L 3 U 56/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 484/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 56/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
2. Arbeitsrechtlich gilt heute der Grundsatz, dass das Dienstverhältnis eines GmbH-Geschäftsführers regelmäßig kein Arbeitsverhältnis ist.
3. Aus dem Tatbestandsmerkmal insbesondere in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ergibt sich, dass ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auch dann bestehen kann, wenn kein Arbeitsverhältnis gegeben ist, jedoch eine Beschäftigung im Rahmen einer sonstigen nichtselbstständigen Tätigkeit ausgeübt wird. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se Kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 vH der Anteile am Stammkapital hält oder ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ( echte oder qualifizierte ), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist die Frage der Versicherungspflicht des Klägers als Geschäftsführer der K GmbH & Co. KG bzw. der K Verwaltungs-GmbH in der gesetzlichen Unfallversicherung im Zeitraum vom 31.08.2018 bis 24.02.2021 streitig.

Anlässlich einer Gewerbeanmeldung des Klägers vom 16.11.2017, einer K UG, nahm die Beklagte die Prüfung der Versicherungspflicht des Klägers sowie der Beigeladenen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) auf. Im Beiblatt sind D und F, die Beigeladenen zu 1 und 2, als weitere Gesellschafter aufgeführt. In der Betriebsbeschreibung wurde eingetragen, dass die Gesellschafter auch die Geschäftsführer seien. Am 13.12.2017 erging gegenüber der K UG ein Veranlagungsbescheid, wonach ab 01.01.2018 bezüglich der Fliesenlegerarbeiten eine Gefahrklasse von 6,89 und bezüglich des Büroteils des Unternehmens eine Gefahrklasse von 0,47 aufgenommen war. Am 09.02.2018 stellte die Deutsche Rentenversicherung gegenüber der K UG bezüglich der geschäftsführenden Gesellschafter die allgemeine Sozialversicherungspflicht aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses fest.

Zum 03.08.2018 erfolgte im Handelsregister Blatt 2..... des Amtsgerichts D die Neueintragung der Geschäftsführer bezüglich der K Verwaltungs-UG mit Sitz in W. Danach waren der Kläger sowie die Beigeladenen zu 1 und 2 bezüglich eines Nennbetrags des Geschäftsanteils von jeweils 500 €, eines prozentualen Geschäftsanteils von 33 1/3 %, an der K Verwaltungs-UG beteiligt und als Gesellschafter eingetragen. Mit notarieller Urkunde des Notars B in W (Urkundenrolle-Nr. 1.../2018) vom 14.08.2018 wurde der Formwechsel der K UG (haftungsbeschränkt) in eine GmbH & Co. KG bei Einbringung von Geschäftsanteilen beurkundet. Komplementärin ist die K Verwaltungs UG. Im Einzelnen wird auf die Urkunde Bezug genommen. Kommanditisten der Gesellschaft waren der Kläger sowie die Beigeladenen. In der Anlage 1 zur Urkunde des Notars B (Urkundenrollen-Nr. 1.../2018) waren ebenfalls die Kommanditisten, der Kläger sowie die Beigeladenen mit einem jeweiligen Kommanditanteil von 500 € aufgenommen.

Auszugsweise waren folgende Regelungen enthalten:

"... § 7 Geschäftsführung und Vertretung
1. Zur Geschäftsführung und Vertretung ist allein die Komplementär-GmbH berechtigt und verpflichtet; mehrere persönlich haftende Gesellschafter vertreten einzeln. Die Komplementär-GmbH kann im Rahmen der Geschäftsführungsbefugnis alle Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb mit sich bringt und die zur Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderlich erscheinen, insbesondere auch Prokuristen bestellen und abberufen sowie Handlungsvollmachten erteilen und diese widerrufen. ...

5. Hinsichtlich der Geschäftsanteile an der Komplementärin, die der Gesellschaft gehören, sind statt der Komplementärin die Kommanditisten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen geschäftsführungsbefugt.
a) Im Rahmen der Geschäftsführungsbefugnis ist jeder Kommanditist einzelnen zur Vertretung der Gesellschaft bevollmächtigt; die Vollmacht kann nur aus wichtigem Grund widerrufen werden. Die Komplementärin verpflichtet sich, insoweit von ihrer Vertretungsbefugnis nur nach Weisung der Kommanditisten Gebrauch zu machen.
b) Die Kommanditisten üben ihre Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis in der Weise aus, dass sie über die zu treffende Maßnahme Beschluss fassen und anschließend der von ihnen bestimmte Kommanditist die beschlossene Maßnahme namens der Gesellschaft unter Wahrung der vorgeschriebenen Form ausführt.
c) Die Beschlüsse der Kommanditisten werden in Kommanditistenversammlungen am Sitz der Gesellschaft gefasst, falls nicht alle Kommanditisten mit einer Beschlussfassung in anderer Form oder an einem anderen Ort einverstanden sind. ...
d) Beschlüsse der Kommanditisten, die Verfügungen über Geschäftsanteile an der Komplementärin, die Änderung ihres Gesellschaftsvertrages oder ihre Auflösung zum Gegenstand haben, bedürfen der Einstimmigkeit, sonstige Beschlüsse der Mehrheit der Stimmen aller stimmberechtigten Kommanditisten. ...

 § 8 Gesselschafterversammlung
1. Die Gesellschafterversammlung beschließt insbesondere über
a) den Jahresinvestitions-, Umsatz- und Finanzplan,
b) den Jahresabschluss und die Gewinnverwendung
c) die Entlastung der Komplementär-GmbH,
d) die Wahl eines vorgeschriebenen Abschlussprüfers,
e) Änderung des Gesellschaftsvertrages,
f) (entfällt),
g) die Ausschließung von Gesellschaftern,
h) die Auflösung bzw. Fortsetzung der Gesellschaft sowie alle Angelegenheiten, die bei einer Aktiengesellschaft unter § 179 a AktG fallen,
i) alle Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen; als solche sind anzusehen:
-der Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen an anderen Unternehmen;
-die Errichtung und Auflösung von Zweigniederlassungen;
-die konkreten Modalitäten des Erwerbs des Betriebsgrundstücks im Gewerbegebiet A in der Gemarkung H sowie der Erwerb, die Veräußerung und die Belastung von sonstigen Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten;
-die Vornahme von Investitionen, die Aufnahme von Krediten und sonstigen Verbindlichkeiten, soweit diese im Jahresinvestitions- und Finanzplan nicht gedeckt sind;
-die Aufnahme neuer und die Aufgabe vorhandener Geschäftszweige und Tätigkeitsgebiete,
j) alle Maßnahmen der Gesellschaft gegenüber einzelnen Gesellschaftern, insbesondere auch gegenüber der Komplementär-GmbH und ihren Geschäftsführern, soweit hierfür nicht die Kommanditistenversammlung zuständig ist,
k) sonstige Maßnahmen, wenn die Komplementärin oder Gesellschafter mit wenigstens 10 % des Kommanditkapitals dies beantragen. ...
7. Die Gesellschafterversammlung beschließt, sofern der Gesellschaftsvertrag oder zwingende gesetzliche Bestimmungen nicht ein anderes vorsehen, mit der Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen. Insbesondere genügt eine solche Mehrheit für Beschlüsse über:
a) Die in Abs. 1 lit. a-c, d, i und k aufgeführten Beschlussgegenstände.
b) Die Feststellung des Jahresabschlusses.

8. Einer Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen bedarf die Beschlussfassung über:
a) Die in Abs. 1 lit. e-h und j aufgeführten Beschlussgegenstände, soweit nicht gesetzlich zwingend oder in diesem Vertrag etwas anderes bestimmt ist.
b) Eine von den in § 14 festgelegten Grundsätzen abweichende Gewinnverwendung.
c) Die Umwandlung der Gesellschaft in eine oder mehrere Kapital- oder/und Personengesellschaften beliebiger Rechtsform durch Verschmelzung, Spaltung oder Formwechsel mit der Maßgabe, dass die Beteiligung der Gesellschafter an dem/den übernehmenden Rechtsträger(n) ihren Kapitalanteil an der Gesellschaft zu entsprechen hat und die Satzung des bzw. der übernehmenden Rechtsträger, soweit gesetzlich möglich, mit diesem Gesellschaftsvertrag in den wesentlichen Punkten vergleichbar ist.
..."

Mit Bescheid vom 24.09.2018 wurde gegenüber dem Kläger festgestellt, dass er in der K-UG und Co. KG als Arbeitnehmer tätig sei und ab 31.08.2018 zu dem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Kreis von Personen gehöre. Hiergegen erhoben der Kläger, wie auch die Beigeladenen, bezüglich ähnlicher Bescheide am 05.10.2018 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.2020 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.09.2018 zurückgewiesen. Auch hierauf wird Bezug genommen. Hiergegen erhob der Kläger bzw. die Beigeladenen Klage zum Sozialgericht München. Im Einzelnen hat die Bevollmächtigte zusammenfassend vorgetragen, der Kläger sei Geschäftsführer der K-Verwaltungs-UG. Er sei einzelvertretungsberechtigt mit der Befugnis, im Namen der Gesellschaft Rechtsgeschäfte abzuschließen. Der Kläger sei ferner Geschäftsführer der UG und Gesellschafter der K-UG und Co. KG. Er sei Gesellschafter und Stimmrechtsinhaber mit einem Geschäftsanteil von 33 1/3 % des Stammkapitals. Er sei einzelvertretungsberechtigt. Der Kläger habe gegenüber der Beklagten vorgetragen, woraus sich seine persönliche Unabhängigkeit und selbstständige Tätigkeit ergebe. Ferner weise er darauf hin, dass er in seiner Krankenversicherung als versicherter Unternehmer geführt werde und er seine Tätigkeit auch nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausübe. Entgegen der Meinung der Beklagten sei die Unfallversicherungspflicht des Klägers in der Berufsgenossenschaft für ihn als UG-Gesellschafter-Geschäftsführer mit Minderheits-Beteiligung nicht gegeben. Nach jüngster Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können Gesellschafter-Geschäftsführer mit Minderheitsbeteiligung unter 50 % von der gesetzlichen Unfallversicherungspflicht sehr wohl befreit werden, wenn nach dem Gesamtbild des Beschäftigungsverhältnisses der Gesellschafter-Geschäftsführer von der Gesellschaft persönlich unabhängig sei. Die persönliche Unabhängigkeit ergebe sich aus dem Gesellschafts- sowie dem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag. Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Mit Gerichtsbescheid vom 18.01.2021 hat das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.2020 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 01.03.2021 Berufung erhoben.

Zusammenfassend hat die Bevollmächtigte nochmals die bereits im Widerspruchs- und Klageverfahren vorgetragenen Argumente wiederholt. Der Kläger sei Gesellschafter/Kommanditist und übe insoweit das Weisungsrecht selber aus. Regelmäßig stimme sich zu Wochenbeginn montags der Kläger mit seinen beiden Mitgesellschaftern/Kommanditisten hinsichtlich der Wochenplanung ab. Es bedürfe hier lediglich der gegenseitigen Information über die jeweilige Tagesplanung bezüglich der übernommenen anstehenden eigenständigen Bereiche der Büroarbeit und Baustellenorganisation sowie Baustellenarbeit. So seien sowohl der Kläger als auch die weiteren Gesellschafter/Kommanditisten für Kunden Ansprechpartner im Unternehmen, mit denen Preise vereinbart und Fragen zu Objekten besprochen werden. Diese Tätigkeit der jeweiligen Gesellschafter/Kommanditisten sei allein eigenverantwortlich. Dies bedeute, dass Ansprechpartner im Unternehmen sowohl für Kunden als auch für die angestellten Mitarbeiter auch der Kläger sei, der eigenverantwortlich im Umfang seiner Tätigkeit Angebotserstellung, Korrespondenz, Abrechnung, Einkauf, Buchhaltung und Lohnbuchhaltung für 2 Gesellen und 3 Auszubildende erledige und auf Baustellen arbeite, wenn dies zur Vertragserfüllung notwendig sei.

Mit Bescheid vom 12.06.2019 stellte die Deutsche Rentenversicherung gegenüber dem Kläger fest, dass die seit 01.09.2018 ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Einzelhändler mit Fliesen und Platten nicht zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung führe. In der Anlage hat die Bevollmächtigte auch das Protokoll über die Gesellschafterversammlung vom 06.08.2021 übersandt. Darin wurde eine Ergänzung zur Beschlussfassung vom 24.02.2021 aufgenommen: "Der Beschluss vom 24.02.2021 wird dahingehend ergänzt, dass die Gesellschafter mit der Statusfeststellung der Deutsche Rentenversicherung-Bund (DRV) vom 12.06.2019 für den Gesellschafter M von dieser Statusfeststellung der Selbstständigkeit auch für die weiteren Gesellschafter D und F ausgegangen sind und ab diesem Zeitpunkt 12.06.2019 Entscheidungen und Beschlüsse nur einstimmig getroffen haben."
Gleichzeitig hat die Bevollmächtigte das Protokoll über die Gesellschafterversammlung vom 24.02.2021 übersandt. Danach sei die Beschlussfassung von 2/3 Mehrheit auf 75 % abgeändert worden und ab dem 24.02.2021 eine Mehrheit von 75 % der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Mit Schreiben vom 29.07.2021 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass mit Wirkung ab 24.02.2021 der Kläger wie auch die Beigeladenen als Gesellschafter innerhalb des Unternehmens im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des BSG nunmehr maßgeblich Einfluss ausüben können und dies durch Bescheid vom 26.03.2021 mit Wirkung zum 24.02.2021 auch entsprechend festgestellt worden sei. Bis 24.02.2021 sei jedoch ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII anzunehmen. Bis 24.02.2021 habe nicht eine ausreichende Rechtsmacht des Klägers bestanden.

Mit Schreiben vom 19.01.2022 hat die Bevollmächtigte weiter vorgetragen, soweit die gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern mit einer Beschlussfassung von 2/3 Mehrheit ausgehen und dies von der gelebten Praxis der einstimmigen Abstimmung der Gesellschafter abweiche, so sei zugunsten der Gesellschafter und damit des Klägers zu unterstellen, dass die Auslegung der vertraglichen Bestimmungen des Gesellschaftervertrages einen Willen zur Vereinbarung einer selbstständigen Tätigkeit ergebe. Bei - wie vorliegend - Divergenzen zwischen der Vertragsdurchführung und dem Gesellschaftsvertrag, gehe die gelebte Praxis der formellen Vereinbarung grundsätzlich vor (BSG Urteil vom 29.01.1981 - 12 RK 73/79; BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R - juris Rn. 28). Die gesetzliche Anordnung der Zwangsmitgliedschaft in der Beklagten sei ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Das BSG habe in seinen Entscheidungen unter anderem zum Honorararzt Kriterien entwickelt, die Abgrenzungskriterien zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit herausarbeiten. Danach setze eine Beschäftigung voraus, dass eine persönliche Abhängigkeit bestehe. Hierzu gehöre nicht eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Der Kläger stelle für seine selbstständige Tätigkeit auf das eigene Unternehmerrisiko ab. Das Unternehmerrisiko werde insoweit durch eigenes Kapital und der Gefahr des Verlustes getragen. Auch wenn die Rechtsprechung des BSG eigene Maßstäbe anlege, die von den Maßstäben der Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit abweichen, so könne es nicht sein, dass hier innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit unterschiedliche Bewertungen erfolgen: Nach der vorgelegten Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status sei für den Kläger mit Bescheid vom 12.06.2019 der DRV festgestellt, dass in seiner Tätigkeit keine Versicherungspflicht bestehe und dass diese seit dem 30.08.2018 nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt werde. Das Sozialgericht habe alleine auf die 2/3 Mehrheit abgestellt. Dies weiche sowohl von der Rechtsprechung des BFH wie auch von den Feststellungen der Deutschen Rentenversicherung im Verfahren nach § 7a SGB IV ab. Eine solche Statusfeststellung könne nur die Entscheidung über diese Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung sein. Allein das Vorliegen einzelner Indizien könne nicht ausreichen, um eine Selbstständigkeit festzustellen. Es könne damit auch nicht ausreichen, um eine Selbstständigkeit abzulehnen.

Mit Schreiben vom 25.02.2022 hat der Bevollmächtigte der Beklagten darauf hingewiesen, dass mit dem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 12.06.2019 kein Vertrauensschutz bezüglich des unfallversicherungsrechtlichen Status geschaffen werde. So habe das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 21.02.2013 (Az.: L 10 U 5019/11) bereits darauf hingewiesen, dass die versicherungsrechtliche Beurteilung des Unfallversicherungsträgers im Grundsatz unabhängig von derjenigen der Deutschen Rentenversicherung sei.

Mit weiterem Schreiben vom 19.04.2022 hat die Bevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, dass die Selbstständigkeit des Klägers als Geschäftsführer der Komplementärin der GmbH & Co. KG aus seiner Kommanditistenstellung gegeben sei. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass der Kläger in seiner Funktion als Geschäftsführer der GmbH selbstständig sei, als Kommanditist mit Sperrminorität Einfluss nehmen könne und darüber hinaus auch das Unternehmerrisiko trage. Im Übrigen bestehe eine Sperrminorität durch die geschaffene 75-%-Regelung. Hiervon unabhängig sei nach der Rechtsprechung des BSG nach der sogenannten "Kopf und Seele"-Rechtsprechung auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. In einem Erörterungstermin vom 22.08.2022 wurden die Fragen weitgehend diskutiert.

Im Erörterungstermin vom 22.08.2022 hat der Kläger beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.01.2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, festzustellen, dass der Kläger im Zeitraum vom 31.08.2018 bis 24.02.2021 nicht der Versicherungspflicht in der BG Bau unterliegt.

2. Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.

Die Beklagte hat im Wesentlichen auf die streitgegenständlichen Bescheide und auf die Ausführungen im sozialgerichtlichen Verfahren verwiesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 11.05.2022 die Mitgesellschafter gemäß § 71 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und mit Beschluss vom 29.08.2022 die K Verwaltung UG nach § 75 Abs. 2 SGG beigeladen. Ferner hat der Senat die Akten des sozialgerichtlichen Verfahrens der Beigeladenen vor dem Sozialgericht München (S 9 U 484/20 und S 9 U 486/20) sowie die Berufungsakte des Beigeladenen D (L 2 U 54/21) beigezogen. Auch deren Inhalt war Gegenstand der Beratungen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 18.01.2021 ist unbegründet. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten (Kläger, Beklagte, Beigeladene zu 1 und 2) im Erörterungstermin vom 22.08.2022 und die Beigeladene zu 3 mit Schreiben vom 24.10.2022 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2020, soweit darin eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung für den Zeitraum vom 31.08.2018 bis einschließlich 23.02.2021 festgestellt wird. Durch nicht streitgegenständlichem Bescheid der Beklagten vom 26.03.2021 wurde mit Wirkung zum 24.02.2021 durch die Beklagte die Versicherungsfreiheit ab diesem Tag festgestellt. Der Senat legt daher den Antrag des Klägers gemäß dessen wirklichen Willen nach § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog dahingehend aus, dass nur über eine Versicherungspflicht bis einschließlich 23.02.2021 zu entscheiden ist.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung sind erfüllt, da insbesondere die Voraussetzungen der §§ 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beachtet worden.

Die Klage ist auch gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG in der Gestalt einer Feststellungsklage statthaft. Die Frage der Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG.

Der Kläger unterliegt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter im Sinne von § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) der Versicherungspflicht im Sinne des SGB VII. Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken bestehen gegen eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht (z.B. Zwangsmitgliedschaft von Taxiunternehmern BVerfG Beschluss vom 30.07.1985 - 1 BvR 282/85; EuGH, Urteil vom 05.03.2009, C-350/07, Celex-Nr. 62007CJ0350). Konkrete Verfassungsverstöße hat die Klägerbevollmächtigte nicht konkret vorgetragen.

Die Bescheide der Beklagten vom 24.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2019 sind rechtmäßig, soweit sie den Zeitraum bis 23.02.2022 betreffen und verletzen nicht den Kläger in seinen Rechten. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII verwendet den Begriff des "Beschäftigten". In § 7 SGB IV wird dieser Begriff für alle Bereiche der Sozialversicherung definiert. Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Arbeitsrechtlich gilt heute der Grundsatz, dass das Dienstverhältnis eines GmbH-Geschäftsführers regelmäßig kein Arbeitsverhältnis ist (stellvertretend BAG Beschluss vom 21.01.2019-9 AZB 23/18, NZA 2019,4 190,493). Sein Dienstvertrag ist regelmäßig auf eine Geschäftsbesorgung durch Ausübung des Geschäftsführungsamts gerichtet. Soweit in den streitgegenständlichen Bescheiden in der Begründung von einem Arbeitsverhältnis gesprochen wird, ist dies fehlerhaft, da ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts nicht gegeben ist. Dies hat jedoch keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung in den streitgegenständlichen Bescheiden.

Sozialrechtlich liegt ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV vor. Aus dem Tatbestandsmerkmal "insbesondere" in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ergibt sich, dass ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auch dann bestehen kann, wenn kein Arbeitsverhältnis gegeben ist, jedoch eine Beschäftigung im Rahmen einer sonstigen nichtselbstständigen Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. Klopstock in Kainz, Praxiskommentar Beschäftigung und selbstständige Tätigkeit, § 7, Rn. 66). Beschäftigungsverhältnisse in juristischen Personen können arbeits- und sozialversicherungsrechtlich unterschiedlich eingestuft werden. Daher muss auch dann, wenn kein Arbeitsverhältnis vorliegt, geprüft werden, ob nicht ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinn besteht. Anhaltspunkte für die Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der laufenden Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung persönliche Abhängigkeit voraus. Nach der aktuellen Entscheidung des BSG vom 01.02.2022, Az. B 12 KR 37/19 R ist dies bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Fall, "wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Tätigkeit prägen, und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die hierzu für die Statusbeurteilung vom BSG entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl. BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 42, RdNr. 14 f) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 29.6.2021 - B 12 R 8/19 R - juris RdNr. 12; BSG Urteil vom 23.2.2021 - B 12 R 18/18 R - juris RdNr. 14; BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 49 RdNr. 16; BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 KR 30/19 R - BSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 47, RdNr. 15)."

Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit (ebenso für den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff EuGH Urteil vom 11.11.2020 - C-232/09 - Slg 2010, I-11405 Danosa - juris; EuGH Urteil vom 9.7.2015 - C-229/14 - NJW 2015, 2481 Balkaya; EuGH Urteil vom 10.9.2015 - C-47/14 - ABl EU 2015, Nr C 363, 8 (Leitsatz) - juris (Holterman Ferho); BGH Urteil vom 26.3.2019 - II ZR 244/17 - BGHZ 221, 325 RdNr. 20 ff). Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se Kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Minderheitsgeschäftsführer wie der Kläger ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (vgl § 37 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (stRspr vgl. stellvertretend BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R, BeckRS 2022, 1591 Rn. 12, 13, BAYERN.RECHT; mwN)".

Zutreffend weist die Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass sich der Beschäftigtenbegriff des § 7 SGB IV nicht immer mit der arbeitsrechtlichen Definition eines Arbeitsnehmers deckt. Aus dem Tatbestandsmerkmal "insbesondere" leitet sich jedoch eine Eigenständigkeit des Sozialrechts gegenüber dem Arbeitsrecht bezüglich des Begriffs der Beschäftigung ab. Das bedeutet, dass auch ohne Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses eine Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts bestehen kann. Dies greift insbesondere im Bereich eines Geschäftsführers einer GmbH oder GmbH & Co. KG, bei dem bereits arbeitsrechtlich ein freies Dienstverhältnis angenommen wird, aber sozialrechtlich eine Beschäftigung durch die laufende Rechtsprechung des BSG bejaht wird. Zutreffend verweist die Klägerbevollmächtigte ebenfalls auf die umfassende Gesamtabwägung, welche dabei unter anderem die Vertragsgestaltung, Wille der Beteiligten, Räumlichkeiten, zeitliche Vorgaben, weisungsgebundene Tätigkeit, Arbeits-Betriebsmittel, Vergütung, wirtschaftliche Abhängigkeit, Unternehmerrisiko, Gewerbeauftritt, aber auch tatsächlichen Vollzug zu berücksichtigen hat (vgl. z.B. Klopstock in Kainz, Praxiskommentar Beschäftigung und selbstständige Tätigkeit, § 7 Rn. 87 ff.). Wie das BSG im oben aufgeführten Zitat jedoch darstellt, ist für einen Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG oder GmbH maßgeblich für die Selbstständigkeit in erster Linie die Rechtsmacht des Geschäftsführers bzw. des mitarbeitenden Gesellschafters, nicht die faktische Kontrolle zu berücksichtigen. Im Sinne der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit ist eine Selbstständigkeit nur dann anzunehmen, wenn durch Gesellschaftsrecht bzw. Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit besteht, unangenehme Weisungen der Gesellschafterversammlung bzw. der Geschäftsführung nicht ausführen zu müssen (vgl. ausführlich Schlegel, NZA 2021, 310).

Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten orientiert sich der 12. Senat des BSG bereits seit Jahren nicht mehr an der sogenannten "Kopf- und Seele-Rechtsprechung" (BSG Urteil vom 23.09.1982 - 10 RAr 10/81, BeckRS 2009, 74.693; Urteil vom 11.01.1989 - 7 RAR 8/87, BeckRS 1989, 31135891). Im Hinblick auf die Versicherungspflicht von Geschäftsführern (bei Familiengesellschaften) hat das BSG ebenfalls festgestellt, dass kein Vertrauensschutz auf diese überholte Rechtsprechung des BSG besteht (BSG Urteil vom 19.09.2019 - B 12 KR 21/19 R, BeckRS 2019, 34434). Das BSG hat auch in seiner laufenden Rechtsprechung bereits im Jahr 2012 die sogenannte "Schönwetter-Selbstständigkeit" abgelehnt. Dem steht nicht zuletzt das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher und beitragsrechtlicher Tatbestände entgegen (BSG Urt. vom 29.08.2012, BeckRS 2012, 75372). Gesellschafter mit weniger als 50 % Anteil (Minderheitsgesellschafter) ohne qualifizierte uneingeschränkte Sperrminorität gelten daher weiterhin als abhängig beschäftigt (BSG Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R, BeckRS 2018, 5024). Dies gilt auch bei Vorliegen einer notariellen Generalhandlungsvollmacht (BSG Urteil vom 29.06.2021 - B 12 R 8/19 R, BeckRS 35724). Auch die Befreiung nach § 181 BGB ist insoweit nicht ausreichend. Ist ein Geschäftsführer kraft seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft in der Lage, Einfluss auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der GmbH zu nehmen, so kann dies grundsätzlich auch eine abhängige Beschäftigung ausschließen, wenn die Rechtsmacht des Geschäftsführers im Gesellschaftsrecht wurzelt, durch Gesellschaftsvertrag geregelt ist und unmittelbar auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis durchschlägt (BSG Urteil vom 08.07.2020, B 12 R 2/19 R, BeckRS 2020, 18965). Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG sind also dann selbstständig, wenn sie die Rechtsmacht haben sich Weisungen zu entziehen. Dies kann sich aus der Kommanditistenstellung oder aus einer beherrschenden Kapitalbeteiligung an einer die Gesellschaft ergeben, die die Entscheidungen der GmbH & Co. KG maßgeblich zu beeinflussen vermag (Entscheidungsserie des BSG vom 8.7.2020: Urteil vom 8.7.2020 - B 12 KR 1/19, BeckRS 2020, 37848; Urteil vom 8.7.2020 - B 12 R 4/19 R, BeckRS 2020, 37884; Urteil vom 8.7.2020 - B 12 6/19 R, BeckRS 2020, 37885).

Nach den Feststellungen des Senats verfügte der Kläger in der K-UG (haftungsbeschränkt) und Co. KG bzw. der K-Verwaltung UG (haftungsbeschränkt) nicht über eine solche, einem Selbstständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeit.

Dabei musste der Senat nicht auf die "gelebte Praxis" abstellen, da nach § 16 Ziff. 1 Satz 1 des notariellen Vertrages vom 14.08.2018 Änderungen des Gesellschaftsvertrages der Schriftform bedurften. Im Übrigen ist es laufende Rechtsprechung des BSG, dass außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) zustande gekommene, das Stimmverhalten regelnde Vereinbarungen (Abreden) bei der Bewertung der Rechtsmachtverhältnisse nicht zu berücksichtigen sind (stellvertretend BSG, Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R -, BSGE 125, 183-189, SozR 4-2400 § 7 Nr 35). Insoweit kann die Bevollmächtigte nicht darauf abstellen, dass die gelebte Praxis möglicherweise ein anderes Ergebnis rechtfertige. Nach § 16 Ziffer 1 S. 2 bedarf die Abänderung der Schriftformabrede ebenfalls der Schriftform.

Auch die mit Schreiben vom 19.01.2022 vorgetragene rückwirkende gesellschaftsrechtliche Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern und rückwirkende Einführung einer 2/3 Mehrheit führt insoweit zu keinem anderen Ergebnis. Wie bereits ausgeführt wird aus einer 2/3 Mehrheit eben nicht eine ausreichende Rechtsmacht im Sinne einer Sperrminorität geschaffen. Im Übrigen hält der Senat jedoch auch eine rückwirkende Änderung der gesellschaftsrechtlichen Regelungen für rechtswidrig. Dies muss jedoch nicht weiter vertieft werden, da es letztlich hierauf nicht ankommt.

Der Kläger ist mit einer Kapitalbeteiligung von 1/3 sowohl an der vorgenannten Gesellschaft wie aber auch an der Komplementärin "UG" und den damit verbundenen gesellschaftlichen Regelungen nicht Minderheitsgesellschafter mit einer qualifizierten Sperrminorität im fraglichen Zeitraum gewesen. Dies ergibt sich insbesondere aus Anlage 1 des notariellen Vertrages vom 14.08.2018 (Urkundenrollen-Nr. 1.../2018) des Notars B in W. Nach § 8 Abs. 7 der Anlage 1 des vorgenannten notariellen Vertrages beschließt die Gesellschafterversammlung, sofern der Gesellschaftsvertrag oder zwingende gesetzliche Bestimmungen nicht ein anderes vorsehen, mit einer Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen. Insbesondere genügt diese Mehrheit für Beschlüsse nach Abs. 1 lit. a-c, d, e und k. Es handelt sich dabei nicht um unwesentliche gesellschaftliche Fragestellungen, sondern um die Aufstellung des Jahresinvestitions-, Umsatz- und Finanzplans, den Jahresabschluss und die Gewinnverteilung, die Entlastung der Komplementär-GmbH, die Wahl eines vorgeschriebenen Abschlussprüfers, alle Maßnahmen des laufenden Geschäftsbetriebs und sonstige Maßnahmen, wenn die Komplementärin oder Gesellschafter mit wenigstens 10 % des Kommanditkapitals dies beantragen. Erst mit entsprechender Änderung des Gesellschaftsvertrages durch den Gesellschafterbeschluss vom 24.02.2021 und der Einführung einer 75 %-Mehrheit für die vorgenannten Fragestellungen kam dem Kläger eine qualifizierte Sperrminorität der Gestalt zu, dass hier nicht mehr von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sondern von einer selbstständigen Tätigkeit gesprochen werden kann. Insoweit ist auch eine rückwirkende Änderung des Gesellschaftsvertrages (Einführung der Einstimmigkeit) sozialversicherungsrechtlich ohne Belang.

Nachdem die Rechtsmacht des Klägers durch den Gesellschaftsvertrag im streitgegenständlichen Zeitraum nur eingeschränkt vorlag, ist eine qualifizierte Sperrminorität nicht gegeben. Es liegt ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV vor und es besteht für den Kläger nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherungspflicht im vorgenannten Zeitraum.

Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zum Bescheid der DRV vom 12.06.2019. Zunächst entscheidet die DRV nicht über die Frage der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur über die allgemeine Sozialversicherungspflicht. Im Übrigen ergibt sich aus dem Bescheid vom 12.06.2019 nicht, ob es sich hier tatsächlich um die Tätigkeit als Geschäftsführer gehandelt hat. Davon ist nicht auszugehen, da im Bescheid ausdrücklich von der ausgeübten selbstständigen Tätigkeit als "Einzelhändler mit Fliesen und Platten" nicht aber von einer Geschäftsführertätigkeit gesprochen wird.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG). Insbesondere durch die zitierte Rechtsprechung des BSG sieht der Senat die Frage der Stellung des Geschäftsführers einer GmbH & Co. KG bzw. GmbH ausreichend aufgeklärt. Insbesondere gilt dies durch die zitierte Entscheidung des BSG vom 01.02.2022, B 12 KR 37/19 R.

 

Rechtskraft
Aus
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