L 10 U 3619/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2U 1539/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3619/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine situative Phobie vor dem Autofahren (nur als Fahrerin) ist mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Ein Verkehrsunfall ohne Fremdbeteiligung mit lediglich leichten Verletzungsfolgen erfüllt nicht das A- bzw. Traumakriterium für eine PTBS nach ICD-10 bzw. DSM-V. Eine dissoziative Störung, die zudem erst ein Jahr nach einem solchen Unfall auftritt, kann nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden.
2. Zu Beweisanträgen auf Vernehmung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.


Tatbestand


Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Verletztenrente im Streit.

Die 1976 geborene Klägerin war bei der Firma S GmbH in P als Sachbearbeiterin beschäftigt. Am 02.03.2015 prallte sie - ihren eigenen Angaben nach (Akten-Id: 59/S. 1 VA) - auf dem Weg zur Arbeit auf der Bundesstraße B 10 beim Ausweichen aufgrund eines Hindernisses mit ihrem Pkw in eine Leitplanke, woraufhin sich der Pkw mehrmals drehte und schließlich auf der linken Fahrbahn zum Stehen kam. Laut D-Arztbericht vom 02.03.2015 zog sich die Klägerin hierbei einen Fremdkörper im Auge, eine Rückenprellung und eine WAD I° (Schleudertrauma) zu (Akten-Id: 1/S. 1 VA). Der Fremdkörper im rechten Auge wurde noch am Unfalltag durch den K entfernt (Akten-Id: 8/S. 1 VA). Anschließend wurde sie bis 04.03.2015 stationär in den A Kliniken behandelt (Akten-Id: 17/S. 1 VA), wo - zusätzlich zu den vom D-Arzt diagnostizierten Gesundheitsstörungen - auch eine „Commotio cerebri WAD I°“ diagnostiziert wurde. Im Anschluss daran klagte sie über eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik im Musculus trapezius, vornehmlich links mit Parästhesien des linken Armes (s. u.a. Akten-Id: 62/S. 1 VA, Akten-Id: 64/S. 1 VA).

Am 09.03.2015 stellte sich die Klägerin notfallmäßig mit Kopfschmerzen, Cephalgie, Cervikalgie und Nackenmyogelose in der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Frührehabilitation und Schlafmedizin des Klinikums C vor (Akten-Id: 99/S. 1 ff. VA). Ihr wurde eine medikamentöse und physikalische Behandlung empfohlen. Auch vom 22.05.2015 bis 08.06.2015 befand sie sich dort in ambulanter Behandlung (Akten-Id: 134/S. 2 f. VA). Es wurde u.a. eine Anpassungsstörung, eine nichtorganische Insomnie und ein Überdehnungstrauma der HWS anlässlich des Unfalls vom 02.03.2015 diagnostiziert und die Durchführung einer medizinischen Rehabilitation sowie einer ambulanten Psychotherapie zur Verarbeitung und Modifizierung des Schmerzerlebens empfohlen.

Im weiteren Verlauf kam es zu einer Belastungserprobung, die jedoch wegen anhaltender Schmerzen im Bereich der HWS und Lendenwirbelsäule (LWS) im Mai 2015 abgebrochen werden musste (s. Akten-Id: 72/S. 2 VA).

Auf Empfehlung des Ärztlichen Direktors der Abteilung für berufsgenossenschaftliche Rehabilitation und Heilverfahrenssteuerung der Bklinik T (BGU) S1 anlässlich  einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 16.06.2015 (Akten-Id: 73/S. 1 ff. VA) befand sie sich vom 23.06.2016 bis 15.07.2015 zur Durchführung einer Komplex-stationären Rehabilitation (KSR) in der BGU (Akten-Id: 111/S. 1 ff. VA). Während dieser KSR wurde die Klägerin von dem S2 am 02.07.2015 untersucht (Akten-Id: 88/S. 1 ff. VA). S2 konnte auf neurologischem Fachgebiet keine krankhaften Auffälligkeiten, insbesondere keine Hinweise für eine Armnervengeflechtsschädigung objektivieren und sah auch auf psychiatrischem Fachgebiet keine Hinweise auf eine krankhafte Unfallfehlverarbeitung. Allerdings ergab ein am 08.07.2015 durchgeführtes psychosomatisches Konsil den dringenden Verdacht auf das Bestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mit somatoformer chronischer Schmerzstörung und mittelgradiger depressiver Episode und die Ärzte sahen die Indikation zur Durchführung einer stationären Behandlung (Akten-Id: 111/S. 5 VA). Knöcherne bzw. strukturelle Traumafolgen konnten in Zusammenschau der klinisch-radiologischen Befunde im Verlauf der KSR ausgeschlossen werden (Akten-Id: 111/S. 4 VA). Auch ergab ein augenärztliches Konsil einen ophtamologischen Normalbefund (Akten-Id: 111/S. 5 VA, Akten-Id: 125/S. 1 VA). Die Klägerin wurde am 15.07.2015 arbeitsunfähig entlassen und die Durchführung einer ambulanten Psychotherapie zu Lasten der Beklagten empfohlen (Akten-Id: 111/S. 8 VA).

Auf Veranlassung der Beklagten (Akten-Id: 144/S. 1 VA) wurde die Klägerin ab September 2015 von dem H psychotherapeutisch behandelt. Dieser diagnostizierte (u.a.) im November 2015 eine PTBS nach Unfallereignis am 02.03.2015 und eine reaktive leichtgradige depressive Episode mit phobischen Ängsten (Autofahren) und bejahte auf Grund der Schwere der Symptomatik und dem Zeitpunkt des Auftretens der Beschwerden einen Zusammenhang zwischen Beschwerden und Unfall (Akten-Id: 185/S. 2 f. VA).

Im Januar 2016 erstellte der G im Auftrag der Beklagten ein Gutachten (Untersuchungstag: 22.12.2015, Akten-Id: 212/S. 1 ff. VA). Er diagnostizierte eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, Verdacht auf (V.a.) eine PTBS sowie V.a. eine mittelgradige depressive Episode (Ausprägung evtl. eher hin zur Grenze zur leichten Ausprägung), führte diese ebenfalls wesentlich ursächlich auf das Unfallereignis am 02.03.2015 zurück und empfahl die Durchführung einer stationären psychosomatischen Behandlung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er auf seinem Fachgebiet - jedenfalls bis zum Ende der empfohlenen stationären Behandlung - auf 40 v.H.

Mit Schreiben vom 10.02.2016 teilte die Beklagte daraufhin der Klägerin mit, dass - angesichts des psychiatrischen Zusammenhangsgutachtens - ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihrem derzeitigen psychischen Gesundheitszustand und dem Unfall vom 02.03.2015 anerkannt werde (Akten-Id: 217/S. 1 VA). Zugleich bat sie H, die ambulante Behandlung zu ihren Lasten fortzusetzen (Akten-Id: 216/S. 1 VA). Im Verlauf der weiteren Behandlung gelangte er zu der Einschätzung, dass die Klägerin auf unabsehbare Zeit nicht mehr arbeitsfähig sei (s.u.a. Akten-Id: 416/S 1 VA, Akten-Id: 503/S. 1 VA).

Vom 19.05.2016 bis 18.08.2016 befand sich die Klägerin sodann in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Uklinikums U1 (Akten-Id: 354/S. 1 ff. VA). Laut dem Entlassungsbericht von Dezember 2016 wurde u.a. eine PTBS, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert.

Mit Bescheid vom 10.02.2017 stellte die Beklagte die Zahlung des der Klägerin gewährten Verletztengeldes mit Ablauf des 13.02.2017 ein, da auch durch weitere Maßnahmen der Heilbehandlung mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin nicht mehr zu rechnen sei (Akten-Id: 383/S. 1 VA; s. a. Verletztengeldgeneralauftrag Endabrechnung der AOK, Akten-Id: 390/S. 1 VA).

Vom 09.03.2017 bis 29.03.2017 befand sich die Klägerin wegen einer therapieresistenten Cervikalgie und Cervikobrachialgie links nach HWS-Distorsion zur Durchführung einer multimodalen Schmerztherapie in stationärer Behandlung in der R-Klinik (Akten-Id: 427/S. 1 ff. VA). Dort wurde u.a. eine therapieresistente Cervikalgie und Cervikobrachialgie links bei Z.n. HWS-Distorsion im Rahmen des im März 2015 stattgehabten Verkehrsunfalls, ein Mischkopfschmerz aus cervikogenem Kopfschmerz bei HWS-Distorsion, V.a. Spannungskopfschmerz, Migräne sowie Medikamentenübergebrauchskopfschmerz bei täglicher Einnahme von Novaminsulfon seit zwei Jahren sowie eine (vordiagnostizierte) PTBS diagnostiziert.

Im April 2017 erstattete der K1 im Auftrag der Beklagten ein weiteres Gutachten (Akten-Id: 405/S. 1 ff. VA, Untersuchungstag: 11.04.2017). Als Unfallfolgen diagnostizierte er eine PTBS, eine mittelgradige depressive Episode, ein generalisiertes Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Anteilen sowie einen dissoziativen Tremor und schätzte die MdE ab dem 14.02.2017 auf 50 v.H. Dieser Einschätzung stimmte auch der seitens der Beklagten eingeschaltete H1 in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.04.2017 zu (Akten-Id: 419/S. 1 VA). Die Beklagte zahlte der Klägerin daraufhin Vorschüsse auf die voraussichtlich zu gewährende Verletztenrente (s. u.a. Akten-Id: 433/S. 1 VA, Akten-Id: 447/S. 1 VA, Akten-Id: 458/S. 1 VA).

Die Beklagte holte sodann eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme bei dem F vom 04.10.2017 ein (Akten-Id: 483/S. 1 ff. VA), der bereits das Vorliegen der Kriterien für die Diagnose einer PTBS anzweifelte und darüber hinaus einen kausalen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und depressiver Störung mit deutlichen Somatisierungstendenzen sowie dem dissoziativen Tremor verneinte.

Anschließend erstattete der S3 im Auftrag der Beklagten ein Erstes Rentengutachten (Akten-Id: 512/S. 1 ff. VA, Untersuchungstag: 26.07.2017). Als wesentliche Unfallfolgen diagnostizierte er Bewegungseinschränkungen der HWS bei Extension und Flexion und der Brustwirbelsäule (BWS) bei der Drehung im Sitzen sowie von der Klägerin beklagten Beschwerden seitens der Wirbelsäule. Die MdE schätzte er auf seinem Fachgebiet auf 10 v.H.

Mit Bescheid vom 05.12.2017 (Bl. 6 ff. SG-Akte, Akten-Id: 515/S. 1 ff. VA) verfügte die Beklagte u.a., dass eine Fremdkörperverletzung am rechten Auge, eine Rückenprellung, eine HWS-Zerrung (sog. Schleudertrauma) und eine Gehirnerschütterung als auf das Ereignis vom 02.03.2015 zurückzuführende „ausgeheilte“ Gesundheitsschäden anerkannt werden, dass bis zum 15.07.2015 ein Anspruch auf unfallbedingte Heilbehandlung und Verletztengeld bestanden habe und dass ein Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt werde. Hinsichtlich der körperlichen Verletzungsfolgen sei spätestens mit Ablauf des 15.07.2015 (Ende der stationären Behandlung in der BGU) von einer völligen Ausheilung auszugehen, da knöcherne, strukturelle Traumafolgen auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet hätten ausgeschlossen werden können. Die noch bestehende körperliche Symptomatik sei daher rein psychisch bedingt (depressiv verursacht). Allerdings sei nicht nachgewiesen, dass diese psychiatrische Gesundheitsstörung kausal auf den Unfall zurückzuführen sei. Das Unfallereignis sei jedenfalls nicht geeignet, eine Traumafolgestörung im engeren Sinne hervorzurufen. Aus dem rein zeitlichen Aufeinanderfolgen des Unfallereignisses und der später auftretenden komplexen psychischen Gesundheitsstörung mit entsprechender Schmerzsymptomatik sowie der mangelnden Feststellung konkurrierender Ursachen (vorbestehende Schadenslage) könne nicht gefolgert werden, dass die psychischen Gesundheitsschäden wesentlich durch den Unfall verursacht worden seien. Dies gelte insbesondere auch mit Blick auf das erhebliche Missverhältnis zwischen dem (relativ glimpflich) verlaufenden Unfallereignis und dem Krankheitsverlauf bei zunehmender Beschwerdeausweitung trotz umfangreicher fachspezifischer Therapien und den psychischen Reaktionen. Insgesamt sei festzustellen, dass keine gesicherte Unfallfolge auf neuropsychiatrischem Fachgebiet nachgewiesen werden könne.

Hiergegen erhob die Klägerin am 22.12.2017 Widerspruch (Akten-Id: 537/S. 1 VA), trat der beratungsärztlichen Stellungnahme des F entgegen und führte u.a. aus, dass selbst die Verschlimmerung eines bereits bestehenden Gesundheitsschaden - wovon F ausgehe - einen Versicherungsfall darstelle, wenn dieser ohne den Unfall nicht zu Tage getreten wäre.

Vom 14.11.2017 bis 05.12.2017 und vom 12.12.2017 bis 16.01.2018 befand sich die Klägerin (erneut) zur Durchführung einer multimodalen Schmerztherapie in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin des O-Klinikum A1 (Akten-Id: 567/S. 1 ff. VA). Dort wurde eine PTBS mit dissoziativem (Halte-)Tremor, funktionellem Schmerzsyndrom, Spannungskopfschmerzen, chronischen posttraumatischen Kopfschmerzen im Sinne einer Migräne ohne Aura, eine Phobie vor dem Autofahren und eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert. Als Auslöser für diese Gesundheitsstörungen wurde der Unfall angesehen. Relevante vorgeschichtliche Traumatisierungen oder weitere relevante Vorerkrankungen konnten nicht eruiert werden.

Die Beklagte holte daraufhin die beratungsärztliche Stellungnahme bei dem H2 vom 26.03.2018 ein (Akten-Id: 570/S. 1 ff. VA). Dieser gelangte zu der Einschätzung, dass die diagnostizierten und behandelten Beeinträchtigungen (PTBS, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Depression) nicht ursächlich auf den Unfall vom 02.03.2015 zurückzuführen seien. Die Diagnose der PTBS scheitere bereits am Nichtvorliegen des A-Kriteriums. Auch gebe es keine Anhaltspunkte für einen psychischen Erstschaden. Zudem spreche die sukzessive Zunahme und Ausweitung der Beschwerdesymptomatik - anfangs habe die Klägerin nur über Schmerzen geklagt, die depressive Symptomatik habe sich erst später entwickelt - für eine Verschiebung der Wesensgrundlage.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2018 (Bl. 3 SG-Akte, Akten-Id: 573/S. 1 ff. VA) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.05.2018 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Das SG hat von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei dem W eingeholt (Bl. 30 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 06.11.2018). Dieser hat eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.2), eine spezifische Phobie vor dem Autofahren (ICD-10 F40.2) und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) diagnostiziert. Eine PTBS habe hingegen - wie auch von F und H2 herausgearbeitet - mangels Vorliegens des
A-Kriteriums zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen seien auch auf das Unfallereignis zurückzuführen. Zwar habe - abgesehen von einer etwas prolongierten Entwicklung im Hinblick auf die Schmerzsymptomatik - Befund und Verlauf bei der Klägerin durchaus dem entsprochen, was nach einem nicht unerheblichen Autounfall zu erwarten gewesen sei. Das Problem sei letztlich dadurch entstanden, dass in der BGU trotz unauffälligem neurologisch-psychiatrischem Befund allein auf der Grundlage eines psychosomatischen Konsils der Verdacht auf eine PTBS, eine mittelgradige depressive Episode und eine somatoforme Schmerzstörung geäußert und eine entsprechende Therapie eingeleitet worden sei, die in Anbetracht der Symptomatik der Klägerin im Mai/Juni 2015 überhaupt nicht indiziert gewesen sei. Hierdurch sei - im Sinne von Nebenwirkungen - eine Verschlimmerung der psychiatrischen Symptomatik aufgetreten, die im Folgenden dann durch ambulante Psychotherapie und stationäre Heilverfahren iatrogen fixiert worden sei. Es handele sich somit um mittelbare Unfallfolgen. Konkurrierende Faktoren, die zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage geführt haben könnten, hätten hingegen nicht vorgelegen. Die MdE hat er auf 50 v.H. eingeschätzt.

Die Beklagte hat daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme des S2 vorgelegt (Bl. 65 ff. SG-Akte), in der er der Einschätzung des W entgegengetreten ist.

Vom 05.09.2019 bis 18.10.2019 hat sich die Klägerin in teilstationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin des O-Klinikums A1 befunden (Bl. 96 ff. SG-Akte). Auch dort ist u.a. eine PTBS, ein dissoziativer Haltetremor, eine Migräne ohne Aura, ein Spannungskopfschmerz, ein funktionelles Schmerzsyndrom (HWS- und BWS-Syndrom), eine spezifische Phobie vor dem Autofahren und eine Dysthymia diagnostiziert worden.

Vom 17.12.2019 bis 21.01.2020 hat sich die Klägerin zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) in stationärer medizinischer Rehabilitation in der Rehaklinik K2 befunden (Bl. 85 ff. SG-Akte). Dem Entlassungsbericht lassen sich als Diagnosen u.a. eine dissoziative Störung mit Tremor beider Hände, eine PTBS mit Intrusionen, Hyperarousals, Albträumen und Vermeidungsverhalten, eine spezifische Phobie vor dem Autofahren mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten und ein HWS- und LWS-Syndrom entnehmen. Eine depressive Störung ist nicht diagnostiziert worden. Die Klägerin ist arbeitsunfähig und mit einem drei- bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen sowohl für ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als auch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen worden.

Mit Urteil vom 15.10.2020 hat das SG - in erster Linie gestützt auf das Sachverständigengutachten des W - den Bescheid vom 05.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2018 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 14.02.2017 Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. zu gewähren. Als Unfallfolgen seien eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, eine spezifische Phobie (Autofahren) sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zugrunde zu legen. Diese seien - im Sinne von Nebenwirkungen - ursächlich auf die nichtindizierte und fehlgeleitete ambulante und stationäre Psychotherapie zurückzuführen, die zu einer iatrogenen Fixierung und zunehmenden Verschlechterung der psychiatrischen Symptomatik geführt hätten, so dass spätestens ab Mitte 2016 eine schwergradige depressive Episode mit Schmerzstörung und dissoziativen Symptomen vorgelegen habe. Der Unfall sei auch kausal für das Entstehen dieser Gesundheitsstörungen. Zwar seien diese nicht unmittelbar hierdurch verursacht worden, jedoch seien sie als mittelbare Unfallfolge zu werten und mit einer MdE von 50 v.H. zu berücksichtigen. Hingegen sei von keiner weiteren MdE bezüglich der Wirbelsäule auszugehen.

Gegen das - ihr am 27.10.2020 zugestellte - Urteil des SG hat die Beklagte am 16.11.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat darauf hingewiesen, dass der Beratungsarzt S2 weder den Ausführungen des Sachverständigen W zur Kausalität, noch zur Höhe der MdE habe folgen können und die von ihm gestellten Diagnosen auch anhand der dokumentierten Befunde nicht nachvollzogen werden könnten und bemängelt, dass die beratungsärztlichen Stellungnahmen des S2 seitens des SG nicht dem Sachverständigen W zur Stellungnahme vorgelegt worden seien. Das SG sei hingegen der Auffassung des W gefolgt. Sie hat eine beratungsärztliche Stellungnahme des S4 von November 2020 (S. 7 ff. Senatsakte) vorgelegt, der ebenfalls die Kausalität nicht für gegeben gehalten hat. Es entspreche nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft, dass durch Therapieformen des psychiatrischen-psychosomatischen Fachgebiets die vom Sachverständigen W diagnostizierten Erkrankungen ursächlich bedingt oder in der Symptomatik verstärkt werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die mündliche Verhandlung zu vertagen und den Sachverständigen S5 zur Erläuterung seines Gutachtens vom 17.05.2022 zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden und zwecks Gegenüberstellung den Sachverständigen W, dessen Gutachten vom 26.11.2018 grundlegend abweichende Einschätzungen enthält, zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ihren erstinstanzlichen Vortrag und führt zur beratungsärztlichen Stellungnahme des S4 aus, dass es in der Psychotherapie „einige Hundert Schulen geben dürfte“, so dass nicht von „dem Stand“ der Wissenschaft gesprochen werden könne. Überdies hat sie zur Begründung ihres Hilfsantrags im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 20.10.2022 den Schriftsatz vom selben Tage zu Protokoll gereicht.

Der Senat hat von Amts wegen Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Klinik Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I des Psychiatrischen Zentrums N S5 (Bl. 53 ff. Senatsakte, Untersuchungstage: 08.10.2021 und 13.01.2022). S5 hat eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine situative Phobie (ICD-10 F40.2) in Bezug auf Pkw-Fahren und dissoziative Störungen, gemischt (ICD-10 F44.7) diagnostiziert und das Vorliegen einer PTBS - u.a. mangels Fehlens des A-Kriteriums - ausgeschlossen. Zudem hat er lediglich die situative Phobie kausal auf den Unfall vom 02.03.2015 zurückgeführt, hinsichtlich der somatoformen Schmerzstörung eine Verschiebung der Wesensgrundlage angenommen und hinsichtlich der dissoziativen Störungen eine Kausalität von vornherein verneint. Die MdE für die situative Phobie hat er auf 10 v.H. geschätzt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente ab dem 14.02.2017.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 05.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2018. Da das SG in seinem - lediglich von Beklagtenseite angefochtenen - Urteil vom 15.10.2020 diesen Bescheid der Beklagten (nur) insoweit abgeändert und die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin ab dem 14.02.2017 eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 v.H. zu gewähren, hat der Senat lediglich (noch) darüber zu entscheiden, ob der Klägerin die zugesprochene Verletztenrente zusteht.

Die Klägerin hat jedoch - entgegen dem erstinstanzlichen Urteil - keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente ab dem 14.02.2017.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Als versicherte Tätigkeit zählt nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII außerdem das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (sog. Wegeunfall). Die Klägerin hat unstreitig am 02.03.2015 einen solchen Versicherungsfall in Form eines Wegeunfalls erlitten, als sie auf dem Weg zur Arbeit mit ihrem Pkw gegen eine Leitplanke geprallt ist und sich - ausweislich des D-Arztberichts vom 02.03.2015 - als Gesundheitserstschaden einen Fremdkörper im Auge, eine Rückenprellung und eine WAD I° zugezogen hat (Akten-Id: 1/S. 1 VA).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli­chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht - BSG - 22.06.2004, B 2 U 14/03 R, zitiert - wie sämtliche höchstrichterliche Rechtsprechung - nach juris): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö­gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un­ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße­rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus­wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent­behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar­auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz­ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir­kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli­chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Kann dagegen das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele (conditio sine qua non), ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG 09.05.2006, B 2 U 1/05 R).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein,
d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u.a. BSG 30.04.1985, 2 RU 43/84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG 09.05.2006, a.a.O., auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch die gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls vom 02.03.2015 nicht ab dem 14.02.2017 rentenbegründend gemindert. Denn ab diesem Zeitpunkt liegt eine MdE in rentenberechtigendem Umfang nicht vor. Der Senat ist davon überzeugt, dass bei der MdE-Bewertung vorliegend ausschließlich eine situative Phobie vor dem Autofahren (ICD-10 F40.2) zu berücksichtigen ist. Die übrigen bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen sind entweder bereits nicht als Unfallfolge anzusehen bzw. wirken sich jedenfalls nicht MdE-erhöhend aus, weshalb letztlich dahinstehen kann, ob sie ursächlich auf den Unfall vom 02.03.2015 zurückzuführen sind.

Die Diagnose einer situativen Phobie vor dem Autofahren (ICD-10 F40.2) wird vom Sachverständigen S5 in seinem für den Senat schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Mai 2022 gestellt. Darin hat er dargelegt, dass sich im vorliegenden Aktenmaterial multiple Hinweise auf ein seit dem Unfall vom 02.03.2015 bestehendes Vermeidungsverhalten der Klägerin in Bezug auf das Pkw-Fahren mit spezifischen Angstsymptomen beim bloßen Versuch, auch nur einen Pkw-Fahrersitz einzunehmen, ergeben. Nach den Aktendokumentationen und insbesondere der Angabe der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen S5 besteht diese Angst in erster Linie vor dem selbständigen Führen eines Pkw und das Sitzen auf dem Fahrersitz. Das „Mitfahren“ als Beifahrerin ist ihr hingegen möglich. Gleiches gilt für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus und Bahn). Dieselbe Diagnose hat auch der Sachverständige W gestellt. Der Senat ist auch davon überzeugt, dass diese situative Phobie wesentlich ursächlich auf den Unfall vom 02.03.2015 zurückzuführen ist. Laut dem Sachverständigen S5 ist nach der Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen (AWMF, Teil III, Stand 01.10.2019, S. 43) von einem wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang auszugehen, wenn es zu einem belastenden psychischen Ereignis gekommen ist, das Ereignis selbst am Abend des Unfallereignisses nach eigenanamnestischen Angaben zu einer emotionalem Symptomatik geführt hat, eine pathologische Angstreaktion vom Betroffenen kurz nach dem Schädigungsereignis eingetreten ist (bei der Klägerin ist diese bereits auf dem Weg zum Augenarzt am 02.03.2015 in Form eines Zitterns am ganzen Körper aufgetreten), ein plausibler klinischer Verlauf mit konsequentem Vermeidungsverhalten vorliegt, konkurrierende Faktoren, die maßgeblich die Symptomatik unterhalten, für die Entstehung der phobischen Störung nicht bestimmend sind und eine authentische Beschwerdedarstellung anzunehmen gewesen ist. S5 hat alle diese Kriterien als erfüllt angesehen, weshalb auch der Senat nicht an einem wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Entstehen der situativen Phobie vor dem Autofahren und dem Unfallereignis vom 02.03.2015 zweifelt.

Nach der vom Senat seinen Entscheidungen regelmäßig zugrunde gelegten unfallmedizinischen Standardwerk (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 171) ist eine spezifische (isolierte) Phobie (ICD-10 F40.2), die bei eng begrenzten und für die Arbeitswelt wenig bestimmenden Situationen mit einer MdE bis 10 v.H. und bei zentralen Situationen der allgemeinen Arbeitswelt oder mehreren bedeutsamen, begrenzten Arbeitssituationen mit einer MdE bis 30 v.H zu bewerten. Wie bereits ausgeführt, beschränkt sich die Angst der Klägerin auf das selbständige Führen eines Pkw und das Sitzen auf dem Fahrersitz. Hingegen ist es der Klägerin möglich, als Beifahrerin in einem Pkw mitzufahren und auch öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Wenngleich es der Klägerin somit nicht mehr möglich ist, selbständig mit dem Pkw eine Arbeitsstelle aufzusuchen, handelt es sich dennoch lediglich um eine eng begrenzte und für die Arbeitswelt wenig bestimmende Situation, da die Klägerin eine Arbeitsstelle gerade auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen kann und nicht gezwungen ist, hierzu einen Pkw zu führen. Folglich schließt sich der Senat der Einschätzung des Sachverständigen S5 an, wonach die MdE für die situative Phobie mit 10 v.H. zu bewerten ist.

Eine PTBS (ICD-10 43.1) liegt bei der Klägerin hingegen bereits nicht vor und kann schon aus diesem Grund nicht bei der MdE-Bewertung berücksichtigt werden. S5 hat hierzu widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausgeführt, dass die in den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-V vorausgesetzten Kriterien nicht erfüllt sind. Es scheitert bereits am Vorliegen des A- bzw. Traumakriteriums. Nach ICD-10 fordert die PTBS, dass Betroffene einem kurz oder lang anhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt gewesen sein müssen. Über die subjektive Traumahaftigkeit enthält das Kriterium noch ein gewisses objektives Korrektiv, wonach überhaupt infrage kommende Ereignisse in der Lage sein müssen, „nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung“ auszulösen. Auch das Diagnosesystems DSM-V setzt für die Diagnose einer PTBS (DSM-V F43.10) ein Traumakriterium (Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt) voraus. Wie S5 zu Recht ausgeführt hat, hat es sich bei dem von der Klägerin erlittenen Unfall nach objektiven Gesichtspunkten bereits nicht um einen „schweren Unfall“ entsprechend der oben genannten Definition gehandelt. Die Klägerin ist mit ihrem Pkw „lediglich“ gegen die rechte Leitplanke geprallt. Wenngleich es hierdurch - entsprechend der Angaben der Klägerin - zu einem Totalschaden am Pkw gekommen ist, hat weder der Airbag ausgelöst, noch sind andere Kraftfahrzeuge oder Personen in den Unfall involviert gewesen. Die Klägerin hat auch lediglich leichtgradige körperliche Verletzungen (laut D-Arztbericht vom 02.03.2015: Fremdkörper im Auge, Rückenprellung, WAD I°) davongetragen und ist - ihren eigenen Angaben nach - sogar in der Lage gewesen, noch im Auto sitzend, telefonisch die Polizei zu verständigen. Diese Einschätzung haben auch der Sachverständige W und die Beratungsärzte der Beklagten S2, F und H2, deren beratungsärztliche Stellungnahmen der Senat als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertet, vertreten. Soweit die die Klägerin behandelnden Ärzte eine PTBS diagnostiziert haben, hat S5 zu Recht darauf verwiesen, dass sich keiner mit den hierfür erforderlichen Kriterien - insbesondere dem A- bzw. Traumakriterium - auseinandergesetzt und deren Vorliegen befundgestützt geprüft hat.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass bei der Klägerin ab dem 14.02.2017 eine depressive Erkrankung vorliegt. Laut dem überzeugenden und befundgestützten Sachverständigengutachten des S5, der die Klägerin zweimal (am 08.10.2021 und am 13.01.2022) ausführlich exploriert hat, leidet die Klägerin nicht an einer depressiven Erkrankung. Im Rahmen der Untersuchungen hat die Klägerin weder depressive Beschwerden spontan berichtet, noch auf gezielte Nachfrage eine anhaltende Herabminderung der Stimmung angegeben. Vielmehr hat sie gerade von einer eigenständigen Stimmungsstabilisierung berichtet („Ich verfalle nicht in die Sachen, die mich herunterziehen. Ich heitere mich auf: Musik ist gut, lasse mich nicht herunterziehen, lasse mich nicht herunterziehen von anderen Leuten.“). S5 hat auf Befundebene eine indifferente Stimmungslage mit Affektlabilität und ein mäßiges Insuffizienzerleben beschrieben. Zeichen schwergradiger Depressivität haben sich nicht ergeben. So ist das Denken in formaler und inhaltlicher Hinsicht ungestört gewesen. Hinweise auf relevante kognitive Funktionsstörungen, in Bezug auf das Auffassungsvermögen, die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung sowie die mnestischen Funktionen sind nicht klinisch relevant gestört gewesen. Auch sind keine Zeichen schwergradiger affektiver Beeinträchtigungen - etwa in Form von Störungen des Antriebs, Ich-Störungen, Wahrnehmungsstörungen, Wahnerleben oder Suizidalität - zu objektivieren gewesen. Überdies lassen auch die Angaben der Klägerin zu ihren Alltagsaktivitäten keine depressive Erkrankung erkennen. Danach hat sie einen geregelten und strukturierten Tagesablauf mit Aufstehen gegen 6.00 Uhr, Erledigung der Hausarbeit, Mittagessen zwischen 12.00 Uhr und 14.00 Uhr, Wahrnehmung von nachmittäglichen Arztterminen, Spaziergängen gemeinsam mit der Cousine, Abendessen zwischen 17.00 Uhr und 19.00 Uhr, anschließend (wieder) spazierengehen mit der Mutter, später fernsehen, gegen 22.00 Uhr Nachtruhe. Außerdem hat die Klägerin einen Laptop und liest - ihren eigenen Angaben nach - täglich etwa eine halbe Stunde Nachrichten im Internet. Der Umstand, dass die Klägerin auf Grund des Zitterns der Hände beim Ankleiden - nicht hingegen bei der Körperpflege -, teilweise bei den Hausarbeiten (staubsaugen, Tisch decken, Dinge transportieren - bis auf Flüssiges - gelingt ihr selbst) und der Zubereitung der Mahlzeiten (Schneiden, Transport von Flüssigkeiten) die Hilfe ihrer Mutter benötigt, ändert hieran nichts. Der Sachverständige hat daher - nachvollziehbar - nicht nur die nach dem Diagnosesystem ICD-10 erforderlichen Kriterien einer depressiven Episode (ICD-10 F32/33), sondern auch diejenigen einer Dysthymia (ICD-10 F34.1) verneint. Diese Auffassung wird auch durch die Ergebnisse des seitens des Sachverständigen durchgeführten Testverfahren (Hamilton-Depression Scale, BDI-II) gestützt, die allesamt unauffällig gewesen sind und gerade keine Hinweise auf eine depressive Erkrankung ergeben haben. Insgesamt hat sich im Rahmen der durch den Sachverständigen durchgeführten Begutachtung klinisch keine relevante depressive Störung ergeben.

Auch nach Auswertung der Aktenlage ist das Vorliegen einer depressiven Erkrankung bei der Klägerin nicht im Vollbeweis gesichert. Wie der Sachverständige S5 zu Recht ausgeführt hat, hat S2 im Rahmen seiner neurologisch-psychiatrischen Untersuchung am 02.07.2015 eine affektive Verstimmung gerade nicht beschrieben und folglich eine psychiatrische Erkrankung ausgeschlossen. Die anschließend im Rahmen der KSR auf Grund eines psychosomatischen Konsils vom 08.07.2015 diagnostizierte mittelgradige depressive Episode basiert nicht auf einer erkennbaren psychischen Befundung, worauf S5 ebenfalls zutreffend hingewiesen hat. Der Verwaltungsgutachter G hat - so ebenfalls der Sachverständige S5 - lediglich einen unvollständigen psychischen Befund erhoben, in dem die Beurteilung wesentlicher Standardkategorien (Bewusstsein, Vigilanz, Ängste, Zwänge, Ich-Störungen, psychomotorische Störungen, Wahnerleben, Wahrnehmungsstörungen) fehlen. Im Übrigen ist er ganz offensichtlich selbst nicht vom Vorliegen einer depressiven Erkrankung überzeugt gewesen und hat daher lediglich den „Verdacht auf mittelgradige depressive Episode, Ausprägung eventuell eher hin zur Grenze einer leichten Ausprägung“ geäußert. Gleiches gilt für den von dem Verwaltungsgutachter K1 erhobenen psychischen Befund. Zwar hat dieser bei der Klägerin eine verarmte Mimik und Gestik und eine ausgeprägte Affektlabilität mit durchgehend ausgeprägter depressiver Verstimmung beschrieben. Allerdings ist der psychische Befund insoweit unvollständig - worauf der Sachverständige S5 zutreffend hingewiesen hat - als er die Beurteilung des Denkens in formaler Hinsicht, Ängste, Zwänge, Ich-Störungen und Wahrnehmungsstörungen vermissen lässt und überdies widersprüchlich ist, da er einerseits eine „durchgehend ausgeprägte depressive Verstimmung“ beschrieben, andererseits ausgeführt hat, dass die Klägerin „immer wieder auch auflockerbar mit kurzem Lächeln“ gewesen ist. Auch der seitens der Klägerin gegenüber K1 geschilderte Tagesablauf (Aufstehen um 5.30 Uhr, Durchführen der Morgentoilette, Frühstück, Ausruhen, Spaziergang - auch fast jeden Tag zu Fuß in die Stadt -, Ausruhen, Erledigung des Haushalts, selbstständiges Zubereiten des Essens, Einkaufen zusammen mit ihrer Mutter, Kontakt zu Eltern und Schwester) ist nicht mit der von K1 gestellten Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode vereinbar.

Eine depressive Erkrankung ergibt sich auch nicht im erforderlichen Vollbeweis aus den Entlassungsberichten der stattgehabten zahlreichen stationären und teilstationären Behandlungen der Klägerin. Zwar ist der im Rahmen des stationären Aufenthalts der Klägerin in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Uklinikums U1 vom 19.05.2016 bis 18.08.2016 - und somit vor dem hier streitigen Zeitraum ab 14.02.2017 - erhobene psychische Befund insofern auffällig, als die Klägerin u.a. psychomotorisch stark angespannt gewesen ist, sie geweint und gequält gewirkt hat und formalgedanklich ein Gedankenkreisen aufgefallen ist. Gleichzeitig ist sie jedoch zu allen Qualitäten orientiert gewesen, sind Mnestik und Konzentration im Gespräch ungestört und die Impulskontrolle erhalten gewesen, ohne formale oder inhaltliche Denk- oder Ich-Störungen und ohne Zwänge. Außerdem ist die Klägerin in einer deutlich stabilisierten psychosozialen und emotionalen Verfassung sowie in gebessertem Allgemeinzustand nach Hause entlassen worden. Entsprechend ist auch im Rahmen der stationären Behandlung der Klägerin in der R-Klinik vom 09.03.2017 bis 29.03.2017 weder eine depressive Erkrankung diagnostiziert worden, noch lässt der dort erhobene Aufnahmebefund, in dem lediglich eine deutlich belastete und agitierte Stimmung mit Zittern der Hände beschrieben worden ist, auf eine depressive Störung von Krankheitswert schließen. Soweit die Klägerin ausweislich des „Psychologischen Berichts“ dort angegeben hat, sie fühle sich eingeschränkt freud- und emotional schwingungsfähig sowie erhöht reizbar, der Antrieb sei gehemmt, tagsüber bestünden kognitive Störungen der Konzentration im Sinne von Zerstreutheit und es bestünden Durchschlafstörungen, handelt es sich hierbei allein um subjektive Angaben der Klägerin, die objektiv gerade nicht zu eruieren gewesen sind und schließlich auch nicht zu einer entsprechenden Diagnosestellung seitens der R-Klinik geführt haben.

Auch aus den Entlassungsberichten des O-Klinikums A1 im Nachgang zu den stationären Aufenthalten der Klägerin vom 14.11.2017 bis 05.12.2017 und 12.12.2017 bis 16.01.2018 sowie der teilstationären Behandlung vom 05.09.2019 bis zum 18.10.2019 lassen sich keine objektiven psychischen Befunde entnehmen, die das Vorliegen einer depressiven Erkrankung zweifelsfrei belegen. Zwar lässt sich den Berichten entnehmen, dass die Klägerin psychomotorisch unter hoher Anspannung gestanden hat, eine Affektlabilität im Zusammenhang mit dem Unfall und den aktuellen Einschränkungen bestanden hat, der formale Gedankengang auf Ängste sowie ihre Symptomatik eingeengt, die Schwingungsfähigkeit eingeschränkt gewesen und ihre Stimmung gedrückt, jedoch auslenkbar gewesen ist. Andererseits ist die Klägerin gepflegt, wach und zu allen Qualitäten orientiert gewesen und hat ein freundliches Kontaktverhalten gezeigt. Es haben sich weder Anhaltspunkte für inhaltliche Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Störungen des Ich-Erlebens gezeigt, noch sind Suizidgedanken vorhanden gewesen. Mit diesem objektiven Befund lässt sich die Diagnose einer depressiven Erkrankung nicht hinreichend begründen. Die übrigen im „Psychischen Status“ beschriebenen Einschränkungen der Klägerin sind allesamt subjektiver Natur (u.a. Angabe verminderter Freude und Interessen, emotionaler Betäubung, ständiger Anspannung und Nervosität, innerlicher Unruhe, Alpträume, Intrusionen), sind keiner Konsistenzprüfung unterzogen worden und können mithin ebenfalls nicht zur zweifelsfreien Annahme einer depressiven Erkrankung im Vollbeweis führen.

Schließlich ergibt sich auch aus dem Entlassungsbericht der Rehaklinik K2 - die Klägerin ist dort vom 17.12.2019 bis 21.01.2020 stationär behandelt worden - nichts Anderes. Zum einen ist dort (abermals) eine depressive Erkrankung bereits nicht diagnostiziert worden. Zum anderen lässt auch der dort erhobene objektive psychische Befund keinen Rückschluss auf das tatsächliche Bestehen einer depressiven Erkrankung zu (objektiver Befund: wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert, keine Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen, spezifische Phobie vor dem Autofahren, ansonsten keine spezifischen Ängste oder Zwänge eruierbar, keine inhaltlichen Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen, Stimmung zum negativen Pol verschoben, affektlabil- und -inkontinent, affektive Schwingungsfähigkeit reduziert, keine Antriebs- oder psychomotorischen Störungen).

Zudem hat auch der die Klägerin seit September 2015 behandelnde H jedenfalls ab Dezember 2016 (s. u.a. Akten-Id: 339/S. 1 VA, Akten-Id: 503/S. 1 VA, Akten-Id: 556/S. 1 VA) keine psychischen Befunde (mehr) mitgeteilt, die die von ihm durchgehend gestellte Diagnose einer depressiven Episode stützen könnten. Er hat darin allenfalls „depressive Einbrüche“ behauptet, ohne jedoch zu beschreiben, auf welche Befunde er diese stützt.

Der Senat hält auch die Ausführungen des Sachverständigen W in seinem Gutachten von November 2018 nicht geeignet, die von ihm diagnostizierte schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome im Vollbeweis nachzuweisen. Zwar hat der Sachverständige W einen vollständigen objektiven Befund beschrieben, wonach die Klägerin erheblich angespannt gewesen und immer wieder in Tränen ausgebrochen sei. Die Stimmungslage sei durchgehend depressiv herabgesetzt und die affektive Schwingungsfähigkeit deutlich reduziert gewesen. Antrieb und Psychomotorik seien von einer erheblichen inneren Unruhe und Anspannung, Mimik und Gestik vermindert moduliert gewesen. Andererseits ist die Klägerin bewusstseinsklar und allseits orientiert pünktlich und gepflegt zur Untersuchung erschienen und hat ein zugewandtes Kontaktverhalten gezeigt. Der formale Gedankengang ist geordnet, lediglich etwas verlangsamt und stellenweise umständlich, jedoch nicht weitschweifig gewesen. Die Auffassungsgabe ist regelrecht gewesen und Aufmerksamkeit und Konzentration sind lediglich leichtgradig herabgesetzt gewesen. Zudem ist bei der Klägerin der Zung-Depressions-Test durchgeführt worden, wonach die Klägerin - laut der Auswertung des Sachverständigen W - nicht im Bereich einer depressiven Verstimmung liegt. Außerdem stehen die von der Klägerin selbst beschriebenen Alltagsaktivitäten in einem deutlichen Gegensatz zur Annahme einer relevanten depressiven Störung. Zwar weichen die seinerseits im November 2018 gegenüber dem Sachverständigen W gemachten Angaben von denjenigen ab, die die Klägerin im Dezember 2021 und Januar 2022 gegenüber dem Sachverständigen S5 gemacht hat. Dennoch zeigen sie einen vollständig ausgefüllten und gut strukturierten Tagesablauf (Vormittags: Aufwachen zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr, Morgenhygiene, Duschen, Anziehen, Medikamenteneinnahme, Frühstück, teilweise Wahrnehmung von Arzt- oder Psychotherapieterminen, manchmal sogar bereits vor 8.00 Uhr, Teilnahme am Reha-Sport, Bewerbungen schreiben, Jobsuche, Aufräumen, mit den Eltern zum Einkaufen fahren, zwischen 11.00 Uhr und 13.00 Uhr Pause im Liegen mit Atemtechniken oder „innerer Garten“, Mittagessen vorbereiten und zu sich nehmen; Nachmittags: Konfrontationstherapie im Auto des Vaters auf der Fahrerseite, danach längere Pause wegen körperlicher und psychischer Erschöpfung, anschließend Spiegeltherapie wegen des Händetremors, zwischen 17.00 Uhr und 18.00 Uhr spazieren gehen; Abends: Abendessen zubereiten und einnehmen, manchmal auch bei den Eltern essen und mit ihnen Spiele spielen, nach 20.00 Uhr Dehnungsübungen, Massage am Gerät und anschließend fernsehen). Eine schwere depressive Episode - wie vom Sachverständigen W diagnostiziert - lässt sich aus alledem nicht ableiten, worauf S5 zutreffend hingewiesen hat.

Hingegen geht der Senat zwar davon aus, dass bei der Klägerin eine dissoziative Störung, gemischt (ICD-10 F44.7) - wie vom Sachverständigen S5 diagnostiziert - in Form eines Aktions- und Ruhetremors der oberen Extremitäten und psychischen Dissoziierens mit Derealisation, Depersonalisation und Stupor-ähnlicher Reaktionslosigkeit vorliegt. Beide Symptommuster (Tremor und psychisches Dissoziieren) hat der Sachverständige während der durchgeführten Untersuchung der Klägerin objektivieren können. Ein Hinweis auf eine organische Verursachung des Tremors findet sich - laut dem Sachverständigen S5 - in dem umfassenden Aktenmaterial nicht. Vielmehr hat der die Klägerin behandelnde S6 im Mai 2019 im Anschluss an eine durchgeführte Diagnostik und Mitbehandlung der Klägerin in der neurologischen Klinik der Uklinik T ein komplexes Tremorsyndrom, am ehesten funktioneller Genese diagnostiziert (Bl. 119 SG-Akte). Allerdings wird - worauf der Sachverständige S5 zutreffend hingewiesen hat - ein intermittierender fein- bis grobschlägiger Tremor erstmals im Rahmen der stationären Behandlung in der Klinik für psychosomatische Medizin des Uklinikums U1 im Rahmen des stationären Aufenthalts der Klägerin vom 19.05.2016 bis 18.08.2016 objektiv beschrieben. Weder während der im Zeitraum vom 23.06.2015 bis 15.07.2015 durchgeführten KSR, noch im Rahmen der Untersuchung durch S2 am 02.07.2015 und auch nicht im Rahmen der Untersuchung durch den Verwaltungsgutachter G im Dezember 2015 ist ein Zittern der Hände beschrieben worden. Lediglich gegenüber H hat sie (jedenfalls) im Rahmen der Erstvorstellung am 08.09.2015 von „zittrigen Händen“ berichtet, wenn sie sich als Beifahrerin erschrecke. Einen entsprechenden objektiven Befund hat H jedoch nicht erhoben. Der Tremor ist folglich erst mehr als ein Jahr nach dem Unfallereignis aufgetreten. Gleiches gilt für das psychische Dissoziieren. Auch dieses ist erst mit einer zeitlichen Latenz von über einem Jahr erstmals im Rahmen der stationären Behandlung in der Klinik für psychosomatische Medizin des Uklinikums U1 differenziert beschrieben worden.

Diese dissoziative Störung ist nach Überzeugung des Senats jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Der Senat stützt seine Überzeugung (wiederum) auf die ausführliche und nachvollziehbare Begründung des Sachverständigen S5 in seinem Gutachten von Mai 2022. Darin legt er dar, dass nach dem gegenwärtigen fachwissenschaftlichen Kenntnisstand dissoziative Störungen auf einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht basieren (u.a. genetische Komponente, frühkindliche psychotraumatische Erlebnisse, Faktoren des Modelllernens, auf Persönlichkeitsebene: vermehrte Suggestibilität, mentale Absorption und starke Fantasieneigung mit einer erhöhten Bereitschaft zum Erleben von dissoziativen Phänomenen sowie geringe Fertigkeiten der Emotionsregulation) und allenfalls anhaltende schwere körperliche Schädigungsfolgen - die bei der Klägerin gerade nicht vorliegen - geeignet sind, zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der dissoziativen Symptomatik beizutragen.

Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass sie grundsätzlich in dem gesundheitlichen Zustand versichert gewesen sei, in dem sie sich zum Unfallzeitpunkt befunden habe, sie bis dahin an keiner psychiatrischen Erkrankung gelitten habe und nicht allein wegen ihrer ggfs. bestehenden Persönlichkeitsstruktur ein Ursachenzusammenhang verneint werden könne, verkennt sie, wie bereits oben dargelegt, dass es im Bereich des Unfallversicherungsrechts gerade keine Beweisregel gibt, wonach auch bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen. Im Übrigen spricht bereits die lange zeitliche Latenz zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten der dissoziativen Symptome im Rahmen der stationären Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Uklinikums U1 vom 19.05.2016 bis 18.08.2016 gegen einen rechtlich wesentlichen Ursachenzusammenhang; auch darauf hat S5 zutreffend hingewiesen.

Ob die seitens der Sachverständigen S5 und W und seitens der behandelnden Ärzte diagnostizierte Schmerzstörung, an deren Vorliegen auch der Senat nach Auswertung des umfassenden Aktenmaterials nicht zweifelt, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 02.03.2015 - wie u.a. vom Sachverständigen W angenommen - zurückzuführen, es diesbezüglich zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage - wie vom Sachverständigen S5 angenommen - gekommen oder deren Entstehung ebenfalls in einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht zu sehen und gerade nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls ist diese Störung nicht derart ausgeprägt, dass sie ab dem 14.02.2017 zu einer rentenberechtigenden Erhöhung der MdE führt.

Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 245) ist eine somatoforme Schmerzstörung mit leicht- bis mäßiggradiger körperlich-funktioneller Einschränkung mit einer MdE bis 10 v.H. zu bewerten. Erst ein chronifizierter Schmerzzustand mit stärkergradiger körperlich-funktioneller Einschränkung und psychisch-emotionaler Beeinträchtigung führt zu einer MdE bis 30 v.H. Mäßig- oder stärkergradige körperlich-funktionelle Einschränkungen liegen bei der Klägerin jedoch gerade nicht vor. Dies entnimmt der Senat (wiederum) dem Sachverständigengutachten des S5, der im Rahmen seiner Untersuchungen einen ausführlichen körperlich-neurologischen Befund erhoben hat. Dieser Befund ist bis auf den der dissoziativen Störung zuzuordnenden Tremor weitestgehend regelrecht und beschreibt allenfalls leichtgradige körperlich-funktionelle Einschränkungen (s. u.a. Kopf: u.a. kein Kalottenkopfschmerz, Rotation des Kopfes in der HWS aktiv und passiv frei; Hirnnerven: u.a. Kopf-Seitwärtsneigung sowie Schulterhebung regelrecht; Motorik: u.a. grobe Kraftentwicklung und Handkraft bei anamnestischer Rechtshändigkeit konstitutionsentsprechend, keine Absinktendenz im Arm- und Bein-Halteversuch; Koordination: u.a. Unterberger-Tretversuch regulär durchführbar ohne Standunsicherheit und ohne Drehung der Körperlängsachse, Seiltänzergang regelrecht, Seiltänzer-Blindgang ebenfalls regelrecht, Gehen: physiologisches Gangbild, symmetrische Armmitbewegung, raumgreifende Schrittführung, reguläres Abrollen der Fußsohlen, Vorfuß- und Fersengang regelrecht, Ent- bzw. Ankleiden im Rahmen der körperlich-neurologischen Untersuchung regelrecht und vollkommen selbständig durchführbar, Abstreifen der Socken aus dem Sitzen heraus realisierbar, Transfer vom Stehen zum Liegen und retour regelrecht und ohne Hilfestellung realisierbar, Hochgreifen über die Horizontale mit der rechten Hand möglich, Aufheben eines leichten Gegenstandes aus dem Stehen und aus dem Sitzen heraus nicht möglich, wobei analoge Manöver während des nicht explizit geprüften, jedoch vom Sachverständigen passager beobachteten Ent- und Ankleidens gelingen, Sensibilität: u.a. regelrechtes Vibrationsempfinden). Auch der Sachverständige W hat anlässlich seiner Untersuchung im November 2018 einen ausführlichen körperlich-neurologischen Untersuchungsbefund erhoben, der ebenfalls - vom Handtremor abgesehen - keine körperlich-funktionellen Einschränkungen beschreibt (u.a. Gangbild flüssig, normale Schrittlänge, kein Schonhinken, keine schmerzbedingten Ausgleichsbewegungen während des Gesprächs, regelrechte Gestikulation, keine erkennbaren Bewegungseinschränkungen im Bereich der oberen Extremität, freie Kopfbeweglichkeit, An- und Auskleiden ohne Hilfestellung mit regelrechter Wirbelsäulenbeweglichkeit möglich, Lasègue beidseits negativ, Hirnnerven: Gesicht sensibel und motorisch intakt, Sensibilität: keine Gefühlsstörungen für sämtliche Qualitäten, Motorik: alle Extremitäten frei beweglich, keine umschriebenen Muskelatrophien, keine Auffälligkeiten bezüglich Tonus und Trophik, grobe Kraft allseits ungestört, insbesondere auch monopedales Hüpfen seitengleich möglich, keine Absinktendenz in Vorhalteversuchen, Koordination: u.a. Finger-Nase-Versuch geprägt vom erheblichen linksbetonten Tremor, Knie-Hacke-Versuch seitengleich ohne wesentlichen Tremor durchführbar, Romberg- und Unterberger-Tretversuch ungestört, Dysdiadochokinese beidseits). Auch der chirurgische Verwaltungsgutachter Dr. Schoppa, dessen Gutachten der Senat ebenfalls im Wege des Urkundsbeweis verwertet, hat anlässlich seiner Untersuchung der Klägerin im Juli 2014 keine erheblichen Funktionseinschränkungen objektivieren können (u.a. HWS-Beweglichkeit in allen Achsen frei, Seitneigung der BWS nach rechts mit 20°, nach links mit 25° eingeschränkt, Zeichen nach Ott 31,2 cm, Zeichen nach Schober 13,8 cm, Finger-Boden-Abstand 20,0 cm, normale Beschwielung der Handinnenflächen, Fingerspreizung regelrecht, Faustschluss komplett möglich, Spitz-, Schlüssel- und Umfassgriff beidseits durchführbar, regelrechtes Schrittbild mit flüssigem Ablauf, kein Schon- oder Lähmungshinken, Einbein-, Zehen- und Fersenstand bzw. -gang regelrecht durchführbar, Aufrichten aus der tiefen Hocke eingeschränkt möglich, normale Fußbeschwielung, Zehengelenksbeweglichkeit beidseits gleich und frei, Lasègue beidseits negativ, keine Sensibilitätsstörungen und keine Kraftminderung der Arme und Beine).

Auch den Entlassungsberichten der stattgehabten zahlreichen stationären, teilstationären und Rehabilitationsbehandlungen lassen sich weder durchgehende noch mäßig- oder gar stärkergradige schmerzbedingte Funktionsstörungen entnehmen. Lediglich in den Entlassungsberichten der R-Klinik über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 09.03.2017 bis 29.03.2017 (u.a. schmerzhafte Einschränkung der HWS-Beweglichkeit für die Kopfwendung und Seitneigung) und des O-Klinikums A1 über den teilstationären Aufenthalt der Klägerin vom 05.09.2019 bis 18.10.2019 (u.a. Kopfbeweglichkeit deutlich eingeschränkt und in Endstellung schmerzhaft) werden Funktionseinschränkungen im Bereich der HWS-Beweglichkeit mitgeteilt, jedoch keine Beeinträchtigungen der Beweglichkeit der restlichen Wirbelsäule oder der oberen - abgesehen vom Handtremor - und unteren Extremitäten beschrieben. Demgegenüber werden weder in dem Entlassungsbericht der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Uklinikums U1 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 19.05.2016 bis 18.08.2016, noch in dem Entlassungsbericht des O-Klinikums A1 über den stationären Aufenthalt vom 14.11.2017 bis 05.12.2017 und 12.12.2017 bis 16.01.2018 und auch nicht in dem Reha-Entlassungsbericht über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17.12.2019 bis 21.01.2020 mäßig- oder gar höhergradige Funktionsbeeinträchtigungen beschrieben. Somit liegen bei der Klägerin allenfalls gelegentlich, keinesfalls jedoch durchgehend, lediglich leichtgradige körperlich-funktionelle Einschränkungen mit Schmerzen vor, die nach Überzeugung des Senats nicht mit einer MdE von mindestens 10 v.H. zu bewerten sind.

Soweit die Beklagte mit Schreiben vom 10.02.2016 einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem „derzeitigen psychischen Gesundheitszustand“ und dem Unfall vom 02.03.2015 anerkannt hat, liegt darin schon keine Feststellung bestimmter, konkreter Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen.

Weitere bei der MdE-Bemessung zu berücksichtigende und nicht das psychiatrisch-neurologische Fachgebiet betreffende Funktionseinschränkungen liegen bei der Klägerin nicht vor. In Betracht kommen allein Einschränkungen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet. Diesbezüglich hat die Beklagte mit insoweit zwischenzeitlich bestandskräftigem Bescheid vom 05.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2018 allein „ausgeheilte“ und damit einer MdE-Bewertung nicht mehr zugängliche Gesundheitsstörungen in Form einer Rückenprellung und einer HWS-Zerrung (sog. Schleudertrauma) anerkannt. Unabhängig hiervon liegen jedoch auch keine berücksichtigungsfähigen funktionellen Beeinträchtigungen auf diesem Fachgebiet mehr vor. Wie soeben ausgeführt, leidet die Klägerin allenfalls gelegentlich an einer Beeinträchtigung der HWS-Beweglichkeit bei ansonsten uneingeschränkter Beweglichkeit. Eine MdE-relevante Beeinträchtigung liegt im streitgegenständlichen Zeitraum somit nicht (mehr) vor.

Den Antrag der Klägerin, den zweitinstanzlichen Sachverständigen S5 zur Erläuterung seines Gutachtens und den erstinstanzlichen Sachverständigen W, dessen Gutachten vom 26.11.2018 grundlegend abweichende Einschätzungen enthalte, „zwecks Gegenüberstellung“ in die mündliche Verhandlung zu laden, lehnt der Senat ab. Weder besteht eine Verpflichtung des Senats, die Sachverständigen zum Termin zu laden, noch hält der Senat dies im Rahmen des ihm insoweit grundsätzlich zustehenden Ermessens (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung) für geboten.

Eine Ladung des gerichtlichen Sachverständigen, der sein schriftliches Gutachten erstattet hat, zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens ist im sozialgerichtlichen Verfahren nur in bestimmten Fallkonstellationen sachdienlich. Denn gerade im Rahmen der - hier im Vordergrund stehenden - sozialmedizinischen Sachaufklärung kommt es in der Regel nicht alleine auf die medizinischen Kenntnisse des Sachverständigen an, sondern die für die Entscheidung des konkreten Falles relevanten Fragen lassen sich regelmäßig nur in Kenntnis und damit nach Auswertung der Akten, ggf. der Auswertung von Ergebnissen bildgebender Verfahren und ggf. entsprechender zusätzlicher Recherchen in Bezug auf besondere Fragestellungen beantworten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf sich nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens ergebender Rückfragen, insbesondere bei erforderlichen Stellungnahmen auf Vorhalte des Gerichts oder der Verfahrensbeteiligten in Bezug auf zu berücksichtigende Tatsachen, Erwägungen und/oder Erläuterung von Argumentationsketten. Für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung mit der dort regelmäßig anzustellenden Kausalitätsbetrachtung gilt dies in besonderem Maße. Demensprechend ist das BSG in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass der gerichtliche Sachverständige nur in bestimmten Fällen vom Gericht zur Erläuterung seines Gutachtens in die mündliche Verhandlung geladen werden muss. Dies ist insbesondere der Fall, wenn zuvor objektiv sachdienliche Fragen angekündigt worden sind bzw. zumindest ein entsprechender Fragenkomplex konkret umschrieben worden ist, soweit der Sachverständige die Fragen nicht bereits beantwortet hat (BSG 09.01.2006, B 1 KR 52/05 B) oder wenn der Sachverhalt noch nicht zweifelsfrei geklärt ist und die bestehenden Zweifel durch schriftliche Nachfragen nur unzulänglich geklärt werden können (BSG 27.04.2006, B 7a AL 242/05 B). Einer Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens bedarf es somit im sozialgerichtlichen Verfahren nur (so ausdrücklich der für das Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG am 31.05.1996, 2 BU 16/96), wenn dies nach Lage der Dinge sachdienlich ist, was insbesondere der Fall sein kann, wenn der Sachverständige von falschen tatsächlichen Annahmen ausgegangen ist oder sein Gutachten Lücken oder Widersprüche enthält, die durch eine mündliche Befragung ausgeräumt werden müssen. Noch nicht einmal im Falle des Widerspruches zu anderen Gutachten ist die persönliche Anhörung des Sachverständigen erforderlich (BSG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Sachverständige W ist schon deshalb nicht in eine mündliche Verhandlung zu laden, da die Klägerin insoweit weder objektiv sachdienliche Fragen angekündigt, noch einen entsprechenden, an ihn gerichteten Fragenkomplex konkret umschrieben hat und auch nicht ersichtlich ist, dass und ggfs. welche Fragen er (noch) nicht beantwortet hat oder gar der Sachverhalt noch nicht zweifelsfrei geklärt ist. Vielmehr geht es der Klägerin mit ihrem Antrag auf Ladung (auch) des Sachverständigen W offensichtlich ausschließlich darum - was auch bereits aus ihrer konkreten Antragstellung hervorgeht („zwecks Gegenüberstellung“) -, einen „argumentativen Austausch“ zwischen ihm und dem Sachverständigen S5 herbeizuführen. Ein derartiger Anspruch der Klägerin besteht jedoch nicht. Ohnehin besteht das Recht eines Beteiligten, Fragen an einen Sachverständigen zu stellen, grundsätzlich nur mit Blick auf solche Gutachten, die im selben Rechtszug erstattet worden sind (st. Rspr.; z.B. BSG 04.05.2022, B 9 V 30/21 B;  BSG 04.05.2020, B 9 SB 84/19 B; BSG 12.10.2017, B 9 V 32/17 B).

Auch in Bezug auf den Sachverständigen S5 erfüllt der Antrag der Klägerin nicht die seitens des BSG aufgestellten Kriterien. Der Sachverständige S5 hat sämtliche an ihn gestellte Beweisfragen in seinem ausführlichen Gutachten umfassend beantwortet und es bestehen - wie bereits ausgeführt - auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverhalt noch nicht vollständig geklärt ist. Auch hat die Klägerin keine an S5 zu stellenden objektiv sachdienlichen Fragen angekündigt, sondern lediglich pauschal beantragt, ihn zur Erläuterung seines Gutachtens vom 17.05.2022 zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu laden. Soweit der Senat überhaupt aus den vom Bevollmächtigten der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich zu Protokoll gereichten Erläuterungen (S. 168 ff. Senatsakte) konkrete, aus Sicht der Klägerin erläuterungsbedürftige Punkte entnehmen kann, führen diese nicht zu der Verpflichtung des Senats, den Sachverständigen S5 persönlich in die mündliche Verhandlung zu laden. Nach Nr. 1 dieses Schriftsatzes soll der Sachverständige vermeintlich zu der Frage Stellung nehmen, weshalb er die somatoforme Schmerzstörung und die dissoziative Störung nicht als unfallbedingt ansieht, sondern davon ausgeht, dass diese auf Grund von persönlichkeitsinnewohnenden Faktoren entstanden seien. Hinsichtlich der somatoformen Schmerzstörung kommt es - wie der Senat oben ausgeführt hat - auf die Kausalitätsfrage bereits nicht an, da der Senat zu dem Ergebnis gelangt ist, dass eine rentenerhöhende MdE aus dieser Erkrankung jedenfalls nicht folgt. Weshalb die dissoziative Störung nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen ist, hat S5 unter Heranziehung der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung, der AWMF-Begutachtungsleitlinie 2019 und unter ausführlicher Darstellung der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin (s. Bl. 134 ff. Senatsakte) begründet. Für den Senat ist daher nicht ersichtlich, welchen Erkenntnisgewinn eine zusätzliche mündliche Befragung des Sachverständigen erbringen soll, denn er hat die Frage bereits beantwortet. Nach Nr. 2 des Schriftsatzes soll der Sachverständige S5 wohl zu der Frage Stellung nehmen, aus welchen Gründen er nicht davon ausgeht, dass die psychischen Beschwerden der Klägerin erst durch eine Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens entstanden seien. Zum einen ist diese Behauptung schon insoweit unrichtig, als S5 in Bezug auf die situative Phobie sehr wohl davon ausgeht, dass diese kausal im unfallversicherungsrechtlichen Sinne durch den Unfall hervorgerufen worden ist. Zum anderen hat er - entgegen der Auffassung der Klägerin - ausführlich begründet, weshalb er die übrigen psychischen Störungen auf ihre persönlichkeitsimmanente Veranlagung und gerade nicht auf den Unfall zurückführt. Auch hierzu besteht kein weiterer Erläuterungsbedarf. Unter Nr. 3 des Schriftsatzes wird die Frage aufgeworfen, weshalb der Sachverständige S5 von einer persönlichkeitsimmanenten Veranlagung zur Entstehung psychischer Störungen ausgeht, obwohl die Klägerin in der Vergangenheit ihr Leben trotz (auch) widriger Umstände selbständig gemeistert hat. Auch dies hat S5 in seinem Gutachten bereits ausführlich unter Darstellung der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin begründet, weshalb auch diesbezüglich kein weiterer Erläuterungsbedarf besteht. Unter Nr. 4 bemängelt die Klägerin die - ihrer Auffassung nach - nur kurze Auseinandersetzung mit der Kausalitätsbeurteilung des Sachverständigen W und begehrt neben einer weiteren Erläuterung den „argumentativen Austausch“ mit diesem. Wie bereits dargelegt, hat S5 in seinem Gutachten umfassend seine fachärztliche Einschätzung in Bezug auf die Entstehung der psychischen Erkrankungen der Klägerin dargelegt, u.a. weshalb er diese - bis auf die situative Phobie - gerade nicht auf den Unfall oder eine - wie von W angenommene - Fehlverarbeitung zurückführt. Auch im Hinblick darauf besteht kein weiterer Erläuterungsbedarf. Soweit es der Klägerin u.a. auch auf einen „argumentativen Austausch“ zwischen den Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ankommt, hat sie darauf - wie bereits oben ausgeführt - gerade keinen Anspruch.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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