L 10 KR 245/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 23 KR 1875/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 245/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.03.2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 12.05.2021 bis 21.07.2021.

Der bei der Beklagten freiwillig krankenversicherte Kläger ist seit dem 31.03.2021 arbeitsunfähig erkrankt. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 31.03.2021 bis 23.04.2021 gingen am 13.04.2021 bei der Beklagten ein. Bis zum 11.05.2021 erhielt der Kläger Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber.

Am 26.07.2021 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, er sei seit Ostern durchgehend arbeitsunfähig. Das Einreichen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei ihm aufgrund von Bettlägerigkeit und zuletzt Hochwasser durchgegangen. Er werde die entsprechenden Unterlagen einreichen.

Am 28.07.2021 übersandte der Kläger der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, in denen ua die Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 11.05.2021 bis 21.07.2021 lückenlos attestiert wurde. Im Folgenden übersandte der Kläger zwei weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 22.07.2021 bis 24.07.2021 und 27.07.2021 bis 05.08.2021.

Mit Bescheid vom 29.07.2021 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 12.05.2021 bis 21.07.2021 ab, da die Arbeitsunfähigkeit erst am 26.07.2021 telefonisch bei ihr gemeldet worden sei. Der Anspruch auf Krankengeld ruhe, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit gemeldet werde. Die Arbeitsfähigkeit sei zuletzt am 09.07.2021 ärztlich festgestellt und erst am 26.07.2021, also nach mehr als sieben Tagen, telefonisch gemeldet worden. Krankengeld könne deshalb für den genannten Zeitraum nicht gezahlt werden.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 11.08.2021 bewilligte die Beklagte dem Kläger Krankengeld ab dem 22.07.2021 in Höhe von 112,88 € brutto/99,31 € netto täglich.

Gegen den Bescheid vom 29.07.2021 legte der Kläger am 30.08.2021 Widerspruch ein. Gemäß § 295 Abs 1 S 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 295 Abs 1 S 10 SGB V seien die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen seit dem 01.01.2021 verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkassen zu übermitteln. Die Obliegenheit zur Meldung der (fortbestehenden) Arbeitsunfähigkeit werde damit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen. Das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld gelte gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 2. HS 2. Alt SGB V nicht, wenn die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 S 10 SGB V erfolge. Sofern die Übermittlung nicht stattgefunden haben sollte oder eine Verspätung eingetreten sei, liege dies außerhalb seines Einflussbereichs, so dass sich für ihn keine Rechtsfolgen aufgrund der verspäteten Übermittlung ergeben könnten.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die behandelnde Arztpraxis mit, dass eine Teilnahme am eAU (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung-Verfahren) erst ab ca November/Dezember 2021 erfolgt sei. Man habe dem Kläger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Weiterleitung an die Krankenkasse ausgehändigt.

Mit Bescheid vom 02.11.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bezüglich der Einführung der eAU hätten die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie der Spitzenverbandbund der Krankenkassen eine Übergangsfrist vom 01.10.2021 bis 31.12.2021 vereinbart. Insofern sei die Umsetzung und Anwendung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vom 06.05.2019 (BGBl I S 646) für den im vorliegenden Verfahren streitigen Zeitraum nicht erfolgt. Der Beklagten sei durch die behandelnde Praxis schriftlich bestätigt worden, dass diese erst ab ca November 2021 am eAU-Verfahren teilnehmen werde und dem Kläger die Exemplare der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Vorlage bei der Krankenkasse zwecks Weiterleitung ausgehändigt worden seien. Es gebe keine Hinweise darauf, dass dieser gehindert gewesen sein könnte, alles in seinem Verantwortungsbereich Mögliche zu unternehmen, um eine rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen. Anhaltspunkte dafür, dass er wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit hieran gehindert war, bestünden nicht.

Am 17.11.2021 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Köln (SG) erhoben, zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht im elektronischen Verfahren erfolge. Hierauf hätten ihn die behandelnden Ärzte nicht hingewiesen. Eine Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband könne für ihn keine Wirkung haben. Er habe – gemäß und aufgrund der geltenden Rechtslage – davon ausgehen können, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unmittelbar durch den Arzt an die Beklagte übermittelt werden würden. Dass das Verfahren der eAU noch nicht umgesetzt worden sei, liege nicht in seinem Einflussbereich. Daraus dürften ihm keine Nachteile entstehen. Eine entsprechende Entscheidung habe zwischenzeitlich das Sozialgericht Dresden mit Urteil vom 19.01.2022 (Az: S 45 KR 575/21) getroffen.

Das SG hat Befundberichte der Hausärztin Dr. A vom 11.01.2022 sowie des Urologen N vom 16.01.2022 eingeholt, die jeweils bestätigt haben, dem Kläger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Weiterleitung an die Krankenkasse ausgehändigt  zu haben. Die Frage, ob der Kläger im Zeitraum von März 2021 bis August 2021 darauf hingewiesen worden ist, dass eine Meldung der Arbeitsunfähigkeit über das eAU-Verfahren nicht erfolgt, hat Dr. A ausdrücklich verneint. Herr N konnte anhand seiner persönlichen Erinnerung und der Praxissoftware nicht bestätigen, dass ein entsprechender Hinweis erfolgt ist.

Mit Urteil vom 08.03.2022 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 12.05.2021 bis 21.07.2021 verurteilt. Die Regelung des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V stehe dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. Diese Vorschrift sei auch dann anzuwenden, wenn der Versicherte wegen derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig werde und diese erneute Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig melde. Nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Rechtslage habe es sich bei der Meldung der Arbeitsunfähigkeit um eine Obliegenheit des Versicherten gehandelt. Diesen treffe aber seit dem 01.01.2021 keine Meldeobliegenheit mehr. Denn mit der Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren habe der Gesetzgeber ab dem 01.01.2021 für die Risikosphären bei der Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten eine Änderung für die Zukunft vorgenommen. Aus dem Wortlaut des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V und der Systematik mit § 295 Abs 1 SGB V folge, dass dem Kläger für den streitigen Zeitraum gegenüber der Beklagten keine Meldeobliegenheit für seine Arbeitsunfähigkeit getroffen habe. Zwar führe die fehlende Meldung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Krankenkasse grundsätzlich nach wie vor zum Ruhen des Krankengeldanspruchs. Zum Ruhen komme es nach dem Wortlaut des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V indes nicht, wenn der Ausnahmefall vorliege, dass die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 SGB V erfolge. § 295 Abs 1 SGB V sei mit Wirkung zum 01.01.2021 so gefasst, dass die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte – wie die Ärzte des Klägers – verpflichtet seien, die festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten unmittelbar elektronisch an die Krankenkassen zu übermitteln. Die fehlende Meldung der Arbeitsunfähigkeit bewirke kein Ruhen, wenn die Übermittlung im elektronischen Verfahren erfolgen müsse. Darauf, ob die Meldung technisch erfolgen könne, komme es nicht an. Maßgeblich sei allein, ob der Arzt gesetzlich zur elektronischen Übermittlung verpflichtet gewesen sei. Die behandelnde Ärztin habe an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen und sei damit gemäß § 195 Abs 1 SGB V zur Übermittlung im elektronischen Verfahren verpflichtet gewesen. Aus der Verweisung in § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V ergebe sich, dass im Anwendungsbereich von § 295 Abs 1 SGB V mit der Geltung der Pflicht, die festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten zu übermitteln, der Ruhenstatbestand des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V nicht mehr eingreifen könne. Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Dieser habe gewollt, dass eine etwaige Verspätung bei der ab dem 01.01.2021 von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten an die Krankenkassen zu übermittelnden Arbeitsunfähigkeitsdaten nicht zu Rechtsfolgen zu Lasten der Versicherten führen solle. Mit Einführung des elektronischen Verfahrens zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten habe die Obliegenheit zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen werden sollen. Soweit sich bei der elektronischen Übermittlung Verzögerungen ergäben, lägen diese nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit nicht mehr im Einflussbereich des Versicherten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es für den Versicherten nicht ersichtlich sei, ob der behandelnde Arzt technisch schon in der Lage sei, die Arbeitsunfähigkeitsdaten elektronisch zu übermitteln. Etwas anderes könne sich lediglich dann ergeben, wenn der Arzt den Versicherten auf das Fehlen der technischen Voraussetzungen hingewiesen habe. Die behandelnde Ärztin habe in ihrem Befundbericht angegeben, dass ein entsprechender Hinweis nicht erfolgt sei. Der Kläger habe daher im Zeitpunkt der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit keine subjektive Kenntnis davon gehabt, dass die entsprechenden Daten nicht durch den Vertragsarzt an die Beklagte übermittelt werden würden. Die ab dem 01.01.2021 geltende Rechtslage besitze zwingenden Charakter. Sie könne nicht durch eine Vereinbarung auf Ebene der Verbände abweichend geregelt werden. Beim Inkrafttreten der Regelung zur Datenübermittlung am 01.01.2021 handele es sich um einen Stichtag. Eine davon abweichende Vereinbarung führe zu einem Wiederaufleben der Meldeobliegenheit und damit zu Rechtsnachteilen für die Versicherten. Diese seien jedoch im Rahmen von Verhandlungen und dem Abschluss eventueller Vereinbarungen durch die Verbände nicht repräsentiert.

Bereits zur Rechtslage vor dem 01.01.2021 sei die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Mitwirkungsobliegenheit in eng begrenzten Ausnahmefällen nicht zu Lasten des Versicherten eingreife, wenn die rechtzeitige Meldung durch Umstände verhindert oder verzögert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht demjenigen des Versicherten zuzurechnen seien sowie auf von der Krankenkasse zu vertretenden Organisationsmängeln beruhten. Ein solcher Ausnahmefall liege vor. Denn die verspätete Einführung des elektronischen Verfahrens liege außerhalb des Verantwortungsbereichs des Versicherten. Die Schaffung entsprechender technischer Voraussetzungen für die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Format habe im Organisationsbereich der Krankenkassen und der an der Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen gelegen.

Gegen das am 16.03.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.04.2022 Berufung eingelegt. Die Rechtsauffassung des SG hinsichtlich des Schutzzweckes des § 49 SGB V werde nicht geteilt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hätten mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender Arbeitsunfähigkeit beim Krankengeld Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden sollen, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten. § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V solle die Krankenkasse ebenso wie die Ausschlussregelung des § 46 S 1 Nr 2 SGB V davon freistellen, die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen, und ihr so die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den Medizinischen Dienst (MD) überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbrauch entgegentreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können. Nach ständiger Rechtsprechung sei die Gewährung von Krankengeld deshalb bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben seien und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung treffe. Das SG messe dieser Schutzwirkung jedoch keine hinreichende Bedeutung zu bzw es werde nicht schlüssig dargelegt, wie dieser Schutzzweck anderweitig erfüllt werden könne. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die rechtzeitige Meldung nicht durch Umstände verhindert oder verzögert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen zuzurechnen seien oder auf von der Krankenkasse zu vertretenden Organisationsmängeln beruhten, da die grundsätzliche Möglichkeit bestanden habe, der Beklagten die Meldung der Arbeitsunfähigkeit im elektronischen Verfahren zu übermitteln. Auch habe der Kläger es durchaus als seine Aufgabe angesehen, die Bescheinigungen fristgerecht zur Verfügung zu stellen, dieses jedoch nach eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren aus verschiedenen Gründen versäumt. Die behandelnden Ärzte hätten dem Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entsprechend zur Weiterleitung an die Krankenkasse ausgehändigt. Der Kläger habe deshalb davon ausgehen müssen, dass die behandelnden Ärzte nicht am eAU-Verfahren teilnahmen und eine Weiterleitung an die Beklagte notwendig gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.03.2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend und wiederholt sein bisheriges Vorbringen. Der von der Beklagten bemühte Schutzzweck des § 49 Abs 5 SGB V aF und die dazu ergangene (höchstrichterliche) Rechtsprechung seien in dieser Form überholt. Zwar möge es zutreffend sein, dass zum Teil „Missbrauch und praktischen Schwierigkeiten“ durch die bisherige Praxis habe vorgebeugt werden können. Dieses Ziel werde jedoch durch materiell ungerechte Entscheidungen in Frage gestellt, so dass ein Bedarf für gesetzliche Änderungen im Krankengeldrecht gesehen und durch die Gesetzgebung umgesetzt worden sei. Entsprechend treffe den Versicherten seit dem 01.01.2021 keine Meldeobliegenheiten mehr. Insofern komme es auch nicht darauf an, ob die rechtzeitige Meldung durch Umstände verhindert oder verzögert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen zuzurechnen sind oder welche Vorstellungen der Kläger sich gemacht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 12.05.2021 bis 21.07.2021.

Der bei der Beklagten freiwillig versicherte Kläger war in diesem Zeitraum unstreitig arbeitsunfähig erkrankt und hatte dem Grunde nach einen Anspruch auf Krankengeld gemäß § 44 SGB V. Gründe für eine Versicherung ohne Krankengeldberechtigung nach § 44 Abs  2 SGB V sind nicht ersichtlich. Der Anspruch ist nach § 46 S 1 Nr 2 SGB V durch die ab dem 31.03.2021 seitens der behandelnden Ärzte festgestellte Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers nach § 3 Abs 1 S 1 Entgeltfortzahlungsgesetz ab dem 12.05.2021 entstanden und hat wegen der lückenlosen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw dem zwischenzeitlichen stationären Aufenthalt vom 20.04.2021 bis 23.04.2021 gemäß § 46 S 2 SGB V auch mindestens bis zum 21.07.2021 fortbestanden. Die gesetzliche Höhe des Krankengeldes wurde mit Bescheid vom 11.08.2021 bestandskräftig festgesetzt, weil der Kläger insoweit keinen Widerspruch eingelegt hat.

Dem geltend gemachten Anspruch steht vorliegend auch nicht die Regelung in § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V entgegen. Nach dieser Vorschrift, hier anzuwenden in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung des Art 2 Nr 1 des TSVG, ruht der Krankengeldanspruch, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren nach § 295 Abs 1 S 10 SGB V (ursprünglich „Satz 7“, korrigiert durch Art 1 Nr 4a des Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierung-Gesetzes (DVPMG) vom 03.06.2021 (BGBl I Seite 1309), in Kraft seit dem 09.06.2021, wegen eines Redaktionsversehens; vgl BT-Drucks 19/29384, Seite 176) erfolgt. § 295 Abs 1 SGB X konkretisiert die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen an die Krankenkassen nach § 295 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V.

Nach dem Wortlaut des §§ 49 Abs 1 Nr 5 SGB V und unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs mit § 295 Abs 1 SGB V traf den Kläger ab dem 01.01.2021 keine Meldeobliegenheit für seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten (vgl SG Dresden, Urteil vom 19.01.2022 – S 45 KR 575/21 – in juris Rn 18 ff und Urteil vom 28.03.2022 – S 25 KR 651/21 – in juris Rn 21 ff jeweils mwN; Knorr, KrV 2021,9-13, Seite 8; Schifferdecker in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 116. Ergänzungslieferung, September 2021, § 49 SGB V, Rn 36a; Rieke in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Werkstand: 114. EL April 2022, § 49 SGB V, Rn 41; Tischler in Beck OK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, 65. Edition, Stand: 01.03.2022 § 49 SGB V, Rn 24; Müller: Die Obliegenheit des Versicherten zur Meldung seiner Arbeitsunfähigkeit in NZS 11/2020 Seite 416 ff, 417). Nach wie vor führt zwar die fehlende Meldung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Krankenkasse grundsätzlich zum Ruhen des Krankengeldanspruchs. Die Meldeobliegenheit der Versicherten beschränkt sich aber auf solche Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs des § 295 Abs 1 S 1 Nr 1 und S 10 SGB V – also durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte und Einrichtungen – bescheinigt wird. Zum Ruhen kommt es dagegen nach dem Wortlaut nicht, wenn ua die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen im elektronischen Verfahren nach der ab dem 01.01.2021 gesetzlich zwingend vorgesehenen Regelung des § 295 Abs 1 SGB V erfolgt. Durch Art 2 Nr 3 TSVG wurde § 295 Abs 1 SGB V dadurch erweitert, dass ebenfalls mit Wirkung vom 01.01.2021 die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte – wie vorliegend die behandelnden Ärzte des Klägers – verpflichtet sind, auch die festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten aufzuzeichnen und unter Nutzung des sicheren Übermittlungsverfahrens nach § 311 Abs 6 SGB V über die Telematikinfrastruktur unmittelbar elektronisch an die Krankenkassen zu übermitteln.

Bei isolierter Betrachtung und grammatikalischer Auslegung könnte § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V aufgrund der Formulierung der Ausnahmeregelung („… wenn die Übermittlung… erfolgt“) zwar in der Weise verstanden werden, dass es auf die tatsächlich durchgeführte Meldung im elektronischen Verfahren maßgeblich ist.

Soweit § 295 Abs 1 SGB V reicht, ergibt sich aber aus der Verweisung in § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V, dass mit Geltung der Pflicht, auch die festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten zu übermitteln, dieser Ruhenstatbestand nicht mehr eingreifen kann. Für diese Auslegung sprechen zunächst die Motive des Gesetzgebers bei der Änderung der §§ 49 Abs 1 Nr 5 und § 295 Abs 1 SGB V (vgl SG Dresden, Urteil vom 19.01.2022, aaO, Rn 19 ff mwN und Urteil vom 28.03.2022, aaO, Rn 31; aA SG Gelsenkirchen, Urteil vom 25.07.2022 – S 45 KR 511/21). In der Gesetzesbegründung (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 19/6337, Seite 145 aE, Seite 146 drittletzter Absatz und Seite 160 letzter Absatz) wird insofern ausgeführt:

„Mit der Änderung [in § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V] wird klargestellt, dass eine etwaige Verspätung bei der ab dem 01.01.2021 von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen an die Krankenkassen zu übermittelnden Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs 1 S 1 nicht zu Rechtsfolgen zu Lasten der Versicherten führt.

 

Mit der Einführung eines einheitlichen und verbindlichen elektronischen Verfahrens zur Übermittlung der bisher mittels Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform an die Krankenkassen gemeldeten Arbeitsunfähigkeitsdaten wird die Obliegenheit zur Meldung der (fortbestehenden) Arbeitsunfähigkeit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen. Soweit sich bei der elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten Verzögerungen ergeben, liegen sie insoweit nicht mehr im Einflussbereich der Versicherten, so dass sie keine sich aus der verspäteten Übermittlung ergebenden Rechtsfolgen zu tragen haben. [...]

 

Die Regelung [§ 295 SGB V] stellt klar, dass ab dem 01.01.2021 die Pflicht zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten unter Angabe der Diagnosen den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen obliegt. [...]

 

Mit der Änderung des § 295 Absatz 1 Satz 1 SGB V wird ein einheitliches und verbindliches elektronische [s] [Verfahren] zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Krankenkassen eingeführt und klargestellt, dass die Pflicht zur Übermittlung dieser Daten an die Krankenkassen den Ärzten und Einrichtungen obliegt. Für die Einführung dieses Verfahrens benötigen die Beteiligten einen hinreichenden zeitlichen Vorlauf, weshalb diese Regelung erst zum 1.Januar 2021 in Kraft tritt.“

 

Dass sich der Gesetzgeber der weitreichenden Folgen der Änderungen, die auch die Meldeobliegenheiten erfassen, bewusst war, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Geltung dieser Regelung ab der Verkündung im Bundesgesetzblatt noch 20 Monate aufgeschoben wurde. Es wird insofern deutlich, dass der Gesetzgeber schon mit der Verabschiedung des TSVG im Jahr 2019 mit Wirkung zum 1. Januar 2021 einen Systemwechsel vollziehen wollte, bei dem ab diesem Zeitpunkt die Meldeobliegenheiten der Versicherten entfallen und auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen werden sollten. Die Möglichkeit eines weiteren Aufschiebens dieses Systemwechsels über den 01.01.2021 hinaus hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden auch nicht für den Fall der verspäteten Herstellung der technischen Voraussetzungen. Die Gesetzesbegründung geht insofern lediglich für die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen darauf ein, dass erst in weiteren Schritten eine Anbindung an die Telematikinfrastruktur erfolgen und daher für diesen Bereich nicht der gesetzlich geregelte Stichtag, sondern der Zeitpunkt, an dem ein technischer Anschluss erfolgt, ausschlaggebend sein soll (Gesetzentwurf der Bundesregierung, aaO, Seite 147, zweiter Absatz). Dementsprechend sind diese Einrichtungen nach § 295 Abs 1 S 10 aE SGB V von der Übermittlung im elektronischen Verfahren ausgenommen (vgl SG Dresden, Urteil vom 19.01.2022, aaO, Rn 24 mwN).

Die Gesetzesbegründung zur Änderung des § 49 SGB V (BT-Drucks 19/6337, Seite 145) nimmt auch bereits den angenommenen „Störfall“ ins Auge, dass sich die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse aus Gründen verzögert, die im Verhältnis zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse liegen, indem klargestellt wird, dass eine etwaige Verspätung bei der ab dem 01.01.2021 von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen an die Krankenkasse zu übermittelnden Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs 1 S 1 SGB V nicht zu Rechtsfolgen zu Lasten des Versicherten führt. Denn soweit sich bei der elektronischen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten Verzögerungen ergeben, liegen diese nicht mehr im Einflussbereich der Versicherten, sodass sie keine sich aus der verspäteten Übermittlung ergebenden Rechtsfolgen zu tragen haben (vgl SG Dresden, Urteil vom 28.03.2022, aaO, Rn 33 f).

Gemeint war damit zwar nicht die dann tatsächlich eingetretene Situation, dass schon die Möglichkeit, Arbeitsunfähigkeitsdaten ab dem Stichtag 01.01.2021 überhaupt elektronisch zu übermitteln, an der verzögerten Einführung der Telematikinfrastruktur scheitert, da diese Vorstellung im Hinblick auf den langen zeitlichen Vorlauf bis zum Inkrafttreten der Neuregelung Regelung erkennbar außerhalb des in der Gesetzesbegründung dokumentierten Erwartungshorizonts der am Gesetzgebungsprozess mitwirkenden Verfassungsorgane lag (vgl SG Dresden, Urteil vom 28.03.2022, aaO, Rn 35). Dies wird auch bereits dadurch deutlich, dass eine den für die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen entsprechende Regelung für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen nicht getroffen wurde.

Die Betonung des Ziels, Hindernisse der elektronischen Datenübertragung nicht zu Lasten der Versicherten gehen zu lassen, verweist aber auf die Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass es bei Übertragungsverzögerungen speziell im Interesse der Versicherten nicht auf die tatsächliche Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten im elektronischen Verfahren ankommen soll. Unterbleibt die elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten – wie hier – aus nicht vom Versicherten zu vertretenden Gründen ganz, weil schon die Einrichtung der dafür erforderlichen Strukturen nicht fristgerecht zustande gekommen ist, muss das erst recht gelten. Entscheidend ist unabhängig von der Dimension des technischen Problems nicht die tatsächliche Datenübermittlung, sondern die kraft Gesetzes objektiv bestehende Übermittlungspflicht, um die Meldeobliegenheit der Versicherten bereits dem Grunde nach entfallen zu lassen (vgl SG Dresden, Urteil vom 28.03.2022, aaO, Rn 35 f).

Für die Richtigkeit dieser Auslegung spricht auch, dass bei grammatikalischer Auslegung des § 49 Abs 1 Nr 5 2. HS SGB V die dort getroffene Ausnahmeregelung – entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers – auch dann nicht greifen würde, wenn der behandelnde Arzt zwar am eAU-Verfahren teilnimmt, die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten aber aus sonstigen technischen oder anderen Gründen scheitert. Vielmehr wäre die in § 49 Abs 1 Nr 5 2. HS SGB V getroffene Regelung dann überflüssig, da ein Ruhen gemäß § 49 Abs 1 Nr 1 1. HS SGB V ohnehin nicht eintritt, wenn die Übermittlung im eAU-Verfahren tatsächlich fristgemäß „erfolgt“.

Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind ab dem 01.01.2021 gemäß § 295 Abs 1 S 1 SGB V zur Übermittlung der von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse verpflichtet. Dabei ist es unmaßgeblich, ob dies der Arzt elektronisch veranlasst oder nicht. Eine Obliegenheit des Arbeitnehmers besteht nicht mehr (vgl Knorr, aaO, Seite 7 f).

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG, wonach die Meldeobliegenheit ausnahmsweise dann nicht zu Lasten der Versicherten eingreift, wenn die rechtzeitige Arbeitsunfähigkeitsmeldung durch Umstände verhindert oder verzögert wird, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind und auf von der Krankenkasse zu vertretenden Organisationsmängeln beruhen (vgl BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 30/04 T –, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R –, Urteil vom 25.10.2018 – B 3 KR 23/17 R – und Urteil vom 08.08.2019 – B 3 KR 6/18 R – jeweils in juris). Die verspätete Einführung der erforderlichen Telematikinfrastruktur ist solch ein außerhalb des Verantwortungsbereichs der Versicherten liegender Umstand (SG Dresden, Urteil vom 28.03.2022, aaO, Rn 37).

Die ab dem 01.01.2021 geltende Gesetzeslage hat zwingenden Charakter und kann nicht durch Vereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 295 Abs 3 S 1 Nr 3 SGB V aufgeschoben werden. Zwar haben die Vertragspartner mit der am 25.11.2020 ausgefertigten Änderung der Vereinbarung über die Verwendung digitaler Vordrucke in der vertragsärztlichen Versorgung – Vordruck-Vereinbarung digitale Vordrucke – (Anl 2b BMV-Ä) vom 01.07.2020 (Deutsches Ärzteblatt 2021, Jg 118, Heft 1-2, Seite A-64) den Auftrag des Gesetzgebers, „das Nähere“ über die Erfüllung der Pflichten nach § 295 Abs 1 SGB V zu vereinbaren, erfüllt und durch Art 1 Nr 1 eine Einführung der elektrischen Arbeitsunfallbescheinigung abweichend vom gesetzlichen Starttermin für den 01.10.2020 vereinbart. Diese Regelung trug dem Umstand Rechnung, dass es wegen der Verzögerung bei der Einrichtung der Telematikinfrastruktur in der Praxis dabei geblieben war, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – wie auch im vorliegenden Fall – bis zum 30.09.2021 weiterhin in Papierform ausgestellt wurden. Die Einräumung der verlängerten Umsetzungsfrist trug dieser Realität Rechnung, indem sie die Vertragsärzte von der individuellen Verantwortlichkeit für die Nichteinhaltung der gesetzlichen Frist entlastete. Ihre Nichtbeanstandung durch das Bundesministerium für Gesundheit änderte indessen nichts an der gemeinsamen Verpflichtung der Selbstverwaltung, den Auftrag des Gesetzgebers bis zum 01.01.2021 umzusetzen. Den Partnern der Bundesmanteltarifverträge war lediglich die Befugnis eingeräumt, das „Nähere“ zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben aus § 295 SGB V zu vereinbaren. Zu diesen umzusetzenden Vorgaben gehört insbesondere die Verpflichtung zur fristgerechten Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 01.01.2021. § 295 Abs 3 Nr 3 SGB V ermächtigte die Selbstverwaltung hingegen nicht, sich selbst einen Dispens von den Vorgaben des Gesetzgebers zu erteilen und einen von Art 17 Abs 5 iVm Art. 2 Nr 1 und 3 TSVG abweichenden Starttermin für die elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten festzulegen. Insoweit stand die verlängerte Umsetzungsfrist nach § 4 Z. 4.1.1 der Anl. 2b BMV-Ä nicht im Einklang mit höherrangigem Recht (vgl SG Dresden, Urteil vom 28.03.2022, aaO, Rn 25 ff und Urteil vom 19.01.2022, aaO, Rn 25 mwN; aA offenbar Rieke, aaO). Die gesetzliche Öffnungsklausel für Vereinbarungen betrifft lediglich nähere Einzelheiten der Verpflichtung zum Datenaustausch, aber nicht die Verpflichtung zur Übermittlung von Daten und deren Beginn selbst. Eine solche „Abdingbarkeit“ von Pflichten wäre den Regelungen des SGB V fremd. Überdies würden solche Vereinbarungen zum Wiederaufleben der Meldeobliegenheit und damit zu Rechtsnachteilen der Versicherten führen, die im Rahmen der Verhandlungen und des Abschlusses dieser Ausgestaltungsvereinbarung nicht repräsentiert waren (SG Dresden, Urteil vom 19.01.2022, aaO mwN).

Traf den Kläger schon dem Grunde nach keine Obliegenheit zur fristgerechten Meldung der Arbeitsunfähigkeit, spielt es auch keine Rolle, ob bzw dass er nicht darauf vertraut hat, dass die behandelnden Ärzte die Arbeitsunfähigkeitsdaten übermitteln würden und er deshalb der fristgebundenen Anzeige der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit enthoben war (vgl SG Dresden, Urteil vom 19.01.2022, aaO, Rn 26 und vom 28.03.2022, aaO, Rn 38; aA Schifferdecker, aaO, Rn 36b).

Etwas anderes ergibt sich deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daraus, dass die behandelnden Ärzte dem Kläger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Weiterleitung an die Krankenkasse überreicht haben. Darüber hinaus bestimmt § 73 Abs 2 S 1 Nr 9 SGB V, dass die Bescheinigung bei einer Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt auch dann auszustellen ist, wenn die Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs 1 S 1 Nr. 1 SGB V übermittelt werden, so dass auch aus diesem Grund aufgrund der bloßen Aushändigung einer solchen Bescheinigung keine weitergehenden Rückschlüsse gezogen werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Berufung gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst. Insbesondere kommt der Frage der Auslegung der in § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V getroffenen Regelung nach oG auch über den 30.09.2021 hinaus in den Fällen Bedeutung zu, in denen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt zwar am eAU-Verfahren teilnimmt, die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten aber im Einzelfall aus anderen technischen oder sonstigen Gründen scheitert, sodass bei grammatikalischer Auslegung die Ausnahmeregelung auch in diesen Fällen nicht greifen würde.

 

Rechtskraft
Aus
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