Die Erstattungsvorschrift des § 145 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist trotz der Verweisungen in §§ 93 Abs. 3 und 156 Abs. 2 Satz 2 SGB III nicht auf die Bewilligung von Gründungszuschuss anwendbar.
Der Bescheid vom 22.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2020 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Gründungszuschuss nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für den Zeitraum 01.06.2019 bis 30.11.2019 und eine daraus folgende Erstattungsforderung in Höhe von 11.971,80 Euro.
Der 1962 geborene, zum damaligen Zeitpunkt arbeitslose Kläger stellte bei der Beklagten am 11.03.2019 einen Antrag auf Gewährung von Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als technischer Zeichner. Mit Bescheid vom 12.06.2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin Gründungszuschuss für die Zeit vom 01.06.2019 bis 30.11.2019 in Höhe von monatlich 1.995,30 Euro.
Im März 2020 wurde der Beklagten bekannt, dass dem Kläger auf dessen Antrag vom 10.09.2018 durch Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 24.02.2020 rückwirkend ab dem 01.11.2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.10.2021 bewilligt wurde. Die laufende Zahlung der Rente wurde zum 01.04.2020 aufgenommen. Eine sich für den Zeitraum 01.11.2018 bis 31.03.2020 ergebende Nachzahlung in Höhe von 14.349,82 Euro wurde mittlerweile vollständig an den Kläger geleistet.
Ohne vorherige Anhörung hob die Beklagte die Bewilligung von Gründungszuschuss sodann mit streitbefangenem Bescheid vom 22.04.2020 auf und teilte dem Kläger mit, dass er Leistungen in Höhe von 11.971,80 Euro zu erstatten habe. Zur Begründung wurde unter Angabe von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als Ermächtigungsgrundlage ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, so dass Gründungszuschuss nicht gezahlt werden durfte. Den hiergegen mit Schreiben vom 23.04.2020 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid unter nunmehriger Heranziehung von § 45 SGB X als Ermächtigungsgrundlage vom 30.04.2020 zurück.
Mit Schreiben vom 29.05.2020, eingegangen beim Gericht am 02.06.2020, hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben.
Er trägt vor, ihm sei zum Zeitpunkt der Beantragung und des Bezugs des Gründungszuschusses überhaupt nicht bekannt gewesen, dass er rückwirkend ab dem 01.11.2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhalten würde. Beantragt habe er im September 2018 lediglich eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie geht von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aus. Die Erstattung könne vorliegend auf § 145 Abs. 3 S. 2 SGB III gestützt werden, der über § 156 Abs. 2 S. 2 SGB III Anwendung finde.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der angegriffene Bescheid vom 22.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte war nicht berechtigt, die bestandskräftige Entscheidung vom 12.06.2019 über die Bewilligung von Gründungszuschuss für den Zeitraum 01.06.2019 bis 30.11.2019 aufzuheben und eine entsprechende Erstattung geltend zu machen.
Eine - auch im Falle der Bewilligung von Gründungszuschuss grundsätzlich in Betracht kommende (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 29.11.2018 - L 9 AL 260/17; LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 14.07.2017 - L 3 AL 22/14) - Aufhebung der Bewilligungsentscheidung nach § 48 SGB X, wie sie im Bescheid vom 22.04.2020 verfügt wurde, bzw. nach der Vorschrift des § 45 SGB X, die im Widerspruchsbescheid vom 30.04.2020 herangezogen wurde, scheitert an der fehlenden Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bewilligungsbescheides vom 12.06.2019. Der Kläger hatte im Zeitraum 01.06.2019 bis 30.11.2019 einen Anspruch auf Gründungszuschuss nach den §§ 93 f. SGB III. Dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Bewilligung von Gründungszuschuss nach § 93 Abs. 1 SGB III zum Zeitpunkt der Antragstellung dem Grunde nach erfüllt waren, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Der Anspruch auf Gründungszuschuss im streitgegenständlichen Zeitraum war vorliegend auch nicht gem. § 93 Abs. 3 SGB III ausgeschlossen. Danach wird Gründungszuschuss nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 156 bis 159 vorliegen oder vorgelegen hätten. Nach § 156 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld unter anderem während der Zeit, für die ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. In diesen Fällen ruht der Anspruch allerdings erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an (§ 156 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III), d.h. hier ab dem 01.04.2020. Im streitgegenständlichen Zeitraum (01.06.2019 bis 30.11.2019) fanden allerdings noch keine laufenden Rentenzahlungen statt, so dass der Anspruch auf Gründungszuschuss nicht nach §§ 93 Abs. 3, 156 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB III ausgeschlossen und der bestandskräftige Bewilligungsbescheid vom 12.06.2019 somit nicht rechtswidrig war. Die im angegriffenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides verfügte Aufhebung der Bewilligungsentscheidung kommt somit von vornherein nicht in Betracht.
Aber auch die gegenüber dem Kläger geltend gemachte Erstattungsforderung in Höhe von 11.971,80 Euro ist unbegründet. Sie kann insbesondere nicht auf § 145 Abs. 3 S. 2 SGB III, der über § 93 Abs. 3 und § 156 Abs. 2 S. 2 SGB III entsprechende Anwendung findet, gestützt werden. Danach hat der Empfänger des Arbeitslosengeldes dieses insoweit zu erstatten, wenn der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen nach § 145 Abs. 3 S. 1 SGB III - d.h. unter anderem eine Rente wegen Erwerbsminderung - mit befreiender Wirkung an die leistungsgeminderte Person oder einen Dritten gezahlt hat. Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat die dem Kläger zustehende und auch den streitgegenständlichen Zeitraum betreffende Nachzahlung in Höhe von 14.349,82 Euro an diesen vollständig gezahlt.
Allerdings ist die Vorschrift des § 145 Abs. 3 S. 2 SGB III nach Auffassung der Kammer nicht auf die Bewilligung von Gründungszuschuss anwendbar. Nach dem klaren Wortlaut beschränkt sich der Anwendungsbereich auf die Erstattung von Arbeitslosengeld nach den §§ 136 ff. SGB III. Diese im Vierten Kapitel („Arbeitslosengeld und Insolvenzgeld“) des SGB III genannte Entgeltersatzleistung unterscheidet sich in ihrem Sinn und Zweck maßgebend von dem im Dritten Kapitel („Aktive Arbeitsförderung“) geregelten und damit als Förderungsleistung ausgestalteten Gründungszuschuss nach den §§ 93 f. SGB III. Der Gründungszuschuss soll eine gezielte Förderung erreichen und die Nachhaltigkeit von Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit stärken (BT-Drs. 16/1696, S. 31). Ziel der Leistung ist es, Arbeitslosigkeit durch Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu beenden (Kuhnke, in: jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 93 Rn. 20). Demgegenüber stellt das Arbeitslosengeld als Entgeltersatzleistung eine klassische Versicherungsleistung dar, die den durch den Eintritt der Arbeitslosigkeit eingetretenen Einkommensverlust ausgleichen soll (Janda, in: jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 3 Rn. 28). Diese grundlegende Unterscheidung manifestiert sich zudem im gesetzlich geregelten Vorrang der aktiven Arbeitsförderung (§ 5 SGB III) und dem besonderen Verhältnis der Leistungen aktiver Arbeitsförderung zu anderen Leistungen (§ 22 SGB III). Ein weiterer maßgeblicher Unterschied liegt darin, dass der Gründungszuschuss anders als das Arbeitslosengeld eine Ermessensleistung darstellt (§ 3 Abs. 3 SGB III). Aufgrund der sich hieraus ergebenden fehlenden hinreichenden Vergleichbarkeit der Leistungen hat die Kammer keinen Anlass, eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen und die von der Beklagten vorgenommene - in der Eingriffsverwaltung nur in Ausnahmefällen angezeigte - entsprechende Anwendung zu rechtfertigen.
Andere Rechtsgrundlagen für eine gegenüber dem Kläger geltend zu machenden Erstattungsforderung sind nicht erkennbar, so dass der Klage im Ergebnis vollumfänglich stattzugeben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.