- Der Gesetzgeber hat mit der Änderung des § 33 Abs. 2 SGB XII die grundsätzliche Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung im Rahmen des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII anerkannt.
- Für eine Berücksichtigung der Beiträge zur Sterbegeldversicherung gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII ist nicht Voraussetzung, dass die Sterbegeldversicherung bereits vor Beginn des Leistungsbezuges abgeschlossen worden ist.
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2020 sowie der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, für den Fall eines Abschlusses einer Sterbegeldversicherung durch die Klägerin die Beiträge für eine der beiden günstigsten Versicherungen, die keine Gesundheitsprüfung, eine Wartezeit von nur einem Jahr und eine Versicherungssumme von 5.000 € vorsieht, bei der Berechnung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom Einkommen abzusetzen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung von Beiträgen zu einer noch abzuschließenden Sterbegeldversicherung bei der Berechnung ihrer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GruSi) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. die Feststellung, dass der Beklagte zu einer entsprechenden Berücksichtigung verpflichtet ist.
Für die 1960 geborene Klägerin, die an einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) bzw. einem Zustand nach GBS leidet, sind vom Versorgungsamt unbefristet ein Grad der Behinderung von 70 und die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) festgestellt. Der Facharzt für Neurologie Prof. Dr. W bescheinigte am 28. Juni 2017 einen Zustand nach GBS in der Kindheit mit Defektheilung der Akuterkrankung einer immunvermittelten Neuritis und den Symptomen einer verbleibenden chronischen Polyneuropathie mit schweren Paresen und einer schweren Gangstörung sowie eine Anpassungsstörung. Die Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund seit dem 1. Februar 2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Der Zahlbetrag der Rente belief sich ab Juli 2019 auf 241,71 € netto monatlich, aktuell, d.h. ab dem 1. Juli 2022, beträgt er 262,69 € monatlich. Sie bewohnt eine Dreizimmerwohnung von 85,51 m² in der Estraße in B, für die die Miete einschließlich Betriebskostenvorauszahlung aktuell 617,60 € monatlich beträgt zuzüglich 80,00 € Heizkostenvorauszahlung. Sie zahlt Beiträge zu einer Haftpflichtversicherung, die immer im Mai fällig werden und im Jahr 2022 81,16 € jährlich betrugen, sowie zu einer Hausratversicherung, die immer im Dezember eines Jahres fällig werden und zuletzt 104,77 € jährlich betrugen. Der Beklagte setzte diese Beiträge bei der Berechnung der Leistungen jeweils im Fälligkeitsmonat vom Einkommen der Rente ab. Die Techniker Krankenkasse - Pflegeversicherung - bewilligte ihr ab dem 8. Januar 2018 den Entlastungsbetrag in Höhe von 125,- € bei Pflegegrad 1. Die Klägerin ist vermögenslos. Seit dem 1. Dezember 2018 gewährt ihr der Beklagte Leistungen der GruSi, zunächst mit Bescheid vom 22. November 2018 für die Zeit bis zum 30. November 2019, anschließend mit Bescheid vom 7. November 2019 für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis zum 30. November 2020, mit Bescheid vom 10. November 2020 für die Zeit bis zum 30. November 2021, mit Bescheid vom 23. Dezember 2021 bis zum 30. November 2022. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom 22. April 2022 geändert für die Zeit ab dem 1. Mai 2022, die Leistungen betrugen 973,59 € für Juni 2022.
Mit Schreiben vom 28. Dezember 2018 beantragte die Klägerin die Übernahme einer Sterbegeldversicherung. Sie leide an einer schleichend fortschreitenden Nervenerkrankung. Deshalb sei es für sie wichtig, für ihren Sterbefall vorzubeugen. Ihre beiden Töchter (geboren 1994 und 1997) seien finanziell nicht in der Lage, die Beerdigungskosten zu tragen, da sie noch im Studium bzw. ausbildungssuchend seien. Diesen ersten Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2019 ab.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2019 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für ein „günstigeres Sterbegeldversicherungsprodukt“. Die Versicherungssumme dieses Tarifs bei der L betrug 5.000 € sowie 5.000 € bei Unfalltod. Der monatliche Beitrag sollte sich auf 27,32 € brutto belaufen, der Zahlbetrag auf 24,63 €. Das Ende der Beitragszahlung sollte bei Beitritt mit 59 Jahren mit dem 85. Lebensjahr erfolgen.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2019 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Aufwendungen für Sterbegeldversicherungen könnten gemäß § 33 Abs. 2 SGB XII entweder als Bedarf oder als Absetzungsbetrag vom Einkommen nur anerkannt werden, wenn der Vertrag vor Beginn der Leistungsberechtigung abgeschlossen worden sei. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Soweit sie angebe, ihre Töchter seien nicht in der Lage, Bestattungskosten zu tragen, sei auf § 74 SGB XII zu verweisen, wonach Bestattungskosten übernommen werden würden, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden könne, die Kosten zu tragen.
Gegen den am 19. Dezember 2019 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 20. Januar 2020, einem Montag, Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben. Anders als im Widerspruchsbescheid ausgeführt, müsste die Versicherung nicht vor dem Leistungsbezug abgeschlossen worden sein, um als Abzugsposition nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII Berücksichtigung zu finden. Die in der Begründung des Widerspruchsbescheids erwähnte Regelung des § 33 Abs. 2 SGB XII bezwecke die Anerkennung der Beiträge als Bedarfsposition, diese wären also auch dann wirtschaftlich zu übernehmen, wenn kein Einkommen zur Verfügung stünde und die Absetzung davon daher nicht in Betracht käme. § 33 SGB XII regele zudem nur Leistungen des Dritten Kapitels des SGB XII. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) habe die Frage, ob die Leistungen gewährt werden könnten, wenn der Vertrag nach Einsetzen der Hilfebedürftigkeit abgeschlossen werde, ausdrücklich offen gelassen (Hinweis auf das Urteil des BVerwG vom 27. Juni 2002, Az. 5 C 43/01).
Der Beklagte hat ausgeführt, dass eine Sterbegeldversicherung nach der Gemeinsamen Arbeitsanweisung der Berliner Bezirksämter - Sozialämter - über den Einsatz von Einkommen nach dem SGB XII (GA-ESH) vom 10. April 2019 (ABl. Seite 2427) nur dann als dem Grunde nach angemessen anzusehen sei, wenn der entsprechende Vertrag vor Beginn der Leistungsberechtigung abgeschlossen worden sei. Die Behörde sei an diese Regelung gebunden. Ganz allgemein gelte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass eine Versicherung dem Grunde nach (nur) angemessen sei, wenn mehr als 50 vom Hundert der Haushalte knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende Versicherung abschließen würden (Hinweis auf das Urteil des BSG, Az. B 8 SO 13/08 R).
Mit Urteil vom 30. September 2020 hat das Sozialgericht die Klage, die es nach dem Meistbegünstigungsprinzip auf Verpflichtung des Beklagten zur Zusicherung der Berücksichtigung der Sterbegeldversicherung bei der Berechnung der Leistungen der GruSi ausgelegt hat, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin erfülle unstreitig die Voraussetzungen für die Gewährung von GruSi nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Der Beklagte habe die Leistungen für die Klägerin zutreffend berechnet. Er habe auch zutreffend festgestellt, dass es sich bei den Beiträgen zu einer erst noch abzuschließenden Sterbegeldversicherung nicht um angemessene Beiträge zu einer privaten Versicherung handele, die vom Einkommen der Klägerin abzusetzen wären. Als angemessen seien nach herrschender Meinung Beiträge für solche Versicherungen anzusehen, die einer Sicherung entsprächen, die für in bescheidenen Verhältnissen lebende Bürger in einer ansonsten vergleichbaren Lage üblich seien. Das BSG habe dabei unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG aus Praktikabilitätsgründen eine Üblichkeit angenommen, wenn davon ausgegangen werden könne, dass mehr als 50 % der Haushalte knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende Versicherung abschließen würden. Es sei aber auch der Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen und die Tatsache, dass auch Bezieher geringer Einkommen Risiken abzusichern pflegten, bei deren Eintritt ihre weitere Lebensführung außerordentlich belastet wäre. Daneben sei die individuelle Lebenssituation des Hilfesuchenden zu betrachten. Vom Einkommen sollten nur solche Aufwendungen abgezogen werden, die unvermeidbar oder notwendig seien oder den Zielen der Sozialhilfe entsprächen. Dabei sei auch zu bedenken, dass die Sterbegeldversicherung keine Versicherung zur Abdeckung eines eigenen Risikos des Hilfesuchenden darstelle, sondern letztlich der Kapitalbildung für die Erben diene bzw. für deren finanzielle Entlastung sorge. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien habe die Klägerin keinen Anspruch auf Absetzung der Beiträge einer Sterbegeldversicherung von dem zu berücksichtigenden Einkommen. Zum einen handele es sich bei der Sterbegeldversicherung nicht um eine für Bezieher geringer Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfe übliche Versicherung. Das ergebe sich auch aus den Ergebnissen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018. Auch die Tatsache, dass die Klägerin bisher keine Sterbegeldversicherung abgeschlossen habe, spreche dagegen, hier eine Verpflichtung des Beklagten zur Berücksichtigung möglicher zukünftiger Versicherungsbeiträge als Aufwendung vom Einkommen abzuziehen. Denn es handele sich dadurch nicht um eine Aufwendung, die unvermeidbar sei, weil der Versicherungsvertrag schon länger bestand und schon vor Beginn des Leistungsbezugs bestanden habe. Auch wenn der Gesetzgeber in § 82 SGB XII keine § 33 SGB XII entsprechende Regelung getroffen habe, aus der sich ausdrücklich ergebe, dass nur Beiträge von bereits bestehenden Verträgen abgesetzt werden könnten, so entspreche dies doch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn anders als Hausrats- und Haftpflichtversicherungen und gegebenenfalls auch Krankenversicherungen, die bei Zahlung von relativ geringen Beiträgen ein ungleich größeres Risiko absicherten und deshalb auch angemessen sein dürften, wenn sie erst nach Leistungsbeginn abgeschlossen würden, sichere die Sterbegeldversicherung ein finanzielles Risiko der Bestattungspflichtigen ab, das ungleich geringer sei. Mit Leistungen der Sozialhilfe seien jedoch nur die unbedingt nötigen Bedarfe des Hilfebedürftigen abzudecken. Es sei sinnvoll, den Abschluss von Hausrats- und Haftpflichtversicherungen zu ermöglichen, weil in diesen Fällen durch die Berücksichtigung der entsprechenden Beiträge als notwendige Aufwendungen ungleich höhere Kosten bei Verwirklichung des Risikos vermieden würden. Ein angemessenes Begräbnis sei aber auch dann garantiert, wenn die Bestattungspflichtigen kein ausreichendes Einkommen hätten, weil dann gemäß § 74 SGB XII der Sozialhilfeträger die Kosten trage. Im Falle der Klägerin handele es sich im Übrigen nur um eine bloße Vermutung, dass zum Zeitpunkt ihres Todes ihre Töchter beide weiterhin mittellos sein werden. Diese befänden sich derzeit nach Angaben der Klägerin in einer Ausbildung, so dass davon auszugehen sei, dass sie in der Zukunft eigenes Einkommen erzielen könnten.
Gegen das am 29. Oktober 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30. November 2020, einem Montag, Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, § 33 Abs. 2 SGB XII setze die Sterbegeldversicherung als angemessen voraus. Daher stelle sich die Frage nach der Üblichkeit nicht. Dies rechtfertige sich daraus, dass die Bestattung letzter Ausdruck der persönlichen Weltanschauung und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei. Die Vorschrift setze lediglich voraus, dass die Beiträge angemessen seien und dass der Vertrag vor dem Leistungsbezug nachgewiesen werde. Als Rechtsfolge ergebe sich dann die Anerkennung als Bedarfsposition, wenn kein ausreichendes Einkommen vorhanden sei, von dem die Beiträge abgezogen werden könnten. Für die in Betracht kommende Hilfe gälten mit Blick auf die Angemessenheit des Sterbegeldes und die Angemessenheit der Aufwendungen grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe wie für die Hilfe zur Alterssicherung (erneuter Hinweis auf das Urteil des BVerwG vom 27. Juni 2002). Die Prognose müsse sich insbesondere daran orientieren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen sei, dass ohne die gegenwärtige Hilfeleistung Sozialhilfe im und für den Sterbefall in Zukunft erforderlich werden würde. Aus dieser Sicht sei die Hilfe durch die Anerkennung von Aufwendungen für eine Sterbegeldversicherung als Bedarf nur dann gerechtfertigt, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass zur Deckung der Bestattungskosten überhaupt Sozialhilfe benötigt werden würde. Bei einer nachfragenden Person unter 40 Jahren dürfte das regelmäßig nicht prognostiziert werden können. Auch hier gelte, dass es sich insoweit wegen des durch das SGB XII erfassten leistungsberechtigten Personenkreises um Ausnahmefälle handeln dürfte. Das Ausgangsgericht habe keine Prognoseerwägungen angestellt und weder die vorgetragenen gesundheitlichen Probleme und die relativ kurze verbleibende Lebenserwartung noch die familiäre Situation (zwei Töchter in Ausbildung) der Klägerin in die Entscheidung einbezogen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2020 und den Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Anerkennung der Kosten einer Sterbegeldversicherung als angemessene Versicherung zu gewähren,
hilfsweise,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, bei einem künftigen Abschluss einer Sterbegeldversicherung Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Anerkennung der Kosten einer Sterbegeldversicherung als angemessene Versicherung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat sich auf das seines Erachtens zutreffende Urteil des Sozialgerichts bezogen.
Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin angegeben, dass sie eine Sterbegeldversicherung weiterhin noch nicht abgeschlossen hat. In einem Erörterungstermin hat die Klägerin am 29. Juli 2022 erklärt, dass ihre ältere Tochter ihre Ausbildung vor kurzem abgeschlossen habe. Sie habe studiert und arbeite jetzt im Umfeld ihres erlernten Berufes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ).
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 155 SGG). Sie ist auch gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft. § 144 Abs. 1 SGG lautet:
Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
- bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Hier bedarf die Berufung nicht der Zulassung, weil sie wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Klägerin begehrt bei sinnvoller Auslegung die Feststellung, dass Beiträge für eine Sterbegeldversicherung in Höhe von ca. 25,00 € monatlich (inzwischen sind die Beiträge wegen des Zeitablaufs und des höheren Eintrittsalters der Klägerin etwas höher) bei der Berechnung ihrer GruSi berücksichtigt werden. Dieses Begehren ist von dem Beklagten – zukunftsoffen – mit Bescheid vom 9. Juli 2019 abgelehnt worden. Da die Zahlung dieser Beiträge nach dem von der Klägerin vorgelegten Vertragsentwurf mehrere Jahre erfolgen muss, geht ihr Begehren dahin, diese Beiträge für mehrere Jahre bei der Berechnung ihrer GruSi zu berücksichtigen. Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, dass der Bescheid vom 9. Juli 2019 nur in Zusammenhang mit dem zum Zeitpunkt seines Erlasses aktuellen Bewilligungsbescheid gesehen werden kann (das wäre der Bescheid vom 22. November 2018), ändert dies nichts daran, dass die Klägerin die Berücksichtigung der Beiträge für einen längeren Zeitraum begehrt und begehrt hat, wie sich bereits aus ihrem Antragsschreiben vom 28. Dezember 2018 ergibt, in dem sie die „Übernahme einer Sterbegeldversicherung“ begehrt. Der Beschwerdegegenstand im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG richtet sich danach, was durch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts versagt, also abgelehnt worden ist, und mit der Berufung weiterverfolgt wird. Dies ist durch Vergleich des vor dem Sozialgericht beantragten Gegenstandes mit dem ausgeurteilten Gegenstand und dem in der Berufung weiterverfolgten Begehr zu bestimmen (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 144 SGG, Stand: 15. Juni 2022, Rn. 23). Vor dem Sozialgericht hatte die Klägerin zukunftsoffen, ohne Bindung an einen bestimmten Bewilligungsbescheid oder -zeitraum, die Leistungsgewährung unter Anerkennung der Kosten einer – erst abzuschließenden - Sterbegeldversicherung beantragt. Sofern man eine Bindung an den Bewilligungszeitraum annehmen wollte, wäre dies eine Frage der Zulässigkeit der Klage und der Begründetheit der Berufung, nicht aber der Statthaftigkeit der Berufung.
Zutreffende Klageart ist hier die (Anfechtungs- und) Feststellungsklage gemäß § 55 SGG. Der Senat sieht im Weg der Meistbegünstigung den Feststellungsantrag als nicht hilfsweise gestellt an. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip sind nicht nur im sozialgerichtlichen Verfahren, sondern auch im Verwaltungsverfahren gestellte Anträge und Rechtsbehelfe ohne Bindung an den Wortlaut nach dem wirklichen Willen des Antragstellers auszulegen, um im Sinne des § 2 Absatz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Insbesondere ist derjenige Rechtsbehelf gegen denjenigen Verwaltungsakt als eingelegt anzusehen, der nach Lage der Sache in Betracht kommt und Erfolg versprechen kann (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 1994 - B 7 RAr 38/93, juris Rn.15 m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar auch nach Hinweis des Senats an dem Verpflichtungsantrag (als Hauptantrag) festgehalten. Bei einem von einem Rechtsanwalt oder einem anderen qualifizierten Prozessbevollmächtigten gestellten Klageantrag ist in der Regel anzunehmen, dass dieser das Gewollte richtig wiedergibt (BSG, Beschluss vom 5. Juni 2014, Az. B 10 ÜG 29/13 B, juris Rn. 12 unter Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 123 Rn. 3). Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings in der Praxis nicht selten, weshalb die Hinwirkungspflicht des § 106 Abs. 1 SGG auch bei vertretenen Beteiligten keineswegs entfallen kann, insbesondere wenn für das Gericht erkennbar ein Irrtum vorliegt oder wenn die gewählte Formulierung nicht eindeutig ist. Auch in derartigen Fällen ist meistbegünstigend auszulegen (Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 123 SGG, Stand: 15. Juni 2022, Rn. 22). Da der Verpflichtungsantrag, wie er gestellt ist, hier nicht zum Ziel führen kann (dazu unten), ist von einem Feststellungsantrag als Hauptantrag auszugehen. § 55 Abs. 1 SGG lautet:
Mit der Klage kann begehrt werden
1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2. – 4. (…),
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Dass ein Feststellungsantrag in der ersten Instanz nicht erfolgt ist, ist unbeachtlich, es kann bei materiell unverändert gebliebenem Klagegrund wie hier in einem Verfahren unproblematisch von der Anfechtungs- und Leistungs- bzw. Verpflichtungsklage auf eine Anfechtungs- und Feststellungsklage übergegangen werden, es handelt sich dabei nicht um eine Klageänderung (vgl. Urteil des BSG vom 20. Dezember 2018, Az. B 3 KR 2/17 R, juris Rn. 12 = SozR 4-2500 § 124 Nr. 6; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 99 Rn. 4). Der Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag ist hier nicht der richtige Antrag, weil die Klägerin tatsächlich noch keine Sterbegeldversicherung abgeschlossen hat und der Bewilligungsbescheid vom 22. November 2018 richtig war, da Beiträge zur Sterbegeldversicherung noch nicht hätten berücksichtigt werden und eine Verurteilung oder Verpflichtung des Beklagten zur Berücksichtigung dieser Beiträge nicht hätte erfolgen können. Aus dem gleichen Grund ist hier auch eine Fortsetzungsfeststellungklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG nicht die zutreffende Klageart. Die genannte Vorschrift lautet:
Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
Der angefochtene Verwaltungsakt vom 9. Juli 2019 konnte sich nicht durch Zeitablauf erledigen, da eine Sterbegeldversicherung tatsächlich noch nicht abgeschlossen worden war und ist und sich daher das Begehren der Klägerin allein in die Zukunft richtet. Der Beklagte hätte vor Abschluss der Sterbegeldversicherung die Beiträge tatsächlich nicht berücksichtigen können. Der Fall liegt hier anders, als wenn der Behörde die begehrte Vornahme des Verwaltungsaktes während des konkreten Bewilligungsabschnitts tatsächlich möglich gewesen wäre, aber nicht erfolgt ist, weil sie die Voraussetzungen nicht als gegeben angesehen hat.
Die Klägerin kann ihr Begehren mit einer Feststellungsklage am schnellsten und sichersten durchsetzen. In Betracht käme auch, den Antrag der Klägerin im Verwaltungsverfahren als Antrag auf Zusicherung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auszulegen, wie es wohl das Sozialgericht getan hat. Die genannte Vorschrift lautet:
Eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form.
Könnte (und müsste) man das Begehren der Klägerin und den Bescheid des Beklagten dahingehend auslegen, wäre eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die zutreffende Klageart. Mit dieser könnte die Klägerin dann erreichen, dass das Gericht den Beklagten verpflichtet, die begehrte Zusicherung zu erteilen bzw. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen (Kepert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 34 SGB X, Stand: 1. Dezember 2017, Rn. 41). Eine entsprechende Auslegung kommt jedoch nicht in Betracht. Eine behördliche Willenserklärung bedarf in zweierlei Hinsicht der Auslegung: hinsichtlich der Frage, ob überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt und welchen Inhalt er hat. In beiden Fällen folgt die Auslegung den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für Willenserklärungen. Dabei bemisst sich der Maßstab der Auslegung am Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde erkennbar nach ihrem wirklichen Willen in die Entscheidung einbezogen hat. Maßgeblich ist dabei der erklärte Wille der Behörde. Unklarheiten gehen dabei zulasten der Behörde, denn sie hat es in der Hand, ihre Vorstellungen und Absichten unmissverständlich auszudrücken (Jörg Littmann in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB X, 2. Ergänzungslieferung 2022, § 31 Rn. 34).
Bezüglich der Klägerin ist davon auszugehen, dass ihr die Möglichkeit einer Zusicherung nicht bekannt war, sie eine solche also auch nicht begehrt hat. Auch der Bescheid des Beklagten lässt keine Anzeichen erkennen, dass damit eine Zusicherung abgelehnt werden soll. Er nennt die Vorschrift des § 34 SGB X nicht. Der Bescheid lehnt vielmehr unmissverständlich die Berücksichtigung von Beiträgen zur Sterbegeldversicherung endgültig ab, auch wenn eine solche Ablehnung angesichts der fehlenden tatsächlichen Beitragszahlung möglicherweise nicht die zielführendste Entscheidung ist.
Vorliegend ist die Feststellungsklage auch nicht gegenüber anderen Klagearten subsidiär, da mit ihr am sichersten eine endgültige Klärung des Streits herbeigeführt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt der Subsidiaritätsgrundsatz bei Feststellungsklagen gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts – in der Regel ist in sozialgerichtlichen Verfahren der Beklagte eine juristische Person des öffentlichen Rechts – nur eingeschränkt, da angenommen werden kann, dass solche Beklagte aufgrund ihrer Bindung an Recht und Gesetz die Kläger auch ohne Leistungsurteil mit Vollstreckungsdruck befriedigen. Diese Annahme ist insbesondere dann berechtigt, wenn erwartet werden kann, dass der Streitfall mit der gerichtlichen Feststellung einer endgültigen Klärung zugeführt werden kann (Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 55 SGG, Stand: 15. Juni 2022, Rn. 31 unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 2. Juli 2013, Az. B 4 AS 74/12 R, juris Rn. 24). Dies ist hier der Fall. Es ist davon auszugehen, dass mit dem Ergebnis einer Feststellungklage der Streit zwischen den Beteiligten endgültig beigelegt werden kann, da dies die einzige Frage ist, die zwischen ihnen streitig ist. Aus dem gleichen Grund ist hier auch eine Elementenfeststellungsklage – ausnahmsweise – zulässig. Es handelt sich um eine Elementenfeststellung, weil die Berücksichtigung von Beiträgen zu einer Sterbegeldversicherung nur eine Position bei der Berechnung des Leistungsanspruchs der GruSi darstellt. Eine Elementenfeststellungsklage kommt nach der Rechtsprechung des BSG im Einzelfall nur in Betracht, wenn sicher anzunehmen ist, dass durch sie der Streit der Beteiligten insgesamt bereinigt wird (BSG, Urteil vom 26. März 2014, Az. B 10 EG 2/13 R, juris Rn. 9), d.h. in Konstellationen, in denen die isolierte (Vorab-) Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs aus prozessökonomischen Gründen geboten ist und zu einer umfassenden Klärung des bestehenden Streits führt (Böttiger in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 55 SGG Rn. 6).
Auch das notwendige Feststellungsinteresse der Klägerin ist gegeben. Es handelt sich hier um eine Frage eines zukünftigen Rechtsverhältnisses, da die Klägerin die Sterbegeldversicherung noch nicht abgeschlossen hat. Bei zukünftigen Rechtsverhältnissen sind besondere Anforderungen an das Feststellungsinteresse zu stellen. Erforderlich ist, dass ein weiteres Abwarten unzumutbar ist, z.B. weil bereits jetzt wirtschaftliche Dispositionen getroffen werden müssen (vgl. Keller, a.a.O., § 55 Rn. 15 c). Dies ist bei der Klägerin der Fall. Sofern sie vor Abschluss einer Sterbegeldversicherung nicht weiß, ob diese bei der Berechnung ihrer Grundsicherungsleistungen berücksichtigt werden, läuft sie Gefahr, die Kosten hierfür nicht aufbringen zu können. Weiter besteht auch ein Interesse an einer baldigen Feststellung, da Sterbegeldversicherungen bis zum 65. Lebensjahr abgeschlossen werden sollten und sich im Übrigen mit einem höheren Lebensalter auch die monatlichen Beiträge erhöhen.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2020 sowie der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als nicht festgestellt wurde, dass die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass, sofern sie eine Sterbegeldversicherung abschließt, die Beiträge gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII von dem anrechenbaren Einkommen abzusetzen sind.
Der Beklagte ist der für die begehrte Leistung zuständige Leistungsträger. Die Klägerin begehrt eine Leistung der GruSi nach dem SGB XII. Sachlich und örtlich zuständig für diese Leistungen war und ist gemäß § 97 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 und Abs. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [AG-SGB XII] des Landes Berlin in der jeweils geltenden Fassung das Land Berlin als örtlicher und überörtlicher Träger der Sozialhilfe im Sinne des § 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Da die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin hatte und hat ist das Land Berlin der gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII örtlich zuständige Träger.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin auf Berücksichtigung der Beiträge für eine Sterbegeldversicherung bei der Berechnung ihrer Leistung ist § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII in der zumindest seit 2017 unveränderten Fassung. Die genannte Vorschrift lautet:
Von dem Einkommen sind abzusetzen
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten.
Die Klägerin ist zurzeit bedürftig und bezieht auf Grund eines nicht ausreichenden Einkommens und von Vermögenslosigkeit Leistungen der GruSi gemäß den §§ 41 ff SGB XII von dem Beklagten. Es ist davon auszugehen, dass sich der Zustand der Hilfebedürftigkeit auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Die Klägerin erzielt ein Einkommen in Form einer Rente wegen Erwerbsminderung, deren Zahlbetrag aktuell, d.h. ab Juli 2022, 262,69 € monatlich beträgt. Es bestünde also die Möglichkeit, (weitere) Versicherungsbeiträge vom Einkommen abzusetzen. Grundsätzlich können sonstige Beiträge zu privaten Versicherungen nur von den Einnahmen abgezogen werden, wenn sowohl die Art der Versicherung als auch die Höhe der geschuldeten Beiträge angemessen ist. Der Begriff der Angemessenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Grundsätzlich ist maßgeblich, ob ein in bescheidenen Verhältnissen lebender, aber nicht sozialhilfebedürftiger Bürger in einer vergleichbaren Lage den Abschluss einer entsprechenden Versicherung auch als sinnvoll erachtet hätte (Schmidt in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, § 82 SGB XII, Stand: 1. Februar 2020, Rn. 95).
In Literatur und Rechtsprechung wird vertreten, dass die Frage der „Angemessenheit“ einer Sterbegeldversicherung im Rahmen des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII nicht (mehr) geprüft werden müsse, weil der Gesetzgeber mit der Regelung des § 33 SGB XII deutlich gemacht habe, dass eine Sterbegeldversicherung für ältere Menschen eine sinnvolle Absicherung darstelle und diese daher grundsätzlich als „angemessen“ im Sinne des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII angesehen werden müsse (vgl. Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, Kommentar zum SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 82 Rn. 62; Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 12. Januar 2021, Az. S 12 SO 3577/18, juris Rn. 21; so im Ergebnis wohl auch Prof. Dr. Volker Schlette in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB XII, § 82 Begriff des Einkommens, Stand August 2022, Rn. 91). Als weiteres Argument wird genannt, dass Sterbegeldversicherungen in angemessener Höhe vermögensrechtlich geschützt seien, so dass dementsprechende Beiträge zu Lebzeiten des Leistungsberechtigten von dessen Einkünften abgesetzt werden könnten (vgl. Geiger in LPK-SGB XII, § 82 Rn. 83 [am Ende] mit weiteren Nachweisen).
Andererseits wird vertreten, dass (auch) bei der Frage der Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung geprüft werden müsse, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze üblicherweise Vorsorgeaufwendungen zu tätigen pflegen, als auch darauf, welche individuellen Lebensverhältnisse die Situation des Hilfebedürftigen prägen. Für die Frage, ob eine Versicherung unter den Tatbestand des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII falle, bedürfe es daher stets einer Einzelfallbetrachtung (Giere in Grube/Wahrendorf/Flint, Kommentar zum SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 82 Rn. 94). Danach wäre eine Abwägung des Für und Wider des Abschlusses einer Sterbegeldversicherung im (Einzel-) Fall der Klägerin vorzunehmen. Es wäre dann (auch) zu berücksichtigen, welche Wahrscheinlichkeit besteht, dass für den gleichen Zweck ein sozialhilferechtlicher Bedarf entstehen wird sowie, dass es letztlich nicht um die Abdeckung eines eigenen Risikos des Hilfeempfängers geht, sondern die Versicherung indirekt der Kapitalbildung für die zur Tragung der Bestattungskosten verpflichteten Erben dient (vgl. - die Berücksichtigung einer Sterbegeldversicherung ablehnend - Oberlandesgericht [OLG] Koblenz, Beschluss vom 22. August 2018, Az. 13 WF 638/18; Sozialgericht Berlin, Urteil vom 28. Oktober 2019, Az. S 70 SO 21/18).
Der Senat ist aufgrund der Änderung des § 33 Abs. 2 SGB XII durch den Gesetzgeber zum 1. Juli 2017 der Überzeugung, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung die grundsätzliche Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung anerkannt hat. Die Vorschrift lautete bis zum 30. Juni 2017 folgendermaßen:
Um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen, können die erforderlichen Aufwendungen übernommen werden.
Seit Juli 2017 hat § 33 Abs. 2 SGB XII, der gemäß § 42 Nr. 2 SGB XII auch für Leistungen der GruSi anwendbar ist, folgenden Wortlaut:
Weisen Leistungsberechtigte Aufwendungen zur Erlangung eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld vor Beginn der Leistungsberechtigung nach, so werden diese in angemessener Höhe als Bedarf anerkannt, soweit sie nicht nach § 82 Absatz 2 Nummer 3 vom Einkommen abgesetzt werden.
In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 17. Oktober 2016, Bundestagsdrucksache 18/9984, Seite 91, heißt es:
„Abs. 2 regelt die Anerkennung von Aufwendungen für ein angemessenes Sterbegeld als Bedarf. Die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Aufwendungen für eine sogenannte Sterbegeldversicherung (wobei es sich faktisch um Sparverträge handelt) als angemessen anzuerkennen sind, führt seit jeher zu Auslegungsfragen und ist wegen der damit verbundenen Ermessensausübung durch die ausführenden Träger oftmals auch streitbefangen. Deshalb wird Abs. 2 durch eine Neufassung grundlegend überarbeitet. Neben Angleichungen an die Begrifflichkeiten (ebenso wie in Abs. 1 und in § 32) wird dabei klargestellt, dass Aufwendungen für eine Sterbegeldversicherung nur soweit als Bedarf anerkannt werden können, wie sie nicht bereits vom anrechenbaren Einkommen nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 abgezogen werden. Dies entspricht der gängigen Vorgehensweise im Sozialhilferecht. Ferner wird das bisherige Ermessen der ausführenden Träger („Kann-Regelung“), ob Aufwendungen für eine Sterbegeldversicherung als Bedarf anzuerkennen sind, ausgeschlossen („Mussregelung“), sofern Leistungsberechtigte bereits vor Beginn der Leistungsberechtigung entsprechende Aufwendungen nachweisen können. Dies bedeutet, dass ein erst nach Eintritt von Hilfebedürftigkeit abgeschlossener Vertrag über eine Sterbegeldversicherung nicht dazu führt, dass die sich daraus ergebenden Aufwendungen als Bedarf berücksichtigt werden. Auch dies entspricht der Praxis vieler Sozialhilfeträger. Die Begrenzung der Aufwendungen ergibt sich neben der Angemessenheit des Betrags, auf den der Vertrag lautet, auch aus dem Schonvermögensbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 (kleinere Barbeträge und sonstige Geldwerte), wie er sich nach der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 11. Februar 1988 (BGBl.I S.150), die zuletzt durch Art. 15 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl.I S. 3022) geändert worden ist, ergibt.
Im Ergebnis dient die Neufassung von § 33 Abs. 2 der Vereinheitlichung der der Bewilligungspraxis und damit auch der Erhöhung der Rechtssicherheit“.
Dadurch, dass der Gesetzgeber § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII ausdrücklich in der Vorschrift des § 33 Abs. 2 SGB XII nennt, ist ersichtlich, dass er die Aufwendungen für eine Sterbegeldversicherung als grundsätzlich anerkennungsfähig und damit vom Einkommen absetzungsfähig ansieht. Auch aus den eben zitierten Gesetzesmaterialien ergibt sich diese Intention des Gesetzgebers. Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, die Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung in § 33 SGB XII vorzugeben und diese sogar als Bedarf anzuerkennen, wenn auch nur für den Fall, dass diese bei Beginn der Hilfebedürftigkeit bereits abgeschlossen war, andererseits aber in § 82 Abs. 2 SGB XII die Angemessenheit von einer Einzelfallprüfung abhängig zu machen. Eine Einzelfallprüfung kommt nicht mehr in Betracht, da die gegen eine Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung vorgebrachten Argumente, nämlich dass sie lediglich eine Entlastung der Erben von den Kosten der Bestattung darstellt und mit § 74 SGB XII für hilfebedürftige Bestattungspflichtige eine Regelung geschaffen wurde, die eine würdige Bestattung sicherstellt, in jedem Fall gegeben sind.
Durch die grundsätzliche Anerkennung der Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung entfällt damit die vom BSG in seinem Urteil vom 29. September 2009, Az. B 8 SO 13/08 R, juris Rn. 20 = SozR 4-3530 § 6 Nr. 1, vorgegebene Notwendigkeit der Ermittlung, für welche Lebensrisiken und in welchem Umfang Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze solche Aufwendungen zu tätigen pflegen sowie, wie gesagt, eine Einzelfallprüfung.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist es für eine Berücksichtigung der Beiträge zur Sterbegeldversicherung gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII auch nicht Voraussetzung, dass die Sterbegeldversicherung bereits vor Beginn des Leistungsbezuges abgeschlossen worden ist. Dies ist für die Absetzung von Versicherungsbeiträgen vom anrechenbaren Einkommen grundsätzlich nicht der Fall (Prof. Dr. Volker Schlette , a.a.O., § 82 Rn. 90b; Giere, a.a.O., § 82 Rn. 94; Geiger, a.a.O., § 82 Rn. 83). Es gibt keine Veranlassung, von diesem Grundsatz bezüglich der Beiträge zur Sterbegeldversicherung abzuweichen. Wollte man dies anders sehen, ergäbe der Verweis auf § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII in § 33 Abs. 2 SGB XII keinen Sinn, weil entsprechende Beiträge, sofern sie bereits vor Leistungsbezug zu zahlen waren, dann bereits nach § 33 Abs. 2 SGB XII zwingend zu berücksichtigen wären, wenn auch als Bedarf. Ob die Beiträge vom Einkommen abgesetzt werden oder als Bedarf berücksichtigt werden, ist im Ergebnis für den Leistungsbetrag der GruSi ohne Belang, er bleibt gleich. Das bedeutet, dass für die Sterbegeldversicherung im Rahmen des § 82 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr verbleiben würde, wollte man für die Absetzung vom Einkommen die Voraussetzung des Abschlusses der entsprechenden Versicherung bereits vor Hilfebezug annehmen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Hilfebedürftige mit eigenem Einkommen gegenüber Hilfebedürftigen ohne eigenes Einkommen privilegieren wollte.
Die Klägerin hat daher Anspruch auf die Feststellung, dass die Beiträge einer noch abzuschließenden Sterbegeldversicherung bei der Berechnung ihrer Grundsicherungsleistungen durch den Beklagten von ihrem Einkommen abgesetzt werden. Dabei ist die von ihr gewählte Versicherungssumme von 5.000,00 € angemessen. Laut der Stiftung Warentest kostete bereits im Jahr 2013 eine Bestattung in Deutschland durchschnittlich 6.000,00 €. Ein aktuellerer Test der Stiftung Warentest findet sich nicht. B.de gibt für das Jahr 2014 Gesamtkosten für eine Bestattung (Bestatterleistungen, Fremdleistungen und Friedhofsgebühren) in Höhe von 3.340 bis 8.950 € an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bestattungskosten je nach Bestattungsart, Ausführung und Region variieren. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Teuerung dürften die durchschnittlichen Bestattungskosten sich seit 2013 bzw. 2014 deutlich erhöht haben. Laut „RTL. Produktvergleiche“, in Kooperation mit „Experten Testen.de“, Abschnitt : „Was ist eine Sterbegeldversicherung?“ aus dem Jahr 2022 kostet eine Beerdigung Verbraucherzentralen zufolge durchschnittlich 7.000 €. Die Versicherungssumme von 5.000 € ist daher angemessen.
Eine Sterbegeldversicherung zu den von der Klägerin gewählten Bedingung (keine Gesundheitsprüfung, Wartezeit ein Jahr, Versicherungssumme 5.000 €) kostet bei der von der Klägerin gewählten Versicherung L bei einem Versicherungsbeginn im Oktober 2022 27,85 € pro Monat, die Kosten sind im Internet auf der Homepage der L abrufbar. Zu den gleichen Bedingungen bietet nur noch die ASterbegeldversicherung einen niedrigeren Beitrag, nämlich 27,40 € pro Monat. Preiswertere Versicherungen gibt es, diese haben aber in der Regel eine Wartezeit von 36 Monaten, z.B. als preiswertester Anbieter C i.H.v. 21,57 € (zu finden unter c im Internet). Die gewählten Bedingungen sind für die Klägerin jedoch notwendig, insbesondere, dass keine Gesundheitsprüfung durchgeführt wird und dass eine relativ geringe Wartezeit gegeben ist. Bei einer Wartezeit von drei Jahren besteht das Risiko, dass Leistungen trotz gezahlter Beiträge nicht erbracht werden müssen. Eine solche Wartezeit eignet sich nur für jüngere Personen, die eine Sterbegeldversicherung abschließen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Frage, ob eine Sterbegeldversicherung grundsätzlich als angemessen anzusehen ist, erscheint bisher nicht ausreichend geklärt.