L 3 KA 30/19

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 20 KA 311/16
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 3 KA 30/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Es war im Quartal IV/2015 noch nicht rechtswidrig, dass Defizite bei der Finanzierung des Grundbetrags "Labor"nach dem allgemeinen Trennungsfaktor zwischen dem haus- und dem fachärztlichen Bereich aufgeteilt wurden.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. April 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst trägt.

                   Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.551,99 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Praxissitz in M. betreibt. In der Praxis arbeiten mehrere Fachärzte und Fachärztinnen für Allgemeinmedizin, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.

 

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) setzte das (auszuzahlende) vertragsärztliche Honorar der Klägerin für das Quartal IV/2015 auf insgesamt 357.549,52 Euro fest (Honorarbescheid vom 14. April 2016). Hiergegen legte die Klägerin am 28. April 2016 Widerspruch ein, mit dem sie ua die Auffassung vertrat, die Regelungen in Teil B Nr 7.1 iVm Teil E Nr 3.5 der Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) über die Nachfinanzierung von Unterschüssen zur Finanzierung von Laborleistungen seien rechtswidrig. Nach den ihnen bekannten Berechnungen der KBV für die Quartale IV/2013 bis einschließlich II/2015 seien die quartalsweise angefallenen Unterdeckungen im Grundbetrag „Labor“ zu einem unverhältnismäßig großen Anteil aus dem hausärztlichen Gesamtvergütungsanteil nachfinanziert worden, obwohl die Unterschüsse zu mehr als 80% dem fachgebietsärztlichen Versorgungsbereich zuzurechnen seien. Diese Verteilungspraxis sei rechtswidrig, weil Steigerungen im fachgebietsärztlichen Versorgungsbereich nicht aus dem hausärztlichen Bereich nachvergütet werden dürften (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> SozR 4-2500 § 85 Nr 24).

 

In Hinblick auf die Finanzierung der Laborkosten wies die Beklagte den Widerspruch mit Teil-Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2016 (zur Post gegeben am 28. Juli 2016) zurück. Sie habe bei der Honorarverteilung im streitbefangenen Quartal die auf der Grundlage von § 87 Abs 4 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) beschlossenen Vorgaben der KBV - insbesondere zur ggf notwendigen quartalsbezogenen Finanzierung eines Unterschusses entsprechend Nr 7.1 - umgesetzt. Eine Rechtswidrigkeit dieser Vorgaben sei nicht zu erkennen. Die Einführung des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG), wonach die von den fachärztlich tätigen Ärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütungen und die von den hausärztlich tätigen Ärzten erbrachten fachärztlichen Leistungen nicht den fachärztlichen Teil der Gesamtvergütungen mindern sollten, betreffe nicht die Vergütung von Laborleistungen. Auch ein Verbot, für Laborleistungen einen einheitlichen Vergütungstopf zu bilden, sei nicht anzunehmen. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung in Form von nicht zu rechtfertigenden finanziellen Umverteilungseffekten zwischen dem fachärztlichen und dem hausärztlichen Versorgungsbereich sei für das Quartal IV/2015 nicht zu erkennen. Dies sei im Übrigen auch mangels wissenschaftlich evaluierter Indikatoren für die Berücksichtigung von Leistungsverlagerungen zwischen den beiden Versorgungsbereichen nicht der Fall.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 29. August 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Nach den Angaben der Beklagten für das Quartal IV/2015 habe der bei der Aufteilung des Unterschusses im Grundbereich „Labor“ angewendete allgemeine Trennungsfaktor 0,502844 betragen, sodass der Unterschuss iHv 4.316.467 Euro iHv 2.170.459 Euro aus dem hausärztlichen Versorgungsbereich entnommen worden sei. Der Grundbetrag Labor sei jedoch nur iHv 8.726.969 Euro aus dem hausärztlichen, dagegen mit einem Betrag von 45.890.088 Euro aus dem fachärztlichen Versorgungsbereich beansprucht worden. Die dieser Verteilungspraxis zugrunde liegenden Vorgaben in Teil B Nr 7.1 und Teil E Nr 3.5 der Vorgaben der KBV zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung sei nicht mit dem aus § 87b Abs 1 S 1 SGB V folgenden Grundsatz der strikten Honorartrennung zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung zu vereinbaren und der sich aus § 87b Abs 4 SGB V ergebende Gestaltungsspielraum der KBV sei überschritten. Die mit dem GKV-VSG in Kraft getretene Regelung in § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V und die hierzu ergangene Gesetzesbegründung stellten ausdrücklich klar, dass der Gestaltungsspielraum der KBV bezüglich der von ihr zu erlassenden Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung nach § 87b Abs 1 S 1 SGB V insoweit eingeschränkt sei, als es durch die Vorgaben zu einem Honorartransfer zwischen den Versorgungsbereichen komme. Auch bei der Verteilung der Unterschüsse im Bereich des Grundbetrags „Labor“ handele es sich um eine Problematik der Verteilung der Gesamtvergütung iS von § 87b Abs 1 S 1 SGB V. Dem stehe nicht entgegen, dass die Bildung eines einheitlichen Labortopfs in der Rechtsprechung des BSG gebilligt worden sei. Denn der Grundsatz der Vergütungstrennung werde durchbrochen, wenn aufgrund der nicht ausreichenden Rückstellungen in diesem Vergütungstopf eine Verteilung der Mehrkosten aus den Anteilen für die haus- und fachärztliche Versorgung vorgenommen wird, ohne dass erkennbar ist, dass der haus- und fachärztliche Versorgungsbereich mit seinem jeweiligen Beitrag zu dieser Steigerung auch entsprechend gewichtet wurde. Auch wenn im letzten Satz zu Teil B Nr 7 der Vorgaben der KBV bestimmt sei, dass über Punkt 7.1 bis 7.4 hinausgehende Anpassungen nicht durchgeführt werden dürften, verkenne die Beklagte, dass es sich im Zusammenhang mit der Trennung der Gesamtvergütung um einen Prozess ständiger Weiterentwicklung und Überprüfung handele, bei dem insbesondere bei Leistungsverlagerungen Anpassungen indiziert seien. Dabei werde in der Gesetzesbegründung der Umgang mit Laborleistungen explizit genannt. Im Übrigen ergebe sich der Anspruch auf Neufestsetzung des Honorars unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts aus § 87b Abs 1 S 1 SGB V und dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit.

 

Dem ist die vom SG beigeladene KBV entgegengetreten. Aus der BSG-Rechtsprechung ergebe sich, dass ihr bei den Trennungsvorgaben ein weiter Gestaltungsspielraum zukomme, was es auch erlaube, spezifische Leistungen nicht in die trennungsrelevante Gesamtvergütung einzubeziehen. Die Ergänzung des § 87b Abs 1 S 1 SGB V durch das GKV-VSG habe keine zwingenden Auswirkungen auf die Vergütung der Laborleistungen, weil es sich hierbei weder um von Fachärzten erbrachte hausärztliche Leistungen noch um von Hausärzten erbrachte fachärztliche Leistungen handele. Die Regelung sei vielmehr als Klarstellung zu verstehen, dass bei der Qualifikation, ob eine fachärztliche oder hausärztliche Leistung vorliege, auf den erbringenden Arzt und nicht auf den Leistungsinhalt abzustellen sei. Die Nachschussregelung in Nr 7.1 der Vorgaben könne nicht gegen die Zuordnung der haus- und fachärztlichen Honorarkontingente verstoßen, weil die Finanzmittel für den Grundbetrag „Labor“ gerade keinem der beiden Versorgungsbereiche zuzuordnen seien. Die Aufteilung der Nachschusspflichten auf die Versorgungsbereiche nach dem Trennungsfaktor überschreite auch nicht den der KBV zukommenden Gestaltungsspielraum, weil diese Aufteilung der Struktur eines Vorwegabzugs entspreche. Der Rückgriff auf den Trennungsfaktor für die Aufteilung der Nachschüsse führe mathematisch zu keinem anderen Ergebnis, als wenn bei einer Unterfinanzierung zunächst der Grundbetrag Labor entsprechend erhöht werden würde und in einem zweiten Schritt die übrigen Geldmittel auf die beiden Versorgungsbereiche aufgeteilt werden würden. Die KBV habe im Rahmen der ihr obliegenden Beobachtungs- und ggf Nachbesserungspflicht aber beobachten müssen, welche Auswirkungen der Rückgriff auf den Trennungsfaktor bei der Bildung der Nachschüsse im Zeitverlauf in Bezug auf die einzelnen Versorgungsbereiche habe. Im Laborbereich sei eine wachsende Mengendynamik bei den fachärztlich erbrachten Laboruntersuchungen zu beobachten, die wegen der Anwendung des Trennungsfaktors auch von dem hausärztlichen Versorgungsbereich mitfinanziert worden sei. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, habe die Vertreterversammlung der KBV am 9. Dezember 2016 ua beschlossen, dass Nachschüsse anhand der in der Region ermittelten Vergütungsanteile der beiden Versorgungsbereiche am Grundbetrag „Labor“ im aktuellen Abrechnungsquartal aufgeteilt werden. Diese Anpassungen müssten sich nach der Rechtsprechung des BSG allerdings nur auf die Zukunft beziehen, eine rückwirkende Änderung der KBV-Vorgaben sei nicht erforderlich.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. April 2019 abgewiesen. Die Vorgaben der Beigeladenen seien in Hinblick auf den Ausgleich von Unterschüssen rechtmäßig. Sie habe den ihr bei Ausgestaltung der Vorgaben gemäß § 87b Abs 4 SGB V zukommenden Gestaltungsspielraum eingehalten. Ein Verstoß der Beigeladenen gegen das in § 87b Abs 1 S 1 SGB V geregelte Trennungsverbot könne nicht festgestellt werden, weil die streitigen Laborleistungen explizit weder dem hausärztlichen noch dem fachärztlichen Leistungsbereich zugeordnet worden seien. § 87b Abs 1 S 1 SGB V sei zudem als Soll-Vorschrift ausgestaltet und könne damit auch keine strenge und absolute Trennung für alle Leistungsbereiche begründen. Es könne auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der beiden Arztgruppen erkannt werden, weil erst durch die Anwendung des Trennungsfaktors beide Arztgruppen in gleicher Weise an einem notwendig gewordenen Ausgleich beteiligt würden. Selbst die Klägerin bestreite nicht, dass es rein mathematisch keinen Unterschied mache, ob der Grundbetrag vorab oder im Nachhinein ausgeglichen werde. Mit dem Gestaltungsspielraum der Beigeladenen korrespondiere außerdem ihre Beobachtungs- und Reaktionspflicht, wenn sich im Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen herausstelle, dass die die Norm legitimierenden Gründe weggefallen oder die Auswirkungen für einzelne betroffenen Normadressaten unzumutbar geworden seien. Eine Korrekturverpflichtung bestehe dabei nur dann, wenn es sich um eine nicht nur vorübergehende Entwicklung handele, wobei der Normgeber bei unsicherer Datengrundlage auch mehrere Quartale abwarten könne. Zudem spiele das Ausmaß der negativen Auswirkungen einer Regelung eine Rolle. Eine Nachbesserung könne nach der Rechtsprechung zudem regelmäßig nur für die Zukunft gefordert werden. Nach diesen Vorgaben und unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen Daten über die Honorarentwicklung könne nicht festgestellt werden, dass die Beigeladene hier zu einem früheren Einschreiten verpflichtet gewesen wäre; denn aus den vorgetragenen Abrechnungsdaten könnten keine derart gefestigten Erkenntnisse über Verwerfungen abgelesen werden, die ein sofortiges Einschreiten - also auch für das streitgegenständliche Quartal - zwingend geboten hätten.

 

Gegen das ihr am 29. April 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24. Mai 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt, mit der sie an ihrer Auffassung festhält. Nach Maßgabe der Daten der beigeladenen KBV für die Quartale IV/2013 bis einschließlich II/2015 stehe fest, dass die quartalsweise angefallenen Unterdeckungen im Grundbetrag „Labor“ zu einem überproportional hohen Anteil aus dem hausärztlichen Gesamtvergütungsanteil (nach)finanziert worden seien. Im Zeitraum von Quartal IV/2013 bis IV/2014 habe es eine stetige und ungleich verursachte Ausgabensteigerung im Bereich der Laborvergütung um 4,6 Millionen Euro bei den Hausärzten und um 27,9 Millionen Euro bei den Fachärzten gegeben, die sich auch danach fortgesetzt habe. Die Vorgaben der Beigeladenen bewirkten, dass die Defizite, die durch die ungleich verursachten Ausgabensteigerungen entstanden seien, im Rahmen der Nachschusspflicht ca hälftig aus dem hausärztlichen Gesamtvergütungsanteil hätten (nach)finanziert werden müssen. Aus dem klarstellend eingeführten § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V und der entsprechenden Gesetzesbegründung ergebe sich, dass eine klare und dauerhafte Trennung der hausärztlichen und fachärztlichen Vergütung habe erreicht werden sollen. Der Gestaltungsspielraum der Beigeladenen sei hierdurch insoweit eingeschränkt worden, als es durch den Erlass ihrer Vorgaben zu einem Honorartransfer zwischen den Versorgungsbereichen komme. Das SG verkenne außerdem das Rangverhältnis einer Soll-Vorschrift, weil das Gesetz für den Regelfall eine bestimmte behördliche Reaktion vorschreibe und nur für atypische Fälle ein davon abweichendes Ermessen eingeräumt werde; ein solcher atypischer Fall liege hier jedoch nicht vor. Das Urteil überzeuge auch nicht, soweit das SG ausgeführt habe, es mache keinen Unterschied, ob der Grundbetrag Labor vorab oder im Nachhinein ausgeglichen werde. Denn mit der im vorliegenden Fall vorgenommenen „Anpassung“ unter Rückgriff auf den Trennungsfaktor werde die strikte Trennung des haus- und fachärztlichen Honorarkontingents gerade durchbrochen, was zu der dargestellten disproportionalen Verteilungspraxis zulasten des hausärztlichen Gesamtvergütungsanteils führe. Dabei könnten die Laborleistungen sehr wohl auch verursachungsbezogen den beiden Versorgungsbereichen zugeordnet werden. Die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors auch auf den Laborbereich sei zwar „bequem“, aber sachfremd, weil von vornherein klar gewesen sei, dass Laborleistungen zu einem überproportionalen Anteil dem fachärztlichen Versorgungsbereich zuzurechnen seien. Auch unter Hinweis auf die mit dem Gestaltungsspielraum der Beigeladenen einhergehenden Beobachtungs- und Reaktionspflicht sei diese Nachfinanzierungssystematik nicht aufrecht zu erhalten, weil hier von vornherein feststehe, dass ein vom untergesetzlichen Normgeber gewähltes Differenzierungskriterium systemfremd sei und ihm auch keine sachliche Rechtfertigung innewohne.

 

Die Klägerin beantragt,

 

  1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. April 2019 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 14. April 2016 in Gestalt des Teil-Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2016 aufzuheben,

 

  1. die Beklagte zu verurteilen, ihr vertragsärztliches Honorar für das Quartal IV/2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

              die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.

 

A. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG) in der Gestalt einer Neubescheidungsklage (§ 131 Abs 3 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

 

B. Sie ist jedoch unbegründet. Der Honorarbescheid vom 14. April 2016 (in Gestalt des Teil-Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2016) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat ihr vertragsärztliches Honorar für das Quartal IV/2015 zutreffend festgesetzt. Der KÄV kann nicht entgegen gehalten werden, sie sei von einem zu geringen Vergütungsvolumen für die hausärztliche Versorgung mit der Folge rechtswidrig verminderter Honoraransprüche der Hausärzte ausgegangen.

 

I.1.  Rechtsgrundlage für die Honorarverteilung ist § 87b Abs 1 S 1 und 2 SGB V (idF des GKV-VSG vom 16. Juli 2015, BGBl I 1211). Danach verteilt die KÄV die (nach § 87a Abs 3 SGB V) vereinbarte Gesamtvergütung an die Ärzte, Psychotherapeuten, medizinischen Versorgungszentren sowie ermächtigten Einrichtungen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung; dabei sollen die von fachärztlich tätigen Ärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütungen und die von hausärztlich tätigen Ärzten erbrachten fachärztlichen Leistungen nicht den fachärztlichen Teil der Gesamtvergütungen mindern. Hierbei wendet sie den Verteilungsmaßstab an, der im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen festgesetzt worden ist. Maßgeblich ist im vorliegenden Fall deshalb der ab dem 4. Quartal 2015 gültige Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten vom 21. November 2015.

 

2. In Teil B Ziff 6.1 und Ziff 7 des HVM ist geregelt, dass die Gesamtvergütung in einem ersten Schritt auf „Leistungen im Vorwegabzug“ und auf den haus- und fachärztlichen Versorgungsbereich aufgeteilt wird, und zwar nach Maßgabe der Anl 4 zum Teil B. Hiernach erfolgt die Berechnung des Verteilungsvolumens eines Versorgungsbereichs unter Beachtung der Vorgaben der KBV gemäß § 87b Abs 4 SGB V zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung in der jeweils geltenden Fassung. Damit verweist der HVM vollinhaltlich auf die „Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemäß § 87b Abs 4 SGB V zur Honorarverteilung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen“. In ihrer mit Wirkung zum 1. Oktober 2015 geltenden Fassung des Änderungsbeschlusses der KBV vom 9. Juni 2015 sehen diese Vorgaben im Teil B Nr 1 unter 1.2 die Bildung eines Grundbetrags je Versichertem (ua für laboratoriumsmedizinische Leistungen) vor (Grundbetrag „Labor“), der außerhalb der Grundbeträge für den hausärztlichen und den fachärztlichen Versorgungsbereich festzusetzen ist. Sein Umfang bemisst sich gemäß Teil B Nr 2 der KBV-Vorgaben nach dem entsprechenden Grundbetrag des jeweiligen Vorjahresquartals, der nach Maßgabe der Nrn 3 bis 5 fortgeschrieben wird. Ergibt sich in der Abrechnung des Quartals ein Unterschuss, wird der Grundbetrag angepasst. Die notwendige quartalsbezogene Finanzierung des Unterschusses erfolgt gemäß Teil E Nr 3.5 iVm Teil B Nr 7.1 nach dem jeweiligen Anteil, der entsprechend dem angewandten Trennungsfaktor gemäß der bis zum 30. September 2013 gültigen KBV-Vorgaben, Teil B, Schritt 15. (im Folgenden: allgemeiner Trennungsfaktor) auf den hausärztlichen bzw fachärztlichen Versorgungsbereich entfällt.

 

Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, war im streitbefangenen Quartal im Bereich der Beklagten eine solche Nachfinanzierung erforderlich. Bezogen auf den Grundbetrag „Labor“ hatte sich ein Defizit iHv 4.316.367 Euro ergeben. Die Anwendung des in Teil B Nr 7.1 der Vorgaben vorgesehenen allgemeinen Trennungsfaktors von 0,502844 führte zu einer Entnahme von 2.170.459 Euro aus dem für den hausärztlichen Versorgungsbereich vorgesehenen Vergütungsanteil. Der in dieser Weise reduzierte Vergütungsanteil war Grundlage der hausärztlichen Honorarverteilung.

 

II. Zu Unrecht macht die Klägerin demgegenüber geltend, die in Nr 7.1 vorgesehene Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors führe zu einer rechtswidrigen Verminderung des hausärztlichen Vergütungsvolumens und in der Folge zu einem rechtswidrig zu niedrig bemessenen Honorar für den einzelnen Hausarzt. Die angeführten Vorgaben der Beigeladenen waren im Quartal IV/2015 vielmehr rechtmäßig.

 

1. Gesetzliche Grundlage hierfür ist § 87b Abs 4 S 1 SGB V. Danach hat die KBV Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung nach Abs 1 S 1 im Einvernehmen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu bestimmen. Diese Vorgaben sind nach Abs 4 S 3 SGB V von den KÄVen zu beachten. Ebenso wie dem nach früherem Recht mit der Erstellung entsprechender Vorgaben betrauten Bewertungsausschuss (BewA <vgl hierzu BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 31/08 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 53>) steht der KBV dabei ein Gestaltungsspielraum zu (vgl BSG, Urteil vom 8. August 2018 - B 6 KA 26/17 R, SozR 4-2500 § 87b Nr 17), sodass den Gerichten die Prüfung verwehrt ist, ob die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden wurde (BSG, Urteil vom 8. März 2000 - B 6 KA 8/99 R, juris). Seine Grenzen findet dieser Regelungsspielraum aber in entgegenstehenden gesetzlichen Vorschriften und dem für die Honorarverteilung geltenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Diese Grenzen sind im hier streitbefangenen Quartal aber nicht überschritten worden.

 

2. Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors zur Ausgleichsfinanzierung des Labordefizits sei rechtswidrig, weil sie dazu führe, dass Mittel der hausärztlichen Vergütung unzulässigerweise zur Finanzierung von Laborleistungen der Fachärzte eingesetzt würden. Denn während der Unterschuss etwa zur Hälfte zulasten des hausärztlichen Versorgungsbereichs finanziert werde, würden nur ca 16 % des Grundbetrags „Labor“ von Ärzten des hausärztlichen Versorgungsbereichs beansprucht. Hierin liege eine Verletzung von § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V. Dem kann sich der Senat für das Quartal IV/2015 nicht anschließen.

 

a) Nach § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V sollen (bei der Trennung der hausärztlichen und der fachärztlichen Vergütung) die von fachärztlich tätigen Ärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen nicht den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung und die von hausärztlich tätigen Ärzten erbrachten fachärztlichen Leistungen nicht den fachärztlichen Teil der Gesamtvergütung mindern. Entgegen der von der Beigeladenen und dem erstinstanzlichen Gericht vertretenen Auffassung (ebenso: Reuter/Volmering/Weinrich, GesR 2015, S 449 <451>) ist diese Vorschrift im vorliegenden Fall einschlägig. Zwar ist einzuräumen, dass es sich in strengem Sinne bei Laborleistungen weder um von Fachärzten erbrachte hausärztliche Leistungen noch um von Hausärzten erbrachte fachärztliche Leistungen handelt. Denn im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) fehlt eine eindeutige Zuweisung der Laborleistungen zum hausärztlichen oder fachärztlichen Versorgungsbereich (vgl vielmehr die Zuordnung des EBM-Abschnitts 32 zu den versorgungsbereichsübergreifenden speziellen Gebührenordnungspositionen). Würde man als „hausärztliche Leistung“ alle von Hausärzten und als „fachärztliche Leistung“ alle von Fachärzten erbrachte Leistungen ansehen, gäbe es von vornherein keine von Hausärzten erbrachten fachärztlichen Leistungen (und umgekehrt). Die Vorschrift ist nach ihrer Zweckrichtung aber als Klarstellung anzusehen, dass von Fachärzten erbrachte Leistungen - auch Laborleistungen - immer aus dem fachärztlichen Vergütungsanteil zu finanzieren sind, auch wenn sie der hausärztlichen Versorgung dienen und deshalb im weiteren Sinne als hausärztliche Leistungen angesehen werden könnten (wie zB allgemeine Laborleistungen eines Facharztes für Laboratoriumsmedizin, die auf Überweisung eines Hausarztes erbracht werden); das gleiche gilt für den umgekehrten Fall. Diese Auffassung (ebenso: Reuter in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl 2018, § 87b SGB V Rn 43) vertritt letztlich auch die Beigeladene in ihrem Schriftsatz vom 22. September 2017.

 

In der Begründung zum GKV-VSG (Gesetzentwurf der Bundesregierung <vom 25. Februar 2015>, BT-Drs 18/4095, S 97), ist hierzu ausgeführt, die Regelung in Halbs 2 sei eine gesetzliche Klarstellung in Hinblick auf die zum 1. Oktober 2013 in Kraft getretene Rahmenvorgabe der KBV zur „Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung“. Danach werde in den HVMen der einzelnen KÄVen darauf abgezielt, eine klare und dauerhafte Trennung der hausärztlichen und fachärztlichen Vergütung mit jeweils eigenständiger Weiterentwicklung zu erreichen. Die Umsetzung dieser Vorgaben in den HVMen stehe nach bisherigem Recht unter dem Vorbehalt einer Überprüfung und ggf notwendiger Korrekturen. Sie solle eine Anpassung der Vergütungstrennung an „Leistungsverlagerungen zwischen dem haus- und fachärztlichen Versorgungsbereich“ ermöglichen. Konkret werde dabei ua der Umgang mit Laborleistungen und psychotherapeutischen Leistungen diskutiert (BT-Drs aaO).

 

Damit knüpft der Gesetzgeber an die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verbot einer Stützung der fachärztlichen Vergütung aus hausärztlichen Vergütungsanteilen (und umgekehrt) an und konkretisiert diese („klarstellend“) durch Einführung einer gesetzlichen Regelung für die Trennung der Gesamtvergütung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Teil. Bereits 2006 hatte das BSG entschieden, dass wegen der in § 73 Abs 1 und Abs 1a SGB V angeordneten strikten Trennung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Vergütung uU notwendige Stützungen der Punktwerte für bestimmte fachärztliche Leistungen ausschließlich aus dem Honorarkontingent für die Vergütung der fachärztlichen Leistungen zu finanzieren sind (Urteil vom 22. März 2006 - B 6 KA 67/04 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 24; vgl auch BSG-Urteil vom 6. September 2006 - B 6 KA 29/05 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 26). Dabei hat das BSG auch hervorgehoben, dass hierbei ohne Bedeutung ist, ob die Stützungsnotwendigkeit auch durch das Überweisungsverhalten von Hausärzten begründet worden ist (Urteil vom 22. März 2006 aaO). Eine unzulässige Stützung des hausärztlichen Bereichs durch den fachärztlichen Bereich hat das BSG auf der Ebene eines HVM auch für die Laborleistungen diskutiert, bei denen es ab Ende 2008 zu einer vermehrten Abrechnung für Leistungen des Allgemeinlabors im fachärztlichen Bereich gekommen war, weil Hausärzte Leistungen des Allgemeinlabors nicht mehr an eine Laborgemeinschaft, sondern an eine laborärztliche Praxis vergeben hatten; dadurch waren Leistungen vom hausärztlichen in den fachärztlichen Bereich verschoben worden, ohne dass entsprechende Vergütungsanteile in den fachärztlichen Bereich transferiert wurden (BSG, Urteil vom 30. November 2016 - B 6 KA 4/16 R, SozR 4-2500 § 87b Nr 10). Dies zeigt, dass sich gerade im Laborbereich hausärztliches und fachärztliches Leistungsverhalten gegenseitig beeinflussen kann und deshalb Bedarf nach einer klaren Abgrenzung zwischen hausärztlichem und fachärztlichem Vergütungsbereich besteht. Diesem Erfordernis trägt § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V Rechnung, indem die Vorschrift als entscheidendes Kriterium für die Finanzierung einzelner Leistungsbereiche aus der hausärztlichen oder fachärztlichen Gesamtvergütung darauf abstellt, ob die Leistungen durch Hausärzte oder Fachärzte erbracht werden.

 

b) Hieraus ergibt sich indes noch nicht, dass der angefochtene Honorarbescheid für das 4.  Quartal 2015 rechtswidrig ist, auch wenn die von der Beklagten insoweit mitgeteilten Zahlen nahelegen, dass die Hausärzte in Niedersachsen in einem Umfang zur Finanzierung des La-bordefizits herangezogen wurden, der ihren Anteil an der Erbringung von Laborleistungen deutlich überschreitet.

 

aa) Entgegen der teilweise im Schrifttum vertretenen Auffassung (Schroeder-Printzen, ZMGR, 2016, S 377 <386>; Sproll in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: April 2022, § 87b SGB V Rn 8; Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: August 2022, § 87b Rn 41c) folgt aus der Einführung des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V nicht, dass die Bildung von Grundbeträgen bzw Vorwegabzügen, die - wie der Grundbetrag „Labor“ iSv Teil B Nr 1.2 der Vorgaben der Beigeladenen - grenzüberschreitend hausärztliche und fachärztliche Leistungen umfassen, seit dem 1. Oktober 2015 ohnehin unzulässig ist. Weder aus dem Kontext der gesetzlichen Regelung noch aus der gesetzlichen Begründung ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Bildung entsprechender Vergütungskontingente, die einer langjährigen Praxis des BewA und der KBV entspricht, unterbinden wollte. Dies gilt umso mehr, als das BSG derartige Kontingente trotz der gleichzeitig bestehenden Rechtsprechung zum Stützungsverbot nie beanstandet hat (vgl Urteil vom 11. Oktober 2006 - B 6 KA 46/05 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 29; Urteil vom 8. August 2018 - B 6 KA 26/17 R, SozR 4-2500 § 87b Nr 17 Rn 19). Für derartige bereichsübergreifende Grundbeträge besteht zudem gerade im Laborbereich ein erhebliches praktisches Bedürfnis, weil Laborleistungen sowohl von Haus- als auch von Fachärzten erbracht werden und Besonderheiten wie die Leistungserbringung in Laborgemeinschaften oder die Erbringung durch Fachärzte auf Veranlassung von Hausärzten zu einer Verschränkung der Versorgungsbereiche führen (Rompf/Lindemann, GesR 2012, S 669 <670>; Reuter aaO, Rn 44; vgl auch Scholz in: Becker/Kingreen, SGB V, 7. Aufl 2020, § 87b Rn 2).

 

bb) Aus dem Kontext des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V mit dem dortigen Halbs 1 und vor allem mit § 87b Abs 4 S 1 SGB V sowie der Begründung der Vorschrift (BT-Drs aaO) folgt vielmehr, dass es dem Gestaltungsspielraum der Beigeladenen überlassen bleibt, in welcher Weise sie das Vergütungsvolumen für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung in ihren Vorgaben an Leistungsverlagerungen zwischen dem haus- und fachärztlichen Versorgungsbereich anpasst. In Betracht kommt deshalb auch die - von der Klägerin angestrebte - Veränderung der Trennungsquote für die Defizitfinanzierung des Grundbetrags „Labor“.

 

(1) Schon aus Sachgründen setzt eine Anpassung allerdings voraus, dass ein entsprechender Anpassungsbedarf erwiesen ist. Dementsprechend geht auch der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zu § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V (BT-Drs aaO) davon aus, dass eine Anpassung erfolgt, sobald valide Indikatoren zur Berücksichtigung von Leistungsverlagerungen zwischen dem haus- und fachärztlichen Versorgungsbereich bekannt sind. Diese Indikatoren müssen sich auf mehrere Quartale beziehen, weil auch nach der Rspr des BSG, an die die klarstellende Vorschrift des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V anknüpft, eine Reaktionspflicht der am vertragsärztlichen Vergütungssystem beteiligten Gremien erst angenommen wird, wenn verlässlich feststeht, dass Leistungsverlagerungen oder Honorarverwerfungen nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft eingetreten sind (zusammenfassend <für den Fall von Leistungsverlagerungen im Laborbereich>: BSG, Urteil vom 30. November 2016 - B 6 KA 4/16 R, SozR 4-2500 § 87b Nr 10, mwN). Wenn insoweit verlässliche Informationen vorliegen, ist der KBV zudem eine angemessene Reaktionszeit einzuräumen (vgl zu derartigen Reaktionszeiträumen: BSG, Urteil vom 15. Mai 2002 - B 6 KA 33/01 R, SozR 3-2500 § 87 Nr 34; Urteil vom 9. Mai 2012 - B 6 KA 24/11 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 70), um im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums und unter Ausgleich evtl gegenläufiger Interessen der betroffenen Arztgruppen zu einer geänderten Entscheidung zu gelangen und das gemäß § 87b Abs 4 S 1 SGB V erforderliche Einvernehmen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen herzustellen.

 

(2) Valide Indikatoren dazu, welche Leistungsverlagerungen zwischen hausärztlichem und fachärztlichem Versorgungsbereich es im Bereich des Grundbetrags „Labor“ gegeben hat, haben im 4. Quartal 2015 aber noch nicht vorgelegen. Dabei ist zu betonen, dass es der KBV im Rahmen ihrer gemeinsam mit den Krankenkassen zu tragenden Gesamtverantwortung für das vertragsärztliche Vergütungssystem freisteht, auf Leistungsverlagerungen nicht nur mit punktuellen Änderungen - etwa in Gestalt der hier von den Hausärzten geltend gemachten Veränderung der Unterschussfinanzierung - zu reagieren, sondern die damit in Verbindung stehende Problematik von Leistungsausweitungen und ihre Ursachen umfassend in den Blick zu nehmen und dabei auch zu untersuchen, ob ggf an mehreren Stellschrauben des Vergütungssystems Veränderungen vorgenommen werden. In dieser Weise hat die Beigeladene letztlich auf die Problematik des übermäßig steigenden Leistungsbedarfs im Laborbereich auch reagiert, indem sie im Dezember 2016 ein umfassendes Konzept zur Weiterentwicklung der Laborvergütung beschlossen hat. Dieses umfasst nicht nur eine Veränderung der vorliegend umstrittenen Nachschusspflicht - nunmehr ausgerichtet am jeweiligen Anteil des haus- bzw fachärztlichen Versorgungsbereichs am Vergütungsvolumen des Grundbetrags „Labor“ des jeweiligen Abrechnungsquartals -, sondern auch eine Reduzierung des Umfangs dieses Grundbetrags und eine Neuregelung der veranlasserbezogenen Steuerung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen durch Änderungen in den KBV-Vorgaben zur Honorarverteilung und im EBM (vgl die Information der KBV 253/2017 vom 29. November 2017, von der Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt). Entsprechende Regelungen sind zum 2. Quartal 2018 in Kraft getreten (vgl insbesondere die neue Nachschussregelung in Teil B Nr 7.1 der Vorgaben der KBV in der zuletzt mit Beschluss vom 15. März 2018 geänderten Fassung), nachdem es zu Verzögerungen gekommen war, weil der Berufsverband der Laborärzte (BdL) dagegen opponiert und hierzu eine eigene Studie vorgelegt hatte (vgl die Stellungnahme des BdL, auszugsweise abgedruckt in dessen Website unter https://www.bdlev.de/seite/428648/laborreform-2018.html).

 

Die zur Diskussion eines solchen Änderungskonzepts erforderlichen umfassenden Erkenntnisse haben aber im Quartal IV/2015 noch nicht vorgelegen. Vielmehr ist unter Nr 1. der Anmerkungen zum Teil B Nr 7 der KBV-Vorgaben in der 1. Oktober 2015 geltenden Fassung festgehalten, dass „zum jetzigen Zeitpunkt … keine wissenschaftlich evaluierten Indikatoren zur Berücksichtigung von Leistungsverlagerungen zwischen dem haus- und fachärztlichem Versorgungsbereich bekannt“ sind. Dementsprechend war auch die Bundesregierung im Februar 2015 bei der Begründung des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V noch davon ausgegangen, dass valide Indikatoren zur Berücksichtigung von Leistungsverlagerungen zwischen dem haus- und fachärztlichem Versorgungsbereich noch nicht bekannt sind und eine entsprechende Problematik bei Laborleistungen (und psychotherapeutischen Leistungen) „konkret diskutiert“ wird (BT-Drs aaO). Soweit die Klägerin allein auf die vorliegenden Berechnungen der KBV zur Entwicklung des hausärztlichen bzw fachärztlichen Honoraranteils am Grundbetrag „Labor“ in den Quartalen IV/2013 bis IV/2014 (bzw II/2015) verweist, ist dies nicht ausreichend, weil diese nur einen Ausschnitt der von der KBV in Angriff genommenen Gesamtproblematik des Leistungsmengenzuwachses im Laborbereich betreffen.

 

(3) Der Einräumung einer Reaktionszeit kann auch nicht (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 - B 6 KA 28/11 R, SozR 4-2500 § 87 Nr 26) entgegen gehalten werden, auf eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht komme es nicht an, weil die Anwendung eines die Leistungsmengendynamik nicht berücksichtigenden Trennungsfaktors der Systematik einer Trennung der Gesamtvergütung in einen haus- und einen fachärztlichen Versorgungsanteil widerspreche. Denn die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors durch die KBV ist nicht von vornherein systemfremd, sondern entspricht den bei der Trennung der Gesamtvergütung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Teil langjährig geltenden Grundsätzen (vgl hierzu § 85 Abs 4a S 2 SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999 <BGBl I 2626> und den entsprechenden Beschluss des BewA vom 16. Februar 2000 <DÄ 2000, A-555>). In diesem Zusammenhang wird zu Recht auch darauf hingewiesen, dass die Anwendung dieses allgemeinen Trennungsfaktors für die anteilige Finanzierung des Unterschusses mathematisch gesehen zu keinem anderen Ergebnis führt, als wenn wegen der Unterfinanzierung zunächst der Grundbetrag „Labor“ erhöht und in einem zweiten Schritt die verbleibende Gesamtvergütung auf beide Versorgungsbereiche nach dem allgemeinen Trennungsfaktor aufgeteilt werden würde (so auch SG Berlin, Urteil vom 25. September 2019 - S 83 KA 206/17, juris). Erst nachdem der Gesetzgeber mit § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V das Augenmerk darauf gerichtet hat, dass bei der Trennung der Gesamtvergütung Leistungsverlagerungen auch innerhalb einzelner Teilkontingente nicht mehr hinzunehmen sein sollen, ist es deshalb erforderlich gewesen, entsprechende Beobachtungen zum Grundbetrag „Labor“ anzustellen und ggf Anpassungen des bisherigen Trennungsverfahrens vorzunehmen. Dabei geht § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V gerade nicht davon aus, dass derartige Anpassungen in jedem Fall zwingend vorzusehen sind; die Vorschrift räumt der KBV für atypische Konstellationen vielmehr gerade einen Gestaltungsspielraum ein. Dies kommt in der Formulierung des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V als Soll-Vorschrift zum Ausdruck (vgl zu dieser Auslegung einer Soll-Vorschrift: BSG, Urteil vom 3. Dezember 1997 - 6 RKa 64/96, SozR 3-2500 § 101 Nr 2). Auch die Beurteilung, ob ein atypischer Sachverhalt vorliegt, kann aber nur auf der Grundlage belastbarer Daten über das Leistungsverhalten im betroffenen Versorgungsbereich erfolgen, deren Gewinnung und Auswertung mehrere Quartale in Anspruch nimmt.

 

c) Auch aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 Grundgesetz <GG>) lässt sich nicht ableiten, dass der Honorarbescheid der Beklagten für das Quartal IV/2015 aus den von der Klägerin geltend gemachten Gründen rechtswidrig ist. Dabei kann offen bleiben, ob dieser Grundsatz im vorliegenden Fall nicht ohnehin durch die spezialgesetzliche Regelung des § 87b Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB V verdrängt wird. Denn auch aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit würde sich für den Fall, dass die Anwendung des allgemeinen Trennungsfaktors wegen der Möglichkeit inzwischen eingetretener Leistungsverlagerungen im Laborbereich nicht mehr rechtmäßig sein könnte, ergeben, dass insoweit zunächst eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht des Normgebers einzuhalten ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 3. März 1999 - B 6 KA 8/98 R, SozR 3-2500 § 85 Nr 30; Urteil vom 20. Oktober 2004 - B 6 KA 30/03 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 12).

 

C) Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm §§ 154 Abs 2 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zugelassen. Die für das hier streitbefangene Quartal IV/2015 bestehende Rechtslage ist zwar durch die inzwischen zum 2. Quartal 2018 eingetretenen Änderungen überholt. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, dass in ihrem Zuständigkeitsbereich noch mehrere Hundert vergleichbare Widerspruchsverfahren anhängig sind, war eine Klärungsbedürftigkeit aber gleichwohl zu bejahen.

 

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus der Anwendung des § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei geht der Senat von der Berechnung der Beklagten (im Schriftsatz vom 16. April 2019) aus, gegen die keiner der übrigen Beteiligten Einwände erhoben hat.

Rechtskraft
Aus
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