S 15 AL 168/22 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 168/22 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 67/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Zur Prüfung der Voraussetzung der "Zuverlässigkeit" gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG bezüglich einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die ausschließlich zu dem Zweck gegründet wird, an einen Dritten veräußert zu werden (sogenannte "Vorratsgesellschaft").

2. Dem unbestimmten Rechtsbegriff der "Zuverlässigkeit" liegt die gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, das Recht der Arbeitnehmerüberlassung als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt auszugestalten. Daraus resultiert, dass eine Erlaubnis ausnahmsweise erteilt wird, wenn die erhöhten Anforderungen zum Schutz der überlassenen Arbeitnehmer in Zukunft prognostisch erfüllt werden.

3. Eine positive Prognose erfordert, dass die der Prüfung zugrunde liegende Person identisch ist mit derjenigen, die die Arbeitnehmerüberlassung nach Erlaubniserteilung tatsächlich betreiben wird. Bei einer GmbH kommt es im wesentlichen auf die Person des Geschäftsführers an.

4. Aufgrund dessen ist die "Zuverlässigkeit" i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG bei Vorratsgesellschaften prognostisch grundsätzlich nicht gegeben, wenn diese ohne Absicht eines eigenen Arbeitnehmerüberlassungsbetriebs allein zu dem Zweck des Verkaufs und der Übertragung an Dritte mit gleichzeitigem Wechsel der Geschäftsführung gegründet wird. 

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.

 
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen den Widerruf einer auf ein Jahr befristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.

Die Antragstellerin ist ein Unternehmen in der Form einer Unternehmergesellschaft mit Sitz in A-Stadt (AG Frankfurt a. M., HRB XXX1). Gegründet wurde sie mit Gesellschaftsvertrag vom 6. Oktober 2021, eingetragen in das Handelsregister am 19. Oktober 2021. Eingetragener Gegenstand des Unternehmens ist die Vermittlung von Arbeitskräften und Arbeitnehmerüberlassung. In das Handelsregister eingetragener Geschäftsführer ist Dr. phil. H., geboren 1980, Diplompsychologe, aus A-Stadt. Alleingesellschafterin ist die D. GmbH mit gleichem Sitz wie die Antragstellerin. Die Alleingesellschafterin wurde am 30. März 2021 gegründet und am 19. August 2021 in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand dieses Unternehmens ist der Verkauf von Vorratsgesellschaften, Beratung und Coaching von Existenzgründern sowie Unternehmensberatung. Der Geschäftsführer ist ebenfalls Dr. H. Die Alleingesellschafterin gründete zeitgleich weitere 13 Unternehmergesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, jeweils mit Dr. H. als Geschäftsführer und mit gleichem Sitz wie die Alleingesellschafterin, mit dem ausschließlichen Ziel, den jeweiligen Geschäftsanteil an Interessenten zu verkaufen und abzutreten (sogenannte Vorratsgesellschaften).

Unter dem 27. Januar 2022 beantragte die Antragstellerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Unter dem 30. März 2022 reichte sie einen aktuellen Auszug aus dem Handelsregister, das Muster eines Arbeitsvertrags für Leiharbeitnehmer, das Muster eines Überlassungsvertrags und die Nachweise zum bisherigen Werdegang des Geschäftsführers ein. Die Steuernummer beim Finanzamt Frankfurt sei beantragt, die Anzahl der vorgesehenen Leiharbeitnehmer betrage drei und es sei kein Verleih im Baugewerbe beabsichtigt. Weitere Unterlagen würden zeitnah nachgereicht werden.

Aus den eingereichten Unterlagen ergab sich folgendes: Das Bundesamt für Justiz bescheinigte unter dem 22. März 2022, dass keine Eintragungen im Gewerbezentralregister für die Antragstellerin vorhanden seien, unter dem 3. März 2022, dass bezüglich des Geschäftsführers keine Eintragungen vorhanden seien. Das Führungszeugnis vom 3. März 2022 enthielt bezüglich des Geschäftsführers keine Eintragungen. Als Musterverträge wurden die Muster für einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, für eine Rahmenvereinbarung zur Arbeitnehmerüberlassung mit Einzelarbeitnehmerüberlassungsvertrag und für einen Arbeitsvertrag, jeweils zur Verfügung gestellt durch den Interessenverband F. e. V., auf dem Stand 23. Mai 2018, vorgelegt. Im Antragsformular bejahte die Antragstellerin vertreten durch den Geschäftsführer die Frage, dass ihr Betriebszweck ausschließlich oder überwiegend auf Arbeitnehmerüberlassung ausgerichtet sei. 

Mit E-Mail vom 6. April 2022 reichte die Antragstellerin weitere Unterlagen ein. Danach ergab sich, dass die Antragstellerin bei der Verwaltungs Berufsgenossenschaft mit dem Unternehmensgegenstand „Personalvermittlung, Arbeitnehmerüberlassung (gewerbsmäßig)“, sowie dem Unternehmensschwerpunkt „Arbeitnehmerüberlassung (gewerbsmäßig)“ angemeldet worden war. Aus dem Kontoauszug des bei der E. Sparkasse geführten Kontos DEXXX2 ergab sich am 1. April 2022 ein Guthaben i.H.v. 12.499,40 €.

Mit E-Mail vom 21. April 2022 legte die Antragstellerin die Steuernummer sowie die Unbedenklichkeitsbescheinigung bezüglich des Geschäftsführers vor. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Krankenkassen könne mangels Beschäftigung von Arbeitnehmern nicht vorgelegt werden. Das Finanzamt Frankfurt am Main II bescheinigte dem Geschäftsführer unter dem 31. März 2022, dass derzeit für ihn keine Steuerrückstände bestünden, keine Steuerbeträge gestundet oder von der Vollziehung ausgesetzt sein und die festgesetzten und fälligen Steuern immer pünktlich gezahlt würden. Die steuerlichen Erklärungspflichten würden überwiegend pünktlich erfüllt. Das Finanzamt Frankfurt am Main V-Höchst teilte der Antragstellerin die Steuernummer XXX3 zu.

Mit Bescheid vom 28. April 2022 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung für die Dauer eines Jahres gerechnet vom Tag nach der Zustellung. Zugleich wurde die Urkunde über die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung mit entsprechendem Inhalt ausgestellt. Der Bescheid und die Urkunde wurden am gleichen Tag an die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gefaxt.

Die Antragsgegnerin erteilte den weitere Vorratsgesellschaften I, III und IV ebenfalls jeweils eine auf ein Jahr befristetet Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Die weiteren Vorratsgesellschaften (V f.) beantragten ebenfalls die Erlaubniserteilung.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2022 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin dahingehend an, dass die Erlaubnis zu versagen sei, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass ein Antragsteller die für die Ausübung der Verleihtätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze. In den vergangenen Wochen seien Anträge für zwölf Unternehmergesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung gestellt worden. Die Erlaubnisse für die ersten vier Gesellschaften seien bereits erteilt worden. Wie heute bekannt geworden sei, sei der Geschäftsführer der Antragstellerin zudem Geschäftsführer der Alleingesellschafterin, welche die Unternehmensberatung, den Verkauf von Vorratsgesellschaften sowie die Beratung und Coaching von Existenzgründern zum Unternehmensgegenstand habe. Man gehe davon aus, dass die einzelnen Gesellschaften nicht gegründet worden seien, um Arbeitnehmerüberlassung zu betreiben, sondern, dass die eigentliche berufliche Tätigkeit auf die Existenzgründung samt dem Verkauf von Vorratsgesellschaften inklusive einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung sich konzentriere. Es sei zu beachten, dass der Handel mit diesen Erlaubnissen nicht im Sinne der Gesetzgebung sei. Die Gründung von Vorratsgesellschaften und deren anschließende Veräußerung sei unstrittig zulässig. Gleichwohl bestehe der Sinn und Zweck der präventiven Zugangsschranke der Zuverlässigkeit darin, unzuverlässige Verleiher aus dem Bereich der Arbeitnehmerüberlassung auszuschalten. Die Geschäftspraxis ermögliche es, unzuverlässigen Personen Zugang zu einer Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ohne entsprechende Prüfung zu gewähren. Bei den gegründeten Vorratsgesellschaften gebe es zum Zeitpunkt der Antragstellung keinen Geschäftsführer, der tatsächlich selbst aktiv die Überlassung von Leiharbeitnehmern betreibe, weil eine ausschließlich zum Verkauf bestimmte Gesellschaft gegründet worden sei. Die Eintragung des Unternehmensgegenstandes im Handelsregister entspreche nicht dem tatsächlichen Unternehmenszweck. Es bestehe Gelegenheit sich zu diesen Feststellungen bis zum 10. Juni 2022 zu äußern. Das Schreiben wurde den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 25. Mai 2022 zugestellt.

Mit Bescheid vom 14. Juni 2022 widerrief die Antragsgegnerin die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung mit Wirkung für die Zukunft auf der Grundlage des § 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Es seien nachträglich Tatsachen eingetreten, auf deren Grundlage die Antragsgegnerin berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Es sei angenommen worden, dass die Antragstellerin selbst Arbeitnehmerüberlassung betreiben wolle. Aufgrund der weiteren elf eingegangenen Anträge stelle sich die Frage, ob tatsächlich die Arbeitnehmerüberlassung oder doch nur ein Handel mit Vorratsgesellschaften samt Erlaubnis beabsichtigt sei. Es sei bekannt geworden, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin zudem Geschäftsführer der Alleingesellschafterin sei, deren Unternehmenszweck unter anderen der Verkauf von Vorratsgesellschaften sei. Die Erlaubnis werde damit für eine funktionslose leere Hülle beantragt. Für die Beurteilung der Kriterien für die Zuverlässigkeit eines Verleihers sei maßgeblich auf die zur Vertretung berechtigten Organe abzustellen. Im Falle einer Vorratsgesellschaft gebe es jedoch keine Vertretungsorgane, deren Zuverlässigkeit beurteilt werden könnten. Zu diesem Zeitpunkt seien keine Geschäftsführer bekannt, die tatsächlich aktiv die Überlassung voller Arbeitnehmern betreiben wollten. Durch diese Dienstleistung des Geschäftsführers der Antragstellerin als Geschäftsführer der Alleingesellschafterin ermögliche er unzuverlässigen Personen die Zugangsprüfung zur Arbeitnehmerüberlassung zu unterlaufen. Damit liefen diese Prüfung und der damit verbundene Gesetzeszweck ins Leere. Dass nur vorübergehend eingesetzte Vertretungsorgan der Vorratsgesellschaft könne zu keinem Zeitpunkt die Gewähr dafür bieten, dass die nach dem Verkauf zur Vertretung Berechtigten, also die neuen Geschäftsführer, die erforderliche Zuverlässigkeit besäßen. Im Antragsverfahren seien falsche Angaben gemacht worden. Um die Erlaubnis zu erlangen, sei zudem ein falscher Unternehmensgegenstand eingetragen worden. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens sei auch das schutzwürdige Vertrauen des Verleihers in den Fortbestand einer rechtmäßig erteilten Erlaubnis zu berücksichtigen. Ein milderes Mittel, beispielsweise eine Auflage, sei im Rahmen der Ermessensentscheidung jedoch nicht zu treffen bzw. möglich gewesen. Eine bisherige Tätigkeit als Verleiher könne nicht berücksichtigt werden, da keine Arbeitnehmerüberlassung betrieben werde. Im Anhörungsverfahren sei keine Äußerung erfolgt. Die getroffene Entscheidung sei zudem verhältnismäßig. Das Vertrauen in den Fortbestand sei auch nicht schützenswert.

Hiergegen erhob die Antragstellerin am 20. Juni 2022 Widerspruch.

Die Antragstellerin hat am 21. Juni 2022 einstweiligen Rechtsschutz am Sozialgericht Frankfurt am Main beantragt.

Die Alleingesellschafterin hat mit Kauf- und Abtretungsvertrag vom 1. Juli 2022, notariell beurkundet, den Geschäftsanteil an der Antragstellerin an K. J. verkauft und abgetreten unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 18.400,- €. Mit gleicher aufschiebenden Bedingung ist ein Gesellschafterbeschluss gefasst worden, wonach das Stammkapital auf insgesamt 25.000 € erhöht, der Geschäftsführer abberufen und zum neuen Geschäftsführer Herr K. J. bestellt worden ist. Der Kaufpreis ist bis zur Entscheidung nicht beglichen worden.

Antragsbegründend hat die Antragstellerin einen Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1. August 2022, Antragstellerin Vorratsgesellschaft IV, vorgelegt, mit welchem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs dieser Antragstellerin gegen den ihr gegenüber bekannt gegebene Widerruf angeordnet hat (Az. S 37 AL 340/22 ER).

Die Antragstellerin trägt vor, dass der Handel mit Vorratsgesellschaften, die bereits eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besäßen, in der Vergangenheit durch die Bundesagenturen jahrelang nicht beanstandet worden sein. Es bestehe Vertrauensschutz auf die bereits erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Im Falle eines Wechsels des Geschäftsführers sei dies der Antragsgegnerin anzuzeigen und diese könne dann die Zuverlässigkeit prüfen. Es liege keine Umgehung dieser Prüfung vor. Das Verfahren zur Beantragung einer Erlaubnis dauere in der Regel mehrere Monate. Die Kunden der Antragstellerin benötigten die Erlaubnis jedoch typischerweise kurzfristig. Auch werde unbegründet vermutet, dass eine Veräußerung an unzuverlässige Person erfolgen werde. Die Entscheidung der Antragsgegnerin stelle einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Die Haupttätigkeit der Antragstellerin sei die Gründung und Veräußerung von Vorratsgesellschaften.

Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 20. Juni 2022 gegen den Bescheid über den Widerruf der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung vom 14. Juni 2092 anzuordnen;
die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin die befristete Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gestatten und die Erlaubnis nicht zu widerrufen oder einzuziehen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid.
 

II.

Der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthafte Antrag ist hinsichtlich des Antrags zu 2) unzulässig. Soweit die Gestattung der Arbeitnehmerüberlassung begehrt wird, fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis, da dieses Ziel bereits mit dem ersten Antrag durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung erreicht wird. Im Übrigen ist der nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerseite vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Vorausgesetzt wird, dass der Antragstellerin durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, weil in der Zwischenzeit irreparable Rechtsnachteile eintreten können.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig et al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 27; 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragssteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig et al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 16b; 41).

Es besteht kein Anordnungsanspruch der Antragstellerin, aus dem sich die Unterlassungspflicht der Antragsgegnerin für die Zukunft ergeben könnte. Ein solcher ist seitens der Antragstellerin weder glaubhaft gemacht, noch für das Gericht ersichtlich.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist zulässig, jedoch unbegründet.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin ist diesbezüglich § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG. Dies gilt jedoch nach § 86a Abs. 4 SGG nicht, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 03. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Dies ist vorliegend gegeben. Die ursprünglich am 28. April 2022 erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung ist mit Bescheid vom 14. Juni 2022 aufgehoben worden. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Aufhebungsentscheidung entspricht dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin, da diese die ursprüngliche Erlaubnis uneingeschränkt wiederaufleben lassen würde, wodurch der Antragstellerin die Arbeitnehmerüberlassung bis zu einer anderen gerichtlichen Entscheidung bzw. bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer der auf ein Jahr befristeten Erlaubnis ermöglicht würde.

Im Rahmen einer Entscheidung nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Abzuwägen sind das private Interesse der Antragstellerin, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, vorliegend der Klage gegen den Bescheid vom 12. August 2020, eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. LSG Hessen Beschl. v. 02.01.2017 – L 9 AS 739/16 B ER). Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Es ist das aus den Regelungen des § 86a SGG hervorgehende gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten: In den Fallgruppen des § 86a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und Abs. 4 SGG ist maßgebend, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG Beschl. v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 - zu § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 Verwaltungsgerichtsordnung). 

Nach diesen Grundsätzen kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht. Denn der zugrundeliegende Bescheid erweist sich in der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht als offensichtlich rechtswidrig. Sonstige, das öffentliche Interesse überwiegende Gründe, die eine Ausnahme vom gesetzlich vorgesehenen Wegfall der aufschiebenden Wirkung begründen könnten, sind nicht gegeben.

Es kann dahinstehen, ob Rechtsgrundlage des vorliegenden Bescheids § 4 AÜG oder § 5 AÜG ist. Ein Rückgriff auf §§ 48, 49 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ist wegen der Spezialregelungen der §§ 4, 5 AÜG ausgeschlossen (zur Anwendung des VwVfG siehe § 68 SGB I i.V.m. § 1 Abs. 1 SGB X; vgl. Kämmerer in: Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018, § 4 Rn. 1; Schüren in: Schüren et. al., AÜG, 6. Aufl. 2022, § 4 Rn. 1). 

Eine rechtswidrige Erlaubnis kann nach § 4 Abs. 1 S. 1 AÜG mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. § 2 Abs. 4 S. 4 AÜG gilt entsprechend. Die Erlaubnisbehörde hat dem Verleiher auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand der Erlaubnis vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Verleiher nicht berufen, wenn er 
1.    die Erlaubnis durch arglistige Täuschung, Drohung oder eine strafbare Handlung erwirkt hat;
2.    die Erlaubnis durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, oder
3.    die Rechtswidrigkeit der Erlaubnis kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
   
Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Verleiher an dem Bestand der Erlaubnis hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Erlaubnisbehörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Erlaubnisbehörde den Verleiher auf sie hingewiesen hat. Die Rücknahme ist nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Erlaubnisbehörde von den Tatsachen Kenntnis erhalten hat, die die Rücknahme der Erlaubnis rechtfertigen.

Demgegenüber kann eine Erlaubnis n ach § 5 Abs. 1 AÜG mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn 
1.    der Widerruf bei ihrer Erteilung nach § 2 Abs. 3 vorbehalten worden ist;
2.    der Verleiher eine Auflage nach § 2 nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat;
3.    die Erlaubnisbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen, oder
4.    die Erlaubnisbehörde aufgrund einer geänderten Rechtslage berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen; § 4 Abs. 2 gilt entsprechend.
   
Eine Entscheidung, welche Rechtsgrundlage heranzuziehen ist, kann unterbleiben, da § 5 AÜG nicht nur den Widerruf anfänglich rechtmäßiger, sondern anfänglich rechtswidriger Erlaubnisse ermöglicht (vgl. Kämmerer in: Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 2; Schüren in: Schüren et. al., AÜG, 6. Aufl. 2022, § 5 Rn. 7). Beide Regelungen ermöglichen die Aufhebung der Erlaubnis ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft. Auch im Übrigen liegt keine Verkürzung des Rechtsschutzes der Antragstellerin vor. Denn beide Regelungen knüpfen an das Vorliegen von Versagungsgründen an, lediglich in unterschiedlicher zeitlicher Perspektive. Unterschiedliche weitere zu erfüllende Voraussetzungen für Rücknahme und Widerruf, sowie unterschiedliche zu berücksichtigende Ermessensgesichtspunkte, sind nicht gegeben.

Die Erlaubnis oder ihre Verlängerung ist nach § 3 Abs. 1 AÜG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller
1.     die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Ausländerbeschäftigung, über die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält;
2.     nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage ist, die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen;
3.    dem Leiharbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht gewährt.

Wann die Voraussetzungen des Versagungsgrundes der Unzuverlässigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG, der einen gerichtlich nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff darstellt (vgl. BSG Urt. v. 06.02.1992 - 7 RAr 140/90), verwirklicht sind, ergibt sich nicht abschließend aus dem AÜG. § 3 Abs.1 Nr.1 AÜG begnügt sich, wie dem Wort "insbesondere" zu entnehmen ist, mit der Aufzählung von Beispielsfällen. Zur Auslegung herangezogen werden kann in diesem Zusammenhang der Zweck der Vorschrift. Dieser besteht darin, im Interesse der Sicherheit des sozialen Schutzes der Leiharbeitnehmer unzuverlässige Verleiher aus dem Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung auszuschließen (vgl. BT-Drs. VI/2303, S.11). Das Erfordernis der Erlaubniserteilung soll eine ständige Kontrolle der Verleihunternehmen gewährleisten, um die Verletzung insbesondere von Arbeitnehmerrechten zu verhindern (vgl. LSG Hamburg Urt. v. 30.01.2019 – L 2 AL 18/18). Unter Berücksichtigung der Beispielsfälle des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG und des Schutzzweckes des AÜG muss ein Antragsteller als unzuverlässig angesehen werden, wenn in seiner Person Tatsachen vorliegen, denen zufolge zu besorgen ist, dass er sein Gewerbe nicht in Einklang mit den bestehenden rechtlichen Vorschriften ausüben wird (vgl. BSG Urt. v. 06.02.1992 - 7 RAr 140/90).

Grundlage der Versagungsentscheidung ist eine Prognose für die Zukunft. Ausgangspunkt der Beurteilung ist die Prüfung, ob in der Vergangenheit Verstöße aufgetreten sind, um sodann unter Einbezug aller Tatsachen, die zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung vorlagen zu prüfen, ob auch in Zukunft von Gründen, die eine Versagung rechtfertigen, ausgegangen werden kann. Bewusste Pflichtverstöße können als Indiz für die Wiederholungsgefahr berücksichtigt werden, wohingegen einmaligen fahrlässigen Verstößen eine solche Indizwirkung nicht zukommt. Aufgrund der Prognose trifft die Behörde nicht die materielle Beweislast hinsichtlich des Vorliegens des Versagungsgrunds selbst, sondern nur hinsichtlich der Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen (vgl. LSG Baden-Württemberg Beschl. v. 11.03.2011 – L 13 AL 3438/10 ER-B).

Die zu treffende Prognose für die Zukunft fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Im Rahmen der Prognose ist zu berücksichtigen, dass das Geschäftsmodell der Arbeitnehmerüberlassung eine Ausnahme vom Grundsatz der unmittelbaren Vertragsbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellt, indem es einer dritten Person ermöglicht wird, Gewinne allein durch das zur Verfügung stellen der Arbeitskraft einer anderen Person zu erwirtschaften, wohingegen es dem Entleiher ermöglicht wird, flexibel auf Arbeitsanfall reagieren zu können, ohne zugleich das Risiko der Nichtbeschäftigung bei Wegfall des Arbeitsanfalls tragen zu müssen. Es handelt sich um ein gesetzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Ausdruck dieses Ausnahmecharakters sind u.a. erhöhte Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Verleihers als Arbeitgeber, erhöhte Dokumentationspflichten, Gleichstellungsgebote und Einschränkungen der Einsetzbarkeit von Leiharbeitnehmern in zeitlicher Hinsicht (vgl. § 1 Abs. 1b AÜG), sowie, dass Ausnahmen hiervon lediglich bei Beteiligung der Arbeitnehmervertretung (Gewerkschaften) erlaubt sind.

Sinn und Zweck des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung ist, wie bereits oben dargelegt, der Schutz der Rechte der Leiharbeitnehmer, wenn die Arbeitnehmerüberlassung ausnahmsweise zugelassen wird. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ermöglicht eine vorbeugende Kontrolle der Verleiher durch die für die Erlaubniserteilung zuständige Arbeitsverwaltung. Notwendig für die prognostische Sicherstellung dieses Schutzes ist es daher, dass die Person, die zur Zuverlässigkeitsprüfung herangezogen wird, sowie diejenige, die die Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich betreibt, tatsächlich übereinstimmen. Ansonsten liefe die Prüfung ins Leere. Eine prognostische Einhaltung der Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Ausländerbeschäftigung, über die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten, die Fähigkeit, nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen sowie dem Leiharbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren, ist nicht möglich.

Die Antragstellerin hat zum Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich eine Verleihabsicht vorgetäuscht und neben der Angabe, sie beabsichtige die Arbeitnehmerüberlassung, weitere unzutreffende Angaben gemacht. Dies geschah ausweislich der Angaben der Antragstellerin mit dem Ziel, dritten Personen unter Umgehung der von Gesetzes wegen vorgesehenen umfassenden Zuverlässigkeitsprüfung Arbeitnehmerüberlassung zu ermöglichen. Zu keinem Zeitpunkt beabsichtigte die Antragstellerin selbst die Arbeitnehmerüberlassung. Es ist ausweislich des Vortrags der Antragstellerin bewusst beabsichtigt, dass die Zuverlässigkeitsprüfung zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu welchem keine Arbeitnehmerüberlassung beabsichtigt ist, um sodann einen anderen Geschäftsführer nach Geschäftsanteilsübertragung einzusetzen, der die Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich aufnimmt. Dieses Auseinanderfallen widerspricht dem Gesetzeszweck des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Die Antragstellerin hat dementsprechend auch falsche Angaben im Antragsformular gemacht. Diese stellen sich vielmehr als reine Spekulation dar. Zunächst ist es bloße Vermutung der Antragstellerin, dass sie Arbeitnehmerüberlassung betreiben werde. Dies ist beim Kauf unter Übernahme von Gesellschaftsanteilen einer Vorratsgesellschaft mit einer entsprechenden Erlaubnis wahrscheinlich, jedoch nicht sicher. Auch die voraussichtliche Anzahl der Leiharbeitnehmer sowie die Angaben zu den beabsichtigten zu verwendenden Verträgen stellen sich als reine Formularangaben heraus, da die Entscheidung hierüber nicht der benannte Geschäftsführer, sondern der sodann eingesetzte treffen wird. Es liegt ein beabsichtigtes Unterlaufen der Prüfmöglichkeiten der Zuverlässigkeit vor, indem ein Strohmann zunächst eine Vorratsgesellschaft aufsetzt, diese mit einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ausstattet und sodann, was von Anfang an beabsichtigt war, die tatsächlich die Arbeitnehmerüberlassung betreibende Person als Geschäftsführer eingesetzt wird. Hiermit wird das rechtsstaatlich gebotene Verwaltungsverfahren im vorliegenden dem Gefahrenabwehrrecht zuzurechnenden Rechtsgebiet des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt vermieden. Die vorliegende Situation ist zudem nicht identisch mit derjenigen, dass ein Geschäftsführer eines bereits Arbeitnehmerüberlassung betreibenden Unternehmens ausgewechselt wird bzw. zu einem bestehenden Geschäftsführer hinzutritt, was die Meldepflicht des Unternehmens nach § 7 Abs. 1 S. 2 AÜG auslöst. Denn in diesen Konstellationen lag sowohl bei Antragstellung als auch im weiteren Geltungsverlauf der Erlaubnis eine tatsächliche Arbeitnehmerüberlassung und damit Kongruenz zwischen der zur Zuverlässigkeitsprüfung herangezogenen Person sowie der die Einhaltung der verschärften Regeln verantwortenden Person vor. Diese hat den gesetzlichen Anforderungen entsprechend Arbeitnehmerüberlassung betrieben, weshalb der Gesetzgeber im Wege eines Vertrauensvorschusses auch bei Änderung der Geschäftsführung oder Erweiterung von einer Fortsetzung der bereits institutionalisierten Arbeitnehmerüberlassung ausgeht. Dies ist bei Vorratsgesellschaften zu keinem Zeitpunkt der Fall.

Soweit die Antragstellerin vorträgt, es bestehe ein „Bedürfnis des Marktes und der Wirtschaftsteilnehmer“, kurzfristig Arbeitnehmerüberlassungserlaubnisse in Anspruch nehmen zu können, so stellt dies zur Überzeugung des Gerichts keinen zu beachtenden Grund für die Rechtswidrigkeit der erfolgten Rücknahme dar. Vielmehr konterkariert dies offensichtlich den Gesetzeszweck. Im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ist ein erhöhter Bedarf zum Schutz der betroffenen Leiharbeitnehmer vorhanden, woraus sich die Erlaubnispflicht begründet. Zeitliche Verzögerungen, die durch die Erteilung entstehen, sind vom Gesetzgeber in diesem Sinne beabsichtigt. Darüber hinaus zeigt das vorliegende Verwaltungsverfahren deutlich, was auch der üblichen Erfahrung des Gerichts bezüglich der Verwaltungsverfahren der Antragsgegnerin entspricht, dass nach Vorlage der vollständigen Unterlagen zügig, zumeist in kürzerer Zeit als ein Monat, die Prüfung vorgenommen und mit einer Entscheidung abgeschlossen wird.

Einer eigenständigen Regelung des Gesetzgebers im Sinne eines Verbots der Erteilung von Arbeitnehmerüberlassungserlaubnissen an Vorratsgesellschaften (so SG Düsseldorf Beschl. v. 1.8.2022 – S 37 AL 340/22 ER) bedarf es nicht. Es ist gerade Sinn und Zweck unbestimmter, gerichtlich voll überprüfbarer Rechtsbegriffe wie der „Zuverlässigkeit“, diese unter Heranziehung gesetzessystematischer Erwägungen sowie teleologischer Gesichtspunkte auszulegen und auf die in der Praxis auftretenden Fälle anzuwenden. Die Systematik und der Sinn und Zweck des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes besteht, wie oben dargelegt, in dem Schutz der Rechte der Leiharbeitnehmer und bedarf daher zumindest einer Übereinstimmung der Person, deren Zuverlässigkeit geprüft wird, sowie derjenigen, die die Arbeitnehmerüberlassung sodann tatsächlich betreibt.

Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Das Gericht ist bei Entscheidungen, die im Ermessen der Behörde stehen, auf die Prüfung von Ermessensfehlern beschränkt. Es darf seine eigene Ermessensausübung nicht an die Stelle der Ermessensausübung der Antragsgegnerin stellen. Durch das Gericht ist lediglich zu prüfen, ob Ermessen ausgeübt wurde (Ermessensnichtgebrauch), ob das Ermessen entsprechend dem Sinn und Zweck der Norm ausgeübt wurde und die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten worden sind, vgl. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG. Ermessensfehler sind hierbei die Ermessensüberschreitung, der Ermessensfehlgebrauch, die Ermessensunterschreitung und der Ermessensausfall. Ermessensausfall liegt dabei vor, wenn die Behörde kein Ermessen ausübt, sondern von einer zwingenden Rechtsfolge ausgeht. Ermessungsüberschreitung liegt vor, wenn eine Rechtsfolge gesetzt wird, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist. Die Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Behörde den ihr zustehenden Ermessensspielraum zu eng ausgelegt hat. Der Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, ferner wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat (BSG Urt. v. 09.11.2010 – B 2 U 10/10 R). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gilt darüber hinaus, dass die Behörde eine fehlerhafte Ermessensausübung im Ausgangsbescheid im Widerspruchsbescheid durch eine erneute Ermessensausübung ersetzen kann und der Widerspruch damit ebenfalls erfolglos verbleibt.

Nach diesen Maßstäben sind Ermessensfehler der Antragsgegnerin nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat ihr Ermessen zunächst offensichtlich erkannt und zudem unter Interessensabwägungsgesichtspunkten ausgeübt. Hierbei hat sie weder Gesichtspunkte einbezogen, die sachwidrig wären, noch sachgemäße Gesichtspunkt übersehen. Die Antragsgegnerin hat das Interesse der Antragstellerin an der Durchführung der Arbeitnehmerüberlassung, welches nach deren eigenen Angaben erst in ferner Zukunft nach Wechsel der Geschäftsführung vorhanden war, berücksichtigt, sowie das öffentliche Interesse an ordnungsgemäßer zuverlässiger Arbeitnehmerüberlassung. Als milderes Mittels sind Auflagen bedacht, jedoch zutreffend verworfen worden. Auch ist die Rücknahme nach der gebotenen summarischen Prüfung im Übrigen verhältnismäßig, insbesondere angemessen.

Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht gegeben. Alle Deutschen haben danach das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. 

Die gesetzliche Konstruktion, dass Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich verboten und nur mit entsprechender Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG betrieben werden darf, stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin dar, der jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die Berufsausübungsregelung ist zum Schutz der abhängig Beschäftigten, zu der der Staat verpflichtet ist, notwendig und verhältnismäßig, da sie die Berufsausübung sozialverträglich gestaltet (vgl. ausführlich BVerfG Beschl. v. 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03; 1 BvR 2582/03). Der Vortrag der Antragstellerin, das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin, Gründung von Vorratsgesellschaften, Ausstattung mit Erlaubnis nach § 2 AÜG und sodann Verkauf und Abtretung der Gesellschaftsanteile an diesen an Dritte sei gefährdet, begründet keine Verletzung der Antragstellerin in eigenen Rechten. Auf die mögliche Verletzung der Rechte der Alleingesellschafterin kann sich die Antragstellerin als andere (juristische) Person nicht berufen.

Der Rücknahme der Erlaubnis stehen zudem keine sonstigen Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen. Die Rücknahme erfolgt ausweislich des Wortlauts des Bescheids mit Wirkung für die Zukunft, was zudem § 5 Abs. 1 S. 1 AÜG entspricht. 

Ob die Rücknahme nach § 5 Abs. 3 AÜG ausgeschlossen ist, da die Erlaubnis unter dem neuen Geschäftsführer zu erteilen wäre, kann dahinstehen (vgl. hierzu Schüren in. Schüren et. al., AÜG, 6. Aufl. 2022, § 4 Rn. 20). Denn nach eigenen Angaben der Antragstellerin ist die Bedingung für die Einsetzung des neuen Geschäftsführers, die vollständige Kaufpreiszahlung an die Alleingesellschafterin bzgl. des Geschäftsanteils an der Antragstellerin, (noch) nicht eingetreten. Zudem hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, bspw. durch Vorlage von Unterlagen auch an die Antragsgegnerin, dass die Voraussetzungen der Erlaubniserteilung bzgl. des K. J. vorlägen.

Die Jahresfrist des § 5 Abs. 4 AÜG ist offensichtlich eingehalten.

Besondere Umstände, die ein Abweichen der gesetzlichen Regel des § 86a Abs. 4 SGG trotz, in summarischer Prüfung, nicht offensichtlich rechtswidrigen Bescheids begründen könnten, liegen nicht vor. Es liegt bereits kein Betrieb vor, der eingestellt werden müsste. Vielmehr kann, nach Vollziehung des Anteilskauf- und Übertragungsvertrags, noch kein Betrieb im Sinne der Arbeitnehmerüberlassung auf der Grundlage der erteilten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis aufgenommen werden. Dies bedingt jedoch keine besondere Härte. Bereits die Tatsache, dass bei Nichtstattgabe des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz wesentliche Einschnitte zu erwarten sind, insbesondere ein Betrieb in der bisherigen Form als Verleih eingestellt wird, ist typische Folge der Versagung der Verlängerung, der Rücknahme oder des Widerrufs einer Arbeitnehmerüberlassung und von Gesetzes wegen (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) vorgesehen. Um daraus resultierende Härten abzumildern, sieht § 2 Abs. 4 S. 4 AÜG die Auslauffrist zur Abwicklung aller Vertragsverhältnisse vor, die über § 4 Abs. 1 S. 2 AÜG auch für den Fall der Rücknahme gilt. Das Gericht hat bei seiner Bewertung zudem mit aufgenommen, dass es der Antragstellerin nach Wechsel des Geschäftsführers jederzeit möglich ist, einen neuen Antrag auf Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis unter Vorlage der diesen Geschäftsführer betreffenden Unterlagen zu beantragen. Die im vorliegenden Erlaubnisverfahren gezeigten Verfahrenslaufzeiten der Antragsgegnerin, die aus der Erfahrung des Gerichts als üblich anzusehen sind, ermöglichen eine schnelle neue Erlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen und eine sodann mögliche Aufnahme des Arbeitnehmerüberlassungsbetriebs. Gründe für eine besondere Härte ergeben sich zudem nicht aus dem Kauf- und Abtretungsvertrag. Eine aufschiebende Bedingung, dass der Vertrag nur bei erfolgreichem gerichtlichen Vorgehen gegen die Rücknahme der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vollzogen würde, ist weder vereinbart, noch würde diese das Interesse der Antragstellerin betreffen, sondern ausschließlich die wirtschaftlichen Interessen der bisherigen Gesellschafterin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Das statthafte Rechtsmittel der Beschwerde folgt aus § 172 Abs. 1 SGG.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Eine Minderung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kommt nicht in Betracht, da dieses im Hinblick auf die auf ein Jahr befristete Erlaubnis die Funktion des Hauptsacheverfahrens übernimmt. Auch war nicht der Kaufpreis für den Geschäftsanteil an der Antragstellerin zugrunde zu legen, da dies das wirtschaftliche Interesse der Alleingesellschafterin unter Umständen betrifft, nicht jedoch das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin.
 

Rechtskraft
Aus
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