S 30 AS 1503/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
30
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 30 AS 1503/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Pflicht des SGB II-Leistungsträgers zur Übernahme von Nebenkostennachforderungen für eine vom Leistungsberechtigten nicht mehr bewohnte Wohnung gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann auch in Fällen ohne Vorliegen einer Kostensenkungsaufforderung oder Zusicherung bestehen. Die existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nachforderung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf wird durch den ununterbrochenen Leistungsbezug hergestellt.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.09.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2021 verurteilt, dem Kläger für Oktober 2021 weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung i. H. v. 149,68 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten vorliegend über einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der Betriebskostennachforderung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung. 

Der 1961 geborene Kläger steht seit 2005 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bei der Beklagten. Er bewohnte seit 1998 eine Mietwohnung mit 37,8 m² Wohnfläche in der B. in J (West). Hierfür fielen bis 10/2020 Wohnkosten von insgesamt 311,39 Euro (Kaltmiete 206,39 Euro, Betriebskostenvorauszahlung 38 Euro, Heizkostenvorauszahlung 67 Euro) monatlich an. Ab 11/2020 erhöhte sich die Betriebskostenvorauszahlung auf 50 Euro, die Heizkosten sanken auf 61 Euro monatlich, so dass die Gesamtmiete 317,39 Euro betrug.

Mit Bescheid vom 28.10.2019 bzw. Änderungsbescheiden vom 07.11.2019 und 23.10.2020 bewilligte die Beklagte Leistungen für den Zeitraum 12/2019 bis 11/2020 unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten (KdU) in voller Höhe. Eine sich aus der Betriebskostenabrechnung für 2018 ergebende Gutschrift von 145,19 Euro wurde in 12/2019 auf die KdU angerechnet.

Am 11.09.2020 wandte sich der Kläger per E-Mail an seine Leistungsbetreuerin und teilte mit, dass er nach Kahla umziehen und nachfragen wolle, ob das beigefügte Wohnungsangebot nach Größe und Kosten in Ordnung wäre bzw. wie er weiter verfahren müsse. Die Beklagtenmitarbeiterin verwies den Kläger für weitere Auskünften auf das für K zuständige Jobcenter S.

Am 23.10.2020 führte der Kläger ein Telefonat mit dem Leistungsbetreuer P, wo er nochmals auf einen möglichen Umzug nach K Bezug nahm. Eventuell wolle er aber auch innerhalb J umziehen. Ausweislich des hierzu gefertigten Vermerks wies der Leistungsbetreuer auf die angemessenen Kosten hin und darauf, dass die Kosten bei einem nicht erforderlichen Umzug nur bis zur Höhe der bisherigen Kosten übernommen werden könnten.

Mit Bescheid vom 04.12.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum 12/2020 bis 11/2021 und rechnete hierbei die sich aus der Betriebskostenabrechnung für 2019 ergebende Gutschrift i. H. v. 79,98 Euro auf die KdU in 12/2020 an.

Am 20.01.2021 reichte der Kläger ein Wohnungsangebot für eine 1-Zimmer-Wohnung mit 34,91 m² Wohnfläche in der Sch in J zu einer Gesamtmiete von 330 Euro (Kaltmiete 231 Euro, Betriebskostenvorauszahlung 32 Euro, Heizkostenvorauszahlung 67 Euro) bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 21.01.2021 lehnte die Beklagte die Zusicherung für die Aufwendungen der neuen Unterkunft ab, da der Kläger aktuell eine hinsichtlich der Kosten und Größe angemessene Wohnung bewohne und der beabsichtigte Umzug nicht erforderlich sei. Gründe für den Umzug seien nicht angegeben worden, so dass diese nicht im Hinblick auf eine Erforderlichkeit geprüft werden könnten. Selbstverständlich stehe es dem Kläger frei, auch ohne Zusicherung umzuziehen, dann könnten Aufwendungen für die neue Wohnung aber maximal in Höhe der bisherigen Unterkunftskosten übernommen werden. Der ggf. entstehende Differenzbetrag sei vom Kläger selbst aufzubringen. Zudem werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eventuell bestehende Betriebskosten- bzw. Heizkostennachzahlungen (sowohl der bisherigen als auch der zukünftigen Wohnung) nicht übernommen werden könnten.

Am 22.02.2021 reichte der Kläger den am 28.01.2021 unterschriebenen Mietvertrag für die Wohnung Sch mit Mietbeginn 15.02.2021 bei der Beklagten ein. Diese berücksichtigte mit Änderungsbescheid vom 23.02.2021 für 2-11/2021 in 2/2021 einen Unterkunftsbedarf von 335,04 Euro, in 3/2021 von 330 Euro und ab 4/2021 von 317,39 Euro. Da der Kläger ohne Zustimmung umgezogen sei, könnten nach § 22 Abs. 4 SGB II lediglich die KdU berücksichtigt werden, die bisher anerkannt wurden. An die Vermieterin wurden 330 Euro direkt durch die Beklagte abgeführt. 

Am 01.09.2021 reichte der Kläger die Betriebskostenabrechnung vom 26.08.2021 für den Abrechnungszeitraum 1-12/2020 für die ehemalige Wohnung B bei der Beklagten ein. Hieraus ergab sich eine Nachzahlungsforderung i. H. v. 149,68 Euro, fällig zur Zahlung bis zum 01.10.2021.

Mit Bescheid vom 02.09.2021 lehnte die Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Forderungen aus Nebenkostenabrechnungen würden grundsätzlich im Rahmen der Angemessenheit im Monat der Fälligkeit als laufender Bedarf anerkannt, wobei sich der Leistungsanspruch nur auf die Aufwendungen der tatsächlich genutzten Wohnung beziehe, die aktuell den Unterkunftsbedarf decke. Ist das Mietverhältnis beendet, komme eine Übernahme grundsätzlich nicht mehr in Betracht, außer wenn der Leistungsberechtigte durchgehend im Leistungsbezug steht und die „Zusicherung zum Umzug“ erfolgte. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor, da der Kläger „ohne Zustimmung umgezogen“ sei.

Hiergegen legte der Kläger persönlich am 13.09.2021 Widerspruch ein und verwies darauf, dass er die telefonische Zusage vom Leistungsbetreuer bekommen habe, wenn er den Ausgleich (Mehrkosten) selbst trage. Damit sei er, der Kläger, einverstanden gewesen. Damit sei die Zustimmung für ihn rechtskräftig. Er habe für die alte Wohnung durchgehend Leistungen bezogen und in den letzten fünf Jahren über 1.000 Euro Nebenkosten gespart. Dass er jetzt für die Nachzahlung bestraft werde, werde er nicht hinnehmen.

Auf die Aufforderung der Beklagen, eine Erklärung zu den Gründen des Umzugs einzureichen, schilderte der Kläger im Schreiben vom 20.10.2021, dass er wegen des sozialen Umfelds umgezogen sei. Er habe sich in der alten Wohnung nicht mehr sicher und wohl gefühlt. Es sei zu ständigen, starken Lärmbelästigungen, Rauch, Verunreinigungen im und um das Haus, Nachbarschaftsstreitigkeiten, kriminellen Handlungen in der Umgebung (Schüsse auf Autos) gekommen. Er sei nicht zur Ruhe gekommen, habe Depressionen bekommen. Jegliche Beschwerde bei der Vermieterin sei fruchtlos verlaufen. Hierzu gebe es keine Nachweise, da die Vermieterin hierzu auch nach ausdrücklicher Nachfrage nichts Schriftliches herausgebe. Jetzt gehe es ihm psychisch besser, er habe Ruhe und keine Angst mehr; die neue Wohnung sei auch barrierefrei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2021 (W 340/21) wies die Beklagte den Widerspruch zurück und verwies darauf, dass nur in den Fällen einer Kostensenkungsaufforderung oder einer Zusicherung die existenzsicherungsrechtliche Verknüpfung der Betriebskostennachforderung mit dem aktuellen Unterkunftsbedarf anzunehmen sei. Hier sei dies nicht gegeben. Auch seien keine für den Umzug ursächlichen Gründe nachgewiesen. Zunächst sei die Vermieterin zur Durchsetzung der Hausordnung verpflichtet. Hier fehlten Nachweise, dass der Kläger die Vermieterin kontaktiert oder sonst alles unternommen habe, dass die Störungen und Beeinträchtigung beseitigt werden. Zudem sei der Kläger bereits vor der Entscheidung über die Zusicherung zum Abschluss des Mietvertrages entschlossen gewesen. Die Beklagte habe keine Zeit zur Prüfung gehabt. Eine Zusicherung sei zu keinem Zeitpunkt – auch nicht mündlich - ausgesprochen worden, jedenfalls fehle es an der Schriftform nach § 34 SGB X

Hiergegen hat der Kläger am 02.12.2021 über seine Bevollmächtigte Klage zum Sozialgericht Altenburg erhoben. Er macht weiter geltend, dass das Wohnumfeld und soziale Umfeld in der B erheblich gestört gewesen sei. Dies habe bei ihm zu depressiven Verstimmungen, Angstgefühlen, Antriebs- und Schlaflosigkeit geführt. Aufgrund des Telefongesprächs am 23.10.2020 sei er davon ausgegangen, dass einem Umzug nichts im Wege stehe, hier eine Zustimmung enthalten sei. Er habe darauf vertraut, dass die Nebenkosten aus der ehemaligen Wohnung vom Leistungsträger gedeckt würden. Die vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fälle („jedenfalls“) seien nicht abschließend. Vertretbar sei, dass eine existenzsicherungsrechtliche Verknüpfung auch dann vorliege, wenn sich der Leistungsempfänger ununterbrochen im Leistungsbezug befinde. Fraglich sei schon, ob das Erfordernis der Zusicherung hier überhaupt sachgerecht sei, denn diese beziehe sich nur auf die Kosten der neuen Unterkunft. An den Betriebskosten für zurückliegende Zeiträume sei nichts mehr zu ändern, etwaige Nachforderungen würden auch ohne Umzug anfallen. Davon abgesehen seien hier die Voraussetzungen zur Erteilung einer Zusicherung gegeben gewesen, ein plausibler nachvollziehbarer Grund habe für den Umzug bestanden. Hierfür werde Beweis angeboten durch Vernehmung des Bruders des Klägers bzw. von Mitarbeitern des Sozial- und Beschwerdemanagements der Vermieterin als Zeugen.

  Der Kläger beantragt, 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.09.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2021 zu verurteilen, ihm für Oktober 2021 weitere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung i. H. v. 149,68 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Rechtsauffassung, dass die Voraussetzungen des durchgehenden Leistungsbezugs und einer erteilten Zusicherung für einen Anspruch auf Übernahme von Nachforderungen für die frühere Wohnung kumulativ vorliegen müssen. Hier sei keine Zusicherung erteilt worden, da die Erforderlichkeit des Umzugs nicht nachgewiesen worden sei. Die Störungen im Wohnumfeld und das Bemühen um Abhilfe seien nicht substantiiert nachgewiesen. Auch die seelischen und körperlichen Belastungen seien lediglich behauptet worden. Letztlich sei die Beklagte auch vor vollendete Tatsachen gestellt worden und habe keine Möglichkeit gehabt, die Wohnsituation vor dem Umzug zu prüfen.

Die Kammer hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2022 persönlich angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Leistungsakte der Beklagten, welche dem Gericht bei der Verhandlung und Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG) statthafte Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 02.09.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung weiterer Leistungen für KdU in 10/2021 in Höhe von 149,68 Euro. Rechtsgrundlage dafür sind § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X und § 19 S. 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 S. 1 und § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II.

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – hier der Änderungsbewilligungsbescheid vom 23.02.2021 – mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, ist der Verwaltungsakt gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.

Eine solche wesentliche Änderung zugunsten des Klägers ist hier im Monat Oktober 2021 eingetreten, weil in diesem Monat die Betriebskostennachforderung für das Jahr 2020 fällig geworden ist. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger die Wohnung B im Monat der Fälligkeit nicht mehr bewohnt hat.

Unstreitig erfüllte der Kläger die Voraussetzungen des § 19 S. 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Gem. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Hiervon erfasst werden nicht nur Leistungen für laufende, sondern auch für einmalige Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Soweit einzelne Nebenkosten in einer Summe fällig werden, sind sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen (vgl. BSG, Urt. v. 15.04.2008 - B 14/7b AS 58/07 R, Rn. 36). Nachforderungen, die nach regelmäßiger Übernahme der Nebenkostenvorauszahlungen bzw. -abschlägen der jeweiligen Monate entstehen, gehören dann als einmalig geschuldete Zahlungen grundsätzlich zum tatsächlichen aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat der weiterhin bewohnten Unterkunft eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II (z. B. BSG, Urt. v. 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R, Rn. 13; Urt. v. 20.12.2011 - B 4 AS 9/11 R).

Diese, das laufende Mietverhältnis betreffenden Grundsätze sind nach Auffassung der Kammer auch auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation anzuwenden. Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Betriebskostennachforderung, obwohl es sich dabei um eine Nachforderung für die frühere, aktuell nicht mehr bewohnte Wohnung handelt.

1. Grundsätzlich werden vom Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur die Aufwendungen für die konkrete, tatsächlich genutzte Wohnung umfasst, die den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf deckt. Durch diese existenzsichernden Leistungen soll der persönliche Lebensbereich „Wohnung“ geschützt werden, sodass sich der Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II auf die Sicherung des Grundbedürfnisses Wohnen, also die Unterkunftssicherung bezieht (vgl. BSG, Urt. v. 25.06.2015 - B 14 AS 40/14 R, Rn. 15; BSG, Beschl. v. 09.04.2021 – B 4 AS 374/20 B). Besteht das Mietverhältnis noch, gehören somit etwa auch Nebenkostennachforderungen für Unterkunft und Heizung, die vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit entstanden sind, aber erst nach deren Eintritt fällig werden, zu den übernahmefähigen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (vgl. BSG,  Urt. v. 24.11.2011 - B 14 AS 121/10 R, Rn. 15).

2. Vom BSG sind ausdrücklich bereits zwei Fallgruppen benannt worden, in denen Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt werden und ein Übernahmeanspruch auch für Forderungen für die frühere Wohnung bejaht wird.

a) Eine Übernahme von Kosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung ist danach zum einen auch dann möglich, wenn der Leistungsberechtigte sowohl im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Kosten als auch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung im Leistungsbezug nach dem SGB II stand und die Aufgabe der bisherigen Wohnung in Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit gegenüber dem Leistungsträger erfolgte (vgl. BSG, Urt. v. 20.12.2011 – B 4 AS 9/11 R, Rn. 18).

Hat der Leistungsberechtigte die Wohnung, für die die Betriebskostennachforderung geltend gemacht wird, aufgrund einer Kostensenkungsaufforderung des Leistungsträgers nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II aufgegeben, ist er mit dem Wohnungswechsel lediglich einer gesetzlich auferlegten Obliegenheit nachgekommen. Der Leistungsträger ist in diesem Fall nicht von seiner Verantwortung für die Berücksichtigung unterkunftsbezogener Bedarfe für die frühere Wohnung enthoben; er soll die Folgekosten des von ihm veranlassten Umzugs übernehmen (vgl. BSG, Urt. v. 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R, Rn. 21).

b) Dasselbe ist nach der Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn der Mieter durchgängig im Leistungsbezug stand und eine Zusicherung des Leistungsträgers hinsichtlich des Umzugs vorlag. Es besteht dann eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf, weil sowohl die Entstehung der Nachforderung als auch ihre Fälligkeit einen Zeitraum der ununterbrochenen Hilfebedürftigkeit betrifft, in dem der SGB II-Träger für die unterkunftsbezogenen Bedarfe der Leistungsbezieher einschließlich der Nebenkosten aufzukommen hat (vgl. BSG, Urt. v. 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R, Rn. 15; BSG, Urt. v. 13.07.2017 – B 4 AS 12/16 R, 18).

c) Die vom BSG gebildeten Fallgruppen, die eine Übernahme von Kosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung ermöglichen, sind indes nicht als abschließend anzusehen. Dies verdeutlicht bereits das Wort „jedenfalls“ im Urteil des BSG vom 30.03.2017 - B 14 AS 13/16 R, das weitere Fallkonstellationen zulässt (vgl. LSG NRW, Urt. v. 23.05.2019 – L 7 AS 1440/18, Rn. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.04.2020 – L 19 AS 2352/19, Rn. 30; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26.01.2017 – L 8 AS 272/12, Rn. 45).

Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung der LSG NRW, Berlin-Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in den o. g. Entscheidungen an, wonach bereits der durchgehende Leistungsbezug eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf begründet (a. A. z. B. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 16.06.2020 – L 14 AS 334/16, Rn. 23). Hat sich der Leistungsberechtigte in der Zeit des tatsächlichen Entstehens der Betriebskosten im Leistungsbezug befunden, handelt es sich bei der Nachforderung um einen unterkunftsbezogenen Bedarf, dessen Deckung noch ausstand. Es erscheint nicht gerechtfertigt, denjenigen Leistungsberechtigten, der laufend die vom Grundsicherungsträger zur Verfügung gestellten Mittel an seinen Vermieter weiterleitet, mit im Bedarfszeitraum entstandenen KdU zurückzulassen (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26.01.2017 – L 8 AS 272/12, Rn. 44).

Der Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt eine solche Auslegung ohne weiteres zu, da er die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht an weitere, spezielle Voraussetzungen knüpft, insbesondere den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht ausdrücklich auf die aktuell bewohnte Wohnung beschränkt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rn. 26).

Auch Sinn und Zweck sprechen für die Auslegung, dass der Übernahmeanspruch gegen den Leistungsträger wegen einer Nebenkostennachforderung nicht durch einen Umzug verhindert wird.

Ein Wegfall der Erstattung einer Nebenkostenforderung allein durch Umzug käme einem faktischen, erheblichen Umzugshindernis gleich. Wenn Leistungsempfänger allein durch einen Umzug trotz durchgehender Hilfebedürftigkeit ihren Anspruch auf Erstattung der (schon aufgelaufenen) Betriebskosten verlieren würden, stünden sie vor der Alternative, entweder nicht umzuziehen oder nur wegen nicht auskömmlich festgesetzter Nebenkostenvorauszahlungen - deren Abschlagshöhe sie regelmäßig gar nicht beeinflussen können - mit Schulden belastet zu werden, obwohl sie durchgängig lediglich existenzsichernde Leistungen beziehen und für einen solchen Fall praktisch nicht vorsorgen können. Zudem könnten Folgeprobleme für die aktuelle Wohnsituation drohen, sei es, dass die neue Wohnung beim Vermieter der früheren Wohnung gemietet ist, oder sei es, dass für die Heizenergieversorgung derselbe Energielieferant zuständig ist, und deshalb Zahlungsschwierigkeiten aus dem früheren Miet- oder Versorgungsverhältnis auf die gegenwärtigen Rechtsbeziehungen durchschlagen (vgl. insoweit auch: BSG, Urt. v. 30.03.2017 - B 14 AS 13/16 R, Rn. 15 ; LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O., Rn. 29).

Für diese auch vom BSG herangezogene Argumentation kann es aber nach Auffassung der Kammer keinen Unterschied machen, ob dem Umzug eine Kostensenkungsaufforderung zugrunde lag bzw. eine Zusicherung zum Umzug erteilt wurde, oder nicht. Die beschriebenen Folgen drohen dem Leistungsempfänger vielmehr unabhängig vom Vorliegen einer Kostensenkungsaufforderung bzw. Zusicherung (vgl. SG Detmold, Urt. v. 30.11.2017, - S 23 AS 1759/16, Rn. 27; LSG NRW, a. a. O., Rn. 35).

Dies gilt ebenso für das Argument, dass der Leistungsträger Rückzahlungen der Betriebskosten nach § 22 Abs. 3 SGB II umgekehrt auch dann leistungsmindernd zu berücksichtigen hat, wenn sie aus einer früheren Wohnung stammen, und zwar unabhängig von der Frage der Berechtigung eines vorangegangenen Umzugs. Wenn ein Guthaben aus einem früheren Wohnverhältnis auf das neue Mietverhältnis angerechnet wird, spricht dies spiegelbildlich auch für eine Übernahme der Nachzahlung (vgl. LSG NRW, a. a. O. Rn. 35).

Insgesamt lässt sich bereits daran zweifeln, ob die vom BSG bisher bestätigten Konstellationen für einen Übernahmeanspruch tatsächlich sachgerechte Kriterien aufweisen. Im Falle einer vorausgegangenen Kostensenkungsaufforderung bezieht sich die Nebenkostennachforderung letztlich auf unangemessene Unterkunftskosten und eine Erstattung wäre auch bei einem Verbleiben des Betroffenen in der Wohnung ggf. nicht in Betracht gekommen. Eine „Zusicherung hinsichtlich des Umzugs“ wiederum kann sich nur auf die Kosten der künftigen Wohnung beziehen und nimmt die Kosten der bisherigen Wohnung gerade nicht in den Blick (vgl. LSG NRW, a. a. O., Rn. 33).

Die Konsequenzen aus einem nicht genehmigten Umzug betreffen lediglich die zukunftsbezogenen Kostensteigerungen, die der Leistungsberechtigte durch sein Verhalten verursacht hat. Ein Leistungsempfänger darf eine unangemessene Wohnung beziehen, wenn er die Differenz zwischen angemessener Mietobergrenze und tatsächlicher Miete aus dem Freibetrag oder der Regelleistung finanziert. Eine Sanktionierung dieses zulässigen Verhaltens dadurch, dass angemessene Nebenkosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung nicht erstattet werden, ist nicht angezeigt. Denn diese Kosten sind nicht durch den Umzug veranlasst. Vielmehr wären diese Kosten auch bei einem Verbleib in der früheren Wohnung entstanden (vgl. LSG NRW, a. a. O., Rn. 34).

Die Erteilung einer Zusicherung verschafft den Leistungsberechtigten zwar Gewissheit über die Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft, begründet aber selbst keinen Übernahmeanspruch für nach dem Umzug fällig werdende Forderungen für die frühere Wohnung (vgl. BSG, Urt. v. 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R, Rn. 22). Die Zusicherung soll den Leistungsbezieher vor zukünftigen Kosten schützen, nicht jedoch Kosten für den Leistungsträger ersparen, die bei einem Verbleib in der Wohnung zu übernehmen wären (vgl. LSG NRW, a. a. O., Rn. 35).

d) Die Kammer sieht daher auch hier einen Übernahmeanspruch des Klägers bezüglich der Nebenkostennachforderung für die frühere Wohnung als gegeben an. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer Zusicherung gemäß § 22 Abs. 4 SGB II kommt es dabei nicht an, so dass weitere Ermittlungen oder Beweiserhebungen hierzu entbehrlich sind.

Der Kläger stand im gesamten Abrechnungsjahr 2020 im Leistungsbezug und sodann auch durchgehend weiter bis zum Fälligkeitsmonat 10/2021. Die Kosten für die alte wie auch die neue Wohnung bewegen sich im Rahmen dessen, was nach der KdU-Richtlinie der Beklagten als angemessen für einen Ein-Personen-Haushalt angenommen wird. Die tatsächlichen Kosten wurden in 2020 vollständig als Bedarf berücksichtigt.

Für die aktuell bewohnte Wohnung wurden die Kosten ab 4/2021 nur deshalb nicht in voller Höhe als Bedarf eingestellt, da gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II von einer Begrenzung des KdU-Bedarfs auf die Aufwendungen der bisherigen Wohnung ausgegangen wird. Der Kläger hat sich in Kenntnis dieser Begrenzung zu einem Umzug entschlossen und übernimmt die Differenz bewusst aus den Leistungen für den Regelbedarf selbst. Dies steht ihm selbstverständlich frei, denn das Vorliegen eine Zusicherung gemäß § 22 Abs. 4 SGB II ist keine Voraussetzung für die weitere Leistungsgewährung für Unterkunft und Heizung. Das Zusicherungsverfahren hat vielmehr Aufklärungs- und Warnfunktion (vgl. Piepenstock in jurisPK, SGB II, § 22 Rn. 211).

Bei der Zusicherung handelt es sich um einen Verwaltungsakt i. S. d. § 34 SGB X. Gegenstand der Zusicherung ist die Übernahme der Unterkunftskosten für eine konkrete Unterkunft in konkreter Höhe. Insoweit ist hier klarzustellen, dass jedenfalls in einer möglichen telefonischen Auskunft des Leistungsbetreuers gegenüber dem Kläger vom 23.10.2020 eine rechtsverbindliche Zusicherung nicht gesehen werden kann. Weder ist dem Schriftformerfordernis gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X entsprochen, noch wurde – mangels konkreter Wohnung – eine konkrete Kostenübernahme zugesagt. Vielmehr hat der Leistungsbetreuer hier offenbar die allgemeine Rechtslage dargelegt, wonach ein Umzug natürlich stets möglich, allenfalls eine Begrenzung auf die bisherigen Kosten zu erwarten ist. Dies hat der Kläger richtig im Sinne einer „Zusage“ bzw. „Zustimmung“ zu einem Umzug verstanden, denn der Leistungsträger kann dem Leistungsberechtigten letztlich einen Umzug nicht verwehren. Davon zu unterscheiden ist aber die „Zusicherung der Aufwendungen der neuen Unterkunft“, die vorliegend mit Bescheid vom 21.01.2021 gerade explizit abgelehnt wurde. Der Kläger hat gegen diesen Bescheid keinen Rechtsbehelf eingelegt.

Insofern greifen gerade die vom BSG angeführten Argumente, um auch vorliegend eine existenzsicherungsrechtliche Verknüpfung zwischen Nachforderung und aktuellem Bedarf zu begründen. Die bewusste und zulässige Entscheidung des Klägers, in die neue Wohnung umzuziehen, obwohl nicht die gesamten Kosten als KdU-Bedarf anerkannt werden, darf nicht insoweit sanktioniert werden, dass die angemessenen Nebenkosten für die frühere Wohnung nicht erstattet werden. Darüber hinaus ist die Vermieterin der neuen Wohnung hier auch dieselbe wie die der vorherigen Wohnung. Insofern sind tatsächlich Folgeprobleme für die aktuelle Wohnsituation nicht auszuschließen, wenn offene Forderungen noch aus dem früheren Mietverhältnis bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang der Hauptsache.

Die Berufung ist nicht kraft Gesetzes zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG). Die Kammer hat die Berufung aber gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Frage einer Übernahmeverpflichtung von Nachforderungen von Betriebskosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung in Fällen ohne Vorliegen einer Kostensenkungsaufforderung bzw. Zusicherung wird in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte unterschiedlich beurteilt, so dass von einer grundsätzlichen Bedeutung auszugehen ist.

Rechtskraft
Aus
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