG lägen hinsichtlich des Hausgebärdensprachkurses Geeignetheit und Erforderlichkeit desselben vor. Zugrunde zu legen sei eine am Einzelfall orientierte, individuelle Beurteilung, ein individualisiertes Förderverständnis, das einer Kategorisierung der in Betracht kommenden Hilfen bzw. Maßnahmen nach abstrakt-generellen Kriterien entgegenstehe.
Der AG habe es pflichtwidrig unterlassen, die Argumente der Eltern sowie die Fachstandards der hier maßgeblichen Wissenschaft im Rahmen der Amtsermittlung zu berücksichtigen. Im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung seien daher die Erkenntnisse nach dem Stand der Wissenschaft, beispielsweise des Deutschen Gehörlosenbundes, zu berücksichtigen.
Wissenschaftliche Studien würden belegen, dass Kinder, die zweisprachig in Gebärden- und in Lautsprache aufgewachsen seien, sowohl in der Gebärdensprache als auch in der Schriftsprache besser abgeschnitten hätten, als Sprachlernende, die zunächst lautsprachlich aufgewachsen seien und erst später Zugang zur Gebärdensprache erhalten hätten. Darüber hinaus sei nachgewiesen, dass mit einer wachsenden Gebärdensprachkompetenz auch eine wachsende Lautsprachenkompetenz eihergehe (Pressemitteilung 1/2016: Cochlear-Implantate und Gebärdensprache des Deutschen Gehörlosenbundes e. V. Berlin vom 08.02.2016).
Der hier im Streit befindliche Hausgebärdensprachkurs sei unerlässlich, um die Gebärdensprachkompetenz des AS und seiner Familie auszubauen und eine entspannte Kommunikation zu ermöglichen (Art. 7 Abs. 2 UN-BRK). Die lautsprachliche Kommunikation mittels CI sei zwar möglich, aber stets mit Anstrengungen verbunden.
Der Hausgebärdensprachkurs sei für eine gute Entwicklung der Gebärdensprache - neben der Lautsprache - und zur Identitätsförderung des AS erforderlich, ebenso für eine Teilnahme an der Welt der Hörenden wie auch der Gehörlosen.
Mit Urteil vom 06.03.2012 habe das Bundessozialgericht entschieden (Az.: B 1 KR 10/11 R), dass das unmittelbar anwendbare UN-konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot behinderter Menschen entspreche und zum Beispiel Art. 30 Abs. 4 UN-BRK einen unmittelbaren Anspruch des Hilfesuchenden begründen würde.
Nach Art. 30 Abs. 4 UN-BRK hätten Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität, einschließlich der Gebärdensprachen und der Gehörlosenkultur.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfasse das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG formulierte Benachteiligungsverbot behinderter Menschen auch mittelbare Benachteiligungen, bei denen sich der Ausschluss von Betätigungsmöglichkeiten nicht als Ziel, sondern als Nebenfolgen einer Maßnahme darstelle, da Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG außer einem Benachteiligungsverbot auch einen Förderauftrag in Form einer Ermöglichung einer gleichberechtigten teilhabe nach Maßgabe der verfügbaren finanziellen, personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichketen enthalte (BVerfG, 29.01.2019, Az.: 2 BvC 62/14; 30.01.2020, Az.: 2 BvR 1005/18).
Hinsichtlich des ursprünglich avisierten Vergütungssatzes von € 65,00 pro Stunde sei darauf hinzuweisen, dass dieser auf einem Kostenvoranschlag vom 18.01.2019 beruhe. Die für den AAS vorgesehene Kraft sei jedoch in Mutterschutz. Es werde seitens der A. geklärt, ob der Bedarf des As durch eine Ersatzperson abgedeckt werden könne. Analog zum Beschluss des Sozialgerichts N. vom 29.04.2020 (S 20 SO 63/20 ER) komme in Ermangelung vergütungsrechtlicher Vereinbarungen der A. mit dem Sozialhilfeträger wohl nur ein Stundensatz von € 60,00 in Betracht.
Eilbedürftigkeit sei schließlich gegeben, weil dem AS eine garantiert volle und wirksame Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nur im Falle des sofortigen Erlernens der DGS möglich sei, nicht zuletzt, weil sich das Sprachfenster zusehends schließe.
Der Antragsteller beantragt daher,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Kostenübernahmeerklärung für einen Hausgebärdensprachkurs (DGS) durch Verrichtung der A., A-Stadt im Umfang von wöchentlich ein bis zwei Stunden in gesetzlicher Höhe zu erteilen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung hat der AG auf den angefochtenen Bescheid vom 24.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2020 verwiesen und ergänzend darauf hingewiesen, dass in der Frühförderung durch das Zentrum für Hörgeschädigte lautsprachbegleitende und lautsprachunterstützende Gebärden (LBG / LUG) in die Förderung einbezogen würden. Dadurch sei es möglich, mit Stimme und korrekter deutscher Lautsprach-Grammatik zu sprechen. Es werde nicht bestritten, dass es, zum Beispiel bei Störgeräuschen, Situationen gebe, in denen das Hören mit den CI seine Grenzen habe. Für solche Situationen gelte es, durch die Förderer gute Strategien für eine unterstützte Kommunikation aufzuzeigen. Hierfür würden die Eltern immer bei Bedarf in die Förderung miteinbezogen.
Die DGS sei demgegenüber eine eigenständige Sprache, die wie jede Fremdsprache erlernt werden müsse. Wenngleich bilinguales Aufwachse den Eltern wünschenswert erscheine, so sei dies im rahmender Eingliederungshilfe nur möglich, wenn dies erforderlich sei, um die bestehende Behinderung zu mildern.
Dies sei nicht der Fall, weil das Hörvermögen des AS dem Höralter entsprechend ausgebildet sei und er in der "hörenden Welt" lebe und in dieser durch eigene Hörsprache, teils mit Gebärdenunterstützung sehr gut integriert sei. Die sprachliche Verständigung mit den CI sei sehr gut möglich. Der weitere Ausbau der Kommunikationskompetenzen des AS werde durch die bereits bewilligten Leistungen stetig begleitet und gefördert.
Der Kreis der ausschließlich mittels DGS kommunizierenden Menschen sei sehr klein und stelle aus Sicht des AG keine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dar.
Der geltend gemachte Hausgebärdensprachkurs stelle keine angemessene und notwendige Eingliederungshilfe dar, sondern eine wünschenswerte Optimalversorgung, auf die kein Anspruch bestehe.
Auch sei ein Anordnungsgrund nicht erkennbar, weil nicht dargelegt worden sei, dass wesentliche Nachteile ohne einstweilige Regelung eintreten würden.
Ferner sei darauf hinzuweisen, dass mit der A. A. trotz mehrfacher Bemühungen es noch nicht zum Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung gekommen ist.
Das Gericht hat die Akte des AG sowie die Akte des Hauptsacheverfahrens beigezogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Akten sowie die gesamte Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erweist sich teilweise, nämlich im tenorierten Umfang, als begründet.
I.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig. Insbesondere ist er beim zuständigen Sozialgericht N. als Gericht der Hauptsache nach § 86b Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtgesetz (SGG) gestellt worden
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erweist sich teilweise, nämlich im tenorierten Umfang, als begründet.
Dies ergibt sich bereits aus der Anwendung der §§ 86b SGG direkt (1. und 2.), ergäbe sich hilfsweise aber auch aus einer Folgenabwägung im Übrigen (3.).
Allerdings ist im Ermessenswege die einstweilige Anordnung gegenüber den Anträgen der AS einzuschränken (4.)
Im Einzelnen:
Nach § 86b Absatz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte ("Sicherungsanordnung"). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint ("Regelungsanordnung").
Voraussetzung ist in jedem Falle nach § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung (ZPO) das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (2.) und eines Anordnungsanspruches (1.).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System: Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage, § 86b, RdNr. 27).
Handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, die in Frage stehen, dürfen die Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und -anspruches nicht überspitzt werden. Gegebenenfalls ist anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des AS zu entscheiden. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Aktenzeichen: 1 BvR 569/05).
Gänzlich entfallen darf jedoch weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund. Beide sind nach § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 ZPO glaubhaft zu machen.
1.
Vorliegend ergibt sich ein Anordnungsanspruch jedenfalls dahingehend teilweise, dass es gut möglich ist, dass der AS einen Anspruch auf Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs neben den bereits bewilligten Maßnahmen der Eingliederungshilfe bzw. Sozialen Teilhabe hat.
Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn dem Antragsteller ein materielles Recht zusteht, auf das sich sein Eilantrag bezieht. Ist sein Begehren offensichtlich unbegründet oder unzulässig, ist ein schützenswertes Recht nicht vorhanden, ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Ist sein Begehren offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund.
Der an sich auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltende Amtsermittlungsgrundsatz wird aber durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung begrenzt. Das bedeutet, dass an die Stelle der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit tritt und hinsichtlich des Vorliegens eines Anordnungsanspruches ausreicht. Das bedeutet weiter, dass vorliegend für den erforderlichen Beweismaßstab bzw. für den erforderlichen Überzeugungsgrad es bereits ausreicht, dass eine gute Möglichkeit für das Vorliegen eines Anspruches in der Hauptsache ausreicht und nicht - wie bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit - absolut mehr für als gegen einen Anspruch sprechen muss; es dürfen daher gewisse Zweifel am Anspruch bestehen bleiben können (zum Prüfungsmaßstab vgl. BayLSG, Beschluss vom 28.01.2019, Az.: L 18 SO 320/18 B ER).
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine umfassende Güterabwägung erforderlich im Hinblick auf die Folgen, ebenso bei existenzsichernden Leistungen oder bei schwerwiegenden, drohenden Grundrechtseingriffen und Verstößen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BayLSG aaO.).
a)
Vorliegend besteht die gute Möglichkeit, dass der AS gegen den AG einen Teilhabeanspruch in Form der Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs dem Grunde nach hat nach § 2, § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3, § 5 Nr. 5, § 6 Abs.1 Nr. 7, § 14, § 76 Abs. 1, § 90, § 95, § 99, § 104, § 105 Abs. 1, § 113 Abs. 1, §§ 123 bis 125 SGB IX (in der ab 01.01.2020 geltenden Fassung) i. V. m. §§ 53 Abs. 1 und 2 SGB XII und den §§ 1 bis 3 der Eingliederungshilfeverordnung (jeweils in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung, "a.F.")).
Der AS hat grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe Im Sinne von Leistungen sozialer Teilhabe im Sinne des §§ 2, 99 SGB IX i.V. m. § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII a.F. und §§ 1 bis 3 Eingliederungshilfeverordnung a.F.
Der AS ist aufgrund seiner Behinderungen wesentlich an seiner Fähigkeit, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben, beeinträchtigt. Er hat daher dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der AS erhält auch eine ganze Reihe von Leistungen der Eingliederungshilfe. Auch das Gericht sieht vorliegend eine solche wesentliche Behinderung der AS im Sinne einer hochgradigen Hörbehinderung als gegeben an.
Nach § 90 Abs. 1 SGB IX ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.
Nach § 91 SGB IX ist die Eingliederungshilfe jedoch nachrangig gegenüber anderen Leistungen. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die streitgegenständlichen Leistungen bereits von einem anderen Leistungsträger, etwa dem Jugendhilfeträger, gewährt werden. Im Hinblick auf den Grundsatz der Gesamtbedarfsdeckung (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 2 SGB IX) hat der AG als erstangegangener Träger ohnehin den Gesamtbedarf nicht nur nach seinen eigenen, sondern auch nach den Leistungsgesetzen anderer Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 SGB IX umfassend, also bedarfsdeckend, im Außenverhältnis gegenüber der AS festzustellen und zu erbringen.
Vorliegend ist es also Aufgabe der Eingliederungshilfe, die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe der AS am Leben in der Gesellschaft zu fördern sowie sie zu einer möglichst selbständigen und eigenständigen Lebensführung zu befähigen. Ziel ist es dabei, nicht zuletzt im Hinblick auf Art. 3 Grundgesetz (GG) behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen und zwar dahingehend, dass ein Gleichziehen mit nichtbehinderten Menschen erreicht wird, soweit dies tatsächlich möglich ist. Dies findet auch seinen Niederschlag in den gesetzlichen Teilhaberegelungen:
Nach § 90 Abs. 5 SGB IX ist es besondere Aufgabe der Sozialen Teilhabe, die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und zu erleichtern.
§§ 113 Abs. 1, 76 Abs. 1 formulieren als Ziel der Sozialen Teilhabe, eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Dazu gehöre, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen.
Generell müssen entsprechende Maßnahmen hierfür geeignet und erforderlich sein (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 76 SGB IX (Stand: 15.01.2018), RdNr. 15).
Vorliegend ist festzustellen, dass die gute Möglichkeit besteht, dass der AS trotz der zahlreichen, verschiedenen Maßnahmen, die bereits ergriffen worden sind, nach wie vor in seiner Teilhabe am Leben in der Gemeinschafft beeinträchtigt ist, mithin grundsätzlich ein bislang ungedeckter Teilhabebedarf besteht:
Im Entwicklungsbericht vom 19.10.2017 des Zentrums für Hörgeschädigte A-Stadt (ZfH) wird festgestellt, dass der AS insgesamt Fortschritte gemacht habe, die jedoch besonders in der Hör- und Sprachentwicklung noch nicht zu einem altersgerechten Entwicklungsstand geführt hätten. Aufgrund der Diagnose bestehe weiterhin Förderbedarf in folgenden Förderschwerpunkten im Rahmen der interdisziplinären Frühförderung:
* auditive Aufmerksamkeit und Wahrnehmung
* Sprachverstehen und aktive Sprache
* gebärdensprachliche Kommunikationsfähigkeit
* Unterstützung im Umgang mit CI
* Information und Beratung von den Eltern zur Hörbehinderung und Sprachentwicklung
Auch der Entwicklungsbericht des ZfH vom 18.07.2018 zeichnet ein unverändertes Bild. Hör- und Sprachentwicklung des AS seien nicht auf einem altersgerechten Entwicklungsstand, so dass weiterhin ein Förderbedarf mit unveränderten Förderzielen gesehen werde.
Demgegenüber bescheinigt der Entwicklungsbericht vom 15.01.2019 von CICERO beim Hören eine gute Trageakzeptanz der CI, eine hohe allgemeine auditive Aufmerksamkeit und dass die auditiven Funktionen Detektion, Diskrimination, Identifikation, Sprachverstehen, Lokalisation und Selektion beim AS gut ausgebildet seien. Insgesamt sei die Hörentwicklung dem Höralter entsprechend adäquat ausgebildet, die Sprachentwicklung dem Hör- und Lebensalter angemessen mit adäquater Ausbildung von Interaktion, Imitation, Turn-taking, Sprachverständnis, Wortschatz, Syntax und Morphologie, Artikulation und Mundmotorik sowie Stimme und Prosodie. Bei der weiter erforderlichen Hör- und Sprachtherapie ergäben sich weiterhin Förderschwerpunkte bei der Wortschatzentwicklung und auditivem Sprachverständnis sowie begleitende, intensive Elternarbeit.
Der Entwicklungsbericht der Kinderkrippe "D." vom 10.05.2019 beschreibt beim AS Fortschritte in der Lautbildung, Mehrwortsätze, die an manchen Stellen noch etwas verwaschen seien. Sprache sei dem AS sehr wichtig. Bei frontaler Ansprache verstehe der AS die Erzieher gut, ansonsten reagiere er nicht immer, was ihm manchmal beim Spiel mit anderen Kindern aus dem Konzept bringe. Insgesamt lasse sich sagen, dass der AS mit weiterem intensiven Training auf einem sehr guten Weg sei.
Der Entwicklungsbericht des ZfH vom 01.08.2019 formuliert neue Förderschwerpunkte:
* Höraufmerksamkeit und Sprachverstehen
* Ausbau der kommunikativen Fähigkeiten
* Sichern grammatikalischer Strukturen
* Erweiterung von Sprachverstehen und aktiver Sprache
* Artikulation
* Unterstützung im Umgang mit Cochlear-Implantaten
* Allgemeine Entwicklungsförderung
* Elternbegleitung und Beratung
* Logopädie
Der AS habe im Laufe der Förderung insgesamt Fortschritte gemacht, die jedoch besonders in der Hör- und Sprachentwicklung noch nicht zu einem altersgerechten Entwicklungsstand geführt hätten. Aufgrund der Diagnose bestehe weiterhin Förderbedarf in den genannten Förderschwerpunkten im Rahmen der interdisziplinären Frühförderung.
Die Hospitation am 25.10.2019 zeichnet ebenfalls ein Bild, nachdem der AS deutliche Fortschritte gemacht hat bei der Integration in die lautsprachliche Welt.
In der Zusammenschau der Berichte ist das Gericht davon überzeugt, dass die gute Möglichkeit besteht, dass der AS einen Anspruch auf den Hausgebärdensprachkurs hat: Zwar legen sowohl der CICERO-Bericht vom 15.01.2019 als auch die Hospitation vom 25.10.2019 vordergründig ein altersgerechtes Sprach- und Hörvermögen des AS dar; dies vermag indessen nach einer Konsistenzprüfung nicht zu überzeugen, da in beiden Berichten weiterhin ein nicht unerheblicher Förderbedarf gesehen wird, der ja gerade nicht bestünde, wenn der AS über ein altersgerechtes Hör- und Sprachvermögen verfügen würde. Denn dann hätte er auch kein behinderungsbedingtes Teilhabedefizit und demzufolge auch keinen Förderbedarf im Sinne der Eingliederungshilfe, wovon auch nicht der AG, sein Sozialmedizinisch-pädagogischer Dienst oder CICERO ausgehen, die im Gegenteil einen weiteren Förderbedarf sehen und im Falle des AG auch entsprechende Maßnahmen der Eingliederungshilfe weiterbewilligt haben.
Vor diesem Hintergrund erscheint es allenfalls plausibel, dass das Hör- und Sprachvermögen des AS allenfalls seinem Höralter, nicht jedoch seinem Lebensalter entspricht. Gerade in dieser Diskrepanz zwischen Hör- und Lebensalter zeigt sich der Entwicklungsrückstand des AS, der seinen (dem Grunde nach) unstreitigen weiteren Förderbedarf ausmacht:
Zwar lässt sich den Berichten aus der Akte entnehmen, dass ab der Versorgung mit den CI der AS eine höraltersgerechte Entwicklung genommen hat. Insofern ist der Argumentation des AG durchaus zuzugeben, dass ab dem Zeitpunkt der CI-Versorgung die bislang ergriffenen Maßnahmen dafür geeignet und ausreichend sind, dass sich das Sprachvermögen des AS in der Lautsprache ab diesem Zeitpunkt adäquat entwickelt hat und prognostisch auch weiterentwickeln wird. Das bedeutet aber auch, dass der AS im Vergleich zu nichthörbehinderten Kindern eine Sprachentwicklungsverzögerung von rund zehn Monaten (gerechnet ab der Versorgung des zweiten Ohrs) aufweist. Das ergibt sich aus der ständigen, weitgehend übereinstimmenden Differenzierung der Berichte zwischen der dem Höralter adäquaten Sprachentwicklung, jedoch der retardierten Sprachentwicklung bezogen auf das Lebensalter des AS im Vergleich zu Hörenden bzw. aufgrund des weiterhin gesehenen Förderbedarfs im Bereich Hören und Sprechen.
Das bedeutet weiter, dass der AS bis auf weiteres, zumindest jedoch noch für einige Zeit, in seiner sprachlichen Entwicklung gegenüber hörenden Altersgenossen gleichsam "hinterherhinken" wird. Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichts eine nicht unwesentliche Beschränkung der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Denn deren Grundvoraussetzung ist die zumindest altersgerechte Kommunikationsmöglichkeit mit anderen Menschen. Hierbei kann keineswegs auf das Höralter des AS abgestellt werden, weil bereits dieses, behinderungsbedingt, retardiert begonnen hat. Es ist gerade das Auseinanderfallen von Höralter und Lebensalter in der Sprachentwicklung, das den behinderungsbedingten Nachteil beschreibt. Dem widerspricht auch nicht, dass der AS als zusehends gut in der Gruppe integriert beschrieben wird.
Ein Mensch jedoch, der in seiner Sprachentwicklung dem (Alters-)Durchschnitt signifikant hinterherhinkt, hat nicht unwesentliche Nachteile, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Dies gilt umso mehr im Kindesalter, in dem ausgrenzendes Verhalten anderer Kinder bei sprachlichen Defiziten des behinderten Kindes verstärkt drohen, oder möglicherweise erst infolge der Retardierung ein verspäteter Schulbeginn drohen könnte, der möglicherweise einen dauerhaften Nachteil gegenüber nichtbehinderten Altersgenossen nach sich ziehen könnte.
Es ist weiter festzuhalten, dass die bisherigen Maßnahmen lediglich einen dem Höralter entsprechenden Fortschritt gebracht haben, aber keinen, der den AS bislang auf ein altersgerechtes Sprachniveau gebracht hat. Ziel der Eingliederungshilfe ist aber die Förderung einer vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, soweit dies möglich ist. Das bedeutet nach Auffassung des Gerichts, dass der AS nicht darauf verwiesen werden kann, er höre dem Höralter entsprechend. Insbesondere entspricht ein dauerhaftes, sprachliches "Hinterherhinken" vor diesem Hintergrund nicht den Zielen der Eingliederungshilfe, jedenfalls dann nicht, wenn dieses vermieden oder verkürzt werden kann.
Zusammenfassend ist daher an dieser Stelle festzuhalten, dass der AS hörbehinderungsbedingt und trotz Hilfsmittelversorgung mittels CI und daran anknüpfender medizinischer Rehabilitation und interdisziplinärer Frühförderung sowie sonstiger, bereits ergriffener Eingliederungshilfemaßnahmen, nach wie vor wesentlich in seiner Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft eingeschränkt ist, ohne dass vorrangige Leistungen ersichtlich wären neben den bereits ergriffenen, um dies zu beseitigen.
Dies wiederum bedeutet, dass der AS nach Aktenlage wohl einen nicht gedeckten Eingliederungshilfebedarf dem Grunde nach hat, nämlich dahingehend, die Teilhabebeschränkung in der Welt der Hörenden durch die Sprachentwicklungsverzögerung weiter zu minimieren oder gar zu beheben. Dieser Bedarf besteht jetzt. Es ist daher nicht zielführend, darauf zu verweisen, er werde sich in der Zukunft verringern, wenn dies bereits jetzt möglich ist. Dies gilt umso mehr, als Sprachentwicklung im Kindesalter viel leichter fällt als im Erwachsenenalter.
Mit dem Hausgebärdensprachkurs würden dem AS Kenntnisse in der DGS und somit in einer anderen Sprache als in der Lautsprache Deutsch verschafft. Folge wäre zunächst einmal Bilingualität.
Es bestehen wissenschaftliche Hinweise dafür, dass sich die Sprachkompetenz von bilingualen Kindern in beiden Sprachen besser entwickelt. Allerdings ist die wissenschaftliche Erkenntnislage speziell bei bilingualen, hörbehinderten Kindern noch nicht besonders ausgeprägt (vgl. zum Ganzen die Broschüre "Bilingual aufwachsen" des Deutschen Gehörlosen- Bundes e. V.).
Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht die zumindest gute Möglichkeit, dass der AS durch eine Bilingualität infolge des Erlernens der DGS mittels Hausgebärdensprachkurses auch seine Sprachentwicklung im Bereich der Lautsprache beschleunigt und somit sich der entsprechende Entwicklungsrückstand verringert.
Mit anderen Worten besteht die gute Möglichkeit, dass ein solcher Hausgebärdensprachkurs geeignet und erforderlich ist, die Teilhabebeschränkung des AS zu verringern oder zu beheben, soweit sich diese aus der Sprachentwicklungsverzögerung ableitet.
Dies wäre im Hauptsacheverfahren durch ein entsprechendes Sachverständigengutachten zu überprüfen.
Unbestreitbar würde das Erlernen der DGS zudem dazu führen, dass der AS einen zweiten Kommunikationskanal hätte, wenn und soweit die CI nicht funktionieren oder nicht eingesetzt werden können, jedenfalls gegenüber Personen, die der DGS mächtig sind.
Völlig unbestreitbar würde im Übrigen das Erlernen der DGS dazu führen, dass der AS mit der ihm bislang verschlossene Gruppe der Gehörlosen ohne CI kommunizieren könnte.
Ferner wäre auch eine Kommunikation mit den Eltern in Gefahrlagen möglich, wenn eine lautsprachliche Kommunikation durch die CI nicht möglich ist.
Aufgrund der Neufassung des Eingliederungshilferechts ab dem 01.01.2020, das hinsichtlich der Leistungsansprüche eine Vielzahl von Überschneidungen enthält, stellt sich jedoch die Frage, als welche Leistung ein solcher Hausgebärdensprachkurs anzusehen ist:
§§ 113 Abs. 2 Nr. 6, 76 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX nennen als Regelbeispiel für Leistungen der Sozialen Teilhabe Leistungen zur Förderung der Verständigung, die in § 82 SGB IX näher umschrieben werden, als Leistungen für Leistungsberechtigte mit Hör- und Sprachbehinderungen, die die Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass ermöglichen oder erleichtern sollen.
Maßgeblich in diesem Zusammenhang ist jedoch, ob die Maßnahme die Begegnung mit nichtbehinderten Menschen erkennbar fördert (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 82 SGB IX (Stand: 15.01.2018), RdNr. 17). Das bedeutet im Falle des AS, dass zumindest in diesem Kontext es keine Rolle spielt, den AS mittels Erlernens der DGS in den Sozialraum der Gehörlosen, die ausschließlich oder überwiegend mittels DGS kommunizieren, zu integrieren. Relevant im Zusammenhang dieser Vorschrift wäre daher nur der Aspekt, ob die mittels Hausgebärdensprachkurs vermittelten DGS-Kenntnisse den AS diesen in seinem allgemeinen Erwerb der Lautsprache unterstützen und diesen fördern, so dass über die verbesserte Lautsprache durch den Hausgebärdensprachkurs mittelbar die Begegnung mit nichtbehinderten Menschen erkennbar gefördert würde.
Allerdings setzen Hilfen nach dieser Vorschrift ausdrücklich einen besonderen Anlass voraus, der als Abgrenzung zu dauerhaften Alltagshilfen nach § 78 SGB IX (Assistenzleistungen) dient. Hierunter fallen etwa wichtige Vertragsverhandlungen, Elternversammlungen in der Schule oder besondere Familienfeiern (vgl. Luthe, aaO., RdNr. 15).
Nach Auffassung des Gerichts lässt sich hierunter aber nicht die Situation des AS subsumieren: Zwar wird angeführt, dass die Kenntnis der DGS den AS zur Kommunikation mit seinen Eltern befähigen würde, insbesondere, wenn die CI nicht ausreichten oder gar versagten; hierbei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts jedoch in dieser Allgemeinheit und Pauschalität nicht um Hilfen "aus einem besonderen, konkret gegebenem Anlass", auf den sich diese Hilfe auch passgenau bezieht. Der angestrebte Hausgebärdensprachkurs vermittelt dem AS mit den DGS-Kenntnissen allgemeine Fähigkeiten, die sich nicht auf einen konkreten, besonderen Anlass begrenzen lassen, sondern den Erwerb einer eigenständigen Sprache darstellen, die sich grundsätzlich, wie jede andere Sprache auch, auf eine nicht von vornherein begrenzbare Zahl von Kommunikationsanlässen anwenden lässt.
Demzufolge scheidet nach Auffassung des Gerichts die Hilfe zur Förderung der Verständigung als Anspruchsgrundlage für den Hausgebärdensprachrkurs aus.
Dieser könnte als Assistenzleistung im Sinne der § 113 Abs. 2 Nr. 2, 76 Abs. 2 Nr. 2, 78 SGB IX aufgefasst werden: Gemeint sind hiermit in erster Linie Leistungen, die der selbstbestimmten Alltagsbewältigung und Tagesstrukturierung dienen.
Der Schwerpunkt des Zieles des Hausgebärdensprachkurses liegt jedoch in der Vermittlung einer zweiten Sprache als Mittel zur Unterstützung des besseren Lautsprachenerwerbs. Unmittelbare Hilfen zur Alltagsbewältigung und Tagesstrukturierung sind hierin jedoch nicht zu erblicken.
Ferner stellt ein Hausgebärdensprachkurs keine heilpädagogische Leistung im Sinne der §§ 113 Abs. 2 Nr. 3, 79 SGB IX dar.
Auch unter Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 113 Abs. 2 Nr. 5, 81 SGB IX lässt sich der Hausgebärdensprachkurs eher nicht fassen.
Vor diesem Hintergrund kommt als Anspruchsgrundlage nur § 113 Abs. 1 SGB IX direkt in Frage.
Dass der Gesetzgeber § 113 Abs. 1 SGB IX ebenfalls als generalklauselartige Anspruchsnorm ausgestalten wollte, ergibt sich aus mehreren Aspekten: Zum einen ergibt sich dies aus dem Wortlaut des Abs. 2 des § 113, der nur Regelbeispiele aufführt, demzufolge auch andere Leistungen möglich sind, die sich nicht bereits aus den Regelbeispielen ergeben. Dies entspricht auch zum anderen der Vielfältigkeit der Teilhabebeschränkungsmöglichkeiten und der Vielfältigkeit der Möglichkeiten, diese zu beheben, weswegen eine Generalklausel auch erforderlich ist. Ferner ergibt sich dies auch aus § 138 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, der § 113 Abs. 1 SGB IX direkt als Anspruchsnorm voraussetzt.
Nachdem sich nach Auffassung des Gerichts bereits ein Anordnungsanspruch nach § 113 Abs. 1 SGB IX aus dem Umstand ergibt, dass der Erwerb der DGS durch den AS diesen auch hinsichtlich seiner Sprachentwicklung in der Lautsprache zusätzlich fördert und einen zweiten Kommunikationskanal für den Ausfall der CI eröffnet, kann im Rahmen des Antragsverfahrens jedenfalls offen bleiben, ob die Integration in den "Sozialraum" im konkreten Fall des AS auch die begrenzte Zahl von Personen darstellt, die der DGS mächtig sind, zumal der AS bislang eher der Welt der Hörenden angehört, jedoch durch die CI in bestimmten Situationen "versagen", der AS somit ohne Hilfsmittel ohne Zweifel der Welt der Gehörlosen angehört. Es kann an dieser Stelle auch offenbleiben, ob insofern die UN-BRK, insbesondere deren Art. 30. Abs. 4 und Art. 24 einen unmittelbaren und klagbaren Anspruch auf Erlernen der DGS vermittelt (dagegen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.07.2013, Az.: L 7 SO 4642/12).
Nach Auffassung des Gerichts steht im Übrigen einem gut möglichen Anspruch auf einen Hausgebärdensprachkurs nicht entgegen, dass neben dem AS auch dessen Familienangehörige mitunterrichtet würden. Zwar hat das LSG Baden-Württemberg (aaO.) entschieden, dass Eingliederungshilfe an sich nur der Leistungsberechtigte selbst beanspruchen kann, Dritte (wie beispielsweise die Eltern) nur dann, wenn dies positivrechtlich geregelt sei. Dem vom LSG entschiedenen Fall lag aber die Konstellation zugrunde, dass ausschließlich die Eltern einen solchen Hausgebärdensprachkurs erhalten sollten. In dieser Konstellation spricht sehr viel für die Sicht des LSG. Allerdings unterscheidet sich die vorliegende Konstellation davon insofern, als nicht nur die Eltern des AS, sondern vor allem der AS selbst an diesem Kurs teilnehmen und DGS überhaupt erlernen soll. Nachdem damit Adressat der Leistung der AS und damit auch der Leistungsberechtigte selbst ist, kann nach Auffassung des Gerichts die weitere Teilnahme anderer Familienangehöriger nicht zu einem Leistungsausschluss für den AS selbst führen.
Ein Anspruch ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der vom AS begehrte Leistungserbringer A. keine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit dem AG geschlossen hat. Zwar bestimmt an sich § 123 Abs. 1 SGB IX, dass Leistungsvoraussetzung eine solche Leistungs- und Vergütungsvereinbarung ist; dieser Grundsatz wird jedoch bereits nach Absatz 5 der Vorschrift durchbrochen, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Vorhandensein einer Vereinbarung im Einzelfall, wenn geboten, eine Leistungserbringung zu erfolgen hat, wenn zumindest ein entsprechendes Angebot des Leistungserbringers vorliegt für eine solche Vereinbarung.
Eine telefonische Rückfrage des Vorsitzenden beim AG im Verfahren S 20 SO 63/20 ER hat ergeben, dass zwar keine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung zwischen dem AG und A. besteht, aber wohl Verhandlungen laufen. Daher ist zumindest davon auszugehen, dass dem AG ein entsprechendes Angebot seitens A. vorliegt. Das Vorliegen von Vereinbarungen mit anderen Leistungserbringern im streitrelevanten Bereich hat der AG ebenfalls verneint.
Auch nach der Antragsschrift ist weiterhin davon auszugehen, dass eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung noch nicht abgeschlossen ist.
Wenn auch § 123 Abs. 5 SGB IX restriktivere Regelungen trifft als § 75 Abs. 4 SGB XII a.F. so kann nach Auffassung des Gerichts jedenfalls dann selbst ein fehlendes Angebot kein Leistungshinderungsgrund sein, wenn Eile geboten ist und ein Anspruch auf die Leistung als solche besteht. Der Leistungsanspruch des Leistungsberechtigten richtet sich gegen den Kostenträger und bestimmt sich nach dem ungedeckten Bedarf. Dieser Leistungsanspruch darf nicht durch Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen unterlaufen werden zwischen dem Leistungserbringer und dem Kostenträger, auf die der Leistungsberechtigte ja auch keinerlei Einflussnahmemöglichkeit hat. Dies wäre möglicherweise ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Erst recht kann dann das Fehlen einer solchen Vereinbarung nur schwerlich dazu führen, dass ein zu deckender Bedarf ungedeckt bliebe. Schließlich kann der Leistungsberechtigte keinen Leistungserbringer dazu zwingen, ein § 123 Abs. 5 SGB IX genügendes Angebot vorzulegen.
Aus Sicht des Gerichts kann daher § 123 Abs. 5 SGB IX nur teleologisch reduziert dahingehend auszulegen sein, dass er nur dann anzuwenden ist, wenn zwar mit dem gewünschten Leistungserbringer keine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung besteht, aber mit mindestens einem anderen. Dann nämlich könnte der Leistungsberechtigte auf diesen alternativen Leistungserbringer zumutbar verwiesen werden.
Vorliegend besteht jedoch kein alternativer Leistungserbringer, weswegen nach Auffassung des Gerichts auch bei fehlendem Angebot von A. ein Anspruch besteht (zur alten Rechtslage: vgl. BayLSG, 28.06.2018, Az.: L 8 SO 240/15).
Inhaltlich handelt es sich zudem um eine kostenprivilegierte Leistung nach § 138 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, so dass auch kein Kostenbeitrag zu erbringen ist.
2.
Bei der hier in Betracht kommenden Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund ("Eilbedürftigkeit") die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Vermieden werden soll, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann.
In Anbetracht des Umstandes, dass der AS zweifelsfrei einen Sprachentwicklungsrückstand hat gegenüber Gleichaltrigen und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein solcher stets nach Möglichkeit zu verringern ist, würde ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den AS und Hauptsachekläger bedeuten, dass er im Obsiegensfalle erst dann den entsprechenden Kurs beginnen könnte und somit erst dann in der Lage wäre, hierdurch seine Sprachentwicklungsverzögerung aufzuholen. Die dazwischenliegende Zeit wäre für ihn unwiederbringlich verloren als mögliche Zeit, schon früher in der Sprachentwicklung gleichzuziehen. Für die weitere Zeitspanne der Teilhabeeinschränkung wäre dies nicht mehr kompensierbar. Nicht kompensierbar wäre zudem, wenn das Gleichziehen zusätzlich dadurch erschwert würde, dass das Zeitfenster zügigen, kindlichen Spracherwerbs sich inzwischen geschlossen hätte.
Ohne einstweilige Anordnung drohen dem AS daher wesentliche, im Obsiegensfalle nicht wieder gut zu machende Nachteile.
Ein Anordnungsgrund ist daher gegeben.
3.
Lediglich hilfsweise sei darauf hingewiesen, dass auch wenn man eine überwiegende Wahrscheinlichkeit verneinen würde dafür, dass der AS einen Anspruch auf den Hausgebärdensprachkurs hat, eine grundrechtsorientierte Folgenabwägung zu Gunsten des AS ausfallen würde. Zum einen sind Gefahrsituationen beschrieben, bei denen dem AS und seinen Eltern nur die Kommunikation mittels DGS möglich wäre, zum anderen droht ein unwiederbringlicher Zeitverlust in der Entwicklung des Sprachvermögens des AS.
Dabei handelt es sich um mögliche Gefahren für die körperliche Unversehrtheit, aber auch eine nachhaltige Beeinträchtigung gleichberechtigter und menschenwürdiger Teilhabe. Damit sind die Verletzung zentraler Grundrechte aus den Art. 1, 2 und 3 GG denkbar, insbesondere im Obsiegensfalle.
Würde der AS in der Hauptsache unterliegen, obwohl er im Rahmen der einstweiligen Anordnung Leistungen erhalten hat, so bedeutet dies in erster Linie bei Nichtrückzahlung der Leistungen lediglich einen fiskalischen Nachteil des Eingliederungshilfeträgers und damit der Allgemeinheit, der demgegenüber im Rahmen einer Folgenabwägung zurücktritt.
4.
Den Inhalt der einstweiligen Anordnung hat nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 938 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmen.
Auch im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG ist vorliegend aber im Vergleich zum Antrag der AS der Inhalt der einstweiligen Anordnung einzugrenzen, und zwar in doppelter Hinsicht, nämlich zeitlich und der Höhe nach:
Beantragt hat der AS eine zeitlich unbegrenzte Kostenübernahme bereits im Wege der einstweiligen Anordnung. Dies ist indessen unangemessen im Hinblick auf das Gebot, möglichst die Hauptsache nicht vorweg zu nehmen und andererseits unzumutbare Nachteile zu vermeiden für den AS.
Daher erscheint eine zeitliche Begrenzung der zugesprochenen Maßnahmen längstens bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache sowohl geeignet, als auch ausreichend, den Eintritt wesentlicher Nachteile beim AS zu verhindern. Für eine endgültige Regelung bereits im Rahmen einer einstweiligen Anordnung besteht ebenfalls kein nachvollziehbarer Grund. Daher sind die einstweilig angeordneten Leistungen auch nur vorläufig und vorbehaltlich einer Entscheidung in der Hauptsache zuzusprechen. Sollte der AS in der Hauptsache unterliegen, so spricht dem Grunde nach nichts dagegen, dass er grundsätzlich zur Rückgewähr der dann zu Unrecht erhaltenen Leistungen verpflichtet sein soll.
Beantragt hat der AS zudem Leistungen "in gesetzlicher Höhe". Er verkennt dabei, dass der Vergütungsanspruch sich nach den §§ 123ff SGB IX aus entweder vertraglichen Vereinbarungen zwischen Leistungserbringer und Kostenträger oder zumindest aus einem den Anforderungen des § 125 SG IX entsprechenden Leistungserbringerangebot ergibt.
Zur Präzisierung hat der AS aber nur auf einen Kostenvoranschlag vom 18.01.2019 rekurriert, der einen Stundensatz von € 65,00 ausweise, jedoch infolge Mutterschutzes der Lehrperson nach Angaben des AS selbst nicht mehr aktuell sei. Es sei daher aus Sicht des AS analog zum Beschluss des SG A-Stadt vom 29.04.2020 zum Aktenzeichen S 20 SO 63/20 ER von einem Stundensatz vom € 60,00 auszugehen.
Der Beschluss vom 29.04.2020 setzte jedoch einen Stundensatz von € 50,00 fest, und zwar aus folgenden Gründen:
Nachdem weder mit der ARARAT A. noch mit einem anderen Anbieter eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung vorliegt, ist ein angemessener Rahmen für die Kosten der Leistungen seitens des Gerichts festzulegen.
Mangels anderer Grundlagen im Sinne des § 124 SGB IX greift das Gericht daher hilfsweise auf die vom BayLSG in dessen Entscheidung vom 28.01.2019 (Az.: L 18 SO 320/18 B ER) zugrunde gelegten € 50,00 pro Stunde zurück, und zwar inklusive aller Nebenkosten. Für die Zeit ab Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung zwischen der A. A. und dem AG bedarf es dessen jedoch nicht mehr.
Hinsichtlich des Umfangs des Unterrichts in zeitlicher Ansicht erscheinen 1,5 Stunden, also 90 Minuten, pro Woche jedenfalls nicht grob unangemessen, sondern wohl erforderlich, um eine Mindestmaß an Lernerfolg sicherstellen zu können.
Da der Kostenvoranschlag vom 18.01.2019 nach eigenen Angaben des AS nicht mehr aktuell ist, kann er auch nicht als Grundlage herangezogen werden.
Nach pflichtgemäßem Ermessen sind daher die weiter reichenden Anträge des AS inhaltlich und zeitlich zu begrenzen in der dargestellten Weise. Soweit die Anträge des AS über die gerichtliche Regelung hinausreichen, sind sie nicht begründet und ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz insofern abzulehnen.
Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass Sozialleistungen, die per gerichtlicher Eilentscheidung zugesprochen werden, unter dem Vorbehalt der Rückforderung stehen, und dass, sollte sich in einem Hauptsacheverfahren erweisen, dass die einstweilige Anordnung von Anfang an ganz oder teilweise ungerechtfertigt war, der Antragsteller verpflichtet ist, dem Antragsgegner den Schaden zu ersetzen, der aus der Vollziehung dieser Anordnung entsteht, §§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, 945 ZPO (vgl. auch BayLSG aaO.).
III.
Die Kostengrundentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG. Dabei hat das Gericht das Maß des Obsiegens berücksichtigt und den Umstand, dass der AG im Maße des Obsiegens dem AS auch Anlass für dessen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegeben hat.
Die Nichterhebung von Gerichtskosten beruht auf den §§ 183 SGG und 64 SGB X.