Zu einem vorfristig gegen einen Bescheid des Zulassungsausschusses eingelegten Widerspruch eines anwaltlich nicht vertretenen Arztes und der Frage der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung des Beklagten, mit der dieser den klägerischen Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses wegen der Ablehnung der Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Rahmen eines Auswahlverfahrens zur Praxisübernahme als unzulässig verworfen hat.
Der Kläger sowie die Beigeladenen zu 1. und 2. sind Urologen.
Der Kläger (geb. 1950) ist seit 04.12.1978 approbiert und seit 11.10.1989 Facharzt für Urologie. Er war vom 01.01.1991 bis 30.06.2020 zur vertragsärztlichen Versorgung in M-Stadt zugelassen. Seit dem 01.07.2020 ist er im Rahmen eines Jobsharings in der urologischen Praxis seines Sohnes als angestellter Arzt beschäftigt.
Der Beigeladene zu 1. (geb. 1982) ist seit dem 19.05.2010 approbiert und seit dem 01.03.2016 Facharzt für Urologie. In der Zeit vom 01.01.2020 bis 31.03.2021 war er angestellter Arzt in der U., ab dem 01.01.2021 bis 31.03.2021 zugleich auch mit hälftigem Versorgungsauftrag in der bisherigen (Einzel-) Praxis des Beigeladenen zu 2. tätig.
Der Beigeladene zu 2. (geb. 1960) ist seit 28.03.1991 approbiert und seit 06.05.1998 Facharzt für Urologie. Er ist seit dem 01.01.2000 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und in M-Stadt niedergelassen.
Der Zulassungsausschuss (ZA) gab dem Antrag des Beigeladenen zu 2. auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens mit Beschluss vom 07.12.2020 statt. Die beigeladene KVB schrieb daraufhin den vollen Vertragsarztsitz im Bayerischen Staatsanzeiger aus.
Der Kläger beantragte innerhalb der Bewerbungsfrist die Zulassung für den Vertragsarztsitz W-Straße, M-Stadt.
Der Beigeladene zu 1. beantragte innerhalb der Bewerbungsfrist die Teilzulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag und zugleich die Genehmigung zur Beschäftigung des Beigeladenen zu 2. am Vertragsarztsitz W-Straße, M-Stadt mit einem Beschäftigungsumfang von 20 Wochenstunden.
Mit Beschluss vom 15.03.2021 ließ der Zulassungsausschuss den Beigeladenen zu 1. mit Wirkung ab 01.04.2021 am Vertragsarztsitz W.-Straße, M-Stadt, Planungsbereich Stadtkreis M-Stadt, zur Fortführung der Praxis des Beigeladenen zu 2. zu. Die an diesem Vertragsarztsitz bereits bestehende Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag werde damit zu einer Zulassung mit vollem Versorgungsauftrag. Dem Antrag des Beigeladenen zu 1. auf Genehmigung zur Beschäftigung des Beigeladenen zu 2. als angestellter Arzt im Rahmen einer Praxisübernahme (Praxisabgeber: Beigeladener zu 2.) zum 01.04.2021 mit 20 Wochenstunden (AF 0,5) wurde stattgegeben. Der Antrag des Klägers auf Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Rahmen einer Praxisübernahme wurde abgelehnt. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung der Entscheidung angeordnet. Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss an, dass der Beigeladene zu 1. als der am besten geeignete Bewerber zuzulassen gewesen sei. Er habe mit der beruflichen Eignung und dem Fortführungsgedanken die meisten Kriterien für sich entscheiden können.
Mit Telefax vom 28.03.2021 legte der Kläger beim ZA vorsorglich Widerspruch "gegen einen möglicherweise ergangenen Bescheid" ein. Er führte aus, dass er nach der Sitzung des Zulassungsausschusses am 15.03.2021 bisher noch keinen Bescheid erhalten habe. Da die Übergabe des Sitzes bereits zum 01.04.2021 erfolgen solle und er daher die Vermutung habe, dass ein Bescheid bereits ergangen sei, er aber diesen aus ihm unbekannten Gründen nicht erhalten habe, wolle er, um eine mögliche Fristversäumnis zu vermeiden, hiermit gegen einen möglicherweise bereits ergangenen Bescheid vorsorglich Widerspruch einlegen für den Fall, dass die Vertragsarztzulassung des Beigeladenen zu 2. nicht ihm zuerkannt worden sei. Für diesen Fall bitte er um Information über den Stand des Verfahrens.
Der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15.03.2021 wurde mit Bescheid vom 29.03.2021 dem Kläger am 30.03.2021 zugestellt.
Zugleich übersandte die Geschäftsstelle des Beklagten dem Kläger mit Schreiben vom 29.03.2021 eine Bestätigung des Eingangs des Widerspruchs und bat um Überweisung der Widerspruchsgebühr i.H.v. 200,00 €.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. nahmen zum 01.04.2021 ihre vertragsärztliche Tätigkeit am W. auf.
Die anwaltliche Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 1. wies mit Schriftsatz vom 07.05.2021 darauf hin, dass die Einlegung des Widerspruchs des Klägers entgegen § 84 SGG vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erfolgt sei und beantragte die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig. Der Schriftsatz vom 07.05.2021 ging dem Kläger am 18.05.2021 zu.
Der Kläger beantragte aufgrund seines lange geplanten Jahresurlaubs eine Verlegung des Termins des Beklagten vom 30.09.2021. Der Beklagte gab dem Kläger daraufhin auf, die für das Verlegungsgesuch erheblichen Gründe glaubhaft zu machen. Der Kläger bot mit Telefax vom 21.09.2021 an, "hiermit eidesstattlich zu versichern", dass er den Urlaub zu den genannten Terminen schon lange geplant habe.
Mit Schriftsatz vom 23.09.2021 begründete der Kläger seinen Widerspruch näher. Er teilte mit, dass der Beschluss des ZA bei ihm am 30.03.2021 zusammen mit der Eingangsbestätigung seines Widerspruchs vom 28.03.2021 eingegangen sei.
Der Beklagte wies mit Beschluss vom 30.09.2021 (Bescheid vom 04.11.2021) den Antrag des Klägers auf Terminsverlegung zurück. Der Widerspruch des Klägers gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15.03.2021 wurde als unzulässig verworfen. Zur Begründung wies der Beklagte darauf hin, dass der vom Kläger eingelegte Widerspruch unzulässig sei. Der Beklagte könne das Schreiben des Klägers vom 28.03.2021 nicht als zulässigen Widerspruch werten, da es vor Bekanntgabe des entsprechenden ZA-Beschlusses vom 15.03.2021 an den Beklagten gegangen sei. Der Bescheid des ZA sei dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30.03.2021 zugestellt und damit frühestens an diesem Tag wirksam bekannt gegeben worden. Das Schreiben des Klägers sei am 28.03.2021 und damit vor der Zustellung des Bescheides des ZA am 30.03.2021 verfasst worden. Der Kläger habe selbst angegeben, dass er keine Kenntnis der Entscheidung des ZA insgesamt habe. Der Wille des Klägers, dass er gegen eine für ihn negative Entscheidung vorgehen und diese anfechten möchte sei zwar in dem Schreiben vom 28.03.2021 erkennbar. Die vorsorgliche Einlegung eines Widerspruchs sei aber wegen der gesetzlichen Regelungen der wirksamen Bekanntgabe nicht möglich. Der Kläger sei am 28.03.2021 noch nicht in seinen Rechten verletzt gewesen und habe daher keinen zulässigen Widerspruch einlegen können. Der "Widerspruch" gegen einen noch nicht erlassenen VA sei unzulässig und werde auch nicht dadurch nachträglich zulässig, dass ein zunächst nur erwarteter Verwaltungsakt später tatsächlich ergehe. Nach der Zustellung des Bescheides des ZA am 30.03.2021 habe der Kläger keinen - weiteren - Widerspruch beim Beklagten eingelegt. Der Kläger habe aus der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Bescheides des ZA entnehmen können, dass er gegen diese für ihn jetzt bekannt gewordene, negative Entscheidung Widerspruch einlegen konnte. Dies sei nicht erfolgt. Damit sei der Widerspruch des Klägers unzulässig und daher zurückzuweisen. Inhaltlich bleibe es deswegen bei der Entscheidung des ZA.
Der Kläger hat am 29.11.2021 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Er weist darauf hin, dass der Beklagte den Widerspruch des Klägers erhalten und bestätigt habe. Der Beklagte habe dem Kläger niemals mitgeteilt, dass sein Widerspruch unzulässig und "vorfristig" gewesen sei. Sollte er dieser Meinung gewesen sein, wäre er als behördliches Organ verpflichtet gewesen, dies dem Kläger mitzuteilen, was aber nicht geschehen sei. Der Kläger als Nichtjurist habe davon ausgehen können, dass sein Widerspruch rechtlich korrekt gestellt und nicht als "vorfristig" angesehen werde. Spätestens nach der Rückäußerung der Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. hätte der Beklagte seinen Fehler erkennen können/sollen und den Kläger diesbezüglich informieren und ihm Gelegenheit geben müssen, seinen Widerspruch nochmals korrekt und fristgerecht zu stellen. Der Kläger beanstandet, dass die Geschäftsstelle des Beklagten nicht unterwiesen sei, die Zulässigkeit eines Widerspruchs zu prüfen und im Zweifelsfalle mit Vorgesetzten Rücksprache zu nehmen. Hierin sei ein eklatantes Organisationsversagen zu sehen, mit dem das Recht des Widerspruchführers, gegebenenfalls nochmals einen fristgerechten Widerspruch einzulegen, unzulässig beschnitten werde.
Der Kläger beantragt:
Der Beschluss des Beklagten vom 30.09.2021 (Bescheid vom 04.11.2021) wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in der Sache zu entscheiden.
Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass keine Belehrungspflicht von seiner Seite bestanden habe. Es handele sich bei dem Beklagten um ein Selbstverwaltungsgremium, das sich nur in Sitzungen für Sachentscheidungen zusammenfinden könne, Umlauf-Beschlüsse seien rechtlich unzulässig.
Der Beklagte beantragt,
die Klage zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 1. beantragt,
die Klage zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die übrigen Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Auf Fragen des Gerichts zu dem üblichen Geschäftsgang hat der Beklagte schriftlich mitgeteilt, dass nach Eingang eines Widerspruchs ein Aktenzeichen vergeben, eine Akte angelegt und der Widerspruch in einer elektronischen Liste erfasst werde. Der Widerspruchsführer erhalte eine Empfangsbestätigung sowie die Anforderung der Widerspruchsgebühr. Für alle am Verfahren Beteiligten werde ein Abdruck des Widerspruchs erstellt und von der KVB die Verwaltungsakte angefordert. Liege die vollständige Verwaltungsakte vor, werde der Widerspruch auf die nächst mögliche Sitzung eines Ausschusses genommen. Sei eine Sitzung mit einer ausreichenden Anzahl an Widersprüchen versehen, würden die Akten dem jeweiligen Vorsitzenden zur Verfügung gestellt, eine Tagesordnung erstellt und die Sitzung geladen. Ein genauer Zeitpunkt, wann im vorliegenden Verfahren der Widerspruch des Klägers vom 28.03.2021 erstmals dem Vorsitzenden vorgelegt worden sei, sei nicht festgehalten worden. Die zuständige Geschäftsstellenangestellte habe die Unzulässigkeit des vorfristigen Widerspruchs nicht (rechtzeitig) erkennen können, da zum Zeitpunkt des Widerspruchseingangs der Geschäftsstelle noch keine Verwaltungsakte vorgelegen habe. Unabhängig davon sei es nicht Aufgabe der Geschäftsstellenangestellten, vorab Widersprüche auf deren Zulässigkeit zu prüfen. Vorfristige Widersprüche kämen extrem selten vor.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger mitgeteilt, dass er das Schreiben der Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. vom 07.05.2021 am 18.05.2021 erhalten habe. Es sei insgesamt sein drittes Verfahren vor dem Berufungsausschuss, die anderen zwei Verfahren hätten vor ca. vier Jahren stattgefunden. Auf die Frage, warum er nicht nochmals nach Erhalt des Bescheides des ZA am 30.03.2021 Widerspruch eingelegt bzw. klargestellt habe, dass der vorsorgliche Widerspruch durch einen tatsächlichen Widerspruch ersetzt werde, hat der Kläger mitgeteilt, dass ihm das nicht nötig erschienen sei. Widerspruch sei Widerspruch; sein Widerspruch vom 28.03.2021 sei ja auch von der Geschäftsstelle des Beklagten bestätigt worden. Er sei nicht auf die Idee gekommen, trotz der Rechtsbehelfsbelehrung nochmals Widerspruch einzulegen. Auf den Vorhalt, warum er auch nicht auf das Schreiben der Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. vom 07.05.2021 hin nochmals Widerspruch eingelegt habe, hat der Kläger gemeint, dass er angenommen habe, es handele sich um eine der "üblichen Nebelkerzen von den gegnerischen Rechtsanwälten".
Der Vorsitzende des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass er in seinen 19 Jahren als Vorsitzender ca. 3 oder 4 Fälle erlebt habe, in denen vorfristig Widerspruch eingelegt worden sei. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Beklagten, Frau S., die seit 11 Jahren dort tätig sei, rufe ihn an bei offenkundigen Fehlern von Rechtsbehelfen oder wenn ihr etwas "spanisch vorkomme".
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und des Zulassungsausschusses Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 30.09.2021 (Bescheid vom 04.11.2021) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte über seinen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in der Sache entscheidet.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage liegen allesamt vor.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des Beklagten, den Widerspruch des Klägers als unzulässig zu verwerfen, ist nicht zu beanstanden.
Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten ist formell rechtmäßig. Insbesondere liegt kein Verfahrensfehler wegen Ablehnung des Terminsverlegungsantrags des Klägers vor. Denn gem. § 37 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV kann auch in Abwesenheit Beteiligter verhandelt werden, falls, wie hier, in der Ladung darauf hingewiesen ist. Im Übrigen hat der Kläger seinen Jahresurlaub entgegen der Aufforderung des Beklagten nicht glaubhaft gemacht, sondern eine eidesstattliche Versicherung nur angeboten.
Auch in materiellrechtlicher Hinsicht ist der Bescheid des Beklagten nicht zu beanstanden. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger nicht fristgemäß Widerspruch gegen den Beschluss des ZA vom 15.03.2021 (Bescheid vom 29.03.2021), der dem Kläger am 30.03.2021 zugestellt wurde, eingelegt hat.
Gem. § 97 Abs. 3 SGB V i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 44 Satz 1 Ärzte-ZV ist der Widerspruch binnen einen Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Berufungsausschusses beim Berufungsausschuss einzulegen. Der Widerspruch ist somit grundsätzlich erst ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Auflage, § 84 Rn. 4c).
Der vom Kläger mit Telefax vom 28.03.2021 erhobene "vorsorgliche Widerspruch gegen einen möglicherweise ergangenen Bescheid" ist als bedingter Rechtsbehelf unzulässig; er wird auch nicht zulässig, wenn die befürchtete Entscheidung später tatsächlich ergeht (Rennert in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung 15. Auflage, § 69 Rn. 2 m.w.N.). Der Verwaltungsakt des ZA war mangels Bekanntgabe zum Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung am 28.03.2021 nicht existent und der klägerische Widerspruch - mangels entsprechender Beschwer - nicht statthaft (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.2.2012, Az. L 19 AS 2270/11 B, Rn 17 m.w.N.).
Die Widerspruchsfrist begann aufgrund der Zustellung am 30.03.2021 zu laufen und endete am 30.04.2021, § 64 Abs. 1, 2 SGG. Der Kläger hat innerhalb der Widerspruchsfrist keinen Widerspruch eingelegt.
Der Beklagte musste dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist gewähren.
§ 67 SGG findet nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG auch im Widerspruchsverfahren Anwendung.
Gem. § 67 Abs. 1 SGG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren."
§ 67 Abs. 2 SGG lautet: "Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden."
Mit dem Schreiben des Klägers vom 23.09.2021 an den Beklagten, mit dem er ausführlich zum Beschluss des ZA vom 15.03.2021 Stellung nahm, holte er zugleich die Einlegung des Widerspruchs und damit die versäumte Rechtshandlung i.S.d. § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG nach.
Nach Überzeugung der Kammer sind die (weiteren) Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben. Weder hat der Kläger die Widerspruchsfrist ohne Verschulden versäumt noch hat er den nachgeholten Widerspruch innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses erhoben.
Hinsichtlich der Frage des Verschuldens des Klägers kommt es darauf an, ob er "diejenige Sorgfalt gewahrt hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist." Die Versäumnis der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Auflage, § 67 Rn. 3 m.w.N.).
Die Anforderungen an die zumutbare Sorgfalt können u.U. bei Privatpersonen weniger groß sein als bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, bei rechtskundigen und geschäftsgewandten Personen größer als bei anderen. Auch eine juristisch nicht geschulte Privatperson hat aber eine Sorgfaltspflicht, muss die Rechtsbehelfsbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen (Keller, ebenda, Rn. 3d m.w.N.).
Vorliegend unterlag der Kläger einem Rechtsirrtum, da er annahm, dass er aufgrund seines vorsorglichen Widerspruchs vom 28.03.2021 bereits wirksam Widerspruch gegen den Beschluss des ZA vom 15.03.2021 (Bescheid vom 29.03.2021) eingelegt hatte. Bei Rechtsirrtum trifft den Beteiligten nur dann ausnahmsweise kein Verschulden, wenn dieser den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte (Keller, ebenda, Rn. 8a m.w.N.).
Zur Überzeugung der Kammer hätte der Kläger den Rechtsirrtum bei sorgfältiger Prüfung vermeiden können. Zwar kann die Kammer den Vortrag des Klägers im Ansatz durchaus nachvollziehen, dass er insbesondere aufgrund des Schreibens der Geschäftsstelle des Beklagten vom 29.03.2021, das ihm am selben Tag wie der Bescheid des ZA vom 29.03.2021 zugestellt wurde und das eine Bestätigung des Eingangs seines Widerspruchs vom 28.03.2021 enthielt, davon ausging, dass er nicht nochmals Widerspruch einlegen müsse. Auf der anderen Seite wäre jedoch von einer geschäftsgewandten Person wie dem Kläger, der nahezu dreißig Jahre als Vertragsarzt selbstständig tätig war, bereits zuvor zwei Verfahren beim Beklagten angestrengt und lt. Eureka-Programm auch schon sieben Verfahren vor dem SG C-Stadt bestritten hat, zu erwarten gewesen, dass er die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids des ZA aufmerksam liest. Dann hätte ihm auffallen können, dass der Widerspruch "binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses" eingelegt werden konnte und der Widerspruch "in der genannten Frist" einzureichen war. Von einem gewissenhaften Prozess- bzw. Widerspruchsführenden wäre nach Auffassung der Kammer zudem zu erwarten gewesen, dass er nach Erhalt des Bescheids des ZA gegenüber dem Beklagten klarstellt, dass er seinen ursprünglich nur vorsorglich "ins Blaue hinein" erhobenen Widerspruch nun tatsächlich gegen den Bescheid vom 29.03.2021 einlegt. Dass der Kläger weder infolge des Studiums der Rechtsbehelfsbelehrung beim Beklagten oder bei einer rechtskundigen Stelle Rat eingeholt bzw. erneut Widerspruch eingelegt noch gegenüber dem Beklagten klargestellt hat, dass er den zunächst nur vorsorglich erhobenen Widerspruch tatsächlich einlegt, stellt aus Sicht der Kammer ein leicht fahrlässiges Verschulden des Klägers im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG dar.
Eine Fallgestaltung, in der trotz Verschuldens des Fristsäumigen ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, liegt nicht vor. Eine solche wäre gegeben, wenn der Beklagte die Unzulässigkeit des vorfristigen Widerspruchs leicht und frühzeitig hätte erkennen und den Kläger aufgrund seiner Fürsorgepflicht darauf hinweisen können (Keller, ebenda, Rn. 4 ff. m.w.N.). Offenkundige Versehen, bei denen ein Beteiligter erwarten darf, dass das Gericht bzw. die Behörde diese in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb des üblichen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen trifft, damit die Frist nicht versäumt wird, sind etwa offensichtliche Schreibversehen (z.B. unsinnige Datumsangabe in Fristverlängerungsantrag) oder eine fehlende Unterschrift (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 233 Rn. 21a).
Aufgrund der Darlegungen des Beklagten, wie der Geschäftsgang bei ihm organisiert ist, ist vorliegend hinsichtlich der Frage, ob das klägerische Versehen offenkundig war, auf das Wissen der zuständigen Mitarbeiterin der Geschäftsstelle abzustellen. Denn der Geschäftsgang ist beim Beklagten derart gestaltet, dass nach Eingang eines Widerspruchs zunächst die Geschäftsstelle (vgl. § 97 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB V) tätig wird, ein Aktenzeichen vergibt, eine Akte anlegt, den Widerspruch in einer elektronischen Liste erfasst und dem Widerspruchsführer eine Empfangsbestätigung übersendet, verbunden mit der Anforderung der Widerspruchsgebühr. Anschließend wird von der KVB die Verwaltungsakte angefordert. Liegt die vollständige Verwaltungsakte vor, wird der Widerspruch auf die nächst mögliche Sitzung eines Ausschusses genommen. Erst wenn eine Sitzung mit einer ausreichenden Anzahl an Widersprüchen versehen ist, werden die Akten dem jeweiligen Vorsitzenden zur Verfügung gestellt. Aufgrund dieses üblichen Geschäftsgangs ist davon auszugehen, dass der Vorsitzende des Beklagten den klägerischen Widerspruch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist erhalten und zur Kenntnis genommen hat, so dass es hinsichtlich der Frage der Offenkundigkeit des klägerischen Versehens nicht auf ihn (sitzungsvorbereitende Entscheidungen sind gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Ärzte-ZV im Grundsatz dem Vorsitzenden zugewiesen, vgl. Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Auflage, Stand 04.10.2022, § 97 Rn. 12), sondern auf die Kenntnis von Frau S., seit ca. 11 Jahren in der Geschäftsstelle des Beklagten tätig, ankommt.
Nach Darstellung des Beklagten handelt es sich bei sog. vorfristigen Widersprüchen um eine extrem seltene Fallgestaltung, die in der 19 Jahre langen Tätigkeit des Vorsitzenden nur ca. drei oder viermal vorgekommen ist. Auch die Kammer stuft die Thematik als selten ein. Die sich diesbezüglich stellenden Fragen, etwa ob der Widerspruch auch dann unzulässig bleibt, wenn der Bescheid durch nachträgliche Bekanntgabe wirksam wird, sind rechtlich nicht einfach zu beantworten. Aus diesen Gründen handelte es sich nach Einschätzung der Kammer, bezogen auf die Sicht von Frau S., um kein offenkundiges Versehen von Klägerseite, das eine entsprechende Fürsorgepflicht des Beklagten begründen konnte.
Schließlich liegen die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht vor, da der Kläger den mit Schreiben vom 23.09.2021 nachgeholten Widerspruch nicht innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses erhoben hat, § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG. Mit dem Schriftsatz der Bevollmächtigten des Beigeladenen vom 07.05.2021, der dem Kläger am 18.05.2021 zuging, erhielt dieser Kenntnis von der Unzulässigkeit seines vorsorglichen Widerspruchs vom 28.03.2021. In ihrem Schriftsatz wiesen die Prozessbevollmächtigten darauf hin, dass die Einlegung des klägerischen Widerspruchs vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erfolgt sei. Nach § 84 SGG sei der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden sei, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen habe. Diese Voraussetzungen seien nicht gewahrt. Widerspruch könne grundsätzlich erst ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes eingelegt werden (mit Verweis auf die Kommentierung in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 84 Rn. 4c m.w.N.). Der Beklagte müsse den Widerspruch daher als unzulässig behandeln. Mit der Kenntnis des Inhalts des Schriftsatzes vom 07.05.2021 fiel beim Kläger das Hindernis für die Fristversäumnis i.S.d. § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG weg. Der Kläger hätte daher die Rechtshandlung, also die Einlegung des Widerspruchs innerhalb eines Monats nach der Kenntnisnahme am 18.05.2021 nachholen müssen. Auch diese Frist hat er versäumt.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist gem. § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG ist zwar grundsätzlich möglich (vgl. Keller, ebenda, § 67 Rn. 21, 11); vorliegend sind die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht gegeben. Denn die Fristversäumnis erfolgte nicht ohne Verschulden des Klägers. Nach Kenntnis des Schriftsatzes vom 07.05.2021 hätte der Kläger seine Rechtsansicht, dass er einen zulässigen, insbesondere fristgemäßen Widerspruch eingelegt hatte, hinterfragen, die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids des ZA (nochmals) sorgfältig lesen und zumindest sich beim Beklagten oder einem Anwalt erkundigen müssen. Den Inhalt des Schriftsatzes lediglich als "übliche Nebelkerze von den gegnerischen Rechtsanwälten" abzutun, entspricht nicht der Anwendung derjenigen Sorgfalt, die einem gewissenhaften Prozess- bzw. Widerspruchsführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist.
Nach alledem war dem Kläger nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Widerspruchsfrist zu gewähren.
Der Beklagte hat zutreffend den Widerspruch des Klägers als unzulässig verworfen.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. ist veranlasst, da dieser einen eigenen Antrag gestellt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).