S 7 SO 1434/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 1434/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3439/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Bedürftigkeit in der Grundsicherung nach dem SGB XII ist, soweit nicht ausdrücklich anders normiert, nach dem sog. Monatsprinzip zu ermitteln. Demnach können auch seltenere als monatliche Zahlungsverpflichtungen im Bereich der Kosten der Unterkunft und Heizung, die zu auf einzelne Monate beschränkten Bedarfsspitzen führen, auch für einzelne Monate einen Anspruch auf „laufende“ Leistungen auslösen (hier: Jahresabfallgebühr). Eine Aufteilung solcher Bedarfe auf hypothetische monatliche Teilbeträge ist nicht zulässig.

 

2. Eine Obliegenheit des Leistungsbeziehers nach § 2 Abs. 1 SGB XII, im Wege der Selbsthilfe vorrangig vor der Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen mit dem Gläubiger monatliche Ratenzahlungen zu vereinbaren, besteht auch dann nicht, wenn der Gläubiger Ratenzahlung voraussichtlich einräumen würde.

 

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 28.2.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.3.2020 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Monat März 2020 laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von 134,88 zu gewähren.

 

  1. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem
    Grunde nach.

 

  1. Die Berufung wird zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von laufenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII für den Monat März 2020.

 

Der am … geborene Kläger ist italienischer Staatsbürger. Er verfügt über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU. Er bezieht seit dem Jahr 2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Schwaben, eine Erwerbsminderungsrente vom italienischen Rentenversicherungsträger INPS sowie seit dem 1.7.2016 ergänzend von der Beklagten laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Für den Kläger ist ein gesetzlicher Betreuer u. a. mit dem Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden und Sozialleistungsträgern bestellt. Das Versorgungsamt hat beim Kläger einen Grad der Behinderung von 70 festgestellt. Er ist in den Pflegegrad 2 eingestuft.

 

 

Der Kläger bewohnt eine ca. 47 qm große Mietwohnung in der S-Straße … in F., für die er eine Kaltmiete von 300,95 € zzgl. 33,00 € Nebenkostenvorauszahlung und 45,00 € Heizkostenvorauszahlung zu entrichten hat. Vermieterin ist die F-GmbH.

 

Im Rahmen der Grundsicherungsleistungen gewährte die Beklagte in den Jahren 2017, 2018 und 2019 dem Kläger jeweils eine einmalige Beihilfe zur Deckung der von ihr im Namen der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung F. GmbH (ASF) eingeforderten jährlichen Abfallgebühren.

 

Mit Bescheid vom 17.9.2019 und Änderungsbescheiden vom 1.10.2019 und 8.1.2020 gewährte die Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum 1.10.2019 – 30.9.2020 bzw. 1.11.2019 – 30.9.2020 bzw. 1.1. – 30.9.2020. Die Beklagte ermittelte dafür ab dem 1.1.2020 einen Bedarf von monatlich 810,95 € (Regelsatz 432,00 € zzgl. Kosten der Unterkunft und Heizung von 378,95 €) und rechnete darauf Rentenzahlungen von monatlich 579,27 € an.

 

In der Folgezeit stellte die Beklagte fest, dass dem Kläger möglicherweise ab dem 1.1.2020 ein vorrangiger Wohngeldanspruch zustehen könnte, und forderte den Kläger auf, Wohngeld zu beantragen. Dem kam der Kläger nach. Die Wohngeldstelle der Beklagten bewilligte ihm daraufhin mit Bescheid vom 23.1.2020 monatlich 248,00 € Wohngeld ab dem 1.1.2020.


Mit Bescheid vom 22.1.2020 verfügte die Beklagte die Einstellung der Grundsicherungsleistungen zum 31.1.2020. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

 

Mit Bescheid vom 14.2.2020 forderte die Beklagte im Namen der ASF vom Kläger Abfallgebühren für das Jahr 2020 in Höhe von 151,20 €, fällig am 17.3.2020.

 

Am 20.2.2020 stellte der Kläger durch seinen Betreuer einen neuen Grundsicherungsantrag. Anders als im Februar 2020 könne er im März 2020 seinen Bedarf nicht allein durch das Wohngeld und sein Renteneinkommen decken, da in diesem Monat die Jahresabfallgebühren fällig würden. Es errechne sich im März 2020 also wieder ein Grundsicherungsbedarf.

 

Diesen Antrag, den die Beklagte als Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe zur Deckung der Abfallgebühren auslegte, lehnte sie mit Bescheid vom 28.2.2020 ab. In die Wohngeldberechnung fließe bereits in monatlicher Teilbetrag für Abfallgebühren ein. Würde dem Kläger im März 2020 zusätzlich Grundsicherung gewährt, komme es zu einer doppelten Bedarfsdeckung.

 

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 10.3.2020 durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch ein. Für die Feststellung der Bedürftigkeit im Sinne des Grundsicherungsrechts komme es nach dem in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anerkannten Monatsprinzip allein auf den im jeweils betreffenden Monat tatsächlich bestehenden Bedarf an. Hier seien im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung im Monat der Fälligkeit, also im März 2020, die Abfallgebühren mit der vollen Jahresgebühr zu berücksichtigen. Dies führe rechnerisch zu einem Grundsicherungsanspruch. Eine hypothetische Aufteilung auf 12 monatliche Teilbeträge sei nicht zulässig.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7.4.2020 als unbegründet zurück. Die Abfallgebühren seien nicht zwingend als Jahresgebühr zu bezahlen. Der Beklagten sei bekannt, dass die ASF gegenüber Geringverdienern grundsätzlich immer bereit sei, monatliche Ratenzahlung zu vereinbaren. Diese Möglichkeit stehe auch dem Kläger offen und sei als Selbsthilfemöglichkeit vorrangig in Anspruch zu nehmen. Monatliche Raten von 12,60 € könne der Kläger dann aus dem Renten- und Wohngeldeinkommen bestreiten.

 

Am 5.5.2020 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 28.2.2020 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7.4.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für den Monat März 2020 Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII in Höhe von 134,88 € zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

           

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hält die mit der Klage angefochtenen Bescheide für rechtsfehlerfrei und verweist weiterhin insbesondere auf die vorrangige Selbsthilfemöglichkeit in Form einer Ratenzahlungsvereinbarung mit der ASF. Der kurzzeitige Wiedereintritt des Klägers in die Grundsicherungsleistungen trotz laufenden Wohngeldbezugs wegen der Abfallgebühren sei auch systemwidrig, weil bei der Berechnung des Wohngeldes bereits ein Betrag für Abfallgebühren berücksichtigt werde. Dies bevorzuge den Kläger in ungerechtfertigter Weise vor anderen Wohngeldbeziehern, die nicht gleichzeitig Grundsicherung bezögen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vortrag der Beteiligten im Verfahren sowie auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Stand 15.5.2020), die das Gericht zum Verfahren beigezogen hat, Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Das Gericht kann nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

 

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft nach § 54 Abs. 4 SGG.

 

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII im Monat März 2020. Die mit der Klage angefochtenen Bescheide der Beklagten sind also rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten.


Der Streitgegenstand erstreckt sich lediglich auf den Monat März 2020. Streitbefangen ist der Bescheid vom 28.2.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.4.2020.

 

Der Kläger war bis zum 31.1.2020 unstreitig leistungsberechtigt nach dem 4. Kapitel des SGB XII und erfüllte auch im März 2020 weiterhin die Voraussetzungen der vollen Erwerbsminderung im Sinn e des Rentenversicherungsrechts, des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland sowie keinen Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII. Streitig hinsichtlich des Monats März 2020 ist allein seine Bedürftigkeit im Sinne der §§ 41 Abs. 1, 43 SGB XII.

 

Grundsicherungsleistungen erhält demnach nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus sonstigem Einkommen und/oder Vermögen bestreiten kann, § 41 Abs. 1 SGB XII. Dies war im Falle des Klägers im März 2020 gegeben. Der Kläger bezog im März 2020 – unstreitig - ein Renteneinkommen von 579,27 € und 248,00 € Wohngeld, hatte also ein nach § 82 SGB XII auf den Bedarf anzurechnendes Einkommen von insgesamt 827,27 €. Demgegenüber stand allerdings ein Bedarf von insgesamt 962,15 €. Daraus ergibt sich ein ungedeckter Bedarf von 134,88 €, der von der Beklagten durch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII zu decken ist.

 

Der Bedarf setzt sich zusammen aus – unstreitig –  dem Regelsatz für Alleinstehende von 432,00 € sowie den angemessenen laufenden Kosten der Unterkunft und Heizung von insgesamt 378,95 €, zzgl. –  dies streitig –  der Jahresabfallgebühr 2020 in Höhe von 151,20 €, deren Höhe und Fälligkeitsdatum der Betreuer des Klägers durch die Vorlage des entsprechenden Bescheids vom 14.2.2020 (Bl. 484 der Verwaltungsakte) nachgewiesen hat. Denn auch die Jahresabfallgebühr ist Teil der Kosten der Unterkunft, die im März 2020 nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in die Bedarfsberechnung einzustellen sind. Da diese Gebühr weder dem Grunde noch der Höhe nach zur Disposition des Klägers steht, erübrigen sich Ausführungen zur Angemessenheit im Sinne des § 35 Abs. 2 SGB XII.

 

Die Beklagte irrt, wenn sie annimmt, dass die Jahresabfallgebühr auf hypothetische monatliche Teilbeträge umzurechnen und nur in deren Höhe (hier 12,60 €) als Bedarf anzuerkennen sei. Denn dies widerspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der –  unter Rückgriff auf die ältere Rechtsprechung des BVerwG zum damaligen Bundessozialhilfegesetz (BVerwG, Urteil vom 4.2.1988, 5 C 89.85 - juris) – die Bedürftigkeit in der Grundsicherung nach dem sog. Monatsprinzip zu ermitteln ist (BSG, Urteil vom 8.5.2019, B 14 AS 20/18 R - juris; BSG, Urteil vom 15.4.2008, B 14/7b AS 58/06 R – juris). Demnach können auch seltenere als monatliche Zahlungsverpflichtungen im Bereich der Kosten der Unterkunft und Heizung, die zu einzelnen, auf einzelne Monate beschränkten Bedarfsspitzen führen, auch für einzelne Monate insgesamt einen Anspruch auf „laufende“ Leistungen auslösen. Dies hat das BSG etwa zu Bedarfsspitzen bei der Beschaffung von Heizmaterial (BSG, Urteil vom 8.5.2019, B 14 AS 20/18 R - juris), bei seltener als monatlich anfallenden Eigenheim-Nebenkosten (BSG, Urteil vom 24.2.2011, B 14 AS 61/10 R - juris; BSG, Urteil  vom 29.11.2012, B 14 AS 36/12juris), bei Nebenkosten-Nachforderungen aufgrund der Jahresabrechnung des Vermieters (BSG, Urteil vom 22.3.2010, B 4 AS 62/09 R - juris) und gerade auch bei der jährlichen Fälligkeit von Abfallgebühren (BSG, Urteil vom 15.4.2008, Az. B 14/7b AS 58/06 R – juris) entschieden.

 

Demnach sind die hier am 17.3.2020 fälligen Jahresabfallgebühren im März 2020 mit dem vollen Jahresbetrag bedarfserhöhend zu berücksichtigen, mit der Folge, dass rechnerisch ein Grundsicherungsanspruch (nur) für März 2020 besteht.

 

Das BSG hat in den oben genannten Entscheidungen ausdrücklich dem „Verteilprinzip“ auf hypothetische Monatsbeiträge eine Absage erteilt, auch wenn dies im Sinne der Verwaltungsvereinfachung (zur Vermeidung von wiederholten Wechseln zwischen verschiedenen Leistungssystemen) sinnvoller erscheinen könnte. Das BSG verlangt vielmehr für jede Abweichung vom Monatsprinzip eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage (BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 36/12juris; BSG, Urteil vom 8.5.2019, B 14 AS 20/18 Rjuris). Eine solche ist im Rahmen des § 35 SGB XII, unter den auch die hier im Streit stehenden Abfallgebühren fallen, aber nicht gegeben.

 

Die genannten Entscheidungen des BSG sind zwar zu § 22 SGB II ergangen; sie sind allerdings nach Auffassung der Kammer ohne Weiteres auf den insoweit parallel konstruierten § 35 SGB XII zu übertragen.

 

Soweit die Beklagte sich auf das anderslautende Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24.4.2009 (Az. L 12 AS 4195/08juris) beruft, dringt dies nach Überzeugung der Kammer nicht durch. Die dort vom LSG vertretene Auffassung, dass seltener als monatlich anfallende Kosten für die Beschaffung von Heizöl auf hypothetische Monatsbeträge aufzuteilen seien und keinen punktuellen Hilfebedarf nach dem SGB II auslösen könnten, ist zum einen durch die oben zitierte, überwiegend neuere Rechtsprechung des BSG überholt. Zum anderen zieht das LSG darin als einziges tragendes Argument für die Durchbrechung des Monatsprinzips die Gefahr der Ungleichbehandlung mit Leistungsbeziehern heran, deren Mietverträge (oder im Falle des Wohneigentums deren Heiztechnik) monatliche Abschlagszahlungen vorsehen. Dieses Argument fällt allerdings im Fall der hoheitlich durch Gebührenbescheid erhobenen Jahresabfallgebühren wieder weg, denn diese werden einheitlich von allen Haushalten der Gemeinde in der gleichen Form erhoben. Die vom LSG befürchtete Ungleichheit zwischen Haushalten mit individuell unterschiedlicher, evtl. besonders günstig strukturierter Heiztechnik oder Vertragsgestaltung, kann im Fall von Abfallgebühren daher gar nicht auftreten. Eine Abweichung vom Monatsprinzip wäre daher bei Abfallgebühren selbst nach der eigenen Argumentation des LSG Baden-Württemberg im o. g. Urteil nicht gerechtfertigt.

 

Das BSG befasst sich in den oben genannten Entscheidungen teilweise auch ausdrücklich mit der - ebenfalls von der Beklagten ins Feld geführten - Frage der Selbsthilfe nach § 2 Abs. 1 und 2 SGB II (entspricht dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 1 SGB XII) im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Teilzahlungen. Es spricht sich allerdings gegen eine generelle Obliegenheit des Betroffenen aus, vorrangig vor der Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen dem Gläubiger gegenüber Teilzahlungen anzubieten (BSG, Urteil v om 8.5.2019, Az. B 14 AS 20/18 Rjuris; BSG, Urteil vom 15.4.2008, Az. B 14/7b AS 58/06 R – juris – letzteres speziell zum Thema Abfallgebühren). Eine Bedarfsberechnung unter Zugrundelegung lediglich von monatlichen Teilbeträgen ist demnach nur zulässig, wenn Teilzahlungen vom Gläubiger „festgesetzt sind“, nicht aber schon dann, wenn sie – wie hier - lediglich nach der allgemeinen Erfahrung mit dem betroffenen Gläubiger voraussichtlich auf Anfrage festgesetzt werden würden (BSG, Urteil vom 15.4.2008, Az. B 14/7b AS 58/06 R - juris).

 

Im Übrigen stellt sich die Beklagte mit ihrer hier vertretenen Auffassung auch in Widerspruch zu ihrer eigenen Verwaltungspraxis, die – ausweislich der Verwaltungsakte auch im Fall des hier betroffenen Klägers in den Jahren 2017, 2018 und 2019 – die jährlichen Abfallgebühren stets in Summe im Monat der Fälligkeit als Bedarf anerkannt und übernommen hat. Wollte man der Argumentation der Beklagten im hier anhängigen Verfahren folgen, wären sämtliche dieser Entscheidungen rechtsfehlerhaft und es wäre stattdessen lediglich ein monatlicher Teilbetrag an Abfallgebühren im Rahmen der laufenden Leistungen zu berücksichtigen gewesen, ebenfalls mit dem Argument, der Kläger hätte im Rahmen der Selbsthilfe ja Ratenzahlung mit der Gebührenstelle vereinbaren können. Darauf hat ihn die Beklagte in der Vergangenheit – richtigerweise – aber gerade nicht verwiesen.

 

Auch das Argument der Beklagten, dass bei der Berechnung des Wohngeldes bereits ein monatlicher Teilbetrag für Abfallgebühren berücksichtigt sei, so dass im Ergebnis eine unzulässige doppelte Bedarfsdeckung drohe, überzeugt die Kammer nicht. In der Tat enthält die Wohngeldberechnung für den Kläger im Rahmen der Feststellung der Belastung auch einen monatlichen Teilbetrag für Abfallgebühren (vgl. Wohngeldbescheid vom 23.1.2020, Bl. 5ff. der Gerichtsakte). Die Berechnung des Wohngeldes folgt allerdings anderen Grundsätzen als die Grundsicherung nach dem SGB II bzw. SGB XII. Das Wohngeld zielt gerade nicht auf eine volle Deckung des (angemessenen) Wohnbedarfs ab, sondern ist nach der Intention des Gesetzgebers lediglich als Zuschuss ausgestaltet (vgl. § 1 Abs. 2 WoGG). Dementsprechend erfolgt die Berechnung nicht auf Grundlage des tatsächlichen Bedarfs, sondern in stark pauschalierter Form (z. B. durch Abzug einer Werbungskostenpauschale vom Einkommen, eines pauschalen Freibetrags bei Schwerbehinderung unabhängig von konkreten behinderungsbedingten Bedarfen, und eines pauschalen prozentualen Freibetrags für Krankenversicherung, unabhängig von der tatsächlichen Beitragshöhe). Eine tatsächliche doppelte Bedarfsdeckung ist daher rechnerisch nicht feststellbar, da es im Wohngeld gerade nicht um Bedarfsdeckung geht.

 

Es ergibt sich daher – bei korrekter Bedarfsberechnung – eine sozialhilferechtliche Bedarfsunterdeckung im Monat März 2020 zu Lasten des Klägers und damit ein Anspruch auf ergänzende laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII in der tenorierten Höhe. Der Klage war daher stattzugeben.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.


Die Berufung war zuzulassen. Die Beschwer der Beklagten beträgt zwar lediglich 134,88 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die zugrundeliegenden Rechtsfragen sind allerdings von grundsätzlicher Bedeutung und bisher auf Ebene der obergerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest im Bereich des SGB XII ungeklärt (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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