L 21 AS 178/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 69 AS 3667/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 178/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 12.1.2022 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Antragstellers sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt M aus E beigeordnet.

 

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem SGB II.

 

Der am 00.00.1976 geborene Antragsteller ist rumänischer Staatsangehöriger. Seine Familie lebt in Rumänien.

 

Der Antragsteller lebte ausweislich einer Auskunft der Stadt O bis zum 13.9.2016 in C, verzog dann nach Rumänien und lebte sodann vom 20.11.2017 bis zum 22.6.2018 in O. Von dort sei er nach E in die N-Straße verzogen. Nach einer Auskunft der Stadt E zog der Antragsteller erst am 19.2.2019 in die N-Straße in E. Seitdem sei er unter verschiedenen Anschriften in E gemeldet.

 

Zum 9.4.2019 meldete der Antragsteller in E ein Gewerbe als Estrichleger an. Zum 22.3.2021 meldete er das Gewerbe wieder ab und stellte am 18.5.2021 beim Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Er sei im April 2019 nach Deutschland eingereist und habe eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, von der er habe leben können. Nach Abmeldung des Gewerbes habe er seinen Lebensunterhalt durch Privatdarlehen von Freunden sichergestellt. Er habe weder Einkommen noch Vermögen und verfüge über kein Konto. Am 2.7.2021 stellte er einen Insolvenzantrag. Der Antragsgegner forderte vom Antragsteller wiederholt die Vorlage verschiedener Unterlagen, u.a. zur zwischenzeitlichen Selbständigkeit.

 

Am 4.11.2021 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Dortmund einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er habe in den letzten sechs Monaten seiner selbständigen Tätigkeit keinen Gewinn erzielt und diese daher beenden müssen. Er habe keine Aufträge mehr erhalten. Er könne keine Unterlagen zu seiner früheren selbständigen Tätigkeit vorlegen. Er habe ca. 40.000 € Schulden. Erst im Dezember 2021 habe er ein Konto eröffnet. Der Antragsteller hat eine eidesstattliche Versicherung und eine Erklärung eines Herrn S über rückzahlbare Unterstützungszahlungen für Juni-September 2021 vorgelegt.

 

Der Antragsgegner hat vorgetragen, der Antragsteller habe einen Termin zur persönlichen Vorsprache am 6.10.2021 nicht wahrgenommen. Es sei unklar, ob der Antragsteller wirklich selbständig tätig gewesen sei und ggf. in welchem Umfang. Soweit in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU an eine einjährige selbständige Tätigkeit angeknüpft werde, reiche die bloße Anmeldung eines Gewerbes nicht aus. Es müsse sich um eine tatsächliche Tätigkeit von wirtschaftlicher Bedeutung handeln. Soweit in dieser Norm außerdem eine unfreiwillige Einstellung der Tätigkeit vorausgesetzt werde, sei eine entsprechende Bescheinigung der Agentur für Arbeit erforderlich. Der Antragsgegner hat eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit E vom 15.12.2021 vorgelegt. Darin heißt es, der Antragsteller habe auf eine Aufforderung der Agentur für Arbeit zur Vorlage von Unterlagen nicht reagiert, weswegen davon ausgegangen werde, dass die Beendigung seiner selbständigen Tätigkeit selbst verschuldet sei.

 

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 12.1.2022 zur vorläufigen Gewährung von SGB II Leistungen für den Zeitraum vom 4.1.2021 bis 31.3.2022 verpflichtet und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Antragsteller erfülle die persönlichen Voraussetzungen von Leistungen nach dem SGB II. Er verfüge weder über Einkommen noch Vermögen. Er erfülle nach seinem Vortrag bzw. nach den Daten von Gewerbean- und -abmeldung auch die Voraussetzungen eines nachwirkenden Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Weitergehende Ermittlungen seien insofern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dies gelte ebenso für die Frage, ob der Antragsgegner an die Bescheinigung der Agentur für Arbeit gebunden sei. Da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen seien, sei eine Folgenabwägung vorzunehmen, die wegen des existenzsichernden Charakters der im Streit stehenden Grundsicherungsleistungen zugunsten des Antragstellers ausfalle.

 

Der Antragsgegner hat gegen den ihm am 13.1.2022 zugestellten Beschluss am 07.2.2022 Beschwerde eingelegt.

 

Er trägt vor, der Antragsteller habe weder einen Arbeitnehmerstatus noch halte er sich bereits seit fünf Jahren in Deutschland auf. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU seien nicht erfüllt, die Bescheinigung der Agentur für Arbeit sei bindend. Auch die Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren Unterlagen über seine selbständige Tätigkeit vorgelegt habe, zeigten diese erhebliche Einnahmen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum das Gewerbe eingestellt worden sei. Der Leistungsantrag sei mit Bescheid vom 8.2.2022 abgelehnt worden und bestandskräftig geworden. Der Antragsgegner hat außerdem einen Ausdruck aus dem Meldeportal NRW vorgelegt.

 

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 12.1.2022 zu ändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen,

 

sowie wörtlich: „hilfsweise die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus dem Beschluss vom 12.1.2022 auszusetzen“.

 

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Der Antragsteller trägt vor, er wohne bereits seit 2013 an wechselnden Orten in Deutschland und sei schon früher selbständig gewesen. Er sei seit 2017 in E gemeldet und 2018 nicht aus Deutschland ausgereist. Ein Bescheid vom 8.2.2022 liege ihm nicht vor. Vorsorglich werde gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt. Der Antragsteller hat Rechnungen an Dritte und Rechnungen über Einkäufe aus 2019 und 2020 vorgelegt. Weitere Unterlagen aus der Zeit der Selbständigkeit könnten nicht vorgelegt werden, da Konten aufgelöst worden seien und es an Geld fehle, um Unterlagen vom Steuerberater zu erhalten.

 

Der Senat hat Auskünfte der Einwohnermeldeämter O und E, auszugsweise Akten des Insolvenzverfahrens Amtsgericht Dortmund 254 IK 94/21 und schriftliche Auskünfte der aus den vom Antragsteller vorgelegten Rechnungen hervorgehenden Auftraggeber eingeholt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen. 

 

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zwar zulässig, aber unbegründet.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

 

Die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches sind nicht erfüllt.

 

Das Fehlen eines Anordnungsanspruches ergibt sich allerdings nicht schon aus einer bestandskräftigen Leistungsablehnung, wobei dahinstehen kann, ob dieser Aspekt bereits im Rahmen der Zulässigkeit des Eilantrags zu prüfen ist (so Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2020, § 86b Rn. 7; a.A. Burkiczak, in: jurisPK-SGG, § 86b (Stand: 8.8.2022) Rn. 138). Der Antragsteller hat den Erhalt des ablehnenden Bescheides vom 8.2.2022 bestritten und vorsorglich Widerspruch eingelegt. Gleichzeitig hat der Antragsgegner keinen Nachweis über eine Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides erbracht. Damit kann dahinstehen, ob das Vorbringen des Antragstellers im weiteren Verfahren auch bei Bestandskraft der Leistungsablehnung jedenfalls für die Zeit danach als erneuter Leistungsantrag zu werten wäre. 

 

Der Senat kann offen lassen, ob der Antragsteller die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Denn es greift der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der seit dem 1.1.2021 gültigen Fassung. Danach sind von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (u.a.) Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. 

 

Der Antragsteller ist in der Zeit ab Stellung des Eilantrags weder Arbeitnehmer noch Selbständiger, so dass ihm kein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU zusteht. Als nicht erwerbstätiger Unionsbürger kann er sich auch nicht auf § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU berufen, da ihm die ausreichenden Existenzmittel i.S.v. § 4 Satz 1 FreizügG/EU fehlen.

 

Der Antragsteller hat zudem kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU. Dieses setzt nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU voraus, dass der Betreffende sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gefordert ist ein ununterbrochener Aufenthalt von fünf Jahren (Oberhäuser, in: Hofmann, AuslR, 2016, § 4a Rn. 2; vgl. auch BSG vom 13.7.2017 – B 4 AS 17/16 R, Rn.  25 f.; BSG vom 29.3.2022 – B 4 AS 2/21 R, Rn. 25). Zwar wird ein solcher ständiger Aufenthalt gemäß § 4a Abs. 6 Nr. 1 FreizügG/EU nicht berührt von Abwesenheiten bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, wobei die sechs Monate immer nur auf das Kalenderjahr zu beziehen sein sollen (Tewocht, in: BeckOK-Ausländerrecht, § 4a (Stand: 1.10.2021) Rn. 39; Dienelt, in: Bergmann u.a., Ausländerrecht, 2020, § 4a Rn. 90). Hier ergeben sich aber aus den vorliegenden Meldeauskünften in den letzten fünf Jahren zwei mehr als sechsmonatige Abwesenheitszeiten: zum einen vom 13.09.2016 bis zum 20.11.2017 und zum anderen vom 22.06.2018 bis zum 19.02.2019. Im Hinblick auf den zweiten Zeitraum behauptet der Antragsteller zwar, seit 2017 durchgehend in Deutschland gelebt zu haben. Die Stadt O gibt in ihrer Auskunft vom 03.06.2022 zwar an, der Kläger habe sich nach seinem dortigen Aufenthalt bis Mitte 2018 nach E abgemeldet. Sowohl aus dem Auszug aus dem Meldeportal NRW als auch aus der Auskunft der Stadt E vom 13.07.2022 ergibt sich jedoch für den Zeitraum vom 22.06.2018 bis zum 19.02.2019 ein Aufenthalt im Ausland. Der Behauptung des Antragstellers steht zudem sein eigener Vortrag in seinem Schreiben vom 2.7.2021 an den Antragsgegner entgegen, in dem er ausdrücklich eine Einreise im April 2019 angibt. Ausnahmen vom 5-Jahres-Erfordernis nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU liegen ersichtlich nicht vor.

 

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht im Anschluss an seine selbständige Tätigkeit nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU berufen. Nach dessen Satz 1 Nr. 2 bleibt das aus der Selbständigkeit resultierende Aufenthaltsrecht unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit. Im Hinblick auf das Erfordernis einer Bestätigung der Agentur für Arbeit, die nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich erforderlich ist (BSG vom 13.7.2017 – B 4 AS 17/16 R, Rn. 34; nach BSG vom 9.3.2022 - B 7/14 AS 79/20 R, Rn. 27 ff. (30 f.) gilt dies allerdings nicht bei vorherigem Bezug von Alg nach dem SGB III), ist umstritten, ob dieses Erfordernis nur für Arbeitnehmer gilt (so Dienelt, a.a.O., § 2 Rn. 121; a.A. Tewocht, a.a.O., § 2 (Stand: 1.10.2021) Rn. 51; Brinkmann, in: Huber u.a., AufenthG/AsylG, 2021, § 2 FreizügG/EU Rn. 50). Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die selbständige Tätigkeit des Antragstellers – wie von diesem behauptet – länger als ein Jahr gedauert hat (zur Berechnung dieses Zeitraumes BSG vom 29.3.2022 – B 4 AS 2/21 R, Rn. 29 f.). Die entsprechenden Gewerbean- und –abmeldungen sind insofern nicht ausreichend (BSG vom 18.5.2022 – B 7/14 AS 27/21 R, Rn. 20; Leopold, in: jurisPK-SGB II, § 7 (Stand: 29.11.2021) Rn. 103 m.w.N.; zum Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit auch BSG vom 12.5.2021 – B 4 AS 34/20 R, Rn. 18). Die vom Antragsteller vorgelegten Rechnungen und die Angaben der vom Senat befragten Geschäftspartner ergeben eine Tätigkeit im Baubereich nur im Zeitraum Juli 2019 bis März 2020. Außerdem liegen noch Rechnungen über Einkäufe von Baumaterialien bis in den April 2020 hinein vor. Trotz wiederholter Aufforderung hat der Antragsteller eine darüber hinausgehende selbständige Tätigkeit nicht durch Vorlage geeigneter Unterlagen oder Angaben von Zeugen glaubhaft gemacht. Die Unterlagen des Insolvenzgerichts sind insofern unergiebig.

 

Ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht ergibt sich schließlich nicht aus § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU. Danach bleibt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Unabhängig von der Frage der Übertragbarkeit auf Selbständige und unabhängig von der Frage der Notwendigkeit einer entsprechenden Feststellung durch die Agentur für Arbeit ist dieses nachwirkende Aufenthaltsrecht auf sechs Monate beschränkt. Es wäre damit im hier relevanten Zeitraum ab Stellung des Eilantrags (vgl. LSG NRW vom 10.12.2018 – L 21 AS 959/18 B ER, Rn. 4, juris; Keller, a.a.O., Rn. 35a) am 4.11.2021 selbst dann nicht mehr von Belang, wenn als Beendigungszeitpunkt der selbständigen Tätigkeit das Datum der Gewerbeabmeldung am 22.3.2021 zugrunde gelegt würde.

 

Der Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II steht nicht die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II entgegen. Danach erhalten Ausländer abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Für diese in Anlehnung an § 4a FreizügG/EU normierte Frist, für deren Erfüllung der Antragsteller die Beweislast trägt, sind unwesentliche Unterbrechungen unschädlich, während bei wesentlichen Unterbrechungen die Frist von neuem zu laufen beginnt (Becker, in: Eicher u.a., SGB II, 2021, § 7 Rn. 52 ff.; BSG vom 12.5.2021– B 4 AS 34/20 R, Rn. 26; BSG vom 29.3.2022 – B 4 AS 2/21 R, Rn. 26). Als Fall einer unwesentlichen Unterbrechung nennt die Gesetzesbegründung einen kurzen Heimatbesuch (BT-Drs. 18/10211, S. 14). Hier ergeben sich wie bereits ausgeführt in den letzten fünf Jahren zwei mehrmonatige Abwesenheitszeiten, die nicht mit kurzen Heimatbesuchen vergleichbar und daher nicht unwesentlich sind. 

 

Ein gemäß § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU ebenfalls zu berücksichtigendes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG ist nicht ersichtlich.

 

Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII in der seit dem 1.1.2021 gültigen Fassung sind nach dem § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entsprechenden § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen. Rumänien ist auch kein Vertragsstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens, so dass sich die Frage einer Inländergleichbehandlung speziell im Hinblick auf § 23 Abs. 1 SGB XII (hierzu Leopold, a.a.O., Rn. 126; BSG vom 29.3.2022 – B 4 AS 2/21 R, Rn. 48; BSG vom 18.5.2022 – B 7/14 AS 27/21 R, Rn. 32) nicht stellt.

 

Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 ff. SGB XII sind nicht Gegenstand des Verfahrens um Leistungen nach dem SGB II (LSG NRW vom 10.12.2018 – L 21 AS 959/18 B ER, Rn. 19, juris; LSG NRW vom 15.12.2021 - L 12 AS 1561/21 B ER, Rn. 54, juris, m.w.N.; LSG NRW vom 19.11.2020 – L 19 AS 1204/20, Rn. 61, juris, m.w.N.).

 

Dies gilt auch für Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII (offen gelassen von LSG NRW vom 22.8.2022 – L 6 AS 331/22, zur Veröffentlichung in juris vorgesehen). Zwar können diese Leistungen für mehr als einen Monat gewährt werden (§ 23 Abs. 3 Satz 6, HS 2). Auch Härtefallleistungen sind aber Überbrückungsleistungen (Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 (Stand: Juli 2021) Rn. 88). Einen dauerhaften Leistungsbezug wollte der Gesetzgeber gerade nicht ermöglichen (Schlette, a.a.O., Rn. 88e). So heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/10211, S. 16 f.): „Hierbei handelt es sich um eine Regelung, die lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände eingreift, um im Einzelfall für einen begrenzten Zeitraum unzumutbare Härten zu vermeiden, nicht um eine Regelung, mit der ein dauerhafter Leistungsbezug ermöglicht wird.“ Die in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII vorausgesetzte „besondere Härte“ (hierzu Schlette, a.aO., Rn. 88a) ist im Übrigen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

 

Es bestand daher kein Anlass zu einer Beiladung des Sozialhilfeträgers (§ 75 SGG). Überbrückungsleistungen einschließlich Härtefallleistungen stimmen jedenfalls hinsichtlich der Rechtsfolgen nicht im Kern mit den hier geltend gemachten Dauerleistungen nach dem SGB II überein (zum Maßstab BSG vom 18.5.2022 – B 7/14 AS 27/21 R, Rn. 28).

 

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit oder der Europarechtskonformität der zugrunde liegenden Normen hat der Senat nicht (vgl. BSG vom 29.3.2022 – B 4 AS 2/21 R, Rn. 34 ff., 45 f.).

 

Der vom Antragsgegner nur hilfsweise gestellte Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG hat sich mit Stattgabe der Beschwerde erledigt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung des Bevollmächtigten beruhen auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 2 ZPO.


Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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