S 7 SO 1522/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 1522/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3313/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 14/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Anspruch auf Wohnungserstausstattung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII nach Verlust einer bisher vorhandenen Einrichtung setzt einen plötzlichen Verlust voraus, der auf ein punktuelles Ereignis zurückzuführen ist, und darf nicht lediglich das Ergebnis eines schleichenden, schrittweisen Verschleißprozesses sein.

 

2. Das Verlustereignis kann seine Ursache auch in einer psychischen Erkrankung des Betroffenen haben, wenn diese sich durch vom Betroffenen nicht willentlich kontrollierbare Handlungszwänge manifestiert, die ihn zur Zerstörung bzw. Entsorgung der Einrichtung nötigen.

 

3. Der Anspruch ist nicht begrenzt auf Verlust oder Untergang der Einrichtung aufgrund von Umständen, die sich im Sinne einer rein physisch-naturwissenschaftlichen Unterscheidung außerhalb des Körpers des Betroffenen abspielen. 

 

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.5.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.3.2018 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Beihilfe für die Erstausstattung der Wohnung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII in Höhe von 771,00 € zu gewähren.

 

  1. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

  1. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu 2/3.

 

  1. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.

 

Die am … geborene Klägerin ist tschechische Staatsangehörige und lebt seit 1998 in Deutschland. Sie ist geschieden. Sie bezog zunächst vom Jobcenter F. Arbeitslosengeld II. Sie bewohnte eine Mietwohnung im Z-Weg in F., die von der F-GmbH vermietet wurde.

 

Anfang des Jahres 2016 trat bei der Klägerin erstmals eine psychische Erkrankung auf. Sie äußerte sich in akustischen und visuelle Halluzinationen (Stimmenhören bzw. Gespräche mit nicht anwesenden Personen sowie „Engeln, Teufeln und Dämonen“) sowie in der Überzeugung der Klägerin, dass ihre Wohnung und die darin befindlichen Möbel, der Hausrat und ihre persönliche Habe „vergiftet“ oder „verflucht“ seien. Die Klägerin entsorgte daraufhin weite Teile ihrer Möbel, ihres Hausrats und ihrer persönlichen Habe einschließlich Kleidung und Ausweisdokumenten, obwohl diese Gegenstände objektiv betrachtet noch funktionsfähig waren. Zeitweise nahm die Klägerin auch keine Nahrung zu sich, da sie fürchtete, auch diese sei „vergiftet“.

 

 

 

Auf Initiative der erwachsenen Kinder der Klägerin wurde sie daraufhin im Auftrag des Betreuungsgerichts am 21.1.2016 durch den Psychiater Dr. P. begutachtet. Dr. P. befürwortete die Einrichtung einer Betreuung. Auch eine stationäre Unterbringung der Klägerin erwog er, hielt sie allerdings mangels Anzeichen für eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung nicht für notwendig. Das Betreuungsgericht bestellte daher am 27.1.2016 eine Betreuerin für die Klägerin u. a. mit den Aufgabenbereichen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten.

 

Vom 15.4. – 1.6.2016 befand sich die Klägerin, nachdem die psychiatrischen Symptome anhielten, zur stationären Behandlung in der Z-Klinik in E.. Dort wurde eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert.

 

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Bayern-Süd eine volle Erwerbsminderung der Klägerin auf Zeit bis zum 31.1.2018 festgestellt hatte, endete der Bezug von Arbeitslosengeld II zum 31.8.2016 und die Klägerin stellte einen Antrag auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII bei der Beklagten.

 

Vom 3. – 25.11.2016 befand sich die Klägerin zum zweiten Mal in stationärer Behandlung in der Z-Klinik in E..

 

Mit Bescheid vom 17.2.2017 und Änderungsbescheiden vom 4.4.2017, 8.6.2017 und 8.1.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des
SGB XII für den Zeitraum vom 1.9.2016 – 31.1.2018.

 

Vom 23.3. – 9.4.2017 befand sich die Klägerin zum dritten Mal in stationärer Behandlung in der Z-Klinik in E.

 

Im Anschluss daran zog die Klägerin in eine neue Wohnung im Z-Weg … in Freiburg um. Anlässlich dieses Umzugs beantragte die Betreuerin für die Klägerin die Gewährung einer Beihilfe für die Erstausstattung der Wohnung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Die Klägerin benötige Ersatz für die im Rahmen der psychotischen Schübe des vergangenen Jahres als „vergiftet“ bzw. „verflucht“ entsorgten Möbel und Haushaltsgegenstände.

 

Mit Bescheid vom 10.5.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Da lediglich ein Ersatz für nicht mehr vorhandene Einrichtung geltend gemacht werde, handele sich nicht um eine Erstausstattung im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII, sondern lediglich um einen Ergänzungsbedarf. Dieser sei aus der Regelleistung zu bestreiten. Soweit diese nicht ausreiche, könne die Klägerin ein Darlehen nach § 37 SGB XII erhalten.

 

Gegen diese Entscheidung legte die Betreuerin der Klägerin am 7.6.2017 Widerspruch ein. Hier liege ein atypischer Einzelfall vor, in dem auch einzelne Gegenstände als Wohnungserstausstattung anzusehen seien.

 

Zwischenzeitlich beschaffte der erwachsene Sohn der Klägerin, Herr … , die fehlenden Einrichtungsgegenstände (Stühle für 49,80 €, Bett für 296,91 €, Schrank für 79,00 €, Esstisch für 109,00 €, Küchenmöbel für 350,00 € zzgl. 60,00 € Transport, Wasserhahn für
30,00 €, Fernseher für 80,00 €, Regal für 24,99 €, Teller für 10,00 €, Besteck für 20,00 €, Gläser für 4,49 €, Lampen für 40,00 € und Kochtöpfe für 23,90 €). Den dafür erforderlichen Gesamtbetrag von 1.178,09 € streckte er im Wege eines Darlehens an seine Mutter vor. Darüber schlossen Mutter und Sohn am 7.6.2017 einen schriftlichen Darlehensvertrag.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.3.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 10.5.2017 als unbegründet zurück.

 

Am 3.4.2017 hat die Klägerin durch ihre Betreuerin und diese durch ihre Bevollmächtigte Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben.

 

Für die Klägerin wird vorgetragen, dass ihre Situation mit dem Verlust der Wohnungseinrichtung durch plötzliche außergewöhnliche Umstände, die der Gesetzgeber bzw. die sozialgerichtliche Rechtsprechung seit jeher als Fallgruppe des § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII anerkennten, durchaus vergleichbar sei. Ebenso wie bei einem Verlust der Wohnungseinrichtung wegen Brandes oder Inhaftierung handele es sich auch bei der psychischen Erkrankung der Klägerin um ein schicksalhaft eintretendes Ereignis, das sich der Kontrolle der Klägerin entziehe. Sowohl der vom Betreuungsgericht bestellte Gutachter Dr. P. als auch die behandelnden Ärzte der Z-Klinik hätten festgestellt, dass die Klägerin in ihrem paranoiden Weltbild gefangen sei. Es bestehe eine verzerrte Realitätswahrnehmung, der die Klägerin nicht aus eigener Kraft entkommen könne. Sie habe keinerlei Krankheitseinsicht. Die Klägerin habe daher nicht aus freien Stücken ihre Einrichtung entsorgt, sondern sich dazu quasi gezwungen gesehen. Dies sei einer äußeren Zwangslage gleichzustellen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 10.5.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.3.2018 aufzuheben und der Klägerin für die Erstausstattung ihrer Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten eine Beihilfe in Höhe von 1.178,09 € zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hält die mit der Klage angefochtenen Bescheide für rechtsfehlerfrei.

 

Eine Wohnungserstausstattung könne nur gewährt werden, wenn der Verlust der bisherigen Gegenstände auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei, die von außen auf den Betroffenen bzw. auf seine Wohnung einwirkten und zu einem plötzlichen Untergang oder einer plötzlichen Unbrauchbarkeit der Einrichtung führten (BSG, Urteil vom 6.8.2014, Az. B 4 AS 57/13 R). „Von innen“ kommende Umstände, die unmittelbar in der Person des Betroffenen gründeten, könnten dagegen nicht berücksichtigt werden, auch wenn sie krankheitsbedingt seien. Dies sei einem schleichenden Verschleiß gleichzusetzen, für den es ebenfalls keine Ersatzleistungen gebe. Ferner sei bei krankheitsbedingter Entsorgung von Möbeln und Hausrat von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Die dadurch entstehenden Kosten könnten nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.7.2018 hat das Gericht die Beteiligten angehört.

 

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Stand 15.3.2018), die das Gericht zum Verfahren beigezogen hat, Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft nach § 54 Abs. 4 SGG.

 

Die Klage ist auch teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.5.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.3.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung einer Beihilfe für die Erstausstattung der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII; allerdings nur in geringerer Höhe als von ihr beantragt.

 

Die Klägerin bezog während des dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhalts laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Diese Leistungen enthalten in § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII eine Anspruchsgrundlage für die Gewährung einmaliger Beihilfen für die Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten.

 

Ein solcher Anspruch steht der Klägerin dem Grunde nach zu. Insbesondere handelt es sich bei dem hier geltend gemachten Bedarf nicht um einen bloßen Ergänzungsbedarf, der aus der Regelleistung oder durch ein ergänzendes Darlehen nach § 37 SGB XII zu bestreiten wäre.

 

Zu § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII findet sich bisher keine Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Das BSG hat allerdings schon mehrfach zu dem praktisch inhaltsgleichen § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II (bzw. vormals § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II) entschieden, nach dem im Rahmen der laufenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) ebenfalls Beihilfen für die Erstausstattung einer Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten gewährt werden. Das Gericht hält die bundessozialgerichtliche Rechtsprechung zu § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II (bzw. zu § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F.) daher für auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII übertragbar.

 

Nach dieser handelt es sich um eine bedarfsbezogene Leistung, die sich auf die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen erstreckt, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen. Für die Auslegung des Begriffs der Erstausstattung ist entscheidend, ob ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt ist.

 

§ 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII setzt daher – ebenso wenig wie § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II bzw. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F. -  nicht zwingend voraus, dass der Betroffene erstmals einen Haushalt begründet. Bereits der Gesetzgeber nennt in der Gesetzesbegründung zu § 31 SGB XII (damals § 32 SGB XII) als Fallgruppen für eine Wohnungserstausstattung auch den Verlust oder Untergang einer zuvor vorhandenen Wohnungseinrichtung durch Brand oder Haft (BT-Drs. 15/1514, S. 60). Im vorliegenden Fall ist es daher für den Anspruch der Klägerin nicht schädlich, dass sie zum Zeitpunkt des Antrags bereits seit Jahren einen eigenen Haushalt geführt und bereits über eigene Möbel und Haushaltsgeräte verfügt hatte.

 

Die Vorschrift setzt auch nicht zwingend voraus, dass aktuell überhaupt keine Möbel und kein Hausrat vorhanden sind. Insofern kommt es durchaus in Betracht, auch einzelne fehlende Gegenstände als Erstausstattung der Wohnung zu qualifizieren (so auch BSG, Urteil vom 19.9.2008 – B 14 AS 64/07 R – juris; BSG, Urteil vom 6.8.2014 – B 4 AS 57/13 R - juris).

 

Zwischen den Beteiligten ist allerdings streitig geblieben, ob die hier vorliegende Ursache für den Verlust der Wohnungseinrichtung – krankheitsbedingter, aber rein innerlich empfundener Zwang ohne jegliche äußere, objektive Notwendigkeit – den vom Gesetzgeber und von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen gleichzusetzen ist (so die Klägerin), oder ob sie eher mit dem schleichenden Verschleiß, für den keine besonderen Ersatzleistungen vorgesehen sind, zu vergleichen ist (so die Beklagte).

 

Nach Auffassung des Gerichts ist ersteres der Fall. Das Gericht leitet dies ab aus den Grundsätzen, die das BSG im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu der Abgrenzung von Erstausstattung und Ergänzungsbedarf entwickelt hat.

 

Vom BSG als Fallgruppen der Erstausstattung (ggf. auch für einzelne Gegenstände) ausdrücklich anerkannt wurden bisher der Wegfall der Nutzungsmöglichkeit vorhandener Möbel und Geräte wegen Trennung vom Partner und Auszug aus der gemeinsamen Wohnung (Urteil vom 19.9.2008 – B 14 AS 64/07 R – juris; BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 156/11 R - juris); der Untergang von bisher gebrauchsfähigen Möbeln während eines vom Grundsicherungsträger veranlassten Umzugs (Urteil vom 1.7. 2009 – B 4 AS 77/08 R – juris); das Fehlen von eigenen Möbeln nach Umzug aus einer möblierten in eine nichtmöblierte Wohnung (BSG, Urteil vom 19.8.2010 – B 14 AS 10/09 R – juris); die Wiederbegründung eines eigenen Haushalts nach langjähriger Haft (BSG, Urteil vom 13.4.2011 – B 14 AS 53/10 R – juris); sowie die Rückkehr von einem langjährigen Auslandsaufenthalt ohne Möglichkeit, den dort vorhanden gewesenen Hausrat mitzubringen (BSG, Urteil vom 27.9.2011 – B 4 AS 202/10 R – juris).

 

Bei diesen handelt es sich sämtlich um Fälle, in denen der Bedarf durch eine Änderung der äußeren Wohnsituation entsteht. Der hier zu entscheidende Fall liegt insofern anders, als der Bedarf auch ohne äußere Veränderung der Wohnsituation entstand. Der Umzug vom Z-Weg … in den Z-Weg … über ein Jahr nach der krankheitsbedingten Entsorgung von Möbeln und Hausrat war lediglich der äußere Anlass, entsprechende Leistungen bei der Beklagten geltend zu machen, nicht aber der Grund für das Entstehen des Bedarfs.

 

Dieser Konstellation am nächsten kommt das Urteil des BSG vom 6.8.2014 (B 4 AS 57/13 Rjuris). In diesem hatte das BSG den Fall eines langjährig heroinabhängigen, gegenwärtig aber wieder abstinenten Leistungsbeziehers nach dem SGB II zu entscheiden, der – ebenfalls ohne äußere Änderung seiner Wohnsituation - geltend machte, dass er aufgrund seiner Drogensucht und des damit verbundenen Lebenswandels seine bisherige Wohnungseinrichtung derart vernachlässigt und in Rauschzuständen sogar angezündet und anderweitig beschädigt habe, dass sie unbrauchbar geworden sei. Das BSG verneinte den Anspruch auf eine Wohnungserstausstattung und führte dazu aus:

 

 

„(Rdnr. 18) Hieraus folgt, dass ein infolge des allgemein üblichen Abnutzungs- und Verschleißprozesses nach und nach entstandener Bedarf - auch wenn hierbei personenbezogene Faktoren, etwa eine mangelnde Sorgfalt oder ein besonders intensiver Gebrauch bestimmter Einrichtungsgegenstände mitgewirkt haben sollten - durch den Regelbedarf oder ggf. bei einer Bedarfsspitze durch ein Darlehen zu decken ist.

 

Eine Erstausstattung im Sinne einer Wiederbeschaffung erfordert in Abgrenzung dazu "von außen" einwirkende außergewöhnliche Umstände bzw. besondere Ereignisse, die zu der Entstehung des Bedarfs geführt haben. Soweit sie nicht mit Veränderungen der Wohnung bzw. der Wohnsituation einhergehen, müssen diese Umstände bzw. diese Ereignisse regelmäßig geeignet sein, den plötzlichen "Untergang" bzw. die Unbrauchbarkeit der Wohnungsausstattung unabhängig von sonstigen allgemeinen Gründen für den Verschleiß oder den Untergang der Gegenstände herbeizuführen. Insofern zeigen auch die vom Gesetzgeber beispielhaft genannten Erstausstattungen für die Wohnung nach einem Wohnungsbrand oder bei Erstanmietung nach einer Haft (BT-Drucks 15/1514 S 60), dass die Schwelle für die Annahme eines von der Regelleistung bzw. heute vom Regelbedarf nicht umfassten und aufzufangenden Bedarfs für Wohnungserstausstattungen oder erneute Beschaffung einer Wohnungsausstattung im Sinne der Erstausstattung regelmäßig erst bei einem Verlust der Einrichtungsgegenstände durch von außen einwirkende besondere Ereignisse erreicht wird. […]

 

(Rdnr. 20) Es entspricht auch dem Sinn und Zweck der "Erstausstattungsregelung", sie für den Fall der "Wiederbeschaffung" an außergewöhnliche Umstände bzw. ein besonderes Ereignis zu knüpfen. Die Leistung hierfür wird ergänzend zu dem Regelbedarf für eine besondere Bedarfslage erbracht. Sie wird "bei vielen bzw. dem überwiegenden Teil der Leistungsberechtigten überhaupt nicht entstehen" (vgl BT-Drucks 15/1514, S 59; vgl Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 24 RdNr 93).

 

(Rdnr. 21) Anders als bei einem Wohnungsbrand und dem Verlust von Gegenständen infolge eines Umzugs handelt es sich bei der Suchterkrankung, auch wenn diese mit Rauschzuständen verbunden war, nicht um ein "von außen" einwirkendes Ereignis oder einen Umstand der zuvor beschriebenen Art, das oder der regelmäßig geeignet ist, den plötzlichen Untergang bzw. die Unbrauchbarkeit der Einrichtungsgegenstände zu bewirken. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass allein der Umstand, dass der Verschleiß der Einrichtungsgegenstände aus krankheitsbedingten Gründen hier möglicherweise schneller oder stärker als im Regelfall vorangeschritten ist, keinen Leistungsanspruch begründet.

 

(Rdnr. 22) Die Krankheit des Klägers war hier auch nicht mit einer Veränderung der Wohnsituation und einem hierdurch bedingten "Verlust von Einrichtungsgegenständen" als von "außen" wirkendem Umstand, etwa bei Wohnungsaufgabe, verbunden.“

 

Die Beklagte leitet daraus ab, dass der eine Wohnungserstausstattung notwendig machende Untergang bzw. die Unbrauchbarkeit der bisherigen Einrichtung – bei Fehlen einer äußeren Veränderung der Wohnsituation – gleichwohl stets ein Einwirken „von außen“ in dem Sinne erfordert, dass sich die entsprechenden Vorgänge physisch außerhalb der betroffenen Person abspielen müssen. Im Umkehrschluss soll ein Anspruch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dann entfallen, wenn der Untergang bzw. die Unbrauchbarkeit der bisherigen Einrichtung aufgrund von Umständen eintrat, die ihre Ursache ausschließlich in der Person (hier genauer:  im Seelenleben und in der Vorstellungswelt des Betroffenen) haben.

 

Nach Auffassung des Gerichts geht diese Interpretation des oben zitierten Urteils des BSG aber fehl; oder soweit dies tatsächlich die Intention des BSG gewesen sein sollte, hält das hier entscheidende Gericht diese Interpretation des § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII schlicht für falsch, da zu restriktiv. Sie ließe sich auch nicht mit der bisherigen – im Urteil vom 6.8.2014 (B 4 AS 57/13 R) auch nicht ausdrücklich aufgegebenen – Rechtsprechung des BSG zu § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II (bzw. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F.) vereinbaren.

 

Erkennbare Intention des BSG im Urteil vom 6.8.2014 (B 4 AS 57/13 R - juris) ist es, den Verlust bzw. die Unbrauchbarkeit von Einrichtungsgegenständen aus der Wohnungserstausstattung auszuschließen, wenn diese über einen gewissen Zeitraum hinweg durch kontinuierlichen Verschleiß (oder gar kontinuierliche Zerstörung) eingetreten ist. In Abgrenzung dazu fordert das BSG „Umstände bzw. […] Ereignisse“, die „regelmäßig geeignet“ sein müssen, „den plötzlichen Untergang bzw. die Unbrauchbarkeit der Wohnungsausstattung unabhängig von sonstigen allgemeinen Gründen für den Verschleiß oder den Untergang der Gegenstände herbeizuführen“. Insoweit muss also ein gewisses zeitliches Moment vorliegen; der Verlust der Einrichtung muss auf ein punktuelles Ereignis zurückzuführen sein und darf nicht lediglich das Ergebnis eines schleichenden, schrittweisen Prozesses sein.

 

Dies ist im Fall der Klägerin zu bejahen. Die aus Sicht eines gesunden Menschen vollkommen grundlose und irrationale, aber einem inneren Zwang der Klägerin gehorchende Entsorgung ihres Hausrats war Ausdruck des ersten akuten psychotischen Schubs im Rahmen der später diagnostizierten paranoiden Schizophrenie der Klägerin Anfang des Jahres 2016, dokumentiert im Betreuungsgutachten von Dr. P. vom 21.1.2016 (Bl. 10ff. der Gerichtsakte) sowie dem Bericht der Z-Klinik vom 1.6.2016 (Bl. 23ff. der Gerichtsakte). Damit handelte es sich um ein zeitlich eingrenzbares, plötzlich auftretendes Ereignis, durch das in kurzer Zeit der bisherige, bisher noch brauchbare Hausrat unterging; ein schleichender Verschleiß ist nicht festzustellen.

 

Diese Umstände müssen nach dem Urteil des BSG vom 6.8.2014 (a. a. O.) auch „außergewöhnlich“ sein, d. h. es darf kein regelmäßig auftretender, viele Leistungsbezieher gleichermaßen betreffender Vorgang sein. Es muss sich vielmehr um eine besondere Bedarfslage handeln, die „die meisten Leistungsbezieher gar nicht treffen wird“. Auch dies ist im Fall der Klägerin zu bejahen. Die Mehrheit aller Leistungsbezieher nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII ist nicht an paranoider Schizophrenie erkrankt, und selbst die – vermutlich durchaus vorhandene - kleine Teilmenge der Leistungsbezieher mit der gleichen Erkrankung entsorgt nicht regelmäßig als Ausdruck ihrer krankheitsbedingt verzerrten Realitätswahrnehmung ihren Hausrat bzw. Teile desselben. Die Bedarfssituation der Klägerin ist daher auch als „außergewöhnlich“ bzw. „besonders“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG anzusehen.

 

Schließlich fordert das BSG, dass die Ereignisse bzw. Umstände, die die neue Wohnungsausstattung nötig machen, zumindest in dem Fall, in dem eine äußere Veränderung der Wohnsituation nicht stattfindet, „von außen“ eintreten müssen.

 

Dieses Erfordernis versteht das hier erkennende Gericht allerdings nicht im Sinne einer rein physisch-naturwissenschaftlichen Unterscheidung von „Umständen außerhalb des Körpers des Betroffenen“ (z. B. durch Naturgewalt oder Handlungen dritter Personen) und „Umständen innerhalb des Körpers des Betroffenen“ (z. B. psychische Erkrankung, Suchterkrankung). Vielmehr ist „von außen“ nach dem Verständnis des hier erkennenden Gerichts zu verstehen als „unfreiwillig“, im Sinne des „der Kontrolle des Betroffenen entzogen“. Andernfalls käme es zu nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen insbesondere im Vergleich zu den sonstigen, vom BSG auch im Urteil vom 6.8.2014 (a. a. O.) nicht aufgegebenen - Fallgruppen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII bzw. § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II / § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F.. Denn diese basieren weitgehend auf Fallkonstellationen, in denen der Betroffene die „außergewöhnlichen Umstände“ selbst durch eigenes willentliches Handeln herbeigeführt hat. Im Wege des Erst-recht-Schlusses muss daher ein Anspruch nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII erst recht bejaht werden, wenn sich die „außergewöhnlichen Umstände“ gänzlich der Kontrolle des Betroffenen entziehen.

 

So sind etwa der Auszug aus einer bisher mit einem Partner geteilten Wohnung, der Zuzug oder Rückzug aus dem Ausland oder der Umzug aus einer möblierten in eine unmöblierte Wohnung sämtlich Ereignisse, die ihren Ursprung in einem freien Willensentschluss und in einer freien Willensbetätigung des Betroffenen haben. Unmittelbarer physischer Zwang durch Naturkräfte oder von Seiten dritter Personen wird in diesen Fällen in der Regel nicht im Spiel sein. Allein auf die äußere Veränderung der Wohnsituation, die alle oben genannten Fallgruppen kennzeichnet, kann es aber nicht ankommen. Denn dies würde zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass im vorliegenden Fall der Verlust der Einrichtung dann kompensiert worden wäre, wenn die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung nicht nur ihre Einrichtung, sondern gleich ihre ganze Wohnung verloren hätte. § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ist aber bedarfsbezogen zu verstehen; und die Bedarfslage ist identisch, gleich ob die Klägerin ohne Möbel und Hausrat ihre alte Wohnung zu bewohnen versucht oder ihre neue.

 

Auch die im BSG-Urteil vom 6.8.2014 (a.a. O.) ausdrücklich genannten Fallgruppen des Verlustes der bisherigen Einrichtung durch Wohnungsbrand und durch Inhaftierung sind gekennzeichnet durch äußerlich sichtbare und objektivierbare Zwangslagen. Allerdings sind selbst diese Ereignisse nicht immer völlig frei von Ursachen, die in der betroffenen Person selbst gründen. Zumindest der Strafhaft liegt sogar zwingend der Vorwurf eines individuellen strafwürdigen Verschuldens zugrunde; jede Verhängung von Haft beruht also auf Handlungen, die der betroffene Täter aufgrund eigenen Willensentschlusses und in eigener Person ausgeführt oder unterlassen hat. Und selbst im Fall des Wohnungsbrandes verlangt, soweit ersichtlich, weder die sozialgerichtliche Rechtsprechung noch die Literatur, dass der Betroffene ein reines „unschuldiges Opfer“ eines Brandes aufgrund technischen Defekts, Naturgewalt oder Brandstiftung von dritter Seite geworden ist. Auch bei eigener fahrlässiger oder sogar vorsätzlicher Brandstiftung, d. h. auch wenn ein eigener Willensentschluss und eine eigene Handlung dem Untergang der Wohnungseinrichtung zugrunde lägen, würde der Anspruch zunächst zu bejahen sein (ggf. mit anschließender Ersatzforderung nach § 34 SGB II bzw. § 103 SGB XII). Wenn aber selbst der Verlust einer Wohnungseinrichtung aufgrund willentlichen oder sogar aufgrund strafrechtlich vorwerfbaren Handelns durch einen Anspruch nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII kompensiert wird, muss dies erst recht für nicht steuerbares, krankheitsbedingtes Verhalten gelten.

 

Nach Auffassung des Gerichts ist daher das Urteil des BSG vom 6.8.2014 (a. a. O.) so zu verstehen, dass auch ohne äußere Änderung der Wohnsituation eine Wohnungserstausstattung zu gewähren ist, wenn die bisherige Einrichtung aufgrund eines zeitlich eingrenzbaren, plötzlichen, außergewöhnlichen Ereignisses ganz oder teilweise untergeht, welches der Kontrolle des Betroffenen entzogen ist. Dieses Ereignis kann demnach auch die plötzliche Manifestierung bestimmter psychischer Erkrankungen sein.

 

 

Dass die Entsorgung der Möbel und des Hausrats Anfang des Jahres 2016 tatsächlich der rationalen Kontrolle der Klägerin entzogen war, ergibt sich anschaulich aus den Ausführungen des Betreuungsgutachters Dr. P. im Gutachten vom 21.1.2016 (Bl. 10ff. der Gerichtsakte) sowie den Berichten der Z-Klinik über die dortigen Aufenthalte der Klägerin vom 1.6.2016 (Bl. 23ff. der Gerichtsakte), 25.11.2016 (Bl. 28ff. der Gerichtsakte) und 12.4.2017 (Bl. 32ff. der Gerichtsakte). Diese schildern übereinstimmend die Vergiftungs- und Verfolgungsängste der Klägerin als Symptome ihrer psychischen Grunderkrankung. Die Klägerin fühlt sich aufgrund dieses Wahnerlebens Handlungszwängen unterworfen, denen sie hilflos ausgeliefert ist und die sich der rationalen Steuerung gänzlich entziehen. Die fehlende Krankheitseinsicht der Klägerin ist ebenfalls Ausdruck der krankheitsbedingten verzerrten Realitätswahrnehmung und daher nicht rational überwindbar. Als die Klägerin Anfang 2016 ihre vermeintlich „vergiftete“ und „verfluchte“ Einrichtung entsorgte, standen ihr also keine Handlungsalternativen zur Verfügung.

 

Diese Beurteilung steht auch nicht im Widerspruch zum Ergebnis der Entscheidung des BSG vom 6.8.2014 (a. a. O.). Der Unterschied zwischen dem hier vorliegenden Fall zum vom BSG - zutreffend - abgelehnten Anspruch des vormalig heroinabhängigen Leistungsbeziehers auf Ersatz für seine suchtbedingt unbrauchbar gewordene bzw. gemachte Einrichtung liegt nicht so sehr in der Natur der jeweiligen Erkrankungen, sie sich durchaus ähneln und häufig sogar komorbid vorliegen, sondern vielmehr in der Abgrenzung des plötzlichen Verlustes vom schleichenden Verschleiß. Im hier zu entscheidenden Fall ist ersteres eingetreten, im vom BSG entschiedenen Fall letzteres, was die im Ergebnis unterschiedliche Bewertung rechtfertigt.

 

Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Einrichtung ausweislich der vorliegenden medizinischen Unterlagen größtenteils schon Anfang 2016 entsorgt hatte, die Erstausstattung aber erst im Frühjahr 2017 anlässlich des Umzugs in die neue Wohnung Z-Weg … geltend gemacht wurde. So lange der Bedarf bei Antragstellung tatsächlich bestand, ist es unschädlich, wenn ein Leistungsbezieher sich zuvor selbst für einen erheblichen Zeitraum mit einer nicht bzw. nicht vollständig möblierten Wohnung begnügt hatte (BSG, Urteil vom 20.8.2009 – B 14 AS 45/08 R – juris).

 

Ferner steht dem Anspruch auch nicht die – auch nach Auffassung des Gerichts durchaus vorhandene – Wiederholungsgefahr (etwa im Fall einer erneuten psychotischen „Entgleisung“ der Symptomatik der Klägerin) entgegen. Ebenso wenig wie individuelles Verschulden dem Anspruch nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII entgegensteht, ist der Anspruch auf eine bestimmte Höchstzahl von Anlässen oder einen bestimmten zeitlichen Mindestabstand zwischen mehreren Leistungserbringungen der gleichen Art beschränkt. Dies lässt sich weder dem Gesetzestext noch der Intention des Gesetzgebers noch der zur entsprechenden Vorschrift des SGB II ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen. Im Gegenteil erschiene es geradezu kurios, etwa den entsprechenden Anspruch eines haftentlassenen Straftäters nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII von seiner individuellen Rückfallprognose abhängig zu machen. Das gleiche muss umso mehr für nicht willentlich steuerbares, krankheitsbedingtes mögliches „Rückfallverhalten“ gelten. Im Übrigen ist es im Verlauf von mittlerweile über zwei Jahren nicht mehr zur erneuten Entsorgung von Hausrat durch die Klägerin gekommen.

 

Aus dem gleichen Grund geht auch das Argument der Beklagten fehl, das Risiko krankheitsbedingten, wirtschaftlich unsinnigen „Fehlverhaltens“ könne nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Wenn die Allgemeinheit sogar für die Erst-
(oder Neu-)Ausstattung einer Wohnung eines bedürftigen haftentlassenen Straftäters oder solcher bedürftigen Personen aufkommt, die ihre Wohnsituation allein aufgrund eines zwischenmenschlichen Zerwürfnisses (Trennung vom Partner) oder aufgrund persönlicher oder beruflicher Lebensplanung (Zuzug oder Rückzug aus dem Ausland) ändern, dann gebührt einer - unverschuldet und unfreiwillig - psychisch erkrankten Leistungsbezieherin nach dem SGB XII kein geringeres Maß an gesellschaftlicher Solidarität.


Der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf ist auch nicht deswegen bereits gedeckt, weil ihr erwachsener Sohn den Betrag für die Beschaffung der neuen Einrichtung darlehensweise vorgeschossen hat. Wie sich aus dem Darlehensvertrag vom 5.6.2017 (Bl. 445 der Verwaltungsakte der Beklagten) ergibt, wurde dies nur zur Überbrückung bis zum Abschluss des Verfahrens gegenüber der Beklagten gewährt, was es im Rahmen der existenzsichernden Leistungen unbeachtlich macht (BSG, Urteil vom 6.10.2011 – B 14 AS 66/11 R – juris).

 

Der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf ist in Bezug auf die einzelnen Gegenstände nicht streitig.

 

Die von der Klägerin bereits neu erworbenen Gegenstände sind auch sämtlich von § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII umfasst, da sie für eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen notwendig sind. Einzige Ausnahme ist der Fernseher, für dessen Anschaffung die Klägerin keine Leistungen erhalten kann. Denn zur Erstausstattung einer Wohnung gehören nur solche Gegenstände, die der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse wie Essen, Schlafen und Aufenthalt dienen, nicht aber bestimmten Freizeitbeschäftigungen oder Unterhaltungs- und Informationsbedürfnissen, wie z. B. ein Fernsehgerät (BSG, Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 75/10 R – juris).

 

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die gleiche Funktion durch bereits im Haushalt der Klägerin vorhandene Gegenstände hätte erfüllt werden können.

 

Die Klägerin kann allerdings nur eine Beihilfe in Höhe von insgesamt 771,00 € erhalten.

 

Pauschale Geldbeträge für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten und für Bekleidung sind so zu bemessen, dass der Hilfebedürftige mit dem gewährten Betrag einfache und grundlegende Wohnbedürfnisse in vollem Umfang befriedigen kann. Die Höhe der Pauschalen muss auf der Grundlage von Bezugsquellen, Preislisten etc. nachvollziehbar sein (BSG, Urteil vom 13. April 2011 – B 14 AS 53/10 R – juris).

 

Die von der Beklagten in ständiger Verwaltungspraxis bewilligten Pauschalen (Bl. 43ff. der Gerichtsakte) reichen nach Auffassung des Gerichts auch jeweils aus, um gebrauchte Gegenstände oder teilweise sogar Neuware akzeptabler Qualität zu erwerben. Die Beklagte sieht darin folgende Beträge vor: Stühle für Einpersonenhaushalt: 104,00 €; Bett inkl. Rost und Matratze: 184,00 €; Schrank: 102,00 €; Esstisch: 66,00 €; Küchenmöbel: 128,00 €; Wasserhahn: 46,00 €; Regal: 51 €, Teller, Besteck und Gläser: 30,00 €; Lampen: 40,00 €; Kochtöpfe: 20,00 €.

 

Der Klägerin ist es teilweise sogar gelungen, zu geringeren Preisen einzukaufen, so bzgl. der Stühle, Schrank, Regal, Wasserhahn und Lampen. Für die übrigen Gegenstände (Bett inkl. Rost und Matratze, Esstisch, Küchenmöbel, Teller, Gläser und Besteck sowie Kochtöpfe) ergibt ein Vergleich z. B. mit dem Sortiment des Einrichtungshauses IKEA (www.ikea.de) zum Zeitpunkt dieser Entscheidung für die meisten dieser Positionen Angebote zu oder unter den Beträgen der Beklagten. Für Küchenmöbel besteht außerdem, wie dem Gericht aus anderen Verfahren bekannt ist, ein reger örtlicher Gebrauchtmarkt.

 

Die Klage hatte daher zumindest teilweise Erfolg.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.

 

Die Berufung war trotz des geringen Streitwerts (Beschwer der Klägerin: 407,09 €; Beschwer der Beklagten: 771,00 €) - § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG -  zuzulassen, da diese Entscheidung – zumindest möglicherweise, je nachdem, wie das vom BSG entwickelte Kriterium „von außen“ aus dem Urteil vom 6.8.2014 (a. a. O.) genau zu verstehen ist – von diesem abweicht, § 144
Abs. 2 Nr. 2 SGG. Zumindest ist die weitere Klärung dieser Frage aber von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Rechtskraft
Aus
Saved